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Da hilft nur Schenken

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In dem anlässlich unseres 50. Jubiläums herausgegebenen Buch "Da hilft nur Schenken" nehmen 17 Autorinnen und Autoren das Thema Schenken unter ökonomischen und ethischen Gesichtspunkten unter die Lupe.

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Impressum

Herausgegeben für die GLS Treuhand e. V. von Dr. Antje TönnisDr. Annette MassmannJulian MertensMichael Lieberoth-Leden GLS Treuhand e. V.Christstraße 944789 BochumTelefon: 0234 5797-120Telefax: 0234 5797-188E-Mail: [email protected]

Konzept & Gestaltung wppt:kommunikation GmbH, WuppertalRob Fährmann, Beatrix Göge, www.wppt.de

Illustrationen/HolzschnitteJuliane Steinbach

LektoratLingo, Dortmund; Helene Shangama, GLS Treuhand

DruckOFFSET COMPANY Druckereigesellschaft mbHWuppertalwww.offset-company.de

Gefördert vonIONA Stichting, Amsterdam/NiederlandeStiftung Evidenz, Arlesheim/Schweiz

Verlag und Vertrieb für den BuchhandelInfo3-Verlag, Frankfurt am Mainwww.info3.de

ISBN 978-3-924391-58-4

1. Auflage, Bochum/Frankfurt 2011

Dieses Buch wird unter den Bedingungen einer Creative Commons License veröffentlicht: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.5/deed.de. Eine elektronische Fassung kann heruntergeladen werden. Sie dürfen das Werk vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugänglich machen.

Es gelten folgende Bedingungen: Namensnennung: Sie müssen den Namen des Autors/Rechteinhabers in der von ihm festgelegten Weise nennen (wodurch aber nicht der Eindruck entstehen darf, Sie oder die Nutzung des Werkes durch Sie würden entlohnt). Keine kommerzielle Nutzung: Dieses Werk darf nicht für kommerzielle Zwecke verwendet werden. Keine Bearbeitung: Dieses Werk darf nicht bearbeitet oder in anderer Weise verändert werden.

Der Info3-Verlag hat das alleinige Recht der kommerziellen Nutzung in Form von Druckerzeugnissen. © Info3-Verlagsgesellschaft Brüll & Heisterkamp KG, Frankfurt am Main

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Da hilft nur Schenken Mit Schenken und Stiften die Gesellschaft gestalten

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Michael Lieberoth-Leden und Annette Massmann // Schenken und Stiften im 21. Jahrhundert

Von der Knappheit zur Fülle

Genevieve Vaughan // Plädoyer für eine Ökonomie des Schenkens nach dem Modell der Mütterlichkeit

Veronika Bennholdt-Thomsen // „Money makes the world go round” – stimmt das? Kritik der Entwicklungshilfe, des Geldes und der Tausch-ökonomie

Margret Kennedy // Überlegungen und Erfahrungen zur Ökonomie des Schenkens

Marianne Gronemeyer // Von der Gegenseitigkeit

Shelley Sacks // Geben und ökologische Bürgerschaft.Aus innerer Bewegung zur passenden Form

Geldqualitäten: Kaufgeld, Leihgeld, Schenkgeld

Christoph Strawe und Harald Spehl // Die Bedeutung von Schenkgeld in Wirtschaft und Gesellschaft

Udo Herrmannstorfer // Schenken – mehr als eine großmütige Geste?

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Inhalt

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Axel Janitzki und Ingo Krampen // Verantwortung und Vertrauen. Schenken, stiften und vererben als juristisches Neuland

Paul Mackay // Geldfunktionen und Fähigkeitsentwicklung

Siegfried Finser // Der unermessliche Wert des Schenkens

Religion, Gabehandeln und Schenken

Fritz Rüdiger Volz // „Zedaka“– der Geist und die Praxis der Gabe im Ethos des Judentums

Dieter Weber // Unser Vermögen zu geben ist eine Gabe Gottes.Gabe in christlicher Perspektive

Ahmed Elhassab // Zakãt und „schmutziges Geld“.Sudanesische islamische Banken und soziale Gerechtigkeit

Die Praxis des Schenkens und Stiftens

Annette Massmann // Aus der Fülle des Lebens handeln.GLS Treuhand – ein halbes Jahrhundert des Schenkens

Porträts von SchenkerInnen

Glossar

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Wenn wir im 21. Jahrhundert über den zeit-gemäßen Charakter sowie die Bedeutung des Schenkens und Stiftens sprechen, sprechen wir nicht mehr vorrangig über Begriffe wie Mild-tätigkeit, Großzügigkeit und Altruismus. Denn zunehmend zeigen sich in der heutigen Zeit Schenken und Stiften als verantwortungsvolle Formen ökonomischen Handelns. Einzelne Men-schen und Gruppen stoßen national und inter-national zukunftsweisende gesellschaftliche Aktivitäten, Initiativen und Kooperationen an und erzielen damit beachtliche Wirkung.

Viele Schenkende sind sich sowohl der gesell-schaftlichen und wirtschaftlichen Wirkung ihrer Entscheidung als auch der besonderen Gestal-tungs- und Freiheitskräfte von Schenkungs- und Stiftungsgeld bewusst. Sie haben vielfach fundierte Kenntnisse (welt-)gesellschaftlicher Verhältnisse, wissen Bescheid über Defizite und Notwendigkeiten und haben den Wunsch, diese im positiven Sinne zu beeinflussen. Sie entschei-den sich für die Übernahme von Verantwor-tung und für sehr persönliches Engagement. Sie initiieren, kräftigen und sichern soziale, kul-turelle und ökologische Vorhaben unter Einsatz von eigenem Vermögen. So wirken sie entschei-

dend an der Schaffung einer lebenswerten Zukunft für alle mit.

Immer mehr Menschen ergreifen selbstbe-stimmt Aufgaben, um (allein oder zusammen mit anderen) mit ihrem Geld, ihrem Engage-ment, ihren Fähigkeiten und vor allem mit ihrer Kraft und Begeisterung Gestaltungs- und Hand lungs räume zu erhalten oder ganz neu zu schaffen.

Dabei kommt es häufig zu einer im besten Sinne demokratischen Zusammenarbeit zwischen sehr unterschiedlichen Menschen. Materielle, fachliche, zeitliche Fähigkeiten und Möglich-keiten finden sich im Sinne eines gemeinsamen Projektes, um gleichberechtigt an dessen Ver-wirklichung zu arbeiten. Zu Schenkungshierar-chien, wie beispielsweise Geld vor Fähigkeit, kommt es dabei zumeist nicht.

Die täglich deutlicher werdenden Grenzen staat-lichen Leistungswillens sowie die erkennbarere Hilflosigkeit politischer Verantwortungsträger führen bei solch aktiven Menschen nicht zu Resignation, sondern inspirieren erstaunliche Ideen und Kräfte, die die frei werdenden

Vorwort

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Autor // Michael Lieberoth-LedenMichael Lieberoth-Leden, geb. 1952, verheiratet, lebt in Wuppertal. Ausbildung zum Bankkaufmann und Bankfachwirt, 20 Jahre Tätigkeit in einer deutschen Großbank. Von 1991 bis 2001 Leiter der Kreditabteilung in der GLS Gemeinschaftsbank. Von 2001 bis 2010 Gesellschafter der Kompass GmbH. Seit 1. Juli 2010 Vorstandsmitglied in der GLS Treuhand.

Schenken und Stiften im 21. Jahrhundert

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Wirtschaftens, des Miteinanderlebens und des Schutzes von Umwelt und Natur aufbauen.

Schenken, stiften und vererben // Wir sind uns bewusst, dass das Schenken allein nicht ausreichen wird, um Schlimmeres zu verhin-dern, allerdings kann seine Bedeutung als erster wesentlicher Schritt nicht hoch genug einge-schätzt werden. In seiner selbstlosen Zielset-

zung kann es uns den Weg weisen zu einer anderen, neuen und vielleicht sogar revolutio-nären Art, mit Einkommen, Vermögen und Fähigkeiten umzugehen.

Der praktische und theoretische Umgang mit Schenken, Stiften und auch Vererben kann uns entscheidend dabei helfen, eine andere, mensch-lichere Ökonomie zu entwickeln, bei der der Schwerpunkt nicht (wie bisher) auf der vorran-gigen Befriedigung individueller Bedürfnisse liegt, sondern auf der Verwirklichung gemein-samer Anliegen, unabhängig von Wachstum und Profit.

GLS Treuhand // In der GLS Treuhand erleben wir seit 50 Jahren die beeindruckenden Wirkun-gen des Schenkens. Durch den Mut, den Fleiß, die ausgezeichneten Fachkenntnisse und die Kreativität der Gründerinnen und Gründer ent-stand eine Forschungs-, Entwicklungs- und Realisierungsplattform, auf der sich von Beginn

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Räume engagiert besetzen, um sie mit geschenk-ten Ressourcen zu erhalten oder neu und oft sogar qualitativ besser zu gestalten.

Es ist nicht die Ökonomie, die in der Krise ist – die heutige Ökonomie ist die Krise // Im derzeit dominierenden System ist wirt schaft-liches Handeln zuvorderst auf kontinuierliches Wachstum und beständig steigenden Profit ausgerichtet. Dadurch erscheinen Perspektiven, die einem Großteil der Menschheit eine lebens-werte Zukunft ermöglichen und unsere Umwelt vor einer beständig fortschreitenden Ausplün-derung und Zerstörung schützen, oft kaum mehr realisierbar.

Das Dramatische dieser Situation, die sich immer weiter zuspitzt, ist die Tatsache, dass sie nicht durch die Benennung einer einzigen Krise zu definieren ist, sondern in ihr, einem Kaleido-skop ähnlich, eine Vielzahl unterschiedlicher, aber jeweils existenzieller und miteinander ver-bundener Krisen aufscheinen. Neben der Klima-katastrophe, dem Ausverkauf ganzer Länder, der Versteppung fruchtbarer Ackerflächen bei fortschreitender Wüstenbildung, der zunehmen-den Zahl hungernder Menschen stehen Finanz-krise und viele weitere Krisen.

Die oft als Menetekel an die Wand gemalte zivilisatorische Katastrophe droht nicht irgend-wann, wenn wir so weitermachen wie bisher. In höchster Komplexität ist sie bereits seit Län-gerem da. Und dies nicht trotz, sondern wegen unserer bisherigen Art zu wirtschaften und zu leben. Deshalb sehen wir es als notwendig an, heute Projekten und Initiativen Freiräume zu ermöglichen, die konkrete Alternativen des

Michael Lieberoth-Leden und Annette Massmann

Autorin // Annette MassmannDr. phil. Annette Massmann, Publizistin, Kommunikationswissenschaftlerin, Studium Wirtschaft und lateinamerikanische Geschichte, Santiago de Chile. Tätigkeit u. a. für Entwicklungshilfeorganisationen in Lateinamerika und als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ruhr-Universität Bochum. In der GLS Treuhand e. V. seit 2006 Geschäftsführung Zukunftsstiftung Entwicklungshilfe, seit 2008 Mitglied im Vorstand.

DER KäUFER MACHT DEM VERKäUFER EIN

ANGEBOT, DER SCHENKENDE DER WELT

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Dazu hoffen wir auf ein weiter wachsendes Netz von schenkenden, stiftenden und verer-benden Menschen. Menschen, die Freude und Begeisterung verspüren, wenn sie mit anderen Projekte verwirklichen können, die das Attribut zukunftsweisend verdienen. Menschen, die sich als Pioniere einer neuen Ökonomie verstehen: einer lebenswerten, den Menschen und der Umwelt dienenden Ökonomie, die es in weiten Teilen noch zu erforschen, zu entwickeln und zu realisieren gilt. Menschen, die bereit sind, neue Entwürfe sozialen und demokratischen Miteinanders zu gestalten.

Um einer solchen Ökonomie, einem solchen gemeinschaftlichen Miteinander von Tag zu Tag ein wenig mehr auf die Spur zu kommen, brauchen wir den Mut, auf Menschen und ihre Anliegen zu vertrauen. Gleichzeitig benötigen wir auch die Unterstützung möglichst vieler, die sich mit Gegenwarts- und Zukunftsfragen kritisch auseinandersetzen und bereit sind, ihre Ideen, Konzepte und Anliegen zur Diskussion zu stellen. Gerne sind wir bereit, für diese Dis-kussionen und Gespräche geeignete Plattfor-men zu bieten.

Wenn es uns gemeinsam gelingt, die mit einem verantwortlichen Schenken, Stiften und Verer-ben verbundenen ökonomischen und gesell-schaftlichen Gestaltungschancen herauszuar-beiten, zu erproben und immer wieder gezielt mit ihren beeindruckenden Erfolgen darzustel-len, schaffen wir eine wichtige Voraussetzung dafür, dass immer mehr Menschen den Mut fassen, den wir alle zur Gestaltung unserer Zukunft dringend benötigen. In diesem Sinne versammeln wir in diesem Jubi-läumsband Autorinnen und Autoren, Schenker-Innen und StifterInnen, die die verschiedenen Aspekte des Schenkens, des Stiftens und des Geldes beleuchten. Es sind höchst unterschied-liche Texte aus verschiedensten Perspektiven und sie stellen nicht eine Zusammenschau von Ansätzen der GLS Treuhand dar. Sie sollen vielmehr offen zum Austausch, zur Anregung, aber auch zum Widerspruch einladen. Wir run-

an engagierte Menschen und zukunftswei sende Ideen begegnen und verbinden konnten.

Mit der Zielsetzung, für die individuellen Anlie-gen der Menschen im Bereich des Schenkens, Stiftens und Vererbens für ihre jeweilige bio-grafische Situation die geeignete Form zu fin-den oder zu entwickeln, gelang im Laufe der Jahre die dauerhafte, sehr erfolgreiche Zusam-menarbeit mit einer großen Zahl hoch motivier-ter SchenkerInnen und StifterInnen.

Zum Netzwerk der GLS Treuhand gehören Geld schenkende Menschen, das Engagement Tau-sen der Spenderinnen und Spender und der beständig durch die GLS Treuhand gepflegte weltweite Kontakt zu zukunftsweisenden gemein nützigen Projekten. Alle zusammen ermöglichten und ermöglichen die kontinuier-liche, wirkungsvolle Unterstützung und den Aufbau vieler beispielhafter Vorhaben. Das geschieht auch in den für unsere Zukunft zentra-len Bereichen: Ökologie, biologische Landwirt-schaft, Bildung, Kultur, soziales Leben, Gesund-heit und Entwicklungszusammenarbeit.

Wir schätzen uns in der GLS Treuhand glücklich, dass wir täglich Menschen begegnen, die in unterschiedlichster Weise lebenswerte Zukunft planen, ermöglichen und gestalten. Dieses Pri-vileg ist für uns zum einen beständige Motiva-tion, zum anderen ermöglicht es die enge und zeitnahe Wahrnehmung der zunehmenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeu-tung des Schenkens, Stiftens und Vererbens. Gleichzeitig steht die GLS Treuhand in enger Kooperation mit der GLS Bank, über die die Geldanlage von Stiftungsgeldern in ethischer, ökologischer und sozialer Weise erfolgt, um den anderen Umgang mit Geld auch im Bereich der Finanzdienstleistung zu fördern.

Zukunftsaufgaben // In den nächsten Jahren sehen wir es als Aufgabe der GLS Treuhand an, die Bedeutung des Schenkens noch viel stärker gedanklich zu durchdringen, öffentlich bekannt zu machen und ihr in unserer Arbeit gerecht zu werden.

Vorwort

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im Gegensatz zum Tausch keine Gegenleistung und begründet darüber das Verhältnis der Gegenseitigkeit, das die Ebenbürtigkeit der PartnerInnen gewährleistet.

Durch die Artikel all dieser Autorinnen zieht sich die Idee des Handelns aus der Fülle im Gegensatz zum heute vorherrschenden Ansatz des Wirtschaftens, der auf dem Moment der Knappheit basiert.

Eine Brücke zwischen Kunst, Schenken und öko-logisch verantwortlichem, bürgerschaftlichem Engagement schlägt Shelley Sacks in ihrem Beitrag. Die Verbundenheit mit der Welt sowie die Überwindung von ängsten betrachtet sie als Voraussetzung für das Geben. Sie betrachtet in ihrer Auseinandersetzung mit dem Schenken sowohl Zusammenhänge mit Beuys‘ „erweiter-tem Kunstbegriff“ als auch Bezüge zu Goethes

„zarter Empirie“.

Geldqualitäten: Kaufgeld, Leihgeld, Schenk­geld // Die folgenden Autoren setzen sich mit dem Schenken und Stiften vor dem Hintergrund des Konzeptes gesellschaftlicher Dreigliederung auseinander.

Christoph Strawe und Harald Spehl beleuchten die qualitative und quantitative Bedeutung von Schenkgeld für Wirtschaft und Gesellschaft. Schenkungen und Zwangsschenkung wie Steu-ern werden auf ihr unterschiedliches Potenzial, kreative Freiheit zu ermöglichen, untersucht. Die Autoren heben die zentrale Bedeutung von Schenkgeld für Bildung, Wissenschaft und Kunst hervor. Sie stellen dar, wie eine neue gesell-schaftliche Rahmensetzung aussehen könnte, die langfristig freie Vereinbarungen zwischen Wirtschafts-, Rechts- und Geistes leben an die Stelle staatlicher Regelungen setzen könnte.

Udo Hermannstorfer unterzieht das gängige Verständnis von Geld einer kritischen Beurtei-lung. Besondere Wichtigkeit misst er dem Schen-kungsgeld bei, dessen positive Wirkung auf die Gesellschaft sich seiner Meinung nach gerade durch eine Transformation von Denk- und Ver-

den das Buch mit einem Überblick über die Geschichte und Ansätze der 50-jährigen Gestal-tungsarbeit der GLS Treuhand und Einblicken in die Motivation von StifterInnen und Schenker-Innen ab.

Von der Knappheit zur Fülle // Am Anfang des Sammelbandes entwirft Genevieve Vaughan eine andere Wirtschaft, die Ökonomie des Schenkens. Sie zeigt auf, dass Verhaltensmuster, die für dieses Wirtschaften nötig sind, auf Beziehungen der Gegenseitigkeit und des Ver-trauens und eben nicht auf einer Logik des Tausches beruhen. Ihr Konzept der Ökonomie des Schenkens begründet nicht nur eine neue Art des Wirtschaftens, sondern auch neues Recht und neu bestimmte, gerechtere Geschlechter-verhältnisse.

Veronika Bennholdt-Thomson analysiert im Anschluss die Fixierung auf das Medium Geld zur Lösung aller Probleme anhand ihrer Ausein-andersetzung mit dem Themen- und Arbeits-bereich Entwicklungshilfe. Sie setzt dem Waren-charakter des Geldes ihr Verständnis von Geld als einem Mittel zum Handel, gebunden an realwirtschaftliche Vorgänge, entgegen. Mit ihrer Idee des Wirtschaftens plädiert sie für eine notwendige Wende „vom Eigennutz hin zum Gemeinnutz; weg vom Wachstum, hin zum Bewahren“ und die Erarbeitung eines neuen Wertesystems, das die Abkehr von der Kultur des Gelddenkens, d. h. des Denkens in Rech-nungseinheiten, vorsieht.

Vom Gesellschaftlichen hin zum Individuellen: Margret Kennedy betrachtet das Schenken auf persönlicher Ebene. Anhand ihres individuellen Erlebens sowie einiger statistisch untermau-erter Fakten erörtert sie den Zusammenhang von Geldbesitz und Zufrieden- bzw. Unzufrie-denheit. Sie plädiert dafür, das Schenken als substanziellen Teil des Lebens in eine solidarische Gemeinschaft aller Menschen zu integrieren.

Marianne Gronemeyer beschäftigt sich mit dem Akt des Schenkens als einem offenen, auf das Miteinander ausgerichteten Vorgang. Er fordert

Michael Lieberoth-Leden und Annette Massmann

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beleuchten religiöse Gebote in den drei Welt-religionen, die sich auf das Schenken beziehen. Sie verdeutlichen, dass das Schenken ein Grund-muster dieser Religionen ist – doch jeweils eine sehr unterschiedliche Ausgestaltung annehmen kann.

Den Anfang macht Fritz Rüdiger Volz mit seiner Beschreibung des Schenkens im Judentum. Das Schenken versteht er als Medium der vielfältigen Bindungen zwischen den Menschen. Es ist allerdings im Judentum ohne Gott, der das Leben schenkt, nicht denkbar. Aus den ein-ander bedingenden Beziehungen zu Gott, zum Nächsten und zu sich selbst folgt das Gebot der Nächstenliebe, an das sich in der Thora kon krete Vorschriften der Armenhilfe knüpfen. Volz führt aus, wie sich die Armenhilfe im Laufe der Geschichte abhängig von der Gesellschafts-form und den Lebensbedingungen der Juden veränderte. Neben dieser vielfältigen Praxis des Schenkens verweist er auf den Gelehrten Mai-monides, der eine beispielhafte Lehre des Schenkens entwickelte.

Dieter Weber stellt die Gabe und das Geben aus christlicher Perspektive dar. Unsere Fähigkeit zu schenken und die Möglichkeit, beschenkt zu werden, verdanken wir in diesem Kontext den unverfügbaren Lebensgaben Gottes. Diese Gaben können wir nicht einfordern, sondern nur empfangen, wir können nicht über sie ver-fügen. Weber erläutert die daraus entspring-ende Schuld, die Menschen sich selbst, anderen oder Gott zuweisen, und diskutiert die Bedin-gungen für Vergebung und Versöhnung. Er zeigt auf, inwiefern Geben und Empfangen sowohl zwischen Gott und den Menschen als auch den Menschen untereinander in enger Beziehung stehen und sich gegenseitig bedin-gen. Identitäts- und Gemeinschaftsbildung ent-stehen im unaufhörlichen Prozess des wechsel-seitigen Schenkens und bezeugen die Präsenz Christi in uns selbst.

Schenken stellt einen wesentlichen Bestandteil des Islam dar und ist ein integrierter Bestandteil im islamischen Bankwesen, so Ahmed Elhassab,

haltensweisen sowie Reformen des Boden- und Eigentumsrechtes und des Finanzsystems entfalten könnte.

Axel Janitzki und Ingo Krampen nähern sich dem Schenken und Stiften aus rechtlicher Pers-pektive. Sie bezeichnen Schenken als juristisches Neuland. Sie stellen dar, dass deutsches Recht bislang davon ausgeht, dass Schenken ein Ver-trag auf Gegenseitigkeit ist. Sie hingegen plädieren für eine rechtliche Fassung des Schen-kens, die auf Vertrauen und Verantwortung basiert. Vor diesem Hintergrund erläutern sie Stiftungsformen, deren lang- oder kurzfristige Anlage, Ziele und Sozialgestalt.

Als Fähigkeitenwirtschaft beschreibt Paul Mackay die heutige Ökonomie, die erst aufgrund mensch-licher Fähigkeiten entstehe. Mackay unterschei-det verschiedene Entwicklungsschritte dieser Fähigkeitenwirtschaft: das Wecken von Fähig-keiten und ihre Ausbildung, ihre Übung und schließlich die hieraus resultierenden ökono-mischen Leistungen. Jedem Entwicklungsschritt ordnet Mackay die entsprechende Finanzierung anhand der von Rudolf Steiner entwickelten drei Geldqualitäten zu. Schenkgeld, so Mackay, spielt in diesem System bei der ersten Stufe, der Ausbildung von Fähigkeiten, die zentrale Rolle. Er führt aus, wieso nur mit Schenkgeld Entwick-lung und Erneuerung frei entstehen können. Er fordert, um Kapitalblasen zu vermeiden und Innovation zu fördern, Leihgeld nach einer gewissen Zeit in Schenkgeld umzuwandeln.

Auf eine andere Qualität des Schenkgeldes weist Siegfried Finser hin, wobei er dies vor dem Hinter-grund US-amerikanischer Philantrophy-Ansätze formuliert. Er unterstreicht die nicht nur zeitlich unbegrenzte Wirkung von Geschenken und be- tont, dass der Akt des Gebens wichtiger sei als die Gabe selbst. Der Artikel mündet in seiner Idee vom Schenken als einem Opfer, das auf der Grund lage der Liebe gemacht werde und schließ-lich jeden Menschen auf der Erde beeinflusse.

Religion, Gabehandeln und Schenken // Die drei anschließenden Artikel des Buches

Vorwort

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Die MitarbeiterInnen der GLS Treuhand blicken auf 50 Jahre der praktischen Arbeit, vertiefen-der Diskussionen und Gespräche zurück. Ein großer Fundus, aus dem wir schöpfen können, um heute drängende Fragen anzugehen. Wir gehen davon aus, dass das Schenken ein Schlüssel zur Gestaltung der Zukunft ist, und laden Sie ein, mit uns zu gestalten.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen eine ange-regte Lektüre.

der auf das Geldwesen und Schenken am Beispiel des sudanesischen Bankwesens ein geht. Die islamische Scharia legt fest, dass z. B. Armen und Bedürftigen Geld zur Verfügung gestellt werden muss. In jeder islamischen Bank sorgt ein Sharia Board als eine Art Aufsichts-komitee dafür, dass diese Regeln eingehalten und alle Geschäfte im Einklang mit islamischen Prinzipien getätigt werden. Im Wesentlichen stehen für die Verteilung des Geldes an Bedürf-tige zwei Instrumente zur Verfügung: Zakãt, eine Spendensumme, die prozentual je nach Geschäftsfeld festgelegt ist, und Gewinne, die als „schmutziges Geld“ angesehen werden. Letzteres ist Geld, das aus Bankgeschäften gewonnen wurde, die sich im Nachhinein als nicht mit den islamischen Grundsätzen verein-bar herausstellen. Die gesamte Summe muss dann verschenkt werden.

Die Praxis des Schenkens und Stiftens // StifterInnen und SchenkerInnen stellen im Anschluss ihre Motivation und Herangehens-weise an das Thema dar. Das Buch schließt mit einem Artikel von Annette Massmann zur his-torischen und aktuellen Arbeit der GLS Treu-hand, ihren Ansätzen, Leitlinien, Projekten und Ideen.

Michael Lieberoth-Leden und Annette Massmann

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Die jüngste Wirtschaftskrise hat gezeigt, wie todkrank das System ist, von dem wir ein Teil sind. Alle bisher ergriffenen Maßnahmen sind lediglich oberflächliche Schönheitsreparaturen, für die aber Unsummen von Geld ausgegeben wurden. Eine radikal andere Analyse gibt es nicht.

Ich glaube, dass die Antwort auf die Frage, warum Frauen seit Jahrhunderten unterdrückt werden, auch die Frage beantwortet, was falsch ist am jetzigen Wirtschaftssystem und welches Wirtschaftssystem wir schaffen sollten. Um diese Frage zu beantworten, müssen wir die vielen Punkte eines Suchbildes auf völlig neue Weise zu einem sinnvollen Ganzen verbin-den. Wie das gehen könnte, möchte ich im Fol-genden skizzieren. Wir können diese Skizze beginnen, indem wir uns die unmittelbare Ver-teilung von lebensnotwendigen Gütern und Diensten als alternative Ökonomie vorstellen, als Ökonomie des Schenkens, deren Vorbild die mütterliche Sorge ist. Mütterliche Ökonomie stellt eine besondere Art der Verteilung dar: Sie ist ein unmittelbares Geben, das meist unsicht-

bar bleibt und in unserer Gesellschaft neben der allzu sichtbaren Ökonomie des Austausches existiert, welche gibt, um etwas Gleichwertiges zu bekommen. Diese zwei Arten der Ökonomie unterscheiden sich in unserem Alltag grundsätz-lich voneinander und sie haben weitreichende Konsequenzen und Wechselwirkungen, sowohl psychologisch als auch zwischenmenschlich.

Die Logik unmittelbaren Gebens steht in vieler-lei Hinsicht im Widerspruch zur Logik des Tau-schens. Sie ist transitiv und überbrückt die Kluft zwischen dem Selbst und dem anderen, indem sie positive Beziehungen schafft. Tausch dage-gen entwertet das Geschenk, weil er immer nach einem äquivalent verlangt; er ist auf das Ego ausgerichtet, selbstbezogen und er führt zu Konkurrenz. Die Ökonomie des Schenkens verlangt einen kreativen Empfänger, der das Geschenk oder den Dienst nutzt, während die Tauschökonomie die Aufmerksamkeit vom Emp-fänger weg und auf das Objekt richtet; sie behandelt den anderen als ein Mittel, um es zu bekommen. Schenken und Empfangen richten sich an den anderen, erkennen den Wert des

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Autorin // Genevieve VaughanGenevieve Vaughan, geb. 1939 in Texas, USA, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Ideen einer Schenk ökonomie. Sie gründete eine internationale Stiftung für sozialen Wandel ausschließlich für weibliche Aktivistinnen (1987–2005) und rief 2001 das Netz-werk „Internationale Femi nistinnen für eine Schenkökonomie“ ins Leben. Ihre Bücher und Artikel sind kostenfrei auf ihrer Internetseite www.gift-economy.com erhältlich. Sie hat drei Töchter und lebt in Italien.

Plädoyer für eine Ökonomie des Schenkens nach dem Modell der Mütterlichkeit

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nomie der Erwachsenen und in einer auf Tausch beruhenden Kultur der Ausbeutung zu einer Pro-fitquelle geworden. Die Tauschökonomie sug-geriert die Gleichwertigkeit der ausgetauschten Waren, in Wirklichkeit beruht sie auf allen Ebenen auf der Aneignung der Geschenke anderer. Tat-sächlich sind es diese Geschenke, die den Profit ausmachen, ob sie sich nun zusammensetzen aus der unbezahlten, unsichtbaren Hausarbeit der Frauen und Mütter (für die USA beträgt der Wert dieser Arbeit 40 % des Bruttoinlandspro-dukts), den frei verfügbaren Ressourcen von Mutter Natur (geschätzter Wert: 33 Billionen Dollar1), dem Gewinn der Kapitalbesitzer durch den „Mehrwert“ der Arbeit oder dem Gefälle des Lebensstandards zwischen den unter- und den überentwickelten Ländern.

Weil das Neugeborene ohne die volle mütter-liche Aufmerksamkeit und Versorgung nicht überleben würde, hat jeder Mensch einmal die Erfahrung gemacht, Empfänger dieses einseiti-gen Gebens zu sein. Und das ist so, unabhän-gig davon, wer diese mütterliche Versorgung leistet – Frauen oder Männer, leibliche Mütter, Tanten, Großmütter, das ganze Dorf, sogar angestellte Kräfte (von denen das Kind nicht weiß, dass sie bezahlt werden). Die Gesellschaft überträgt die Reproduktionsarbeit normaler-weise der leiblichen Mutter und Geschlechter-rollen (Gender) basieren auf dieser Arbeitsteilung. Diese Konstruktion von Geschlechterrollen führt (zumindest in den Kulturen des Westens) dazu, dass von Jungen von klein auf nicht erwar-tet wird, dass sie diese Art des mütterlichen Schenkens, dem sie ihr Überleben verdanken, praktizieren, sich an ihm beteiligen. In einem Stadium, in dem sie am verletzlichsten sind, werden ihnen mütterliche Instinkte abtrainiert und sie werden ermutigt, ihre Geschlechtsiden-tität nach einem erwachsenen Modell der Autonomie, der Machtausübung und der oftmals gewalttätigen Ich-Bezogenheit auszurichten. Geben verwandelt sich in körperliche Gewalt, die die andere Person berührt, indem sie sie schlägt, ihr Schaden zufügt, indem sie statt Beziehungen der Gegenseitigkeit Beziehungen der Dominanz schafft. Weitergehende struktu-

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anderen an; Tauschen ist selbstbezogen und erkennt nur den eigenen Wert. Schenken und Empfangen sind in der Regel qualitativ, Tauschen ist gewöhnlich quantitativ. Schenken und Emp-fangen begründen Beziehungen der Gegensei-tigkeit und des Vertrauens, Tausch führt zu Absonderung, Unabhängigkeit und Feindselig-keit. Die Ökonomie des Schenkens, der unmit-telbaren Versorgung ist unabdingbar für das Neugeborene, das hilflos zur Welt kommt und noch nicht tauschen kann. Kleine Kinder kön-nen im Austausch für das, was sie bekommen, nichts äquivalentes geben. Durch die Fürsorge und Aufmerksamkeit, die sie geschenkt bekom-men, erhalten Kinder mehr als nur Nahrung. Wir wissen, dass für die frühkindliche neuro-nale Entwicklung eine liebevolle Umgebung förderlich ist.

Obwohl die Marktwirtschaft, in der wir leben, auf Tausch beruht, durchdringt das Schenken unsere Gesellschaft auf allen Ebenen, auch wenn es oft als solches nicht zu erkennen ist. Umso wichtiger ist es, dass wir es als Alterna-tive ernst nehmen und es ans Tageslicht beför-dern, als Einzelne und gemeinsam. Freundlich sein, jedes liebe Wort erhält die Logik der Müt-terlichkeit. Ohne diese wäre das Leben kaum lebenswert. Und doch halten wir an Tausch, Eigeninteresse und Kosten-Nutzen-Analysen fest.

Die zwei Arten der Logik beeinflussen uns, ohne dass wir davon wissen, und sie ziehen auf vielen Ebenen ihre Kreise. Beispielsweise ist die Wahrheit zu sagen ein Geschenk an die andere Person, ein Lüge dagegen ist, genau wie der Tausch, selbstbezogen und verschafft der Person, die sie erzählt, einen Vorteil. Eine Justiz der Strafe ist ein Konzept, das auf Tauschlogik beruht, während eine Justiz der Wiedergut-machung auf der Logik des Schenkens beruht.

Um die Frage zu beantworten, warum es Frauen-unterdrückung gibt, müssen wir tief schürfen. Schenken, die Ökonomie der Versorgung, die es überall da gibt, wo Mütter für ihre Kinder sorgen, ist die humane Art, die Dinge zu regeln. Aber sie wurde umgeleitet und ist in der Öko-

1. Zur Berechnung des Wertes von Ökosystemen siehe: http://earthtrends.wri.org/features/view_feature.php? fid= 15&theme=5

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Freude. Die Menschen wären nicht gezwungen, in hierarchischen Machtstrukturen zu arbeiten, sie könnten einfach füreinander sorgen nach einem an der mütterlichen Fürsorge orientier-ten, auf Erwachsene zugeschnittenen Modell. Genau das gab es in vielen indigenen Kulturen, und das war einer der Gründe, warum das kapi-talistische Europa diese Kulturen zerstört oder kolonisiert hat.

Das Konzept der „Nachfrage“ – welches die Bedürfnisse derjenigen befriedigt, die das Geld haben, um Waren zu kaufen –, lenkt die Auf-merksamkeit ab von den Menschen, die das, was sie brauchen, nicht bezahlen können, deren Bedürfnisse aber in einer Ökonomie des Schen-kens im Vordergrund stehen würden. Nachfrage schafft ständig neue Konsumbedürfnisse und Gier, weil sie für ein System nötig ist, das für die meisten Menschen Mangel erzeugt. Die Herr-schaft des Marktes verspricht Reichtum und Fortschritt, während sie in Wirklichkeit die unsichtbaren Gaben der vielen an die wenigen weiterleitet und so ein System der Armut für viele schafft, das nötig ist, um Einfluss und Kon-trolle zu behalten. Wenn das System zu viel Reichtum akkumuliert, sickert dieser nicht nach unten durch, sondern wird in Kriegen und sym-bolischen Exzessen verschwendet. Das führt nur dazu, dass die Mächtigen an der Spitze der Pyra-mide noch reicher werden. Eine Weltsicht, die die menschliche Natur als gierig, aggressiv und kriegerisch begreift, wirkt wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, die dazu dient, den Markt, die exzessive Ansammlung von Kapital und die sinnlose Verschwendung von Ressourcen und Menschenleben aufrechtzuerhalten.

Anhänger der Ökonomie des Schenkens werden als kindisch verunglimpft (in Erinnerung an das in der Kindheit erlebte Geschenk der Fürsorge, das Erwachsene angeblich nicht brauchen), als primitiv, rückständig im Vergleich zu den fort-schrittlicheren Marktteilnehmern. Aber der Markt hat unermessliches Leid verursacht, indem er die ganze Gesellschaft dazu gebracht hat, Gaben in kurzfristigen Gewinn zu verwandeln, zum Nachteil von Müttern, Kindern und allen

relle Gewalt wird durch körperliche Gewalt ein-geschränkt.

Eine Wirtschaftsweise, die auf dem scheinbaren gleichwertigen Austausch beruht, entwertet das Schenken und etabliert an seiner Stelle ein System des Sich-nicht-Kümmerns, mit dem eine Geschlechtsidentität eingeübt wird, die auf der Verweigerung mütterlicher Fürsorge beruht. Obwohl sie sich den Anschein der „Neutralität“ gibt, ist die Marktwirtschaft „männlich“, weil sie die Ökonomie der mütterlichen Sorge auf-hebt, abwertet und verbirgt, während sie gleich-zeitig Geschenke (kostenlose Ressourcen) jeder Art ausbeutet. Paradoxerweise nutzt das System die Geschenke der Männer, um den Kapitalis-ten das Geschenk des Profits zu sichern sowie um ihnen die Mittel zu geben, um ihren Ehe-frauen Geschenke zu machen. Noch paradoxer ist die Tatsache, dass viele Frauen sich an diesem antimütterlichen System beteiligen, um zu erwer-ben, was sie für ihr mütterliches Schenken brauchen.

Dass Frauen in dieser Ökonomie bis in höchste Führungspositionen aufsteigen können, beweist, dass ihr Geschlechtscharakter nicht biologisch, sondern sozial und strukturell bedingt ist und verändert werden kann. Viele Frauen fühlen sich unwohl mit den Anforderungen und Werten ihrer Stellung im Kapitalismus, weil sie die Werte einer bedürfnisorientierten mütterlichen Öko-nomie nicht aufgegeben haben. Die Frauen, die ihre Stellung im System nicht aufgeben wollen oder können, haben die Möglichkeit, Werte und Handlungsweisen von innen heraus zu verändern. Die Frauen, die aus dem System ausgeschlos-sen sind, können die Bedeutung ihres eigenen Schenkens ebenso verstehen lernen wie Männer, die aufgrund ihres Charakters oder ihrer persön-lichen Geschichte die Werte der mütterlichen Ökonomie nicht aufgegeben haben.

Für das System des Tauschs ist, auch wenn es nicht so scheinen mag, die Alternative einer Ökonomie des Schenkens eine ständige Bedro-hung. In einer Gesellschaft des Überflusses wäre das Schenken in der Tat einfach und eine

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durch die Arbeit von Generationen (und von Mutter Natur) geschaffen wurde, nach dem mütterlichen Vorbild der gleichen, gerechten Versorgung aller zu teilen.

Im Zuge der Globalisierung wurden viele Gaben vom Süden in den Norden transferiert. Sobald Überproduktion das System bedroht, wird Man-gel erzeugt, indem der Reichtum durch das Führen von Kriegen vernichtet wird. Die Kriege im Irak und in Afghanistan haben mehr als eine Billion Dollar verschlungen. Auch die letzten Finanzblasen, ob beabsichtigt oder nicht, hat-ten diese Funktion. Eine verarmte Bevölkerung ist leichter mit Gewalt zu kontrollieren als eine wohlhabende. Ein Denken, das die Welt als

„wir gegen die“ begreift, erzeugt die Art gesell-schaftlicher Angst, die dazu führt, dass Men-schen sich gegen einen Feind zusammenschlie-ßen. Diese Gruppenbildung aus Furcht tritt an die Stelle der positiven Verbindung durch ein-seitiges Schenken. Es ist nicht unmöglich, funk-tionierende Methoden des Schenkens zu fin-den. Herauszufinden, wie wir mit Respekt für alle Beteiligten geben können, würde nur einen Bruchteil dessen kosten, was für die Rechtferti-gung von Krieg ausgegeben wird. Wie gut auch immer die internationale Hilfe gemeint gewesen sein mag, so hat die Eskalation der haitianischen Tragödie vom Erdbeben bis zur Cholera-Epidemie doch gezeigt, wie dringend nötig es ist, Wege des effektiven Schenkens zu finden, und dass Spenden, die auf Austausch und Kontrolle beruhen, nicht die Lösung sind. Angesichts dieses weitgehenden Versagens von Mitgefühl fragt man sich, ob nicht verborgene politische oder ökonomische Interessen dahin-terstecken.

Die Erzeugung von Mangel muss nicht einmal Absicht sein. Sie ist systemimmanent. Selbst die Erderwärmung kann dazu dienen, das System aufrechtzuerhalten. Die Zerstörung unserer Natur, unserer ökologischen Nische, beraubt uns der Gaben von Mutter Natur, sie behindert die Ökonomie des Schenkens und lässt die Erde selbst rachsüchtig erscheinen, als ob sie uns für unsere Fehler zahlen ließe. Schuldgefühle und

anderen Gebenden, zum Nachteil der Natur und zukünftiger Generationen.

Die Anthropologie hat Ökonomien des Schen-kens als Austausch von Gaben interpretiert, aber auch in diesen Kulturen sind die Gaben, die Mütter ihren Kindern zukommen lassen, einseitig. Selbst in westlichen Kulturen gibt es eine Vielzahl sozialer Institutionen wie Wohl-fahrtsvereine, Mildtätigkeit oder die Initiativen für ein bedingungsloses Grundeinkommen, die, wenn auch meist von Männern geführt, von der einseitigen Ökonomie des mütterlichen Schenkens beeinflusst sind, ohne dass es ihnen bewusst wäre. Indigene, „vorkapitalistische“ Gesellschaften entwickelten ihre Wirtschafts-weisen anders als wir, sie bewahrten mehr mütterliche Elemente. Kapitalismus ist kein Fortschritt, keine Weiterentwicklung dieser Gesellschaften. Kapitalismus ist die Umkehrung, das anti-mütterliche Gegenstück zum ewig gleichen mütterlichen Schenken. Vorkapitalisti-sche Gesellschaften sind keine Frühform des Kapitalismus, sondern Kulturen mütterlicher Ökonomie, die sich anders entwickelt haben, und einige tun das auch heute noch.

Eine neue Strategie des Systems besteht in der Kommerzialisierung von Ressourcen, die vormals frei verfügbar waren: Wasser, Saatgut, das überlieferte Wissen indigener Kulturen, sogar die Reinheit der Luft (in Form von Klimazertifi-katen). Der Zugang zu Naturschätzen wird ver-weigert und die Menschen müssen Konzerne für etwas bezahlen, das diese gar nicht produ-ziert haben, wie z. B. Wasser (sie besitzen es lediglich), oder für Produkte wie gentechnisch verändertes Saatgut, das nicht mehr vermehrt werden kann. Währenddessen sind einige wenige im Süden und einige wenige im Norden reicher geworden, andere wurden vom Markt durch gut gemeinte, aber kontraproduktive Ini-tiativen wie Mikrokredite in die Marktwirtschaft hineingezogen. Wie gesagt: Die Lösung liegt nicht darin, noch mehr Menschen in die anti-mütterliche, nicht schenkende Marktwirtschaft hineinzuziehen, sondern diese auf friedliche Weise zu zerstören und den Reichtum, der

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aufrechterhalten. Auch sind sich die meisten Menschen nicht bewusst, dass sie Teil dieses zer-störerischen Systems sind. Würden wir begrei-fen, dass es das Ziel sein muss, dieses System in Richtung einer mütterlichen Ökonomie zu ver-ändern, so könnte allein das zu einem positiven Wandel in Mentalität und Verhalten führen.

Schon jetzt durchfließt mütterliche Ökonomie, wenn auch unsichtbar, alle Lebensbereiche. Sie geschieht jedes Mal, wenn ein Bedürfnis befrie-digt wird. Ich glaube auch, dass sie die Quelle unseres Spracherwerbs, unserer Fähigkeit zur Kommunikation ist, aber das auszuführen, würde an dieser Stelle zu weit führen. Es gibt Werte, ja eine ganze Kultur, die auf dieser mütterlichen Ökonomie beruht, Werte, an denen wir festhal-ten, die uns aber verborgen erscheinen oder sekundär, unrealistisch, sogar unmöglich (Der-rida 1992). Es kann sein, dass wir sie als mora-lisch begreifen, aber in Wirklichkeit sind sie die Grundlage, auf der die mütterliche Ökonomie basiert. Indem wir diese Werte nutzen und uns zu ihnen bekennen, können wir uns vom patri-archalen Kapitalismus abwenden, ihn letztend-lich demontieren und unserer ganzen Kultur eine andere (neue alte) Richtung geben. Diejeni-gen, die nicht gezwungen waren, das mütter-liche Modell abzulehnen, die Frauen also, bilden die logische Avantgarde dieser notwendigen System veränderung. Sie sollten sich über alle Geschlechter-, Rassen-, Klassen oder Nationali-tätsunterschiede hinweg mit allen verbünden, die bewusst oder unbewusst die mütterliche Ökonomie annehmen, um Patriarchat und Kapita-lismus von innen wie von außen zum Wohle aller zu verändern.

Möglicherweise gibt es auch ein psychologisches Problem; ich denke hier an den Ödipuskomplex,

Schuldzuweisungen sind die psychologischen Auswirkungen des Tausches, sie ziehen uns in die Marktmentalität hinein, selbst wenn wir versuchen, ihr zu entkommen. Wir interpretieren die „Absichten“ der Erde – mit Begriffen unserer eigenen Krankheit!

Wie gesagt sind Lügen eine systemkonforme Komponente der Tauschlogik und das System nutzt sie auf vielen Ebenen und manipuliert so das ursprüngliche Wissen der vielen durch Wer-bung und Propaganda. Lügen haben sogar die Definition dessen, was wir als menschlich begrei-fen, verändert, um es für die Marktwirtschaft, der es unterworfen ist, anzupassen. Der Mensch wird als Homo oeconomicus gedacht, hinterlis-tig, gierig und gewalttätig, mühsam in Schach gehalten durch die Macht des Gesetzes. Wirt-schaftswachstum funktioniert durch diese nega-tiven Werte; eine mütterliche Ökonomie würde uns nicht nur den Homo sapiens schenken, sondern auch den Homo donans. Wir könnten uns neu begreifen: als gebende und empfan-gende mütterliche Wesen und gemäß dieser sich selbst erfüllenden Prophezeiung handeln.

Wir können den Kapitalismus als „ökonomisches Patriarchat“ bezeichnen, weil die Wertvorstel-lungen des Patriarchats und des Kapitalismus dieselben sind – Autonomie, Macht ausübung, Dominanzstreben. Das ökonomische Patriar-chat kann sich nur erhalten, weil es sich alle Gaben aneignet. Es bezieht seine Macht aus dem Zugriff auf die mütterlichen Gaben der vielen und aus seiner Fähigkeit, diese umzuleiten. Feministinnen sollten deshalb den Kapitalismus – das ökonomische Patriarchat – bekämpfen.

Im Augenblick scheint es, als sei das Problem der Armut zu lösen, indem immer mehr Menschen in den Markt absorbiert werden. Das wird nicht funktionieren. Der Markt muss sich immer wie-der von irgendwoher Gaben besorgen. Die bes-sere Lösung besteht darin, den Markt gewaltlos aufzulösen und die Schenkenden zu befreien. Ich betone gewaltlos, denn mit patriarchalen Mitteln im Sinne von Machtausübung ist das Problem nicht zu lösen, es würde nur weiter

MÜTTERLICHE ÖKONOMIE STELLT EINE BESONDERE

ART DER VERTEILUNG DAR: SIE IST EIN UNMITTEL-

BARES GEBEN, DAS MEIST UNSICHTBAR BLEIBT

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der tief in das problematische ökonomische System hineinwirkt und in der die Konstruktion des Männlichen als nicht mütterlich begründet ist. Dieses Problem würde wahrscheinlich in einer Gesellschaft, in welcher der Bruder der Mutter die wichtigste männliche Rolle spielt oder durch andere Strukturen wie die der Besuchsehe bei den matriarchalen Mosuo in China nicht auftreten. Die nigerianische Auto-rin Ifi Amadiume2 berichtet, dass es in afrikani-schen Gesellschaften, in denen die Kinder bis zum sechsten Lebensjahr bei der Mutter bleiben, keinen Ödipuskomplex gibt. In diesen Gesell-schaften wird das mütterliche Vorbild generali-siert und überall da, wo die Kolonisation ihren Tribut noch nicht gefordert hat, wird weiterhin eine Ökonomie des Schenkens praktiziert.

Jüngste Versuche mit einer Ökonomie des Schenkens wurden durch die Vielfalt des Inter-nets ermöglicht. Wie so viele sozialistische Experimente der Vergangenheit bleiben auch viele dieser Versuche zumindest bis zu einem gewissen Grad patriarchal, weil ihre tiefere Ver-bindung zur Mütterlichkeit nicht erkannt wird (Beispiele siehe Seite 19).

Außerdem gibt es einige Forschungen zu unei-gennützigem Handeln und Großzügigkeit: www.generosityresearch.nd.edu

Das Zentrum für die Entwicklung einer Kultur der Empathie: www.progressivespirit.com/empathyEine Konferenz zum Thema Empathie, University of Chicago 2009: http://news.uchicago.edu/article/2009/09/24/first-academic-conference-empathy-will-examine-its-advantages-disad-vantages

Ich glaube, dass auch das Lösen von Problemen eine Art des Schenkens ist, das Stillen eines Bedürfnisses. Dazu zähle ich all die unzähligen sozialen Initiativen, die Menschen als Homo do-nans gründen, um die Probleme zu lösen, die das patriarchale kapitalistische System geschaffen hat.

Nur wenn wir begreifen, dass ökonomische Systeme nicht geschlechtslos sind und dass

Geschlecht ökonomisch ist, können wir Vertei-lung und Produktion zum Wohle aller organi-sieren. Interdisziplinäre Forschung, die das Bild auf diese Weise neu zusammensetzt und Öko-nomie nicht von Versorgung trennt, kann uns den Weg weisen, den wir beschreiten müssen, und dieser Weg kann nicht der Weg der Herr-schaft der patriarchalen Ökonomie sein, auf dem wir uns zurzeit befinden.

Amadiume, Ifi: Reinventing Africa, Matriarchy, Religion and Culture, London 1997; Derrida, Jacques: Given Time. 1. Counterfeit Money, übersetzt von Peggy Kamuf. Chicago 1992. Aus dem Englischen von Gitta Büchner

2. Amadiume, 1997

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• Wikipedia• Frei verfügbare Software, Copyleft, www.gnu.org• Schenkkreise und Tauschzirkel: www.freecycle.org• Frei verfügbare Computernetzwerke: www.p2pfoundation.net• Netzwerke, die Urheberrechte frei verfügbar machen:

www.creativecommons.org• Blutbanken und Organspenden• Kollektive, die nach dem Prinzip der Konsensentscheidung

organisiert sind: www.ic.org• Gemeinschaftsgärten• Restaurants, in denen man nicht bezahlen muss:

www.karmakitchen.org• Trampen• Nichtkommerzielle Mitfahrzentralen• Kostenloser Fahrradverleih• Couchsurfing (kostenlose Übernachtungsmöglichkeiten):

www.couchsurfing.com• Die Anonymen Alkoholiker• Burning Man Gatherings: www.burningman.com• Rainbow Gatherings: www.welcomehome.org/rainbow/index.html• Versuche mit lokalen Währungen: www.timebanks.org• Ehrenamtliches Engagement• Freiwillige Arbeit und Arbeit, die nicht auf Profit ausgerichtet ist• Die Überweisungen von Migranten an ihre Heimatländer im Süden• Eine interessante Initiative wie Charity Focus: www.charityfocus.org• Wohltätigkeit, neu gedacht wie z. B.: www.thresholdfoundation.org

und www.womendonors.org

BEiSPiELE FüR EinE ÖKonomiE DES SchEnKEnS

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Die Frage, ob die Welt überhaupt Geld, und zwar mehr Geld, braucht, um gut zu funktion-ieren, klingt in Zeiten der weltweiten Finanz-marktkrise entweder ketzerisch oder aber traumtänze risch naiv. Haben nicht genau jene Staaten, deren Regierungen ohne Zögern Bank-zusammenbrüche mit Milliarden und Abermil-liarden verhindert haben, die Krise am erfolg-reichsten gemeistert? Geht es in Deutschland seitdem mit der Wirtschaft etwa nicht auf-wärts, und das erstaunlich schnell? Stimmt es etwa nicht, dass, wenn es der Wirtschaft gut geht, es uns allen gut geht? Zwar lassen die Ein-sparungen bei den Sozialleistungen und die Sparmaßnahmen bei den kommunalen Dien-sten sowie zunehmende Leiharbeit und Mini-jobs bei manchen Zweifel an dieser Binsen-weisheit aufkommen. Aber auch da scheint auf der Hand zu liegen, dass mehr Geld die Prob-leme aus der Welt schaffen würde. Entsprech-end streitet man über die gerechtere oder ungerechte Verteilung des Geldes. Genau das aber verhindert ein grundlegenderes Nachden-ken. Geld ist nicht die Lösung, sondern das Problem.

Die Fixierung auf das Geld zur Lösung gesell-schaftlicher, ja eigentlich aller Probleme verbrei-tete und verfestigte sich im Laufe des 20. Jahr-hunderts im Zuge der Entwicklungspolitik und des entsprechenden Diskurses. Es sind die Erfah-rungen mit dem internationalen Entwicklungs-prozess, die bei mir zu einer fundamentalen Kritik des Geldes geführt haben.

Die Entwicklungshilfe und das Geld // Von den 1960er-Jahren an habe ich die Ent wick-lungs hilfe aus der Nähe erlebt, vor allem durch verschiedene Forschungen auf dem Land in Mexiko, einem Pilotland für Entwicklungspro-jekte. Manchmal halte ich die Entwicklungs-politik/Entwicklungshilfe sogar für den schlimm-sten Irrtum des 20. Jahrhunderts, weil sie der Menschheit viel Schaden zugefügt hat. Dabei ist unbestreitbar, dass in diesem Rahmen Ein-zelne nur Gutes gewollt und auch Positives bewirkt haben. Ebenfalls gibt es zahlreiche Pro-jekte, ohne die die Welt viel schlimmer da stün de. Dennoch ist der Grundtenor der Entwicklungs-ideologie und ihrer Praxis falsch, weil men-schen- und lebensfeindlich.

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Autorin // Veronika Bennholdt-ThomsenVeronika Bennholdt-Thomsen, Hochschullehrerin (Bielefeld, ISS Den Haag, HUB Berlin, Oaxaca/Mexiko, BoKu Wien), Ethnologin (Mexiko) und Soziologin (Agrar- und Frauenfragen). Theorieansatz: Die Subsistenzperspektive (Feministische Ökonomie).

„ Money makes the world go round” – stimmt das?

Kritik der Entwicklungshilfe, des Geldes und der Tauschökonomie

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wurde damit über die Jahrzehnte hinweg ein Prozess vorangetrieben, den Rainer Hörig für das heutige Indien folgendermaßen beschreibt:

„Den Schaden, den die Industrialisierung und Globalisierung in traditionellen Gemeinschaften angerichtet haben und weiterhin anrichten, können alle Wohlfahrtsprogramme zusammen nicht wettmachen. Vielerorts verarmen ganze Bevölkerungs- und Berufsgruppen, etwa wenn Bergbaukonzerne Dutzende von Adivasi-Dörfer zerstören oder Töpfer, Weber, Schmiede durch billige Importwaren vom Markt verdrängt werden.“4

Im 1970er-Jahrzehnt wurde die Grüne Revolu-tion ersonnen und durchgeführt, die den Bau-ern die Hochertragssorten der Pharmakonzerne bescherte, verbunden mit der Verschuldung für Agrarbankkredite, damit sie das neue Saatgut zusammen mit den dafür notwendigen Dünge-mitteln und Pestiziden auch kaufen könnten,

um – wie die Weltbank offen sagte – die Bau-ern weg von der Subsistenz hin zur kommer-ziellen Landwirtschaft zu bringen. Das ist welt-weit gelungen, indem einige wenige, immer größere und inzwischen immer noch wenigere und noch größere Agrarbetriebe mit der Hoch-ertragslandwirtschaft Erfolg haben und die kleinen Subsistenzbauern vertreiben, die zu Tage löhnern der Großen werden oder gleich in die Slums der Städte abwandern. Dass das Land damit kommerzialisiert wird, wie von der Welt-bank beabsichtigt, ist unbestreitbar. Nicht nur das Saatgut, sondern auch der Boden, das Wasser und vor allem die Arbeitskraft der Bäuerinnen und Bauern werden zur Ware und die lokalen Märkte mit ihren bislang eigenen, kulturell spezifischen Regeln werden an den Welt-markt mit seinen Dollar-Regeln angeschlossen.

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In der Entwicklungshilfepolitik geht es stets ums Geld, um die Produktionssteigerung und das Gewinnwachstum, aber nicht zuerst um die Menschen. Daran ändern auch neuere Bemüh-ungen wie die europäische Initiative „Beyond GDP“ (Jenseits des Bruttosozialprodukts, BSP) wenig, die den Auftrag erteilt hat, „Aspekte der Lebensqualität und des Wohlbefindens zu ermitteln, die in die traditionellen ökonomi schen Bilanzen eingehen sollten“. Joseph Stiglitz, Mit-glied der beauftragten Kommission, fasst dies so: „Es geht um nichts Geringeres als darum, das grundlegende globale Fortschrittsparadig ma für Völker und Staaten zu verändern, weg von der Produktion und hin zu einem auf gerechter Verteilung und Nachhaltigkeit beruhenden Wohlergehen.“1 (Hervorhebung der Autorin) Mit ähnlicher Ausrichtung gibt es zwar seit 1990 den UNDP-Report2 – neben dem BSP werden auch die Lebenserwartung (Gesund-heitsfürsorge), der Bildungsgrad und die Teil-habe am öffentlichen Leben als Indikatoren für den Lebensstandard in einem Land erhoben (Human Development Index) –, aber Stiglitz’ Aussage macht deutlich, wie die offizielle Ent-wicklungspolitik tatsächlich aussieht. Mindes-tens bis ins Jahr 20093 spielten die gerechte Verteilung, die Respektierung der Natur und das Wohlergehen der Menschen keine oder nur eine nachgeordnete Rolle.

Das Postulat hinter der Entwicklungsideologie lautete und lautet nach wie vor, dass es den Menschen besser gehen würde, wenn in einer Region oder einem Land mehr Geld fließt, d. h. Investitionen getätigt und Gewinne erzielt würden. Das trifft in der Wirklichkeit aber nicht zu. Zwar „tröpfelte“ es von den Unternehmen, die die Produktion steigern und Gewinne machen konnten, auf die Mehrheit herunter, so wie insbesondere in den ersten beiden Entwick-lungsdekaden 1960 bis 1980 als „trickle down effect“ propagiert. Aber was da tröpfelte, führ te nicht zum Wohlstand aller und auch nicht zum Wohlstand der Mehrheit. Richtig ist, dass Geld

„tröpfelte“, so etwa für Tagelöhne. Aber auch dieses Geld zerstörte insgesamt mehr, als es aufbaute oder eben „entwickelte“. Vielmehr

IN DER ENTWICKLUNGSHILFEPOLITIK

GEHT ES STETS UMS GELD,

ABER NICHT ZUERST UM DIE MENSCHEN

1. Le Monde diplomatique, Juli 20102. Bericht des United Nations De-velopment Programme3. Stiglitz, Joseph/Sen, Armatya/Fitoussi, Paul : Rapport de la com-mission sur le mesure des perfor-mances économiques et du prog-rès sociale, Paris 2009, www.stiglitz-sen-fitoussi.fr/fr/index.htm4. Le Monde diplomatique, März 2010

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und dem Siegeszug der neoliberalen Wirt schafts-theorie angelangt. Sie besagt, dass der Markt sich selbst reguliert, also durch Angebot und Nachfrage sowie durch Wettbewerb die Preise und die Warenströme, sprich die Verteilung und die Versorgung der Menschen regulieren würde. Das heißt nichts anderes, als dass das Geld inzwischen als die regulierende Kraft des Wirtschaftens schlechthin weltweit durchge-setzt worden ist. Auf dem Weg hierhin ist 1995 die Welthandelsorganisation (WTO) geschaffen worden, die die neoliberale Ideologie in inter-national rechtlich verbindliche Verträge gießt. Damit verbunden sind zwei einschneidende Neuerungen. Der Agrarhandel wird in den inter-nationalen Freihandel integriert; damit werden der Landwirtschaftssektor und seine Waren, die Lebensmittel, behandelt wie alle anderen (industriellen) Wirtschaftssektoren. Zweitens werden die internationalen Finanzmärkte deregu-liert, also der Handel mit Währungen, Aktien und Kreditschuldscheinen wird national wie international (Bretton-Woods-System) immer weniger kontrolliert. Die Finanzprodukte können frei auf dem Weltmarkt gehandelt werden.

Kurz, Geld wird weltweit endgültig von einem Mittel zum Handel mit Waren selbst zu einer Ware wie jede andere. Es wird von seiner Bind-ung an die Realwirtschaft „befreit“. Letzteres geht allerdings nicht wirklich. Spekuliert wird letzten Endes doch immer noch mit etwas, mit realen Gütern. Der deregulierte Agrarsektor bietet sich an, denn nichts ist realer und für alle Menschen notwendiger als die Nahrung. So führt die Spekulation mit Agrarprodukten in unserem Jahrzehnt zu enormen Preissteigerun-gen gerade auch bei Grundnahrungsmitteln. Für die Menschen, die im Zuge des Entwicklungs-prozesses von Land und Boden getrennt wur-den, ist dies fatal. Seit 2008 kommt es zu Hun-geraufständen, angefangen mit Mexiko wegen der Verteuerung und Verknappung des Grund-nahrungsmittels Mais, u. a. wegen der finanziell lukrativen Verwendung von Mais als Biotreib-stoff – „nachhaltig“, versteht sich. Im Spätsom-mer des Jahres 2010 wurde die beängstigende Spekulation mit Weizen zum Thema der Tages-

Dieser Fortschritt schreitet umso schneller voran, je mehr Entwicklungsgeld in die entspre-chenden Weltregionen investiert wird. Die übli-chen Gesamtzahlen über die Wirtschaft in einem Land sagen nichts darüber aus, wie es der Mehrheit der Menschen dort tatsächlich geht. Das erfahren wir gerade in Deutschland.

In der dritten Entwicklungsdekade zwischen 1980 und 1990 zeigt sich dann auch auf volks-wirtschaftlicher, staatlicher Ebene, wie leicht das Geld zur Falle werden kann. Ein Land nach dem anderen kann die internationalen Kredit-dienste nicht mehr bedienen und muss sich den Diktaten des Internationalen Währungsfonds (IWF) beugen. Der IWF war nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit der Weltbank (Inter-national Bank for Reconstruction and Develop-ment) als internationale Entwicklungsorganisa-tion geschaffen worden und agiert in eben diesem Sinne. Um Umschuldungskredite erhal-ten zu können, müssen die entsprechenden Länder wirtschafts- und sozialpolitische Aufla-gen erfüllen, die schlicht Strukturanpassungs-maßnahmen (SAP) genannt werden. Sie betref-fen vor allem Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand (Ausgaben für Bildung, für Ernährung, für einheimische Unternehmen) und den Abbau von Importhemmnissen für internationale Waren und Kapital. Ziel soll die Entwicklung der natio-nalen Ökonomie sein, indem sie auf dem Welt-markt konkurrenzfähig werden sollte. Folge waren zuerst und vor allem massive Verarmungs-prozesse der sowieso schon ärmeren Bevölke-rungsschichten und der Zusammenbruch der nationalen kleinen und mittleren Unter nehmen.

Die Globalisierung des Systems der Geld­maximierung // Damit sind wir in der Entwick-lungsepoche der Globalisierung der Märkte

GELD IST INZWISCHEN ALS DIE REGULIERENDE

KRAFT DES WIRTSCHAFTENS SCHLECHTHIN WELT-

WEIT DURCHGESETZT WORDEN

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5. Auf Kosten der Armen, Der Spie-gel, Nr. 34, August 2010. In dem Interview spricht der Bonner Agrar-ökonom Joachim von Braun über die Gefahr von Finanzinvestoren, globale Hungerproteste und die Idee einer weltweiten Getreide reserve.

Veronika Bennholdt-Thomsen

lichen Entwicklungsepoche begonnen, aber in diesen sechs Jahrzehnten ist er politisch macht-voll überall durchgesetzt worden. Ein früherer Einschnitt ist die Industrialisierung. Die Arbeit selbst wird zur Ware. Das Lohngeld wird zur Existenzvoraussetzung. Dieses Modell wurde von Europa aus in den Rest der Welt getragen, die damit kolonisiert und entwicklungsideolo-gisch missioniert wurde.

Man kann das Rad der Geschichte nicht zurück-drehen, heißt es ganz richtig. Aber man kann, sobald das Problem erkannt ist, im Rahmen des Gegebenen anders handeln und eine andere Richtung einschlagen. Oberstes Kriterium unseres Handelns muss die Verringerung der Anonymität in den wirtschaftlichen Beziehun-gen sein. Damit meine ich nicht in erster Linie die Ebene der staatlich oder durch Supermarkt-unternehmen organisierten Wirtschaftsbezie-hungen, die bereits viel Anonymität bergen, sondern das alltägliche Versorgungshandeln jeder Person. Uns von dem zu ernähren und zu versorgen, was unser ökologischer Nahraum ermöglicht, muss zur moralischen Maxime werden. Damit dienen wir zum einen der Umwelt und zum anderen dem Wohlergehen der Menschen auf anderen Kontinenten mehr, als wenn wir deren Land für unseren Konsum an Kolonialwaren (!) in Anspruch nehmen. Zu glauben, dieser „Raub“ wäre durch die Bezah-lung abgegolten, ist ein Trugschluss.

Jenseits des Geldes // „Aber es geht nicht ohne Geld!“ So oder so ähnlich lauten meist die Reaktionen auf die grundlegende Kritik am Geld. Die Erwiderungen klingen plausibel und realistisch, dennoch sind sie falsch. Wir müssen uns von den alten ökonomischen Denkmustern verabschieden. Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Die Auflösung der Gemeinschaft-lichkeit und die Vernutzung von Natur stoßen an ihre Grenzen und die Wirtschaftsweise, die die Entsolidarisierung zwischen den Menschen sowie die Plünderung der Erde organisiert, wird als das sichtbar, was sie ist: eine Katastrophe. Wir müssen Wirtschaft neu denken, und zwar alle, nicht nur die BankerInnen und Politiker-

presse.5 Im Jahr 2009 hatte die Spekulation mit Reis die Versorgungslage für viele Afrikaner-Innen bedrohlich werden lassen.

Der gesamte Ansatz des entwicklungspoliti-schen Denkens ist falsch: die Weltanschauung, die Werte und die entsprechende Moral. Para-doxerweise, oder eben gerade nicht paradoxer-weise, wird just an dem Millenniumsziel Nr. 1, dass bis zum Jahr 2015 die Zahl der hungernden Menschen auf der Welt halbiert werden soll, deutlich, was falsch läuft. Wie kann es angehen, dass die VertreterInnen im höchsten, moralisch nobelsten Gremium der heutigen Menschheit, der Vollversammlung der Vereinten Nationen, es hinnehmen, ja sogar als positives Ziel ausge-ben, dass bis 2015 und danach immer noch Millionen Menschen Hunger leiden? Warum wallt bei ihnen nicht bei jedem Bild eines Hun-gernden das Gefühl hoch, niemand solle hungern und jeder Mensch, der hungert, sei einer zu viel? Wie kann man sich als Menschheitsver-treterIn vor den Karren der absurden Logik der Zahlen spannen lassen? Einer Logik, die allein durch die Nennung exakter Ziffern – 2000, 2015, ½ oder 50 % – Realitätssinn vorspiegelt. Einer Logik, die aufgrund eben dieser Vorspiege-lung daran hindert oder vielleicht auch davor bewahren soll, unablässig die Antwort auf die Frage zu suchen, warum in dieser Welt über-haupt ein einziger Mensch hungern muss.

Geld kann man nicht essen! // Im Laufe des Entwicklungsprozesses ist uns kulturell die Wahr-nehmungsfähigkeit der konkreten, stofflichen, nährenden, wärmenden, schützenden Dinge abhanden gekommen. Es fehlt am spontanen Verständnis des Unmittelbaren, das allein die Nähe zur Natur und die Nähe zwischen den Menschen mit sich bringen. Zwischen uns und unserer Erfahrung der Welt ist das Geld getre-ten. Das rechnerische Kalkül, das mit dem Geld-denken einhergeht, trennt die Menschen von ein-ander und von der Umwelt. Gefühle stumpfen ab. Die wirtschaftlichen Beziehungen werden immer unpersönlicher und anonymer. Zwar hat der Prozess der Entfremdung oder besser der Entwurzelung bereits längere Zeit vor der eigent-

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des Gelddenkens, d. h. des Denkens in Rech-nungseinheiten. Und zwar so, dass es uns die Schamröte ins Gesicht treibt statt jene karita-tive Herzenswärme hervorzurufen, die die Ver-einten Nationen mit ihrem Aufruf für das UN-Millenniumsziel bezwecken.

Was ist los mit unserer Moral? Wir wissen, dass die Gewinne der einen die Not der anderen zur Folge haben, und zwar nicht nur aufgrund von Spekulationen, sondern aufgrund von ganz

„normalen“ Geschäften. Kern unser aller Mit-täterschaft ist das Gelddenken. Nicht das Geld an und für sich ist das Problem, sondern das Denken in Termini des Geldes, dass wir entlang von Kriterien urteilen, die das Geld als Tausch-mittel vorgeblich diktiert. Das Geld selbst ist nur der geronnene, vergegenständlichte Aus-druck eines Denk- und Handlungsmusters: dem des Tausches. Das Tauschprinzip lautet: Do ut des, ich gebe dir, damit du mir gibst, und nicht etwa, ich gebe dir, weil du Hunger hast, weil du frierst, weil du unglücklich bist. Ganz im Gegen-satz zum Mythos verbindet der Tausch die Menschen nicht, sondern trennt sie vonein-ander. Eine Gesellschaft, die entlang dieses eigennützigen, habsüchtigen Prinzips organisiert ist, muss früher oder später in der Katastrophe enden. Jedoch in der von der ökonomischen Rationalität geprägten Kultur glauben wir, allen-falls auf der individuellen Ebene der persönlichen Beziehungen auf das kalkulierende Gegen-seitigkeitsprinzip des „do ut des“ verzichten zu können.

In Wirklichkeit aber sind Gesellschaften jahr tau-sendelang dem Prinzip des Gebens und nicht des Nehmens gefolgt: Es prägt die Wirtschafts-weise matriarchaler Gesellschaften. Was in der patriarchalen Gesellschaft auf die kleinste soziale Einheit, die Mutter-Kind-Beziehung, reduziert ist oder auf die Beziehung der müt-terlich sorgenden Person, etwa auch des Vaters zum Kind, ist in anderen Gesellschaften das allgemeingültige Handlungsmuster. Tröstlicher-weise haben wir in unserer Zeit aber zumindest alle die Erfahrung gemacht, bedingungslos umsorgt zu werden. An diese Erfahrung können

Innen. Das System des egoistischen Eigennutzes, der in der Summe, wie von unsichtbarer Hand, vorgeblich zum Wohlstand aller führen würde (Adam Smith), ist nicht reformierbar und kann auch nicht von einigen wenigen stellvertreten-den RepräsentantInnen erneuert werden.

Selbstverständlich ist es sinnvoll und in der globa-lisierten Welt sogar notwendig, das internatio-nale Währungssystem neu zu gestalten. So wäre es angebracht, eine internationale Währungs- oder Rechnungseinheit zu schaffen, die nicht zugleich eine nationale Währung ist wie jetzt der Dollar. Schon allein damit könnten die inter-nationalen Finanzspekulationen leicht kontrol-liert und schnell unterbunden werden. Denn die darf es nicht mehr geben. Schließlich bedeuten sie, dass damit Menschen ihr Essen, ihre Kleid-ung, ihr Dach über dem Kopf und ihr Erwerbs-arbeitsplatz weggenommen werden können. Selbstverständlich gehört zu den notwendigen Maßnahmen gegen die Krise ferner, die Ver-wandlung von Gemeingütern wie Wasser, Luft (Emissionswertehandel) oder wie Post und Eisen-bahn in private Kapitalgüter zu stoppen und zu revidieren. Usw., usw., usw. Aber alle Regulier-ungsmaßnahmen werden nur dann ein Schritt auf dem Weg heraus aus der Zivilisationskrise sein, wenn sie als Beitrag zu einer grundlegend veränderten wirtschaftlichen Verhaltensweise der Menschen verstanden werden.

Denn die Wirtschaft, das sind wir alle. Wirt-schaften ist ein gesellschaftlicher Vorgang. Dafür brauchen wir ein anderes Ziel, weg vom Eigen-nutz, hin zum Gemeinnutz; weg vom Wachs-tum, hin zum Bewahren. Kurzum, wir brauchen ein ganz anderes als das herrschende Wertesys-tem. Wir benötigen nicht nur ein anderes Geld-system, sondern auch die Abkehr von der Kultur

VoN Der KNappHeIt zur FüLLe

WIR BRAUCHEN EIN ANDERES ZIEL, WEG

VOM EIGENNUTZ, HIN ZUM GEMEINNUTZ; WEG

VOM WACHSTUM, HIN ZUM BEWAHREN

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Veronika Bennholdt-Thomsen

Wohingegen das Tauschmuster zu einem Natur-verhältnis führt, das von der Knappheit der Naturgegebenheiten ausgeht. Deshalb sehen die einzelnen Menschen sich vorgeblich gezwun-gen, möglichst viel und in Konkurrenz zu anderen für sich herauszuholen. Insofern ist die Kultur, die den Denk- und Handlungsmustern des Tausches und des Geldes folgt, die eigent-liche Ursache der ökologischen, sozialen und ökonomischen Krise. Die entscheidende Auf-gabe unserer Zeit ist die Überwindung der Öko-nomie des Nehmens und die Stärkung der Kultur des Gebens.

wir auf dem Weg zu einer anderen Form der Vergesellschaftung anknüpfen. Wir alle wurden von einer Mutter geboren und von mütterlich sorgenden Menschen großgezogen. Ohne deren Bedingungslosigkeit im Geben gäbe es uns nicht, gäbe es keine menschliche Gesellschaft. Vielleicht läutet unsere Zeit des Umbruchs auch das Ende des Patriarchats ein?

Das Paradigma des Gebens (oder der Gabe), jenes Gegenteil des Paradigmas des Tausches, ist nicht nur individuell, sondern auch gesell-schaftlich wirksam. Wenn ich etwas im Tausch gebe, um dafür etwas zu bekommen, dann ist die Handlung selbstbezogen, geht es nur um mich anstatt um den anderen/die andere. Das Tauschverhalten ist egozentriert. Wenn ich dahin-gegen gebe, weil der/die andere es braucht, ist das Verhalten bereits in der Tendenz gemein-schaftsorientiert. Denn die anderen ihrerseits werden geben bzw. weitergeben, sodass ein Kreis entsteht oder, wie beim Stein, der ins Wasser fällt, viele kreisförmige Wellen. Das Para-digma des Gebens als gesellschaftliches Muster geht Hand in Hand mit einem Verständnis von Natur, das in ihr eine mütterliche Ordnung am Werk sieht. Die Natur wird als Gebende begrif-fen, als Mutter Erde. Die Fülle ihrer Gaben wird dankbar als Leben spendend angenommen.

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Schenken und beschenkt werden ist für alle Menschen das Natürlichste auf der Welt. Wir alle bekommen das größte Geschenk – nämlich unser Leben – mit unserem Erscheinen auf die-sem Planeten, mit dem ersten Atemzug und der Trennung der Nabelschnur von unserer Mutter. Für die meisten in unserem Lande und auf unserem Kontinent gilt auch, dass sie ihr Über-leben – bis sie für sich selbst sorgen können – geschenkt bekommen. Oft erleben wir, wie kleine Kinder alles verschenken, dessen sie hab-haft werden können, nur um zu erleben, wie alle sich freudig bedanken. Wir möchten, dass andere glücklich sind, und dazu beizutragen macht auch uns glücklich. Ich kenne keine Eltern, die das, was sie in ihre Kinder investiert haben, zurückfordern. Allge-mein gilt hier ein Generationenvertrag. Das was sie in ihre Kinder investiert haben, werden diese weitergeben, indem sie ihren Kindern das Leben schenken und sie aufziehen. In Deutsch-land beträgt die unbezahlte Arbeit, die Mütter und manchmal auch Väter leisten, die ihre Kinder erziehen, genauso viel wie unser gesam-tes Bruttosozialprodukt ohne den Bausektor. Das hat man anhand von Zahlen berechnet, die Versicherungen benutzen, um den Wert der

mütterlichen Arbeit zu beziffern, wenn eine Mutter zum Beispiel bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt und die Versicherung für diese Arbeit aufkommen muss.

Dies ist also eine gewaltige Menge an Geschenk-tem. Aber dann gibt es da so etwas wie eine Grenze für das Schenken. Wenn jemand mit – sagen wir einmal 30 Jahren – immer noch den Eltern „auf der Tasche liegt“, wird das als nicht mehr normal betrachtet. Sobald die Ausbil-dung beendet ist – mal früher, mal später – gilt: Ab jetzt muss man sein Geld selbst verdienen. Das heißt, seine Fähigkeiten auf dem Markt anbieten und dafür bezahlt werden. Geschenkt wird einem nun nichts mehr. Im Gegenteil. Es setzt ein Wettkampf um die prestigeträchtigs ten und bestbezahlten Arbeitsplätze ein. Ein Ana-chronismus. Denn diese Arbeits plätze werden immer seltener, und schon heute könnten wir – rein von der Menge des Geldes und den uns zur Verfügung stehenden Technologien her gesehen – alle Menschen auf diesem Planeten ernähren, kleiden, behausen und mit Bildung versorgen.

Was ist also unser Problem? Warum können wir eigentlich nicht weiterhin das bekommen, was

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Autorin // Margrit KennedyProf. Dr. Margrit Kennedy, Architektin, Stadt- und Regionalplanerin, dann Geldexpertin, entdeckte 1982 einen grundsätzlichen Fehler im herrschenden Geldsystem, aber auch Alternativen dazu. Heute plädiert sie dafür, Geld für bestimmte Ziele zu entwerfen und vermittelt in Vorträgen und Workshops, wie der „ökonomische Analphabetismus“ überwunden und das Geldsystem zum dienenden statt zum beherrschenden Instrument umgewandelt werden kann.

Überlegungen und Erfahrungen zur Ökonomie des Schenkens

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Australien und Neuseeland stehen zusammen an erster Stelle auf dem Index. Malta ist das Land, in dem die größte Anzahl von Menschen Geld geben (83 %), die Menschen in Turkmenis-tan schenken die meiste Zeit (61 %) für ehren-amtliche Tätigkeiten, während Liberia die Liste in Bezug auf Hilfe für Fremde anführt (76 %).

Frauen geben nur marginal mehr als Männer. Aber in Ländern, in denen Frauen mehr Geld spenden als Männer, liegen die Spendensummen insgesamt höher. „Da haben wir ihn, den Hebel für die spendende Frau“, sagt Ise Bosch, die sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt, und rät: „Besser zu spenden heißt: Macht eure Spen-denplanung.“3

Statistiken sind zwar mit Vorsicht zu genießen, aber dass die Korrelation zwischen „glückliches Land“ und „Geben“ höher ist als die zwischen

„reiches Land“ und „Geben“ erstaunt sicher die wenigsten. In reichen Ländern wird – davon kann man ausgehen – mehr im Sinne von „Was rechnet sich und was nicht?“ gedacht. Diese Berechnung, die für die für das Budget Verant-wortlichen in jedem größeren Betrieb Pflicht ist, bevor eine Investition getätigt wird, und die im professionellen Jargon „Kapitalwertmethode“ heißt, färbt natürlich auch auf das Privatleben und das private Verhalten der Bevölkerung eines Landes ab. Und „Schenken“ rechnet sich danach – zumindest rein mathematisch – in den wenigsten Fällen.

Eine interessante Geschichte, die mir die Absur-dität dieser Art von Berechnung klar vor Augen geführt hat, habe ich vor Kurzem selbst erlebt. Um den zentralen Punkt deutlich herausarbei-ten zu können, muss ich etwas ausholen.

Ich lebe seit 25 Jahren in Niedersachsen, zwi-schen Hannover und Bremen, in einer Gemein-schaft, dem „Lebensgarten Steyerberg“ mit etwa 100 Erwachsenen und 40 Kindern. Der Lebensgarten lebt – neben den verhältnismäßig geringen monatlichen Beiträgen zum Verein – ausschließlich von Geschenken seiner Mitglieder und Freunde. „Communare“, der lateinische

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wir zum Leben brauchen, und der Gesellschaft, in der wir leben, das geben, was wir am besten können?

Machen Sie bitte diese kurze Übung, bevor sie weiterlesen: Schließen Sie die Augen und benennen Sie sich die fünf wichtigsten Dinge, die ihr Leben lebenswert machen.

Und nun beantworten Sie die Frage: Gibt es unter den Dingen, die ihr Leben lebenswert machen, etwas, was Sie kaufen könnten? Wahr-scheinlich nicht, denn Liebe, Freundschaft, Zufrie-denheit z. B. sind nicht mit Geld zu erwerben.

Warum also sollten wir immer mehr Geld verdie-nen, wenn es uns sowieso nicht glücklich macht? Dass nach der Befriedigung der grund-sätzlichen Bedürfnisse das Glücksempfinden nicht mehr ansteigt, beweisen alle Studien, die das zum Gegenstand ihrer Untersuchung gemacht haben.1

Worin jedoch „Schenken“ besteht, das wird in verschiedenen Ländern und Kulturkreisen sehr unterschiedlich verstanden. Manche zählen die Gabe für eine Bettlerin dazu, andere nur eine Spende an eine registrierte gemeinnützige Orga-nisation. Für den diesjährigen „World Giving Index“ erfasste die Charities Aid Foundation mithilfe der Wirtschaftsberatung Gallup das Thema mit drei Fragen: Haben Sie im letzten Monat Geld gegeben?Haben Sie sich im letzten Monat ehrenamtlich engagiert?Haben Sie im letzten Monat einem oder einer Fremden geholfen? Besonders die letzte Frage brachte einige inter-essante Ergebnisse: Hilfe für Fremde ist welt-weit die gebräuchlichste Form des Gebens. Hier schnei den viele Länder des Südens sehr gut ab, weit vor beispielsweise den Angelsachsen, die üblicher weise die Spendenindizes anführen. Im Gesamtranking kommen wir Deutschen so erst hinter Ländern wie Laos, Sierra Leone oder Turkmenistan.2

1. www.mathias-binswanger.ch2. w w w.cafonl ine.org /defaul t .aspx?page=194283. Tipp des Monats Oktober 2010 von Ise Bosch im Pecunia Newsletter

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Spaziergang abends um 22 Uhr noch zu einem spontanen Geburtstagsfest eingeladen zu wer-den? In unserem kleinen Laden die herrlichen biologischen Früchte und Gemüse vom eigenen Feld oder von unserem Großhändler kaufen zu können und gleichzeitig ein gutes Rezept mit den Nachbarn auszutauschen? Es kamen mir so unendlich viele Beispiele in den Sinn, die über-haupt nichts mit Geld, sondern mit Glück oder Lebensqualität zu tun hatten, dass ich nur lachend aufgeben konnte, die Frage ernsthaft zu beantworten. Sie blieb jedoch in meinem Kopf und im Verlauf der nächsten Wochen fand ich immer mehr interessante Beiträge zu einer neuen Sicht des Phänomens Schenken oder Geben und zu der Verbindung zu einer neuen Wirtschaftstheorie, die im Moment deutschlandweit diskutiert wird und für die Niko Paech den Begriff „Post-wachstumsökonomie“ geprägt hat. Diese ist gerade dadurch gekennzeichnet, dass quantita-tives Wachstum mit seinem „sich rechnenden“, aber Ressourcen verschleißenden Wachstum durch qualitatives Wachstum oder mehr Lebens-qualität und weniger Ressourcenverbrauch ersetzt wird.

Erstaunt stellte ich fest, dass wir mit dem Lebens-garten in den letzten 25 Jahren so etwas wie eine Postwachstumsökonomie geschaffen hat-ten, für die es noch relativ wenige praktische Beispiele gibt. Und ich begann darüber nach-zudenken, wie gut die Vertreter eines bedin-gungslosen Grundeinkommens hier erforschen könnten, was denn eigentlich passieren würde, wenn alle genügend Geld hätten, um genau das zu tun, was sie möchten. Denn das haben wir hier zum überwiegenden Teil umgesetzt. Fast jede oder jeder tut das, was er am besten kann oder am liebsten tun würde, und fast immer wird das auch zu einem wirtschaftlichen Erfolg oder ermöglicht zumindest das Überleben.

Für alle, die heute erschrocken sind über die zunehmende Gewalt auf dieser Welt in den Kriegen wie im Iran und in Afghanistan oder den Naturkatastrophen wie in Haiti und Chile,

Ursprung der englischen Bezeichnung „Com-munity“, heißt ja „schenken“, und genau das macht einen der wesentlichen Unterschiede aus zwischen „Gemeinden“, deren Funktionie-ren auf Steuern basiert, und „Gemeinschaften“, deren Funktionieren auf Geschenken basiert. Doch auch schenken will gelernt sein. Alle Lebens-gärtnerInnen kamen noch aus den alten sozia-len Strukturen, in denen das Geben unter Erwachsenen überwiegend auf Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke beschränkt ist oder ein Zurückgeben voraussetzt. Und alle haben – jede und jeder individuell – im Lauf der Zeit ähnliche Erfahrungen gemacht: Wir mussten lernen zu geben, ohne etwas zurückzuerwar ten, denn Letzteres klappte fast nie. Ein befreunde-

tes Ehepaar, welches Interesse daran hatte, in die Gemeinschaft zu ziehen, fragte mich einmal im Verlauf ihrer Erkundungen, wie ich denn das Verhältnis einschätzen würde – zwischen dem, was ich dem Lebensgarten im Lauf der Zeit gegeben, und dem, was ich zurückbekommen habe? Das war eine Frage, die ich mir so noch nie gestellt hatte, aber ich sagte spontan und ohne lange zu überlegen: „Ich würde schätzen eins zu hundert.“ Ich hatte das Gefühl, für einen Teil, den ich gegeben hatte, etwa 100-mal so viel zurückbekommen zu haben. Ich war selbst überrascht, denn ich hatte natürlich nicht nach-gerechnet, sondern nachgefühlt.

Ich sah aber zugleich, dass es eine völlig absurde Frage war. Denn wie sollte ich das Glück bewerten, an einem Sommermorgen in der Sonne auf dem Dorfplatz mit einer Gruppe von Menschen tanzen zu können? Bei einem

WIE SOLLTE ICH DAS GLÜCK BEWERTEN, AN EINEM

SOMMERMORGEN AUF DEM DORFPLATZ MIT EINER

GRUPPE VON MENSCHEN TANZEN ZU KÖNNEN?

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Der patriarchale Kapitalismus bezieht seine Berechtigung – so sieht es Genevieve Vaughan in ihrem Artikel „Discovering the Gift Paradigm“ (Die Entdeckung des Geschenkparadigmas) – aus einer Weltsicht, die sich „Tauschparadigma“ nennt. Er sieht alles unter der „Austauschlogik“, vom Heiratsmarkt bis zum Schlagabtausch im Diskurs oder im Krieg. Geschenke wie z. B. die Erziehung von Kindern werden nicht als solche gesehen, weil das nicht in das Tauschpara-digma passt. Am dramatischsten aber ist die völlige Blindheit des Tauschparadigmas gegen-über all den zahllosen Geschenken, die wir aus der Natur oder auch von unserer Kultur erhalten. Die Natur wird so betrachtet, als sei es selbst-verständlich, dass wir sie uns aneignen und aus-beuten. Indem durch diese Ausbeutung

„Gewinne“ ausgewiesen werden, bilden die Geschenke die Grundlage für das ganze System.

Obwohl der Kapitalismus zurzeit heftig kritisiert wird, gibt es bisher keine radikale – an die Wur-zeln gehende – Alternative, die kollektiv akzep-tiert wird, weil die Logik des Austauschs selbst nicht als Problem gesehen wird. Obwohl „Fair Trade“, also fairer Handel, besser ist als unfairer Handel, wird die Tatsache, dass Handel selbst möglicherweise das Problem ist, in den Hinter-grund gedrängt. Die Logik und die Chance des einseitigen Geschenks, wie wir es in der Studie weiter oben kennengelernt haben und wie wir es zum Beispiel im Lebensgarten praktizieren, werden erst gar nicht wahrgenommen. Im Gegenteil: Sie werden abgewertet und manch-mal sogar geschmäht.

Ich glaube, nur wenn wir das Schenken wieder als integralen Bestandteil unseres Verhaltens in einer solidarischen Gemeinschaft mit allen Menschen akzeptieren und den „Pecunismus“, die Geldgier, genauso ächten wie den Rassis-mus und Sexismus, lassen sich die Spaltung der Welt und der Gesellschaft überwinden. Um das zu erreichen, sehe ich es als unbedingt notwen-dig an, dass wir die Wirkungsweise des herkömm-lichen Geldsystems verstehen und verändern. Wie das geschieht und welches die Hauptfak-toren sind, habe ich an anderer Stelle ausführ-

hier eine ermutigende Nachricht: Auch Freund-lichkeit, Großzügigkeit und Kooperation stecken an und verbreiten sich genauso leicht wie Feind-seligkeit, Geiz und gnadenloser Wettbewerb.

Eine Studie, die im März 2010 veröffentlicht wurde und die Ergebnisse mehrerer Forschungs-projekte in den USA vergleicht,4 kommt zu dem Ergebnis, dass auch positives Verhalten in seiner Auswirkung auf andere einem exponen-tiellen Wachstum folgt. Von einer Person, die großzügig handelte oder spendete, wurden drei weitere, fremde Personen „angesteckt“, diese steckten wiederum jeweils drei, also insgesamt neun, Personen an und so ging die Welle weiter. Diese spontanen Netzwerke, beobachteten die Forscher, funktionieren ähn-lich wie Zuschüsse, die zum Beispiel dann gege-ben werden, wenn man eine Grundfinanzie-rung hat.

Da wir normalerweise nur die Reaktion der ersten Person sehen, die wir beschenken, aber selten die der Menschen, an welche eine groß-zügige Geste oder Finanzhilfe weitergereicht wird, haben wir keine Ahnung von dem Kaska-deneffekt auf Dutzende, vielleicht Hunderte von Menschen, den wir damit vielleicht auslösen. In der Studie wurden Leute beobachtet, die sich nicht kannten und die sich auch nie wieder trafen. Außerdem waren sie so ausgesucht worden, dass sie keinen gemeinsamen gesellschaftlichen oder beruflichen Hintergrund hatten, um Effekte, die auf derartige Einflussfaktoren zurückgehen, auszuschließen.

Aus einer wissenschaftlichen Perspektive könnten diese Ergebnisse darauf hinweisen, dass der

„Ansteckungseffekt“ auch zur Evolution von kooperierenden Gruppen beigetragen hat, die eher menschenfreundlich waren, im Gegensatz zu Gruppen, in denen egoistische Verhaltens-weisen dominierten. Die Studie schließt mit der Erkenntnis, dass Menschen soziale Netzwerke bilden, weil die Vorteile die Kosten bei Weitem überwiegen. Genau das kann ich nach 25 Jahren in der Gemeinschaft Lebensgarten Steyer berg nur aus eigener Erfahrung bestätigen.

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4. ht tp: // t inyur l .com/yh5q864 (Aufruf-Datum 14.12.10)

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lich beschrieben.5 Hier nur so viel: Ohne den Ersatz des Zinseszinsmechanismus sind die meisten ökologischen Projekte und eine nach-haltige Wirtschaft nicht zu realisieren, und das wiederum sehe ich als eine der Voraussetzun-gen dafür an, um eines Tages eine Geschenk-ökonomie, in der wir geben, was wir können, und bekommen, was wir brauchen, realisieren zu können. Das ist – wie ich versucht habe auf-zuzeigen – ein durchaus erfüllbarer Mensch-heitstraum.

5. www.margritkennedy.de

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Gegenseitigkeit bestimmt ein Verhältnis, das wir uns im menschlichen Miteinander zu aller-erst als „do ut des“, ich gebe dir, damit du mir gibst, vorstellen. Sprichwörtlich findet sich das Prinzip der Gegenseitigkeit in der Handlungs-maxime „Wie du mir, so ich dir“ oder „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg‘ auch keinem andern zu“. Aber dies sind alles schon buchhal-terische Erwägungen, in denen die Vernunft des Tauschprinzips regiert. Eigentlich geht es dabei nicht um Gegenseitigkeit, sondern um Einsei tig-keit. Ich bin im „Wie du mir, so ich dir“ gar nicht an deinem Wohlergehen interessiert, sondern an meinem Vorteil. Vernünftigerweise muss ich allerdings davon ausgehen, dass du meinen Vorteil nur dann mehren wirst, wenn dabei dein Vorteil nicht zu kurz kommt. Und da wir im Resul-tat beide einen Vorteil nach Hause tragen, glauben wir, einander nicht geschadet zu haben. Tat säch-lich haben wir uns gegenseitig unseres Eigen-Sinns beraubt und uns wechsel seitig zum Mittel unseres Vorteilsstrebens gemacht, ohne aller-dings offene Gewalt anzuwenden. Es ist die List der Tauschvernunft, dass sie scheinbar ohne Gewaltanwendung nichts als Vorteil verschafft. Und das ist, wie Eugen Rosenstock-Huessy sagt, auch die List der Teu fels. Der Teufel tue so, als sei nichts, in Wirklichkeit vernichtet er.

Wenn aber dieses Wechselverhältnis von geben und nehmen, das doch der Inbegriff der Rezi-

pro zität zu sein scheint, diesen Namen nicht verdient, was macht dann das Wesen der Gegenseitigkeit aus? Stellen wir uns die Gestik des Gebens und des Nehmens in diesem Tausch-akt bildlich vor Augen: Der Gebende hält das, was er auszuhändigen sich anschickt, mit der einen Hand eisern fest, während die andere schon nach dem greift, worauf er es abgesehen hat. Greifen und festhalten: Beides bringt nicht die Gebärde der offenen, sondern der besitz-ergreifend verkrallten, der grapschenden Hände hervor. Und die Augen? Wohin ist der Blick der Akteure gerichtet, während sie – gleichzeitig – geben und nehmen? Ich denke, sie schauen auf das Gut, das den Besitzer wechselt, sie schauen einander nicht in die Augen, denn die könnten verraten, dass der Blick scheel und lauernd ist, dass jeder doch des andern Übervorteilung oder Betrug im Sinn hat und den vertrauensvol-len Umgang nur täuschend ähnlich imitiert.

Ganz anders das Wechselspiel von geben und empfangen. In ihm teilt der Gebende mit offenen Händen aus, während der Empfangende die Hand zu einer Schale öffnet, in die etwas hinein-gelegt werden kann. Die Gaben, die ausgeteilt oder empfangen werden, sind keine Besitz-tümer, sondern Geschenke. Und der Blick hat nichts zu verbergen, jeder kann dem andern das offene und unverstellte Antlitz zuwenden. Es ist offensichtlich, dass das Geschenk keine

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Autorin // Marianne GronemeyerProf. Dr. rer. soc. Marianne Gronemeyer, geb. 1941, M. G., Lehrerin, Zweitstudium der Sozialwissenschaften, Habilitation zum Thema „Die Macht der Bedürfnisse“. Bis 2006 Professorin für Erziehungs- und Sozialwissenschaften an der Fachhochschule Wiesbaden. Kritische Veröffentlichungen zum Beispiel zu Beschleunigung, Konsumwahn sowie Innovationsfieber und Wiederholungswahn.

Von der Gegenseitigkeit

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Empfangens besteht darin, empfänglich zu sein. Musik, die nicht auf empfängliche Ohren trifft, verhallt. Schönheit, die nicht auf empfängliche Augen trifft, hat nichts zu geben.

Wir haben nicht einmal mehr einen erfahrungs-gesättigten Begriff des Schenkens, geschweige denn eine gekonnte Praxis: „Die Menschen ver-lernen das Schenken. Der Verletzung des Tausch-prinzips haftet etwas Widersinniges und Unglaub-würdiges an; da und dort mustern selbst Kinder misstrauisch den Geber, als wäre das Geschenk ein Trick (was es in der Regel auch ist, Anmer-kung der Verfasserin). Das private Schenken ist auf eine soziale Funktion heruntergekommen, die man mit widerwilliger Vernunft, unter sorg-fältiger Innehaltung des ausgesetzten Budgets, skeptischer Abschätzung des anderen und mit möglichst geringer Anstrengung ausführt.“1 Das „Schenken“, so wie wir es gewöhnlich praktizieren, folgt ganz dem Prinzip des „Wie du mir, so ich dir“.

Fraglich, ob das, was einmal Ware war, je zum Geschenk geadelt werden kann. Fraglich also, ob Konsumenten überhaupt schenken können. Oder ob der Geldwert, der für die zum Geschenk ausersehene Ware entrichtet werden musste, selbst wenn das Preisschild nachträglich mit pein-licher Sorgfalt entfernt wurde, den Produkten so unauslöschlich anhaftet, dass er die Bezie-hung zwischen Schenkendem und Beschenk-tem unvermeidlich mit der Käuflichkeit infiziert. Vielleicht taugen in der Warenwelt nur noch Gesten als Geschenk, ein Lächeln, zum Beispiel. Aber selbst das Lächeln wird ja in den branchen-spezifischen Freundlichkeitsschulungen schon zur Strategie, um Kunden zu ködern.

Wann habe ich je ohne Spekulation auf eigenen Gewinn geschenkt, ein Geschenk ganz und gar hingegeben, den Beschenkten zu nichts verpflich-tet, keinesfalls dazu, sich zu revanchieren, auch nicht zum Dank, ja nicht einmal zur Freude? Was habe ich im Sinn, wenn ich das tue, was man gemeinhin „schenken“ nennt? Ich will mir den andern gewogen machen, ich will ihn mir verpflichten, ich will mich ihm annehmlich

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Gegenleistung erfordert wie der Tausch – gerade dies macht ja sein Wesen als Geschenk aus – und doch ist nur im Schenken wirkliche Gegenseitigkeit möglich. Wie das? Die hervor-stechende Eigenart des Geschenks ist die, dass es vollkommen wertlos ist. Es hat keinen Preis, es lässt sich nicht nach einem Geldwert bemes-sen. Ein Geschenk ist ein Geschenk, es ist nicht bewertbar, weil es unvergleichlich ist. Damit ist es so zerbrechlich wie Glas, denn sobald es ver-glichen oder bewertet wird, verliert es seinen Glanz, sein Wesen und seine Zauberkraft. Es wird fahl, unscheinbar, ein Tauschobjekt wie jedes andere.

Friedrich Nietzsche sagt den alten Griechen nach, sie hätten ihre Götter angefleht, ihnen dreimal im Leben das Schöne begegnen zu las-sen. Er nannte das ein maßloses Begehren, weil es in höchstem Maße unwahrscheinlich sei, dass die Bereitschaft der Seele, sich dem Schönen zu öffnen, und die Bereitschaft des Schönen, sich dem Betrachter zu offenbaren, in einem Augen-blick zusammenträfen, so unwahrscheinlich, dass es einem besonders begünstigten Menschen höchstens einmal im Leben widerfahren könne. Im Blick auf das Schenken müssten wir viel-leicht ähnlich bescheiden sein. Wir sollten nicht glauben, dass das eine leichte Übung ist, und dass die Bereitschaft zu schenken und die, sich beschenken zu lassen, so mir nichts, dir nichts zusammenkommen können.

Wir machen es uns allzu leicht, wenn wir den-ken, dass im Akt des Schenkens, die ganze Aktivität auf der einen Seite, der Seite des Gebenden, ist und die ganze Passivität auf der Seite des Empfangenden. Dann hätte ja der Gebende die Regie inne und könnte nach eigener Willkür generös oder knauserig sein, wann und wie es ihm beliebt. Tatsächlich ist er aber angewiesen auf die Einladung des Emp-fangenden. Empfangen ist so aktiv wie geben. Und geben, das ja ein Lassen, ein Loslassen ist, ist so passiv wie empfangen, wenn auch von anderer Art. Alles Wirken ist ja nur möglich, wenn ihm ein Geschehenlassen auf der Seite des Gegenübers entspricht. Die Aktivität des

1. Adorno, Theodor W.: Minima moralia, Frankfurt a. M. 1985, S. 46

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ten in einen Schenkenden, wie elend oder prekär auch seine Lage sein mag. Ihm fällt der Segen des Geschenks zu, nun ist er gesegnet und kann, als Gesegneter, augenblicklich Segen verströmen. Anders, wenn das Geschenk durch Berechnung verunstaltet wird. Dann kehrt, was an ihm Segen werden sollte, als Profit zum Geber zurück und der Nehmende geht leer aus, mag er auch die Gabe in Händen halten. Er wird durch sie entweder zum Mittel im Vorteilskalkül des Gebers erniedrigt oder zum Bettler gemacht, beschämt, verkleinert, falls er nicht in gleicher Münze heimzahlen kann. Der Segen bleibt für beide aus, für den Spender der Gabe und für den, dem sie zuteilwurde.2 Und das, was sie als Geschenk miteinander in einem Ver-hältnis der Gegenseitigkeit hätte verbinden können, wird zum Tauschobjekt, das sie vonein-ander isoliert und einander fremd macht.

Ivan Illich erzählt eine kleine Begebenheit, die trotz ihrer Unscheinbarkeit das ganze Gewicht des Schenkens vermittelt: „Es war an meinem ersten Morgen in Senegal, im Marktviertel von Dakar. Mit einem Freund verließ ich das Haus, in dem ich die Nacht verbracht hatte, und wir gingen an der Mauer einer Sufi-Moschee ent-lang. Dort standen Bettler mit ausgestreckter Hand. Mit christlicher Selbstverständlichkeit stöberte ich nach einem Zehnfrankenstück in meiner Tasche und legte es so beiläufig wie möglich in eine dieser Hände. Ich hatte den Mann nicht einmal angesehen. Mein Freund blieb stehen und forderte mich auf, dem Bettler in die Augen zu sehen und mich vor ihm zu ver-beugen. Ich hatte ihm eine Spende gereicht und jetzt war es an ihm, mich mit einem Koran-spruch zu segnen. Was da vor sich ging, war genau das Gegenteil eines Gabentausches. Es war eine Feier der Unvergleichbarkeit von zehn Franken und Allahs Segen. Und gerade deshalb konnten wir einander in die Augen sehen als Du und Du. Die Unvergleichbarkeit der Spende hatte unsere Ebenbürtigkeit bezeugt.“3

Hier entsteht ein Verhältnis der Gegenseitigkeit, jeder nimmt im Akt des Schenkens die Geste des andern an. Keiner bleibt bei seinem Leisten.

machen, ich glaube ihm etwas schuldig zu sein, ich will ihm imponieren durch die Größe oder Originalität des Geschenks, ich will ihn bestechen, ich will ihm vielleicht sogar eine Freude machen, als deren Veranlasser ich mich dann fühlen kann, ich will mich in meiner Großzügigkeit sonnen, mein Gewissen erleichtern. Die Liste der Selbst-bedienungsmotive des Schenkens lässt sich beliebig verlängern. Die Werbebranche trium-phiert über die Zuneigung. Ich beschenke dich nicht, weil du mir lieb und wert bist, ich bemesse das Geschenk danach, wie viel du mir wert bist. All diese Motive setzen ein Kalkül in Gang: Was springt für mich dabei heraus? Sie erfordern, dass ich dich taxiere: Wie viel Gewicht hast du in die Waagschale zu legen? Es ist der Geber, der vom Geschenk profitieren will, folg-lich: keine Gegenseitigkeit.

Dieser kleine Durchgang durch die Beweg-gründe des Schenkens mag genügen, um ein-zusehen, dass das Schenken eine geradezu unlösbare Aufgabe ist. Wenn nämlich das Schenken entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch gelingt, habe ich es mir nicht selbst zu ver-danken, sondern dir, dem Beschenkten. Sobald ich auf das Gelingen wie auf meine Leistung schaue, habe ich dich, den Empfänger der Gabe, um das Geschenk betrogen. Was heißt das? Der einzigartige Augenblick des echten Schen-kens ist eigentlich nur wie ein Märchen erzählbar. Sobald die Sprache des Begriffs darauf ange-wendet wird, versteinert er. Ich habe von der Zerbrechlichkeit des Geschenks gesprochen und von der Flüchtigkeit seiner Zauberkraft. Nun, dem wirklichen Geschenk wohnt tatsächlich etwas von Zauber inne. Es besitzt die Kraft zu verwandeln. Es kann im Frosch den Prinzen offenbaren. In dem Augenblick, in dem es empfangen wird, verwandelt es den Beschenk-

EMPFANGEN IST SO AKTIV WIE GEBEN.

DIE AKTIVITäT DES EMPFANGENS BESTEHT DARIN,

EMPFäNGLICH ZU SEIN

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2. Über die Bedeutung des Segens in der jüdischen Tradition schreibt Sergio Quinzio: „Segen als Geste oder Wort, das Kraft verleiht ... Der Segen wird vor allem als heilende Kraft empfunden, die ein erfülltes Leben hervorbringt, also eine Über-tragung von Lebenskraft ... der wirkt, wo er entgegengenommen wird, doch dort, wo er keine Auf-nahme findet, zu dem zurückkehrt, der ihn ausgesprochen hat ... Der Segen ist mit der Greifbarkeit der Gaben verbunden und in diesen er-kennbar.“ S. Quinzio, a. a. O., S. 34 f. 3. Illich, Ivan: Von der Verkehrung der Gastfreundschaft durch das Christentum, in: Festschrift Ludwig Kaufmann, Zürich 1988/89, S. 202

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Liste der zu Beschenkenden im Kopf letzte Einkäufe tätigte, um mich meiner weihnacht-lichen Pflicht mit Anstand zu entledigen. Durch die von Illich berichtete Szene gewarnt und gewitzt, wandte ich ihm meine ganze Auf merk-samkeit in einer kleinen Ansprache zu, aber dann brachte mich der Blick ins Portemonnaie in einige Verlegenheit. Die Kleingeldtasche ent-hielt nur noch ein paar lumpige Pfennige, also musste ich, ohne allzu lange zu zögern, einen Geldschein ausgeben, der das „ausgesetzte Budget“ entschieden überstieg. Der Bettler nahm den Schein entgegen, entzündete mit einem Streichholz eine Kerze, die neben ihm stand, und sagte: „Na, dann kann ich die Kerze ja wie-der anzünden. Grad hab ich sie ausgepustet. Die Leute, die hier vorbeirennen, haben sie nicht verdient.“ Mir ersparte er mit seinem Witz die Scham über die eigene Kleinlichkeit und die Gönnerhaftigkeit der weihnachtlichen Spendier-laune. Wir konnten uns augenzwinkernd über die Ignoranz der Vorbeihastenden verständigen, die noch nicht einmal gemerkt hatten, wie hart er sie bestrafte, als er ihnen das Licht ausblies. Ein bemerkenswerter Mann mit lässigem, mit Witz gesalzenem Selbstbewusstsein. Nichts von dem trotzigen Stolz, mit dem bestenfalls der Habenichts sich Selbstachtung erkauft, die ihm gesellschaftlich verweigert wird. Ich jedenfalls ging gesegnet, nämlich heiter, von dannen, beschenkt mit einem Licht, das ich nicht verdient hatte und mir nicht verdienen musste.

Das Prinzip der Gegenseitigkeit erinnert uns daran, dass alle unsere Unternehmungen nicht aus eigener Machtvollkommenheit entspringen, sondern eines Anstoßes bedürfen, der uns von außen zuwächst. Bevor wir etwas schaffen kön-nen, müssen wir aus vielen Quellen geschöpft haben. Immer ist der Initiator reich beschenkt, bevor er selbst zum Geber werden kann. Ver-gisst er das, dann ist er außerstande, seinerseits zu geben, er kann dann nur machen. Seine an das Gegenüber gewendete Tätigkeit mag ihm als eine weltverbessernde Wohltat vorkommen, aber sie hat mit einer Gabe tatsächlich nichts gemein, sie ist eine Überwältigung, eine Über-mächtigung eines wehrlosen, seiner Duhaftigkeit

Der Geber wird zum Empfänger und der Emp-fänger zum Gebenden. Beide sind zu allem fähig, zum Geben und zum Empfangen.

So verrückt es klingen mag: Es ist dem Zustande- kommen eines solchen erfüllten Augenblicks vielleicht sogar dienlich, dass die Spende acht-los, geradezu routiniert dargereicht und die Aufmerksamkeit erst nachträglich und auf eine Aufforderung hin darauf gerichtet wurde. Die absichtsvolle, ihrer selbstbewusste Spendabili-tät entgeht kaum dem Schicksal der Berech-nung und der Tauschgesinnung. Mit größt-möglicher Beiläufigkeit überreichte Illich dem Bettler das Geldstück. Das zeigt, wie selbstver-ständlich uns das Schenken als eine Verrich-tung von oben nach unten vorkommt, bei der, wer es gut meint, dem Beschenkten durch unauf-fälliges Gebaren die Scham ersparen möchte. Es ist die Aufforderung des Freundes, die den Geber davor bewahrt, sich als Geber aufzufüh-ren, und das Geschenk davor, ein demütigen-des Almosen zu sein.

Vielleicht wird beim Lesen dieser kleinen Begeben-heit auch unser Gerechtigkeitsgefühl dadurch verletzt, dass geradezu willkürlich eine von den vielen ausgestreckten Händen gefüllt wird, wäh-rend die andern leer bleiben und der Spender sich daraus offenbar kein Gewissen macht. Aber das Geschenk ist eben keine organisierte Hilfe-leistung, auf die alle gleichermaßen Anspruch erheben können, es ist eine einzigartige Hin- und Herbewegung zwischen zweien. Und als Empfänger sind die Bettler auch tatsächlich keine Rivalen, was sie bei einer gerechten Zuteilung als Nehmende unvermeidlich wären.

Ich will der von Illich berichteten Episode eine von mir erlebte hinzufügen, um – erzählend – dieser einzigartigen Gegenseitigkeit, die sich im Schenken vollzieht und die in der Tauschgesell-schaft aus dem Umgang fast gänzlich ver-schwunden ist, auf die Spur zu kommen, aber auch um einen Bettler zu ehren, dem ich ein außerordentliches Erlebnis verdanke. Ich traf ihn am Heiligenabend auf dem Hamburger Jung-fernstieg, wo ich hastig und entnervt mit der

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tivobjekt verwandeln, in ein Objekt also, das unter Anklage steht (accusare = anklagen), unter der Anklage, dass es nicht ist, wie es sein soll, dass es zu dem, was es sein soll, erst gemacht werden muss.

Mit gänzlich anderen Verhältnissen haben wir es zu tun, wenn wir die oben beispielhaft auf-geführten Tätigkeiten in solche übersetzen, die ein Dativobjekt mit sich führen. Der Dativ ist der

„zum Geben gehörige Fall“ (dare = geben). Welch ein Unterschied, ob ich dich berate oder dir rate, ob ich dich betreue oder dir treu zur Seite stehe, dich verplane oder dir etwas vor-schlage, dich bewerte oder dir Wertschätzung bekunde, dich erziehe oder dir etwas mitteile, dich behandle oder dir meine Hand leihe, dich belehre oder dir eine Lehre zuteilwerden lasse, dich prüfe oder dir zuhöre, dich bearbeite oder dir Mühe und Arbeit widme. Wo der Dativ regiert, ist die Ebenbürtigkeit der Partner gewährleistet. Er lässt dem Gegenüber die Freiheit, die Gabe anzunehmen oder von ihr keinen Gebrauch zu machen. Wer mich berät, hat etwas mit mir vor; er weiß, worauf es mit mir hinauslaufen soll. Wer mir rät, ist auf mein Vertrauen angewiesen wie ich auf seines und er legt mich nicht fest. Ich kann den Rat annehmen, ohne ihn befolgen zu müssen und ohne unser Verhältnis zu trüben, wenn ich ihn mir nicht zu eigen mache. Jede die-ser vom Dativ begleiteten Handlungen erweist sich bei genauerer Betrachtung als ein Respons auf etwas Vorangegangenes, auf etwas, das von „dir“ ausging und das mir überhaupt erst möglich machte, mich „dir“ zuzuwenden.

Das Wesen dieser Zuwendung besteht nicht darin, dass ich den Fremden zum Bekannten umkrempele, sondern darin, dass ich ihm in seiner Fremdheit und Unverstandenheit traue. Und das erfordert wirklichen Mut.

beraubten Gegenübers. Es macht den ganzen Unterschied, ob mir mein Gegenüber als ein Du begegnet oder als ein „Der-da“, „Die-da“, „Das-da“, das ich auf seine Verwertbarkeit oder Nütz-lichkeit oder Eignung für meine Pläne mustere.

Mit einem Du muss ich mich ins Benehmen set-zen, ich kann darüber nicht verfügen oder Kon-trolle ausüben. Ein „Der-da“, „Die-da“, „Das-da“, wird zu einem Objekt, in einer Subjekt-Objekt-Beziehung, in der das Subjekt Verursacher ist und das Objekt Wirkung zeigen muss.

Aber ist denn die Skepsis, dass wir modernen Menschen im Geben so gänzlich ungeübt sind, berechtigt? In vielen Berufen, den lehrenden, heilenden, helfenden, beratenden, ist doch genau diese Zuwendung zum andern tägliche Praxis. Hier geht es doch gerade darum, anderen nützlich, dienlich und hilfreich zu sein.

Vielleicht sind es gerade diese Professionen, in denen das, was der Religionsphilosoph Emma-nuel Lévinas mit aufrüttelnder Deutlichkeit die

„Verselbigung des andern“ nennt, besonders invasiv praktiziert wird. Er spricht sogar davon, dass wir den anderen zu unserer Beute machen. Vielleicht nehmen wir uns gerade in diesen noblen Berufen die Freiheit heraus, dem andern seine Andersheit zu bestreiten. Vielleicht finden gerade dort wahre Verstehensfeldzüge statt, in denen die Fremdheit des Fremden niederge-schliffen wird zur Angleichung an die eigenen Gütemaßstäbe. Verstehen kann durchaus ver-nichtend sein. Es lässt an andern nur das gelten, was sich meinem Verständnis, meinem Dafür-halten und meinen Richtigkeitsgewissheiten nicht widersetzt.

Wie steht es also um die Tätigkeiten, mit denen wir uns als ärzte, Lehrer, Therapeuten, Sozial-helfer, Erwachsenenbildner, Berater usw. anderen dienstbar machen? Wenn wir beraten, erziehen, belehren, verstehen und behandeln oder betreu en, dann vergehen wir uns doch nicht am Prinzip der Gegenseitigkeit. Vorsicht: All diesen Zuwendungen ist gemein, dass sie das Gegenüber, auf das sie zielen, in ein Akkusa-

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Marianne Gronemeyer

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Es gibt Dinge, die uns gegeben sind. Wir sind mit ihnen konfrontiert. Sie fordern uns, wir müssen uns ihnen stellen, mit ihnen umgehen. Zum Gegebenen, zu unseren Gaben gehören unser genetisches Erbe, unsere persönliche Veranlagung, die Kultur und das Klima, in dem wir geboren sind, die Umwelt, in der wir leben. Auch unsere Sinne und die Art, wie wir durch sie die Welt wahrnehmen, zählen zu diesen Gaben, zum Gegebenen. Diese Gaben mögen unveränderlich scheinen, doch gründen unsere Flexibilität, Kreativität und unsere Selbstbestim-mung – wie Carl Jung bemerkte – darin, was wir daraus machen und wie wir mit dem

„Gegebenen“ umgehen.

So gesehen ist in der Tat alles, dem wir ausge-setzt sind, ein Geschenk, das uns die Möglich-keit zur Freiheit eröffnet. Dann gibt es noch die im Verborgenen schlummernden Gegebenheiten oder Gaben. Dazu gehören die Fähigkeiten, die Menschen entwickeln können: Mitgefühl, die Fähigkeit Ver bin dungen zu erkennen, das Ver-ständnis dessen, was zu tun ist, die Fähigkeit, in Zusammenhängen zu denken, intuitiv das Rich-tige zu erfassen und das Geeignete zu tun.

Joseph Beuys prägte den Ausdruck „soziale Plastik“, um das kreative Potenzial hervorzuheben, das wir alle haben, das Potenzial, zu erkennen, was getan werden muss, und unsere Lebens-weise und sozialen Systeme entsprechend zu verändern. Im Mittelpunkt der Beuys’schen Auffassung, dass alles plastisch, im Fluss, wan-delbar ist, steht seine „Theorie der Skulptur“. Dabei handelt es sich um einen Prozess, bei dem „Bewegung“ die wichtige dritte Kraft zwischen den Gegensätzen „Chaos“ und „kris-talliner Form“ bildet.

Bei „Manresa“,1 einer seiner frühen Aktionen, spielt die Frage „Wo ist Element drei?“ eine zentrale Rolle. Für Beuys ist „Element drei“ der freie Mensch, die Fähigkeit eines jeden Men-schen, „Künstler“ zu sein, Leben und Gesell-schaft zu gestalten. Die Suche nach „Element drei“ ist die Suche nach dem, der verwandelt, nach dem, der etwas/sich bewegt. Sie richtet den Blick auf Möglichkeiten, dieses wahrneh-mende, sich entfaltende Wesen in uns zu ver-stehen und zu entwickeln, diesen „sozialen Skulpteur“. Sie ist auch, wie Beuys es beschrieb, der Versuch eines „erweiterten Kunst begriffs“.

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Autorin // Shelley SacksShelley Sacks, geb. in Südafrika, wohnhaft in Oxford, erforschte als Schülerin und später Mitarbeiterin von Joseph Beuys seine Ideen der sozialen Skulptur und die Beziehung von Imagination und transformativen Prozessen. Sie arbeitet seit über 30 Jahren in ver-schiedenen Kontexten an praktischer sozialer Entwicklung und zivilgesellschaft lichen Prozessen. Sie ist überzeugt, dass es möglich und notwendig ist, ein wirklich inter dis zi-plinäres Verständnis zu erlangen, und dass moralische Intuition dafür am wichtigsten ist.

Geben und ökologische Bürgerschaft Aus innerer Bewegung zur passenden Form

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1. Ein interessanter Text zu diesem Aspekt von Beuys’ „Manresa“ (1965) ist hier zu finden: www.sw.fh-jena.de/fbsw/profs/michael.opielka/downloads/doc/2000/Kunst_Den-ken_Vortrag_1999_Novalis.pdf

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Aber was hat das alles mit geben zu tun? Für gewöhnlich, wenn wir ans Geben denken, stellen wir uns etwas Wechselseitiges vor. Geben und Nehmen: eine Form des fairen und respektvol-len Austausches.

Aber es gibt auch andere Formen des Gebens. Anstelle eines Austausches könnten wir uns Geben als einen Akt vollkommener Großzügig-keit denken, bei dem wir nichts gewinnen: eine Möglichkeit loszulassen. Nachgeben. Oder auch geben als Akt der Wohltätigkeit. Wenn wir jedoch genauer hinsehen, erkennen wir, dass diese Art zu geben tatsächlich ein Nehmen ist. Eher ein eigennütziger Akt. Man möchte sich gut fühlen, weniger eingeengt durch Dinge oder Schuldgefühle, man möchte sich von unverhältnismäßigem Reichtum oder Einkom-men befreien oder einfach gemocht werden. Es gibt viele Arten des Gebets, viele Rituale, um den hungrigen Göttern zu opfern, unsichtbare Mächte zu beschwichtigen. Der Zehnte an die Kirche, Brandopfer, Spenden an Bedürftige. Wird Gott mich mehr lieben, mich mit Wohl-wollen betrachten? Wird Gott mein Opfer, meine Gaben annehmen? Oder muss ich noch mehr geben?4

Wenn ich gebe, um mich zu entlasten, mich weniger schuldig zu fühlen an Ungleichheit, kann es sein, dass ich mich mit „erkaufter“ Güte und Freundlichkeit belaste. Chögyam Trungpa sagt, wir müssen „spirituellen Materialismus“ genau so überwinden wie jede andere Form des mate-riellen Denkens. Sonst sammeln wir nur Güter auf einer anderen Ebene an: spirituellen Besitz, der viel schwerer wieder loszuwerden ist.5

Trotzdem müssen wir, um überhaupt geben zu können, unsere eigenen Bedürfnisse überwin-den, wenigstens für den Moment. Aber es wäre ein weiterer Fehler, dies als Verzicht zu verstehen. Geben ist etwas Überschwängliches, es hat nichts Unterdrücktes; es verdrängt nichts, hält nichts zurück: Verzicht ist eher eine Art, sich selbst zu schaden. In welcher Weise können wir also von geben sprechen? Wie kann ich die Bedürfnisse einer anderen Person, die Erforder-

Shelley Sacks

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Ein entscheidender Aspekt dieses erweiterten Kunstbegriffs ist unsere Vorstellungskraft2. Mit ihr können wir das Gegebene durchdringen, wir können erkennen, was getan werden muss, und wir können neue Formen entwickeln. Diese innere Aktivität befähigt uns, Formen zu schaf-fen, die im Einklang mit unserem Wesen als

„Künst ler“ und mit dem Geflecht miteinander ver-bundener Lebensformen steht. Mithilfe unserer Vorstellungskraft können wir einander wahr neh-men und achten, wir können uns eine Gemein-schaft ausmalen, die die Welt, die uns trägt, wachsen lässt und sie gleichzeitig bewahrt. Das Gegebene durchdringen und ihm eine geeig-nete Form geben ist also ein Prozess des ver-bundenen Gestaltens, des Schaffens einer sozi-alen Plastik.

Beuys’ berühmte „Fettecke“ verkörpert seine Theorie der Skulptur in provokativer, beispiel-hafter Form. In ihr vereinigen sich die drei Zustände des Seins, „Chaos-Bewegung-Form“, mit ihrem alchemistischen Pendant in Gestalt von „Schwefel-Quecksilber-Salz“. Die mensch-lichen Entsprechungen dieser Zustände – unbe-grenzte Formbarkeit (Chaos/Schwefel) am einen Ende des Spektrums und die geformten, oft auch verhärteten Haltungen, Gewohnheiten, Ansichten, Systeme (Form/Salz) am anderen – werden durch die dritte verändernde Kraft (Bewegung/Quecksilber) in eine dynamische Beziehung gebracht. Dieser quecksilbrige (mer-kurische) Anteil in uns, seine Verbundenheit und seine anteilnehmende Empfänglichkeit, fühlt, sieht, hört und erkennt, was getan werden muss, im eigenen Leben und in der Welt. Diese dritte, merkurische Kraft wird ange-trieben vom „Denken mit dem Herzen“3 – es ist ein Wissen, das nicht aus der Vernunft entsteht, sondern aus der Erfahrung des Notwendigen, des Unvollkommenen, des Schmerzes – diese Kraft rührt auf und um. Getragen vom Willen, der aus gelebter Erfahrung erwächst, bringt diese verbindende Kraft Bewegung in die Welt der Gegensätze: Sie erwärmt unangemessen verhärtete Formen und löst sie auf; sie bringt eine neue Dynamik in die Welt der festen Mei-nungen, Ansichten und Konzepte.

2. Siehe hierzu Arthur Zajonc: Cog-nitive-Affective Connections in Tea-ching and Learning: The Relation-ship between Love and Knowledge, www.arthurzajonc.org/uploads/JCAL Love and Knowledge paper.pdf. Der Artikel gibt eine kurze, aber relativ umfassende Erläute-rung dieses Vorgangs.3. James Hillmans Buch „Thought of the Heart“ (Dallas 1998) be-schreibt verschiedene Arten des Wissens. So auch Henri Bortoft in „The Wholeness of Nature”, das Goethes Ansatz von den verschie-denen Arten des Bewusstseins er-klärt.4. Viele dieser Arten des Gebens setzen Besitz voraus, obwohl wir in Wahrheit nichts besitzen, das wir geben können. Man kann nur er-kennen, wo etwas fehlt und es weitergeben. Oder wir können danken, nicht durch Gebete, son-dern indem wir Dankbarkeit zei-gen; richtig verstanden ist „Dank-barkeit eine würdevolle Haltung“ (Satish Kumar in seiner Vorlesung „On Being an Earth Pilgrim“, St. Mary’s Church, Oxford, November 2010)5. Chögyam Trungpa: Cutting through Spiritual Materialism, Bos-ton 1973

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Fähigkeit, sich das vorzustellen, was nicht in unmittelbarer Reichweite liegt.

Furcht ist ein anderes Hindernis für das Schen-ken von Aufmerksamkeit. Furcht hindert uns zu erleben, beeinträchtigt das genaue Beobachten und betäubt unsere Fähigkeit der lebendigen, teilnehmenden Wahrnehmung. Statt uns aus-zudehnen, die Begegnung zu suchen, uns zu beteiligen, zu umarmen, erstarren wir, ziehen uns zurück und vergraben uns in unserer eigenen Welt. Diese Welt ist eine in sich geschlossene. Es ist eine Welt, die verhärtet, eine Welt, die dem anderen nicht begegnen kann, die allem Unbekannten misstraut.

Deshalb ist die Auseinandersetzung mit unse-ren ängsten das erste Geschenk an uns selbst und an die Welt. Unsere Angst kontrollieren. Das erfordert Mut, weil ich mich mit bestimm-ten Dingen konfrontieren, andere aufgeben muss, und das ist nicht so einfach. Warum reagiere ich manchmal wie eine Schnecke, die ihre Fühler bei der leisesten Berührung einzieht? Wie schaffe ich es, trotz meiner Angst in die Welt zurückzukehren, was bedeutet, mich als verbunden zu erleben, im Gegensatz zu distan-zierter Isolation. Ich muss meine Aufmerksam-keit auf die „Wunde“ richten, auf das, was mich dazu bringt, meine inneren Fühler einzu-ziehen, auf das, was mich hemmt. Ich muss überwinden, was mich davon abhält, aus mir herauszugehen, was es mir unmöglich macht, im anderen bei mir und in der Welt zu sein.

Auch wenn es so scheint, als sei es selbstbezo-gen, den eigenen ängsten Aufmerksamkeit zu schenken, so ist es in Wirklichkeit Teil der Vorbereitung auf das Sakrament des Gebens. Den Willen aufzubringen, sich dieser inneren Welt der ängste und der Gewohnheiten, die mich von anderen isolieren, zu stellen, trägt dazu bei, den Willen zur Präsenz zu entwickeln, den Willen, dem unbekannten anderen mit Fantasie zu begegnen. Dieser Wille ist eine Wärmequelle. Und so wie Wärme Fett weich macht, die feste Erscheinung von Fett zum Fließen bringt – wie in Beuys’ „Fettecke“ impli-

nisse einer Situation erkennen und darauf rea-gieren, ohne selbstsüchtig zu agieren oder mir selbst zu schaden?

Die deutsche Sprache hat dafür einen Begriff: Aufmerksamkeit schenken.

Aufmerksamkeit schenken ist ein unverzicht-barer Teil des gemeinsamen Schaffens der

„sozialen Plastik“. Diese Art zu geben beruht auf lebhafter Beteiligung von Seele und Geist, die sich in Beziehung setzt zu allem, was ich sehe, erkenne und wahrnehme. So verstanden ist geben etwas, das aus einer inneren Bewegung entsteht – indem man aus der eigenen leben-digen inneren Bewegtheit auf den anderen zugeht.

Indem wir Aufmerksamkeit schenken, und dazu gehört „genaues Beobachten“ oder, wie Goethe es nannte, „zarte Empirie“,6 folgen wir Goethe in das Reich der lebendigen inneren Bewegtheit. Diese intensive und teilnehmende Art des Beobachtens gewährt mir sowohl den Zugang zur „Grundidee“, zur Ur-Form, als auch zu meinen eigenen Überzeugungen und mei-ner Art der Wahrnehmung. Durch dieses ver-bundene Sich–in-etwas-Hineinleben erlebe ich in mir selbst, wo etwas fehlt, was fehlt und wo ein Mangel besteht. Jedes Ding, das wir wirklich sehen, entwickelt nicht nur ein neues Wahr-nehmungsorgan in uns, es lässt uns seinen Ruf hören. Könnten wir uns mit unserer lebendigen Vorstellungskraft, in unserem Denken, den Flüssen unserer Erde nähern, wir würden sie als das erkennen, was sie wirklich sind: die Adern eines gigantischen Körpers. Wenn wir das, was wir erleben, durch kontemplatives Beobachten mit Information verbinden – was uns hilft, jene Aspekte zu erspüren, die wir nicht beobachten können –, wir würden um den Schmerz dieser gepeinigten Ströme wissen. Sich jedoch aus der Ferne einer Sache anzunehmen, ist eine weit schwierigere Dimension der moralischen Imagi-nation, als sich um Dinge zu kümmern, die in unserem Blickfeld liegen. Das ist eines der Hindernisse, die wir überwinden, eine der Fähigkeiten, die wir entwickeln müssen. Die

6. Johann Wolfgang von Goethe: Maximen und Reflexionen, Leipzig 1941, S. 97

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sung sieht privat und öffentlich als voneinander getrennte Bereiche an, sie versteht bürgerschaft-liches Engagement und Politik als Teile eines unpersönlichen, öffentlichen Bereichs, der sich in gewisser Weise von dem Bereich des Indivi-duellen unterscheidet. Die andere Betrachtungs-weise bürgerschaftlichen Engagements trifft diese Unterscheidung nicht. Nach dieser Betrach-tungsweise bewegen Personen sich immer in einem Umfeld, das sie und andere einschließt. Die frühe feministische These „Das Private ist politisch“ hat diese Sichtweise zum Ausdruck gebracht. Jede/jeder war dafür verantwortlich, das Patriarchat, das alle Lebensbereiche durch-drang, infrage zu stellen und zu verändern. Und dadurch fingen wir an zu begreifen, dass wir alle dazu beitragen, bestimmte Denkweisen aufrecht-zuerhalten. Ökologische Bürgerschaft erweitert unser Bewusstsein und den Bereich der morali-schen Intuition um die Verbundenheit mit allen Formen des Lebens und eröffnet so unwei-gerlich eine weit nachhaltigere Perspektive.

Als ökologisch Handelnde müssen wir uns, um Interaktion und Verbundenheit zu leben, um moralische Intuition zu entwickeln, mit Grund-fragen auseinandersetzen: Was tue ich in der Welt?10 Das bedeutet nicht, logische, kausale Antworten zu suchen und zu formulieren. Allein dadurch, dass ich mit dieser Frage lebe, trete ich in eine andere, aktivere Beziehung zur Welt. Ich erlebe ihre Mysterien. Ich arbeite in ihr und mit ihr. Wenn ich das Territorium dieser Frage aktiviere, wird meine Wahrnehmung angeregt und neue Erkenntnisse kommen zum Vorschein. Ein Teil meiner Arbeit an Transfor-mation, die aus dieser Art, Aufmerksamkeit zu schenken, entsteht, besteht darin, diese Wahr-nehmungen aufkommen zu lassen.11 Und so kann moralische Intuition aufscheinen und mich zum Handeln motivieren.

Als ökologisch Handelnde brauche ich auch ein Bild des Menschen, das ihn als Werdenden begreift. Nur dann kann ich die Wahrnehmungen in Bewegung setzen, mit deren Hilfe ich neue Arten des Lebens und des Interagierens mit anderen Lebensformen entdecke und ent-

ziert – bewirkt die Kraft des Willens, der Wärme, angetrieben von meiner inneren teilnehmenden Fantasie, dass ich in dem, was fest und (vor)gegeben erscheint, das veränderliche Potenzial erkenne. Ich fange an, in und durch die Vorstel-lungskraft zu leben, was nichts mit der Schein-welt der Ausgeschlossenheit zu tun hat. Einzig mithilfe der Imagination können wir uns mit der Welt auf eine Weise befassen, die Subjekt und Objekt vereint. Je mehr Aufmerksamkeit ich dem mir Unbekannten, dem Unbeachteten schenke – in mir wie auch „da draußen“ – desto mehr erschließt sich die Welt in mir. Und sobald ich ihre Stimme verstehe, ihr Leben, ihre Bedürfnisse, habe ich mehr Möglichkeiten, neue, brauchbare Formen zu schaffen. In mir gibt es einen Bereich, in dem diese Art der Erkenntnis geschehen kann. Ich muss ihn nur entdecken und betreten.

Aber diese konzentrierte Aufmerksamkeit ist anstrengend. Sie erfordert Willensstärke. Darum ist es außerordentlich wichtig, die Bedeutung des Wollens für den Bereich der menschlichen Transformation zu beachten. Anders als Materi-alien wie Fett oder Wasser, die ihre Beschaffen-heit durch äußere Einflüsse wie Temperatur verändern, erfordert das bewusste Handeln des Menschen den Akt des Wollens. Diese bewegte dritte Kraft, die in Verbindung treten will, indem sie sich der Sprache der Dinge nähert, der „Liebe zur Sache“, indem sie der Welt Beachtung schenkt, auf sie eingeht, bildet die Sphäre der Arbeit mit dem Willen, mit Wärme.7 Die Sphäre des „Sichvergegenwärti-gens“8, der Enthüllungen und des unmittel-baren Verstehens kann die moralische Intuition in Gang setzen. In dieser Sphäre sind Liebe und Wissen9 verbunden. Es ist auch eine Sphäre des teilnehmenden Wissens, die Grundlage der zuneigenden Fürsorglichkeit! Und diese ist die Verbindung zwischen der Sphäre der Wärme-Arbeit bzw. des verbindenden Denkens und bürgerschaftlichem Engagement.

Historisch und philosophisch wurde bürgerschaft-liches Engagement im Wesentlichen unter zwei Gesichtspunkten betrachtet. Die eine Auffas-

Shelley Sacks

7. „Liebe zur Sache“ nennt Joseph Beuys einen zentralen Aspekt des Schaffens der sozialen Skulptur, in dem es darum geht, den Willen zu wecken und zu stärken und mit der Welt aus Liebe zur Sache in Bezie-hung zu treten. Auf die Frage nach dem Zeichnen der inneren und äu-ßeren Welt antwortete Beuys, er zeichne nur, wenn etwas ihn „rufe“. Er sagte, dass die Dinge uns rufen, wenn wir sie annehmen, lieben und dass wir nur aus Liebe zur Sa-che arbeiten und nicht durch äuße-ren Druck handeln oder tätig wer-den können (zitiert nach eigenen Aufzeichnungen, Hamburg 1974). Für eine ausgezeichnete Auseinan-dersetzung mit dem Begriff der Wärme-Arbeit siehe: Wolfgang Zum-dick: Gong:h = der Mensch in PAN XXX ttt: Joseph Beuys als Denker, Stuttgart/Berlin 20028. C. Otto Scharmer prägte diesen Begriff, um den Prozess der aktiven Kontemplation zu beschreiben. Siehe hierzu: www.presencing.com/docs/ publications/execsums/Theory_U_Exec_Summary.pdf9. Arthur Zajonc beschreibt den Prozess der kontemplativen Unter-suchung und die Bedeutung der Liebe für die Entwicklung eines wachen, teilnehmenden Bewusst-seins in: Love and Knowledge: Re-covering the Heart of Learning Through Contemplation, Teachers College Record, Bd. 108, Nr. 9, September 2006, S. 1742–1759. Als Nachdruck erschienen in: The Journal of Cognitive Affective Lear-ning unter dem Titel: Cognitive-Af-fective Connections in Teaching and Learning: The Relationship bet-ween Love and Knowledge, www.arthurzajonc.org/uploads/JCAL Love and Knowledge paper.pdf10. Die Frage ist ein zentraler As-pekt des bürgerschaftlichen Pro-jekts (im Sinne der Beuys’schen so-zialen Plastik) „Ort des Treffens“, Hannover, Deutschland, 2009, mitt-lerweile als Bürgerinitiative weiter-geführt. Siehe: www.ortdestref-fens.de 11. „University of the Trees“ ist eine soziale Plastik, welche mittels kon-templativer Teilnahme im Sinne Goethes moralische Intuition ermög-lichen und „Wahrnehmung auf-kommen lassen“ möchte.

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ästhetik, die uns mit der Welt verbindet, steht in engem Zusammenhang mit der Fähigkeit zu antworten und zu fühlen. Verantwortung ist dann keine uns von außen auferlegte Pflicht, kein moralischer Imperativ, sondern eine orga-nische Aufnahmebereitschaft, die etwas mit teilnehmender Imagination und Verbundenheit zu tun hat. Sie ist das kostbare Ergebnis des Schenkens von Aufmerksamkeit. Abgesehen vom Geschenk des Lebens selbst, das her-zuschenken uns nicht zusteht, geht diese Form des Gebens allen anderen voraus. Sie ist das Geschenk, das uns andere Geschenke und For-men entdecken lässt, die wir brauchen, um eine lebensfähige Welt zu schaffen.

Wir finden uns umgeben von vielfältigen For-men eines zerstörerischen, destruktiven, aus-beuterischen und abtrennenden Handelns, das sich oft der Wahrnehmung entzieht, und brauchen deshalb neue Wahrnehmungsorgane, um den ganzen, so komplexen Horror zu erken-nen.12 Das werden wir nur tun können, wenn wir uns mit offenen Augen und offenem Her-zen in die Welt begeben, gewillt, sie zu uns sprechen zu lassen. Wir müssen ihren Schmerz teilen, müssen die Absurditäten der Erziehung, der Landwirtschaft, der Ökonomie in uns auf-nehmen, damit wir das unermessliche Leid der Natur erkennen und ihr größte kreative Auf-merksamkeit schenken. Der Stimme der Dinge zu lauschen, genau hinzuhören ist ein zentrales ethisches Prinzip moralischer Intuition. Diese Form des Präsent-Seins hilft uns, moralische Fantasie zu entwickeln, und wir erkennen die moralisch angemessene Handlung.13

Aus dem Englischen von Gitta Büchner

wickle. Ohne dieses aus dem Inneren aktivierte Bewusstsein werde ich in relativer Passivität verharren. Ich verbleibe im Privaten, da ich glaube, wenig verändern zu können. Obwohl innerlich aktiv zu werden also ein langsamer Prozess mit ungewissem Ausgang ist, steht er doch am Beginn der Transformation. Sobald ich anfange, ein Bild vom Menschen im Stadium des Werdens zu entwickeln, werde ich die Erfahrung machen, dass „eine andere Welt möglich ist“, und es fällt schwerer, passiv zu bleiben. Aufmerksamkeit zu schenken hat also tatsächlich eine mobilisierende Wirkung und verbindet die Grundform des Gebens mit ökolo-gischem bürgerschaftlichem Handeln.

Eine der größeren Fragen dreht sich um Arbeit, Kreativität, darum, was wir mit unserer Zeit anfangen. Und folglich auch um die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens, das die zerstörerischen, systematischen Verzerrungen überwinden könnte. Das bedingungslose Grund-einkommen ist eine Form des Gebens, die nichts mit Wohltätigkeit oder Güte zu tun hat. Es ist eine Form der Verbundenheit, die das In-der-Welt-Sein als ein Feld anerkennt, in dem es jedem menschlichen Wesen möglich sein sollte, sein kreatives Potenzial zu entwickeln.

Ein anderer großer Bereich der Wechselbezie-hungen betrifft unsere Haltung zur Erde, die davon abhängt, wie wir die Natur und den Sinn des menschlichen Lebens verstehen. Ist die Erde ein Planet, den wir in erster Linie um unserer selbst willen erhalten müssen, oder können wir unsere Kreativität dazu nutzen, schonende Wege des Fortschritts zu entwickeln, Wege, die alle Lebensformen achten und res-pektieren?

1998 wurde ich eingeladen, auf einer Konfe-renz der UNESCO zu Kultur und Entwicklung einen Vortrag zum Thema soziale Skulptur zu halten. Ich schlug vor, ästhetik neu zu definie-ren, und zwar als lebendig gemachtes Sein im Gegensatz zur Anästhesie oder Betäubung. So betrachtet wird alles, was unsere Beziehung zur Welt belebt, als ästhetisch verstanden. Eine

12. „Man kann den Schmerz der Bäume hören. Aber wir müssen neue Wahrnehmungsorgane ent-wickeln, damit wir diese Äußerun-gen der Welt hören können, damit wir ihre Bedeutung verstehen und neue Formen schaffen, die der Natur nicht noch mehr dieses im-mensen Leids zufügen.“ (Aufzeich-nungen einer Diskussion mit Beuys in Düsseldorf 1980. Siehe auch: www.universit yof thetrees.org/about/instruments-of-conscious-ness.html). Ähnlich äußert sich Beuys in einem Gespräch mit F. Mennekes in: Beuys on Christ, Stuttgart 1996. 13. „[Egoismus] ist oft ein Konglo-merat von außen gesteuerter Wün-sche, die sich als Eigeninitiative tarnen, im Gegensatz dazu ist mora lische Intuition ein selbstbe-stimmter Akt, der aus Liebe zur Be-deutung einer Tat entsteht. … Der Initiant oder Initiator, der sich um ein spirituelles Handeln aus dem Geist bemüht, muss lernen, seine Aufmerksamkeit von der sozialen Situation und der Notwendigkeit zu handeln abzulenken und sie auf den subtilen Bereich des Nichthan-delns zu richten. Dieser Wechsel der Aufmerksamkeit wird verstärkt, wenn er aus einem kontemplativen Bewusstseinszustand erfolgt. Mit dem Bereich des Nicht handelns ist ein Bereich des Sich-Öffnens, des Kommenlassens gemeint. Dieser innere Raum beherbergt die Mög-lichkeit, Handlungsfähigkeit spiri-tuell zu erfahren. In diesem inneren Raum wird es möglich, vom Geist der Initiative beschenkt zu wer-den.“ Otto Scharmer (www.pre-sencing.org) bezeichnet diesen Moment als presencing. Was in diesem Augenblick aufscheint, ist kein Ergebnis festgelegten Pla-nens, sondern das Ergebnis morali-scher Intuition.

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Shelley Sacks

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Den Begriff des Schenkens verbindet man nor-malerweise mit dem Bereich des Privaten. Man gibt Almosen, man schenkt zu Geburts- und Festtagen, man beschenkt Kinder mit größeren Geldbeträgen, man schenkt sogar ein Auto oder ein Haus. Man kann das als Schenkung zu Lebzeiten bezeichnen. Konkrete Zahlen über den Umfang solcher Schenkungen sind nicht bekannt.

Eine andere Qualität hat die Schenkung von Todes wegen, das Vererben von Geld- und Sach-vermögen beim Tod eines Menschen. Diese Schenkungen sind gesetzlich geregelt, aller dings vom Erblasser durch ein gültiges Testament gestaltbar. Auf den ersten Blick handelt es sich beim Erbe auch um eine persönliche, private Schenkung, aber angesichts der Größenord-nung gehen von diesen Schenkungen erheb-liche wirtschaftliche und gesellschaftliche Wirkungen aus. Nach Schätzungen werden in Deutschland jährlich etwa 200 Mrd. Euro ver-erbt.1

Ein weiterer Bereich sind Spenden an kirchliche oder karitative Organisationen, gemeinnützige Institutionen und auch an politische Parteien. Das Spendenaufkommen ist in Deutschland im

Jahr 2009 zwar um 3 % gegenüber dem Vorjahr gesunken, betrug aber immer noch über 2 Mrd. Euro.2

Stiftungen haben in den vergangenen Jahren in Deutschland eine immer größere Bedeutung erlangt. Einzelpersonen, Personengruppen oder Unternehmen statten eine juristische Person – eben eine Stiftung – mit Geld- oder Vermö-genswerten aus und legen über die Zweck-bestimmung die Verwendung der künftigen Erträge fest. Im Jahr 2009 gab es in Deutsch-land 17.372 Stiftungen,3 die überwiegend gemeinnützige und soziale Zwecke verfolgen, aber auch auf den Feldern von Wissenschaft und Forschung, Bildung und Erziehung, Kunst und Kultur sowie Umweltschutz tätig sind.4 Die Gesellschaft hat dazu festgelegt, welche Stif-tungszwecke zu steuerlichen Vorteilen führen. Alle Stiftungen zusammen verwalteten im Jahr 2008 ein Vermögen von 100 Mrd. Euro, die Erträge, die für die Stiftungszwecke zur Verfü-gung standen, betrugen in den Jahren 2008/09 durchschnittlich 4,4 %, also 4,4 Mrd. Euro.5

Aus dieser Darstellung von Schenkungen in Deutschland wird deutlich, dass Schenkungen, die wirtschaftlich relevant sind bzw. bestimmte

GeLDquaLItäteN: KauFGeLD, LeIHGeLD, ScHeNKGeLD

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Autor // Harald SpehlProf. Dr. Harald Spehl (Mainz), geb. 1940, Studium der Volkswirtschaftslehre. Forschungs- und Lehrassistent an den Universitäten Münster und Köln, 1973 bis 1975 Professor für Volkswirtschaftslehre in der Abteilung Raumplanung der Universität Dortmund, von 1975 bis zur Emeritierung 2007 Professor für VWL in Trier. Schwerpunkte: Regionalent-wicklung und -politik, Ökologie, Ökonomie und Sozialentwicklung. Seit 1990 Neuorien-tierung auf der Grundlage der Dreigliederung des sozialen Organismus.

Die Bedeutung von Schenkgeld in Wirtschaft und Gesellschaft

1. Spiegel Online 20082. Deutsche Welle 20103. Bundesverband Deutscher Stiftungen 2010 a4. Bundesverband Deutscher Stiftungen 2010 b5. Social Times 2008

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Autor // Christoph StraweProf. Dr. Christoph Strawe (Stuttgart), geb. 1948, Studium der Philosophie und Sozial-wissenschaft, Waldorfpädagogik. Politisches Engagement in der Studentenbewegung. Tätigkeit als Referent bei einem NS-Verfolgten-Verband und als Verlagslektor. Vortrags- und Seminartätigkeit u. a. an der Freien Hochschule Stuttgart. Buchveröffentlichungen, u. a. „Marxismus und Anthroposophie“. Geschäftsführer des Instituts für soziale Gegen-wartsfragen Stuttgart, Redakteur der Zeitschrift „Sozialimpulse“.

Menschen. Die Sachinvestitionen erfolgen zur Erhaltung, Verbesserung und Erweiterung der Produktionsmöglichkeiten, sie sind mit Risiken verbunden. Es scheint so, als hätten auch in diesem Zusammenhang Schenkungen keinen Stellenwert. Betrachtet man aber die Aufteilung der gesamten Wirtschaftsleistung auf den pri-vaten und den staatlichen Sektor, ergibt sich ein anderes Bild. Die Ausgaben des Staates betrugen im Jahr 2009 1.145,27 Mrd. Euro,8 bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt ergibt das einen Anteil von 47,6 % der wirtschaftli-chen Leistung, der vom Staat beeinflusst wurde. Neben den Ausgaben für die Kernbereiche der staatlichen Aufgaben wie Politik und öffentliche Verwaltung, innere und äußere Sicherheit fin-den sich hier die Personal- und Sachausgaben für die soziale Sicherung, für Bildung, Wissen-schaft und Kultur. Die Einnahmerechnung zeigt, dass diese Aufgaben und Ausgaben zum größten Teil durch Sozialbeiträge und Steuern finanziert werden.

In § 3 der Abgabenordnung wird der Begriff Steuern folgendermaßen definiert: „Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein.“9

Die Sozialversicherung stellt in Deutschland die wichtigste Institution der sozialen Sicherung dar. Es handelt sich um eine staatlich geregelte Vorsorge für wichtige Risiken des Daseins wie

Harald Spehl und Christoph Strawe

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Größenordnungen überschreiten, keine Privat-angelegenheit mehr sind, sondern eng mit Wirtschaft und Politik verflochten sind. Auf der einen Seite ist die Beteiligung der Gesellschaft an Schenkungen durch Besteuerung geregelt, auf der andern Seite werden Schenkungen steuer-lich bevorzugt, wenn sie bestimmte gesell-schaftlich festgelegte Zielsetzungen verfolgen.

Der eigentliche Wirtschaftsbereich der Gesell-schaft wird aber kaum mit dem Begriff des Schenkens in Verbindung gebracht. Hier soll gezeigt werden, dass dies zu Unrecht so ist, dass das Schenken als Institution in Wirtschaft und Gesellschaft eine sehr große Bedeutung hat, die aber in der Regel nicht genügend beachtet wird. Dies betrifft den gesamten Bereich der öffentlichen bzw. staatlichen Aktivi-täten in der Gesellschaft.

Die gesamtwirtschaftliche Leistung in Deutsch-land wird in der volkswirtschaftlichen Gesamt-rechnung erfasst.6 Das Bruttoinlandsprodukt, die Summe aller Ausgaben für Konsum, Brutto-investitionen und Exporte minus Importe, belief sich im Jahr 2009 auf einen Wert von 2.407,2 Mrd. Euro.7 Angesichts dieser Größenordnung erscheinen die eingangs genannten Schen-kungsbereiche nur von untergeordneter Bedeu-tung. Diese Sichtweise wird auch durch die allgemein übliche Behandlung des Geldes bestärkt. Geld wird verwendet für den Kauf von Konsumgütern (Kaufgeld) und Investitions-gütern (Leihgeld), die Kategorie des Schenkgel-des spielt keine Rolle.

Der Kauf von Konsumgütern dient der Lebens-grundlage und der Bedürfnisbefriedigung der

6. Statistisches Bundesamt 20107. Statistisches Bundesamt 2010: 6298. Statistisches Bundesamt 2010: 6519. Bundesministerium der Finan-zen 2010

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Vorgang vom Empfinden der Menschen getra-gen werden. Man kann sich daher vorstellen, dass im Zuge der weiteren gesellschaftlichen Ent-wicklung ein zunehmender Teil der „Zwangs-schenkungen“ durch freiwillige Schenkungen ersetzt werden kann, wenn sich das entsprech-ende Bewusstsein für die Notwendigkeit der Finanzierung dieser öffentlichen Aufgaben ent-wickelt und entsprechende Institutionen ge-schaffen werden.

Eine notwendige Voraussetzung dafür ist, die Zweiteilung von privat und Staat bzw. auch von Markt und Staat zu überwinden und die Gesell-schaft als dreigliederigen Organismus zu verste-hen: Damit mündige Menschen ihre sozialen Verhältnisse selbst gestalten können, müssen die Subsysteme von Kultur, Ökonomie und Staat sich selbstständig entwickeln und ohne Dominanz eines Systems über die anderen zusammenarbeiten können. Axiales Gestal-tungsprinzip der Kultursphäre ist dabei der Grundwert der Freiheit, das des Staates die demokratische Gleichheit und das der Ökono-mie die Solidarität.11

In der Wirtschaft werden Waren für die Bedürf-nisse der Menschen produziert, im staatlichen Bereich im engeren Sinn werden die rechtlichen Grundlagen für das Zusammenleben geschaffen und gesichert, als drittes Gebiet kommen Bil-dung, Wissenschaft, Kunst usw. hinzu. Ohne die finanzielle und damit wirtschaftliche Sicher-ung dieses dritten Bereiches kann keine Gesell-schaft existieren.

Es ist von zentraler Bedeutung zu verstehen, dass dieser dritte Bereich freibleibend mit Schenk-geld finanziert werden muss. Es geht eben nicht um den Kauf von Erziehungs-, Bildungs-, Pflege-, Wissenschafts- und Kulturleistungen durch den Staat, es geht hier auch nicht um renditeorientierte Investitionen.

Wenn Geld für Investitionen bereitgestellt wird, erwarten die Geldgeber, dass der Investor damit die Entwicklung von neuen oder verbesserten Produkten oder Verfahren oder die Errichtung

Krankheit, Unfall, Alter und Pflegebedürftig-keit, die von selbstverwalteten Versicherungs-trägern organisiert wird. Zur Sicherung des Beitragsaufkommens besteht für einen großen Teil der Personen und Organisationen eine Bei-tragspflicht. Die Ausgaben für die Leistungen eines Jahres werden überwiegend aus dem Beitragsaufkommen des gleichen Jahres bestrit-ten. Die Leistungen werden vorwiegend als für alle Versicherten gleiche Sachleistungen oder als beitragsabhängige Geldleistungen (z. B. Renten, Krankengeld) erbracht.10

Ohne an dieser Stelle auf die Unterschiede zwischen Steuern und Beiträgen zur Sozialver-sicherung einzugehen, soll festgehalten werden, dass es sich um politisch legitimierte Zahlungen handelt, denen keine direkte Gegenleistung entspricht. Man kann diese Zahlungsvorgänge daher als gesellschaftlich vereinbarte Schen-kungen oder auch „Zwangsschenkungen“ ver-stehen. Durch die Einrichtung eines Steuersys-tems und eines Systems der öffentlichen sozia len Sicherung hat die Gesellschaft einen Prozess organisiert, der sicherstellt, dass ausreichend Schenkgeld für die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben zur Verfügung steht. Die eingangs ange führten Bereiche freiwilliger Spenden bezie-hen sich daher auf Teilbereiche dieser öffent-lichen Aufgaben.

Der heutige Zwangsschenkungsmechanismus führt nur zu oft zu einer inhaltlichen Bestimmung des Staates über die finanzierten Gebiete – z. B. das Schul- und das Gesundheitswesen – und damit zur Beschneidung kreativer Freiheit, wo es sich eigentlich nur um eine die Freiheit schüt-zende Rechtsaufsicht handeln dürfte. Auch fördert er oft ein falsches soziales Empfinden: Wir erleben nicht die Geste des Ermöglichens durch Schenkung, sondern eine Beschneidung unseres Einkommens. Das heißt, wir vergessen, dass es sich letztlich um einen gesellschaftlichen Konsens über die Aufteilung der Wertschöp-fung handelt. Je bewusster die Verständigung darüber ist, was es an Schenkgeld in der Gesell-schaft braucht, je mehr Freiwilligkeit im Schen-ken erlebt wird, desto stärker wird der ganze

10. Wikipedia 201011. Steiner 1919/1961, Spehl 2004

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Der Staat hat die Aufgabe, die notwendige Finanzierung der genannten Gesellschaftsbe-reiche sicherzustellen, nicht aber deren Inhalte festzulegen. Der Beschluss von Bund und Län-dern beim Dresdner Bildungsgipfel 2009, bis zum Jahr 2015 die Ausgaben für Bildung und Forschung auf 10 % des Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen, kann durchaus als ein Schritt in dieser Richtung gesehen werden.13 Es kann auch nicht darum gehen, den staatlichen Ein-fluss durch eine inhaltliche Bestimmung dieser Bereiche durch die Wirtschaft zu ersetzen. Die Wirkung des Schenkgeldes in den genannten Bereichen ist umso größer, je freier die dort Täti-

gen in der inhaltlichen Bestimmung ihrer jewei-ligen Tätigkeiten sind. Das erfordert allerdings auch eine Entwicklung zu mehr Selbstverwal-tung, Transparenz und gesellschaftlichem Dialog in diesem dritten Bereich der Gesellschaft.14

Das Verständnis der großen Bedeutung des Schenkens und des Schenkgeldes für die Gesell-schaft ist die Voraussetzung dafür, den richti-gen Umfang und die Verteilung der Wertschöp-fung eines Landes zwischen den Institutionen der Wirtschaft, des Staates und des kulturellen Sektors im hier weit verstandenen Sinne auszu-handeln und zu vereinbaren.15

Der Übergang von der heute überwiegenden Sicherung und Bereitstellung des Schenkgeldes durch den Staat zu Vereinbarungen der genann-ten Sektoren mit der Gesellschaft kann sicher nur in Schritten erfolgen. Es kann nicht dem Urteil von Einzelpersonen oder Unternehmen über-

von Produktionsanlagen finanziert, die das Leis-tungsangebot erweitern oder verbessern. Solche Investitionen sind mit dem Risiko des Scheiterns und damit des Verlustes des bereitgestellten Kapitals verbunden. Bei erfolgreichen Investitio-nen stehen dem Geldgeber die Rückzahlung der eingebrachten Mittel und je nachdem, ob es sich um eine Kapitalbeteiligung oder eine Kreditver-gabe handelt, ein Anteil am Ertrag oder eine Zinszahlung zu.

Je näher die so finanzierten Investitionen dem direkten Erzeugungs- und Verteilungsprozess in der Wirtschaft stehen, umso eindeutiger und klarer kann der Verwendungszweck im Investi-tionsbereich festgelegt werden. Je weiter sich die Investitionen auf den Forschungsbereich in den Unternehmen beziehen, umso unsicherer und risikoreicher werden sie. Je weiter die Mittel-verwendung in die Grundlagenforschung geht, umso mehr wird das Geld, statt Leihgeld oder Risikokapital zu sein, faktisch zu Schenk geld. Es ist daher nachvollziehbar, dass der größte Teil der Grundlagenforschung nicht in Wirtschafts-unternehmen, sondern in öffent lichen Forsch-ungs einrichtungen erfolgt, die mit Steuermitteln, also Schenkgeld, finanziert werden. Dieses Geld wird überwiegend vom Staat bereit gestellt ohne die Erwartung von Rückzahlungen oder direk-ten Renditen. Dadurch werden aber Freiräume geschaffen, in denen ganz neue Erkenntnisse oder Entwicklungen geschehen können, die dann die Grundlage für eine hohe gesamtgesell-schaftliche Rendite bilden. Ent spre chendes gilt für den Bildungs- und Kultur sektor. Es ist daher schon vom Begriff her falsch und irreführend, von Investitionen in Bildung, Forschung und Kultur zu sprechen.

Gerade durch die Krisen der letzten Jahre ist deut-lich geworden, dass sich auch mit dem Begriff

„Finanzinvestition“ eine falsche und gefährliche Verwendung des Investitionsbe griffs eingebür-gert hat. Durch den Fluss des Geldes in diese Verwendungen löst sich das Geld zunehmend von der wirtschaftlichen Realität ab, es bilden sich spekulative „Blasen“. Wesent licher ist aber, dass es in der Sphäre des Schenkgeldes fehlt.12

Harald Spehl und Christoph Strawe

12. Spehl/Strawe 200913. Frankfurter Rundschau 2009; Jaich 200914. Strawe 200315. Steiner 1919/1961

JE BEWUSSTER DIE VERSTäNDIGUNG DARÜBER

IST, WAS ES AN SCHENKGELD IN DER GESELL-

SCHAFT BRAUCHT, DESTO STäRKER WIRD

DER GANZE VORGANG VOM EMPFINDEN DER

MENSCHEN GETRAGEN WERDEN

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geht, mit dem die Individuen Leistungen der Einrichtungen kaufen, sondern dass sie mit ihrem Gutschein die Voraussetzung für die Ent-wicklung dieser Einrichtungen schaffen.

Bundesministerium der Finanzen: Steuern, 2010, www.zoll.de/b0_zoll_und_steuern/a0_steuerrecht/a0_grundl_begriffe/f0_steuern/index.html (24.11.2010) Bundesverband Deutscher Stiftungen (2010 a): Stiftungen in Zahlen 2009, www.stiftungen.org/uploads/tx_templavoila/Stiftungszah-len_2009_BVDS_01.jpg (23.11.2010) Bundesverband Deutscher Stiftungen (2010 b): Verteilung der Stif-tungszwecke, www.stiftungen.org/uploads/tx_templavoila/statistik_ost_west_gross.jpg (23.11.2010) Deutsche Welle: Deutsche spenden weniger – ein bisschen, 8.4.2010, www.dw-world.de/dw/article/0,,5444119,00.html (23.11.2010) Frankfurter Rundschau: Dresdner Bildungsgipfel, Wichtige Ziele bleiben unerreicht, 31.3.2009, www.fr-online.de/wissenschaft/-wichtige-ziele-bleiben-unerreicht-/-/1472788/3216340/-/index.html (24.11.2010) Herrmannstorfer, Udo: Zur sozialorganischen Bewältigung des Geld-wesens, in: ders., Scheinmarktwirtschaft. Arbeit, Boden, Kapital und die Globalisierung der Wirtschaft, Stuttgart 1997 Jaich, Roman: Reicht das Zehn-Prozent-Ziel des Dresdener Bildungs-gipfels für eine nachhaltige Reform des Bildungssystems? Hans-Böckler-Stiftung, 2009 Social Times: Stiftungsreport 2008. Stiftungen sollen Vermögen besser mehren, 2008, http://reset.to/blog/stiftungsreport-2008-stif-tungen-sollen-vermoegen-besser-mehren Spehl, Harald: Ökonomie aus anthroposophischer Sicht, in: Jochim-sen, Maren A./ Kersting, Stefan/ Knobloch, Ulrike (Hrsg.): Lebens-weltökonomie, Bielefeld 2004, S. 83–99 Spehl, Harald/ Strawe, Christoph: Wirtschafts- und Finanzkrise – und kein Ende? Wie kommt Vernunft in die wirtschaftlichen und sozialen Prozesse?, in: Sozialimpulse, Heft 3, 2009 Spiegel Online: Erben in Deutschland, 2008, www.spiegel.de/sptv/special/0,1518,druck-540166,00.html (23.11.2010) Statistisches Bundesamt: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Statistisches Jahrbuch 2010, S. 623–659, www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Navigation/Publikationen/Fach-veroeffentlichungen/VGR,templateId=renderPrint.psml__nnn=true (24.11.2010) Steiner, Rudolf: Die Kernpunkte der sozialen Frage, Dornach 1919/1961 Steiner, Rudolf: Nationalökonomischer Kurs, Dornach 1922/2002 Strawe, Christoph: Freiheit. Gestaltungsprinzip des geistig-kulturel-len Lebens. Teil II: Freiheit und Selbstverwaltung, in: Rundbrief Dreigliederung des sozialen Organismus, Nr. 4. 2003 Strawe, Christoph: Steuerreform, in: Sozialimpulse, Heft 3, 2010 Wikipedia. Sozialversicherung (Deutschland), http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialversicherung_(Deutschland)#Rechtsform (24.11.2010)

lassen bleiben, wie viel Geld für die einzelnen Bereiche von Bildung, Forschung, Gesundheits-wesen usw. oder gar für einzelne Institutionen bereitgestellt wird. Es bedarf also einer gesell-schaftlichen Rahmensetzung, innerhalb derer durchaus eine schrittweise Ersetzung der heuti-gen Form der staatlichen Finanzierung erfolgen kann.

Ansätze dazu kann man in den eingangs geschilderten Regelungen für private Schen-kungen und für Stiftungen sehen. Auch ist ein Steuersystem denkbar, das die Leistungsent-nahme und nicht die Leistung besteuert und damit zugleich Schenkungen für die Schenken-den gänzlich steuerfrei stellt.16 Weitergehende Überlegungen beziehen sich auf eine änderung des Geldsystems im Sinne einer „orga nischen Geldordnung“, in der sich Geld nie stauen und Blasen werfen kann, sondern zuletzt immer Schenkgeld werden muss.17

Eine bereits heute viel diskutierte Möglichkeit, die mit der staatlichen Finanzierung verbundene inhaltliche Bestimmung im geistig-kulturellen Leben abzubauen, ist der Übergang von der bis heute vorherrschenden direkten staatlichen Finanzierung kultureller Einrichtungen zur Aus-stattung der „Kulturempfangenden“ mit ent-sprechenden zweckgebundenen Einkommens-anteilen durch den Staat, der dadurch nur mehr Treuhänder der Finanzmittel wäre. Die Grund-finanzierung der Einrichtungen des Gesundheits-, Bildungs- und Kulturwesens muss durch die Gesellschaft gesichert werden und kann nicht dem Einzelnen überlassen werden, insofern haben diese Einrichtungen Infrastrukturcharak-ter. Die Wahlfreiheit der Nutzer solcher Einrich-tungen und auch ihr Einfluss auf deren innere Gestaltung und Entwicklung kann nun dadurch gestärkt werden, dass der Staat den Individuen das Schenkgeld in Form von Gutscheinen oder Guthaben für bestimmte Verwendungen zur Verfügung stellt. So würden etwa Eltern einen Bildungsgutschein für ihre Kinder erhalten, den die Schulen beim Staat einlösen könnten. Für die Ausgestaltung wird wesentlich sein, dass deutlich wird, dass es dabei nicht um Kaufgeld

Harald Spehl und Christoph Strawe

16. Strawe 201017. Steiner 1922, Herrmannstorfer 1997

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Geld erhält seine Bedeutung und Bestimmung von den sozialen Prozessen, in denen es Ver-wendung findet. ändert sich deren Qualität, so muss auch das Geld eine andere Funktion über-nehmen. Unterschiedliche soziale Beziehung s-qualitäten führen zu der Gelddifferenzierung von Kauf-, Kredit- und Schenkungsgeld.1 Dabei konzentriert sich das gegenwärtige Geldver-ständnis vor allem auf Kauf- und Kreditgeld, während die Rolle des Schenkungsgeldes in ihrer Bedeutung noch kaum gewürdigt wird. Wird diese Unterscheidung nicht geleistet (Geld ist Geld!), beginnen die Verwirrungen beim Ver-stehen und als Folge dessen auch beim Han-deln. Nur so ist zu erklären, dass der Entschluss einer Gruppe von Milliardären, testamentarisch einen maßgeblichen Teil ihres Vermögens in gemeinnützige Stiftungen zu verwandeln, von vie len als Prototyp einer philanthropischen Lösung sozialer Probleme gelobt wird. Andere dagegen sehen die Lösung darin, Spekulations-werte, wie sie in der Finanzkrise offenbar gewor-den sind, durch staatliche Dekrete für andere,

„sozialere“ Zwecke umzunutzen. Spekulieren ja, aber sinnvoll verwenden! Der Beispiele sind viele. Die äußere Bewältigung der Krise, in der sich das gesamte Geld- und Finanzwesen gegenwärtig befindet, ist noch immer mehr mit sozialen

Umbuchungen beschäftigt als mit wirklichen Lösungen. Wie kann man die scheinbar unüber-schaubaren Geld- und Kapitalprozesse so ordnen, dass es möglich wird, gesundend einzugreifen? Jeder Lösung muss eine innere Klärung voraus-gehen. Dazu gehört das um die Schenkung erweiterte Verständnis der Geldprozesse, zu dem dieser Aufsatz beitragen will und in dem sich die Phänomene ordnende Kraft des Begriffsbildes Rudolf Steiners vom dreistufigen Geldprozess in ihrer Bedeutung und Praxisrelevanz zeigen wird.

Kaufgeld: der organisierte Wertetausch // Unser ganzes Leben beruht auf Tauschvorgängen. Wir haben gelernt, wechselseitig für die Bedürf-nisse anderer zu arbeiten, sind aber dadurch auf den Leistungsaustausch untereinander angewie-sen. Diese umfassende Wertezirkulation kann nur mithilfe des Geldes bewältigt werden. Geld erlaubt, ursprünglich in sich abgeschlossene Tauschvorgänge (Produkt gegen Produkt) räum-lich und zeitlich in die beiden Hälften Verkauf (Produkt gegen Geld) und Einkauf (Geld gegen Produkt) zu trennen. Aufgrund des in Geld aus-gedrückten Preises kann sich alles mit allem auf direktem Wege tauschen. Zwischenschritte sind nicht mehr notwendig. Diese geniale Verein-fachung hat erst die globale Ausweitung der

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Autor // Udo HerrmannstorferUdo Herrmannstorfer, Dornach/Schweiz. Wirtschaftsausbildung und -praxis, Berater, Mitbegründer assoziativer Zusammenarbeitsformen. Leiter des Instituts für zeitgemäße Wirtschafts- und Sozialgestaltung in Dornach. Sozialwissenschaftliche Studien und Publikationen, z. B. „Scheinmarktwirtschaft: Die Unverkäuflichkeit von Arbeit, Boden und Kapital“; internationale Vortrags- und Seminartätigkeit.

Schenken – mehr als eine großmütige Geste?

1. Die dem Aufsatz zugrunde lie-gende Unterscheidung der Geld-prozesse in die drei Qualitäten „Kaufgeld“, „Leihgeld“ und „Schen-kungsgeld“ wurde von Rudolf Stei-ner skizziert und z. B. im „Nationa l-ökonomischen Kurs“ (GA 323) dargestellt.

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„Kreditgeld“ spricht. Beim Kredit kommt es nicht mehr in erster Linie darauf an, was man dafür kaufen kann, sondern was daraus gemacht wird. Während gespartes Kaufgeld immer priva-tes Guthaben ist, sind die daraus geformten Kredite keine Privatschulden der Unternehmer, da die durch sie ermöglichten Leistungen immer zugunsten anderer hergestellt werden. Investitionskapital ist seinem Charakter nach Sozialkapital.

Produktionskredite führen in der Regel gegen-über dem vorherigen Zustand zu einem Mehr-wert, den man monetär als Verzinsung des ein ge-setzten Kapitals bezeichnen kann. Davon erhält der Geldgeber einen vereinbarten Anteil. So pro-blematisch der Zins im Kaufgeldbereich wirkt, da er beim Kreditnehmer zu einem Weniger in der Zukunft führt – im Kreditgeldbereich bedeutet Zinszahlung, dass der Kreditnehmer einen Anteil eines erarbeiteten Mehrwertes erhält. Ist kein Mehrwert da, entfallen auch die Zins zah-lun gen. Diese auf Wertschöpfung gestütz te Verzinsung wird Rendite genannt und ist z. B. auch islamischen Banken erlaubt, die ansons-ten dem Zinsverbot unterliegen. Die moderne Zinsfrage hat auf richtige Weise ihre Ursprünge im Kreditgeld und nicht im Kaufgeld.

Das Prinzip der Mehrwertteilung wird bei uns nur im Falle von haftendem Kapital, dem Eigen-kapital, angewendet, während alle anderen Kredite fest verzinst werden. Feste Verzinsung, die unabhängig von der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens gezahlt werden muss, macht aus einem Produktionskredit einen Kon-sumkredit und bedeutet somit einen sozialen Rückfall.2

Im Unterschied zum Kaufgeld müssen Kredite auch zurückgezahlt werden. Diese Rückzahlung muss der Kreditnehmer nicht persönlich leisten, sondern sie erfolgt durch einen entsprechen-den Preisanteil (Abschreibung). Nicht jede Prog-nose erfüllt sich. Es ist ein zentrales Thema der Kreditgeldsphäre, wie mit dem Risiko umgegan-gen wird, dass ein Kredit oder ein Teil davon nicht das leistet, was erwartet wurde.

Udo Herrmannstorfer

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realen Arbeitsteilung ermöglicht. Das an den Leistungsaustausch gebundene und ihm dienende Geld kann man „Kaufgeld“ nennen. Sein Wert ist die Kaufkraft und nicht sein Stoff.

Die Vorteile der Geldtauschwirtschaft sind beein-druckend, werfen aber eine neue soziale Frage auf: In welchem Verhältnis sollen die getausch-ten Werte und damit auch die beteiligten Men-schen stehen? Denn Preise sind Verhältnis-zahlen. Wann aber ist das Austauschverhältnis sozial „richtig“, wann wird es beiden Seiten

„gerecht“? Man hat lange Zeit die Beantwor-tung dieser Frage den Marktkräften überlassen und bemerkt nun, dass wir z. B. durch unser Kaufverhalten die Preisverhältnisse und damit die Lebens- und Arbeitsbedingungen anderer Menschen mit verursachen und beeinflussen. Wir können nicht länger in der Zuschauerrolle bleiben, sondern beginnen uns zu fragen, auf welche Weise wir die auftretenden Ungleich-gewichte und Ungerechtigkeiten ausgleichen können. Die gegenwärtige Weltlage ist durch-hallt von dem Ruf nach sozialer Gerechtigkeit, fairen Preisen usw.

Kreditgeld: Eingangstor wirtschaftlicher impulse // Geldvermittelter Leistungstausch setzt Produktion und Bedürfnisse als vorhan-den voraus. Neue Produktionsimpulse dagegen benötigen meist große Summen von Kaufgeld als Investitionskapital, bevor auch nur ein ein-ziges Produkt hergestellt werden kann. Damit wird die wichtigste Tauschregel außer Kraft gesetzt, die besagt, dass die Leistung, die getauscht werden soll, bereits vorhanden ist. Im Moment des Kapitalbedarfs sind aber nur ein ideeller Plan vorhanden und der Glaube, dass er realisierbar ist (daher das Wort „Kredit“). Für das Investitionskapital müssen deshalb die Sparleistungen vieler gesammelt und zu Kre di-ten umgeformt werden. Banken haben die Auf-gabe, den Sparanteil aus den Geldbewegungen herausfiltern und zu Investitionskapital zu ver-dichten.

Für Kredite gelten im Vergleich zum Kaufgeld andere soziale Regeln, sodass man besser von

2. Hier soll stellvertretend für ande-re Überlegungen darauf hingewiesen werden, dass es selbstverständlich entsprechender Einrichtungen zu ihrer Realisierung bedarf. Anderer-seits ist die Bereitschaft notwen-dig, als falsch erkannte Regelun-gen zu verändern, auch wenn man von ihnen begünstigt wurde. So muss man Sparern verdeutlichen, dass Spargeld nicht sicherer sein kann als die Verhältnisse, in denen es eingesetzt wird.

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und Impulsen zuwenden kann. Geld, das ohne Vorleistung und ohne Rückzahlungspflicht über-tragen wird, kann man „Schenkungsgeld“ nen-nen. Es erhält seinen Wert durch die Bestim-mung, die ihm sein Empfänger in der Zukunft selbst verleiht. Schenkungsgeld unterscheidet sich gerade dadurch von den beiden anderen Geldarten, dass wesentliche Gesetzmäßigkeiten des Kauf- und Kreditgeldes außer Kraft gesetzt werden.

Der Schritt zum Schenkungsgeld beruht auf der Anerkennung der Tatsache, dass es neben dem engeren Wirtschaftsleben, das der Produktion und Verteilung von Produkten dient, noch viele andere Lebensbereiche gibt, die auf die ökonomi-sche Güterversorgung angewiesen sind, sich aber selbst nach anderen als ökonomischen Zwecken und Zielen richten. Während zur Sphäre der Produktion und Verteilung nur die darin Täti-gen gehören, umschließt der Konsum als dritter Bestandteil ökonomischer Betätigung die Gesamt-heit der gesellschaftlich verbundenen Menschen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Einrich-tungen zu bilden und Regelungen zu finden, durch die Schenkungsgeld sich aus den beiden Sphären des Kaufgeldes und Kreditgeldes heraus-bildet, um die nichtökonomischen Bereiche zu ermöglichen.

Die auf die Qualität des Schenkungsgeldes ange-wiesenen Lebensbereiche sind ausgedehnter, als zunächst angenommen. Dazu gehören viele heute beim Staat angesiedelte Aufgaben wie Sozialeinkommen, Erziehungs- und Bildungsaus-gaben und Kultureinrichtungen. Die meisten Schenkungsvorgänge werden allerdings nicht als solche bezeichnet, sondern tragen zweck-spezifische, manchmal aber auch verzerrende oder durch Vorurteile belastete Namen, z. B. Steuern, Sozialabgaben, Kindergeld, Sozialhilfe usw.

Schenkungsprozesse im Kaufgeldbereich // Würde man die sozialen Verhältnisse allein auf die Gesetzmäßigkeiten des Kaufgeldes grün-den wollen, so müsste jeder Mensch auf beiden Seiten, leistend und konsumierend, am Tausch-

Die Entwicklung des Kreditwesens konfrontiert uns mit der Verantwortung dafür, welche Impulse aus welchen Motiven auf dem Kreditwege in die Sozialität hereingerufen werden. Vor allem besteht die Gefahr, dass die Erzielung einer Rendite selbst zum bestimmenden Motiv der Kreditgewährung wird und die eigentlichen Leistungsziele verdrängt. Der Charakter des Kredites als Sozialkapital ginge verloren.

Schenkungsgeld: die Frage nach dem anderen menschen // Geld, das nicht für Konsumzwecke ausgegeben wird, ist Investi-tion, so der Ökonom Keynes. Eine dritte Ver-wendungsart ist bei ihm per Definition nicht möglich. Beobachtet man dagegen die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen, dann bemerkt man Geldbewegungen, die weder dem Muster des Tauschens noch demjenigen des Kredites entsprechen, aber dennoch Züge von beidem an sich tragen. Kindererziehung z. B. verursacht ohne Zweifel einen Mehraufwand bei den Lebenshaltungskosten einer Familie und muss deshalb beim notwendigen Einkommen auf der Kaufgeldebene berücksichtigt werden. Das Erziehungsgeld betrifft aber nicht die arbei-tenden Erwachsenen, sondern ist den Kindern gewidmet. Diese sind während ihrer gesamten Schul- und Erziehungszeit von jeder wirtschaft-lichen Betätigung freigestellt. Sie erhalten zwar Kaufgeld, aber ohne die sonst notwendige Gegen leistung. Es läge auch nahe, von einer

„Investition in Bildung“ zu sprechen unter dem Hinweis, dass sich Bildung als Grundlage eige ner Berufsausübung erst in der Zukunft auszahlt. Aber auch diese Interpretation hinkt, denn im Gegensatz zum Kredit muss das Kind später weder das Erziehungsgeld zurückbezahlen noch verzinsen. Das Kind muss auch keinen vorab definierten Geschäftsplan für sein späteres Leben vorlegen. Deshalb ist der Ausdruck Bil-dungsinvestition nicht sonderlich hilfreich, son-dern ruft eher die Kräfte herbei, die gerne bestimmen möchten, dass in der Zukunft ihr Wille geschieht. „Wer zahlt, befiehlt!“ – Erzie-hungseinkommen als Schenkung dagegen schafft Verhältnisse, in denen sich das Kind später belastungsfrei den dann angesagten Aufgaben

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in den beiden anderen Geldsphären gesucht wer-den. Im einen Fall wird der Sonderabschrei bungs-bedarf über Haftungsansprüche an den Kredit-nehmer in eine Privatschuld verwandelt und damit in die Kaufgeldebene verlagert; dort aber wirkt er wie ein überdimensionierter Konsum-kredit und ruiniert die Betroffenen. Der Lösungs-versuch auf der Kreditebene besteht zum einen darin, für die jedem Kredit innewohnende Unsich erheit vom Kreditnehmer „Sicherheiten“ in Form von vorhandenen Vermögenswerten

oder -ansprüchen des Kreditnehmers zu fordern. Ihre Verwertung soll die Sicherheitslücke schlie-ßen. Damit wird der Kerngedanke des modernen Kreditwesens, sozialen Impulsen den Weg in die Sozialität zu öffnen, ohne Rücksicht auf die Vermögensvergangenheit des Initianten schwer beschädigt. Kredit erhält nur, wer schon ver-mögend ist! Zum anderen werden überhöhte Verzinsungen und Renditen gefordert, durch die das Risiko bereits vorbeugend kompensiert oder zeitlich verkürzt werden soll. Damit schieben sich unnatürlich hohe Renditeziele über die ursprünglichen sozialen Leistungsmotive. Beide Wege wirken zerstörerisch auf die sozialen Ver-hältnisse, weil sie dem Schritt zur Schenkung ausweichen wollen.

Bewusstseinswandel tut not // Schenkungs-prozesse durchziehen das ganze soziale Leben. Wo sie fehlen und durch Kauf- bzw. Kredit-vorgänge ersetzt werden, wird der soziale Orga-nismus krank. Dagegen steht die vehemente Ablehnung der meisten Ökonomen, das Schen-kungsgeld als eigenständige Qualität anzuer-kennen. Der Hauptgrund liegt darin, dass im Schenkungsbereich die „unerbittlich“ regulie-renden Marktgesetzmäßigkeiten (Leistung nur gegen Leistung; Vorleistungen müssen verzinst

prozess beteiligt sein. Vollbeschäftigung ist deshalb die Lösung aus der Sicht des Kaufgel-des. Die Erfüllung der Forderung nach gerech-ten und auskömmlichen Teilungsverhältnissen wird dagegen von den meisten Ökonomen noch abgelehnt mit dem Hinweis auf die außer-halb menschlicher Verantwortung liegenden Marktkräfte. Die entwürdigende Diskussion um Mindestlöhne, Ein-Euro-Jobs, „working poor“ usw. zeigt, dass diese Aufgabe der Kaufgeld-ebene noch nicht in ausreichendem Umfang ergriffen wurde.

Nun gibt es aber eine Fülle von Tatbeständen, bei denen auch die erste der Bedingungen nicht erfüllt ist oder nicht erfüllt werden kann. Bei Krankheit, Arbeitsunfähigkeit, Invalidität, Pensionierung, Kindererziehung oder Arbeits-losigkeit besteht ein existenzieller Bedarf an Geldeinkommen, ohne dass in diesem Moment eine ökonomische Gegenleistung oder eine spätere Rückzahlung möglich wäre. Das jedoch zeichnet das Schenkungsgeld aus, für das nur menschliche, nicht aber betriebswirtschaftliche Gründe zählen. Zwar sind für die meisten dieser Situationen spezifische Lösungen entwickelt worden; man merkt ihnen aber an, dass sie jeden Anschein von Schenkung vermeiden wol-len. Die Folge davon ist, dass man mit diesen Zuständen nicht ihrer Eigenheit gemäß umgeht, sondern sie aus der Sicht von Kauf- und Kredit-geld wie unerwünschte und zu beseitigende Störfälle empfindet. Durch die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen ist die dringend notwendige Klärung des Verhält-nisses von Kaufgeld und Schenkungsgeld auf der gesellschaftlichen Agenda angekommen.

Schenkungsprozesse im Kreditbereich // Auch im Kreditgeldbereich entsteht ergänzender Bedarf nach Schenkungsvorgängen. Eine erste Notwendigkeit ergibt sich bereits aus dem Kredi-tierungsvorgang selbst: Es handelt sich um den Abschreibungsbedarf, der sich daraus ergibt, dass nicht alle kreditierten Initiativen das gesteckte Ziel erreichen. Der unerfüllte Teil der Kredite müsste eigentlich bewusst in eine Schenkung aufgelöst werden. Geschieht dies nicht, so muss die Lösung

DIE MEISTEN SCHENKUNGSVORGäNGE WERDEN

NICHT ALS SOLCHE BEZEICHNET, SONDERN TRAGEN

ZWECK SPEZIFISCHE NAMEN

Udo Herrmannstorfer

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Verkäuflichkeit und handelbarkeit von Eigentumsrechten an den Börsen // Dass man auch Eigentumsrechte als Unternehmens-anteile wie Waren handeln kann, führt dazu, fiktive spekulative Erwartungswerte wie Rea-lien zu behandeln. Die durch den Kauf vollzo-gene „Geldwäsche“ führt zur Unterscheidungs-losigkeit zwischen realen und irrealen Werten und schafft jene Diskrepanzen, die jede gesunde soziale Empfindung kränken, wie die gegenwärtige Diskussion um Boni, Manager-gehälter und gigantische Vermögenswerte zeigt. Stand am Anfang noch die Idee, den Unter-nehmen dasjenige Kapital zuzuführen, das sie für ihren Leistungsprozess benötigen, so kon zen-trieren sich heute alle Anstrengungen auf die Kursentwicklung und die Verzinsung des Kapi-tals. Damit wird der Mehrwert der Kreditgeld-sphäre, der als Schenkung in den sozialen Umkreis fließen könnte, renditebildend an die Bewertung des Eigentums der Unternehmungen gebunden und damit sozial zurückgehalten. Der dadurch eintretende Stau bildet mangels realer Investition parasitäre Scheinwerte, „Werte-Blasen“, deren Platzen so gefürchtet wird. An diese Stelle würde auch die Diskussion darüber gehören, ob die Teilung in haftendes und nicht-haftendes Kapital überhaupt Sinn macht oder diese Teilung nur dem Erhalt der geschilderten Zustände dient.

Die Behandlung von Geld als Ware // Um das Geldwesen auf richtige Weise mit den sozialen Prozessen zu verbinden, bedürfte es jedoch auch mancher Korrekturen im Geldbereich selbst. Eine wichtige Korrektur besteht in der Aufhe-bung der Gleichbehandlung von Geldbewe-gungen, die der Vermittlung oder Ermöglichung von sozialen Aktivitäten dienen, und solchen, deren Wert sich aus der Geldbewegung selbst erzeugt. Die Diskussion der sogenannten Tobin-Tax ist ein erster Schritt in eine überfällige Neu-bewertung.

Geldabzinsung – das Problem des Zinses­zinses // Die weitere Korrektur ist zwar einfach ein zusehen, aber nicht immer leicht nachzu-empfinden. Würde der in der Kreditgeldsphäre

zurückgezahlt werden) außer Kraft gesetzt werden. Schenken vollzieht sich eben nicht auto-matisch, sondern fordert menschliche Anteil-nahme. Ihr steht der Egoismus entgegen, der im marktwirtschaftlichen Modell zum zentralen und alleinigen Antrieb für alle wirtschaftlichen Aktivitäten erhoben wurde. Welches Motiv aber kann das Streben nach dem eigenen Vor-teil ersetzen? Die immer lauter tönende Frage

„Soll ich der Hüter meines Bruders sein?“ wird in dem Maße bejaht und praktisch beantwortet werden können, wie das ökonomische Denken das Motivbild des Homo oeconomicus über-windet. Den Raum dafür zu schaffen, ist die Funktion des Schenkungsgeldes.

Dominoeffekte // Wo Denk-, Empfindungs- und Verhaltensänderungen beginnen, da sto-ßen sie auf Strukturen, die aus den Denk- und Empfindungsweisen der Vergangenheit stam-men und nun zu Hindernissen geworden sind, die es umzuarbeiten gilt. Einige der wesentlichs-ten Arbeitsfelder sollen hier noch erwähnt werden:3

Das Bodenrecht // Im Gegensatz zu produk-tionsorientierten Krediten entspringt der Kauf-preis des Bodens keiner realen Vorleistung des Eigentümers, sondern einer Nichtnutzung eines Rechtes. Rechte müssen ausgeübt oder weiter-gegeben werden, dürfen aber nicht verkauft werden. Durch die monetäre Bewertung im Kaufakt entsteht keine Rendite, sondern eine unbefristete Rente. Als gegenleistungsloses Einkommen sieht sie aus wie eine Schenkung, wirkt aber umgekehrt als zusätzliche Belastung der Zukunft und verteuert damit alle sozialen Aktivitäten in unerhörtem, aber kaum bewusst gemachtem Ausmaß. Eine erneuerte Boden-rechtsordnung wird die Aufgabe haben, die Bodenrente in wirkliche Schenkungen zu verwan-deln (was sie ihrem Charakter nach eigentlich ist) und damit zu sozialisieren. Von da aus würde auch der Weg zur einer neuen Behand-lung der globalen Bodenschätze führen, von deren gerechter Verfügbarkeit ungeheuer viel für die weitere Entwicklung der verschiedenen Weltregionen abhängt.

3. Die folgenden Andeutungen sind in dieser Form größten Missver-ständnissen ausgesetzt, anderer-seits aber unverzichtbar, wenn nicht nur Symptombehandlung angestrebt wird. Wesentlich tiefere Begrün-dungen finden sich in Hermannsto-fer, Udo: Schein-Marktwirtschaft, Arbeit, Boden, Kapital und die Glo-balisierung der Wirtschaft, Stutt-gart 1997.4. Silvio Gesell geht mit der Forde-rung nach jährlicher Abzinsung vom Kaufgeld aus und will damit in erster Linie den Geldumlauf sichern.

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entstehende Mehrwert immer wieder reinves-tiert, dann würde das ständige Wachstum mit der Zeit die sozialen Grundlagen selbst zer-stören. Diese Wirkung zeigt sich am Zinseszins. Da man diesen aber nicht grundsätzlich verbie-ten kann, weil er sich immer wieder herstellt, muss diesem Wachstumsprozess ein entsprech-ender Abbauprozess entsprechen. Es ist nun gerade die Qualität der Schenkung, die im Ver-hältnis zur produzierenden Wirtschaft wie ein Abbauprozess wirkt. Es gibt verschiedene Gründe, warum diese Schenkung sinnvoller-weise über eine stetige Abzinsung der sich im Kreditbereich sammelnden Gelder geleistet werden sollte. Die Wirkungen wären so, dass nicht benutztes Kaufgeld einer jährlichen Abwer-tung unterläge, die durch die Verzinsung aus der Anlage des Kapitals wieder ausgeglichen würde.4

Erst mit dem Auftreten des Schenkungsgeldes und der damit möglichen dreistufigen Neuord-nung des Geldwesens wird es möglich, Ord-nungskräfte in das Chaos der gegenwärtigen sozialen Turbulenzen zu tragen.

Udo Herrmannstorfer

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1. Das Schenken // Eine Schenkung ist die frei-willige Übertragung des Eigentums an einer Sache oder einem Recht an einen anderen, ohne eine Gegenleistung zu verlangen oder zu erwarten.1 Rechtlich gesehen ist eine Schenkung ein zwei sei-tiger Vertrag. Das deutsche Privatrecht bestimmt in § 516 BGB, dass eine Schenkung immer der Annahme bedarf. Ein Schenkungsvertrag besteht somit aus zwei Willenserklärungen, die als Ange-bot des Geschenks und als Annahme desselben übereinstimmen müssen. Dabei kann gerade die Kernfrage eines Schenkungsvertrages, nämlich ob eine Übertragung unentgeltlich sein sollte oder ob doch eine Gegenleistung gewollt war, streitig sein. Dass jemand etwas unentgeltlich abgeben will, ohne irgendeine Gegenleistung zu erwarten, ist für JuristInnen auch heute noch ungewöhnlich. Deswegen ist es durchaus konse-quent, dass eine Schenkung rechtlich nur dann wirksam ist, wenn sie entweder sofort vollzogen wird (Handschenkung) oder wenn sie notariell beurkundet wird (§ 518 BGB).

Aber: Eine Schenkung ist kein gegenseitiger Vertrag. Sie unterliegt somit nicht dem alten römischen Rechtsgedanken des „do ut des“. Das ist die Verabredung, dass beide Vertragspflich-ten voneinander abhängen und dass jeder Ver-tragspartner seine Pflicht nur dann erfüllen muss,

wenn der andere seine Pflicht auch erfüllt. Der Käufer oder die Käuferin muss Möbel nur bezahlen, wenn er oder sie die Lieferung auch bekommt. Aber der Schenker oder die Schen-kerin schenkt – wenn er oder sie sich denn rechtlich wirksam dazu verpflichtet hat –, auch wenn der oder die Beschenkte nicht das tut, was er oder sie erwartet hat. Dieser Unterschied ist juristisch sehr bedeutsam: Es gibt nämlich konse-quenterweise für den Schenker oder die Schen-kerin deswegen auch kaum Möglichkeiten, eine Schenkung rückgängig zu machen. Das Gesetz sieht – neben der Möglichkeit der Rückforder-ung wegen Verarmung – nur den Widerruf der Schenkung wegen groben Undanks vor (§ 530 BGB), der aber in der Praxis äußerst selten erfolg-reich ist. Im Volksmund heißt das: Geschenkt ist geschenkt, wiederholen ist gestohlen.

Der gegenseitige Vertrag ist eine juristische Meisterleistung des römischen Rechts: Anspruch und Schuld bedingen sich gegenseitig. Aber er basiert auf einem Bewusstsein, das der grie chisch-römischen Kulturepoche entspricht, nämlich dem Grundsatz des „do ut des“. Dieser Rechtsge-danke förderte die Individualisierung und Unab-hängigkeit des Menschen: Gegensei tige Verträge machen – rein äußerlich – frei. Sie suggerieren uns aber eine Freiheit, die es einerseits faktisch

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Autor // Axel JanitzkiAxel Janitzki, geb. 1951, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt für Erbrecht, seit 1980 in der Kanzlei Rechtsanwälte Barkhoff und Partner in Bochum tätig. Stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der GLS Gemeinschaftsbank eG. Gründungsvorstandsmitglied im Verein Fundare e. V. , Mitveranstalter des jährlichen Stiftungsrechtstages an der Ruhr-Universität Bochum und Mitherausgeber der Jahreshefte zum Stiftungswesen.

Verantwortung und VertrauenSchenken, stiften und vererben als juristisches Neuland

1. http://de.m.wikipedia.org/wiki/geschenk

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Autor // Ingo KrampenIngo Krampen, geboren 1950, war langjährig Vorstandsmitglied der GLS Treuhand und ist derzeit stellvertretender Sprecher des Aufsichtsrats. Als Rechtsanwalt und Notar berät er schwerpunktmäßig gemeinnützige Einrichtungen, insbesondere Schulen in freier Trägerschaft, und ist mit dem Ziel der nachhaltigen Lösung von Konflikten bundesweit als Mediator tätig.

einem zunächst allgemeinen Gefühl des Ver-trauens in einen Menschen bedarf es zweitens der Wahrnehmung, dass dieses Gefühl auch durch dessen Verhalten gerechtfertigt ist. Erst daraus entsteht dann drittens positives Zutrauen, welches dann wiederum den anderen in seiner Verantwortung bestärkt. Gefühl, Wahrnehmung und Zutrauen sind die drei Schritte, die trag-fähiges Vertrauen entstehen lassen. Damit kor-respondiert die Verantwortung des anderen, aus rechtlicher Freiheit zu handeln, nicht aus rechtlicher Verpflichtung.

Von allen heute üblichen Rechtsverhältnissen ist das Schenken das geeignetste, um Verant-wortung und Vertrauen als neue Instrumente modernen Rechts zu üben. Denn schenken muss niemand, Schenkungen annehmen auch nicht. Wer schenkt, kann das daher in voller Freiheit und eigener bewusster Verantwortung tun, weil er dem oder der Beschenkten vertraut. Gleiches gilt für denjenigen, der eine Schen-kung annimmt.

In diesem Sinne ist die GLS Treuhand auch rechts-schöpferisch tätig. Sie hat eine Rechtskultur entwickelt, die dem Einzelnen die Verantwor-tung für sein Geld nicht abnimmt, sondern sie hilft ihm dabei, genau die Rechtsform zu finden, die dem Maß der von ihm tatsächlich gewollten Freiheit und des bereits aufgebauten Vertrau-ens entspricht. Daraus ergaben und ergeben sich Schenkungen mit Bedingungen, Auflagen, Widerrufsvorbehalten, Fonds und auch selbst-ständige oder unselbstständige Stiftungen.

2. Das Stiften // Eine Stiftung wollte die GLS Treuhand im Grunde nie sein: Kapital auf Dauer

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gar nicht mehr gibt, weil heute jeder Mensch hinsichtlich der Erfüllung seines Lebensbedarfs von vielen anderen Menschen abhängig ist, und die andererseits die Mentali tät fördert, dass jeder sich in erster Linie um sich selbst küm-mern müsse, statt andere Menschen zu fördern. Dabei gibt es große Bereiche des Lebens, wo es selbstverständlich ist (oder zumindest sein sollte), dass wir Aufmerksamkeit, Vertrauen, Liebe und Zuwendung „verschenken“: die Erzieh-ung von Kindern, die Pflege von Angehörigen, die gegenseitige Unterstützung in Ehe, Partner-schaft und Freundschaft.

Was wir da unbewusst machen, geschieht bei einer Schenkung bewusst und gewollt. Deswe-gen ist der Vorgang der Schenkung eigentlich juristisches Neuland. Denn was das Bürgerliche Gesetzbuch dazu zu bieten hat, sind eigentlich nur Hilfskonstruktionen: die Voraussetzung einer notariellen Beurkundung als bewusstseinsbil-dende Maßnahme, der Widerruf wegen groben Undanks als „Notbremse“ etc. Tatsächlich müsste für die moderne, bewusst vollzogene Schen-kung ein neues Recht entwickelt werden, eines, das auf Vertrauen und Verantwortung basiert statt auf Anspruch und Schuld.

Das ist ein großer Unterschied: Ein Schuldner hat den Anspruch zu erfüllen. Tut er das nicht, kann der Gläubiger ihn gerichtlich durchsetzen und sogar mittels der Staatsgewalt vollstrecken. Vertrauen kann nicht erzwungen werden; es wird „geschenkt“. Vertrauen in Menschen ent-steht langsam und kann schnell wieder vergehen. Vertrauen, das eine tragfähige Grundlage für ein modernes Rechtsverhältnis abgibt, erfordert einen mehrstufigen Aufbau. Ausgehend von

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eine aktive, eben auch ihr Vermögen als Sozial-kapital einsetzende Bürgergesellschaft unerläss-lich. Das gesetzlich vorgesehene Wesensmerkmal

„Dauer“ (§ 80 Abs. 2 S. 1 BGB: „Das Stiftungs-geschäft ist als rechtsfähig anzuerkennen, wenn ... die dauerhafte und nachhaltige Erfül-lung des Stiftungszwecks gesichert erscheint“) ist von vielen StifterInnen erwünscht. Sie wol-len den Erhalt des Stiftungsvermögens und gerade nicht das vorschnelle Verschwinden des Kapitals in einem betrieblichen Zusammenhang oder wirtschaftlichen Kreislauf.

Gleichwohl bewegen sich Stiftungen nach wie vor auf einem schmalen Grat zwischen Ver gan-gen heitsbezogenheit, der „Herrschaft der Toten über die Lebenden“, und Zukunftsorien tiertheit, zwischen Machtausübung und dem Anspruch,

„etwas Neues in die Welt zu bringen“.

Der ambivalente Charakter einer Stiftung, wie auch jeder Schenkung überhaupt,4 stellt an Stifterinnen und Stifter hohe Anforderungen. Sie werden stets dafür ein Bewusstsein entwi-ck eln, dass „Schenkungen in der Tat ein schwie-ri ger Balanceakt zwischen erlittener Abhängig-keit auf der einen und mehr oder weniger sub tiler Machtausübung auf der anderen Seite“5 sind.

Es kann folglich nicht nur darauf ankommen, den jährlichen Zuwachs an Stiftungen, ihre Gesamtzahl und Leistungen zu ermitteln.6 Es stellt sich vielmehr die Frage, welche Stiftungs-qualität anzustreben ist.

Marcel Mauss, dessen „Gabetheorie“ heute weltweit wieder in die Diskussion gekommen ist,7 hat in den frühen 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts in seiner bahnbrechenden Studie über zeremonielle Schenkungen archaischer Gesellschaften8 darauf aufmerksam gemacht, dass allen Schenkungen die drei Gesten „Geben, Annehmen, Erwidern (Weitergabe)“ zugrunde liegen. Die Schenkung ist demnach primär kein sachenrechtlicher Vorgang, sondern ist und bleibt mit den Personen „Schenker“ und „Empfänger“ verbunden. „Was liegt in der gegebenen Sache für eine Kraft, die bewirkt, dass der Empfänger

festzulegen und nur die Erträge des Kapitals für die satzungsgemäßen Ziele einzusetzen, erschien als wenig unternehmerische Perspektive. Die Gründer der Treuhand haben sich mit dem

„Nationalökonomischen Kurs“ Rudolf Steiners auseinandergesetzt. Danach befindet sich Kapi-tal in einem Kreislauf mit Natur und Arbeit. Das Kapital wird „vom Geiste verwertet“, soll nicht gestaut werden, sondern muss „wiederum in der Natur verschwinden“.2 Die Bedeutung des Schenkungsgeldes in diesem Zusammenhang

„als das Fruchtbarste innerhalb des volk-swirtschaftlichen Prozesses“ erkannt zu haben ist ein – noch zu wenig beachtetes – Verdienst Rudolf Steiners. Steiner dachte an „Kapi ta lien, die in Stiftungen, in Stipendien, in sons tige Kul-turgüter (hineingehen), die dann wiederum befruchtend wirken auf das ganze Unternehm-ertum“. Dieser Vorgang gelingt, wenn „erstens die Möglichkeit da ist, dass Leute zum Schen-ken etwas haben, und zweitens den guten Willen haben, dieses zu Schenkende auch in vernünf-tiger Weise zu schenken“.3

Die GLS Treuhand verstand sich von Gründung an als „stiftungsähnliche Einrichtung“. Ihr war und ist es ein Anliegen, den einzelnen Menschen selbst bewegliche Instrumente in die Hand zu geben, um ihre Intentionen maßgeb lich selbst und gemeinsam mit anderen zu erfüllen. Solche Instrumente sind die von Beginn an praktizier-ten Schenkungen mit Auflage sowie rechtlich unselbstständige Fonds. Letztere sind nunmehr innerhalb der Dachstiftung für individuelles Schenken, die sich wiederum innerhalb der Trägerschaft der GLS Treuhand e. V. befindet, gemeinsam organisiert. Die rechtlich unselbst-ständigen Fonds sind ebenso erfolgreich tätig wie die rechtlich unselbstständigen Zukunftss-tiftungen der Treuhand.

Es gibt aber, 50 Jahre nach Gründung der Treu-hand, Anlass, die Rechtsform der selbstständi-gen Stiftung weniger skeptisch zu beurteilen. Viele Menschen verstehen heute Stiftungen in Zeiten nachlassender staatlicher Förderungen und in die Krise geratener Wirtschaftssysteme als zukunftssichernde Instrumente. Sie sind für

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2. Steiner, Rudolf: Nationalökono-mischer Kurs, Dornach 1965 (Biblio-graphie Nr. 340), S. 683. Steiner, Rudolf: a. a. O., S. 1294. Der englische Begriff „gift“ für den Vorgang „schenken“ zeigt diese Ambivalenz in der deutschen Wort-bedeutung „Gift“. Manche Schen-kung ist ein verkappter Kauf oder trägt zur Verhinderung an sich er-forderlicher grundlegender persön-licher und betrieblicher Neuorgani-sationen bei.5. Lintner, Martin: Eine Ethik des Schenkens, Berlin 2008, S. 216. Diesbezügliche Informationen liefern u. a. der Bundesverband Deutscher Stiftungen (www.stif-tungen.org) und der Spendenrat (www.spendenrat.de).7. Besondere Beachtung findet das Werk des amerikanischen Phi-losophen Marcel Hénaff: Der Preis der Wahrheit – Gabe, Geld und Philosophie, Frankfurt/Main 2009 („Man darf sich fragen, ob die riesige Bewegung der modernen Wirt-schaft – die ganze inzwischen weltweite Produktionsmaschine – am Ende nicht das letzte und radi-kalste Mittel ist, Schluss zu ma-chen mit den Göttern, Schluss zu machen mit der Gabe, Schluss zu machen mit der Schuld“, S. 39/40); repräsentativ für die französische Soziologie der Gabe ist Alain Caillé: Anthropologie der Gabe, Frank-furt/Main 2008 („Der historische Misserfolg der klassischen Soziolo-gie ist – trotz der großartigen Ver-sprechen, die sie enthielt – dadurch zu erklären, dass sie nicht in der Lage war, ihren ursprünglich kri-tischen oder negativen Anti-Utili-tarismus in einen klar formulierten positiven Anti-Utilitarismus zu ver-wandeln“, S. 54); für die Moraltheo-logie: Martin Lintner: a. a. O.8. Mauss, Marcel: Die Gabe, Form und Funktion des Austauschs in ar-chaischen Gesellschaften, Frank-furt/Main, 1990

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prinzip verlassen. So sollten nicht bei der Stif-tungsgründung die Mitglieder der Gremien ein-gesetzt werden und diese sich im Verlauf der Stiftungstätigkeit lediglich selbst ergänzen bzw. ihre Nachfolger bestimmen. So manche Stiftung scheint zu sklerotisieren, weil es nicht gelingt, weitere (jüngere) und sachverständige Menschen für die Stiftungsziele zu gewinnen und in die Stiftungstätigkeit einzubeziehen. Die Stiftungs-arbeit und die Stiftungsprojekte verlieren so ihren inspirierenden Charakter. Zeitliche Rhyth-men für Amtsperioden, Vorschlagsrechte anderer Gremien oder außenstehender Dritter für die Besetzung der Gremien, Beschreibung von Quali-fikationsmerkmalen für zu übernehmende Stif-tungsämter, Öffnung der Gremien z. B. mittels Veranstaltung von Kolloquien, Vernetzungen u. a. m. können dazu beitragen, dass „die richti-gen Menschen, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort das Richtige tun“.

Die mit einer Stiftungstätigkeit und jedem Schen-kungsvorgang verbundene Verwandlungsauf-gabe erfordert einen kritischen Umgang mit der Frage, ob und auf welche Dauer das Stiftungs-vermögen selbst erhalten werden soll. Die Mus-tersatzung für Stiftungen, so wie sie beispiels-weise bei den zuständigen Ministerien der Bundesländer oder den Stiftungsverbänden im Internet abgerufen werden können, sehen stereo-typ die Formulierung vor: „Das Stiftungsvermö-gen ist stets ungeschmälert zu erhalten.“ Die unbedingte Vermögenserhaltungspflicht wird so zum unabänderlichen Dogma erhoben.11 Die Stimmen, die auch den Verbrauch des Stiftungs-vermögens rechtlich zulassen wollen, nehmen zu12 und dürften bereits überwiegen. Das Lan-des stiftungsgesetz NRW13 und auch andere Landes stiftungsgesetze erlauben den Vermö-gensverbrauch ausdrücklich, wenn er in der Stif tungs satzung als Möglichkeit vorgegeben ist. Es kann zu respektierender Stifterwille sein, das Stiftungsvermögen stets ungeschmälert zu erhalten; es kann aber auch gute (möglicher-weise bessere) Gründe geben, dass auch das Stiftungsvermögen für Projekte der Stiftung ein-gesetzt werden kann. Es gehört zu der guten Beratungspraxis der Treuhand, die Stifterin und

sie erwidert?“, fragt Mauss, um in seiner Studie anhand von ihm beschriebener Bräuche archa-ischer Gesellschaften darzulegen, dass diese Kraft in der freilassenden Gesinnung des Schenkers liegt.9 Die freilassende Geste des Schenkens ermöglicht dem Empfänger, sich auf den in der Schenkung enthaltenen Initiativimpuls einzulas-sen: „Von jemand annehmen heißt, etwas von seinem geistigen Wesen annehmen ... es auf-zubewahren wäre gefährlich und tödlich“, for-muliert Mauss.10 Auf Verwandlung (Weitergabe) kommt es somit an, die wiederum voraussetzt, dass mit einer Stiftung von Beginn an ein geis-tiger Impuls verbunden ist.

Für die Stiftungsgestaltung lassen sich aus die-sen Überlegungen drei Anforderungen ableiten: Es empfiehlt sich, die Stiftungsziele in einer Weise zu beschreiben, dass die mit einer Stif-tung verbundenen geistigen Impulse, die Imag-ination der Stifterin und des Stifters, auch für Nachfolger erkennbar sind und bleiben. Eine Stiftung kann sich lebendiger entwickeln, wenn ihre Ziele bildhaft, als Erkenntnisaufgaben oder vielleicht sogar als Fragestellungen formuliert sind. Rein funktionale Zweckbeschreibungen und/oder die schlichte Übernahme der Defini-tionen der Abgabenordnung haben diese – an dem geistigen Wesen (Mauss) der Stifterin oder des Stifters orientierte – Entwicklungsoffenheit nicht. Dem Medium „Sprache“ kommt so neben den weiteren Medien des Sozialen „Recht“ und „Geld“ eine gleichgewichtige Bedeutung zu. Die entwicklungsoffene und individuali-sierende Beschreibung der Stiftungsziele, die zuweilen gegen eine auf standardisierte For-mulierungen drängende Finanzverwaltung und Stiftungsaufsicht durchzusetzen ist, hat den Vorteil späterer Weiterentwicklung. Ansonsten sind Stiftungszwecke nur abänderbar, wenn ihre Erfüllung unmöglich geworden ist (§ 87 BGB) oder wesentliche Veränderungen der tatsäch-lichen Verhältnisse eingetreten sind (vgl. etwa § 5 Abs. 2 1. StiftG NRW). Über das Vorliegen solcher Voraussetzungen lässt sich trefflich streiten.

Die Sozialgestalt einer Stiftung sollte elastisch sein. Sie sollte sich nicht allein auf das Kooptations-

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9. Mauss: a. a. O., S. 1810. Mauss: a. a. O., S. 3511. Klaus Neuhoff formuliert im Jahresheft für das Stiftungswesen, 2. Jahrgang 2008, S. 18: „Insofern wäre angesichts der vorgegebenen rechtlichen Traditionen und heuti-gen Rechtsvorschriften eine gesetz-lich definierte oder unterhalb der normierten Ebene auch nur für zulässig erachtete Endlichkeit einer Stiftung (beispielsweise als Stif-tung auf Zeit oder Verbrauchsstif-tung) ... von vornherein ein Bruch im Dogma dieser juristischen Per-son, auch wenn das in der Satzung oder im Stiftungsgeschäft nieder ge-legter Stifterwille ist, den die Rechts-ordnung zurückzuweisen hätte (als nicht anerkennungsfähig).“12. vgl. hierzu zwei Aufsätze im Jahresheft für das Stiftungswesen, 4. Jahrgang, 201013. § 4 Abs. 2 StiftG NRW

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In den kommenden Jahren wird es eine wich-tige Aufgabe der GLS Treuhand sein, Ratgeber und Betreuer derjenigen Menschen zu sein, die im Vererben nicht nur die Übertragung materi-eller Werte sehen, sondern auch die Fortführung der von ihnen entwickelten ideellen Werte und die Möglichkeit, über den eigenen Tod hinaus Impulse zu geben. Die Instrumente des Schen-kungs- und Erbrechts sind dabei nur Hilfsmittel. Ihre Ausgestaltung sollte in jedem Einzelfall neu erfunden werden.

den Stifter selbst zu befragen, ob sie eine Endlichkeit der Stiftung als sinnvoll ansehen und eine entsprechende Satzungsgestaltung wünschen oder aber eben nicht.

3. Das Vererben // Man kann dem Vererben eine geringere Bedeutung zumessen im Ver-gleich zum Schenken und Stiften,14 zumal doch das Vererben aus Anlass des Todes geschieht,

„in welchem mein Eigentum ohnehin aufhört, meins zu sein“.15

Man kann – wie der weit überwiegende Teil der deutschen Bevölkerung – die Vererbung ihrem Lauf überlassen und es auf die gesetzliche Erbfolge ankommen lassen. 160 Mrd. Euro werden so in Deutschland jährlich – überwie-gend nicht bewusst gestaltet – vererbt.

Dabei liegt dem bewussten Vererben und dem Schenken zu Lebzeiten im Wege vorweg genom-mener Erbfolge ein faszinierender Gedanke zugrunde, den Wilhelm Ernst Barkhoff, wesent-licher Mitinitiator der GLS Treuhand, einmal so formuliert hat: „Man kann sich während seines Lebens ein Bild davon machen, welchen Teil seines Vermögens man wirklich zum Leben und zur Verwirklichung seiner Ziele braucht und welchen Teil man als Ballast mit sich herum-trägt. Wenn man den überflüssigen Teil mit Bewusstsein verschenkt, hat man ein Naturge-setz überwunden und hat sich einen Bereich voller Freiheit verschafft.“16

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14. Vgl. Muscheler, Karlheinz: Er-brecht, Band I, Tübingen 2010, Randnr. 25 („Zwischen Schenken, Vererben und Stiften, besteht eine aufsteigende Stufenleiter, was die Einflussmöglichkeiten und fort wir-kende Macht des Gebenden an-geht.“)15. Hegel, Georg Friedrich Wil-helm: Grundlinien der Philosophie des Rechtes, § 17916. Barkhoff, W. E.: Gemeinnützig-keit und Bankwesen, in: die drei 6/73, S. 278

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Die GLS Treuhand ist im Jahr 1961 aus dem Bedürfnis heraus entstanden, die gewonnenen Erfahrungen bei der Gründung der Waldorf-schule Bochum-Langendreer im Jahr 1958 für verwandte Initiativen zur Verfügung zu stellen. Sie wurde als Instrument zur Finanzierung von Initiativen im Bereich Bildung, Kultur und Gemein wesen ins Leben gerufen, ein Bereich, der – oberflächlich betrachtet – nichts mit der heutigen Wirtschaft zu tun hat. Die heutige moderne Wirtschaft basiert aber auf Arbeitstei-lung und Kapitalbildung. Diese entstehen erst aufgrund von menschlichen Fähigkeiten. Die moderne Wirtschaft kann daher auch als Fähig-keitenwirtschaft charakterisiert werden.

Arbeitsteilung und Kapitalbildung sind Folgen der Ausübung von menschlichen Fähigkeiten. Insofern ist Kapital als realisierte menschliche Fähigkeit zu betrachten. Deswegen ist es wich-tig, sich mit den menschlichen Fähigkeiten zu befassen. Was ist das Besondere an den mensch-lichen Fähigkeiten? Deutlich ist hier, dass wir als Mensch eine besondere Spezies sind im Ver-gleich zu den anderen Lebewesen. Wenn der Mensch geboren wird, ist er nicht fertig und auch nicht von vornherein in seiner Entwicklungs-richtung festgelegt, wie das z. B. bei den Tieren

der Fall ist. Der Mensch ist ein Fähigkeitswesen. Diese Fähigkeiten sind als Potenzial vorhanden, müssen aber ausgebildet werden. Von der Wirt-schaft her besteht die Gefahr, die Fähigkeitsbil-dung den vorhandenen Bedürfnissen zu sehr anzu passen. Es genügt aber nicht, nur die Bedürf-nisse von heute im Auge zu haben. Dann wären Entwicklung und Erneuerung nicht möglich.

Die Gesellschaft braucht Entwicklung und Erneu-erung, vor allem in Anbetracht der Zeitfragen, die sich heute stellen. Dies gilt ebenso für die Wirtschaft, wenn sie sich nicht so sehr auf Wachs tum, sondern vielmehr auf Nachhaltig-keit, d. h. auf Erneuerung und Wandel richten will. Dies vor allem im Hinblick auf einen nach-haltigen Umgang mit der Natur und ihren Res-sourcen.

Bei den menschlichen Fähigkeiten können wir drei Entwicklungsschritte unterscheiden. Zuerst gilt es, die potenziellen Fähigkeiten zu wecken und auszubilden. Der nächste Schritt ist dann, diese in der Lebenspraxis auszuüben. Findet dies seine Realisierung, dann entstehen daraus Leis-tungen in Form von Waren- und Dienstleistun-gen. Diese drei Entwicklungsschritte brauchen ihre jeweils entsprechende Finanzierung.

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Autor // Paul MackayPaul Mackay, geb. 1946 in Hongkong, Wirtschaftswissenschaftler. Tätigkeit im internatio-nalen Bankwesen, Begegnung mit der Anthroposophie und deren Studium in England und Deutschland (1974 – 1977). Von 1977 bis 2002 Tätigkeit im anthroposophischen Bankwesen, Mitbegründer und Direktor der Triodos Bank, Niederlande, und Vorstand der GLS Gemeinschaftsbank, wo er seit 2007 Vorsitzender des Aufsichtsrats ist. Seit 1996 im Vorstand der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft.

Geldfunktionen und Fähigkeitsentwicklung

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entsprechende Weise zu finanzieren. Bei den Waren- und Dienstleistungen ist nicht nur von konsumfähigen Waren- und Dienstleistungen auszugehen, sondern auch von Leistungen, die einen investiven Charakter haben. Warenleis-tungen sind nicht nur Konsumgüter, sondern auch Kapitalgüter in Form von Produktionsmit-teln. Dienstleistungen sind nicht nur konsum-fähige Dienstleistungen, sondern auch Dienst-leistungen, die zur Bildung von Fähigkeiten (Lehre) und zur Erneuerung (Forschung) beitragen.

Die drei entsprechenden Geldfunktionen des Kaufens, Leihens und Schenkens können wir in der heutigen Gesellschaft wiederfinden. Beim Kaufen im Zahlungsverkehr, beim Leihen im Kreditwesen und Beteiligungs-/Börsenwesen, beim Schenken im Stiftungs- und Steuerwesen.

Durch das Kaufen entsteht eine globalisierte Welt wirtschaft, indem die ganze Welt zum Wirt-schaftsraum wird. Bei einer Kauftransaktion hat man es immer mit einem raumüberbrücken-den Austausch von Leistungen zu tun. Durch das Leihen und insbesondere das Kreditwesen haben wir es mit einer Zeitdimension zu tun, wobei es wichtig ist, dass die Laufzeit der Kredite abge-stimmt wird auf die Abnutzungszeit der Produk-tionsmittel. Bei der Kreditvergabe haben wir es mit einer zeitüberbrückenden Beziehung zwi-schen Geldgeber und -nehmer zu tun. Beim Beteiligungswesen, das risikotragendes Geld beinhaltet, geht es um eine Initiative des Men-schen oder der Menschengruppe, die ihre Fähig-keiten ausüben will. Beim Schenken geht es um die Erneuerung, also um die Bildung von neuen Fähigkeiten, die es ermöglichen, die gewordene Welt neu zu greifen.

Paul Mackay

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• Wenn Leistungen erbracht werden, dann soll-ten sie entsprechend bewertet und durch Kauf entgegengenommen werden können. Die ganze Wirtschaft funktioniert nach dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung, d. h., dass die Leis tung, die erbracht wird, in sach-gemäßer Weise der Gegenleistung entspricht. Dadurch entsteht ein Wertmaßstab, der in den Preisen der Waren- und Dienstleistungen zum Ausdruck kommt. Der gerechte Preis ist dann gegeben, wenn derjenige, der eine Leis-tung vollbringt, so viel als Gegenwert be-kommt, dass er seine Bedürfnisse befriedigen kann, bis er wiederum eine gleiche Leistung vollbringt.

• Damit Fähigkeiten zur Ausübung gelangen können, sollten sie entsprechend versehen werden mit Produktionsmitteln. Die Finanzie-rung sollte der Abnutzungszeit der Produk-tionsmittel entsprechen und für diese Zeit zur Verfügung gestellt werden. Hier gilt nicht so sehr das Prinzip der Leistung und Gegenleis-tung, sondern vielmehr die Beurteilung, ob jemand oder eine Gruppe von Menschen die potenziellen Fähigkeiten hat, eine angestrebte Leistung zu erbringen und dafür entsprechen-de Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Die Leistung ist ins Auge gefasst, aber noch nicht vollbracht.

• Wenn Fähigkeiten ausgebildet werden, dann sollte die Finanzierung so gestaltet sein, dass nicht von vornherein bestimmt ist, in welche Richtung die Ausbildung zu gehen hat. Um dies in bester Weise zu ermöglichen, ist eine Finanzierung durch Schenkung eine sachge-rechte. Dadurch können Entwicklung und Er-neuerung auf freie Weise zustande kommen. Am reinsten ist dieses Prinzip in der Erziehung der eigenen Kinder enthalten, wenn die Eltern die Kosten für die Erziehung ihrer Kinder über-nehmen. Auch bei der Vergabe von Stipendien ist dies der Fall.

So entstehen drei Funktionen des Geldes, die geeignet sind, die Fähigkeitsentwicklung, die der arbeitsteiligen Wirtschaft zugrunde liegt, auf

ARBEITSTEILUNG UND KAPITALBILDUNG SIND

FOL GEN DER AUSÜBUNG VON MENSCHLICHEN

FäHIGKEITEN. INSOFERN IST KAPITAL ALS REALI-

SIERTE MENSCHLICHE FäHIGKEIT ZU BETRACHTEN

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GELDFUnKTionEn

Schenken Stiftungs- und erneuerung Steuerwesen

Beteiligungs- und InitiativeLeihen Börsenwesen

Kreditwesen zeit

Kaufen zahlungsverkehr raum

ausbildung Lehre Forschung

ausübung Kapitalgut produktionsmittel

Dienstleistungauswirkung warenleistung

FÄhiGKEiTSEnTWicKLUnG

Konsum

Die Finanzkrise ist dadurch entstanden, dass zu viel Geld im Investivbereich vorhanden war und benutzt wurde für die Finanzierung von Immo-bilien, die nicht so sehr einen Produktivwert, sondern vielmehr einen Konsumwert hatten. Es entstand keine neue Produktivität. Die Grund-lage der Kreditgewährung und damit der Geld-schöpfung sollte aber die Produktivität der Wirtschaft sein. Wenn zu viel Kreditgewährung in Richtung von Konsumkrediten geht, dann ent-steht über kurz oder lang eine Krise! Es ist also zu unterscheiden zwischen Kreditgewährung im produktiven und im konsumtiven Bereich. Geldschöpfung durch Kreditgewährung ist nur zu verantworten, wenn sie im Zusammenhang steht mit der Produktivität der Wirtschaft. Dieses Verhältnis ist von eminenter Bedeutung.

Weiterhin ist von Bedeutung, dass das Geld im Anlagenbereich nach einer gewissen Geltungs-dauer (beispielsweise die Lebensdauer einer Generation, also etwa 30 bis 40 Jahre) eine andere Funktion bekommt. Es kann nicht sein, dass das Leihen zeitlich unbeschränkt ist. Dies ist ja auch bei der Anlage, in die das Geld inves-tiert wird, nicht der Fall. Leihgeld sollte nach einer gewissen Zeit in Schenkungsgeld umge-wandelt werden, damit neue Fähigkeiten und eine Erneuerung von Kultur und Gesellschaft

Das Ganze kann in einem Bild zusammengefasst werden (siehe Darstellung unten).

Vor dem Hintergrund der Gliederung der Geld-funktion ist es möglich, auf die Finanzkrise zu schauen. Deutlich wird dabei, dass eine Art Stau entstanden ist im Bereich des Leihens. Das Geld, das nicht mehr für den Konsum ausgegeben wird, wird jetzt im Investivbereich angelegt und sucht seine Anlage. Wenn die Anlagemög-lichkeiten aber beschränkt sind, dann steigen die Vermögenswerte – die nicht nur im Geld, sondern auch in geldähnlichen Verbriefungen (wie Aktien, Gutscheine usw.) ihren Ausdruck finden – unverhältnismäßig im Vergleich zu den realen Werten, auf die sie sich beziehen. Es ent-steht eine Inflation der Vermögenswerte, so wie früher eine Inflation der Konsumwerte entstand. Dies geht so lange gut, bis ein Teil der Anleger sich zurückzieht und das Ganze in sich zusam-menfällt. Kapital wird vernichtet, was soziale Folgen mit sich bringt. Gleichzeitig ist deutlich, dass die Bildung und das kulturelle Leben im weitesten Sinne an Unterfinanzierung zu leiden haben. Es wird deutlich, dass an der einen Stelle zu viel und an anderer Stelle zu wenig Geld vor-handen ist. Das Geld vermag sich nicht von der einen Funktion in die andere zu transformieren. Dadurch fängt es an, kontraproduktiv zu wirken.

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Wenn sich das Finanzsystem in diese Richtung wandelt und gehandhabt wird, dann können die menschlichen Fähigkeiten sich entsprechend entwickeln und es entsteht eine ganz neue Schöpfungskraft in der Wirtschaft. Die Wirt-schaft ist nicht mehr gezwungen, sich auf Wachstum auszurichten, sondern kann sich auf eine nachhaltige Weise an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Diese sind nicht nur von materieller Art, sondern auch – und immer stärker – immateriell. In diesem Bereich bedeu-tet Wachstum nicht Vergrößerung, sondern Ver-edelung und Bildung.

Möge die GLS Treuhand in diesem Bereich weiter-hin ihren wichtigen Beitrag leisten!

möglich wird. Die nahezu einzige Möglichkeit, die wir zurzeit dafür haben, ist das Steuerwesen. Es sollte neu gestaltet und den Menschen durch entsprechende Finanzierungsangebote mehr zugänglich gemacht werden. Dadurch würde eine Unterscheidung zwischen der Finanzie-rung von Privatgütern und Gemeingütern ermög-licht werden. Welchen Objekten kann mehr Privat gut-, welchen mehr Gemeingutcharakter zugesprochen werden? Es scheint mir, dass z. B. die klassischen Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer (das heißt: Energie) typische Elemente sind, die Gemeingutcharakter haben. Sie sind zunächst naturgegeben und nicht von Men-schen hervorgebracht. Als Investition sollte nur die Anlage finanziert werden, damit jegliche Spekulation im Bereich des Gemeingutes aus-geschlossen wird. Das Gemeingut als solches sollte auch nicht ver käuflich sein. Außerdem sollte bei Produktionen, die auf Kosten dieser vier Elemente gehen, eine Kompensation durch Anhebung der Preise der damit zusammen-hängenden Konsumgüter enthalten sein, damit der Aufwand für eine nachhal tige Pflege der Gemeingüter ausreichend finanziert werden kann.

Vor diesem Hintergrund ist es deutlich, dass die Besteuerung, d. h. die Umsetzung von Geld in die Schenkungsfunktion, einerseits da ansetzen soll, wo Ausgaben für die Konsumtion getätigt werden (in Form einer Ausgabensteuer für die Erwerbung von Konsumgütern), und anderer-seits da, wo Vermögenswerte über längere Zeiträume „abgeschrieben“ werden sollten, d. h. umgewandelt werden in Abgaben. Die Beträge, die dadurch freikommen, sollten meines Erach-tens nur zum Teil dem Staat zugutekommen. Vielmehr sollte Menschen die Gelegenheit gegeben werden, selber bestimmen zu können, in welche Richtung sie diese Gelder im Bereich des Gemeinwesens lenken wollen.

In Europa entsteht immer mehr das Bedürfnis nach einer direkten Demokratie – sie sollte ergänzt sein durch eine direktere Beteiligung am Gemeinwesen durch ein entsprechendes Finanzgebaren.

Paul Mackay

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Schenken ist die einzige finanzielle Transaktion, die mit dem Geschenk Werte vermittelt. Schen-ken verändert die Welt von innen heraus, es zieht Geistwesen in die menschliche Sphäre, weil es, unabhängig vom Umfang des Geschenks, immer ein Opfer ist. Der Akt des Schenkens ist bedeutsamer und größer als das Geschenk selbst.

In der gesamten Geschichte der Menschheit und in allen Kulturen wurde das Opfer als etwas betrachtet, das die Götter erfreut, und die Menschen verließen sich auf ihre Gottheiten, sie gaben ihnen Rat, Unterstützung und Inspira-tion. Wir mögen jemandem ohne innere Betei-ligung einen Dollar in die Hand drücken, aber jedes Geschenk, das ein Opfer ist, spricht die höchste Gefühlsebene in uns an. Alle Schenken-den greifen nach dem Element des Idealen in ihrer Seele, sobald sie das Schenken in Betracht ziehen und ein Geschenk machen. Dieses innere Erleben liegt in der Natur der Transaktion.

In den USA werden Schenkungen durch das Steuerrecht gefördert und unterstützt. Ohne Spen den könnte keine Universität, kein Orches-ter, keine Tanz- oder Theatergruppe, kein Museum überleben; tatsächlich gäbe es unsere

ganze Kultur nicht, sie würde ohne Spenden nicht bestehen. Allein im letzten Jahr, unter schwie rigen finanziellen Bedingungen, betrug das Spendenaufkommen 300 Milliarden Dollar, der weitaus größte Teil stammte von Personen, deren Motive über den Eigennutz hinausgehen. Großzügigkeit lebt und gedeiht in den Seelen und Herzen der meisten Menschen.

Es lohnt sich, diese allzu oft unterschätzte Trans-aktion unserer Weltwirtschaft einmal näher zu betrachten. Schenken unterscheidet sich wesent-lich von den anderen zwei Arten finanzieller Transaktionen: kaufen/verkaufen und leihen/verleihen.

Nehmen wir einmal an, Sie schätzen die Schule, in der Ihre Kinder auf das Leben vorbereitet werden. Die Schule braucht einen Raum, in dem sie die Arbeiten der Kinder ausstellen kann und wo sich engagierte Eltern und andere Interes-sierte treffen können. Sie entscheiden sich, 1000 Dollar für das Finanzierungskonzept zu spenden. Viele andere beteiligen sich und die Aula wird gebaut. Sie ist schön und nützlich obendrein. Sie sehen Ihr Kind in seiner ersten Rolle in einem Stück von Shakespeare. Es spricht so gut. Sie bewundern seine Haltung, seinen

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Autor // Siegfried FinserSiegfried E. Finser, M. A., Erziehungspsychologe und Studium am Goetheanum. Tätig-keiten u. a. als Manager in der Organisations- und Mitarbeiterentwicklung eines Welt-konzerns. Sieben Jahre Lehrer an der Rudolph Steiner Schule in New York City, Schatz-meister der Anthroposophischen Gesellschaft der USA. Gründer und bis 1994 Präsident der RSF Social Finance in San Francisco, die z. B. Waldorfschulen, Camphill-Einrichtungen oder biodynamische Höfe finanziert. Workshops zur spirituellen Bedeutung des Geldes.

Der unermessliche Wert des Schenkens

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ger des Geschenks?“ Sind es diejenigen, die es annehmen? Wer es annimmt, verpflichtet sich zu tun, was er oder sie versprochen hat, um das Geschenk zu bekommen. Vielleicht gibt der oder die Beschenkte das Geschenk aber auch einfach nur weiter, indem er oder sie dafür sorgt, dass es allen nützt. Vielleicht ist die ganze Mensch-heit eigentlich Empfängerin des Geschenks.

Zu schenken weckt in uns die Sehnsucht, die Welt von Grund auf zu verändern, sie auf die eine oder andere Weise zu verbessern. Schenken rührt an die geistige Kraft, welche die Mensch-heit in ihrer Entwicklung voranbringt.

Lange bevor die Aula gebaut ist, haben die ArchitektInnen versucht, in Zeichnungen und Bildern einzufangen, was in der Vorstellung der

Gemeinschaft existiert. Jede/jeder hat ein eige-nes Bild davon, wie sie aussehen könnte. Es ist geprägt von der übergreifenden Vorstellung von den Eigenschaften und Möglichkeiten, die verwirklicht werden sollen.

Anfangs ist das, was in der Vorstellung existiert, noch nicht physisch vorhanden. Es ist noch spiri-tuell, wir können es nicht mit den Augen sehen, aber wir haben eine Vision von dem, was wir realisieren wollen. Unsere Gefühle verbinden sich mit dieser Vision und lassen den Wunsch auf-kommen, sie zu verwirklichen. Dann schenken wir. Und so materialisiert sich die Aula nach und nach als Resultat unseres Schenkens. Nun können alle vor sich sehen, was anfangs nur wir sehen konnten. Geist hat sich in Materie ver-wandelt und erfreut nun unsere Sinne.

Bill Gates und Warren Buffet haben viel von sich selbst gegeben. Vor Kurzem forderten sie

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Sinn für Dramatik. Schon haben Sie das Gefühl, Sie hätten kein schöneres Opfer bringen kön-nen, als diese 1000 Dollar.

Aber – und das ist das Wunderbare des Schen-kens – diese 1000 Dollar wirken weiter. Weit-ere Stücke werden aufgeführt. Andere Kinder lernen, wachsen auf in diesem Raum. Ihr Kind hat seinen Abschluss gemacht, andere profitie-ren von dem Geschenk. Wenn die Aula 100 Jahre besteht und genutzt wird, so sind um die 5000 Kinder darin aufgewachsen. Mehrere Hundert LehrerInnen konnten sie erziehen, unterrichten und ihre Entwicklung fördern.

Die AbsolventInnen der Schule heiraten und bekommen Kinder. Sie arbeiten in den ver-schiedensten Berufen. Sie arbeiten für die Regierung, als Musiker, Unternehmerin, Künst-lerin, Anwalt, sie werden Tischler, Sänger, Finanz-expertin oder Lehrer. Die Liste nimmt kein Ende. Das Geschenk, das nun in den Menschen weit-erlebt, entfaltet seine Wirkung in allen Berufen. Die AbsolventInnen reisen, sie besuchen jedes Land der Welt und sie üben jede Religion und jede Form der spirituellen Suche aus. 5000 AbsolventInnen mögen bis zu einer Milliarde Menschen auf der ganzen Welt beeinflussen und das Geschenk wirkt immer weiter.

Das ist das wahre Wesen des Geschenks. Es ist ein Opfer auf der Basis von Liebe und es wirkt bis ans Ende aller Zeiten und erreicht schließlich jedes menschliche Wesen auf der Erde und in der Zukunft. Als Sie die 1000 Dollar spendeten, waren die meisten der Kinder, die davon profi-tieren sollten, noch nicht auf der Welt. Sie kamen und gingen und alle zogen Nutzen aus Ihren 1000 Dollar. Wenn wir diese Erde verlassen und selbst die Erinnerung an uns zu verblassen beginnt, wird unser Geschenk uns überdauern. Es hat eine Art von Unsterblichkeit, die uns nicht gegeben ist.

Jedes Geschenk, groß oder klein, trägt in sich die Eigenschaft, bis ans Ende der Zeit und zum Wohl der ganzen Menschheit zu wirken. Nun frage ich: „Wer sind die eigentlichen Empfän-

SCHENKEN VERäNDERT DIE WELT

VON INNEN HERAUS, ES ZIEHT GEISTWESEN

IN DIE MENSCH LICHE SPHäRE

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Zu schenken und beschenkt zu werden verbin-det die Kraft, die in uns allen lebt, mit der Kraft des Universums. Es belebt Materie spirituell und es ist ein Ausgangspunkt, von dem aus wir han-deln und etwas erreichen können. Die beste Art, den Akt des Schenkens zu begehen, ist, das Opfer des Geschenks zu bringen.

Aus dem Englischen von Gitta Büchner Dieser Artikel erschien bereits in der Winterausgabe 2011 von RSF Quarterly, der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift der Rudolf Steiner Foundation/San Francisco (USA)

Amerikas reichste Einzelpersonen und Familien dazu auf, den größten Teil ihres Vermögens für wohltätige Zwecke zu verwenden. Sie verfech-ten die Sache des Schenkens nicht für ein bestimmtes Projekt, es geht ihnen um das Schenken an sich. Mit ihrer Aktion drücken sie aus, dass der Akt des Schenkens an sich gut ist, unabhängig davon, wie groß das Geschenk ist.

Wer weiß schon, was wirklich in den Herzen, in den Köpfen dieser beiden vorgeht. Vielleicht haben sie unwissentlich das Potenzial erfasst, das jedem Geschenk innewohnt. Vielleicht haben sie, ohne es sich bewusst einzugestehen, Teil an der allmählichen Transformation unserer jetzigen Wirtschaftsweise in eine Ökonomie des Schenkens.

Im kalifornischen Berkeley können Sie sonntags in der Karma Kitchen speisen, wenn Sie kühn genug sind, um es mit der Meute aufzunehmen, die dort isst. Nach einem köstlichen Essen erwarten Sie normalerweise eine Rechnung. Aber nun erklärt Ihnen der Besitzer oder einer/eine der vielen freiwilligen HelferInnen, dass ein anderer Kunde schon für Sie bezahlt hat. Wenn Sie wollen – und Sie werden dazu ermuntert – können Sie nun etwas spenden, damit ein Gast, der nach Ihnen ins Restaurant kommt, eine freie Mahlzeit genießen kann. Und Sie fragen:

„Warum regeln Sie das auf diese Weise?“ Man wird Ihnen antworten: „Wir möchten dazu beitragen, dass die Leute nicht mehr nur für sich selbst sorgen, sondern dass sie anfangen, sich um andere zu kümmern.“ Die Ökonomie des Schenkens wird nur funktionieren, wenn die Menschen sich als Gemeinschaft begreifen.

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Das Thema des Gabehandelns ist das „Zwischen“. Gabehandeln ist Beziehungshandeln. Es dient dem Aufbau und der Pflege zwischenmensch-licher Beziehungen. Gabehandeln als eine grund-legend zur menschlichen Gattung gehörende Praxis ist der immer schon in Gang befindliche, stets fortzusetzende Kreislauf von Dingen und Symbolen, den jede Kommunikation, Koopera-tion und Konvivialität stets schon voraussetzen muss. Im Gabehandeln wird die umfassende wechselseitige Angewiesenheit aller Mitglieder einer menschlichen Gemeinschaft als gemein-same Aufgabe angenommen, gestaltet und weiter gegeben. Es verbindet Menschen mitein-ander, es bindet Menschen aneinander und daraus erwachsen wechselseitige Verbindlich-keiten. Gaben – Güter und Symbole – sind die Mittel und die Medien dieser vielfältigen Bin-dungen.

Im Horizont der beiden biblischen Religionen, des Judentums und des Christentums, sind all diese Beziehungen „zwischen“ den Menschen und ihren Gemeinschaften, „zwischen“ Perso-nen, Dingen und Deutungen im strengen Sinne

weder denkbar noch lebbar außerhalb des bedeutungs- und sinnstiftenden Horizontes der Beziehung, aller Beziehungen auf Gott. In die-sem Horizont wird das menschliche Leben, ja die Wirklichkeit überhaupt, zum Geschenk. Gott ist der erste Geber: Er ist Schöpfer, er stiftet den Bund und macht so die Menschen zu Bundes-genossen mit sich und miteinander; er schenkt seine Thora, seine Weisungen und seine Gebote und er schenkt so seinem Volk die das Leben ermöglichende und förderliche religiöse, spiri-tuelle und normative Orientierung.

Von diesem vorgängigen Schenken und Geben Gottes her kann und muss man dann in den vielen Institutionen und Praktiken, die das Volk Israel zum Kultus, d. h. zur „Pflege“ seiner Beziehung zu Gott, entwickelt hat, die Grund-muster des Annehmens und des Erwiderns der Gaben Gottes in Lob und Dank, in Opfergaben und Gebeten wiedererkennen.

Wenn man religionsgeschichtlich die für unsere Kultur so außerordentlich folgenreiche Geschichte der – oft tödlichen – Dramatik der religiösen

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Autor // Fritz Rüdiger VolzProf. Dr. phil. Fritz Rüdiger Volz, geb. 1946, lehrte von 1982 bis 2011 Soziologie und Sozialphilosophie/Ethik an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum. Arbeitsschwerpunkte: Sozial- und Kulturgeschichte der Wohltätigkeit sowie sozialanthropologische und ethische Grundlagen des Gabehandelns. Seit 2000 Mitglied der wissenschaftlichen Kommission „Geben, Schenken, Stiften“ und seit 2001 Mitglied der Prüfungskommission der Fundraising Akademie Frankfurt am Main.

„ Zedaka“– der Geist und die Praxis der Gabe im Ethos des Judentums

reLIGIoN, GaBeHaNDeLN uND ScHeNKeN

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Weitergeben: als Teilen der Güter mit all jenen, die in ihrer Lebensführung auf diese Teilhabe an den (landwirtschaftlich erzeugten) Lebens-mitteln angewiesen sind. Das betrifft zunächst all jene, die ihr Leben dem Dienst am Tempel geweiht haben – Priester, Leviten und andere Kultbedienstete. Das betrifft sodann all jene – und das ist die größere und bedeutsamere Gruppe –, die als Witwen, Waisen und Fremde zu den Armen und Bedürftigen und zu den in ihren Rechten Gefährdeten zählen. Für das Selbstverständnis, für die Lebensvollzüge und für die Wirkungsgeschichte des Judentums ist es nun von kaum zu überschätzender Bedeu-tung, dass der Gott Israels sich als der zu erken-nen gibt, für den die Art und das Ausmaß des Teilens mit den Armen, des Weitergebens an

„Witwen und Waisen“ als praktische Bewährung der Bundestreue der Israeliten und ihrer Recht-schaffenheit im Verhältnis zu den Mitmenschen gilt.

In diesem Bruderschaftsethos als einem dem Bunde Gottes entsprechenden Ethos verschafft sich in besonderer Weise die eigene Erfahrung sowohl von Unterdrückung und Not („in ägyp-ten“) als auch von Gottes Befreiungshandeln im Exodusgeschehen Geltung. Dieses Bruder-schaftsethos findet seine verdichtetste Formu-lierung im Gebot „Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du“ (Leviticus/3. Buch Mose 19,18). Das Verhältnis zu Gott, zum Nächsten und zu sich selbst kann nur in der Einheit dieser wech-selseitigen Verwiesenheit gelingen. Die Verein-seitigung eines dieser drei Elemente gefährdet oder zerstört das ganze Beziehungsgeflecht.

Als Auslegung des Gebotes der Nächstenliebe finden sich in der Thora eine ganze Reihe von Geboten (Mitzwot), die mit ihren konkreten

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Konflikte zwischen Judentum und Christentum verstehen will, ist es sinnvoll, die Gründe dafür gerade in den ähnlichkeiten und Analogien, im Selbstverständnis als Gottesvolk und in den daraus abgeleiteten gemeinschaftlichen Lebens-ordnungen und individuellen Lebensvollzügen zu suchen. Die Ansprüche der christlichen Kirche, das neue und das wahre Volk Gottes zu sein, das sich dem Neuen Bund verdankt, hat aus dem Judentum nicht nur eine religiöse Konkurrenz des Christentums gemacht, sondern – viel grund-sätzlicher noch – eine kategorische Gefähr-dung und Bedrohung für die christliche Iden-tität, Ordnung und Legitimität. Das sollte im Hintergrund bewusst bleiben beim Blick auf die ähnlichkeiten und Analogien im Verständnis der Geschenke Gottes und der Gegengaben der Menschen.

Am Beispiel des jüdischen „Wochenfestes“ (Schawuot) lassen sich diese Zusammenhänge für das jüdische Selbstverständnis veranschau-lichen. Das Wochenfest ist das Fest, an dem des Geschenkes der Thora, des göttlichen Gesetzes und seiner Weisungen, gedacht wird. Zugleich ist es das „Fest der Erstlingsfrüchte“, zu bibli-schen Zeiten ein Wallfahrtsfest, an dem im Frühjahr die ersten Früchte des Feldes Gott im Tempel zu Jerusalem dargebracht wurden. In der Liturgie dieses Festes wird – religions- und kulturgeschichtlich folgenreich – ein Bewusstsein von den grundlegenden Strukturen des Gabe-geschehens zur Darstellung gebracht. Geben, Annehmen, Erwidern und Weitergeben gehen eine in sich hochkomplexe, vielfältige Verbin-dung miteinander ein. Gott stiftet den Bund mit seinem Volk und schenkt ihm seine Thora, in der sein Volk die Quelle seines spirituellen Lebens findet. Sein Volk (zu biblischen Zeiten eine agrarische Gesellschaft) erkennt in seinem Gott zugleich den Schöpfer der Erde, in deren Bear-beitung es materiell sein Leben sichert, und erkennt ihn als diesen an. Die ersten Früchte der ersten Ernte im Jahr werden diesem Gott als Opfer, d. h. als Gegengaben, in Anerkennung und Erwiderung seiner Schöpfungs- und Bun-desgaben, dargebracht. Die Erwiderung und der Dank an Gott vollziehen sich zugleich als

IM GABEHANDELN WIRD DIE WECHSELSEITIGE

ANGEWIESENHEIT ALLER MITGLIEDER ALS GEMEIN-

SAME AUFGABE ANGENOMMEN

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schränkte Befolgung fanden. Die Gebote sind Elemente von Programmatiken religiös motivier-ter Sozialreformen, wie sie in der Geschichte des Alten Israels immer wieder notwendig wurden. Es ist diese Idee von bruderschaftlichem Ethos, von Solidargemeinschaft und von der Bun des-treue gegenüber Gott und allen Mitmenschen, die für das nachbiblische talmudi sche Judentum bis heute und darüber hinaus für die euro päi sche Sozialgeschichte insgesamt bedeutsam gewor-den ist.

In der Geschichte des talmudischen, nachbibli-schen Judentums unter den Bedingungen der Diaspora, im Status als gefährdete Minderheit in christlicher und auch muslimischer Umge-bung, wird unter dem Druck dieser Verhält-nisse die Binnenzentrierung des Bruderschafts-ethos und seiner Hilfepraxis noch verstärkt. An die Stelle der bedeutungslos gewordenen Rege-lungen einer agrarischen Gesellschaft treten neue Formen, in denen das Geld einerseits und der konkrete, persönliche tätige Ansatz anderer-seits an Bedeutung gewinnen. Die Pflichten zur Unterstützung von Bedürftigen werden im Gebot der „Zedaka“, der Gerechtigkeit oder Wohltätigkeit, verdichtet. Jedes Gemeindeglied spendet anonym an damit von der Gemeinde Beauftragte, die den Spendenfonds treuhän-derisch verwalten und an Bedürftige verteilen. Freiwilliges und großzügiges Geben wird erwar-tet. Zugleich aber sollte niemand so viel geben, spenden oder verschenken, dass er sein und seiner Familie Auskommen nicht mehr gewähr-leisten könnte und selbst bedürftig würde. Darüber hinaus wird unter den Bedingungen des Zusammenlebens auf engem Raum die Pflicht zur „Gemilut chassadim“ (tätige Barmherzig-keit) im Sinne einer personalen Zuwendung zum bedürftigen anderen in Krisen- und Man-gelsituationen der persönlichen Lebensführung geordnet (dazu gehören die Fürsorge bei Krank-heit und Tod, der Freikauf von in Sklaverei gera-tenen Gemeindegliedern und die Ausstattung von armen Bräuten mit einer Mindestmitgift sowie der Beistand bei Tod und Bestattung). Insbesondere für die Zedaka gilt, dass sie eine durch Gottes Gebote geforderte Pflicht ist, die

Vorschriften dazu dienten, das Existenzmini-mum der Armen zu gewährleisten. So gilt das Gebot, die Ecken eines Feldes nicht abzuernten und überhaupt den Acker nicht vollständig abzuernten, sondern eine angemessene Menge von ähren für die „Nachlese“ durch die Armen liegenzulassen. Diese und eine Reihe weiterer Vor schriften waren freilich eng an eine agra ri-sche Produktionsweise gebunden und konnten im nachbiblischen, talmudischen Judentum nur eine sinngemäße Gestalt der Fürsorge für die Bedürftigen annehmen. Da viele der Armen durch aus Kleinbauern mit eigenem Grundbesitz waren, war in Krisensituationen, z. B. nach Miss-ernten, das Darlehen (als Saatgut oder als Geld) eine wichtige Form der Unterstützung. Darlehen waren in den wirtschaftlichen und sozialen Ordnungen des Alten Orients, d. h. in der sozia-len und kulturellen Umwelt des Alten Testa-ments, eine gängige und als selbstverständlich etablierte Praxis. Sie wurden gegen Zinsen, teil-weise zu enorm hohen Zinssätzen gewährt. Üblich war durchaus ein Zinssatz von ca. 20 %. Zu den vordringlichen ökonomischen und sozia-len Problemen gehörten folglich die Fragen von Zins und Wucher, von Pfändung und Schuld-knechtschaft.

Es unterscheidet nun das biblische Judentum in seinem Ethos radikal von seinen Nachbarn, dass es ein grundsätzliches Verbot des Zinsnehmens kennt (das in vielen Fällen auch für Fremde galt). Für die Ausgestaltung der Schuldknechtschaft von Angehörigen des eigenen Volkes galten besondere Schutzregeln; für Kredite aller Art und auch für die Schuldknechtschaft galten Erlassfristen, meistens in einem Sieben-Jahres-Zyklus. Diese Gebote standen in einem engen Zusammenhang mit der Institution des Sabbat, der ja für alle Vollzüge des Alltags und der Arbeit wesentlich mit der Idee der Unterbrechung, des Ablassens und des Erlasses verknüpft ist. Aller-dings muss man insbesondere im Blick auf das sogenannte Erlassjahr (Jobeljahr) – Erlass aller Schulden und Rückgabe allen im Zusammen-hang mit Darlehen und Schulden erworbenen Landes an die ursprünglichen Besitzer – davon ausgehen, dass solche Gebote nur eine einge-

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jüdischen Familien- und Gemeindeleben viel-fach präsenten Sammelbüchse durchaus als Almo sen verstanden werden.

Von den Wohlhabenden insbesondere wird erwartet, dass sie – mindestens am Sabbat-Abend – Reisende und Talmudstudenten zum gemeinsamen Mahl einladen. Auch Bettler und

„Schnorrer“ werden mit Spenden und Geschen-ken bedacht; Einrichtungen der Gemeinde, theo-logische Schulen und andere Einrichtungen rund um die Synagoge werden durch Spenden und Stiftungen gefördert. Aus alle dem entwi-ckelte sich die jüdische Philanthropie, zu deren Aufgaben mit Beginn des 19. Jahrhunderts immer mehr Aufgaben hinzukamen, die über die Hilfeleistung an Bedürftige hinausgriffen und auch die Förderung von Kunst, Wissen-schaft und Einrichtungen des Gesundheitswesens umfassten. Dabei wurden auch zuneh mend nichtjüdische Empfänger und Einrichtungen bedacht.

Es ist durchgängig eine Besonderheit jüdischer Spende- und Hilfepraxis, vor allem mit Blick auf wirtschaftliche Not, dass dem zinsfreien Dar-lehen eine besondere Bedeutung zukommt, dass es sogar eine ethische Auszeichnung erfährt. Auch dieses ist nur verständlich vor dem Hinter-grund eines Bruderschaftsethos, das jeden Einzelnen in seiner Gottesebenbildlichkeit und folglich in seiner Würde respektiert. Gerade auch Bedürftige durch das Geben und Schen-ken nicht zu beschämen, ist ein zentrales Motiv jüdischer Ethik. „Hilfe zur Selbsthilfe“ ist keine sozialpolitische Forderung der Moderne, son-dern von Anfang an Ziel einer von diesem Geist getragenen Unterstützungspraxis.

Einen Gipfelpunkt der theologischen und eth-ischen Klärung der Gaben- und Spendenpflicht der Zedaka findet sich im Werk des jüdischen Gelehrten Maimonides (auch Rambam genannt). Seine Lehre von den „Acht Stufen“ des Gebens und Schenkens ist bis heute beispielhaft und maßgeblich. Die unterste Stufe im Modell des Maimonides ist das widerwillige Spenden im Angesicht des Empfängers, die höchste Stufe

von allen Gemeindegliedern, auch von den Armen, erwartet wird. In Art und Ausmaß der Gemilut chassadim, der personal praktizierten Hilfestellung beim Bewältigen schwieriger Lebens situationen, besteht ein größerer Ent-scheidungs- und Gestaltungsspielraum für den Einzelnen.

Nicht unmittelbar von Geboten und Vor-schriften des Talmuds detailliert vorgeschrieben, wohl aber aus dem stets erneuerten Geist des Bruderschaftsethos und des dem Bund ent-sprechenden Handelns getragen, bilden sich im Laufe der Geschichte des Judentums eine Fülle von wirtschaftlichen und sozialen solidarischen Hilfeformen heraus. In diesem Prozess überlap-pen sich die Pflichten, Leistungen und Formen von Zedaka/Gerechtigkeit und von Gemilut chassadim/tätige Barmherzigkeit zunehmend. Durch stärkere Arbeitsteilung und Ausdifferen-zierungen innerhalb der jüdischen Gemeinde werden auch die Aufgaben und Funktionen beider Gestalten der Solidarität im Sinn des biblischen Bruderschaftsethos zahlreicher, diffe-renzierter und vor allem anonymer. Der Bedeu-tungsschirm von Zedaka erweitert sich beträcht-lich, aber zugleich verschiebt sich die Bedeutung des Wortes insgesamt von „Gerechtigkeit“ stärker zu „Wohltätigkeit“.

In all diesen Entwicklungen und Prozessen kommt dem Geld eine zunehmend große Bedeutung zu: Es ist die Form, die die Gabe wie auch die durch sie ermöglichte Unterstützung vorwiegend annehmen. Die beiden wechselseitig sich ver-stärkenden Dynamiken von Institutionalisierung und Monetarisierung durchziehen und bestim-men schon seit dem ausgehenden Mittelalter die Formen der sozialen Hilfe lange vor den modernen Wohlfahrtssystemen. Unter deren Rahmenbedingungen ist neuerdings das Almo-sen in Verruf geraten. Es gehört aber über lange Zeit (zumindest im deutschsprachigen Raum) zu dem Vokabular, mit dem die freiwillige und freigiebige Gabe für andere, das „öffentliche Schenken“, als ein wichtiges Element der För-derung des Gemeinwohls bezeichnet wird. So kann auch die Aufschrift „Zedaka“ auf der im

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Bernheim, Gilles: Le souci des autres au fondement de la loi juive, Calman-Lévy, Paris 2002 Dorff, Elliot N., Newman, Louis E.: Jewish Choices, Jewish Voices, Bd. 3: MONEY, Philadelphia 2008 Goodman, Paul: Die Liebestätigkeit im Judentum, in: Volksschriften über die jüdische Religion, 1. Jg., 4. Heft, Frankfurt/Main 1913 Kitzur Schulchan Aruch: Abrégé du Choul’hane Aroukh, T. I, XXXIV, Règles de la charité, Paris 1966 Salomon, Julie: Rambam’s Ladder, New York 2003 Sherwin, Byron L.: Jewish Ethics for the Twenty-First Century – Living in the Image of God, Syracuse, New York 2000 Verband der Deutschen Juden (Hg.): Die Lehren des Judentums nach den Quellen. Dritter Teil: Die sittlichen Pflichten der Gemeinschaft, Berlin 1923 Volz, Fritz Rüdiger: Sozialanthropologische und ethische Grundlagen des Gabehandelns, in: Fundraising Handbuch, hg. von der Fundrai-sing Akademie, 3. Aufl., Wiesbaden 2006

ist die der großzügigen anonymen Gabe, die den Empfänger in die Lage versetzt, mit dieser Unterstützung selbstbestimmt und eigenver-antwortlich seine Notlage zu bewältigen. Die Abfolge der Stufen insgesamt lässt sich anhand der Darlegungen des Maimonides in seinem Werk

„Mischne Thora“ (um 1180) folgendermaßen charakterisieren:

• Unwillig und zögerlich geben• Aus freien Stücken geben, aber zu wenig• Angemessen geben, nachdem man dazu

aufgefordert wurde• Angemessen geben, ohne vorherige

Aufforderung• Öffentlich geben, für einen anonymen

Empfänger• Anonym geben, an einen Empfänger,

den man kennt• Anonym geben, an einen anonymen

Empfänger• Vorsorglich geben: so geben, dass der Emp-

fänger in die Lage versetzt wird, aus eigener Kraft seine Notlage zu bewältigen. Das kann so geschehen, dass man ihm Arbeit gibt oder ihn an einem Geschäft beteiligt oder ihm ein zinsloses Darlehen gewährt. Diese Form der „Hilfe zur Selbsthilfe“ beschämt den Empfänger nicht und achtet ihn in seiner Würde.

Wir sehen, wie einer der größten Lehrer des Judentums in diesem Werk, einer systemati schen Neuformulierung der Gesetze und Gebote Gottes und der ihnen entsprechenden Pflichten der Menschen, genau dem Thema der Zedaka eine außergewöhnliche Bedeutung beimisst. Dies zeigt und unterstreicht noch einmal die grundlegende Bedeutung der Geschenke Gottes für das Verständnis von Leben, Lebensordnung und Lebensführung im Judentum. Es wird zugleich unübersehbar deutlich, wie in diesem Horizont jede Handlung des Gebens, Schen-kens und Spendens verstanden und vollzogen werden muss als Erwiderung und Dank.

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Die Unverfügbarkeit der Gabe Gottes // „Was bist du, das dir nicht gegeben wäre?“2 Dass es uns gibt, verdanken wir nicht uns selbst. Dass es andere Menschen gibt, mit denen wir unser Leben teilen können, liegt nicht in unserer Hand. Sich dagegenzustellen, dass wir sterben müssen, ist vergeblich. Wir können unser Leben nicht behalten. Wir können es nicht für uns behalten. Wir müssen es hingeben, was auch immer wir zu unserer Lebensaufgabe machen. Dass uns andere ihre Zuneigung und Liebe schenken und wir anderen Liebe geben können, dass wir zur Liebe begabt sind, auch dies kön-nen wir uns nicht selbst geben. Dass wir anderen Vertrauen3 schenken können, ist ein Geschenk. Dass wir dankbar4 sein können für das, was uns im Leben geschenkt wird, ist eine Begabung, die nicht jedem gegeben ist und die wir uns nicht selbst geben können. Wir kom-men nur als soziale Wesen auf die Welt.5 Es gibt uns nur als soziales Wesen. All diese Gaben, Begabungen und Gegebenheiten sind für den Menschen unverfügbar. Sie sind nicht immer so gegeben, wie wir es uns wünschen. Und nicht immer sind wir und andere für sie empfänglich. Aber wie wollten wir unser Leben selbst erzeu-

gen, den Tod verhindern, unsere Gaben als Besitz für uns behalten, ohne Gemeinschaft leben, Liebe und Vertrauen, Verstehen und Dank-barkeit erzwingen? Wollen wir dennoch über sie verfügen – etwa weil wir nicht genug davon bekommen haben – spüren wir ihren Verlust, erfahren wir die Vergeblichkeit unseres Tuns, vielleicht sogar eine Schuld.6 Die schreiben wir nicht nur anderen zu,7 sondern oft uns selbst. Oder wir schreiben sie Gott zu.

In christlicher Perspektive verweisen diese zen-tralen existenziellen und lebensbedeut samen Erfahrungen auf die unverfügbaren Gaben Gottes. Sie beinhalten die Lebensgabe (Genesis 3,19). In der Gottebenbildlichkeit ist die Gabe der Rationalität (Genesis 1,26f., Psalm 8) wie auch die Aufgabe, dieser Gabe zu entsprechen, enthalten. Auch die Gabe der zehn Gebote stellt Begabung und Aufgabe zugleich dar.8 Durch sie ist soziales Leben möglich. Sie erinnern uns daran, was wir Gott und den Menschen schul-den. Sie lehren uns den anderen zu achten und ihm zu geben, was auch wir von ihm an Gütern empfangen wollen. Sie sind die Vorausset zung, dass es eine Gemeinschaft gibt, in der wir leben

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Autor // Dieter WeberProf. Dr. Dieter Weber, Biologe und Theologe. Seit 2000 Professor für Theologie und Sozialethik an der Fachhochschule Hannover. Arbeitsschwerpunkte: die Bedeutung von Leiblichkeit und Affektivität für das moralische Urteilsvermögen, Soziale Arbeit als Praxis der Anerkennung, Dialog Theologie und Naturwissenschaften.

Unser Vermögen zu geben ist eine Gabe Gottes1

Gabe in christlicher Perspektive

1. Die folgende Darstellung ist aus christlicher Perspektive geschrie-ben. Das „Ich“ und „Wir“ setzt im-mer diese christliche Perspektive voraus.2. In Anspielung auf die Briefzeile des Paulus an die Korinther („Was hast du, was du nicht empfangen hast?“, 1. Korinther 4,7) formuliert Oswald Bayer die „kategorische Gabe“ in Gestalt der Frage: „Was bist du, das dir nicht gegeben wäre?“. Sie steht für Bayer am An-fang einer christlichen Ethik und im Kontrast zum kategorischen Impe-rativ und der kantischen Frage, „Was soll ich tun?“ (vgl. Bayer 1995). 3. Vgl. Hartmann / Offe 2001; Hart-mann i. Dr.4. Vgl. Simmel 1907, 593-598.

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barkeit, das grenzenlose Verstehen und Ver-trauen zu fordern. Dies ist gerade nicht un sere Schuld. Die Schuld besteht viel mehr darin, dass wir diese bedingungslose Gabe zu unse rer Schuld machen. Nur in diesen unverfüg baren Gaben wird Leben gezeugt und gestiftet. Nur sie versöhnen uns damit, dass wir unser Leben restlos hingeben müssen ohne Rück gabe garan-tie. Wenn wir hier einander etwas „schuldig“ geblieben sind oder aus unserer Sicht das Leben uns etwas schuldig bleibt, können wir es durch keine Gabe von uns wiedergut machen. Auch ist die Bitte um Vergebung hier vergeblich und die Vergebung, die wir anneh men sol len, unannehmbar, wenn die Schuld gerade daraus erwächst, dass wir das Unverfügbare, weil Bedin gungslose, zu unserer oder zur Schuld des anderen machen. Wo dieses Unverfügbare verfügt werden soll, das Bedingungslose zur Bedin gung gemacht wird, ist der andere „für uns gestorben“ und wir für den anderen. – Es kann sogar bedeuten, dass Gott für uns gestor-ben ist („für uns“ ist allerdings nicht im stellver-tretenden Sinne zu verstehen wie Christus für uns gestorben ist). Denn weder können wir, noch kann der andere uns diese Schuld beglei chen, noch können wir sie einan der vergeben, noch können wir Gott für seine eigene Bedin gungs-losigkeit und Unverfügbar keit die Schuld geben, auch wenn er es sich gefallen lässt, dass wir uns bei ihm dafür beklagen oder mit ihm streiten. Wo wir das Unverfügbare erzwin gen wollen, tritt an die Stelle von Liebe Hass, an die von Dankbar keit Bitterkeit. Nicht Ver stehen und Vertrauen, sondern Starrsinn und Misstrauen steuern dann unser Empfinden und Reden, Denken und Handeln.

Selbst bei der „alltäglichen“ Schuld, wo wir uns im Bereich „menschlicher Möglich kei ten“ bewe-gen, ist es vergeblich, um Vergebung zu bitten und sie von einem anderen an nehmen zu wol-len, oder wenn wir einem anderen vergeben sollen ohne zu trauern. Ohne diese Trauer bleibt die Bitte um Vergebung wie die ausgespro-chene Vergebung eine Lüge. Und dass ein anderer uns vergibt, ist ohne zu trauern für uns unannehmbar.

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können (vgl. Psalm 1,3 und 119). Un verfügbar ist die Gabe des Geistes (Apostelgeschichte 2). Gottes Geist macht nicht nur unseren Le bens-odem aus (Genesis 3,19; Psalm 104,30). Er lehrt uns auch zu verstehen, uns sozial zueinander zu verhalten und unsere Gaben und Güter mit anderen zu teilen. Er stiftet unsere individu ellen Geistesgaben (1. Korinther 12), an denen wir einander erkennen, für die wir einan der wert-zuschätzen lernen.

Die Schuld, das Bedingungslose und Unver­fügbare zu unserer Schuld zu machen // Was auch immer wir von anderen bekommen, es wird nie genug sein. Unser Hunger nach Leben, nach bedingungsloser Liebe, nach Aner-kennung wird dadurch nie befriedigt werden können. Der andere muss uns mindestens genau das „schuldig“ bleiben und wir ihm, was nicht verfügbar ist. Die Schuld besteht nicht primär in einem moralischen Fehlverhalten. Sie liegt auch nicht direkt in einem Unvermögen. Sie liegt vielmehr darin, dass wir uns und dem anderen gegenüber dieses Unvermögen leug-nen, indem wir verfügen und erzwingen wol-len durch alle möglichen Tricks und Manöver, mitunter auch durch moralisches Fehlverhalten verfügen und erzwingen wollen, was sich doch nicht zwingen lässt. Es ist uns eine zu bittere Gabe anzunehmen, dass wir im Blick auf die elementaren Le bensgaben alle nur Empfangende sein können. Und es ist uns ein zu bitterer Kelch, loslassen und unser eigenes Leben hingeben zu

„müssen“. Dieses „Müssen“ ist ein passives Müs-sen. Bei diesem Sein-eigenes-Leben-aus-der-Hand-geben-müssen, handelt es sich gerade nicht um das über lange Zeit gepredigte diako-nische Ethos. Sein Leben in fast autoaggressiv zu nen nender Selbst ver gessen heit und Selbst-verleugnung im Dienst an dem anderen hin zu-geben – pikanterweise eine Forderung, die sich meistens an Frauen richtete – wurde von Luther als Werkgerechtigkeit namhaft gemacht. Viel-mehr verkörpert dieses von uns selbst oder von an deren geforderte Ethos eine ganz besonders raffinierte Weise, auf die wir über das Un ver-fügbare selbst verfügen wollen. Es ist geradezu paradox, die bedingungs lose Liebe und Dank-

5. Dies ist auf eine Kurzformel ge-bracht das Ergebnis der modernen Säuglingsforschung (vgl. Dornes 2006, Rochat 2009).6. Nicht erst durch unsere Sterb-lichkeit wird uns die Vergeblich-keit, das Unverfügbare zu verfü-gen, bewusst. Es ist bereits die Einsicht, dass die Gabe des Lebens keine Art von Besitz ist, die wir be-halten können. Sie wirft bei uns die Frage auf, ob uns das Leben nicht etwas schuldet, wenn wir es doch nicht behalten können.7. Die Erfahrung der Schuld auf-grund der Erfahrung des Nicht-verfügen-Könnens unverfügbarer Gaben, Begabun gen und Gege-benheiten ist zu unterscheiden von der Schuld, die sich durch ein Fehl-verhalten ergibt und/oder daraus, dass der andere mir so lange etwas schuldet, bis er/sie meine Dienst-leistung für ihn/sie erwidert hat. Mit den Worten Gouldners: dass einfach „der Schatten des Verschul-detseins“ in den „Zeitraum zwi-schen Egos Dienstleistung und Al-ters Zurückerstattung“ fällt (Gould ner 1960, 105).8. Er gibt sie nicht nur auf steiner-nen Tafeln, sondern er verspricht: „Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben“ (Jeremias 31,34; vgl. Hebräer 10, 16-17).

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unsere Hände gibt und preisgibt, kann er an unsere Stelle treten. Und wir können ihn an unsere Stelle treten lassen, weil seine Trauer nicht nur unsere Trauer ist, sondern weil er sie zum Ausdruck bringt, was für uns noch zu schwer gewesen ist, und sie darum auch bei uns möglich macht.13 Durch seine liebende Selbsthingabe tritt er an unsere Stelle. Seine Liebe tritt an die Stelle unserer Furcht nicht ge-liebt zu werden und unserer Sehnsucht, über das Bedingungslose verfügen zu können. Er gibt sich preis, entblößt, verletzbar, schreiend und flehend um Verschonung. So erkennen wir uns in ihm. So erkennen wir, dass er sich für uns als Mensch hingibt, wir aber auch in ihm sind, uns in seiner Trauer und Verletzbarkeit wider-spie geln (vgl. die Formulierung des „In-Seins“ in den Abschiedsreden des Johannesevangeli-ums, Kapitel 14–17, z. B. 14,20 usw.).

Wo Menschen aber zugleich darin erkannt haben, dass Gott selbst sein Leben so hin gibt („Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen“, Markus 15,39), um es durch uns wiederzuempfangen, kann Gott für uns sich hingegeben haben und an unsere Stelle getre-ten sein. Das erkennen wir, wenn wir uns in ihm erkennen.14 Es ist unsere Schuld, es ist unsere Ohnmacht, es ist unsere Trauer um das, was sich nicht verfügen lässt, die er erleidet. Er, der be dingungslos Gebende, erleidet selbst die Ohnmacht und die Trauer darum, dass dieses Bedin gungslose sich nicht verfügen lässt. Wir erinnern, dass er sich mit den Geringsten, den Ohnmächtigen identifiziert. „Was ihr den Ge-ringsten angetan habt, das habt ihr mir ange-tan“ (Matthäus 25,40). Jetzt erst können wir ihn, können wir die Gabe seiner Liebe richtig empfangen.15 Jetzt erst werden wir uns die Bega bung durch ihn gefallen lassen können. Denn wir wissen, dass diese Gabe und Bega-bung durch die Liebe stärker ist als der Tod (als Inbegriff der Vergeblichkeit das Unverfügbare zu verfügen), nicht weil sie an ihm vorbeiführt, sondern durch ihn hindurch. Indem ich ihn, den Gekreuzigten, für mich sein Leben hingeben lasse, kann ich auch von ihm mein Leben emp-fangen. Denn durch seine Hingabe komme ich

Zur Vergebung muss die Trauer9, das Loslassen, hinzukommen. In der Trauer müssen und kön-nen10 wir etwas von uns jemandem gegenüber preisgeben. Wir müssen unsere Autono mie auf-geben. Wir geben uns in die Hand eines anderen. Am Ende der Trauer gestehen wir die Vergeb-lichkeit des eigenen Tuns, unsere Ohnmacht ein. Das gilt sowohl für den, der sich überwin-den muss, um um Vergebung bitten zu können und dann auch die Vergebung anneh men kann, wie für den, der einem anderen vergeben soll. Wir können diese Ohnmacht aber nur eingeste-hen, sofern wir uns von anderswo her beschenkt wissen, ein anderer uns etwas gegeben hat. Was aber muss uns wer auf welche Weise gegeben haben, damit die Trauer, das Loslas sen und Sich-einem-anderen-Preisgeben möglich werden, durch die erst Vergebung und Versöh-nung möglich sind?

Die Vergebung durch die leibhaftige Selbst­hingabe Gottes // Die Vermutung liegt nahe: Vergeben (insbesondere der Schuld, das Bedin-gungslose nicht annehmen zu können11, son-dern verfügen zu wollen) kann nur Gott, der Geber der bedingungslosen Gaben selbst. Ver-gebung kann in ihm liegen, weil er allein als Geber der bedingungslosen Gaben die Schuld für das Bedingungslose zuerst übernehmen kann. Die Schuld aber kann er übernehmen, weil er sich uns preisgeben kann, ohne sich zu verlie-ren, d. h. modern gesprochen, weil er trauern kann. Trauern, loslassen kann er, weil er die Liebe selbst ist. Die Liebe ist die unverfügbare Gabe und Begabung sich hinzugeben, ganz bei einem an deren zu sein und genau darin sich wiederzuerkennen, zu empfangen und sein Glück zu fin den wie die Mutter, die ihr Kind herzt und sich im Glück, im Lachen des Kindes wiederfindet. Damit er, der Geber der bedin-gungslosen Gaben, uns vergeben, unsere Schuld teilen kann, muss er mit uns das teilen, was für uns so schwer anzunehmen ist: dass wir uns unser Leben nur geschenkt sein lassen und es nicht verfügen können12, dass unser Leben vergänglich ist und wir es nur empfangen kön-nen, indem wir es hingeben. Indem er selbst mit uns die Ver gänglichkeit teilt und sich in

9. Vgl. Wenzel 2009.10. Die Trauer geht nicht in einem Müssen, dem Loslassenmüssen, auf. Sie beinhaltet auch ein Loslas-senkönnen, -dürfen und am Ende auch -wollen. Als Müssen er-scheint sie nur aus der Unfähigkeit, loslassen zu können.11. Oswald Bayer spricht davon, dass der Sünder ein Kostverächter ist. „In der Überwindung seiner Kostverach tung erneuert sich das Urwort der Gabe im Gabewort des Herrenmahls »Nehmet hin und es-set. Das ist mein Leib, für euch gegeben!« Matthäus 26,26; 1. Ko-rinther 11,24)“ (Bayer 2009, 107).12. Es verfügen zu wollen, ist gerade der Misstrauensantrag ge-genüber der Liebe. 13. Die stellvertretende Selbst-hingabe, das Trauern an unserer Stelle, indem er unsere Trauer zum Ausdruck bringt, ist (gerade) kein Opfer in dem Sinne, dass die in der Trauer enthaltene Selbsthingabe und Selbstpreisgabe (gerade) keine reine Vernichtung bedeutet, son-dern sich durch sie eine Verwand-lung und ein neues, befreites Le-ben eröffnet. Es wird hier streng genommen auch durch die stellver-tretende Selbsthingabe Jesu keine Schuld abgetragen oder getilgt. Vielmehr werden wir aus der schuld-haften Verstrickung, das Unverfüg-bare glauben verfügen zu müs sen, herausgelöst. Mit der Selbsthin-gabe geht die Freigabe aus einer destruktiven Beziehung und Ab-hän gigkeit einher – die destruktive Beziehung, die, anders als die ge-schöpflich-empfangende Beziehung zu Gott, von sich und anderen fordert, was doch nur geschenkt werden kann.14. In jedem psychotherapeu -tischen oder seelsorgerlichen Ge-spräch, wo ein anderer unsere Emotionen mitfühlt – unsere Freude wie unsere Trauer – und uns spiegelt, spüren wir nicht nur, dass er an unsere Stelle getreten ist, sondern wir können so auch uns in dem anderen wieder selbst erken-nen und annehmen (vgl. Altmeyer 2005).15. „Wie soll ich Dich empfangen und wie begegn´ ich Dir“, dichtete Paul Gerhardt in der 1. Strophe des Weih nachtsliedes im Evangeli-schen Gesangbuch, Liednummer 11.

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geben, was ich bekommen habe19, was mir gegeben ist. Der Dativ (abgeleitet von dem lat. Verb dare = geben) des „mir“, der Fall in dem das Per sonalpronomen hier steht, drückt das

„Gegeben-Sein für jemanden“ (Personalprono-men) aus. Was mir gegeben ist, damit bin ich begabt. Womit ich begabt bin, damit identifi-ziere ich mich. Diese Begabung mit etwas, dass mir etwas gegeben ist, womit ich mich identifi-ziere, durch das ich erfahre, wer ich bin, erfahre ich nur, wenn ich meine Begabung mit einem anderen teile, wenn ich mich in dem, was ich gebe, mich selbst gebe, wenn ich mich darin selbst ein bringen kann. Ich muss die Erfahrung machen, dass ein anderer meine Gabe, das, womit ich begabt bin, dankbar annehmen kann.20 Und in der Dankbarkeit, in der es der andere annimmt, erwidert der andere meine Gabe, gibt sie mir, in gewandelter Form zurück.21 Erst jetzt weiß ich mich begabt. Insofern muss ich hingeben, womit ich begabt bin, muss ich mich hingeben, um zu bekommen, um zu emp-fangen, was mir gegeben ist, schließlich um mich selbst zu empfangen. Es ist also nicht nur für den anderen in Not ein Bedürfnis, dass wir ihm geben, womit wir begabt sind, sondern unser eigenes.22 Immerhin ist darin die Sehnsucht nach dem ewigen Leben, dass es mich geben wird, trotz meiner Selbsthingabe, enthalten. Die schwer zu verkraftende Antwort ist, dass es mich geben wird, gerade weil ich mich hingebe und nur so. Wo wir aufgeben, uns hinzugeben, gibt es uns nicht mehr. Dann sind wir für den anderen ge storben, weil es uns für ihn nicht mehr gibt. Dann sind wir selbst gestorben. Denn unser Le ben können wir nur von einem anderen her empfangen. Da die Dankbarkeit des anderen (durch die meine Gabe / Selbsthingabe erst erwidert wird und ich meine Begabung, mich selbst, was mir gegeben ist, empfange), unver-fügbar ist, bleibt auch das, was mir eigen ist, unverfügbar. Es ist kein Besitz, über den ich ver-fügen, den ich behalten könnte. – Die Bega-bung, für mich zu behalten oder den anderen zur Dankbarkeit zu zwin gen, kommt dem Ver-lust meiner Begabung gleich. – Ich muss es her-geben und darin mich selbst hin- und preisge-ben, es mit anderen teilen, um es wieder zu

gewissermaßen auf den Geschmack, dass das Leben als unverfügbares Geschenk empfangen sein will. Dies kann ich nur empfangen, wenn ich es selbst hingebe, wie Christus, der sich für mich hingegeben hat. An die Stelle der Bitter-keit tritt ein Geschmack und Sinn dafür, sein Leben dadurch zu empfangen, dass wir es her-ge ben und mit anderen teilen.16 Jetzt schenke ich dem, der sein Leben für mich gegeben hat, Glauben, vertraue ihm, vertraue mich ihm an, gebe mich in seine Hände, weil ich mich in ihm wiedergefunden, wiederempfangen habe.17 Nehmen wir die Selbsthingabe Christi an, voll-zieht sich ein Identitätswechsel, sodass Paulus an die Galater schreiben kann: „Ich lebe aber; doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich in dem Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dargege-ben“ (Galater 2,20).

Im Empfang seiner Liebe, wo nicht wir leben, sondern er, seine Liebe in uns, kann nicht nur er an unsere Stelle treten, sondern auch der andere, der Nächste. Denn die Liebe ist die Begabung, den anderen annehmen zu können, weil man sich im anderen selbst wieder erkennen und annehmen kann. Dann können auch wir fürein-ander eintreten („einer trage des anderen Last“; Galater 6,2). Diese solidarische Verbin-dung kann aus der Erfahrung entstehen, dass einerseits keiner seine Begabung und seinen Reichtum für sich hat und dass andererseits keiner angesichts des Todes darum herumkommt, sein Leben hingeben zu müssen. Wir alle teilen die Sehnsucht, so viel zu bekommen, dass der Verlust des Lebens im Tod uns nicht schrecken kann, dass nichts Hohes oder Tiefes uns scheiden kann von der Liebe Gottes (vgl. Römer 8,39). Diese Liebe Gottes liegt in Jesus Christus, also in dem, dem Gott uns menschlich und leib-haftig begegnet und der sein Leben für uns hingegeben hat.

Gott sei Dank für seine unaussprechliche Gabe // Dem Geben geht in christlicher Pers-pektive, wie wir gesehen haben, ein Empfan-gen, ein Bekommen voraus.18 Ich kann nur

16. Dies ist wohl der Sinn und Ge-schmack für das Unendliche, von dem der Theologe Friedrich Schleierma-cher in der Erläuterung des Be-griffes Religion sprach. Die durch Christus ermöglichte Trauer macht uns wieder liebes fähig. Das Beson-dere an der Liebe ist aber, dass sie mehr wird, wenn wir sie mit ander-en teilen. Wer die Liebe genießt, bekommt einen Geschmack für das Unendliche. Im Augenblick der Liebe und getragen von ihr ist der Liebende bereit, der Geliebten ewige Liebe zu versprechen.17. Nach der Deutung des Paulus wird in der Taufe diese Verbindung zwischen dem Gekreuzigten und Auferstande nen und dem Getauf-ten symbolisch vollzogen. Denn in der Taufe stirbt der im Namen Christi Ge taufte und wird auferste-hen zu einem neuen Leben, sodass auch der Tod ihn nicht trennen kann von der Liebe Gottes (vgl. Römer 6; oder auch Römer 13,11-14). Genau genommen stirbt der Getaufte der Sünde. Die Sünde be-zeichnet die Getrenntheit von Gott. Die Trennung resultiert gerade daraus, dass wir uns das Leben, die Liebe und das Vertrauen nicht schenken lassen, sondern bei uns und dem anderen verfügen wollen. Sterben wir der Sünde, lassen wir die Sehnsucht los, das Unverfüg-bare zu verfügen. In moderner Spra-che gefasst: Wir trauern. Genau dies aber eröffnet die Möglichkeit, das Leben neu zu empfangen, über-haupt empfänglich zu werden für neues Leben. Der Misstrauensant-rag gegenüber der unverfügbaren Liebe ist aufgehoben und wir kön-nen sie genießen und von ihr getra-gen uns hingeben und im anderen, dem wir unsere Liebe schenken, empfangen. Genau diese wieder-gewonnene Liebesfähigkeit ist die Auferstehung von der Tolstoi in sei nem Roman „Auferstehung“ schreibt.18. Dalferth 2007; vgl. auch Bayer 1995.19. Diese Einsicht dürfte auch Matthias Claudius als Dichter des Liedes „Wir pflügen, und wir streuen“ zu dem Refrain: „Alle gute Gabe, kommt her von Gott dem Herrn, drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn!“ inspiriert haben. In-dem ich im Bild gesprochen „pflüge und streue“, gebe ich das Wenige aus der Hand, was ich habe, um später umso mehr dank-bar zu empfangen.20. Wie verzweifelt ist ein Mensch, der nie sein Leben mit einem an-deren teilen kann – eine Krankheit zum Tode.21. „Es ist der Blick des Anderen, der mir Hilfe zutraut, der meine Handlungsfähigkeit begründet. Dieser Blick kommt zuerst“ (Mor-genthaler 2005, 39).22. Geschichte vom barmherzigen Samariter (Lukas 10,25-37)

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hingegeben hat. Hier empfangen wir unsere Empfänglichkeit für den anderen und uns selbst. Hier wird der symbolisch-leibhaftige Charakter der Gabe, die Leben und Beziehung ermöglicht, gestiftet. Im dankbaren Empfang kann etwas von ihm an unsere Stelle treten und sich mit uns verbinden. „Nun lebe ich, aber nicht ich, sondern Christus (die personifizierte Liebe) in mir.“ Wo aus christlicher Sicht der dankbare Empfang von dem, der für uns sein Leben hin-gegeben hat, unsere neue Identität ausmacht, was und wie wir uns gegeben sind (als von der personifizierten Liebe erfüllte), haben wir genug. Denn was wir hiermit empfangen haben, ist die Empfänglichkeit selbst für den anderen, für uns und für die Liebe, das Sich-Geben, Empfangen und Erwidern zwischen uns. Wer von dieser Quelle zehrt, ist wie ein Baum, „der an Wasser-bächen gepflanzt ist, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt und dessen Blätter nicht welken. Alles, was er tut, wird ihm gut gelingen“ (Psalm 1,3). Sein neues, altes Gebot ist die Liebe. Wie das Vertrauen und die Dankbarkeit wird sie nicht weniger, wenn wir sie mit anderen teilen, sondern mehr. „Gott sei Dank für seine unaus-sprechliche Gabe!“ (2. Kor 9,15).

Altmeyer, Martin: Innen, Außen, Zwischen – Paradoxien des Selbst bei Donald Winnicott, in: Forum der Psychoanalyse 21 (2005), S. 43–57 Bayer, Oswald: „Gabe“, in: Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG), 4. Aufl., Bd. 3, Sp. 445/446, Tübingen 2000 Bayer, Oswald: Kategorischer Imperativ oder kategorische Gabe, in: ders.: Freiheit als Antwort. Zur theologischen Ethik. Tübingen 1995, S. 13–19 Dalferth, Ingolf: Alles Umsonst – zur Kunst des Schenkens und der Grenzen der Gabe. in: Von der Ursprünglichkeit der Gabe. Jean-Luc Marions Phänomenologie in der Diskussion, hg. von Michael Gabel/ Hans Joas, Freiburg i. Br. 2007, S. 159–191 Gouldner, A. W.: The Norm of Reciprocity, in: American Sociological Review 25/2 (1960), S. 161–178. Hartmann, Martin: Die Praxis des Vertrauen. Frankfurt/Main (in Druck) Hartmann, Martin; Offe, Claus (Hg.): Vertrauen: Die Grund-lage des sozialen Zusammenhalts. Frankfurt/Main 2001 Morgenthaler, Christoph: Der Blick des Anderen. Die Ethik des Helfens im Christentum, in: Ethik und Praxis des Helfens in verschie-denen Religionen. Anregungen zum interreligiösen Gespräch in Seelsorge und Beratung, hg. von Helmut Weiß u. a. (Gg.),. Neu-kirchen/ Vluyn 2005, S. 35–51 Rochat, Philippe: Others in Mind. Social Origins of Self-Conscious-ness, Cambridge, Massachusetts 2009 Simmel, Georg: Exkurs über Treue und Dankbarkeit, in: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Berlin 1908, 1. Aufl., S. 438–447; im Internet unter http://socio.ch/sim/ unt8g.htm Weber, Dieter: Ich gebe, also gibt es mich: Eine Rekonstruktion des Phänomens „Geben” aus der psychoanalytischen Theorie der Inter-subjektivität, in: Geben, Schenken, Stiften – theologische und philo-sophische Perspektiven, hg. von Claudia Andrews, Paul Dalby, Thomas Kreuzer, Münster 2005, S. 79–126 Wenzel, Knut: Vergebung: Von der Gabe zur Anerkennung, in: Die Gabe. Ein „Urwort“ der Theologie?, hg. von Veronika Hoffmann, Frankfurt/Main 2009, S. 125–144.

empfangen, um zu erfah ren, dass ich mit ihm begabt bin, dass es mich als so Begabten gibt.23

Insofern hat der andere an meiner Begabung und somit an mir immer Anteil. Er muss (im dank-baren Empfangen) Anteil an meiner Begabung bekommen, damit ich die Erfahrung machen kann, dass es mir gegeben ist. Denn im dank-baren Empfang meiner Gabe durch den an-

deren, erfahre ich meine Gabe als Ausdruck meiner Begabung. Hierin drückt sich der Pro-zesscharakter der Gabe als unaufhörlicher Proz-ess von Empfangen / Bekommen-Ha ben, Geben, dankbares Erwidern der Gabe, Wiederempfan-gen ..., aus. Man kann auch sagen, dass sich darin der symbolische Charakter der Gabe aus-drückt. In ihr fügen sich prozesshaft meine Begabung, was mir gegeben ist, meine Selbst-hingabe und das Empfangen und Erwidern allein schon durch das dankbare Empfangen durch den anderen fortwährend zusammen (sym-ballein, griechisch = zusammenwerfen, zusammenfügen). Im Prozess des Gebens, in dem die Ver bundenheit zwischen mir als Gebenden und dem anderen als dankbar Empfangenden enthalten ist, meiner Begabung, die in meinem Geben, meiner Selbsthin- und Preisgabe und dem dankbaren Empfang und der Erwiderung durch einen anderen in dem Gegebenen und Empfangenen leibhaftig Gestalt annimmt, ist das „Zwischen“ im Sinne des jüdischen Päda-gogen und Religionsphilo sophen Martin Buber beschrieben. Im Abendmahl sind wir noch ein-mal auf andere Weise leibhaftig verbunden.24

Hier teilt sich der aus, der sein Leben für uns (d. h. „für uns“ meint stellvertretend für uns)

23. Im Kontext der psychoana-lytischen Objektbeziehungstheorie habe ich versucht diesen Aspekt des Gebens im Kern der eigenen Subjektkonstitution zu verankern (vgl. Weber 2005). „Ich gebe (mich einem anderen hin), also gibt es mich“ korrespondiert mit dem Gedanken von Dalferth, „weil ich (von einem anderen) bekommen habe, ist mir gegeben, und kann ich geben“ (vgl. Dalferth 2007). Beide Momente sind unauflöslich miteinander ver schränkt.24. Vgl. Stöllger 2009.

DASS WIR DANKBAR SEIN KÖNNEN FÜR DAS,

WAS UNS IM LEBEN GESCHENKT WIRD, IST EINE

BEGABUNG, DIE NICHT JEDEM GEGEBEN IST UND

DIE WIR UNS NICHT SELBST GEBEN KÖNNEN

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Dieser kurze Artikel möchte zeigen, in welcher Weise Schenkungen und Stiftungen wesentliche Bestandteile des islamischen Bankwesens sind. Die sudanesischen islamischen Banken versuchen seit 21 Jahren, ausgehend von den Prinzipien des islamischen Bankwesens, ihrer sozialen Ver-pflichtung gerecht zu werden. Zakãt-Fonds und Erträge aus schmutzigem Geld sind dabei zwei der wichtigsten Instrumente der Banken, um ihrer sozialen Verantwortung nachzukommen.

Die sudanesischen islamischen Banken // 1975 gründete sich die erste islamische Bank Sudans, die Faisal Islamic Bank. Bald darauf folg-ten andere und gegen Ende des Jahres 1983 gab es bereits zehn weitere Banken. Als die Isla-mische Nationale Front 1989 an die Macht kam, wurden alle Banken aufgefordert, ihre Geschäfte gemäß den Regeln des islami schen Bankwesens zu führen und sich unter die Aufsicht der Suda-nesischen Zentralbank (Central Bank of Sudan: CBOS) zu stellen. Zurzeit gibt es 26 Banken mit 517 Filialen im Land. Die sudanesischen islami-schen Banken (SIBs) greifen in ihrer Geschäfts-politik auf zwei Mittel zurück: Preisaufschläge und das Teilen von Gewinn und Verlust.

Die sudanesischen islamischen Banken arbeiten nicht nach eigenem Gutdünken; sie stehen

unter der Aufsicht der sogenannten Sharia Supervisory Boards (SSBs). Die SSBs sind in den Banken durch interne religiöse Berater vertre-ten, die die Arbeit der Banken überwachen und sicherstellen, dass alle Geschäfte der Bank im Einklang mit islamischen Prinzipien getätigt werden. Die Aufsicht durch die SSBs ist verpflich-tend für alle Banken. Der Vertreter der SSBs gibt jährlich einen Bericht heraus, in dem er der Bank bescheinigt, dass sie nach islamischen Prinzipien geführt wird. Bei jeder Art von Verstoß gegen diese Prinzipien wird die entsprechende Transaktion samt der daraus entstandenen Gewinne für nichtig erklärt und die gesamte Summe, Kapital und Gewinn, werden zu schmut-zigem Geld, das in soziale Projekte fließt. Im Folgenden werde ich näher ausführen, wie die islamischen Banken im Sudan Zakãt und schmut-ziges Geld zur Verbesserung der sozialen Ver-hältnisse einsetzen.

Wie arbeiten die sudanesischen islamischen Banken? // Neben der Finanzierung von Geschäf-ten mittels Preisaufschlag (auf verkaufte Waren) arbeiten die islamischen Banken nach dem Grundsatz des Teilens von Gewinn und Verlust, anstatt Gewinne aus Zinsen zu erzielen. Das Prinzip des Teilens von Gewinn und Verlust beruht auf dem Gedanken, Risiko und Profit

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Autor // Ahmed ElhassabAhmed Elhassab aus dem Sudan ist Doktorand an der Bayreuth International Graduate School of African Studies (BIGSAS) der Universität Bayreuth. Sein Spezialgebiet ist das islamische Bankwesen, insbesondere die Praxis der islamischen Banken im Sudan.

Zakãt und „schmutziges Geld“Sudanesische islamische Banken und soziale Gerechtigkeit

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von Schweinefleisch, das Betreiben von Tanz-clubs, aber auch risikoreiche Geschäfte mit ungewissem Ausgang (gharar), worunter Lotte-rien, Tauschgeschäfte, Glücksspiel (mysir) und jede Form der Geldwette zu verstehen sind. Zudem sind die sudanesischen islamischen Banken gesetzlich verpflichtet, jeweils am Jahres-ende zum Wohle der Allgemeinheit die Zakãt zu leisten.

Was ist die Zakãt? // Die Zakãt ist die Pflicht, Almosen zu geben; bei erworbenem Vermögen und geschäftlichem Kapital beläuft sich der zu spendende Anteil auf 2,5 %. 5 oder 10 % aller landwirtschaftlichen Erzeugnisse müssen gespen-det werden; 10 % der Ernte, wenn der Bauer keine zusätzlichen Kosten oder Investitionen

für Bewässerung hatte, andernfalls beträgt die Abgabe nur 5 %. Ebenso müssen 20 % all des-sen, was unter der Erde gefunden wird, als Zakãt abgeführt werden. Auch auf Viehherden entfällt ein festgelegter Satz der Zakãt. Idealer-weise sollte die Zakãt staatlicherseits, etwa durch ein Finanzamt, eingezogen werden. Ansonsten ist der Einzelne selbst für die Verteilung verant-wortlich. Der sudanesische Staat erhebt und verteilt die Zakãt über eine Institution: die Zakãt Fund Chamber.

Der Spendenanteil der sudanesischen Banken wird jeweils zum Ende des Geschäftsjahrs unter Aufsicht des SSB anhand des Bruttogewinns vor Steuern errechnet und der Zakãt Fund Chamber übergeben. Zu beachten ist, dass nur Privat-banken verpflichtet sind, die Zakãt zu entrich-ten, staatlich geführte Banken sind ausge nom-men, denn nach islamischem Rechtsverständnis

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gleichmäßig auf die Beteiligten einer finanziel-len Transaktion zu verteilen. Islamische Banken haben dieses Mittel entwickelt, weil Gewinne nicht aus Zinsen erzielt werden dürfen. Das Teilen von Gewinn und Verlust etabliert eine Partnerschaft, in der die eine Seite das Kapital bereitstellt, während von der anderen Seite erwartet wird, dass sie die Geschäfte führt. Gewinne werden nach einer festgelegten Quote geteilt, idealerweise geht ein Drittel des Gewinns an den Investor, zwei Drittel erhält der Unternehmer. Entsteht ein Verlust, so verliert die investierende Partei ihr Kapital, die unter neh-merische ihren Arbeitseinsatz, vorausgesetzt, der Verlust war nicht das Resultat von Nachläs-sigkeit aufseiten Letzterer. Sollten beide Par-teien Kapital beigesteuert haben, sei es in Form von Geld oder Waren, so werden Gewinn oder Verlust, soweit nicht anders vereinbart, auf beide gleich verteilt.

Banken, die nicht nach islamischen Prinzipien arbeiten, gehen von drei Parteien aus: die unter-nehmerische Seite oder auch KreditnehmerIn, die Bank selbst als Verwalterin und Vermittlerin von Kapital und die EinlegeInnen, die der Bank ihre Ersparnisse oder andere Geldmittel zur Verfügung stellen.

Die islamischen Banken des Sudans kennen zwei Arten der oben erwähnten Partnerschaft: Die Partnerschaft zwischen den Einlegern und der Bank und die Partnerschaft zwischen dem Unternehmer (dem Kreditnehmer) und der Bank. Dementsprechend sind sie gehalten, anstatt festgelegte Zinsen für Kredite zu verlangen, Gewinn oder Verlust mit dem Unternehmer, dem sie das Geld geliehen haben, zu teilen. Ebenso teilen diejenigen, die ihr Geld in die Bank eingezahlt haben, Gewinn und Verlust mit den Banken. Darüber hinaus untersagen die Bestimmungen der Sudanesischen Zentral-bank Investitionen in Geschäfte, die der Scharia widersprechen, die als ungesetzlich (haram) angesehen werden und Einzelnen oder der Gesellschaft Schaden zufügen könnten. Dazu gehören die Herstellung und der Verkauf von Alkohol, der Handel mit oder die Verarbeitung

DAS PRINZIP DES TEILENS VON GEWINN

UND VERLUST BERUHT AUF DEM GEDANKEN,

RISIKO UND PROFIT GLEICHMäSSIG AUF DIE

BETEILIGTEN ZU VERTEILEN

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werden. So ist beispielsweise jede Art von Profit aus auf Zinsen beruhendem Handel mit internationalen Institutionen unrechtmäßig, eben so jede Transaktion, die unter dem Deck-mantel des Islam getätigt wurde, ohne wirklich den Regeln des Islam zu entsprechen. Folglich werden diese Gewinne gänzlich eingezogen und auf ein spezielles Konto eingezahlt: das

„Schmutziges-Geld-Konto“.

Schmutziges Geld ist jede Summe, die aus unrechtmäßigem Handel erworben wurde, ein recht weites Feld von Geschäften. Zinsgewinne sind die eindeutigste Variante von schmutzigem Geld. Zu den anderen Arten zählen alle Gewinne aus Verzugszinsen, ungültige Vereinbarungen über islamische Finanzierungsinstrumente und betrügerische Praktiken. Weil schmutziges Geld kein Gewinn ist, taucht es auch nicht in der Bilanz der betroffenen Bank auf. Einer der Leitsätze des Islam sagt hierzu: „Was auf unrech-tem Handeln beruht, bleibt in sich Unrecht.“

Die Sudanesische Zentralbank hat verfügt, dass dieses Geld nicht für die Verbesserung der sozia-len Verhältnisse verwendet werden darf. Anders als die Zakãt wird schmutziges Geld von einem Komitee verwaltet und ausgegeben, in dem außer dem Vertreter des SSB auch der Geschäftsführer der Bank vertreten ist. Die Empfänger von schmut-zigem Geld sind Alphabeti sierungsinitiativen, Stipendienfonds, Waisen häuser und Besserungs-anstalten. Manchmal gehen die Gelder auch direkt an dringend Bedürftige oder an Perso nen in akuten Notsituationen. Interessanterweise wird schmutziges Geld monatlich errechnet und ausgegeben.

80 % der 40 Mio. Sudanesen gelten als arm. Die Armutsbekämpfung ist formell kein Bestandteil des Regierungsprogramms. Zakãt, schmutziges Geld und unveräußerliches Stiftungsvermögen (waqf) sind einige der Instrumente, auf die die sudanesische Regierung zurückgreift, um ihrer diesbezüglichen Verantwortung gerecht zu wer-den. Nach der Scharia ist der Herrscher verpflich-tet, den Reichen zu nehmen, um den Armen zu geben. Das Geld geht entweder direkt an die

dienen staatliche Institutionen der Allgemein-heit und nicht den Interessen Einzelner. Die Zakãt wird an acht vom Koran festgelegte Per-sonengruppen bzw. Kategorien verteilt:

1. Die Armen (diejenigen, die weniger als eine Tagesration als Vorrat haben)

2. Die Bedürftigen (diejenigen, die weniger als eine Jahresration als Vorrat haben)

3. Die Angestellten der Zakãt Fund Chamber, die für Erhebung und Verteilung der Gelder zuständig sind

4. Konvertiten aus anderen Religionen zum Islam

5. Die Geknechteten (zur Befreiung aus der Sklaverei) (Da Sklaverei im Sudan nicht mehr existiert, wurde Kategorie Nummer 5 von der Verteilungsliste gestrichen.)

6. Für die Sache Gottes (ein weiter Bereich sozialer Aufgaben)

7. Reisende (die, die fern der Heimat sind)8. Verwaltungskosten

Die soziale Verantwortung der islamischen Banken im Sudan // Wie andere islamische Finanzinstitute spielen die islamischen Banken eine wichtige Rolle bei der Verteilung des Reich-tums, um den Vorschriften des Islam entsprech-end soziale Gerechtigkeit herzustellen. Eins der wichtigsten Instrumente für die Umverteilung des Reichtums von Reich zu Arm ist die Zakãt. Aber neben der Zakãt verfügen die sudanesi-schen islamischen Banken über ein weiteres Instrument: Gewinne aus schmutzigem Geld.

Schmutziges Geld: Bedeutung, Erhebung und Verteilung durch die SiBs // Als schmut-zig gilt alles Geld, das aus mit Zinsen belasteten Transaktionen oder anderen, möglicherweise illegalen Aktivitäten erwirtschaftet wurde. Zu Ersteren gehören jede Art der Zinswirtschaft, Geschäfte, die im Verdacht stehen, mit Zinsen zu arbeiten sowie Insolvenzgebühren, während die zweite Gruppe alle Investitionen umfasst, die im Widerspruch zu Grundsätzen des Islam stehen. Es kann vorkommen, dass Banken Geschäfte tätigen, die im Nachhinein durch den SSB für unrechtmäßig und nichtig erklärt

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Bedürftigen oder an wohltätige Organisatio nen, die sich um benachteiligte Gruppen kümmern. Tatsächlich bleibt weitgehend nebu lös, wie viel schmutziges Geld zur Verfügung steht und wie es verteilt wird. Weder die Banken noch die SSBs sind bereit, sich dazu zu äußern. Für das Jahr 2008 wird die Summe der Zakãt-Gelder, erzielt aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen, Viehbestand, Handel, Bareinnahmen, Spenden von Auslandssudanesen, Einkommenszuwächsen und Arbeitseinkünften, auf 128 Mio. Britische Pfund geschätzt.

An sich sollte jede der oben erwähnten acht vom Koran festgelegten Begünstigtengruppen 12,5 % (ein Achtel) der Gesamtsumme bekom-men. Da aber die Anzahl der Armen stark zuge-nommen hat, wurde der Verteilungsschlüssel geändert: 61 % für die Armen und Bedürftigen, 6 % für die Verschuldeten, 0,5 % für die Rei-senden, 2 % für die Konvertiten, 8,5 % für die Sache Gottes, 14,5 % für diejenigen, die die Zakãt einsammeln und 7,5 % für Verwaltungs-kosten.

Aus dem Englischen von Gitta Büchner

Ahmed Elhassab

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Ursprungsidee und Anfänge // „Wir waren nach den Ereignissen des 20. Jahrhunderts erfahrene Verlierer. Wir haben uns aus dem Nichts heraus erst alle selber bemerkt: Wir hat-ten nichts außer uns selber. Die Menschen, die ver standen hatten, dass es auf sie selber an-kommt, wenn es weitergehen soll, die fanden sich zusammen. Die Anregungen aus der Geis-teswissenschaft Rudolf Steiners waren Orientie-rung“, so Gisela Reuther, Mitbegründerin und über dreißig Jahre lang Vorstand der Gemeinnüt-zigen Treuhandstelle, in einem Interview 1999.

Dieses Zitat bringt die Impulse, die in die Grün-dung der Gemeinnützigen Treuhandstelle, heute GLS Treuhand, mündeten, auf den Punkt: Ein Schuss gesunder Pragmatismus, der Wunsch nach Aufbau und gesellschaftlicher Neugestaltung,

direktem Engagement, dem Zusammenbringen von Menschen unterschiedlichster Kompetenzen und der intensiven, häufig auch nächtlichen Diskussion der Ideen Rudolf Steiners.

Aus diesen Impulsen entstanden zunächst eine Waldorfschule (Bochum-Langendreer), ein Kin-dergarten und eine heilpädagogische Einrich-tung. Viele Menschen waren beteiligt. Sie kön-nen an dieser Stelle nicht alle genannt werden. Doch das Wissen um ihre Beteiligung führt zu einem weiteren, bis heute relevanten Baustein der Arbeit: Neue Initiativen entstehen durch Begegnung, Zuhören, Austausch, Beratung und Begleitung. Sie entstehen mithin aus der Ener-gie und dem Geschenk Vieler an eine Idee, die schließlich ihren Kristallisationspunkt in einigen tragenden Persönlichkeiten findet. Diese Per-sönlichkeiten wirken als soziale Unternehmer-Innen, sie sind gemeinnützig unternehmerisch tätig zum Wohle und im Dienste einer vielfach selbstgewählten, auf die Förderung des Allge-meinwohls ausgerichteten Gemeinschaft.

Im Falle der GLS Treuhand waren diese Anfangs-jahre ganz wesentlich von den sozialen Unter-nehmerInnen Dr. Gisela Reuther (Wirtschafts-wissenschaftlerin und Steuerberaterin) und Wilhelm Ernst Barkhoff (Landwirtschaftslehre,

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DIe praxIS DeS ScHeNKeNS uND StIFteNS

„Die Gemeinnützige Treuhandstelle hat sich keine Eigenziele gesetzt. Ihre Aufgabe besteht darin, im Gedankenaustausch von Mensch zu Mensch einzelnen Personen und gemeinnützigen Vereinen bei der Verwirk-lichung ihrer Aufgaben zu helfen. So galt es vor allem, gut zuzuhören, um die Gedankengänge der anderen zu klären, sie mit Erfahrungen und praktikablen Ideen zu inspirieren und vorwärts zu bringen.“ (G. Reuther, Mitbegründerin der Gemeinnützigen Treuhandstelle, heute GLS Treuhand, 1999)

Autorin // Annette MassmannDr. phil. Annette Massmann, Publizistin, Kommunikationswissenschaftlerin, Studium Wirtschaft und lateinamerikanische Geschichte, Santiago de Chile. Tätigkeit u. a. für Entwicklungshilfeorganisationen in Lateinamerika und als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ruhr-Universität Bochum. In der GLS Treuhand e. V. seit 2006 Geschäftsführung Zukunftsstiftung Entwicklungshilfe, seit 2008 Mitglied im Vorstand.

Aus der Fülle des Lebens handelnGLS Treuhand – ein halbes Jahrhundert des Schenkens

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war neben dem Zuhören und Begleiten die Grund- frage, wie Arbeitsformen und soziale Struk-turen veranlagt werden können, um getrennte und auseinandergefallene Lebens- und Arbeits-felder der Gesellschaft, zum Beispiel gemein-nützige und gewerbliche Tätigkeit, Industrie und ökologischen Landbau, durch initiative Menschen und Gemeinschaften in einer heil-samen Weise wieder miteinander zu verbinden.

Der andere Umgang mit Geld: Von Bürgen­, Leih­, Schenkgemeinschaften und gemein­nützigen Eigentumsformen // Die ersten Projekte, die von Wilhelm Ernst Barkhoff und Gisela Reuther zusammen mit Rolf Kerler, dem ersten Angestellten der GLS Treuhand, begleitet wurden, fanden ihre Finanzierung durch Bürgen-Gemeinschaften oder Leih- und Schenkgemein-schaften.

Beispielsweise wurde die Finanzierung der Rudolf Steiner Schule erst dadurch ermöglicht, dass die Eltern der zukünftigen Schule als private Bürgen für einen Kredit der Commerzbank Bochum eintraten. Über diese privaten Einzelbürgschaften wurde die Kreditvergabe erst ermöglicht, denn sonstige Sicherheiten existierten nicht. Viele kleine Beiträge trugen so zur Verwirklichung des Vorhabens bei. Gleichzeitig führte der Schul-bau zur Übernahme sozialer, pädagogischer, baulicher, finanzieller Mitverantwortung von Eltern und Lehrer/innen. Über die Gespräche mit Wilhelm Ernst Barkhoff und Gisela Reuther entstanden damit kreative, soziale Prozesse, die in tragfähige Gemeinschaften mündeten. Das gemeinschaftliche Engagement fand seinen Aus-druck auch in neuen Finanzierungsinstrumen-ten oder juristischen Lösungen für neue Einrich-tungen.

Inspiriert von der Idee, gesellschaftliche Gesun-dungsprozesse radikal – also „von der Wurzel her“ anzugehen, engagierten sich Wilhelm Ernst Barkhoff, Gisela Reuther, Rolf Kerler und Albert Fink (späterer Treuhand- und Bankvor-stand) früh und intensiv für das Thema Land-wirtschaft in Verbindung mit gemeinnützigen Eigentumsformen und Finanzierungsmodellen.

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Rechtsanwalt und Notar) geprägt. Sie schufen 1961 den Verein, der satzungsgemäß:

„… die Arbeit seiner Mitglieder in der Öffent-lichkeit im In- und Ausland werbend unterstüt-zen sowie Spenden sammeln, verwalten und den Zwecken der Mitglieder endgültig zufüh-ren“ sollte. Gleichzeitig sollten „Einrichtungen geschaffen werden, an die sich die Mitglieder bei der Durchführung ihrer Vorhaben um Rat und Unterstützung auf wirtschaftlichem und finanziellem Gebiet wenden können.“ (Satzung GLS Treuhand)

Damit sind Grundmuster der Arbeit, die bereits in der Gründung festgelegt wurden, genannt: So die satzungsgemäß gefasste Dienstleistungs-tätigkeit der GLS Treuhand für ihre Mitglieder – sie selbst verfolgt für sich keinen bestimmten Zweck. Das hob die GLS Treuhand von Anfang an von üblichen Vereinen und auch vom Cha-rakter einer Stiftung ab, die festgelegte Zwecke verfolgen. In ihre Verfassung ist eine struktu-relle Selbstlosigkeit eingeschrieben.

Dazu zählt auch die Verwandlung von freiem Kapital und Vermögen in vielfältige Schenkungs-formen im Interesse dieser gemeinnützigen Projekte und Initiativen – damit ein Aspekt des verantwortungsvollen, alternativen Umgangs mit Geld.

Die frühen Jahre waren davon geprägt, im Barkhoff’schen Rechtsanwaltsbüro individuelle Wege für Menschen zu entwickeln, Geld zu verschenken. Das konnten Sofortschenkungen sein oder auch Schenkungen, die erst mit dem Tode des Schenkenden realisiert wurden, unwi-derrufliche Schenkungen oder mit einem Widerrufsrecht verbundene, Schenkungen mit einem Nießbrauch oder mit verschiedensten Auflagen u. v. m. Von Anfang an ging es darum, mit diesen Menschen, die von sich aus zur Treu-hand kamen, in intensive und sehr persönliche Gespräche einzutreten, in denen ihnen bewusst wurde, was sie angesichts ihrer persönlichen Lage und ihrer Möglichkeiten selbst tun wollten. Die Geisteshaltung, die diese Gespräche prägte,

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Der andere Umgang mit Geld: Pionier und Unternehmer Alfred Rexroth // Die Übertra-gung landwirtschaftlicher Höfe in gemeinnüt-zige Trägerschaft und deren biodynamische Umstellung wäre ohne die Begegnung zwischen Wilhelm Ernst Barkhoff und dem Unternehmer Alfred Rexroth nicht möglich gewesen. Auch lässt sich die heutige Gestalt der GLS Treuhand ohne Alfred Rexroth nicht verstehen.

Der 1899 geborene Alfred Rexroth lernte Anfang der 20er-Jahre Rudolf Steiner kennen und setzte sich Zeit seines Lebens mit dessen Ideen ausein-ander. Ab 1923 führte er gemeinsam mit seinem Bruder den väterlichen Betrieb. Alfred Rexroth war Guss-Ingenieur und entwickelte ein Guss-verfahren, das zu einem besonders homogenen Gusseisen führte. Er legte damit die Grundlage für ein Weltunternehmen auf dem Hydraulik-sektor.

Anfang der 60er-Jahre stieß Alfred Rexroth durch die Vermittlung von Helmut Bleks, dem Vertreter der Firma Rexroth in Nordrhein-West-falen, zu Wilhelm Ernst Barkhoff, Gisela Reuther und Albert Fink. Gemeinsam versuchten sie, Finanzierungswege, Rechtsformen und Wirt-schaftsweisen aus anthroposophischen Leitbil-dern zu entwickeln. Sie wollten vor allem Men-schen, die in Institutionen und Unternehmen des Kultur- und Geisteslebens tätig waren, mit Menschen verbinden, die in Wirtschaftsunter-nehmen wirkten. Eine Idee, bei deren praktischer Umsetzung Alfred Rexroth zum Pionier wurde:

In einem ersten, versuchsweisen Schritt schenkte er der GLS Treuhand einen Betrag mit der Auf-lage, sich an dem Unternehmen Schweißtech-nik Bochum still zu beteiligen. Albert Fink über-nahm als Vollhafter die Geschäftsführung des heruntergewirtschafteten Betriebes und baute ihn zu einem international erfolgreich tätigen Unternehmen aus. Aus dieser Schenkung flos-sen der GLS Treuhand in den Folgejahren erste Gewinne aus Industriebeteiligungen zu. Nicht zuletzt dadurch, so Albert Fink, sei Alfred Rex-roth zu weiteren Schenkungen ermuntert wor-den.

Eine Anregung Rudolf Steiners aufgreifend, war ein zentraler Gedanke die Neugestaltung von Eigentumsformen in Bezug auf Grund und Boden: Grund und Boden sollten kein Gegen-stand des Wirtschaftens, keine Ware sein, denn er kann nicht aufgegessen oder sonst wie ver-braucht werden und ist nicht beliebig vermehr-bar. Grund und Boden sollte deshalb nicht ver-käuflich sein und aus dem Erbstrom genommen werden. Diese Ideen wurden in den 70er-Jah-ren virulent, da bei vielen Höfen Generations-wechsel und Finanzierungsnotstände auftraten, für die um Lösungsansätze gerungen wurde.

Eine Antwort wurde in der Übertragung von Höfen in gemeinnützige Trägerschaft gefun-den. Ziel war die Entwicklung dieser Höfe zum biodynamischen Anbau bei direkter Einbin-dung von Städtern, die sich finanziell, tatkräftig und ideell in die Höfe einbringen wollten – ganz im Sinne der Idee „neue Städter braucht das Land“.

Als Form wurden Betriebsgemeinschaften als Betreiber der Höfe gebildet. Ihnen zur Seite standen sogenannte Landwirtschaftsgemein-schaften als „Mitbetreiber“ sowie eine mög-lichst große Anzahl Vereinsmitglieder als ide-elle Begleiter. Dazu schreibt Rolf Kerler in einem Rückblick: „Über jeden einzelnen Hof wäre jeweils eine ganz eigene individuelle Geschichte zu schreiben“. Er erwähnt einige Höfe aus der langen Reihe derjenigen, die von der Beratung und finanziellen Förderung der GLS Treuhand profitierten, wie Wald am Inn (Chiemgau), Bol-lingstedt (Callsen-Bracker), Hasenmoor (Ehlers) bei Kaltenkirchen, Sophienlust bei Kiel, Dann-wisch (Scharmer), Schepershof bei Wuppertal. Auch in diesem zentralen Arbeitsbereich der GLS Treuhand waren damit Finanz- und Sozial-impuls eng miteinander verknüpft. Gleichzeitig sei – so Albert Fink – die Landwirtschaft als ein Gegenpol zur Industrialisierung verstanden worden: „Wenn wir alles unter industriellen Gesichtspunkten einrichten, entfesseln wir ein gewaltiges Zerstörungspotenzial. Wir brauchen die biodynamische Landwirtschaft als Wertebil-dungs-Gegenpol zur Industrie.“

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Beratung und Begleitung von Stifterinnen und Stiftern und gemeinnützigen Initiativen.

Der andere Umgang mit Geld: Bankähn­liche Einrichtungen // Aus den zahl reichen und viel gestaltigen Beratungen und Dienstleis-tungen für KapitalgeberInnen und -neh mer-Innen, ErblasserInnen, gemeinnützigen Mitglie-dern und Projekten entstand Anfang der 70er-Jahre die Notwendigkeit, bankähnliche Dienstleistungen für Mitglieder zu entwickeln und bereitzustellen. Bis dato konnte die GLS Treuhand nur in kleinerem Rahmen Darlehen entgegennehmen und als Kredit weiterleiten. Nach dem Kreditwesengesetz waren (und sind) diesen Tätigkeiten enge Grenzen gesetzt (damals ca. 25 Einzeldarlehen und 10 Einzelkre-dite). Will man diese Grenzen überschreiten, braucht man eine Banklizenz. Dies mündete – über den Zwischen schritt einer Kreditgarantie-genossenschaft – in die Gründung der GLS Gemeinschaftsbank e. G. GLS sollte dabei, so Rolf Kerler in einer Festansprache zum 40. Jah-restag der Gründung der GLS Treuhand, für

„Gemeinschaft für Leihen und Schenken“ ste-hen. Albert Fink, Mitbegründer der GLS Gemeinschaftsbank, langjähriger Vorstand und Aufsichtsrat, beschreibt die Initia tionsideen zur Bankgründung wie folgt: „Unser Bild einer neuen Bank war, dass sie die Aufgabe hat, eine Brücke zwischen Einleger und Kreditnehmer zu bilden, damit bewusste Beziehungen und bewusste Verantwortung für den Einsatz des eigenen Geldes entstehen können. (…) Selbst-verständlich sollte es keine übliche Bank wer-den. Die übliche Bank baut allein auf den Kräf-ten des Egoismus auf und nährt nur die egoistische Seele in den Menschen. Wir woll-ten eine gemeinnützige Bank. Eine Bank aus anthroposophischen Impulsen, aber nicht nur für Anthroposophen, sondern für alle, die neue Wege gehen wollen.“

Bei der Bankgründung ging es damit ganz besonders um die Ermöglichung direkter sozia-ler und finanzieller Verantwortungsübernahme und die Herstellung direkter Beziehungen über Geldflüsse in Form zum Beispiel von Direktkre-

Alfred Rexroth übertrug seine Industriebetei-ligungen an einigen Unternehmen auf eine Kapital-Verwaltungsgesellschaft, die Neuguss Verwaltungsgesellschaft mbH, die von den Geschäftsführern seiner Beteiligungsunterneh-men geleitet wurde. Die Kapital-Verwaltungs-gesellschaft sollte auch nach dem Tode von Alfred Rexroth dafür sorgen, dass die private Verfü-gung über das Unternehmerkapital sowohl für die beteiligten Unternehmer als auch für deren Nachfolger ausgeschlossen wurde.

Einen weiteren Schenkungsschritt unternahm Rexroth, als Kommanditanteile eines anderen Unternehmens zusammen mit Minderheitsan-teilen von Familienmitgliedern entgeltlich auf die Firma Mannesmann übertragen wurden. Alfred Rexroth übertrug dann gemeinsam mit seiner Frau Friederike Rexroth den Verkaufser-lös (in Form von Mannesmann-Aktien) aus die-ser Transaktion gegen Zahlung einer Leibrente auf die GLS Treuhand. Zeitzeugen unterstrei-chen dabei, dass Friederike Rexroth ihren Mann zu diesen Entscheidungen drängte und dass ohne ihr kraftvolles und entschiedenes Mitwir-ken Alfred Rexroth sich nur schwer zu diesen Vermögensübertragungen hätte durchringen können.

Durch Verfügungen in Testamenten und Ver-trägen wurde veranlagt, dass auch nach dem Tode von Alfred Rexroth bis heute aus der Kapi-tal-Verwaltungsgesellschaft der GLS Treuhand Gewinne aus industrieller Tätigkeit zufließen. Alfred Rexroth verstarb nach Friederike Rexroth im Jahre 1978.

Mit diesen Maßnahmen hatte Alfred Rexroth sein gesamtes Industrievermögen übertragen. Daraus wurden hunderte Initiativen in der bio-logisch-dynamischen Landwirtschaft, im päda-gogischen, im heilpädagogischen, im Ausbil-dungs- und Forschungsbereich finanziert.

Bis heute bilden die Anlageerlöse aus dem Ver-mögen der Familie Rexroth für die Mitarbeite-rinnen und Mitarbeitern der GLS Treuhand die finanzielle Grundlage für eine freilassende

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Dort hatten sich Bürgerinnen und Bürger – beeinflusst von der Katastrophe in Tscherno - byl – entschlossen, für eine Stromversorgung ohne Atomstrom einzutreten. Ein bürgereige-nes Energie versorgungsunternehmen, das in erster Linie ökologischen Zielsetzungen ver-pflichtet ist, sollte entstehen. Nach langen Kämpfen konnten sie diesen Plan in die Tat umsetzen. Die Elektrizitätswerke Schönau wur-den gegründet. Zur Unabhängigkeit gehörte auch der Kauf des Stromnetzes. Der bisherige Eigentümer verlangte dafür eine überteuerte Summe, die von den SchönauerInnen allein nicht aufgebracht werden konnte. Um die für den Kauf fehlende Summe einzuwerben, gründete die GLS Treuhand, mit großem persönlichen Engagement von Thomas Jorberg (Vorstand GLS Bank), 1997 die Stiftung Neue Energie und trug damit zur Durchführung der Spendenkam-pagne „Ich bin ein Störfall“ bei. Die bundes-weite Kampagne hatte überwältigenden Erfolg: Umweltschutzverbände riefen zu Spenden auf, Zeitungen veröffentlichten kostenlos Anzeigen, bei Privatfeiern wurde zugunsten von Spenden auf Geschenke verzichtet. Es brauchte nur we-nige Monate, um das zusätzlich benötigte Geld zusammenzubekommen. Durch einen Gerichts-beschluss wurde der ehemalige Netzbetreiber dazu gezwungen, einen Teil der überhöhten Kaufsumme wieder an die Elektrizitätswerke Schönau zurückzuzahlen. Ein Teil dieses Geldes ist in die Stiftung Neue Energie geflossen und steht heute zur Förderung von gemeinnützigen Bildungsinitiativen u. a. im Bereich regenerati-ver Energien zur Verfügung.

2000 und 2001 folgten weitere Stiftungsgrün-dungen unter dem Dach der GLS Treuhand. Diese Stiftungsneugründungen wurden ganz wesentlich von den beiden damaligen Vorstän-den Herbert Meier und Julian Kühn mit initiiert. Viele Interessierte, ehrenamtlich Arbeitende, Grün dungs- und ZustifterInnen sowie die GeschäftsführerInnen, MitarbeiterInnen und SpenderInnen beteiligen sich an den Zukunfts-stiftungen. Diese wirken gezielt durch Beratung, Spendensammlung und Förderung herausragen-der Projekte in zentrale gesellschaftliche Bereiche

diten, durchlaufenden Krediten, Bürgengemein-schaften, Leih- und Schenkgemeinschaften.

Bis 1995 wurden GLS Treuhand und GLS Bank trotz wirtschaftlicher und rechtlicher Eigen-ständigkeit mit fast identischer Vorstandsbeset-zung geführt. Das rasante Wachstum der Bank sowie die notwendige Eigenständigkeit gemein-nütziger Förderung führten 1995 zu einer per-sonellen Vorstands- und Aufsichtsratstrennung zwischen GLS Bank und GLS Treuhand. Bis heute kooperieren beide Einrichtungen unter den gemeinsamen Initialen GLS – Gemeinschaft für Leihen und Schenken.

Durch GLS Treuhand und GLS Bank konnte wiederum die Gründung weiterer Bankinitiati-ven gleicher Ausrichtung im europäischen Aus-land gefördert werden, so unter anderem in Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, Nor-wegen, Schweden und der Schweiz.

Der andere Umgang mit Geld: Selbstver­suche neuer Arbeits­, Lebens­ und Gemein­schaftsformen // Neben der Ver mittlung von Schenkungen an Dritte ist die Geschichte der GLS Treuhand gerade in den 80er- und 90er-Jahren auch eine des Selbstversuchs. In diesen Jahren wurden im Umkreis der GLS Bank und GLS Treuhand verschiedene Wirtschaftsformen im Sinne des sozialen Haupt gesetzes von Rudolf Steiner (Trennung von Arbeit und Einkommen) in Wirtschaftsgemeinschaften, Arbeits- und Land-wirtschaftsgemeinschaften entwickelt und zum Teil langfristig betrieben. In diesem Zusammen-hang ist insbesondere Ingeborg Diederich zu nennen, die ihr gesamtes Vermögen aus einer Kapitalbeteiligung an einem Unternehmen der GLS Treuhand übertrug, um derartige Wirt-schaftsformen zu fördern. Ingeborg Diederich brachte sich auch selbst engagiert in Wirt-schafts- und Arbeitsgemeinschaften ein.

Der andere Umgang mit Geld: Bürger­ und Zukunftsstiftungen // Die erste unselbststän-dige Stiftung unter dem Dach der GLS Treu-hand wurde 1997 anlässlich des Strom netz-kaufes in Schönau im Schwarzwald gegrün det.

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Bankwesen // Green Banking und sozial-öko-logisch orientierte Banken boomen im neuen Jahrtausend. Die Pionierzeiten der sozialen und ökologisch arbeitenden Banken hatten auch einen experimentellen Charakter. Um Bildungs-angebote und Diskussionsforen für das aus der Nische heraustretende soziale Bank- und Finanzwesen bereitzustellen, entwickelte u. a. Julian Kühn, ehemaliger Vorstand der GLS Treu-hand, ab 2005 Studienangebote für sozial-ethi-sches, ökologisches Bankwesen. Eine Initiative, die 2006 in die Gründung des Institute for Social Banking mündete, das eine internatio-nale Summer School und einen Masterstudien-gang zur Ausbildung verantwortungsvoll agie-render Sozialbanker anbietet.

GLS Treuhand heute: individuell stiften, schenken und vererben // Die GLS Treuhand bietet neben dem Engagement für ihre Mitglie-der und der Förderung über die Zukunftsstif-tungen auch Expertise und Dach für das Enga-gement anderer – auch anderer Stiftungen und Stiftungsfonds. So sind zum Beispiel unter der Dachstiftung für Individuelles Schenken etwa siebzig individuell ausgestaltete Stiftungsfonds versammelt. Über 260 Personen verständigen sich in ihnen über Förderentscheidungen, die von den MitarbeiterInnen der GLS Treuhand umge-setzt werden.

Diese Zeilen verdeutlichen, dass die GLS Treu-hand ein pulsierender, facettenreicher sozialer Organismus ist. Sie wird von Menschen getra-gen, die zuhören, beraten, begleiten und bereit sind zu gestalten. Wir haben das Privileg und Vergnügen, aus dem Reichtum der Erfahrung, der Kontakte und des Wissens handeln zu kön-nen und dank des Erbes von Alfred Rexroth die Grundlage zu haben, ohne ökonomischen Druck

hinein. 2011 sind es fünf Zukunftsstiftungen: Bildung, Gesundheit, Entwicklungshilfe, Land-wirtschaft und soziales Leben. Im Falle der Land wirtschaft und Entwicklungshilfe gingen den Gründungen Spendenfonds, die bei der GLS Bank eingerichtet worden waren, voraus.

Über die Zukunftsstiftungen konnten in den vergangenen zehn Jahren über 1600 Vorhaben mit insgesamt ca. 30 Mio. Euro im In- und Aus-land gefördert werden. Unter den geförderten Projekten sind solche wie „Jedem Kind ein Ins-trument“ (Zukunftsstiftung Bildung), das in Kooperation mit der Kulturstiftung des Bundes und dem Land Nordrhein-Westfalen allen Kin-dern an Grundschulen des Ruhrgebiets die Möglichkeit eröffnet, ein Instrument ihrer Wahl zu erlernen. Darunter ist auch der Saatgutfonds, der die biologisch-dynamische Saatgutzüchtung fördert. Dadurch werden der ökologischen Landwirtschaft biologische Saaten zugänglich gemacht, was direkt zur Erhaltung von Saatgut-vielfalt beiträgt (Zukunftsstiftung Landwirt-schaft). Dazu zählen Projekte wie die Einrich-tung und Begleitung des Forums Pluralismus in der Medizin bei der Bundesärztekammer (Zukunftsstiftung Gesundheit). Hier werden Divergenzen zwischen verschiedenen medizini-schen Richtungen durch den gemeinsamen Blick auf PatientInnen und Austausch über mögliche Behandlungsvarianten betrachtet. Das trägt dazu bei, einen neuen Ansatz patientenzentrierter, ganzheitlich ausgerichteter Medizin zu entwi-ckeln. Ein Weiteres Beispiel ist die Förderung einzelner Persönlichkeiten in ihren Bemühungen für gemeinnützige, vorwiegend kulturelle Vor-haben und Projekte durch die Zukunftsstiftung Soziales Leben. Die Förderziele, die die vier Zukunftsstiftungen innerhalb des deutschspra-chigen Raums verfolgen, werden im internatio-nalen und interkulturellen Kontext durch die Zukunftsstiftung Entwicklungshilfe vertreten. Das erfolgt zurzeit in Kooperationen mit über siebzig ProjektpartnernInnen in zwanzig Ländern, die von der Idee „Hilfe zur Selbsthilfe“ inspiriert sind.

Der andere Umgang mit Geld: Studienan­ge bote für sozial­ökologisches, ethisches

Annette Massmann

WIR WOLLTEN EINE GEMEINNÜTZIGE BANK, NICHT

NUR FÜR ANTHROPOSOPHEN, SONDERN FÜR ALLE,

DIE NEUE WEGE GEHEN WOLLEN

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Vorhaben, Projekte, Vermögensübertragungen und Schenkungen für gemeinnützige Zwecke begleiten zu können. Um „zuzuhören, um die Gedankengänge der anderen zu klären, sie mit Erfahrungen und praktikablen Ideen zu inspirie-ren und vorwärts zu bringen“ (Gisela Reuther).

Etwa 6,5 Mio. Euro konnten in den vergange-nen Jahren jährlich durch alle im Verbund der GLS Treuhand tätigen Einrichtungen vergeben werden. Dabei stehen immer die Menschen im Fokus, die hier und in anderen Kulturen eine Zukunft für und mit ihren Mitmenschen schaf-fen wollen, die ethisch, ökologisch, sozial ist, im Rahmen eines Wirtschaftslebens, das den Menschen dient.

Dieser Text bezieht mündliche und schriftliche Interviews mit Wilhelm Ernst Barkhoff, Rolf Kerler, Albert Fink, Dr. Gisela Reuther, Herbert Meier, Julian Kühn und Andrea Valdinoci ein.

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Portraits von SchenkerInnen

dorfschule hervorragend verkaufen. Zuvor wird er gründlich gesäubert und poliert, wenn nötig auch repariert, damit er namentlich die Damen zum Kauf animiert. So kommen an einem Nachmittag auch mal 800 Euro zusammen, und das mit Artikeln ab 50 Cent!

Mittlerweile kann ich auf Unterstützung von rund 60 Menschen zählen, die wiederholt Altgold und Schmuck geschickt haben, eine Spenderin sogar schon elfmal. Da wird in der Verwandtschaft und im Freundeskreis emsig geworben und gesammelt. Die Menschen trennen sich leicht von ihren Werten, wenn sie die Gewissheit haben, dass nicht anonyme Betriebe Gewinne schöpfen, sondern stattdessen Hilfspro-jekte gefördert werden. Das schönste Beispiel ist ein Ehering, der mir einmal mit den Zeilen zugesandt wurde: „Relikt einer gescheiterten Ehe, hier kann er noch helfen.“

Die 100.000­Euro­marke … // Eigentlich hatte ich gedacht, wenn 100.000 Euro zusammengekommen sind, dann hätte ich lange gelebt. Nun bin ich auf dem Wege, uralt zu werden und steuere auf die 150.000 Euro zu. Und wer weiß … Ich mache weiter, weil es richtig Spaß macht, mit relativ geringem finanziellem Aufwand, der eigentlich nur im hand-schriftlichen Schreiben einer Dankeschönkarte für jede einzelne Spende besteht, so viel zu bewirken.

Natürlich hat das auch noch andere Gründe: Aristo-teles hat die Wichtigkeit des Erkennens herausgear-beitet, Thomas von Aquin erkannte die Bedeutung des Lebens für die Erkenntnis. Heute scheint es mir an der Zeit zu sein, aus der Erkenntnis heraus zu leben. Das bedeutet, wenn ich Erkenntnisse nicht lebe, also mein Handeln nicht entsprechend meiner Einsicht

Erkenntnis leben Seit 1998 sammelt Dorothea Offermanns emsig und geduldig Zahngold, Modeschmuck, Besteck usw. Aus den Schmelzerlösen und dem Verkauf des gespendeten Modeschmucks auf Basaren fördert die 1928 geborene Oberstudienrätin Bildungs- und Sozialprojekte in Südamerika. Was sammelt sie?

Goldzähne, beschädigten Gold- und Silberschmuck, Krawattennadeln, Manschettenknöpfe und Münzen, kurzum alles aus Gold und Silber. Alles, was schon seit vielen Jahren in Ecken und Winkeln herumliegt,

„Räumgut“ nach Wohnungsauflösungen, Dinge, die man wegen des unklaren Wertes lange nicht weggeben wollte, die man letztendlich aber schon lange nicht mehr braucht. Solche Dinge sammle ich. Edelme talle werden meist eingeschmolzen, Schmuck auch ver kauft. Der Erlös fließt in die Förderung von Projekten.

Kürzlich z. B. hat es Bewohnern eines Slums in Lima in Peru ermöglicht, ein Gemeinschaftshaus zu bauen. Gerade in indigenen Gemeinschaften ist es traditio-nell üblich, Mahlzeiten gemeinsam zuzubereiten und zu essen. So dient das Haus als Speisehaus für über 100 Personen und ist gleichzeitig ein wichtiger sozi-aler Treffpunkt.

Zahngold zurück nach Peru … // Das Gold für Peru sammle ich nun seit Ende der 90er-Jahre. Damals habe ich Walter Burkart von der GLS kennengelernt, der über Entwicklungshilfeprojekte berichtet hat. Mich hat ein Slogan angesprochen, den es damals gab: Gold zurück nach Peru. Das fand ich eine gute und wichtige Idee, weil Peru von uns kolonialisiert und ausgebeutet worden ist. Mir wurde hin und wieder vorgehalten, wir Deutschen hätten doch gar kein Gold aus Peru gestohlen. Da sehe ich mich aber als Europäerin und als Mensch (!) und fühle mich mitver-antwortlich für das geschehene Unrecht.

Anfangs war das Sammeln recht mühsam, ich hatte zunächst vor allem um Zahngold gebeten. Irgendwann habe ich auch Schmuck und Modeschmuck mit ein-bezogen, die sich auf dem Adventsbasar einer Wal-

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Freude – das ist mein Hauptmotiv beim Schenken. Ganz gleich, ob es sich um Geld, ein kleines Präsent oder einfach nur ein Lächeln handelt. Direkt damit verbunden ist das Element der Freiheit, weil besonders das Schenken von Geld ohne jegliche Bedingungen echtes Loslassen bedeutet. Das erzeugt wiederum Freiheit, beim Schenkenden wie auch beim Beschenkten. Aller dings liegt beim Loslassen die Schwierigkeit darin, es bei sich selbst in Gang zu setzen, etwa aus Angst vor dem Verlust von finanzi-eller Sicher heit und Beweglichkeit. Ich möchte im Alter meinen Kindern nicht zur Last werden und bis zum Schluss in der Lage sein, ihnen auch mal finanzi-ell unter die Arme greifen zu können. Deshalb habe ich, nach fruchtbaren Gesprächen mit Mitarbeitern der GLS Treuhand, zwei Lösun gen gefunden, Freiheit und Sicherheit einigermaßen in ein Gleichgewicht zu bringen.

Erstens übertrug ich der GLS Treuhand ein Sonderver-mögen als zinsloses Darlehen. Daraus vergibt die Treu-hand in Absprache mit mir und meiner Frau langfris-tige, zinslose Einzeldarlehen an gemeinnützige Träger, z. B. von Demeter-Höfen. Die Rückzahlungen können zur Alters sicherung dienen. Die Langfristigkeit bedeu-tet praktisch eine Art Schenkung auf Zeit.

Zweitens habe ich gemeinsam mit meinem Bruder den Stiftungsfonds „Keime“ in der Dach stiftung für individuelles Schenken gegründet. Zielsetzung ist, Entstehendes, Keimhaftes zu fördern, z. B. im Saat-

gutfonds der Zukunftsstiftung Landwirtschaft oder durch die Zukunfts stiftung Entwicklungshilfe. Der ein-gebrachte Betrag samt den erwirtschafteten Erträgen wird im Lauf von etwa 15 Jahren verschenkt. Die Ein-richtung dieser Stiftung macht das Schenken daraus leichter, weil der Vorgang des Loslassens nur einmal stattfand, während die Freude des Schenkens in jedem Jahr neu entsteht.

Ich lebe und arbeite seit 1981 als Landwirt auf einem Demeter-Hof im Bergischen Land – ehemals als Haupt-verantwortlicher im Kuhstall und der hofeigenen Milchverarbeitung, inzwischen als ehrenamtlicher

„Opa für alles”. Mein Vermö gen stammt jedoch nicht aus der Landwirt schaft – natürlich nicht! – sondern aus meiner industriellen Vergangenheit in der verar-beitenden Industrie. Ganz klar, dieser Wechsel hat neue, intensive Erfahrungen und Erlebnisse für mich gebracht – auch den Kontakt zu GLS Bank und GLS Treuhand und zu Menschen, die mich begeisterten. Es entwickelten sich bei mir Erkenntnisse über Not-wendigkeiten und Möglichkeiten, mein „Vermögen“ sinnvoll in zukunftswei sende Initiativen einzubringen. Ich bin über zeugt: Die biologische Landwirtschaft kann viel beitragen zur Lösung von Problemen, mit denen die Menschheit sich heute selbst gefährdet, von der Klimaveränderung über die sogenannte grüne Gentechnik bis zur Welternährung. Aber da braucht es mehr Eigeninitiative – gerade von Men-schen mit Vermögen – und ich nutze diese Gelegen-heit, um aus Überzeugung dazu aufzurufen!

Initiative durch Vermögen, Freiheit durch Schenken Dirk Lücke, 75, lebt und arbeitet seit 1981 als Landwirt auf einem Demeter-Hof im Bergischen Land. Er ist der GLS Treuhand und der GLS Bank seit über 30 Jahren verbun-den. Die ursprüngliche Bezeichnung „Gemeinschaft für Leihen und Schenken” hat ihn von Anfang an fasziniert. Für ihn steht beim Schenken die Freude im Vordergrund.

ausrichte, bleibt die Erkenntnis unfruchtbar. Das ist der Leitfaden meines Handelns.

Wenn ich die Welt mit all ihren Problemen und allem, was die Menschen sich antun, sehe, hole ich mir beim Nachdenken darüber Ideen und werde tätig. Nur wenn der Mensch etwas tut, wenn er aus Erkenntnis

Leben macht, kommt er weiter und mit ihm ein Stückchen Welt.

Sammeladresse: Dorothea Offermanns, Zasiusstraße 118, 79102 Freiburg, Telefon 0761 72016

Portraits von SchenkerInnen

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vom Besitz der Familie war belastet aus der Zeit des Nationalsozialismus. Diese Schuldfrage und wie damit umzugehen sei, haben mich jahrelang sehr bedrückt und nach vielen und teils kontroversen Diskussionen in meiner Familie bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass nur eine „Umwandlung“ dieses Vermögens in Projekte, die sich mit einer sinnvollen Zukunftsgestal-tung unserer Gesellschaft befassen, der richtige Weg sein könne.

Inspiriert vom Cellisten Thomas Beckmann aus Düs-seldorf, der Benefizkonzerte für Obdachlose veran-staltet, habe ich mit meinen Stiftungsfonds bei der GLS Treuhand vor allem humanitäre Projekte geför-dert, die Menschen ohne Obdach, Benachteiligte oder Flüchtlinge unterstützten. Durch mein eigenes ehrenamtliches Engagement habe ich erfahren, was Einzelne durchleben.

Die Zuwendungen vergebe ich in der Regel auf fünf Jahre, um eine längere Planung zu ermöglichen. Vielen Einrichtungen, die auf Spenden angewiesen sind, werden nämlich jeden Herbst aufs Neue nervös, weil sie nicht wissen, wie sie das kommende Jahr finanzieren sollen.

Eine selbstständige Stiftung kam für mich aufgrund der Verwaltung, Formalien, Anlage des Vermögens etc. nicht in Frage. Die Stiftungsfonds in der Dachstif-tung für individuelles Schenken kommen mir sehr ent-gegen. Ich habe alle Freiheit, die mir in den meisten Fällen persönlich bekannten Projekte zu unterstüt-zen, wobei ich froh bin, dass die GLS Treuhand mir einen Teil der Arbeit abnimmt und mich berät. Mit dieser Aufgabenteilung bin ich sehr zufrieden.

Für mich zählt, dazu beizutragen, dass das Ziel näher rückt, das jemand so beschrieben hat: Viele kleine Menschen an vielen kleinen Orten können das Gesicht der Welt verändern.

DIe praxIS DeS ScHeNKeNS uND StIFteNS

In meiner Familie ist es immer üblich gewesen, be-scheiden zu leben. Meine Kindheitsjahre habe ich im Krieg, mit Hunger und Wohnungsnot verbracht. Das waren schlimme Zeiten. Danach ging es aufwärts im Deutschland des Wirtschaftswunders. Dennoch sind wir sehr umsichtig mit Geld umgegangen. Wir haben Prioritäten gesetzt: Auf eine gute Ausbildung der Kinder wurde z. B. Wert gelegt, oder wenn jemand in der Verwandtschaft Probleme hatte, konnte er immer mit Hilfe rechnen. So war das immer und es ist mir nie schwer gefallen, mich von Geld zu trennen.

Das gilt aber nicht nur für jene, die mir nahestehen, sondern auch immer für Menschen, die Beistand benötigen, die es schwer hatten oder haben. Das erschien mir immer sinnvoll. Je mehr Lebenserfah-rung ich hatte, desto deutlicher wurde mir, wie eng alles zusammenhängt, wie vernetzt alles ist, dass wir in einem Miteinander leben. Wir leben nicht nur für uns. Darum habe ich zeitlebens auch viel selbst getan, war in der Friedensbewegung aktiv und engagierte mich in der Flüchtlingshilfe. Viele Menschen kämp-fen ja mit Ausgrenzung, weil sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.

Die Idee, Teile meines Vermögens zu stiften, hat in meinem Umkreis schon die unterschiedlichsten Reak-tionen ausgelöst: Die Probleme dieser Welt seien viel zu groß, da nütze die Hilfe einer Einzelnen gar nichts, das Geld versickere nur und nichts werde besser. Oder: Schon jetzt gebe es so viele Anstrengungen von so vielen Seiten, da mache eine Einzelne keinen Unterschied.

Menschen sind häufig zu schnell mit ihren Bewertun-gen. Jeder Einsatz ist wichtig. Wir sind aufgefordert, uns für das Gemeinwesen einzusetzen, das kommt auch der nächsten Generation zugute.

Ich habe mein Vermögen nie so betrachtet, dass es einfach nur mir selbst zugutekommen sollte. Einiges

Wir leben nicht nur für uns Wir leben in und leben für die Gemeinschaft – so lässt sich der Grundsatz einer 72-jährigen Schenkerin zusammenfassen, die Teile ihres Vermögen verschenkte und anonym bleiben möchte.

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Unser Geld für sinnvolle Arbeiten einsetzenDrei Geschwister gründeten 2001 einen Stiftungsfonds, in den sie einen Großteil ihres Erbes einbrachten. Anonym beschreibt uns eine von ihnen ihren Impuls und ihre Ziele.

„In einem Märchen der Gebrüder Grimm erweckt der Heilige Petrus eine Königstochter vom Tod. Daraufhin will ihn der dankbare König mit Gold belohnen, doch Petrus lehnt ab. Sein Kompagnon Bruder Lustig flüs-tert ihm zu: „So nimm’s doch, wir brauchen’s ja!“ – Wir sagten stattdessen: „So gib’s doch, wir können’s nicht selber sinnvoll aufbrauchen!“ Auf diese Weise ließe sich der Impuls dreier Geschwister beschreiben, die den Großteil ihres Erbes in einen Stiftungsfonds bei der GLS Treuhand gegeben haben.

Dem Geld eine Richtung geben, Projekte ermögli-chen – das war unser Motiv zur Stiftungsgründung. Viele Menschen haben originelle Ideen im sozialen und ökologischen Umfeld, im Therapeutischen und in der Kunst. Solche Initiativen bekommen nur selten Unterstützung aus öffentlichen Mitteln. Um sie in die Tat umzusetzen braucht es freie finanzielle Mittel.

An große NGOs wie WWF, ärzte ohne Grenzen, usw. fließen erfreulich viele Spendengelder. Es gibt aber viele kleine Organisationen, die nicht leicht an Unter-stützung herankommen, weil sie nicht so bekannt sind. Auch Forschungsvorhaben in der biologisch-dynamischen Landwirtschaft oder in der Anthropo-sophischen Medizin können ohne Stiftungsgelder nur schwer durchgeführt werden. Forschungsförde-rung z. B. für die Mistel-Therapie bedeutet auch, dass dieser Ansatz in der Öffentlichkeit besser sichtbar wird. Das Gleiche gilt für den Landbau, ebenso für die Weiterentwicklung der Eurythmie als Kunst, die noch in einer Nische verborgen ist.

Wir haben als Dach den Stiftungsfonds in der GLS Treuhand gewählt und in der Zusammenarbeit in den vergangenen zehn Jahren sehr gute Erfahrungen ge-macht. In unserem Stiftungsrat bearbeiten wir sehr unterschiedliche Anträge. Ursprünglich waren dort nur meine beiden Brüder und ich. Inzwischen sind wir zu siebt. Wir hatten früh den Impuls, jüngere Leute dazuzunehmen. Das erlebe ich als großen Gewinn, weil sie Projekte aus ihrem eigenen Umkreis herein-

bringen. Es stimmt uns froh zu erfahren, wie viele gute Ideen erwachsen.

Bei der Vergabe ist uns wichtig, dass wir die Anony-mität wahren können. Die Begegnung mit Menschen aus den geförderten Initiativen bleibt so unbefange-ner, es entsteht keine Unterwürfigkeit oder Schmei-chelei. Schließlich war es unser Großvater, der die guten Ideen hatte.“

Portraits von SchenkerInnen

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genden Verschuldung der USA zum Zusammen-bruch. Das Festhalten an festen Wechselkursen war unter dem Druck der Märkte nicht mehr möglich und die USA konnten die Golddeckung des US-Dollars nicht aufrecht erhalten. So wurden Anfang der 1970er-Jahre die Bretton-Woods-Abkommen aufgegeben und der Übergang zu einem System der flexiblen Wechsel-kurse fand statt.Wikipedia http://zeitenwende.ch/finanzgeschichte/der-zusammenbruch-des-bretton-woods-systems-1973/

Burning man Gathering(Festival „Brennender Mann“): ein seit 1994 jährlich in einer Wüste in Nevada stattfinden des, einwöchiges Festival mit über 50.000 Teilnehmern. Seine Kernver-anstaltung ist das Verbrennen einer überdimensiona-len menschlichen Statue, das seit der Entstehung der Veranstaltung als Ritual zelebriert wird. Das Festival ist eine große Kunstausstellung, ein Ort intensiver Selbstdarstellung und eine große Party. Kommerzielle Aktivitäten sind verboten, stattdessen wird eine Schenk-ökonomie praktiziert.www.terrain.org/essays/16/hess.htm www.burningman.com/whatisburningman/ Wikipedia

DreigliederungDie Dreigliederung des sozialen Organismus in Geis-tesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben ist ein Leit-bild für die gesellschaftliche Entwicklung, das in den Jahren 1917 bis 1920 von Rudolf Steiner entwickelt wurde. Innerhalb einer so gedachten Gesellschaft werden Lebens prozesse nicht zentral vom Staat oder einer Führungselite geregelt, sondern durch Selbst-ver waltung in den unabhängigen drei Bereichen gestaltet. Wikipedia

Glossar

Biodynamische Landwirtschaft Rund 1.400 Landwirte in Deutschland mit etwa 50.000 Hektar Land arbeiten biodynamisch. Ange-regt von Rudolf Steiners Werk „Geisteswissenschaft-liche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“ und anknüpfend an Goethes Methode der Naturer-kenntnis betrachten sie ihren Hof als lebendigen, ein-zigartigen Organismus. Sie haben nicht allein die konkreten materiellen Substanzen, die physischen Kräfte der Natur im Blick, sondern auch die gestal-tenden Kräfte des Kosmos. Sensible Naturbeob ach-tungen schulen und beeinflussen die tägliche Arbeit. Verantwortung für die Gesundheit von Mensch und Erde wird nicht nur durch das Weg lassen von Che-mie, durch Kompostwirtschaft und Gründüngung übernommen, sondern auch durch die aktive Unter-stützung und Gestaltung der Lebensprozesse z. B. durch selbst herge stellte, feinstofflich wirkende Prä-parate aus Mist, Heilpflanzen und Mineralien, die die Bodenfruchtbarkeit fördern. Unabhängige Forschun-gen beweisen, dass es sich um die nachhaltigste Form der Landbewirtschaftung handelt, die dafür sorgt, dass die Humusschicht kontinuier lich wächst.www.demeter.de/index.php?id=1515&MP=13-1491 www.demeter.de/index.php?id=46&MP=14-1492

Bretton­Woods­System Bezeichnung des ab 1944 neu geordneten internati-onalen Wäh rungssystems von festen Wechselkursen. Die teilnehmenden Staaten verpflichteten sich, ihre Wechselkurse innerhalb vergleichbar geringer Schwan-kungsbreiten an den US-Dollar als Leitwährung zu knüpfen. Gleichzeitig galt die US-Währung fortan mit einer fixen Dollar-Gold-Relation (35 US-Dollar je Unze Gold) als Welt reservewährung. Dies sicherte den USA die Vormachtstellung in der Welt. Die struk-turellen Mängel des Währungssystems wie die Domi-nanz des US-Dollars und fehlende Mechanismen zum Import-Export-Ausgleich führten während des starken Wachstums der Welt wirtschaft und der stei-

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KapitalwertmethodeGängige Methode zur Beurteilung einer Investition. Der Kapitalwert stellt den Bar- oder Gegenwarts-wert eines Investitionsobjektes dar, d. h., die mit dem Kalkulationszinssatz (subjektive Mindestver zin sungs-forderung eines Anlegers an seine Investition) abge-zinste Summe aller ihm zuzurechnenden zukünftigen Einnahmen abzüglich der Ausgaben und Anschaf-fungskosten. Auf grund des Zinseszinseffektes ist der Wert einer Zahlung umso geringer, je später sie anfällt. Der Kapitalwertmethode zufolge ist ein Pro-jekt ökonomisch vorteilhaft, wenn sein Kapi talwert positiv ist, d. h., wenn seine Rendite den Kalkula-tionszinssatz übersteigt.Brockhaus Wirtschaft, 2004

Kaufgeld, Leihgeld, SchenkgeldEine von dem Philosophen und Gründer der Anthro-posophie, Rudolf Steiner, in „Der Natio nal öko no-mische Kurs“ (Vorträge über Volks wirt schaft) entwi-ckelte Unterscheidung der Funktionen von Geld, die dieses je nach Verwendungszweck annimmt.Rudolf Steiner: Der Nationalökonomische Kurs, Dornach 1922

KlimazertifikatFinanzierungsmittel, das von Emissionsminderungs-projekten ausgegeben wird, die durch das UNO-Klima-sekretariat anerkannt sind. Es dient in unterschied-lichen Formen entweder der in der EU gesetzlich vorgeschriebenen Treibhausgaskompensation von Unternehmen oder der freiwilligen Treibhausgas-kompensation von Unter nehmen und Privatpersonen. Ersteres wird zur Erweiterung des je Unternehmen begrenzten Kontingents an Emissionsrechten ver-wendet, da Klimazertifikate gegen Emissionsrechte einge tauscht werden können. Klimazertifikate gelten laut verschiedenen Studien als fragwürdig, da sie den Druck, selbst Emissionen einzusparen, verringern und die Qualität der Emissionsminderungsprojekte z. T. zweifelhaft ist. www.wissen.de/wde/generator/wissen/ressorts/natur/umwelt/index,page=4322106.html www.energieverbraucher.de/de/Umwelt-Politik/Umwelt-und-Klima/Klimakompensation__2109/ http://cdm.unfccc.int/

Emissionswertehandel/Emissionsrechtehandel Mechanismus, der darauf abzielt, eine fest ge legte Reduktion von Treibhausgasen mithilfe des Preis-mechanismus zu gestalten. Den Teilneh mern am Emissionsrechtehandel wird gestattet, die ihnen zugewiesene Menge an Emissionen – sie wird i. d. R. durch Emissionszertifikate verbrieft – entweder selbst aufzubrauchen oder zu veräußern. Ein Teilneh-mer, der sein Kontingent nicht voll ausschöpft, kann das überschüssige Emissionsguthaben an einen anderen Teil neh mer verkaufen. Zur Erreichung der im Kyoto-Proto koll vereinbarten Ziele der Emis sions-reduk tion wurde das europäische Emissions rechte-han dels system geschaffen und trat 2005 in Kraft. Der Emissionsrechtehandel der EU gilt laut verschie-denen Studien als fragwürdig. Kritiker bemängeln, dass es durch ein Überangebot an Emissionsrechten keine emissionsmindernde Wirkung gebe; Investitio-nen in CO

2-arme Herstellungsmethoden blieben aus.Brockhaus 2006www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=wu&dig=2009%2F07%2F21%2Fa0148&cHash=53103fa4f1

Exodus (lat. Ausgang, Auszug) Bezeichnet in der Überlieferung des Alten Testaments die Auswanderung der Israeliten aus ägypten unter der Führung von Mose auf dem Weg in das von Jahwe den Israeliten versprochene Land Kanaan. Wikipedia

GemeingüterGüter, die nicht einem Einzelnen, aber auch nicht niemandem gehören. Es sind all jene Dinge, die einer bestimmten Gruppe „gemein“ sind. Gemein bedeu-tete ursprünglich „mehreren abwechselnd zukom-mend“, später dann „mehreren in gleicher Art gehö-rig“. Gemeingüter in der Natur sind z. B. Wasser, Wälder, Boden, Luft, im Sozialen öffentliche Parks oder digitale Netze, im Kulturellen Sprache und Wissen. Es handelt sich um Ressourcen, die grundsätzlich jeder Mensch gleichberechtigt nutzen kann, die jedoch nicht ohne Regeln und Normen auskommen, da der gleichberechtigte Zugang erst durch eine gerechte, maßvolle Nutzung mög lich wird. Durch Privatisie-rung eignen sich Einzelne Gemeingüter als Privat-eigentum an und schlie ßen die Allgemeinheit von deren Nutzung aus.Silke Helfrich, www.oya-online.de/article/read/15-Wovon_wir_alle_leben.html

Glossar

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matriarchat (lat. mater, „Mutter“, und griech. arché, „Beginn“, „Ursprung“, auch „Herrschaft“)Gesellschaftsstruktur, in der je nach verwendeter Defi-nition entweder Frauen die Macht inne haben oder die frauenzentriert ist, die Gesellschaftsordnung also um die Frauen herum organisiert ist. Für einige Ver-treterinnen der Frauenbewegung bezeichnet das Matriarchat im besonderen eine Zeit der Ur- und Frühgeschichte, in der die Frauen kulturschöpferisch und prägend gewesen sind, aber nicht geherrscht haben. Es besteht demgegenüber heute bei Histori-kerInnen wie bei Feministinnen Einigkeit darüber, dass es Gesellschaften mit Frauenherrschaft – im Sinne eines umgedrehten Patriarchats – nicht gege-ben hat.Wikipedia

mikrokreditKleinstkredite an Menschen, die üblicherweise von Banken nicht bedient werden, zur Unterstützung von beruflicher Selbstständigkeit und unternehmeri-schen Aktivitäten. Die Kredite werden in der Regel von spezialisierten Finanz dienstleistern und nicht-staatlichen Organisationen, meist zur Förderung der Entwicklung, vergeben.Falk Zientz, Leitung Mikrofinanz, GLS Bank http://grameen-info.org/index.php?option=com_content&task=view&id=32&Itemid=91 Wikipedia

monetarisierungBedeutet, dass in der Gesellschaft eine zuneh mende Anzahl von Lebensbereichen in Beziehungen und Prozessen durch Geld „käuflich“ wird. Ein Beispiel ist die Altenpflege, die von einer vormals unbezahlten Tätigkeit zu einer bezahlten Dienstleistung wurde. Im wirt schaft lich-technischen Bereich ist Monetarisie-rung der Vorgang, nicht geldwerte Güter in Geld-äquivalente zu übersetzen, beispielsweise die Bewer-tung von Umweltschäden bei der Planung von Infra struktur.Anarchopedia

KonvivialitätBegriff, den der österreichisch-amerikanische Philo-soph und Theologe Ivan Illich geprägt hat. Er leitet ihn von dem spanischen „convivencialidad“ ab, das so viel bedeutet wie „Fülle des Miteinanderlebens“. Illich verwendet den Begriff im Zusammenhang mit dem technologi schen Fortschritt, um dessen lebens-gerechten („konvivialen“) Einsatz es ihm ging.Ivan Illich: Selbstbegrenzung – Eine politische Kritik der Technik, Reinbek 1975 Wikipedia

Kooptation (lat. cooptatio, „Zuwahl“)Die nachträgliche Wahl neuer Mitglieder in eine Gruppe durch die dieser Gruppe bereits angehören-den Mitglieder, heute z. T. noch in Körperschaften, Verbänden oder Unternehmen üblich. Dabei werden i. d. R. nur diejenigen gewählt, von denen angenom-men wird, dass sie in die Gruppe „passen“. Dies ermöglicht rela tive Gruppenstabilität, führt aber andererseits tendenziell zur Ausschaltung neuer bzw. kritischer Einflüsse.Brockhaus 2006

LevitenEiner der zwölf Stämme Israels, die nach dem Tanach (Heilige Schrift des Judentums) von den Söhnen Jakobs abstammen und nach dem Stammvater Levi benannt sind. Sie wurden laut dem 5. Buch Mose allein zum Tempeldienst für alle Israeliten erwählt. Als einziger der Stämme Israels erhielten sie keinen Landbesitz, stattdessen standen ihnen die Tempel-abgaben zu.Wikipedia

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Rechtlich unselbstständige/treuhände rische StiftungEin eigenständiges Steuersubjekt, das keine juristi-sche Person und nicht rechtsfähig ist. Diese Stif-tungsform benötigt einen Treuhänder, der das Stif-tungsvermögen getrennt von seinem eigenen Vermögen gemäß dem Stiftungszweck verwaltet und die Stiftung nach außen vertritt. Die Stiftung ist auf Zeiträume beschränk bar, Gremien und Treuhän-der können ände rungen und auch Auflösung beschließen.GLS Treuhand e. V.

ReproduktionsarbeitVom Marx’schen Begriff der Reproduktion der Arbeitskraft abgeleitete Bezeichnung für Arbeits-verrichtungen außerhalb des Sektors formeller Erwerbsarbeit, die dem Erhalt der individuellen Arbeitsfähigkeit und zur Sicherung der Erhaltung der Arbeitsbevölkerung dienen. Neben dieser Perspek-tive der Reproduktionsarbeit als Mittel zum Zweck kann sie auch als Selbst zweck im Sinne unmittelbar lebenserhaltender Tätigkeiten gesehen werden. Sie umfasst u. a. unbezahlte häusliche und familienbezo-gene Arbeiten für sich selbst, für im Haushalt lebende Kinder und Angehörige und ggf. für Dritte.Wikipediawww.wirtschaftslexikon24.net/e/reproduktionsarbeit/reproduktions-arbeit.htm

ReziprozitätGegenseitigkeit, wechselseitiges Verhältnis, auf den Austausch mit anderen Menschen gegründetes Ver-halten und elementare Bedingung menschlicher Beziehungen.Brockhaus 2006

moralische intuitionDer Philosoph und Gründer der Anthroposophie, Rudolf Steiner, entwickelte in seinem Werk „Die Phi-losophie der Freiheit“ den Begriff der moralischen Intuition, die er als Grundlage und Fähigkeit des freien Menschen versteht. Demnach richtet der unfreie Mensch seine Entscheidungen und Handlun-gen an Regeln, Normen, Traditionen aus, der freie Mensch hingegen an Intuitionen, die er aus seiner Begriffs- bzw. Ideenwelt gewinnt. Die Ideenwelt bil-det er durch Erkenntnis der inneren Gesetz mäßig-keiten der Welt. Moralische Intuition bedeutet die rein ideelle Begründung von Hand lungen, die auf einer durch die Kraft des Denkens erkannten Wahr-heit beruhen und dadurch im Einklang stehen mit den „ewigen Gesetzen“ der Welt.http://wiki.anthroposophie.net/Philosophie_der_Freiheit http://wiki.anthroposophie.net/Moralische_Intuition

naturreicheIn der von Rudolf Steiner begründeten Anthroposo-phie verwendeter Begriff für die äußerlich sichtbare Natur, die Mineralreich, Pflanzenreich, Tierreich und Menschenreich umfasst.http://wiki.anthroposophie.net/Naturreiche http://wiki.anthroposophie.net/Anthroposophie

Rainbow Gathering (Regenbogen-Zusammenkunft)Eine Mischung aus Festival und Landkommune auf Zeit, das meist unter freiem Himmel in abgeschiedener Umgebung stattfindet. Aufgrund der Abwesenheit jedweder Hierarchie und kommerzieller Aktivitäten sind diese Treffen ein Beispiel für Selbst organisation und Schenkökonomie. Wikipedia www.rainbowinfo.de

Rechtlich selbstständige StiftungEine eigenständige Körperschaft, die eine juristische Person darstellt und der staatlichen Stiftungsaufsicht unterliegt. Die Stiftung und ihr Zweck sind auf unbe-stimmte Dauer ausgerichtet, änderungen können nur mit Genehmigung der Stiftungsbehörde vorge-nommen werden. GLS Treuhand e. V.

Glossar

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Subsistenz (spätlat. subsistentia, „Bestand haben“)landwirtschaftliche Wirtschaftsform, die ganz oder überwiegend für die Selbstversorgung produziert. Der dominierende Subsistenzbegriff ist negativ kon-notiert, Subsistenz gilt als rück ständig und unökono-misch. Im sogenannten Bielefelder Ansatz hingegen (V. Bennholdt-Thomsen u. a.) wird Subsistenz in einer von Krisen bedrohten Fremdversorgungswirtschaft als eine zukunftsweisende Möglichkeit gesehen.Brockhaus Wirtschaft www.wirtschaftslexikon24.net/e/subsistenzproduktion/subsistenz-produktion.htm V. Bennholdt-Thomsen: Geld oder Leben, München 2010

TreuhänderJuristische oder private Person, die fremde Rechte (Treugut) ausübt und verwaltet, in eigenem Namen, aber in schuldrecht licher Bindung gegenüber demje-nigen, dem die Rechte an sich zustehen (Treugeber).Brockhaus 2006

Zakãt (arabisches Wort, dt. „Almosen“ wörtlich „wachsen“)Ausschließlich den Muslimen auferlegte obligatori-sche Armensteuer. Die Höhe der Zakãt ist unter-schiedlich. Je nach Quelle werden 2,5 %, 5 % bis 10 % oder bis zu 20 % des Vermögens angegeben. Im Islam ist die Zakãt eine Institution gegenseitiger sozialer Verantwortung, die laut vieler Muslime die Einrichtung eines moder nen Sozialstaates um viele Jahrhunderte vorweggenommen hat.Khoury/Hagemann/Heine: Islam-Lexikon, Freiburg i. Br. 1991 Wikipedia Ahmed Elhassab

ZedakaHebräisches Wort für das jüdische Wohltätigkeitsge-bot. Zedaka wird häufig mit Wohltätigkeit übersetzt, stammt allerdings von dem hebräischen Wort Tzedek ab, das so viel wie Gerechtigkeit und Rechtschaffen-heit bedeutet. Anders als Wohltätigkeit, die vollkom-men frei willig geschieht, stellt Zedaka eine religiöse Pflicht dar und einen Akt der Gerechtigkeit den Armen und Bedürftigen gegenüber, durch den ihnen gegeben wird, was ihnen zusteht. Das Gebot der Zedaka spielt eine wichtige Rolle im reli giösen Leben der Juden. Es soll ungeachtet der finanziellen Situa-tion selbst von armen Men schen ausgeübt werden.Wikipedia Englisch www.jewfaq.org/tzedakah. Zusammengesellt von Hedwig Scharlipp

Soziale DreigliederungEin Leitbild für die gesellschaftliche Entwicklung, das in den Jahren 1917 bis 1920 von dem Philosophen und Gründer der Anthroposophie, Rudolf Steiner, entwickelt wurde. Die soziale Dreigliederung beschreibt die Grundstruktur einer Gesellschaft, in der die Koordination der gesamtgesellschaftlichen Lebensprozesse nicht zentral durch den Staat oder eine Führungselite erfolgt, sondern in der drei selbst-verwaltete und relativ autonome Subsysteme (Geis-tes-, Rechts- und Wirtschaftsleben) sich gegenseitig die Waage halten. Jedem Bereich wird ein Ideal der Französischen Revolution als leitendes Prinzip zuge-ordnet: die Freiheit dem Geistesleben, die Gleichheit dem Rechtsleben, die Brüderlichkeit dem Wirtschafts-leben. http://wiki.anthroposophie.net/Soziale_Dreigliederung

Soziale PlastikBezeichnet eine spezifische Definition eines erweiter-ten Kunstbegriffs des deutschen Künst lers Joseph Beuys, der damit seine Vorstellung einer gesell-schaftsverändernden Kunst erläu tern wollte. Die Grundlage der Idee einer sozialen Plastik ist der Mensch, der durch Denken und Sprache soziale Strukturen entwickelt. Der Gesamtzusammenhang der sozialen Plastik erklärt sich aus einem sozialen, also das Allgemeinwohl betreffenden Handeln und dem Be griff Plastik, der ein modellierfähiges und formbares Gebilde benennt, das sinnlich erfahr bar und mit der Wahrnehmung der Gesellschaft gleich-zusetzen ist. Die soziale Plastik umfasst als ein anthro-pologischer Kunstbegriff jegliche kreative mensch-liche Tätigkeit. Mit allem, was der Mensch gestaltet und somit als eine geistige Leistung schöpferisch her-vorbringt, gilt er als gesellschaftsverändernd aktiv.Wikipedia

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