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DEUTSCHLANDS WIRTSCHAFTS- UND FINANZZEITUNG
THEMEN DES TAGES
Die Revolution beim Datenschutz Die Daten der EU-Brger sollen endlich sicherer werden. Mit der Reform rcken auch drastische Bugelder fr Unternehmen nher, die die neuen Regeln missachten. Ganze Branchen frchten, dass ihre Geschftsmodelle beschnitten werden. Seite 11
Der heie Kampf um den HausmllDie Energiewende macht die von Umweltschtzern heftig kritisierte Mllverbrennung berraschend at-traktiv und bringt die Branche damit in Aufruhr. Die Mllkonzerne frchten Fehlinvestitionen, denn sie haben viel Geld in die konkur-rierende Recyclingtechnik ge-steckt. Seiten 16, 28
Clemens: T-Systems wird nicht verkauftTelekom-Vorstand Reinhard Clemens tritt den Gerchten ber eine Trennung von der seit Jahren mit Ertragsproblemen kmpfenden Konzerntochter im Handelsblatt-Interview entgegen. Er sieht den in T-Systems gebndelten Geschftskundenbereich als eines der Wachstumsfelder des Kon-zerns, und dafr brauche die Tele-kom den IT-Dienstleister. Seite 20
Deutsche Bank im Visier der BafinDie Finanzaufsicht wirft mehreren Topmanagern der Deutschen Bank im Skandal um die Manipulation des Liborzinses organisatorische Mngel und laxe Kontrollen vor. Die Kritik richtet sich an fnf Per-sonen, darunter amtierende und ehemalige Vorstnde des grten deutschen Geldhauses. Seite 34
Dax11196.49-1.20%
E-Stoxx 503502.77-1.38%
Dow Jones17898.84-0.78%
S&P 5002094.11-0.70%
Euro/Dollar1.1266$+0.07%
Euro/Yen139.02+0.06%
Brentl62.69$-1.71%
Gold1181.65$-0.03%
Bund 10J.0.834%-0.050PP
US Staat2.392%+0.015PP Sc
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G 02531 NR. 111 / PREIS 2,60 MONTAG, 15. JUNI 2015
1
Griechischer Bankrott rckt nher
Ruth BerschensBrssel
L ast Exit Grexit? Eine Staatspleite Grie-chenlands wird immer wahrscheinli-cher. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker brach am Sonntagabend einen Vermittlungsversuch im Schulden-streit ab. Es gebe bei den diskutierten Re-formen fr Griechenland einen deutlichen Unterschied zwischen den Plnen der Geldgeber und Athens, teilte ein Kommis-sionssprecher mit.
Die Staatssekretre der Euro-Finanzmi-
nisterien hatten sich bei einem Treffen in Bratislava erstmals intensiv mit dem Sze-nario einer Staatspleite Griechenlands be-schftigt, besttigten hochrangige Beamte. Die EU-Behrde fr Bankenabwicklung (SRB) bereitet sich auf den Zusammen-bruch der griechischen Geldhuser vor. Und SRB-Direktorin Elke Knig kritisiert die Finanzierung griechischer Banken mit Ela-Notkrediten. Die Grenze zwischen Ela und Konkursverschleppung ist flie-end, warnt Knig im Handelsblatt-Inter-view.
Die EU-Kommission schlug zuletzt fr
2016 Einsparungen im griechischen Vertei-digungsetat von 200 Millionen Euro vor, sagten EU-Diplomaten. Auf diese Weise knne man die von der Regierung in Athen strikt abgelehnten Rentenkrzungen ver-meiden. Vorbehalte dagegen gebe es beim Internationalen Whrungsfonds (IWF), der vergangene Woche die Verhandlungen abgebrochen hatte. An diesem Donnerstag beraten die Finanzminister der Euro-Zone ber Griechenland, Ende Juni luft das Hilfsprogramm der Euro-Zone aus.
Berichte Seiten 12, 30
Bankenabwicklerin Elke Knig warnt vor Konkursverschleppung.
M. Fasse, M. Murphy, C. SchnellMnchen, Le Mans, Frankfurt
Traditionell fhrt Martin Winterkorn die Fahr-zeugparade in Le Mans an. Als Audi am Samstag kurz vor Beginn des
24-Stunden-Rennens seine Boli-den prsentierte, steuerte der VW-Chef einen roten R 8. Dass am En-de Porsche gewann und nicht Au-di, war ihm einerlei. Beides sind Konzernmarken. Hauptsache: VW gewinnt.
Und ums Gewinnen dreht sich nach dem jhen Abgang des VW-Patriarchen Ferdinand Pich so ziemlich alles im Denken des Mar-tin Winterkorn. Am Freitag hatte er das Prsidium des VW-Aufsichts-rats am Flughafen Braunschweig zusammengerufen, um seine Um-bauplne darzulegen: Seine zwlf Marken will er knftig in vier Hol-dings zusammenfassen. Das erfuhr das Handelsblatt aus Unterneh-menskreisen.
Die Gruppen sollen unabhngi-ger von der Wolfsburger Zentrale entscheiden drfen, in welchen Lndern sie welche Autos verkau-fen. Winterkorn will Macht abge-ben, um seine eigene zugleich zu sichern. Denn VW nach Pich, das bedeutet auch: Alle werden selbst-bewusster: Aufsichtsrte, Betriebs-rte, Marken-Manager.
Im VW-Vorstand sollen knftig nur noch die Chefs der Holdings vertreten sein. Querschnittsberei-che wie etwa der Vertrieb fallen
auf oberster Ebene weg und werden von den Marken selbst dirigiert. Der VW-Vorstand wrde schlanker.
Volkswagen will das Szenario offi-ziell nicht kommentieren. Die ber-
legungen sind nach Han-delsblatt-Informationen aber schon weit gediehen. Die neue Struktur soll im Groben stehen, wenn der designierte VW-Markenchef Herbert Diess seinen Job im Juli antritt. Der frhere BMW-Manager wird die Holding mit den Marken VW, Skoda und Seat fhren.
Whrend bei den Kon-zern-Gewinnbringern Audi und Porsche nach dem Um-bau vieles beim Alten blei-ben wird, sieht man in
Diess knftigem Bereich den gr-ten nderungsbedarf. Die hohen Kosten der deutschen VW-Werke drften jedenfalls bald Thema wer-den, heit es aus Konzernkreisen.
Tatschlich hufen sich im Kern-geschft die Probleme. Zu der Er-tragsschwche der Hauptmarke VW und den mauen Verkufen in Nord- und Sdamerika kommt nun noch ein Problem in China. Auch dort brckeln die Verkufe.
Winterkorn will sich mit seinem Umbauplan zugleich das eigene Kar-riereende ebnen: Wenn sein Plan gelingt, drfte ihm der Aufsichtsrat kaum verwehren, was Pich noch verhindern wollte: den Wechsel an die Spitze des Kontrollgremiums.
Volkswagen-Chef Martin Winterkorn will seine Macht festigen, indem er sie teilt: Die zwlf Einzelmarken des Konzerns sollen zu vier Gruppen zusammengefasst werden und mehr Selbststndigkeit bekommen.
Sein Plan fr Wolfsburg
Fahrzeugabsatz VW-KonzernVernd. zum Vorjahr in Prozent
Quelle: UnternehmenHandelsblatt
Ausgebremst
Juni 2014 Mai 2015
-2,6 %+8
+4
0
-4
Konzernchef Martin Winterkorn: Zwlf Automarken
sollen in vier Gruppen geordnet werden.
Der groe VW-Umbau Seiten 4 bis 7
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GASTKOMMENTAR
Kristalina Georgieva (Bild)
und Vera Jourov sind Mit-
glieder der EU-Kommission
Seite 48
10
Eiserne Lady
der Demokraten
Mit mehr sozialer
Gerechtigkeitwill Hillary
Clinton insWeie Haus.
32
Leipzig, das
neue Berlin
Die Messestadt bietet
Immobilien-Anlegern
attraktive
Renditechancen.
WIRTSCHAFT
& POLITIK
UNTERNEHMEN
&MRKTE
Der betrogene Kunde
Eine Studie zeigt: Die Energiepreise
sind gesunken, aber die Verbraucher
profitieren nurwenig davon. Seite 8
Bankenmessen
mit zweierlei Ma
Die Schere zwischen Spar- und Kre-
ditzinsen klafft immerweiter ausei-
nander. Seite 8
Athen riskiert die Staatspleite
DieVerhandlungen mit den interna-
tionalen Geldgebern kommen kaum
voran. Seite 9
US-Kongress bringt
TTIP inGefahr
Debakel fr Prsident Obama: Par-
teifreunde blockieren seineWirt-
schaftsbndnisse. Seite 10
Die Datenschutz-Revolution
Die EU-Staatenwollen sich auf ein
neues Recht einigen nach mehr
als einjhriger Verzgerung. Bei
Versten drohen hohe Strafzah-
lungen. Seite 11
Telekom soll
Merkel schtzen
Der Ex-Staatskonzern drfte vom
Hackerangriff aufs Parlament pro-
fitieren. Seite 11
Griechenlands
fehlende Flotte
Mit einer korrekten Handelsstatistik
wren Athenwomglich einige De-
batten erspart geblieben. In der in-
ternationalen Leistungsbilanz des
Landes klafft an einer ganz be-
stimmten Stelle ein Loch. Seite 12
Die Diagnosewar falsch
Der Schweizer Finanzexperte Micha-
el Bernegger spricht mit dem Han-
delsblatt ber fehlerhafteWirt-
schaftsdaten und die fatalen Folgen
fr Griechenland. Interview Seite 12
ENTSORGUNG
Der heie Kampf
umden Hausmll
Ist eine Zukunft ohne Abfall mg-
lich? Die Energiewende macht die
verfemte Mllverbrennung berra-
schend attraktiv und bringt die
Branche damit in Aufruhr. fen gel-
ten als saubere Stromlieferanten.
Manch ein Abfallkonzern befrchtet
Fehlinvestitionen. Seite 16
HANDEL
Richard Bakers nchster Coup
Ein Milliardr peilt sein Meisterstck
an: Der Eigner der kanadischen
Handelsgruppe HBC steht vor der
bernahme von Kaufhof. Kaufhof-
Eigentmer Metro verhandelt zur-
zeit exklusiv mit HBC ber die De-
tails eines Kaufvertrags. Seite 17
Aldi pflegt eine neue Heimat
Der Discounter nimmt knftig re-
gionale Produkte ins Programm.
Die Herkunft schlgt Bio als Ver-
kaufsargument. 61 Hfe sind im
Aldi-Programm. Mit Hilfe eines
QR-Codes knnen die Kunden den
Weg der Milch nachvollziehen
und sehen, vonwelchen der Bau-
ernhfe sie kommt. Die Landwirte
sollen von hheren Erlsen profi-
tieren. Seite 18
KOLUMNE
DerWerber-Rat
Rockt Apple eigentlich noch? Mit sei-
nem Musik-Streamingdienst setzt
der iPhone-Konzern erstmals keinen
Trend, sondernwird zum Follower.
Seite 20
Spielmacher
Niemand braucht Baku: Ein korrup-
ter Familienclan betreibt bei den
Europaspielen Imagepflege und
mehrt seinVermgen. Da ist es fast
egal, dass in vielen Disziplinen nicht
die besten Athleten von Europa an
den Start gehen. Seite 22
MITTELSTAND
Sturmber
Cuxhaven
Eine Luxus-Dienstreise nach Kap-
stadt und Schadensersatzforderun-
gen in Millionenhhe gegen einen
Groaktionr: Dem Projektentwick-
ler PNEWind steht an diesem Diens-
tag eine turbulente Hauptversamm-
lung bevor. Seiten 24 und 25
Wachsende Kluft
Vergebliche Bitten um Aufschub und
Nachbessern: Die Plne fr die neue
Erbschaftsteuer treiben einen Keil
zwischen Politik und Familienunter-
nehmer. Seiten 26 und 27
SPORT
Das kleineWimbledon
Roger Federer als Zugpferd: Die
bertragung in 150 Lnder sichert
der Marke GerryWeber eine hohe
TV-Prsenz.Wie sie ein Tennistur-
nier nutzt, um neue Absatzmrkte
zu erobern. Seite 22
Prunkstck in der
westflischen Provinz
GerryWeberWorld: Die Firmen-
grnder investierten Millionen in
den Bau einer Multifunktionsarena
in Halle. Seite 22
Fifa-Chef Blatter lsst
sich nichtvertreiben
DerWeltfuballverband ist seitWo-
chen in schweren Turbulenzen. Jetzt
denkt der Schweizer angeblich an
den Rcktritt vom Rcktritt. Ihm
kommt zugute, dass sich bislang
kein Nachfolger aufdrngt. Seite 23
TELEKOMMUNIKATION
DenTanker ber
Wasser gehalten
Der Telekom-Vorstand und Chef
von T-Systems, Reinhard Clemens,
spricht ber den Umbau seiner
Konzern-Dauerbaustelle und mgli-
cheWachstumsfelder der Zukunft.
Interview Seiten 20 und 21
Bisher hat die
EuropischeUnion
keine Befugnisse,
Straftaten, die sich
gegen den
EU-Haushalt richten,
strafrechtlich zu
verfolgen. Daher
bedarf es auch einer
europischen
Lsung, nmlich
einer Europischen
Staatsanwaltschaft
mit einem klaren
Mandat.
MEINUNG & DEBATTE NAMEN
Die belste EhevonGeorgetown
ChristophWaltz verfilmt Leben und
Sterben der frheren Handelsblatt-
KorrespondentinViola Herms-
Drath. Seite 46
Diktatoren zu Diensten
Kasachstan-Klub: Ex-Innenminister
Otto Schily soll sich fr kleptokrati-
sche Regime in der Ex-Sowjetunion
verwandt haben. Seite 47
Leitartikel
Die aktuelle Twitter-Fhrungskrise
zeigt: Auch im SiliconValley stellen
sich Erfolge nicht automatisch ein.
Gastkommentar
Ein Aufsichtsrat sollte finanziell
unabhngig sein. Kontrolle muss
kosten.
Leitartikel
Auch die Neuordnung des Finanz-
ausgleichs muss faire Regeln fr alle
Lnder finden.
Gastkommentar
Dezentral ist klger. Der Bund kann
aber beim Straenbau auchweiter-
hin Prioritten setzen.
14
WIRTSCHAFT
& POLITIK 28
UNTERNEHMEN
&MRKTE
PR[M],actionpress,Imago
2 INHALT
1
NAMENSINDEX
Ackermann, Josef....................................................34
Baker, Richard A. ......................................................17
Bnziger, Hugo.........................................................34
Benko, Ren ...............................................................17
Bernegger, Michael ..................................................12
Billhardt, Martin........................................................24
Blatter, Joseph..........................................................23
Bohndorf, Michael ...................................................34
Clemens, Reinhard..................................................20
Cloete, Alan...............................................................34
Dinandt, Pepyn.........................................................39
Friedrichsen, Volker ................................................24
Genscher, Hans-Dietrich........................................47
Gerlinger, Christoph................................................24
Hardieck, Udo ...........................................................22
Hennerkes, Brun-Hagen ........................................26
Ismaik, Hasan............................................................23
Jain, Anshu................................................................34
Kuprian, Dieter .........................................................24
Leithner, Stephan ....................................................34
Maisch, Nicole .............................................................9
Mller, Klaus.................................................................8
Platini, Michel............................................................23
Scala, Domenico ......................................................23
Schily, Otto ................................................................47
Schweitzer, Axel........................................................16
Sevelda, Karl .............................................................30
Soros, George ...........................................................37
Wanka, Johanna .......................................................16
Weber, Gerhard ........................................................22
Weber, Ralf ................................................................22
Fischer, Peter ............................................................25
UNTERNEHMENSINDEX
Actelion ......................................................................36
Adidas .........................................................................25
Affimed.......................................................................37
Airbus .........................................................................20
Alba ..............................................................................16
Aldi ...............................................................................18
Boeing ........................................................................20
Borussia Dortmund.................................................23
Braas Monier .............................................................39
Deutsche Bank .........................................................34
Deutsche Telekom...................................................39
In dieser Ausgabe
MONTAG, 15. JUNI 2015, NR. 111
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FINANZEN
& BRSEN
FlieendeGrenze zur
Konkursverschleppung
Das Pokerspiel um Griechenland
geht in die heie Phase. Elke K-
nig, Chefin der neuen Abwicklungs-
behrde fr Banken, erklrt, welche
Folgen ein Grexit htte und
wie es um die Banken des Landes
steht. Interview Seiten 30 und 31
Die nchste Rge
fr Anshu Jain
Die Finanzaufsicht wirft Topmana-
gern der Deutschen Bank organisa-
torische Mngel und laxe Kontrollen
vor. Die Kritik richtet sich auch ge-
gen Leithner, Ackermann und Bnzi-
ger. Jain arbeitet knftig kostenlos
fr das Geldhaus. Seite 34
Justiz prftVerdacht
aufUntreue
Ermittlungenwegen des 925 Millio-
nen schwerenVergleichs der Deut-
schen Bank mit den Erben von Leo
Kirch: Ein kritischer Aktionr hetzt
dem Geldhaus erneut Ermittler auf
den Hals. Seite 34
PRIVATE GELDANLAGE
Wetten auf dieWunderpille
In fnf Jahren haben sich die Kurse
von Biotechnologieaktien im Schnitt
fast vervierfacht. Experten sehen
weiter Potenzial. Die Innovations-
kraft der Branche berzeugt viele In-
vestoren. Seite 36
Etappensieg gegen Athen
Nach demUrteil des Europischen
Gerichtshofs sehen Anwlte mehr
Chancen fr Besitzer von Griechen-
Bonds. Der Schuldenschnitt kostete
Anleger Milliarden. Noch bis Jahres-
ende sind Klagen mglich. Seite 38
Topmanager in Kauflaune
Mehrere Transaktionen in Millionen-
hhe lassen das Insiderbarometer
auf 121 Punkte steigen. Seite 38
DIE NEUESTEN ARTIKEL
VAKANTER LINKE-CHEFPOSTEN
Gysis Erbe gesucht
Wer steuert knftig das Schiff
der Linken, womglich in eine
rot-rot-grne Koalition? Die
Linke-Spitze will einen Vor-
schlag fr die Nachfolge von
Gregor Gysi machen. Der
Bundestagsfraktionschef will
bei der Wahl des neuen Frak-
tionsvorstands am 13. Okto-
ber nicht wieder kandidieren.
Als Favoriten fr seine Nach-
folge gelten seine Stellvertre-
ter Sahra Wagenknecht und
Dietmar Bartsch.
NIEDRIGZINSEN, WACKEL-BRSEN
Wohin mit dem Geld?
Immer mehr Anleihen mit ho-
hen Kupons werden fllig, die
Tausender sammeln sich auf
den Konten der Anleger. Ei-
nen adquaten Ersatz fr die
Hochprozenter gibt es nicht
mehr. Wo es noch fnf Pro-
zent Rendite gibt und wie
viel Risiko Anleger dafr ein-
gehen mssen.
JEB BUSH
Wie hltst dus mit dem
Weien Haus?
ber die mgliche Kandida-
tur des Ex-Gouverneurs von
Florida wird seit Monaten
spekuliert. Jetzt will Jeb
Bush, Bruder und Sohn von
zwei Ex-Prsidenten der USA,
seine Kandidatur fr das Amt
des mchtigsten Mannes der
Welt bekanntgeben und in
Miami ber seine Visionen fr
sein Land sprechen.
VERSICHERUNGEN
Sicher in den Urlaub
Viele Policen sind sinnlos.
Welche Policen Reisende
wirklich brauchen.
Alle genannten Beitrge finden
Sie im Verlauf des Tages unter
www.handelsblatt.com/thema
INHALT 3
1
MONTAG, 15. JUNI 2015, NR. 111
Deutschen Telekom ................................................20
Edeka ...........................................................................18
EEW..............................................................................16
Fifa ...............................................................................23
German Startups Group ........................................24
Gerry Weber..............................................................22
Gilead Sciences ........................................................37
Gropper .......................................................................18
Hudsons Bay .............................................................17
Incyte...........................................................................37
Infineon.......................................................................25
Kaufhof ........................................................................17
Lidl ................................................................................18
Lord & Taylor..............................................................17
Lufthansa ....................................................................16
Merck...........................................................................39
Metro ............................................................................17
Petrobras....................................................................37
PNE Wind AG ...........................................................24
Raiffeisen Bank International ..............................30
Real...............................................................................18
Remondis ....................................................................17
Rewe.............................................................................18
Saks Fifth Avenue.....................................................17
SC Freiburg................................................................23
Shire ............................................................................36
Stiftung Familienunternehmen ...........................26
Thyssen.......................................................................25
T-Systems ..................................................................20
Varta Micobattery ....................................................16
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Bei Porsche und
Audi luft das
Geschft, diesen
Erfolg drfenwir
nicht riskieren.
Ein VW-Insider
VW-Chef Winterkorn will den Konzern schlanker aufstellen.
Die zwlf Marken werden zu vier Gruppen zusammengefasst.
In Le Mans machen zwei Konzerntchter das Rennen.
M
artin Winterkorn htte es
sich einfach machen kn-
nen. Noch bevorVW-Patri-
arch Ferdinand Pich im
April seine Attacke auf ihn
startete, htte er seinen Posten als Vor-
standsvorsitzender aufgeben knnen. Im
Jahr 2014war seineMission jaeigentlicher-
fllt:VWerzielte nicht nureinenneuenRe-
kordgewinn, sondern verkaufte erstmals
auch mehr als zehn Millionen Autos.
DerVW-Boss, immerhin schon 68 Jahre
alt, htte sich mit einer sauberen Bilanz
verabschieden knnen.
Tat er aber nicht auchweil sich hinter
der glnzenden Fassade Probleme aufta-
ten. Und die bekommt der Konzern mit
seinen komplexen Strukturen nicht gelst.
Das Unternehmen bedarf dringend einer
Reform, daswusste auchWinterkorn.
Ein Anfang dafr ist jetzt gemacht. Vor
dem Abflug zum Autorennen nach Le
Mans am Freitag batWinterkorn die Spit-
zen des Aufsichtsrats zusammenmit eini-
gen seinerVertrauten zu einem informel-
len Treffen am Flughafen Braunschweig.
Eine Tagungsordnung gab es nicht, aber
ein beherrschendes Thema: die Zukunft.
Im Kern ist die Marschrichtung klar: In
Wolfsburg konzentriert sich zuviel Macht.
Weniger zentralistisch, dafr schlanker
und effizienter soll VWwerden.
DerWandelwirdmit einer neueTonlage
eingelutet: NochvorwenigenWochen, als
Pich Aufsichtsratschefwar,wre die Ent-
scheidung ber die neue Struktur im klei-
nen Kreis gefllt worden. Pich, Winter-
korn und einige wenige Eingeweihte ht-
ten den Plan vorbereitet und das
Kontrollgremium irgendwann informiert.
Doch Pich ist nichtmehr dasGravitati-
onszentrum imVW-Reich. Die Macht, die
er frher alleine hatte, verteilt sich heute
aufviele Schultern. Nebenden traditionell
starkem Betriebsratwollen nun das Land
NiedersachsenunddieVertreter der Fami-
lien Porscheund Pich strker in die Bera-
tung eingebundenwerden. ImKonfliktmit
demEx-Patriarchen sei das Selbstvertrau-
en gewachsen, heit es in deren Umfeld.
Sie verlangen Mitsprache bei den anste-
henden Entscheidungen.
In demabgeschirmten Konferenzraumdes
Braunschweiger Flughafens prsentierte
WinterkornOptionen frdenUmbau.Als si-
cher gilt, dass BefugnissevomVorstand auf
vierHoldingsbertragenwerden.DerenBe-
reichsvorstnde sollen in grerer Eigen-
stndigkeit ber Produktion, Vertrieb und
Verkaufsstrategie entscheiden. Vorbild ist
dieneueLkw-Holding,dieunter ihremDach
Scania, MANundVW Lastwagenvereint.
Neu geordnetwerden sollen auchdie Lu-
xusmarken. Erste berlegungen, Porsche
undAudi ineinerGruppe zubndeln, sind
aberwohlvomTisch. Die beiden Edeltch-
ter sind diewichtigstenGewinnbringer fr
VW. Bei Porsche und Audi luft das Ge-
schft, diesenErfolgdrfenwir nicht riskie-
ren, heit es im Konzern. Den jngsten
berlegungenzufolge soll Audi-ChefRupert
Stadler weiterhin die Marken Ducati und
Lamborghini fhren. Porsche-ChefMatthias
Mller wrde knftig auch die Kontrolle
ber Bentley und Bugatti bernehmen.
Die grteVernderung kommt auf die
Massenmarken zu. Knftig sollenVW, Seat
und Skoda unter der Leitungvon Herbert
Diess zu einer Gruppe zusammengefasst
werden. Und auch er erhlt mehr Eigen-
stndigkeit. Das Kompetenzgerangel mit
dem Konzernvorstand soll so enden.
Der Vorstand mit Winterkorn an der
Spitzewrde damit auf acht Ressorts ver-
kleinert. Knftig soll sich das Gremium
mehr um Strategie und Kontrolle km-
mern, heit es. Die RollevonWinterkorn,
der bislang stark in das operativeGeschft
vor allem der Kernmarke VW eingebun-
den ist, wird sich ebenfalls ndern.
In den kommendenWochenwollen die
SpitzenvonVorstandund Aufsichtsrat die
Details des Umbaus ausarbeiten. Im Sep-
tember soll dann entschiedenwerden. Bis
die neue Strukturvollends umgesetzt sei,
werde es aber dauern, sagte einManager.
Mit der Neuordnungwird auch die Grund-
lage fr die Zeit nachWinterkorn geschaf-
fen. Bislang istVWkomplett auf ihn ausge-
richtet. DieseMachtflle kann nicht in ei-
ne Hand bergebenwerden, heit es im
Aufsichtsrat. Mit der Dezentralisierung er-
leichtert esWinterkorn also auch seinem
Nachfolger, leichter Tritt zu fassen.
Wann der aber kommt, ist offen. Wo-
mglich bleibt der 68-Jhrige dem Unter-
nehmen erhalten. Die Aufsichtsrte Hans
Michel PichundWolfgang Porsche haben
noch keine Entscheidung gefllt,wer letzt-
lich neuer Aufsichtsratschef wird.
Die beiden Vertreter ihrer Familien-
stmme haben selbst wenig Interesse an
dem Posten, heit es in ihrem Umfeld.
SchafftWinterkorndenUmbau, danndrf-
te ihmdieseTr offen stehen.Markus Fasse,
Martin Murphy, Christian Schnell
Sein Plan fr
Wolfsburg
Quelle: Eigene RechercheHandelsblatt
Die mgliche neue Konzernstruktur des VW-Konzerns
mit Lamborghini und Ducati
bestehend aus:
Vorstandschef, CFO, Einkauf, Personal, Gruppenvorstnde von Audi, Porsche, Lkw, VW-Volumen
Neu sortiert
Konzernvorstand
Vier Gruppen, je mit eigenen Vorstnden
Audi
mit Skoda und Seat
Volkswagen
mit Scania, MAN und VWLkw
Lkw
mit Bugatti und Bentley
Porsche
Citypress24
Fortsetzung von Seite 1
1
4 TITELTHEMA
MONTAG, 15. JUNI 2015, NR. 111
Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de. 600043070-13046
Vorne Porsche, dahinter
Audi: Rivalen nicht nur auf
der Rennstrecke in Le Mans.
Porsche gewinnt das Bruder-Duell
Lukas Bay
Le Mans
I
rgendwann endet jede Serie: Erstmals
seit 1967warEx-FirmenpatriarchFerdi-
nandPich nicht nach LeMans gekom-
men, um das legendre 24-Stunden-Ren-
nen persnlich mitzuerleben.
Es war nicht die einzige Serie, die am
Sonntag riss. Um 15 Uhr berquerte der
Porsche 919 Hybrid nach 395 Runden die
Ziellinie mit mehr als einer Runde Vor-
sprung. Porsche lst damit den Seriensie-
ger Audi ab nur ein Jahr nach der Rck-
kehr auf die Langstrecke. In den letzten 15
Jahren hatte Audi 13-mal gesiegt.
Auf den Tag genau 45 Jahre nachdem
Porsche das ersteMal denGesamtsiegvon
Le Mans einfahren konnte, gewinnt also
wieder ein Sportwagen aus Zuffenhausen.
Geschafft hat den Triumph ber die Br-
der aus Ingolstadt der deutsche Formel-
1-Fahrer und Le-Mans-Debtant Nico Hl-
kenberg, der sich mit dem Neuseelnder
Earl Bamby und dem Briten Nick Tandy
am Steuer abgewechselt hatte.
Porsche-Chef Matthias Mller hatte die
ganze Nacht nicht geschlafen, sa aber
morgens bester Laune im Porsche-Pavil-
lon hinter der Boxengasse. Fr ihn ist das
Ergebniswichtig: Auf dieviel gestellte Fra-
ge, wer die Technologiefhrerschaft im
VW-Konzern innehat, ist dieser Sieg die
passende Antwort.
Dabei ist die Distanz zwischen den
Renn-Brdern auf die ganze Dauer des
Rennens betrachtet hauchdnn. Auch
nachmehreren Stunden lagendie Rivalen
kaummehr als ein paarMinuten auseinan-
der. Gemeinsam beherrschten die VW-
Markendas Rennen und belegten amEn-
de die ersten fnf Pltze. DieWeltmeister
von Toyota und die Herausforderer von
Nissan hatten im Kampf um den Sieg
nichts zu melden.
Schon inderQualifikation hatte Porsche
die Konkurrenz deklassiert.Trotzdemhat-
te man sich vor dem Start zurckhaltend
gegeben, LeMans gilt als unberechenbar.
24 Stunden, also auch die ganze Nacht,
jagten die 55 Autos danach ber die Piste,
mit bis zu 340 Stundenkilometern.
Geschlafenwird in LeMans nicht. Auch
nicht nebender Rennstrecke. 260000Be-
sucher campen auf jedem freien Fleck-
chen Erde, beschallt vom Drhnen der
Motoren. Kein Autorennen derWelt ist so
reich an Legendenwie das hier. Le Mans
ist auch eine Materialschlacht. ber die
Gesamtkosten schweigen die Hersteller.
Audi soll das Rennen rund 180Millionen
Euro gekostet haben, heit es aus Bran-
chenkreisen, bei Porsche drften die Kos-
ten nicht wesentlich darunter liegen. Al-
lein die Kosten fr jeden Reifenwechsel
werden auf 40000 Euro geschtzt. Laut
Reglement drfen bis zu zwlf Reifenstze
verwendet werden.
Franzsische Hersteller knnen sich
den groen Auftritt in ihrer eigenen Hei-
mat schlicht nichtmehr leisten. Der einzi-
geWagendes grten franzsischen Auto-
bauers PSA, der an diesemWochenende
in LeMansvorbeischaut, ist der Citron
von Staatsprsident Franois Hollande.
In Le Mans dominieren jetzt die Deut-
schen. Das ist unser Wohnzimmer,
hatte Porsche-SportvorstandWolfgang
Hatz schon vor dem Rennen verkndet.
Die Entscheidung, dass ausge-
rechnet Porsche die Konzern-
schwester vom Thron stoen
durfte, geht auch aufdas Kon-
to des mittlerweile abgetre-
tenen Patriarchen Ferdi-
nand Pich. Er selbst hatte
eine groeVergangenheit in
LeMans,war er doch einer
der Kpfe hinter dem Por-
sche 917, jenem legendren
Rennwagen, der 1970 den
ersten Sieg fr Porscheein-
fuhr. Und der jngste Er-
folg in LeMans ist auch ei-
neMeisterleistung der In-
genieure: Nur vier Jahre
hat man fr die Entwick-
lung des neuen Sportwagens im schwbi-
schenWeissach gebraucht.
Beeindruckend ist zugleich das Duell,
das sich die Deutschen neben der Renn-
strecke liefern. Direkt gegenber von
Konzernschwester Audi hat Porsche in
zehnMonaten ein zweistckiges Expe-
rience Center mit 2 900 Quadratme-
tern errichtet, eines von vier seiner Art
weltweit. Pnktlich zum Rennen ist es
fertig geworden.
Platzhirsch Audi mag es sogar
noch etwas grer.Whrend
der Konzern ber Sparma-
nahmen diskutiert, wird in
Le Mans noch geklotzt:
TausendeGste haben die
Hersteller eingeladen. Es
gibt eine Liegewiese vor
der Riesenleinwand. Zi-
garren, Champagner und
Filetsteak sind inklusive.
Selbst der Pizzabcker
wurde extra aus Rimini
eingeflogen. Der VW-Kon-
zern gnnt es seinen bei-
den rentabelsten Marken,
die eigene Strke angemes-
sen protzig zu zelebrieren.
Doch einer fehlte, fr den
die Dominanz der Deutschen
sicher eine Genugtuung gewesen
wre. Ferdinand Pich blieb auch
diesemVW-Ereignis fern.
ZweiMarkendesVW-Konzerns dominierendasTraditionsrennen und lassen sich das Spektakel einiges kosten.
24 STUNDEN VON LE MANS
Ferdinand Pich: Seit 1967
war er immer in Le Mans
dabei, dieses Mal nicht.
438 229
265 097
108 217
102 745
51 102
22 050
17 500
2 232
884
10
Gesamt:
2 487 427
Fahrzeuge
Handelsblatt|Quellen:Bloomberg,Unternehmen
Auslieferung an Kunden im 1. Quartal 2015,
Zahl der Fahrzeuge nach Marken
Pkw-Auslieferung von VW
nach Regionen im
1. Quartal 2015
Umsatz von Volkswagen in Mrd. Euro
Nettoergebnis von Volkswagen in Mrd. Euro
Von edel bis billig
38,3%
China
12,0%
Deutschland
49,7%
Sonstige
Volkswagen Pkw
Audi
Skoda
VW Nutzfahrzeuge
Seat
Porsche
MAN
Scania
Bentley
Lamborghini
Bugatti
1 479 361
1. Q. 2010 1. Q. 2015
52,74
55
40
25
1. Q. 2010 1. Q. 2015
2,93
12
8
4
0
1
DER GROSSE VW-UMBAU 5
MONTAG, 15. JUNI 2015, NR. 111
Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de. 600043070-13046
Wirwerden die
Suche nach
einem neuen
Aufsichtsratschef
nicht endlos in die
Lnge ziehen.
StephanWeil
Ministerprsident von Niedersachsen
Martin Murphy
Hannover
S
tephanWeil tut sich schwer, mit
der Vergangenheit zu brechen.
Auch und besonders, wenn es
um denVW-Granden Ferdinand
Pich geht. Professor Pich hat
sich fr die deutsche Autoindustrie allge-
meinund frVW insbesondere groeVer-
dienste erworben, sagte der niedersch-
sische Ministerprsident dem Handels-
blatt. Deshalbwill er Pich auch noch ein-
mal ehren undwrdigen.Wann undwie
dies aber geschehen kann, lieder Sozial-
demokrat erst einmal offen.
WeilsWort hat Gewicht in derVolkswa-
gen-Welt. Er vertritt nicht nur das Land
Niedersachsen als den zweitgrten Ak-
tionr des Fahrzeugbauers, der Politiker
sitzt auch noch im Prsidium des Auf-
sichtsrats. Das sechskpfige Gremium
war es, das Pich im Konflikt um die Ab-
lsungvonVorstandschef MartinWinter-
korn in die Schranken verwies. Pich
musste sich Gegenwehr gefallen lassen,
das kannte er bis dahin nicht. Auf Druck
der anderen Prsidiumsmitglieder legte
der Patriarch schlielich brsk den Auf-
sichtsratsvorsitz nieder.
Bei der Suche nach einem Nachfolger an
der Aufsichtsratsspitze siehtWeil nun die
Familien Porsche und Pich in der Pflicht.
Als grte Aktionre htten diese ja das
Vorschlagsrecht, sagte er. Fr eine hastige
Lsung sieht er keine Not, da derGewerk-
schafter Berthold Huber als Interims-Auf-
sichtsratschef sehr souvern agiere.
Wirwerden die Suche nicht endlos in die
Lnge ziehen, betonteWeil zwar. Im Pr-
sidium solle dasThema aber in aller Ruhe
besprochen werden mit dem Ziel, eine
einvernehmliche Lsung zu finden, mit
der alle Seiten gut leben knnen.
Wer als Kandidat fr den Posten infrage
kommt, sagteWeil nicht. Da dieVertreter
des Landes Niedersachsen und des ande-
renGroaktionrs Katar kein Interesse an
dem Amt haben, ist neben einem exter-
nen Kandidaten auch ein Pich-Nachfol-
ger denkbar, der direkt aus den Reihen
der Familien kommt.
Fr die gerade erst im Mai in das Gre-
mium berufenen Louise Kiesling und Ju-
lia Kuhn-Pichwre die Aufgabe aber im
Moment wohl noch zu gro.
Der Kandidatenkreis innerhalb der Fa-
milie engt sich damit auf Hans Michel
Pich,Wolfgang Porsche und Ferdinand
Oliver Porsche ein. Da die ersten beiden
nach Einschtzung aus dem Umfeld des
Clans aber keine Ambitionen hegen, k-
me Letzterer als Option infrage.
Mglich ist indes dieWahl eines Kandi-
daten, der nicht imGremium sitzt. So hal-
ten es Insider frmglich, dassVorstands-
chef MartinWinterkorn selbst auf Pichs
vakantemPosten Platz nimmt.Mit derUn-
tersttzung der Familien und des Landes
Niedersachsen htte er die ntige Rcken-
deckung fr den direk-
ten Sprung vom Vor-
stand in den Aufsichts-
rat auch wenn solche
Wechsel eigentlich ver-
pnt sind, weil Ex-Chefs
wenig Neigung haben, ihre
eigenen Strategien aus der
Vergangenheit zu ndern.
Bevor indes die Wahl ei-
nes neuen Aufsichtsratschefs ansteht,will
Winterkorn Handelsblatt-Informationen
zufolge die Fhrung des weltweit zweit-
grten Fahrzeugherstellers neu ordnen.
Nochvor Erffnung der Frankfurter Auto-
mobilmesse IAAMitte Septembermchte
er seine konkreten Plne vorstellen.
Die Rckendeckung des Landes Nie-
dersachsen hat er: VW ist einWeltkon-
zern. In einemUnternehmen dieser Gr-
enordnung ist die Balance zwischen
zentraler und dezentraler Steuerung im-
mer wieder neu auszugleichen, sagte
Weil.
Mit der Neuordnung der Fhrungs-
struktur des Konzerns wird voraussicht-
lich Macht aus der Zentrale inWolfsburg
in die einzelnen Markengruppen verla-
gert. Audi hat seinen Sitz in Ingolstadt
und Porsche in Stuttgart. In Niedersach-
senverbliebe damit die Fhrung ber die
Massenmarken also VW, Skoda, Seat ,
ebensowohl auch die der Nutzfahrzeuge-
sparte. Deren Zentrale wird voraussicht-
lich in Hannover angesiedelt.
Fr Ministerprsident Weil wre die
Verlagerungvon Machtbefugnissen nach
Sddeutschland verkraftbar, schlielich
drfte dies dieWirtschaftlichkeit des Ge-
samtkonzerns steigern: Niedersachsen
ist ein strategisch agierender Investor mit
spezifischen Landesinteressen. Diese
knnenwir aber nur umsetzen, wenn es
dem Unternehmen gutgeht, sagte der
SPD-Politiker.
Dass die VW-Spitze Pich noch ehren
will, spricht fr sie. Denn dass es demAu-
tokonzern in der Vergangenheit so gut-
ging, ist auch PichsWerk.
Seine strategische Weitsicht hat er in
der Vergangenheit immer wieder unter
Beweis gestellt: Sich auftuende Probleme
sah er oft als Erster.
Noch gibt es keinen Kandidaten fr
den Aufsichtsratschef beiVW.
Der niederschsische
MinisterprsidentWeil sieht die
Familien Pich und Porsche in
der Pflicht. Die Errungenschaften
Ferdinand Pichswill er
nachtrglichwrdigen lassen.
Auf der Suche nach einem
Niedersachsen ist ein
strategischer Investor mit
spezifischen Interessen. Diese
knnenwir aber nur
umsetzen,wenn es dem
Unternehmen gutgeht.
StephanWeil
Ministerprsident von Niedersachsen
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Volkswagens Pr
Markus Fasse, Martin Murphy
Le Mans, Mnchen
D
as Reich der Mitte ist inzwischen
zumErfolgsgarantenderdeutschen
Autoindustrie geworden: Fast ein
Drittel ihres Absatzes verdanken die Kon-
zerne inzwischen China. Vor allem der
Volkswagen-Konzern lebt von dem Auto-
boom in Fernost. Allein im vergangenen
Jahr stammte fastdieHlftedesVorsteuer-
gewinnsvon 14,8MilliardenEuro ausdem
China-Geschft. Das jedenfalls schtzen
die Experten von JP Morgan.
Doch derWind dreht sich, die Politik in
Peking drngt darauf, die heimischen An-
bieter zu strken. Die Folgen sind schon
sprbar und das merken vor allem die
Wolfsburger. Im erstenQuartal des Jahres
2015 lagen die Verkufe der Kernmarke
VW erstmals leicht unter denWerten des
Vorjahres,whrend einheimischeMarken
wie Geely oder Great Wall mit zweistelli-
gen Wachstumsraten auftrumpften. Ein
Novum in der Autobranche.
An sich knntedie Zentrale inWolfsburg
die Entwicklung gelassen sehen.VW ist ge-
meinsammitGeneral Motors die Nummer
eins im grten Automarkt derWelt. Doch
auf den zweiten Blick zeigen sich empfind-
liche Schwchen: So hatVW bei kompak-
tenund sportlichenGelndewagen (SUVs)
dem derzeit grten Wachstumsseg-
ment kein Modell im Angebot. Die Ge-
winner sind eindeutig die lokalen Herstel-
ler, die sehrwettbewerbsfhige Produkte
auf den Markt gebracht haben, urteilt
man bei JP Morgan.
Zwei Millionen kompakte SUV werden
mittlerweile pro Jahr in China ver-
Ausgerechnet im Boomland China
AUSLANDSMRKTE
6 TITELTHEMA
MONTAG, 15. JUNI 2015, NR. 111
Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de. 600043070-13046
m Pich-Nachfolger
Die mchtigsten
VW-Aufsichtsrte
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Berthold Huber
Interimsvorsitzender VW-Aufsichtsrat
Ex-Vorsitzender der IG Metall
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Handelsblatt | Fotos: J. Giribas/SZ Photo/laif, B. Weissbrod/dpa, J. Schicke/Imago, T. Lohnes/ddp, Imago, O. Spata/dpa, Sepp Spiegl
ens Probleme in derVolksrepublik
kauft. Ganzvorne in derGunst der chine-
sischen Kunden ist GreatWall mit seinem
Modell Havas.VW-ChefMartinWinterkorn
muss nun frchten, dass eine jungeGene-
ration heranwchst, die bei der Suche
nach einem Statussymbol nicht automa-
tisch anVW denkt.
Und es knnte noch dicker kommen.
GreatWall unddie anderen lokalen Produ-
zenten beginnen, ihre Fahrzeuge auch zu
exportieren. Als Zielmrkte kommen da-
fr Sdostasien, LateinamerikaundAfrika
infrage, wo die preisgnstigen Chinesen
bereits erste Ausrufezeichen setzen. VW
muss sich in diesen Regionen auf deutlich
mehr Konkurrenz einstellen.
In derWolfsburger Konzernzentrale ist
die Gefahr lngst ausgemacht, gehandelt
wurde bislang nicht. Mgliche Kooperatio-
nen fr ein Billigauto, mit dem neue Ku-
ferschichten fr den Konzern gewonnen
werden sollen, haben die Niedersachsen
bislang nicht abschlieen knnen. Die
Mannschaft umWinterkorn war mit der
Qualitt eines bereits geplanten Low-Bud-
get-Cars nicht zufrieden. Nachwievor gilt
der deutscheQualittsmastab, denman
nicht aufgeben will. Auch nicht, wenn es
um Mrkte in Schwellen- und Entwick-
lungslndern geht.
Es soll auch dieses Zaudern gewesen
sein, dass Ferdinand Pich auf Distanz
zu seinemZiehsohnMartinWinterkorn ge-
bracht hatte. Intern habe der sich fr eine
Zusammenarbeit mit Great Wall ausge-
sprochen, sagt ein Konzerninsider.Winter-
korn dagegen habe an der traditionellen
Kooperation mit FAW festgehalten, mit
demVW bereits seit drei Jahrzehnten zu-
sammenarbeitet.
Mit der neuen Struktur wird der Vor-
stand nun beweisen mssen, dass er die
ProblemfelderChinaund Billigauto in den
Griff bekommen kann. Der brckelnde
Absatz in derVolksrepublik knnte sonst
einen Flchenbrand provozieren, der den
Handlungsdruck inWolfsburg schlagartig
erhhenwrde.
China schwchelt der Absatz. Ein Billigauto fehltVW ebensowie ein sportlicher Gelndewagen.
DER GROSSE VW-UMBAU 7
MONTAG, 15. JUNI 2015, NR. 111
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Silke Kersting
Berlin
P
er Smartphone kann
der Autofahrer schnell
herausfinden, wo Tan-
ken gerade am billigs-
ten ist. Seit das Bundes-
kartellamt eine Markttranspa-
renzstelle fr Kraftstoffe geschaf-
fen hat und alle 14 500 Tankstel-
len in Deutschland ihre Preise
dort melden mssen, leiten Ver-
braucher-Informationsdienste die
Daten per Appweiter.
Das ist gut fr denVerbraucher.
Schlielich steigt durch mehr
Transparenz der Druck auf die
Minerallkonzerne, sinkendel-
preise mehr als bisher an den
Endkundenweiterzugeben. Denn
der profitiert bislang branchen-
bergreifend nur unterdurch-
schnittlichvonden stark gesunke-
nen l- und Gaspreisen.
Ein durchschnittlicher Haus-
halt htte allein an derTankstelle
und beimHeizen etwa 15 Euro im
Monat sparen knnen, wenn die
gesunkenen Rohstoffpreise voll-
stndig weitergegeben worden
wren, kritisiert Klaus Mller,
Vorstand Verbraucherzentrale
Bundesverband (vzbv).
Deutschlands oberster Verbrau-
cherschtzer beruft sich auf eine
beimHamburger Forschungsbro
EnergyComment in Auftrag gege-
bene Studie lpreissturzundVer-
braucherpreise. Deren Recher-
chen zufolge htte die Entlastung
allein im Januar bei Dieselkraft-
stoff zwei Cent pro Liter hher
ausfallen knnen, bei Benzin ein
Cent. Kleine Betrge, die addiert
eine stolze Summe ergeben, er-
mittelte EnergyComment: Da im
Januar landesweit etwa fnfMilli-
arden Liter Kraftstoffe getankt
wurden, schlgt sich eine Preisdif-
ferenz von einem Cent pro Liter
bereits mit 50 Millionen Euro in
den Haushaltskassen nieder.
Nicht nur Autofahrer sind be-
troffen. Erdl oder Erdgas findet
sich in einerVielzahlvon Produk-
ten und Dienstleistungen des tg-
lichen Bedarfs entweder als di-
rekter Bestandteil oder indirekt
als Treibstoff fr den Transport.
Die niedrige Inflation in Deutsch-
land, so Mller, ndere nichts an
dem Befund: viele Produkte
knnten preiswerter sein, als sie
sind. Dadurch werde am Ende
Kaufkraft fr andere Anschaffun-
Eine Studie zeigt: Die Energiepreise
sind zwar gesunken, doch davon
profitierenVerbraucher nurwenig.
Der
betrogene
Kunde
Banken messen mit zweierlei Ma
A. Rezmer, L. de la Motte
Frankfurt
E
in enormer Unterschied:
Fr Erspartes gibt es bei
Banken kaum noch Zinsen,
bei Kreditzinsen langendieGeld-
huser dagegen noch ordentlich
hin. Die Schere zwischen Zinsen
fr kurzfristig angelegtes Sparka-
pital und dem,was klamme Kon-
toinhaber fr einen Minus-Saldo
auf ihremGirokonto zahlenms-
sen, hat sich in denvergangenen
Jahren massiv geffnet.
So sind die Zinsen fr das bei
den Deutschen beliebte, tglich
verfgbare Tagesgeld in den ver-
gangenen sechs Jahren imDurch-
schnitt um 85 Prozent gesunken -
eine Folge der Niedrigzinspolitik
der Europischen Zentralbank.
Gab es Anfang 2009 im Mittel
noch 3,2 Prozent im Jahr fr Ta-
gesgeld, sind es heute gerademal
0,48 Prozent,wie der Frankfurter
Finanzdienst FMH Finanzbera-
tung feststellt. NichtwenigeGeld-
huser zahlen gar keine Zinsen
fr kurzfristiges Spargeld mehr.
Manche Banken und Sparkassen
bieten berhaupt keine Konten
mehr fr die kurzfristige Geldan-
lage an. Ein Haus, die genossen-
schaftliche Direktbank Skatbank
aus Thringen, verlangt sogar
Strafzinsen frTagesgeld, fr ex-
trem hohe Summen.
Bei Kreditzinsen dagegen ha-
ben dieGeldhuser nicht so stark
reduziert. So sind seit Anfang
2009die Zinsen fr Dispositions-
kredite, also Soll-Salden auf dem
Girokonto, gerade mal um ein
Fnftel gesunken. Noch immer
kosten diese Soll-Zinsen FMH zu-
folge im Schnitt knapp zehn Pro-
zent im Jahr.Undmanche Banken
zwacken ihren Kunden noch
deutlich mehr ab: Dispo-Zinsen
von ber elf Prozent gehren
noch immer zum Banken-Alltag.
Die Schere zwischen Spar- und Kreditzinsen klafft immerweiter auseinander.
KREDITINSTITUTE
EZB-Zentrale in Frankfurt:
Kaum noch Zinsen frs Sparen.
dpa
Die Kreditwirtschaft argumen-
tiert, dass Dispokredite ein be-
sonders teures Geschftsfeld fr
Banken sind. Allein einen Dispo
zu gewhren, wrde Kosten ver-
ursachen,weil dafr Sicherheiten
hinterlegt werden mssten
selbstwenn ein Kunde den Dispo
gar nicht in Anspruch nimmt.
Diese Flexibilitt koste eben. Au-
erdem sei das Risiko, dass ein
Dispokredit ausfallen wrde, im
Vergleich zu klassischen Krediten
viel hher, behaupten die Ban-
ken, obwohl es Studien gibt, die
dem widersprechen. Auch das
mache diese Art kurzfristige Kre-
dite teurer als andere Darlehen.
In einer Sache habenviele Ban-
ken immerhin eingelenkt: Seit die
Bundespolitiker breit diskutieren,
wie die Brger vor unverhltnis-
migen Kreditzinsen geschtzt
werden knnen, haben zahlrei-
che Huserwenigstens denber-
ziehungszins abgeschafft. Dieser
Zins fr nicht abgesprochene
Soll-Salden liegt um bis zu fnf
Prozentpunkteber Dispozinsen.
Sparern wie Kreditnehmern
bleibt also, Konditionen zu ver-
gleichen undwenigstens eine re-
lativ gnstige Bank zu finden.
Handelsblatt | Quelle: eigene Recherche
Mgliche Kostensenkungen durch
niedrigen lpreis in Euro
Gefallener lpreis
Tanken
in Monat
15,00
Langstreckenug
Frankfurt - Sydney
Flugtickets
und heizen
pro Passagier
260,00
Hamburg-Karibik
28 Tage
Kreuzfahrt
pro Passagier
266,00
BERLIN INTERN
Gemeinsam
in die dritte
Halbzeit
D
ie Bundestagsabgeordne-
ten haben natrlich noch
ein Leben neben Frakti-
onssitzungen, Arbeitsgruppen-
treffen, Ausschussarbeiten,
Bundestagsdebatten. Mancher
Politiker sorgt per Miniaturei-
senbahn im Keller fr Zerstreu-
ung, anderen ist der Sport wich-
tig. Selbstverstndlich gibt es ei-
ne Sportgemeinschaft Deut-
scher Bundestag, 1951 gegrn-
det, mit heute rund 700 Mitglie-
dern. 19 Sportartenwerden in
Berlin betrieben, in Bonn im-
merhin noch zehn. Bestimmt
trainieren die Abgeordneten
ganz fleiig, denn ab und zu lie-
fern sie eine Kostprobe ihres
Knnens. So auch am Dienstag,
beim 12. Benefiz-Fuballturnier
auf dem Berliner Olympia-Ge-
lnde. Da tritt der FC Bundes-
tag gegen acht Teams ausWirt-
schaft, Sport und Medien an
mit auf der Liste etwa der SPD-
Fraktionsvorsitzende Thomas
Oppermann, 61. Insgesamt ge-
hren dem FC Bundestag 44 ak-
tive Bundestagsabgeordnete an,
natrlich fraktionsbergrei-
fend. Sogar der frhere Bundes-
kanzler Helmut Kohl war einst
mit von der Partie. Aber nur auf
dem Papier er absolvierte nie
ein Spiel. Eine Besonderheit
prgt den FC Bundestag neben
einem Mindestalter von 40 Jah-
ren noch: das anschlieende
Zusammensein, auch dritte
Halbzeit genannt. Das, so heit
es auf derWebsite, schweie
die Mitglieder noch strker zu-
sammen. sk
WASHINGTON.DieUSA erwgen
Regierungskreisen zufolge die
Verlagerung von schwerem Mili-
trgert in mehrere Lnder Ost-
europas und des Baltikums. Es
gehe um umfangreiche Ausrs-
tung, sagte ein hochrangiger Re-
gierungsvertretermit Blick auf ei-
nen Bericht der New York
Times. Der Zeitung zufolge sol-
len Kampfpanzer und anderes
schweres Gert fr bis zu 5000
Soldaten in die Lnder amRande
des Nato-Gebiets gebracht wer-
den. Ziel sei es, Russland von ei-
nerweiteren Aggression in Euro-
pa abzuschrecken. InderUkraine
kam es amWochenende unter-
dessenwieder zu Gefechten, bei
denen dem ukrainischen Militr
zufolge mehrere Regierungssol-
daten gettet wurden. Reuters
USAwollen
Russland
abschrecken
Die niedrigenl- und
Gaspreise mssen
sich strker im
Geldbeutel der
Verbraucher
bemerkbar machen.
Klaus Mller
Vorstand Verbraucherzentrale
Bundesverband (vzbv)
1
8 WIRTSCHAFT & POLITIK
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Datenschutz
Die EU will sich auf ein
neues Recht einigen. Bei
Versten drohen
Strafzahlungen. Seite 11
Griechenland
Mit einer korrekten
Handelsstatistik wren
dem Land viele Debatten
erspart worden. Seite 12
dpa
laif
gen freigesetzt unddie Konjunk-
tur stimuliert. Die Studie zeigt,
dass gerade bei Heiz- und Kraft-
stoffen noch mehr drin gewesen
wre.
Im Flugverkehr seien die Ticket-
preise sogar leicht gestiegen,ob-
wohl die gesunkenen Treibstoff-
kosten eigentlich zu Preissenkun-
gen htten fhren mssen.
hnlichdie Situation bei Bier: Die
Herstellung eines Liters ist laut
EnergyCommentwegen geringe-
rer Energiekosten zwischen Janu-
ar 2014 und Januar 2015 14 Cent
preiswerter geworden, der Preis
laut Statistischem Bundesamt
aber um 1,3 Prozent gestiegen.
Die niedrigeren l- und Gas-
preise mssten auch beim End-
kunden ankommen, fordert Ml-
ler. Es ist ein Unding, dass sich
nur Preissteigerungen auf dem
KontovonVerbrauchern bemerk-
bar machen, sinkende Einkaufs-
preise aber nicht weitergegeben
werden, kritisiert auch Nicole
Maisch, verbraucherpolitische
Sprecherin der Grnen-Bundes-
tagsfraktion. Schon 2014 sind
dadurch ungerechtfertigte Mehr-
kosten von rund 100 Euro pro
Haushalt entstanden.
Fotos: Corbis Super RF/F1online, dapd, Getty Images (2), Craft/Masterfile
Teelichter
pro 1,5 Kg-Packung
0,29
Reis
pro Kilogramm
aus Thailand
0,18
Wirtschaftsforscher schtzen,
dass unter dem Strich maximal
die Hlfte des lpreisverfalls
beim Endverbraucher ankommt,
je nach Position in der Wert-
schpfungskette und demWett-
bewerbsdruck in der Branche.
Selbstwenn es ber den gesam-
ten Wertschpfungsprozess zu
Preissenkungen kommt, trpfelt
es amEnde aus, sagt Simon Jun-
ker, Konjunkturexperte beim
Deutschen Institut fr Wirt-
schaftsforschung. Bei Produkten
ohne langeWertschpfungskette
ist dieChancemithin am grten,
dass Kostenvorteile beim Ver-
braucher landen.
Unternehmen warten lieber ab,
bevor sie dielpreisentwicklung
bei ihrer Preissetzung berck-
sichtigen, denn Preisanpassun-
gen sind meist mit Kosten ver-
bunden, meint Galina Kolev
vom Institut der deutschenWirt-
schaft Kln. Zudem wrden
Preissenkungen von den Konsu-
menten zwar geschtzt, aller-
dings ist im Falle einer darauffol-
genden Preiserhhung die Frus-
tration umso grer. Daher
wrden Preise tendenziell eher
langsam angepasst unddieUnter-
nehmen seienvorsichtig,wenn es
sich um eine aktuelle Entwick-
lung wie bei den lpreisen han-
dele, die mglicherweise nicht
von Dauer ist.
Der Deutsche Industrie- und
Handelskammertag (DIHK) sieht
dagegen keine groen Spielru-
me frUnternehmen, Kostenvor-
teile fr sich zu behalten vllig
unabhngig vom l- oder Gas-
preis. Der Druck, Preisvorteile
weiterzugeben, ist gestiegen,
sagt DIHK-Chefvolkswirt Alexan-
der Schumann, egal, wodurch
sie entstehen.
Athen riskiert
die Staatspleite
Ruth Berschens, Jan Hildebrand
Brssel, Berlin
K
urz vor Toresschluss ist im-
mer noch unklar, ob Grie-
chenlandvorder Staatspleite
gerettetwerden kann. AmSonntag
kamen griechische Regierungsver-
treter in Brssel erneut mit hohen
Beamten der Euro-Zone zusam-
men.AmAbendbrachEU-Kommis-
sionsprsident Jean-Claude Juncker
dieVerhandlungen ab. Es habe kei-
ne Annherung gegeben.
Eine Staatspleite wird deshalb
nach Einschtzung von EU-Diplo-
maten immerwahrscheinlicher. Die
EU-Kommission sei sehr besorgt,
sagte ein ranghoher Beamter dem
Handelsblatt. Die Gefahr wachse,
dassman sich nicht mehr rechtzei-
tig mit Griechenland einige.
Griechenlandmuss Ende Juni 1,6
Milliarden Euro an den Internatio-
nalen Whrungsfonds (IWF) zu-
rckzahlen.ber dieMittelverfgt
die Regierung in Athen nach allge-
meiner Einschtzung nicht mehr.
Hinzu kommt, dass das Hilfspro-
gramm der Euro-Zone Ende Juni
ausluft.Wenn bis dahin keine An-
schlusslsung gefunden ist, gibt es
keine Rechtsgrundlage mehr fr
weitere Kredite der Euro-Zone an
Athen. Ein Staatsbankrott wrde
unausweichlich, da Griechenland
im Sommerweitere Milliardenzah-
lungen an den IWF leisten muss.
Die Euro-Zone macht daher nun
keinen Hehl mehr daraus, dass sie
sich erstmals in ihrer Geschichte
auf einen Staatsbankrott vorberei-
tet. Die Staatssekretre der Finanz-
ministerien in den 19 Euro-Staaten
httendasThema bei einemTreffen
in Bratislava EndevergangenerWo-
che errtert, besttigten hochrangi-
ge EU-Diplomaten.
berGriechenlands Schicksal ent-
scheiden drften am Ende aller-
dings nicht die Finanzminister, son-
derndieRegierungschefs. Sie stehen
massivunterDruckderAmerikaner.
Die US-Regierung dringe darauf,
Griechenland aus geopolitischen
Grnden in der Euro-Zone zu hal-
ten, hie es in Brssel und Berlin.
Deshalb gilt es auch als mgliche
Option, dass die Euro-Zone das
Hilfsprogramm fr Hellas unter be-
stimmten Bedingungen doch noch
einmal verlngert.
Verhandlungen mit den internationalen
Geldgebern kommen kaumvoran.
1,6 Mrd.
Euro muss Griechenland
bis Ende Juni an den
Internationalen
Whrungsfonds
zurckzahlen.
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Die Demokratin rckt
Sozialthemen ins Zentrum.
ObamasWhler sollen
auch ihr zum Sieg verhelfen.
Moritz Koch
New York
U
m sich dem Volk zu
prsentieren, hatHilla-
ryClintoneineFestung
imNewYorker East Ri-
ver errichten lassen.
Polizisten bewachendenEingangs-
zaun, Patrouillenboote das Ufer.
Welcome toHillaryland, einemOrt
derWidersprche.
Es ist frherMorgen auf Roosevelt
Island, einemLandstreifen zwischen
Manhattan und Queens. Erst in ein
paar Stunden wird hier der Start-
schuss fr Clintons Wahlkampagne
fallen. Doch schon jetzt treten sich
die Hillary-Fansvor den Sicherheits-
schleusen die Beine in den Bauch.
Casey Penk wartet unter einem
Kirschbaum. Er ist 23, sucht einen
Job in NewYorks Start-up-Szene.Vor
vier Jahren hat er fr Obama ge-
kmpft, dieses Mal kannClinton auf
ihn zhlen. Das Landverndere sich,
sagt Penk, die soziale Ungleichheit
treibe dieMenschenum: Thats the
Zeitgeist. In seinemRcken schiebt
sich eine Superjacht flussaufwrts.
Als htte der Zeitgeist sie geschickt.
Die Demokratenwollendie Prsi-
dentschaftswahlen 2016 zumRefe-
rendumber soziale Gerechtigkeit
erheben, ein Wahlkampf der Kon-
traste soll eswerden. Rechtsversus
links. Steuersenkungen fr Gro-
verdienerversus Hilfen fr die Mit-
telschicht. Die letzten Zweifel daran
schwinden, als Clinton sich den
Weg ans Podium bahnt, ihr Blazer
so blau wie der Himmel. Wohl-
stand darf nicht Firmenchefs und
Hedgefonds-Managernvorbehalten
sein, ruft sie. So klingt eine Politi-
kerin, die dem Zeitgeist folgt.
Die Demokraten rcken nach
links, so wie die Republikaner
schon vor Jahren nach rechts ge-
rckt sind. Clinton kann sich den
Strmungsverhltnissen nicht ent-
ziehen.Vergessen ist der dritteWeg,
die neuen Demokraten, derenmo-
derates Profil ihr Ehemann Bill in
den 90ern schrfte. Hillarys Strate-
gen sind sich sicher: Der Weg ins
WeieHaus fhrt nichtmehr durch
die Mitte, das Land ist zu stark po-
larisiert. Allein die Mobilisierung
des eigenen Lagers verspricht Er-
folg. Clinton braucht Frauen, Min-
derheitenund Jungwhler. DieOba-
ma-Koalition. Leutewie Penk.
Clinton sieht sich in einer pro-
gressiven Ahnenreihe.Von Obama
schlgt sie den Bogen ber Bill bis
zurck zu Prsident Franklin D.
Roosevelt, dem Grndervater des
amerikanischen Sozialstaats. Fr
dieses Erbe will die Kandidatin
streiten, fr die uramerikanische
berzeugung, dass echter Wohl-
standvon allen errichtet undvon al-
len geteilt werden muss.
Eigentlich hat der Wahlkampf
lngst begonnen, seitWochen tourt
Clinton durchs Land, um so for-
muliert sie es mit Alltagsamerika-
nern insGesprch zu kommen. Al-
lerdings fanden sich weniger All-
tagsamerikaner zu sorgsam
inszenierten Treffen ein als hand-
verlesene Imagefilmstatisten. f-
fentliche Auftritte mied Clinton,
Pressekonferenzen gab es nicht.
Die Nachrichtenlcke flltenDebat-
tenberdie Prferenzder Ex-Minis-
terin fr private E-Mail-Server, das
Spendengebaren der Familienstif-
tung und die sthetik ihres Logos.
Nun der erste groe Auftritt, das
erste Menschenbad. Alles ist per-
fekt in Szene gesetzt.Von der Bh-
ne schweift der Blick auf die
Machtsymbole aus Glas und Stahl-
beton, die Hochhauslandschaftvon
Manhattan. Hillary schttelt Hn-
de, winkt und strahlt. Der nachge-
schobeneWahlkampfauftakt ist der
Versuch, die Kontrolle ber ihrMar-
kenbild zurckzuerlangen. Eswird
hchste Zeit: Clintons Beliebtheits-
werte brckeln. Zwarwird ihr kein
parteiinterner Rivale gefhrlich.
Wohl aber die Republikaner. Auf
konservativer Seite konkurrieren
fast zwei Dutzendumdie Nominie-
rung ihrer Partei. Sie alle spren,
dass Clinton verwundbar ist.
DieDemokratin schlgt zurck: Es
mag ein paar neue Stimmen im re-
publikanischen Chor geben. Aber
sie singen das alte Lied. Dieses Lied
heit gestern.Clinton karikiert die
Republikaner als Kahlschlagspartei:
weg mit der Krankenversicherung,
runter mit den Spitzensteuern.
Die Rckbesinnung auf Gerech-
tigkeitsfragen ist ein bemerkenswer-
ter Wandel fr Amerika, wo alles,
was nach Klassenkampf-Rhetorik
klang, bisvor kurzemnochverpnt
war. Umfragen zeigen, dass viele
Whler den Glauben an das ameri-
kanische Aufstiegsversprechenver-
loren haben. An diesen Zweifeln
richtet Clinton ihren Wahlkampf
aus. Doch gibt es Bedenken,dass sie
die richtige Kandidatin dafr ist.
Roosevelt schleuderte Oligarchen
entgegen: Ich begre ihren
Hass. Clinton bittet sie um Spen-
den, hlt enge Verbindungen zur
Wall Street. ZumErbe ihresMannes
gehrt die Finanzliberalisierung.
Die Frage ist, ob Hillaryland ge-
nugManvrierflche fr die Exkur-
sion nach links bietet.Oder anders:
Wieweit kannClintondemZeitgeist
folgen, ohne imEast River baden zu
gehen?
Vergessen ist die neue Mitte: Hillary Clintonwill mit sozialer Gerechtigkeit insWeie Haus.
Eiserne Lady der Linken
Wahlkmpferin Hillary Clinton in New York: Allein die Mobilisierung des eigenen demokratischen Lagers verspricht Erfolg.
US-Kongress bringtTTIP in Gefahr
Moritz Koch
Washington
B
is zuletzt hatte der Prsident
um Stimmen gekmpft. Am
Ende war es vergebens: Ba-
rack Obamas Freihandelsagenda
hat amFreitageinenRckschlager-
litten, von dem sie sichwomglich
nichtmehr erholt. Das Abgeordne-
tenhaus hat ein Gesetzespaket auf-
gehalten, das Obamas Regierung
einMandat zur Liberalisierungvon
Handelsstrmenerteilen sollte. Das
transatlantische Wirtschaftsbnd-
nis TTIP ist damit in Gefahr.
FastTrack nennt sichdasumstrit-
teneMandat. Es bedeutet, dass die
Parlamentarier darauf verzichten,
einen Freihandelspaktvor der Rati-
fikation umzuformulieren. Obama
bentigt Fast Track, um sich inter-
national als verlsslicher Verhand-
lungspartner zuprsentieren. Doch
ausgerechnet seine Parteifreunde,
die Demokraten, lehnen sich dage-
gen auf. Frvielevon ihnen ist Frei-
handel zu einem anderenWort fr
Standortschlieung geworden.
Selbst Hillary Clinton, deren Ehe-
mannder Architekt der nordameri-
kanischen Freihandelszone Nafta
ist, meidet es, sich zu offenen
Grenzen zu bekennen zu
stark ist ihr der linke Flgel.
Es ist nicht ausgeschlossen,
dass die Regierung in
den nchstenTagen
noch eineMehrheit
findet. Doch die
Zeit luft ab,
der Vorwahl-
kampf hat be-
gonnen.
Obamas Ziel ist es, gleich zwei
historische Freihandelsabkom-
men zu schlieen. TTIP ist in
den USA derzeit kaum ein The-
ma, der Streit dreht sich um
TPP, einen Pakt, den die
Regierung impazifischen
Raum schlieen will. Zu
denWendungendes Frei-
handelsdramas zhlt es,
dass die Demokraten
nicht Fast Track selbst
aufhielten dafr fehl-
ten ihnen die Stim-
men. Stattdessen
stoppten sie ein Sozial-
programm, das sie eigentlich un-
tersttzen: Hilfen fr Arbeitneh-
mer, deren Jobs derGlobalisierung
zumOpfer gefallen sind. Da beide
Initiativen verknpft sind, steckt
nun die gesamte Agenda fest.
Ohne FastTrackwerdendieTPP-
Staaten kein finales Angebot vorle-
gen.Und auchdie Europerwerden
keinemFreihandelsvertrag zustim-
men, in dem der amerikanische
Kongress spter nacheigenemGut-
dnken herumdoktern kann.TTIP
wre damit zwar nicht tot wrde
aber auf unbestimmte Zeit ins Ko-
ma fallen.
Debakel fr Prsident Obama: Parteifreunde blockieren seine geplantenWirtschaftsbndnisse.
FREIHANDELSABKOMMEN
Barack Obama:
Die Zeit luft
langsam ab. Bloomberg
Es mag ein paar neue
Stimmen im
republikanischen
Chor geben. Aber sie
singen das alte Lied.
Dieses Lied heit
gestern.
Hillary Clinton
Prsidentschaftskandidatin
AFP
1
10 WIRTSCHAFT & POLITIK
MONTAG, 15. JUNI 2015, NR. 111
Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de. 600043070-13046
Till Hoppe, Ina Karabasz
Berlin, Dsseldorf
F
r die Abgeordneten ist der
Datenklau mindestens unan-
genehm,derDeutschenTele-
kom drfte der Hackerangriff auf
den Bundestag hingegen einen
prestigetrchtigenAuftragbringen.
Die KonzerntochterT-Systems,die
bereits das Regierungsnetz IVBB
(Informationsverbund Berlin-
Bonn) betreibt, habe guteAussich-
ten, knftig auchdas Netz des Par-
laments zu betreuen, heit es in
Koalitions- und Branchenkreisen.
Die IT-Infrastruktur des Bundes-
tagesmuss teilweise neu aufgesetzt
werden, nachdemunbekannte Ha-
cker diesemit einer Schadsoftware
unterwandert haben.ObT-Systems
auch die Aufgabe bernehmen
wird, die Daten von den alten auf
die neuen Server zubertragen, ist
aber noch fraglich. Dieser Auftrag
ist uerst heikel und erfordert
hochspezialisiertes Expertenwis-
sen schlielich muss unbedingt
verhindert werden, dass mit den
Daten auchderVirus ins neue Netz
wandern kann. Um diesen Job be-
werben sich demVernehmen nach
auch kleinere Spezialfirmen.
Der Telekom kme der Auftrag
sehr gelegen der Konzern ver-
sucht sich seit der NSA-Affre als
Anbieter von Sicherheitslsungen
zu positionieren. Dafr zieht der
Ex-Staatskonzern gerade 1500Mit-
arbeiter zusammen und bndelt
sie in einem neuen Geschftsbe-
reich.
Weniger erfreulich ist der Angriff
fr die betroffenen Abgeordneten
darunter offenbar auch Bundes-
kanzlerin Angela Merkel. Laut
Bild am Sonntag fanden die IT-
Expertenvon Bundestag und Bun-
desamt fr Sicherheit in der Infor-
mationstechnik den Trojaner auf
dem Computer in ihrem Bundes-
tagsbro. Dieserverschickte sogar
infizierte E-Mails in Merkels Na-
men.Ob die Angreifer dort beson-
ders sensible Informationenerbeu-
teten, scheint fraglich schlielich
arbeitet die Regierungschefinmeis-
tens in ihremBro imKanzleramt.
Ebenfalls betroffen sind unter
anderemder SPD-Verkehrsexperte
Martin Burkert unddie Linken-Par-
lamentarierin Inge Hger.Worauf
es die Angreifer genau abgesehen
hatten, ist noch unklar. Was laut
Bundestagskreisen feststeht: Von
den infizierten Rechnern wurden
vor allemWord-Dokumente, Excel-
Tabellen und E-Mails gestohlen.
ber welchen Zeitraum das ge-
schah, knnen die IT-Experten
nicht genau nachvollziehen: Die
vorliegenden Protokolldateien, die
darber Auskunft geben knnten,
reichen nur bis AnfangMai zurck.
Kommentar Seite 14
Der Ex-Staatskonzern drfte vom
Hackerangriff aufs Parlament profitieren.
Telekom soll
Merkel schtzen
Till Hoppe, Thomas Ludwig
Berlin, Brssel
I
n die Reform des europischen
Datenschutzrechts kommtBewe-
gung: Nachmehr als einjhriger
Verzgerungwerden sichdie 28EU-
Mitgliedstaaten nach Angabenvon
Diplomatenwohl auf eine gemein-
same Position einigen. Damit r-
ckendrastische Strafen fr Internet-
unternehmennher,diedie Regeln
zum Datenschutz missachten. Die
Verordnung bereitet aber auchvie-
len anderen Firmen groe Sorgen.
Mit der gemeinsamen Haltung,
die die EU-Innenminister an die-
semMontagverabschiedenwollen,
knnten am 24. Juni die Verhand-
lungen mit der Kommission und
dem Europaparlament ber die
neue Datenschutzgrundverord-
nung anlaufen.Gelingt es, die Neu-
regelung bis Ende 2015 unter Dach
und Fach zu bringen, soll die Ver-
ordnung nach zwei Jahren ber-
gangszeit in allen Mitgliedstaaten
gelten allein in Deutschlandmss-
zerne wie Google, Facebook & Co.
lieen sich deshalb in Lndernmit
eher schwachem Datenschutz nie-
der, in Irland etwa.
Die Unternehmen untersttzen
dieModernisierungundVereinheit-
lichung des Datenschutzrechts
grundstzlich: DieWirtschaft digi-
talisiert sich rasant, dafr braucht
es Vertrauen in den Umgang mit
den Daten, sagt Iris Plger, Leite-
rin der Abteilung Digitalisierung
beim Industrieverband BDI.
In mehreren Fragen schiee die
EU aber weit ber das Ziel hinaus,
kritisierenWirtschaftsvertreter. So
bereiten die angedrohten Bugel-
der Sorgen. Kommission und Mit-
gliedstaaten pldieren fr Strafen,
die bis zu zwei Prozent des Jahres-
umsatzes betragen knnen, das
Parlament pldiert sogar fr bis zu
fnf Prozent, damit Unternehmen
Datenschutzverletzungen nicht ein-
fach einkalkulierten. Plgerwarnt,
die Strafen knnten zu einer extre-
men Belastungwerden.
Teuer zu stehen kommen drf-
ten den Unternehmen auch die
neuen Informationspflichten, die
weit ber das bisherige deutsche
Recht hinausgehen. Die Nutzer
mssen knftig stets darber infor-
miertwerden,wasmit ihren Daten
passiert, damit sie bewusst einer
Datenverarbeitung zustimmen kn-
nen oder sie ablehnen. Das Statis-
tische Bundesamt schtzt die zu-
stzlichen Kosten fr die deutsche
Wirtschaft auf jhrlich rund eine
Milliarde Euro.
SusanneDehmelvom IT-Verband
Bitkom fordert deshalb einen risi-
kobasierten Ansatz: Wenn die er-
fassten Daten wenig sensibel sind,
sollten auchdie Brokratiepflichten
gering sein. Sie bezweifelt ohne-
hin, dass die Zustimmungspflicht
stets den besten Schutz gewhrleis-
tet. Nutzer willigen zum Beispiel
auch bei sozialenNetzwerkenmeist
problemlos in alle mglichen Da-
tennutzungen ein, sagt sie. Jan-
Philipp Albrecht, Experte der Gr-
nen im EU-Parlament, setzt sich
hingegen fr leichterverstndliche
Nutzungsbedingungen ein.
Ganze Branchen frchten, dass
ihreGeschftsmodelle beschnitten
werden. Da die Kunden knftig der
Datennutzung explizit zustimmen
mssen, knnten auchviele bislang
erlaubte Formen des Direktmarke-
tingsverbotenwerden,warntChris-
toph Fiedler vom Verband deut-
scher Zeitschriftenverleger.
Die EU-Staatenwollen sich auf ein neues Recht einigen. BeiVersten drohen hohe Strafzahlungen.
Die Datenschutz-Revolution
actionpress
ten dazu rund 300 Bundes- und
Landesgesetze angepasst werden.
Die Reform des 20 Jahre alten
EU-Datenschutzrechts gilt als Vo-
raussetzung fr dieVollendung des
digitalen Binnenmarkts. Unter-
schiedliche nationale Auslegungen
der Richtlinie sorgen bislang fr ei-
nen Flickenteppich ungleicher Da-
tenschutzniveaus in der EU. Kon-
Google-Rechenzentrum: Neue Informationspflichten sind vorgesehen.
1500
Sicherheitsspezialisten
zieht die Telekom in
einem neuen
Geschftsbereich
zusammen.
WIRTSCHAFT & POLITIK 11
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MONTAG, 15. JUNI 2015, NR. 111
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Norbert Hring
Frankfurt
E
igentlich ist das Phno-
men seit Jahrzehnten be-
kannt,und zwar als Mis-
singFleet, als Fehlende
Flotte. Es beschreibtdie
Tatsache, dass in der internationa-
len Leistungsbilanz an einer ganz
bestimmten Stelle ein Loch klafft.
Die Leistungsbilanz erfasst alle
Exporte und Importe sowie grenz-
berschreitende Kapitalvergtun-
genundunentgeltliche Zahlungen.
Global mssten sich Einnahmen
und Ausgaben zu null addieren.
Tatschlich gibt es ein riesiges Defi-
zit in der Seefracht-Bilanz.
EinwichtigerGrund dafr ist die
fehlende FlotteGriechenlands. Das
Land hat die grte Handelsflotte
derWelt, aber ein groerTeil ihrer
Einnahmen taucht nicht in der Sta-
tistik auf. Das geht aus einer Analy-
se des Schweizer Finanzexperten
Michael Bernegger hervor, die als
Occassional Paper in Social Euro-
pe erscheint und dem Handels-
blattvorliegt. Der selbststndige Be-
raterwarMitarbeiter der Schweize-
rischen Nationalbank und in
leitenden Funktionen im schweize-
rischen Finanzsektor ttig.
DieUntererfassung der Handels-
flotte verzerrt die griechischen
Wirtschaftsstatistiken. Das Brutto-
inlandsprodukt (BIP)wre deutlich
grer,wenndieHandelsschifffahrt
hnlich umfassend erfasst wrde
wie in anderen Lndern. Bernegger
schtzt den Fehler fr 2008 auf
mindestens 15 Prozent. Heute sei er
wohl geringer,weil es der Handels-
schifffahrt nicht mehr so gutgehe.
Ein Rechenbeispiel: Wrde das
griechische BIP zehn Prozent hher
ausgewiesen, snke die Schulden-
quote im Verhltnis zum BIP um
ber 15 Prozentpunkte auf rund 160
Prozent. Die Schuldenquote ist ein
Ma fr die Schuldentragfhigkeit.
Der Internationale Whrungs-
fonds (IWF) kenntdas Problem. Be-
reits im sogenanntenEsteva-Bericht
von 1987 stellte er fest, dass die feh-
lenden Flotten Griechenlands und
Hongkongs einen groen Teil des
Welt-Leistungsbilanzdefizits erkl-
ren; er drngte darauf, die Erfas-
sungsdefizite abzustellen. Ein Be-
richtvon 2002 stellt fest, dassHong-
kong nun einen groen Teil seiner
Flotteneinnahmen melde, nicht
aber Griechenland. Daran scheint
sichwenig gendert zu haben.
Die statistisch erfassten Einnah-
men der griechischen Flotte waren
2011 umber 40 Prozent kleiner als
diederdeutschenFlotte,obwohldie-
se gemessen an der Tonnage der
Schiffe nur etwas mehr als halb so
gro ist. SelbstdiebritischeFlotte soll
miteinemZehntelderLadekapazitt
der griechischen inden 2000er-Jah-
renmehr alsdieseumgesetzt haben.
Die fr die Zahlungsbilanzstatistik
zustndige griechische Notenbank
sagte zu diesem Missverhltnis auf
Anfrage: Soweitwirwissen,werden
die Einnahmender inGriechenland
ansssigen Firmen korrekt ver-
bucht. Sie besttigt, dassdieDaten
hauptschlich von den heimischen
Bankenkommen,beidenendieRee-
der Konten haben. Siewrden so-
weit mglich mit anderen Daten-
quellen gegengecheckt.
Das Problem: Die Einnahmen in
der Reederei gehen zu einem gro-
enTeil direkt aufDollar-Kontenbei
auslndischen Banken, von denen
die griechische Zentralbank keine
Datenerhlt. Der griechischeReede-
reiverbandverkndet zwar regelm-
ig stolz den Grenzuwachs der
weltgrten Flotte, aber ber Um-
satzzahlen schweigt er beharrlich.
Auch Steuerdaten gibt es nicht, da
die griechischen Reeder eine reine
Tonnagesteuer bezahlen und von
der Einkommensteuer befreit sind.
Auf die griechische Leistungsbilanz
wrde sich eineUntererfassung der
Reedereieinnahmenmassiv auswir-
ken, mit Folgen fr die Krisendiag-
nose. Die gngige Diagnose ist, dass
Griechenland ein Exportschwch-
ling ist, der relativ zu den Importen
viel zu wenig exportiert habe. Da-
durch habe sich das Land berm-
ig imAuslandverschuldet. Zumin-
dest knnte man angesichts der
Zahlen mutmaen, dass diese An-
nahme falsch ist.
Fr das Vorkrisenjahr 2008
schtzt Bernegger den Fehler beim
Umsatz der Handelsschifffahrt auf
mindestens 70Milliarden Euro,was
die Exportquote des Landesvon 20
Prozent des BIP auf 50 Prozent
nach oben schnellen liee. Zieht
man eineVorleistungsquotevon 30
bis 40 Prozent ab, wrde das die
Leistungsbilanz um 40 bis 45Milli-
arden Euro verbessern. Statt eines
Defizits in der Leistungsbilanz von
30 Milliarden Euro im Jahr 2008
wredanneinberschussvon zehn
bis 15 Milliarden Euro verzeichnet
worden. Bezeichnend ist, dass der
IWF 2008 in einerWettbewerbsf-
higkeitsanalyseGriechenland posi-
tiv hervorhob,weil dort das starke
Wachstum durch hohe Produktivi-
ttszunahmen gespeist werde.
Eineweitere Untererfassung ver-
mutet der Finanzexperte auch beim
Tourismus.Von 2003 bis 2010 habe
es eine Vervierfachung der ber-
nachtungen in Fnf-Sterne-Hotels
gegeben.Trotzdem zeige die Statis-
tik stagnierende Einnahmen. Das
wrde zumindest nicht verwun-
dern, denn den Zahlen liegt ledig-
lich eine Stichprobenbefragungvon
Touristen zugrunde.Unddieunter-
schtzen ihre Ausgaben gern mal.
Mit einer korrekten Handelsstatistikwren Athenwomglich einige Debatten erspart geblieben.
Griechenlands fehlende Flotte
Hafen von Pirus:
Was verdienen
griechische Reeder?
Bloomberg
Die Diagnosewar falsch
Herr Bernegger, Sie haben ermit-
telt, dass die griechischen Export-
einnahmen viel zu niedrig ausge-
wiesen wurden, vor allem vor
Ausbruch der Finanzkrise.Welche
Bedeutung hat das heute noch?
Die Problemdiagnose htte ganz
anders ausfallenmssen.Manwre
nie auf die Idee gekommen, dass
das Land eine strukturelle Export-
schwche hat, ber seine Verhlt-
nisse lebt und gesundgeschrumpft
werden muss.
Aber die Regierung hat zuviel aus-
gegeben und sichverschuldet?
Wenn man genau auf die Zahlen
schaut, sieht man, dass nicht so
sehr die Ausgabenseite sich unge-
whnlich ungnstig entwickelt hat,
wohl aber die Einnahmenseite.
Dort htte man von Beginn an an-
setzen mssen, als die Krise aus-
brach. Man htte auf die Offshore-
Konten im Ausland gehenmssen,
sofern sie nicht korrekt versteuert
sind. Eine intelligente Steuer-
amnestie htte rasch viel Geld ge-
bracht, dazu natrlich eine rasche
Reform der Steuerverwaltung.
Wrde ein Austritt aus der Wh-
rungsuniondieWettbewerbsfhig-
keitwiederherstellen?
Griechenland ist mit seinen beiden
wichtigsten Exportbranchen, Ree-
derei und Tourismus, jetzt schon
uerstwettbewerbsfhig. Die Ree-
derei ist auerdem Dollar-basiert,
einnahmen- und ausgabenseitig.
Ein Austritt und eine Abwertung
schaden nur, genausowie die inter-
ne Abwertung, weil sie diese kapi-
talintensiven Sektoren mit hohen
Zinsen und einer Kreditsperre be-
lasten.
Was sehen Sie als Prioritt?
Griechenland steht wirtschaftlich
vor dem Zusammenbruch,weil die
Deflation die Banken durch notlei-
Der Schweizer Finanzexperte ber fehlerhafteWirtschaftsdaten und die fatalen Folgen fr Griechenland.
MICHAEL BERNEGGER
dende Kredite enorm schwcht.
Der Bankensektormsste sofort ge-
rettetwerden. Dies setzt ein Bndel
vonManahmenvoraus.Verstrkte
Eigenmittel, bertrag der faulen
Kredite in eine intelligent konzipier-
te Bad Bank. Griechische Gelder
aus dem Ausland mssen wieder
ins Land gelocktwerden, unter an-
deremdurch Abschaffungder Steu-
er auf Ertrge von Bankdepositen,
die in der Praxis nur auf inlndi-
scheGuthaben gezahltwerden.Oh-
ne funktionierende Bankenverliert
Griechenland seine Exportbasis.
Die Fragen stellte Norbert Hring.
30Mrd.
Euro betrug nach
offiziellen Daten 2008
das Defizit der
Leistungsbilanz.
Quelle: Eurostat
Michael Bernegger: Der
frhere Spitzenmanager
von Swiss Life publizier-
te mehrere Bcher.
MichaelBernegger
12 WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFTEN
MONTAG, 15. JUNI 2015, NR. 111
Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de. 600043070-13046
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Wenn etwas
grndlich
schiefge-
gangen ist, braucht
es einen Schuldi-
gen, und zwar so-
fort. Dieser Reflex
ist menschlich, und
er entspricht den
Gepflogenheiten
des
Recommended