Generationswechsel hilft beim Umbruch12 Nr. 84 | Dienstag, 9. April 2019 WIRTSCHAFT STUTTGARTER...

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12 Nr. 84 | Dienstag, 9. April 2019STUTTGARTER ZEITUNGWIRTSCHAFT

Generationswechsel hilft beim Umbruch

R obert Reisch braucht nur ineines der Archivregale am Fir-mensitz im Stuttgarter Wes-ten zu greifen, dann hält er einStück Vergangenheit in der

Hand. Dicke Ordner liegen da, in denenHandwerker nachschlagen konnten, wiesie einen Kostenvoranschlag erstellen.„Keiner schlägt heute mehr so etwas nach –das googeln sie nur noch,“ sagt Reisch.

Doch als Geschäftsführer für Digitalesund IT im Fachverlag Gentner in Stuttgartist ihm vor radikalen Veränderungen nicht bange. Denn wenn er nach einem Vorbildfür Anpassungsfähigkeit sucht, muss er nurauf seinen Großvater Alfons W. Gentnerblicken. Der baute 1946 dank einer durcheinige Zufälle früh ergatterte Lizenz derUS-Militärregierung den von dessen Vatergegründeten Verlag rasch nach dem Krieg

wieder auf. Noch heute hängt eine Kopiedes Dokuments eingerahmt im Bespre-chungszimmer. Zu kaufen gab es damalswenig. Dafür gab es einen Hunger nachUnterhaltung. Und so publizierte der Ver-lag ein damals höchst innovatives Medium:Die „Schwäbische Illustrierte“ präsentierteerstmals in Süddeutschland mit vielen ein-gestreuten Bildern einen Kessel Buntes -schöne Schauspielerinnen, Kriegserlebnis-se oder auch Enthüllungsgeschichten wie „Goebbels und die Frauen“.

„Aber mein Großvater hatte immer auchdas Praktische im Blick“, sagt Reisch. Undso gehörten von Anfang an auch lebensna-he Themen zum Programm. Als die Deut-schen wieder mehr Geld übrig hatten, woll-ten sie nicht mehr nur ihr Herz wärmen, sondern auch ihre Wohnungen. Spezialthe-

men wie der Heizungsbauwaren gefragt. Die Rechte ander Illustrierten wurden ver-kauft. Gentner mutierte En-de der Fünfzigerjahre zumFachverlag. Mit dem Hei-zungsbau beschäftigt mansich noch heute.

Zuvor hatte der VerlagAnfang der fünfziger Jahreden frühen Tod des Gründersverkraften müssen. Dochweil dessen Witwe Verlagund Vermögen zusammen-hielt und in zweiter Ehe denDruckereileiter heiratete, ging es weiter.Anpassungsfähigkeit bei gleichzeitig lang-fristigem Horizont, das zeichne Familien-unternehmen aus, sagt Reisch. Sie seien fürden digitalen Wandel gewappnet – wenn siesich auf diese Stärken besinnen. Lange Jah-re machte der Verlag mit Printmedien fürFachthemen wie Sanitär-, Heizungs- oderKlimatechnik, Fenster, Glas, Fassaden,Elektro- und Sicherheitstechnik sowieArbeitsmedizin gute Geschäfte. Doch der aktuelle Umbruch ist tiefgreifender als dereinstige Schwenk von der Unterhaltung zum Fachwissen. „Irgendwann einmalmuss man begreifen, dass Digitalisierungmehr bedeutet als die Weiterentwicklungdes Bestehenden“, sagt Reisch.

Das Schlüsselwort für den Umbruch imFamilienunternehmen war Vertrauen. „Mache du mal“, das sei die Devise seinesVaters gewesen, sagt der 36-Jährige, der

allmählich in die Rolledes Mit-Geschäftsfüh-rers hineinwuchs, dieer seit Oktober 2017bekleidet. „Mein Vaterist auch mit 64 nochneugierig und technik-begeistert – der ist kei-ner, der sich die E-Mailhat ausdrucken las-sen.“ Ende April 2020scheidet er aus der Ge-schäftsführung aus,

der Sohn wird Verleger. Ein Vorteil sei esgewesen, dass es eine klare Nachfolgerege-lung gegeben habe, sagt Reisch. Ob er oderseine drei Jahre ältere Schwester den Ver-lag übernehmen sollte, wurde lange im vo-raus entschieden. Das sei nicht bei allen Fa-milienverlagen so. Es sei ein Glücksfall ge-wesen, dass der Stabwechsel im Familien-unternehmen parallel zum technologi-schen Umbruch stattfand, sagt Reisch. Alser 2008 parallel zum Jurastudium in Teil-zeit im Unternehmen anfing, experimen-tierte man erstmals mit einer Produkt-datenbank für Handwerker, die aber nur mühsam vorankam: „Die Hersteller haben nicht verstanden, warum sie uns ihre Pro-duktdaten zur Verfügung stellen und auchnoch dafür zahlen sollten.“ Dann machteman einen Schnitt. „Im Jahr 2014 habenwir uns extern gründlich durchleuchten lassen“, sagt Reisch. Danach sei klar gewor-den, dass man nicht weitermachen konnte

wie bisher. Alles, was man zu-vor digital gemacht hatte, seinur eine Weiterentwicklungdes Bisherigen gewesen. Ihmsei es leichtergefallen, sichvon bisherigen Produkten zuverabschieden, sagt Reisch:„Ich glaube, das es Familien-unternehmen beim digitalenWandel strukturell leichterhaben: Die Wege zu Entschei-dungen sind kurz, sie könnendynamischer reagieren.“ Zu-dem hätten Familienunter-nehmen mehr Liquidität, um

dies zu finanzieren. Nicht zuletzt sei der heute Start-ups zu-

geschriebene, auf Eigenverantwortung set-zende Führungsstil schon bei seinem Vaterso gewesen: „Da hat sich im Kern mit mir gar nichts verändert. Wir sind grundsätz-lich sehr nah an den Leuten. Bei uns kannjeder zum Geschäftsführer kommen.“ Erfühle besondere Verantwortung: „Wir wol-len nicht den Wandel erzwingen, indem be-stehende Mitarbeiter gegen neue ausge-tauscht werden.“ Er kenne manche ausKindertagen, als ihn sein Vater in die Firmamitnahm: „Das muss mit der vorhandenen

Mannschaft gelingen.“ Neue Produkte trei-be man aber mit neuen Teams voran.

Der Takt ist hoch: So publiziert ein drei-köpfiges Team zum Thema Haustechnikzwei Newsletter täglich. Suchmaschinen-optimierung und Werbung auf sozialen Medien – bei einem neuen, rein digitalenAngebot für Gebäude -und Fassadentech-nik zog man alle Register. Binnen zwei Jah-ren habe man so die größte Internetplatt-form für Handwerker rund um dieses The-ma etabliert, sagt Reisch: „Wir sind da kom-plett zahlengetrieben. Was auf der Websei-te nicht funktioniert, kommt weg. Wasläuft, wird als Evergreen immer wieder aus-gespielt.“ Da kann auch ein Artikel überFußbodenheizungen von 2009 dabeisein.Gesponserte Artikel sind eine Säule des Ge-schäftsmodells. Auch Nutzerdaten kannman datenschutzkonform monetarisieren: Für die Hersteller von Handwerkerbedarfbeispielsweise bieten sie Informationenüber ihre sehr spezielle Zielgruppe.

Aber auch eine andere Komponente istwichtig: „Digitale Reichweite bekommensie auch durch branchenspezifische Unter-haltung“, sagt Reisch. Etwas vom Geist dereinstigen, bunten „Schwäbischen Illust-rierten“ passt also gut ins digitale Zeitalter.

Neuorientierung Robert Reisch, der Geschäftsführer des Stuttgarter Gentner-Verlags, hält Familienunternehmen für Veränderungen grundsätzlich für gut gewappnet. Dazu braucht es aber das nötige Vertrauen zwischen Senior- und Juniorchef. Von Andreas Geldner

Für Robert Reisch, der im Stuttgarter Fachverlag Gentner seinem Vater als Geschäftsführer folgt, sind Regale mit Printprodukten weitgehend Geschichte. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

ROBERT REISCH UND SEIN VERLAGAusbildung Robert Reisch (36) hat von 2004 bis 2010 in Tübingen Jura studiert und war anschließend bis 2012 im Referendariat. Von 2016 bis 2018 studierte er berufsbegleitend an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen. Am Institut für Familienunternehmen hat er dort seinen Masterabschluss gemacht . Seit dem Jahr 2008 arbeitet er im Gentner-Verlag, und seit Januar 2013 ist er dort in Vollzeit tätig. Im Oktober 2017 wurde er Geschäftsführer für Digitales. Vom kommenden Jahr an wird er der Verleger sein. Reisch hat zwei Kinder im Alter von zwei und fünf Jahren, die beim Sommerfest und ähnlichen Anlässen auch schon einmal ins Unternehmen hineingeschnuppert haben.

Verlag Im Verlag wird es wie bisher neben Reisch einen zweiten Geschäftsführer geben, der das operative Geschäft betreut. Der Alfons-W.-Gentner-Verlag hat aktuell etwa 60 Mitarbeiter, davon zwei Auszubilden-de. Er publiziert elf Fachzeitschriften, 15 Fach-bücher, zwei Unternehmenszeitschriften als Dienstleistung für Kunden. Aber vor allem betreibt er 16 Webseiten. Die größte ist Haus-tec.de, ein Portal für Gebäude- und Fassaden-technik. Dazu kommen 24 Kanäle auf sozialen Medien und elf Newsletter. Die Druckauflage beträgt etwa 150 000 Hefte im Monat. Monat-lich gibt es circa 800 000 Besuche auf den Webseiten und 1,8 Millionen Seitenaufrufe.

Gesellschafter Umsatzzahlen werden keine veröffentlicht. Es gibt zwei Gesellschafter. Neben Robert Reisch ist seine Mutter die Mehrheitsgesellschafterin. In der Firmen-geschichte blieben wichtige Anteile am Verlag über die Generationswechsel hinweg in den Händen der Frauen der Familie. age

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Impressum

„Familien-unternehmen haben es beim digitalen Wandel strukturell leichter.“Robert Reisch über Zukunftsfähigkeit

FAHRPLAN DER SERIEFamilienbetriebe sind das Rückgrat der Wirt-schaft. Bundesweit werden neun von zehn Firmen von Eigentümern geführt oder sind in Familienhand. In unserer Serie „Familienunter-nehmen“ beleuchten wir bis 11. Mai die Situa-tion solcher Betriebe in Baden-Württemberg.

Das Gesicht Porträt von Brun-Hagen Henner-kes – der Experte für Familienbetriebe 6. April

Der Umbruch Wie ein Generationswechsel den Wandel erleichtert 9. April

Die Macher Wie es ein Familienunternehmen schafft, innovativ zu bleiben 13. April

Die Finanzierung Welche Rolle Banken bei der Unternehmensnachfolge spielen 16. April

Der Aufsteiger Wie ein Einwanderer ein Lebensmittelimperium aufgebaut hat 20. April

Der Schicksalsschlag Wenn jemand plötzlich ins kalte Wasser geworfen wird 23. April

Das Vermächtnis Konflikt ums Erbe – wenn die Familie zerstritten ist 27. April

Die Grenzen Wie viel Wachstum ist nötig, wie viel möglich, um am Ball zu bleiben? 30. April

Der Nachfolgestreit Der Vater will an einen Fremden verkaufen, die Kinder nicht 4. Mai

Die Stiftung Die Familie ist groß und zu viele wollen mitsprechen 7. Mai

Die Nachbarn Welche Rolle Familienbetriebe im Ausland spielen 11. Mai

Familien-unternehmen

D ie EU-Wettbewerbshüter habenwegen falscher Aussagen eine Mil-lionenstrafe gegen General Elec-

tric (GE) verhängt. Der US-Konzern müsse52 Millionen Euro zahlen, teilte die EU-Kommission mit. Bei der Anmeldung derÜbernahme des Rotorblattherstellers fürWindkraftanlagen, LM Wind, gab GeneralElectric der Behörde demnach keine voll-ständigen Informationen ab. GE hatte den Zusammenschluss im Januar 2017 in Brüs-sel angemeldet. Dabei erklärte das Unter-nehmen, über seine bestehende 6-Mega-watt-Turbine hinaus keine Windkraftanla-gen mit höherer Leistung für den Offshore-einsatz entwickeln zu wollen. Die Wettbe-werbshüter fanden jedoch heraus, dass GEmöglichen Kunden zugleich Offshoreanla-gen mit einer Leistung von zwölf Megawattanbot. Daraufhin meldete GE das Vorhabenerneut in Brüssel an, dieses Mal mit voll-ständigen Informationen, die Wettbe-werbshüter genehmigten den Zusammen-schluss anschließend. „Unsere Fusions-kontrolle und unsere Beschlüsse sind nur so gut wie die Informationen, auf die wiruns stützen können“, sagte EU-Wettbe-werbskommissarin Margrethe Vestager.„Die heute gegen General Electric verhäng-te Geldbuße ist ein Beleg dafür, dass dieKommission es sehr ernst nimmt, wenn einUnternehmen seine Pflicht verletzt, unsrichtige Auskünfte zu erteilen.“

Die EU verhängt damit zum zweiten Malseit 2004 eine Strafe wegen Falschaussagenbei Übernahmen. Im Mai 2017 erließ sieeine Geldbuße von 110 Millionen Eurogegen den US-Digitalriesen Facebook, weil das Unternehmen bei der Übernahme desNachrichtendiensts Whatsapp irreführen-de Angaben gemacht hatte. In seinem Fu-sionsantrag 2014 hatte Facebook erklärt, nicht zum zuverlässigen automatischenDatenabgleich zwischen den Benutzerkon-ten beider Dienste in der Lage zu sein. Im August 2016 kündigte Whatsapp aber genaudas an: Telefonnummern der Whatsapp-Nutzer könnten mit den jeweiligen Profilenin Facebook verknüpft werden. dpa

Wettbewerb Die EU-Kommission verlangt 52 Millionen Euro vom US-Konzern.

Strafe gegen General Electric

Baden-Württemberg

Industriewachstum verliert an SchwungDie Industrie im Südwesten wächst weiter,hat im vergangenen Jahr aber wieder etwasan Schwung verloren. Knapp 371 Milliar-den Euro Umsatz im Jahr 2018 bedeutetenein Plus von 2,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr, meldete das Statistische Landes-amt. 2017 hatten alle Betriebe zusammenein Plus von 3,4 Prozent verbucht. Andersals im Jahr davor wurde das Wachstum2018 stärker vom Inlands- als vom Aus-landsgeschäft getragen. Knapp 55 Prozentihres Umsatzes macht die Industrie desLandes laut Statistik im Ausland. dpa

Mittelstand braucht SPINNER. Sonst hieße es ja Mittelstillstand.Digitalisierung für Mittelständler, die mehr wollen.Das Dossier auf hvb.de/unternehmen-digital

ICQC 2018-20

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