Frakturen und Luxationen am proximalen Unterarm

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S194 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2000

Proximale Radiusfrakturen

Unfallhergang

Radiusköpfchenfrakturen entstehen inder Regel durch indirekte Gewalteinwir-kung beim Sturz auf die Hand bei imEllbogen gestrecktem Arm, wobei dieStauchung des Radiusköpfchens gegendas Capitulum humeri je nach Winkel-grad und Ausmaß der einwirkendenKraft eine Fraktur des Radiusköpfchensoder -halses hervorrufen kann [1].

Klassifikation

Die am meisten verwendete Mason-Klassifikation [16] wurde von McKee u.Jupiter [18] modifiziert und hat sich imklinischen Alltag weitgehend durchge-setzt (Abb. 1). Die gemeinsame Grup-pierung von Hals- und Köpfchenfraktu-ren des Radius ist aufgrund der ver-gleichbaren Behandlungsprinzipien undauch des zu erwartenden funktionellenErgebnisses gerechtfertigt.

Therapeutische Grundsätze

Mason-I-Frakturen

Diese nicht dislozierten Frakturen, häu-fig auch als “stabile Frakturen” bezeich-net, werden von der Mehrzahl der Auto-ren rein funktionell mit frühem Beginnder physiotherapeutischen Beübung be-handelt. Nur vereinzelt finden sich Be-richte über die operative Behandlungvon Mason-I-Frakturen. Eine entlasten-de Gelenkpunktion kann bei ausgepräg-

Trauma Berufskrankh2000 · 2 [Suppl 2]: S194–S198 © Springer-Verlag 2000 Obere Extremitäten

Christoph Josten · Jan KornerKlinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Universität Leipzig

Frakturen und Luxationen am proximalen Unterarm

Prof. Dr. C. JostenKlinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie,Universität Leipzig, Liebigstraße 22,04103 Leipzig(Tel.: 0341-9717300, Fax: 0341-9717309)

Zusammenfassung

Das Ellbogengelenk ist aufgrund seiner zen-tralen Lage aus funktionellen Gesichtspunk-ten als das bedeutendste Gelenk der oberenExtremität anzusehen. Knöcherne und liga-mentäre Verletzungen im Bereich des proxi-malen Unterarms konfrontieren den behan-delnden Arzt mit einer Anzahl von diagnosti-schen und therapeutischen Problemen. Post-traumatische Zustände am Ellbogengelenk,die mit chronischer Schmerzsymtomatik undBewegungseinschränkungen einhergehen,mindern zwangsläufig die Gebrauchsfähig-keit des gesamten Arms. Es besteht heutekaum noch ein Zweifel daran, dass in derMehrzahl der Fälle eine primäre definitiveosteosynthetische Versorgung mit exakterRekonstruktion der Gelenkfläche für ein be-friedigendes Resultat ebenso unverzichtbarist wie ein frühzeitiger Beginn physiothera-peutischer Übungsmaßnahmen. Mit zuneh-mendem Verständnis der anatomischen undbiomechanischen Besonderheiten des proxi-malen Unterarms vollzog sich in den letztenDekaden ein entscheidender Wandel dertherapeutischen Grundsätze, deren aktuellerStand in der vorliegenden Arbeit unter Be-rücksichtigung der relevanten Literatur vor-gestellt wird.

Schlüsselwörter

Fraktur · Luxation · Radiusköpfchen · Olekranon · Processus coronoideus · Behandlung

Abb. 1 m Einteilung der Radiusköpfchen- und -halsfrakturen nach einer von McKee u. Jupiter[18] modifizierten Klassifikation von Mason[16]

Typ 1

Typ 2

Typ 3

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ten schmerzbedingten Bewegungsein-schränkungen für die Realisierung derfrühfunktionellen Behandlung hilfreichsein. Indikation zur entlastenden Ge-lenkpunktion sind ein positives Fat-pad-sign sowie ein sonographisch nach-gewiesener Gelenkerguss [12] in Kombi-nation mit ausgeprägten schmerzhaftenBewegungseinschränkungen. Unbefrie-digende Ergebnisse nach Mason-1-Frak-turen werden jedoch in bis zu 13% derFälle beschrieben. Eine mögliche Ursa-che hierfür könnten die von Hotchkiss[10] im Rahmen der operativen Versor-gung der Mason-1-Frakturen beobach-teten osteochondralen Läsionen sein,die der radiologischen Diagnostik ver-borgen bleiben.

Seit der Arbeit vom Mason u. Shut-kin [17] wird nahezu unumstritten diefunktionelle Therapie mit frühzeitigenBewegungsübungen als die Therapie derWahl angesehen. Trotz der Möglichkeitder sekundären Dislokation des Frag-ments kann ein „gutes“ bzw.„sehr gutes“Ergebnis in über 80% der Fälle erwartetwerden. Es wird davon ausgegangen,dass durch Bewegungsübungen mini-male Gelenkinkongruenzen ausgegli-chen werden und einer frühzeitigenKapsel-Band-Schrumpfung vorbeugendentgegengewirkt wird [20].

Mason-II-Frakturen

Bei den dislozierten, partiell intraarti-kulären Frakturen werden gute Ergeb-nisse sowohl nach konservativer als auchnach operativer Therapie durch Frag-ment- oder Köpfchenresektion bzw.ORIF (primäre offene Reposition undinterne Stabilisierun) beschrieben, ohnedass dies bisher durch prospektive, ran-domisierte Studien mit statistischerAussagekraft belegt ist. Eine frühzeitigefunktionelle Behandlung ohne Exzisionunabhängig vom Grad der Dislokationbzw. Zertrümmerung wurde u. a. vonWeseley et al. [28] empfohlen. AndereAutoren gingen davon aus, dass Mason-II-Frakturen unverzüglich durch Exzisi-on des Fragments behandelt werdensollten. Die Indikation zur offenen Re-position und internen Fixation (am gün-stigsten durch AO-Minischräubchen oderresorbierbare Pins) sollte sehr sorgfältiggestellt werden. In der Literatur herrschtEinigkeit über die Notwendigkeit deroperativen Versorgung von Mason-II-Frakturen, wenn nach Gelenkpunktion

und Injektion eines Lokalanästhetikumsweiterhin eine mechanische Blockadefortbesteht. In einer älteren Studie vonCarstam [6] wurden in etwa 80% derFälle akzeptable Ergebnisse nach Resek-tion des Fragments erreicht. Durch einegenerell durchgeführte offene Repositi-on und interne Stabilisierung der Ma-son-II-Frakturen erreichten King et al.[13] in 100% der Fälle „gute“ und „sehrgute“ Ergebnisse. Jedoch scheint auf-grund der möglichen operationsbeding-ten Komplikationen und operations-technischen Möglichkeiten eine Indika-tionsbegrenzung auf solche Verlet-zungsformen sinnvoll, bei denen dasFragment > 1/3 der Gelenkfläche und > 2 mm disloziert ist [20]. Die in der Li-teratur [8] beschriebene Plattenosteo-synthese devitalisiert das Radiusköpf-chen durch Periostschädigung und istnicht empfehlenswert. Auch dislozierteRadiushalsfrakturen vom Typ Mason IIsollten beim Erwachsenen generell ope-rativ versorgt werden. Dies kann nebenden bereits erwähnten Osteosynthese-verfahren durch eine indirekte intrame-dulläre Aufrichtung des Radiusköpf-chens von distal erfolgen.

Mason-III-Frakturen

Verglichen mit den Frakturen vom Typ Iund II lässt sich feststellen, dass das zuerwartende Ergebnis nach Mason-III-Frakturen seltener „sehr gut“ oder „gut“ist. Morrey [20] führte dies auf den grö-ßeren Grad der Zertrümmerung sowieauf eine damit verbundene anspruchs-vollere Behandlung zurück. Eine primä-re Köpfchenresektion ist bei fehlendenBegleitverletzungen die Therapie derWahl. Bei valgisierenden Traumen, diedas Radiusköpfchen stauchen und dasulnare Kollateralband dehnen, kommtes häufig zu einer Kombination aus Ra-diusköpfchenfraktur und ulnarer Kolla-teralbandläsion. Zu einer vermehrtenValgusinstabilität kommt es jedoch erst,wenn zusätzlich eine Ruptur oder Insuf-fizienz des medialen Kollateralbandsvorliegen. Es muss also gefordert wer-den, dass bei Patienten mit Mason-III-Fraktur und klinischen Zeichen einerValgusinstabilität eine suffiziente Re-konstruktion des medialen Kapsel-Band-Apparats vorgenommen wird. Ist diesnicht möglich, sollte primär eine Köpf-chenprothese implantiert werden, umeine verbleibende Valgusinstabilität zu

C. Josten · J. Korner

Fractures and dislocations of the proximal forearm

Abstract

Because of its central location, the elbowjoint is considered the most important jointwithin the upper extremity from the view-point of function.Trauma to osseous and lig-amentous structures of the proximal forearmconfronts trauma surgeons and orthopedicspecialists with numerous diagnostic andtherapeutic challenges. Conditions followingelbow trauma are often accompanied bychronic pain and diminished range of mo-tion, leading to functional deficits of the en-tire arm.There is now practically no doubtthat primary osteosynthesis, anatomicaljoint reconstruction and early onset of func-tional treatment are essential for a good final outcome.With our expanding knowl-edge of the anatomical and biomechanicalcondtions in the proximal lower arm in thelast few decades the basic principles of ther-apy have also changed, and current stan-dards of treatment for proximal forearmtrauma are presented in this paper with ref-erence to the relevant literature.

Keywords

Fracture · Dislocation · Radial head · Olecra-non · Coronoid process · Therapy

Trauma Berufskrankh2000 · 2 [Suppl 2]: S194–S198 © Springer-Verlag 2000

vermeiden. Häufige Folge der Resektionsind die Zunahme des Tragewinkels so-wie eine Radialdeviation der Handdurch eine Radiusmigration nach proxi-mal. Bei intakter Membrana interosseasind die daraus folgenden funktionellenDefizite gering [21].

Erst in jüngster Literatur wurde, ei-ne strenge Indikationsstellung voraus-gesetzt, von zumeist guten und befriedi-genden Ergebnissen nach Implantationeiner Radiusköpfchenprothese berichtet[29]. Obsolet ist die Implantation von Si-likonprothesen, da sie weder den biolo-gischen noch den biomechanischen An-forderungen genügen. Eine operativeRekonstruktion des Radiusköpfchensbei Mason-III-Fraktur ist aufgrund derhohen Osteonekrosegefahr nicht sinn-voll.

Proximale Ulnafrakturen

Unfallhergang

In der Mehrzahl der Fälle führt ein di-rektes Trauma zur Olekranonfraktur.Le-diglich in etwa jedem 10. Fall ist ein in-direktes Trauma Verletzungsursache.

Klassifikation

Die AO-Klassifikation der proximalenUlna- und Radiusfrakturen konnte sichnicht durchsetzen. Sie ist schwer repro-duzierbar und bietet keine klassifikati-onsbezogenen Therapiekonzepte. Eineim angelsächsischen Sprachraum weitverbreitete und in Europa zunehmendakzeptierte Klassifikation wurde vonSchatzker [26] entwickelt (Abb. 2). Erbezog in seine Klassifikation mechani-sche Überlegungen des Frakturtyps undsich daraus ergebende Notwendigkeitenfür eine interne Stabilisierung ein. Eineeigene Gruppe stellen nach seiner Klas-sifikation die Olekranonfrakturen dar,die in Kombination mit einer Luxationauftreten, da sie therapeutisch am an-spruchsvollsten und prognostisch amungünstigsten sind.

Die Klassifikation der Frakturendes Proc. coronoideus erfolgt nach Re-gan u. Morrey [23] (Abb. 3). Diese stellteine leicht nachvollziehbare und dahergebräuchliche Einteilung dar. Entspre-chend der Größe des Fragments und desresultierenden Ausmaßes der Instabi-lität gegen Translationsstress könnentherapeutische Empfehlungen abgege-

ben und prognostische Aussagen ge-macht werden.

Therapeutische Grundsätze

Olekranon

Durch die Erfahrungen aus der Litera-tur lässt sich die Betrachtung der Zug-gurtungsosteosynthese als das Stan-dardoperationsverfahren für Olekranon-frakturen nicht kritiklos aufrechterhal-ten, da insbesondere bei komplizierte-ren Frakturformen (Typ B und D) durchPlattenosteosynthese bessere funktio-nelle Ergebnisse erreicht werden. Typ-A-Frakturen sind ein typisches Indika-tionsgebiet für die Zuggurtungsosteo-synthese. Bei Frakturen vom Typ B undD, also mit Einbruch der Gelenkfläche,berichteten Simpson et al. [27] bei plat-tenosteosynthetisch versorgten Mehr-fragmentfrakturen des Olekranons über73% „gute“ und „sehr gute“ Resultate.Vergleichbar gute Resultate nach platten-osteosynthetischer Versorgung von in-traartikulären Mehrfragmentbrüchendes Olekranons erreichten König et al.[14]. Eine Spongiosaplastik zur Abstüt-zung des aufgerichteten Fragments isthierbei vorteilhaft. Auch scheint für dieoperative Versorgung der Typ-E-Fraktu-ren die Plattenosteosynthese geeignetergegenüber der Zuggurtungsosteosyn-these. Wie in den Untersuchungen vonHume u. Wiss [11] gezeigt wurde, sindfür Frakturen vom Typ E die Platteno-steosynthesen signifikant stabiler und

weisen eine geringere Komplikationsra-te auf.

Insgesamt haben Olekranonfraktu-ren eine günstige Prognose. Unter Beach-tung der auf der Grundlage der Arbeits-gemeinschaft Osteosynthese erarbeite-ten standardisierten Operationsverfah-ren ist in der Mehrzahl der Fälle mit „gu-ten“ und „sehr guten“ Ergebnissen zurechnen. Die primäre konservative Thera-pie sollte nach unserer Meinung lediglichden primär nicht dislozierten Fraktur-formen oder den Patienten mit schlech-tem Allgemeinzustand vorbehalten blei-ben. Die im amerikanischen Sprachraumhäufiger zitierte Olekranektomie ist le-diglich als Rückzugsmöglichkeit beinicht rekonstruierbarer Zertrümme-rung des Olekranons akzeptabel.

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Obere Extremitäten

Abb. 2 m Klassifikation der Olekranonfrakturen nach Schatzker [26], Typ A Querfraktur, Typ B Quer-fraktur mit Impaktion der Gelenkfläche, Typ C Schrägfraktur proximal, Typ D Mehrfragmentbruch,Typ E Schrägfraktur distal, Typ F Olekranonfraktur im Rahmen einer Luxationsfraktur

A B C

D E F

Abb. 3 m Klassifikation der Frakturen des Pro-cessus coronoideus nach Regan u. Morrey [24],Typ I Avulsion der Spitze, Typ II Fragmentgröße< 50% des Coronoids, Typ III Fragmentgröße > 50% des Coronoids

III

III

Coronoid

Wie in biomechanischen und klinischenUntersuchungen bewiesen wurde, ist derProcessus coronoideus für die Stabilitätdes Ellbogengelenks von entscheidenderBedeutung [22]. Entsprechend derGröße des Fragments und dem damitverbundenen Grad der Instabilität klas-sifizierten Regan u. Morrey [23] 3 Frak-turtypen (Abb. 3). Auf der Grundlagedieser Klassifikation sind für das Errei-chen einer Übungsstabilität die offeneReposition und interne Stabilisierungfür solche Frakturen anzustreben, dieaufgrund der Größe des Fragments kei-ne Primärstabilität im Ellbogen gewäh-ren. Dies betrifft in der Regel alle Frak-turen vom Typ 3 sowie instabile Fraktu-ren vom Typ 2. Cage et al. [5] fanden inihren Untersuchungen, dass basisnaheFrakturen des Coronoids zum einen auf-grund des fehlenden ventralen knö-chernen Widerlagers und zum anderendurch die traumatische Desinsertion desM. brachialis und der ventralen Kapselals instabil anzusehen sind und eineroperativen Stabilisierung bedürfen. Dieskann durch transossäre Refixation vondorsal oder ventrale Schraubenosteo-synthese erfolgen. Frakturen vom Typ 1,also Avulsionen der Spitze, werden nichtoperativ versorgt. Eine im Rahmen deroperativen Versorgung der Begleitfrak-turen (z. B. Radiusköpfchen) durchge-führte Exzision des Fragments erscheintjedoch sinnvoll, um die Gefahr verblei-bender Beugedefizite zu minimieren.

Luxationen und Luxationsfrakturen

Unfallhergang

Ellbogenluxationen mit oder ohne knö-cherne Begleitverletzungen stellen mitetwa 20% aller Luxationen nach derSchulterluxation die zweithäufigste Ge-lenkverrenkung dar. 80–90% der Luxa-tionen oder Luxationsfrakturen erfolgennach dorsoradial und dorsal. Die imRahmen von Luxationsfrakturen häu-figsten knöchernen Läsionen betreffendas Radiusköpfchen sowie den Proc.coronoideus. Bereits von Lorenz Böhler[4] wurde ausführlich über begleitendeFrakturen bei Luxationen des Ellbogen-gelenks berichtet. In seinem Patienten-gut wiesen 20% der Patienten mit Luxa-tionsfrakturen Frakturen des Radius-

köpfchens und 10% der Patienten Frak-turen des Proc. coronoideus auf. Die Er-klärung hierfür findet sich in den bio-mechanischen Untersuchungen vonAmis u. Miller [1], die feststellten, dassbei einer indirekt auf das Ellbogenge-lenk einwirkenden Kraft und einer Beu-gung im Ellbogengelenk von bis zu 35°Radiusköpfchen und Proc. coronoideusbevorzugt frakturieren. Als das zurLuxation führende Trauma wird in derRegel ein Sturz auf die ausgestreckteHand angesehen [3].

Klassifikation

Die Einteilung der Luxationsfrakturenerfolgt entsprechend der zugrunde lie-genden Frakturen sowie der Luxations-richtung. Da Frakturen des Radiusköpf-chens oder -halses, des Olekranons so-wie des Proc. coronoideus in Kombina-tion mit einer Luxation nahezu aus-nahmslos eine schwerere Weichteilschä-digung aufweisen als isolierte Frakturen,sind Luxationsfrakturen als komplexeFrakturen und damit als eigene Entitätanzusehen.

Therapeutische Grundsätze

Die Reposition von Luxationsfrakturenwird in der Mehrzahl der Fälle in Nar-kose oder Analgosedierung durchge-führt. Eine Reposition unter Leitungs-anästhesie wird nicht empfohlen, da eindurch das Repositionsmanöver hervor-gerufener Nervenschaden leicht überse-hen werden kann. Bezüglich der Repo-sitionstechnik wurden in der Literaturvielfältige Methoden beschrieben,wobeiallen Techniken ein longitudinaler Zugsowie eine anteriore Translation gemeinsind. Die Notwendigkeit zur offenen Re-position und internen Fixation der Frag-mente besteht bei postrepositionell ver-bleibender Instabilität. Ist eine Luxationprimär nicht geschlossen reponierbar,muss von einer Weichteilinterpositionausgegangen und offen reponiert wer-den. Im Gegensatz zu den isoliertenLuxationen, die lediglich in bis zu 2,2%der Fälle zu chronischen Instabilitätenführen und aus diesem Grund konser-vativ bzw. frühfunktionell behandeltwerden können, erfordern Luxations-frakturen des Ellbogengelenks überwie-gend eine operative Stabilisierung, umeine verbleibende Instabilität zu ver-meiden [22].

Monteggia-Frakturen

Monteggia-Frakturen, die eine Kombi-nation aus proximaler Ulnafraktur mitRadiusköpfchenluxation repräsentieren[19], stellen eine eigene Entität unter denVerletzungen des proximalen Unter-arms dar. Sie haben bei primärer offenerReposition und interner Stabilisierungder proximalen Ulnafraktur insgesamteine günstigere Prognose als die Luxati-onsfrakturen des Ellbogengelenks.

Unfallhergang

Als mögliche Unfallursachen werden inder Literatur indirekte und direkte Ge-walteinwirkungen auf den Unterarmbzw. das Ellbogengelenk angesehen.

Klassifikation

Eine hilfreiche Einteilung der Monteg-gia-Frakturen wurde von Bado [2] ent-wickelt. Jedoch werden in dieser Klassi-fikation weitere, wesentlich komplexereproximale Ulnafrakturen in Kombinati-on mit einer Radiusköpfchenluxationnicht berücksichtigt. Diese werden all-gemein als Monteggia-like-lesions be-zeichnet.

Therapeutische Grundsätze

Die Monteggia-Fraktur wird durchprimäre offene Reposition und interneStabilisierung (ORIF) des Ulnaschaftsdurch Plattenosteosynthese versorgt.Dieses Verfahren wird von den meistenAutoren der aktuelleren Literatur als dasVerfahren der Wahl angesehen. Hennigu. von Kroge [9] berichteten über 85%„gute“ und „sehr gute“ Ergebnisse. DiePrognose der Monteggia-like-lesions istaufgrund ihrer Komplexität und meistausgeprägteren ossären und Weichteil-verletzungen, verglichen mit der klassi-schen Monteggia-Fraktur, ungünstiger.

Essex-Lopresti-Verletzung

Eine seltene, aber häufig überseheneKombinationsverletzung ist das gleich-zeitige Vorliegen einer Radiusköpfchen-fraktur (meist Mason III) mit Rupturder Membrana interossea sowie einerSprengung des distalen Radioulnarge-lenks. Ursache hierfür ist eine longitudi-nale Krafteinwirkung auf den gesamtenRadius durch Sturz auf die ausgestreck-

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te Hand. Durch die initiale Radiusköpf-chentrümmerfraktur kommt es zu einerTranslationsverschiebung des Radiusnach proximal und einer Zerreißung dereinem Translationsstress entgegenwir-kenden Bandstrukturen, also der Mem-brana interossea sowie des distalen Ra-dioulnargelenks [7]. Nach Radiusköpf-chenresektion ist mit einer symptoma-tischen Radiusmigration nach proximal,einer Radialdeviation der Hand undfunktionellen Einschränkungen im dis-talen Radioulnargelenk sowie dem Ra-diokarpalgelenk zu rechnen.Aus diesemGrund ist bei diesem Verletzungsbild diealleinige Radiusköpfchenresektion nichtgerechtfertigt. Vielmehr sollte hierbeiprimär eine Köpfchenprothese implan-tiert werden.

Scores zur Objektivierung der Ergebnisse

Scoresysteme stellen heutzutage einewesentliche Entscheidungshilfe in derUnfallchirurgie dar und erlauben ver-gleichende Aussagen über Patienten mitähnlichen Verletzungsmustern [25]. DieBeurteilung der funktionellen Ergebnis-se nach Verletzungen des Ellbogenge-lenks ist schwierig und unterliegt häu-fig subjektiven Kriterien des Patientenund des Untersuchers [24]. Bereits exis-tierende Scores berücksichtigen entwe-der subjektive Kriterien zu stark, schlie-ßen radiologische Befunde aus der Be-wertung aus oder sind lediglich zur Eva-luierung einer speziellen Verletzungs-form geeignet. In unserer Klinik hat sichzur Objektivierung der Ergebnisse nachVerletzungen der Ellbogenregion derLeipziger Ellbogenscore [15] bewährt.Hierbei wurde eine Schwerpunktverla-gerung zugunsten objektivierbarer kli-nischer und radiologischer Befunde vor-genommen (zusammen 75 von 100Punkten), ohne subjektive Kriterien zuvernachlässigen.

Resümee

Frakturen und Luxationen am proxima-len Unterarm erfordern zur optimalenVersorgung sowie zur Vermeidung po-sttraumatischer funktioneller Defizitedie genaue Kenntnis der anatomischenund biomechanischen Besonderheiten.Hilfreich bei der Therapieentscheidung sind gut nachvollziehbare Klassifikatio-nen der einzelnen Verletzungstypen. Sie

erlauben in der Mehrzahl der Fälle einestandardisierte Vorgehensweise. Bei iso-lierten oder kombinierten Frakturen desproximalen Radius und der Ulna ist dieBeurteilung der begleitenden Weichteil-verletzungen ebenso entscheidend wiebei offensichtlichen Kapsel-Band-Schä-den im Rahmen von Luxationsfraktu-ren. Bei adäquatem klassifikationsbezo-genem Therapiekonzept ist in den mei-sten Fällen ein gutes Resultat erreichbar.Kurze Immobilisationszeiten und eineexakte Reposition der gelenkbildendenAnteile sind hierfür Grundvorausset-zungen. Zur Objektivierung der erreich-ten Ergebnisse ist die Anwendung einesallgemeinen Ellbogenscores hilfreich.

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S198 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2000

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