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0Vorwort des Ministerpräsidenten
1Der Auftrag der Kommission Industrieland Saar
2Industriekultur, eine Chance für das Saarland
3Zukunftsstandorte mit IndustrieKultur
3.1Zukunftsstandort Göttelborn
3.2Zukunftsstandort Reden
3.3Zukunftsstandort Völklinger Hütte
3.4Weitere Standorte der Industriekultur
3.5Das Eisenbahnausbesserungswerk Burbach
3.6Der Blick nach LothringenCarreau Wendel
4Die Route der Industriekultur
5Die Ikone Völklinger Hütte
6Die Landschaft in der IndustrielandschaftDer Saarkohlenwald
7Die Landmarken des Saartales
8Kultur in Industrieräumen
9Industriekultur in der Mitte der Strukturpolitik
3
10Grundsätze der Organisation
11Finanzierungsstrategie
12Eine Stiftung der Industriekultur
13Das Ereignis 2005
4
Vorwort des Ministerpräsidenten
Wandel aktiv gestalten, heißt das nicht mehr, als neue Mög-
lichkeiten für Wirtschaft, Arbeit und Umwelt zu schaffen?
Wandlung, bedeutet das nicht, sich zu entpuppen? Die Dinge
in eine Zukunft hinein zu entwickeln, die Bestand auch in
ihren Bildern hat?
Nach vorn gewandte Entwicklung bedeutet immer neue We-
ge gehen, bewegte Linien mit einem Vorher und Nachher
zeichnen, aus der Vergangenheit in die Zukunft fortschrei-
ben.
Fortschritt heißt nicht, alles hinter sich abbrechen, sondern
mit neuen Kräften weitermachen. Wer in die Vergangenheit
schaut, sie deutet und versteht, kann konsequent in die Zu-
kunft schauen und diese aktiv im Bewusstsein der eigenen
Geschichte neu gestalten. Nur dabei entsteht Qualität.
Gestalten heißt Formen finden. Von einem Zustand, der Bil-
der von Landschaften und Städten hinterlassen hat, zu ei-
nem weiteren Zustand, der diese Bilder anders sehen lässt,
mit neuen Gebärden und Gebilden. Dass zugleich nicht alle
Zeichen der Vergangenheit einfach weichen können, be-
deutet Bewahren, Umbruch statt Abriss.
5
Gestalten, das heißt im Zusammenhang mit dem Wandel
von Strukturen nicht nur Prozesse initiieren, die neue Le-
bens- und Arbeitsfelder ermöglichen. Diese neuen Welten
müssen auch Gestalt annehmen, eigene Bilder erzeugen, die
für eine neue Zeit sprechen. Wandel bewusst gestalten heißt
neue, eigene Bilder schaffen. Von der Raupe zum Schmet-
terling? Warum nicht.
Die Kultur unserer Väter zu erhalten und zu pflegen ist
selbstverständlich, wenn wir nicht geschichtslos und damit
gesichtslos werden wollen. Der Gedanke, dass dies auch für
Maschinen und Industrieanlagen gilt, hat sich noch nicht
überall durchgesetzt. Doch auch in den Produktionsappara-
ten und -gehäusen der Industrie steckt Gestaltungswille und
Sinn, den es zu verstehen und zu befördern gilt.
Auch die Relikte der einst mächtigen Großindustrie besitzen
kulturellen Wert. Dass ihre Umnutzung und Umgestaltung
gelingen kann, hat die IBA Emscher Park im nördlichen
Ruhrgebiet gezeigt. Ein Besuch hinterlässt beeindruckende
neue Bilder von fortschrittlichem Gestalten: Neue Inhalte in
alten Hüllen, aber auch leer gerissene Flächen, deren Neu-
bebauung die Herausforderung des genius loci angenommen
hat, nicht einfach und praktisch, sondern intelligent und zu-
kunftsweisend.
6
Ich war bei einem Besuch der IBA Emscher Park im Zusam-
menhang mit der Arbeit der Kommission „Industrieland Saar“
sehr bewegt von den Möglichkeiten, die Zukunft aus der
Vergangenheit heraus aktiv, kreativ und zeitgemäß zu ge-
stalten.
Diesen Weg zu gehen heißt, genau nachzudenken, welche
Teile der Geschichte eine Umdeutung ermöglichen. Wo kann
die alte Industrie für eine neue Wirtschaft umgestaltet wer-
den, wie wirkt sich die neue Kraft der Gestalt am nachhaltig-
sten auf die Zukunft der Menschen im Lande aus?
Das war im Kern die Aufgabe der Kommission „Industrieland
Saar“. Bewusstes Gestalten von Zukunft ermöglichen, an
den wichtigen Stellen, mit unseren Mitteln und Möglichkeiten.
Die Konzentration auf Entwicklungsorte finden, für die wir die
Kraft haben, neue Wege zu gehen, andere Bilder zu schaf-
fen, sinnvolle neue Arbeit zu ermöglichen.
Wenn es gelingt, die schweren Relikte der Industrie in ihrer
ganzen Bedeutung als Herausforderung für eine vielleicht
auch leichtere Zukunft zu nutzen, die sich auch in bedeu-
tungsvoll gestalteten Formen ausdrückt, dann haben die
Menschen jederzeit Gelegenheit, die Entwicklung dieses
Landes oder gar der eigenen Biographie nachzuvollziehen
7
und stolz zu sein, sowohl auf ihre Vergangenheit, aber auch
auf ihre Kraft, Zukunft zu gestalten.
Eine solche Herangehensweise an wirtschaftliche Erneue-
rungsprozesse mit dem anderen Blick für Geschichte ist eine
Denkweise, die nicht nur im Zusammenhang mit alten Indu-
strieanlagen und Brachen zu konsequenter und qualitativ
hochwertiger Erneuerung führt. Das gilt überall, wo Entwick-
lung bewusst in Bild und Inhalt gestaltet wird. Wo das ge-
schieht, dort bedeutet Strukturwandel auch Kulturwandel.
In diesem Bericht wird ein Weg aufgezeigt, den es zu gehen
lohnt. Die Umsetzung der beschriebenen Konzepte wird viele
Fragen und Probleme aufwerfen. Bevor diese im Einzelnen
aufgearbeitet werden können, bedarf es aber einer Verstän-
digung über die Ziele und Inhalte des gesamten Prozesses.
Ich danke der Kommission für Ihre Arbeit, für die neuen Ge-
danken und für die neuen Bilder. Sie hat Perspektiven und
Ideen entwickelt und diese zu einem schlüssigen Gesamt-
konzept zusammengeführt. Die Kommission hat damit eine
hervorragende Diskussionsgrundlage für die Entwicklung der
Industriekultur im Land geschaffen.
8
1
Der Auftrag der Kommission Industrieland Saar
„Die Industriekultur wird in Zukunft weit mehr als bisher
in den Mittelpunkt der Kulturpolitik gestellt, dies vor al-
lem auch in Verbindung mit der Wirtschaftspolitik.“ Mit
diesem Ziel hat Ministerpräsident Peter Müller im Januar
2000 eine achtköpfige Kommission berufen. Sie soll
ausgehend vom Weltkulturerbe Völklinger Hütte eine
Projektkette zur Entwicklung von Standorten mit Indu-
striekultur planen, nachhaltige Konzepte im Umgang mit
Industriedenkmalen erarbeiten.
Die Vorlage an den Ministerrat
„Ziel der Landesregierung ist es, die Industriekultur in Zu-
kunft weit mehr als bisher in den Mittelpunkt der Kulturpolitik
und der Wirtschaftspolitik zu rücken. Im Umfeld der sehr
spezifischen Faszination industriekultureller Denkmäler soll-
te, schon wegen der hohen Erhaltungskosten der meist
technischen Denkmale, im Sinne wirtschaftlich orientierter
Standortentwicklung gedacht werden. Industriekultur zeugt
von einer großen Vergangenheit und wirkt in diesem Sinne
anregend in die Zukunft. In ihrem Umfeld sollten Erlebnis-
schauplätze entstehen, interessante Standorte vielfältig ent-
wickelt werden. Solche Standorte mit Industriekultur werden
in diesem strukturfördernden Zusammenhang zu touristisch
9
nutzbaren Produkten. Das kann an verschiedenen Stellen im
Saarland geschehen, in einer Kette unterschiedlicher Pro-
jekte, die es zu erarbeiten gilt (Vernetzung vieler auch bereits
laufender Projekte). Völklingen und seine Hütte sind dabei
zentraler Ausgangspunkt.
Die Verwirklichung dieses Zieles soll mit Haushaltsmitteln
des Landes unter Einbindung von Mitteln des Bundes und
der Europäischen Gemeinschaft umgesetzt werden.
Das Konzept für ein „Saarland-Projekt“ muß – unter Berück-
sichtigung der Finanzierbarkeit – innovativ und frei angelegt
sein.
In der Konzeptfindung sollen alle Ideen und Projekte mitge-
dacht werden, die es im Sinne einer integrativen Planung im
Bereich Industriekulturstandorte schon gibt. Das Projekt soll
grenzüberschreitend ausgestaltet werden. Die Zeitschiene
für das Projekt soll 10 Jahre umfassen.
Zunächst bedarf es der Formulierung der Idee eines inte-
grierten Projektes, dann sind die Standorte zu bestimmen.
Dort müssen dann Entwickler und Projektgruppen arbeiten,
Wettbewerbe ausschreiben, Teilkonzepte entwickeln und
umsetzen, Investoren dann später in gleicher Weise dazu
kommen. Von hoher Bedeutung ist, dass ein solches Projekt
administrativ als Gemeinschaftserlebnis begriffen wird. Zur
10
Moderation des Projektes bedarf es einer zentralen Einrich-
tung.
Zur wirkungsvollen Umsetzung des Vorhabens bieten sich
folgende Strukturen an: die Landesregierung beruft über den
Ministerpräsidenten eine Kommission ein, die noch vor der
Sommerpause 2000 einen „Report“ erarbeitet, auf dessen
Grundlage die weiteren Entscheidungen getroffen werden
können. Dieser Arbeitsprozess soll in seinen Teilbereichen
über eine Lenkungsgruppe aus den befassten Ministern un-
ter Leitung des Ministerpräsidenten an das Kabinett rückge-
koppelt werden. Um die Kommission herum sollte sich ein
Netzwerk von Zuarbeitern, Mitdenkern und Kommunikatoren
entwickeln, um das offene Planungsverfahren, das hier ent-
stehen soll, zu kommunizieren und zu unterstützen.“
Die Mitglieder der Kommission
Gerd-Rainer DammAbteilungsleiter, Ministerium für Umwelt
Michel FriedmanRechtsanwalt
Karl GanserIBA Emscher Park
Albert HettrichStaatssekretär, Ministerium für Wirtschaft
Walter KochDillinger Gelochte Bleche
Helga Knich-WalterStabsstelle Kultur, Staatskanzlei
11
Ivica MaksimovicHBK Saar, Prof. für Design
Ständige Gäste:Meinrad Maria GrewenigWeltkulturerbe Völklinger Hütte
Karl KleinebergDeutsche Steinkohle
Johann Peter LüthStaatliches Konservatoramt
In der ersten Sitzung haben die Kommissionsmitglieder
Herrn Prof. Dr. Karl Ganser zum Vorsitzenden gewählt.
Die Kommission hat ihre Aufgabe in vier Sitzungen beraten,
eine Sitzung diente der Bereisung der möglichen Zukunfts-
standorte und weiterer Zeugnisse der Industriekultur – auch
grenzüberschreitend – unter dem Blickwinkel ihrer Eignung
für ein neues touristisches Produkt.
12
Die Kommission legt hiermit das Ergebnis ihrer Arbeit dem
Kabinett zur Beratung und Beschlussfassung vor.
Gerd-Rainer Damm
Michel Friedman
Karl Ganser
Albert Hettrich
Walter Koch
Helga Knich-Walter
Ivica Maksimovic
Meinrad Maria Grewenig
Karl Kleineberg
Johann Peter Lüth
13
2
Industriekultur, eine Chance für das Saarland
Das Saarland ist eine Industrieregion mit großer Vergan-
genheit. Weltbekannte Produkte und technische Innova-
tionen nahmen von hier ihren Ausgang. Saarländische
Unternehmen sind auch heute auf den Weltmärkten er-
folgreich. Unternehmen mit Baukultur haben bedeutende
Bauwerke und technische Anlagen geschaffen. Das
Saarland kann stolz auf diese Epoche der Industriezeit
zurückblicken.
Das Gedächtnis an diese Zeit zu bewahren, ist die eine
Aufgabe. Die andere gründet darauf: Im Saarland die
Bedingungen dafür zu schaffen, um markante Standorte
zu entwickeln, die für neue Unternehmen und neue Pro-
dukte förderlich sind und zu weithin wahrnehmbaren
Symbolen werden. Das ist die doppelte Botschaft, die
hinter dem Begriff „Industriekultur“ steht.
Also soll in der Politik des Saarlandes die „Industriekul-
tur“ in die Mitte der Strukturpolitik gerückt werden.
14
2.1
Industriekultur als Randerscheinung
Bislang galt die Industriekultur als „Randerscheinung“ in
doppelter Weise:
- In der Wirtschaftsförderung und in der Strukturpolitik wur-
de der Erhalt von alten Industrieanlagen als hemmend für
die Neuansiedlung von Betrieben und als kostenträchtig
für die öffentlichen Hände angesehen.
- In der Kulturpolitik war nur die „traditionelle Hochkultur“
bedeutsam, Industriekultur dagegen Marginalie.
Vom Kulturhaushalt des Landes mit ca. 75 Mio. DM waren nur ca.
1 Mio. DM der Industriekultur zugeteilt, also 1,35 %. Aus den Mit-
teln der Strukturförderung des Landes und der EU wurde die Indu-
striekultur mit einem ähnlich marginalen Anteil bedacht.
Vor diesem Hintergrund ist die derzeitige Situation der Indu-
striekultur im Saarland plausibel:
- Die Denkmalpflege kämpft mit wechselndem Erfolg, Orte
und technische Anlagen aus der Industriezeit für die
Nachwelt zu erhalten.
- Verschiedene industriegeschichtliche Initiativen bemühen
sich – leidlich unterstützt durch den Tourismus – Bauten
15
und Anlagen der Industriezeit in einer „Route der Indu-
striekultur“ erlebbar zu machen.
- Die Hütte in Völklingen hat den Glanz eines UNESCO-
Denkmals, steht aber in einem Land mit bedeutsamer in-
dustrieller Vergangenheit so ziemlich allein, eine „Ikone
ohne Unterbau“.
2.2
Der historische Gehalt der Industriekultur
Zukunft gewinnt nur, wer Vergangenheit kennt. Den Wirt-
schaftsstandort Saarland für die Zukunft innovationsfähig
und populär zu machen, hat in der Auseinandersetzung mit
der industriellen Vergangenheit eine unersetzbare Voraus-
setzung.
In den Mittelpunkt dieser geschichtlichen Aufarbeitung und
der zeitgemäßen Präsentation gehören die Innovationslei-
stungen bei Produkten und Technologien in den letzten 150
Jahren, die vom Standort Saarland in die Welt hinausgegan-
gen sind. Dies ist ein deutlich größerer Zugang zur Industrie-
geschichte als der gewöhnliche „museale“, in dem mehr oder
weniger zusammenhanglos bauliche und technische Relikte
erhalten werden. Die Betonung der technologischen, wirt-
schaftlichen und soziokulturellen Hintergründe der Industrie-
zeit spricht nun keinesfalls gegen die Bewahrung der Bauten
16
und technischen Anlagen. Im Gegenteil: Es wird in Zukunft
weit mehr darum gehen, „Gesamtanlagen“ zu erhalten, ja
ganze Stadt- und Landschaftsräume zu präsentieren, die von
der Industriezeit geprägt sind.
Das ist die historische Komponente des Begriffs „Industrie-
land Saar“.
2.3
Die Zukunftskomponente der Industriekultur
Die Zukunftskomponente der Industriekultur besteht aus ei-
nem wirtschaftsnahen und einem kulturellen Handlungsfeld.
Das wirtschaftsnahe Handlungsfeld befasst sich mit „Zu-
kunftswerkstätten“, in denen Forschung, Entwicklung und
Anwendung in neuen Unternehmen zusammengeführt wer-
den.
Dieses Anliegen wurde von staatlicher Seite schon in den
letzten 10 Jahren mit Hilfe von Techno- und Gründerzentren
gefördert, mehr oder weniger erfolgreich. Nun geht es dar-
um, die baulichen und organisatorischen Rahmenbedingun-
gen für innovatives Handeln im wirtschaftlichen, kulturellen
und sozialen Bereich noch einmal neu zu denken, die bishe-
17
rigen Rezepte auf den Prüfstand zu stellen und die dazu
passenden „Gehäuse“ zu entwerfen.
Der kulturelle Teil gründet auf dem Reiz von Industrieräu-
men, die die Kulturschaffenden aus aller Welt - von der Ar-
chitektur und der bildenden Kunst bis hin zu Musik - zu au-
ßergewöhnlichen Experimenten herausfordern.
Beide Zukunftskomponenten, der wirtschaftsnahe und der
kulturelle Teil, werden räumlich in wenigen „Zukunftsstand-
orten“ zusammengefasst.
2.4
Profil für den Wirtschaftsstandort
Die Profilierung des Wirtschaftsstandortes Saarland ge-
schieht daraufhin in zweifacher Weise:
- Die „Zukunftsstandorte“ sind Zentren der Innovation, mit
„außergewöhnlichen Freiheiten“ ausgestattet. Ihr Innova-
tionsertrag gibt Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung
des Saarlandes und darüber hinaus.
- Die Nachrichten über diese Zentren der Innovation, ver-
stärkt durch die ungewohnten Kulturereignisse in den In-
dustrieräumen, bilden die „neue Botschaft“ über den Wirt-
schaftsraum Saar. Diese Botschaft gibt der Standortwer-
bung eine hohe Aufmerksamkeit.
18
Unterstützend und zugleich mit zusätzlicher Beschäftigungs-
wirkung wird auf dieser Grundlage ein neues „touristisches
Segment“ für Kultur- und Städtereisen entwickelt, das sich
deutlich vom herkömmlichen Fremdenverkehr im Saarland
abhebt.
19
3
Zukunftsstandorte mit IndustrieKultur
Zukunftsstandorte sind das räumlich-organisatorische Ge-
häuse, von denen die außergewöhnlichen Wege in die wirt-
schaftliche und kulturelle Zukunft hinausgehen. Sie sind aus-
schließlich über zwei Qualitätskriterien definiert:
- die außergewöhnliche Gestalt des Ortes
- die außergewöhnliche Freiheit des Denkens und Wirt-
schaftens
Sie fallen somit durch ihr Aussehen und durch die Möglich-
keit, die Dinge anders zu sehen und anders tun zu dürfen,
- selbstbewusst, ja avantgardistisch - „aus dem Rahmen“.
„Außergewöhnlich“ ist etwas nur, wenn es ganz wenig davon
gibt, also kann es nur ganz wenige Zukunftsstandorte geben.
Zukunftsstandorte sind somit nicht beliebige Konversionsflä-
chen oder neu erschlossene Gewerbezonen. Davon gibt es
nach dem Eindruck der Kommission inzwischen genügend
entwickelte Angebote.
Daher noch einmal: Zukunftsstandorte sollen in ihrer wirt-
schaftlichen Funktionsbestimmung und in ihrer landschaft-
lich-architektonischen Gestaltung herausragen und bedeut-
20
sam sein für das ganze Land mit einem Einzugsbereich, der
weit nach Rheinland-Pfalz und nach Lothringen reicht.
Die Kommission hat drei solcher Zukunftsstandorte ausge-
macht. Für die Auswahl dieser Standorte ist nicht zuletzt der
Gesichtspunkt entscheidend, dass hier gerade jetzt die
Chance besteht, den baulich-landschaftlichen Gesamtzu-
sammenhang in Vergangenheit und Zukunft zu gestalten.
Oder einfacher ausgedrückt: Es ist noch nicht oder noch
nicht viel abgerissen.
21
3.1
Zukunftsstandort Göttelborn
Das Bergwerk Göttelborn hat eine weithin sichtbare Bega-
bung für einen Zukunftsstandort. Es liegt verkehrstechnisch
hervorragend angebunden an das großräumige Netz, sozu-
sagen mitten im Autobahnkreuz, ragt als Landmarke über
das Saarland. Die Wege zu den Wirtschaftsräumen Rhein-
Main und Rhein-Neckar sind ebenso kurz wie die nach
Frankreich und Luxemburg.
Das Bergwerk Göttelborn ist ein hervorragendes Zeugnis der
jüngsten Bauepoche der Industriearchitektur. Das Ensemble
Förderturm, Maschinenhaus, Werkstatt und Kohlenwäsche
bilden eine untrennbare Einheit.
Der neue Förderturm ist außergewöhnlich gutes Industriede-
sign, ragt als Landmarke über dem Saarland. Die Architektur
ganz in weiß steht in starkem Kontrast zu den Absetzbecken
und der geometrisch gestalteten Halde ganz in schwarz. Das
Gegenüberbild, das Kraftwerk Weiher mit Kesselhäusern,
Kaminen und Kühltürmen ist wiederum eine große Landmar-
ke ganz in weiß.
Das ist eine Architektur der Moderne, kontrastreich in Form
und in Farbe. Diese Bildwelten stehen den neuen medien-
22
gemachten Bildwelten des Kommunikationszeitalters näher
als alle anderen.
Die Bedingungen für eine außergewöhnliche Zukunftsgestalt
sind also wie an keinem anderen Standort der Montanzeit
vorhanden.
Dieses Bergwerk ist auch ein technikgeschichtliches Zeug-
nis, das aus der Jetztzeit stammt und aussagt, wie kurzlebig
Prognosen in Politik und Wirtschaft sind und wie als Folge
mangelhafter Voraussicht riesige Investitionen in kürzester
Zeit entwertet werden:
Der neue Schacht wurde 1994 abgeteuft, 2000 verfüllt.
Die künftige Gestalt dieses Standortes ist von dieser Aus-
gangsgrundlage bestimmt. Es geht um eine landschaftsar-
chitektonische Großform in der Formensprache der Moder-
ne, interpretiert durch die junge Generation der Architekten,
Künstler und Designer mit internationalem Format. Das ist
eine interdisziplinäre Aufgabe, die Architektur, Kunst, Land-
schaftsgestaltung und Design einschließlich der zugehörigen
medialen Kommunikation einbindet.
Das Ergebnis ist nicht vorwegzunehmen, es lässt sich nur in
einem hochkarätig definierten und ebenso hochkarätig ge-
führten internationalen Wettbewerb ermitteln.
23
Göttelborn hat das Zeug dazu, die „Ikone des modernen
Saarlandes“ zu werden. Zumindest gibt es keinen anderen
Standort, der dafür solche Voraussetzungen anbietet.
Zu diesem modernen Gehäuse passt eine wirtschaftliche
Funktionsbestimmung, die sich mit den Bildwelten der Zu-
kunft auseinandersetzt. Göttelborn soll dafür zur Zukunfts-
werkstatt ebenso wie zum Ort der kritischen Reflektion ent-
wickelt werden.
Dort sollten die Künste wieder zusammengeführt werden, die
im Laufe des letzten Jahrhunderts aus dem gemeinsamen
Haus ausgewandert sind: Die Architektur, die Gartenkunst,
das Design, die bildende Kunst, die Musik.
Einen solchen Ort gab es schon einmal beim Aufbruch in die
gestalterische Moderne, gemeint ist das Bauhaus in Dessau.
Einen solchen kulturell-gewerblichen Ort sollte es heute noch
einmal für das Medienzeitalter geben unter den Bedingungen
einer globalisierenden Welt. Das bedeutet, dass es nicht
mehr nur den einen Standort geben kann, von dem eine
ganze Stilepoche ihren Ausgang hat. Es wird vielmehr auf
der Welt mehrere solche Standorte mit jeweils überregionaler
Ausstrahlung in einem globalen Netz geben. Göttelborn im
24
Saarland soll ein solches Angebot für Saarland, Rheinland-
Pfalz und das benachbarte Frankreich darstellen.
Das Gehäuse für diese Institution der neuen Bildwelten steht
in den „Grundmauern“. Es sind die Bestandsgebäude von
Göttelborn. Der zugehörige riesige Park muss neu geschaf-
fen werden aus der Halde und den Absetzbecken. Auf den
heutigen Lagerflächen können Bauflächen für die Ansiedlun-
gen von Dienstleistungsbetrieben der „new economy“ ange-
boten werden, mit Sicherheit aber nicht für ein Unternehmen
aus der Branche Fachmarkt oder Logistik. Es werden viel-
mehr kleine „Meisterhäuser“ für junge Unternehmen und
Kulturschaffende sein, die sich gerne einem städtebaulichen
Prinzip unterordnen und die sich selbstbewusst in avantgar-
distischer Architektur ausdrücken.
Für eine solche Aufgabe gibt es keinen tauglichen Developer
und keinen Großinvestor. Der Standort wird auch nicht aus
einem Guss in kurzer Zeit geschaffen. Die Einrichtung
wächst allmählich, nachdem ihr die Grundausrüstung in Ge-
stalt eines außergewöhnlichen Parkes und durch den Erhalt
der Tagesproduktionsanlagen mitgegeben ist.
Den institutionellen Nukleus allerdings muss das Saarland
am Anfang stiften, damit dann privates Engagement nach-
folgt. Dazu sind die bestehenden Einrichtungen für Kunst,
25
Architektur und Design zu befragen, welche Persönlichkeiten
mit welchen Zukunftsthemen an einem neuen Standort neue
Wege gehen wollen und was ihnen dabei als „Wegzehrung“
mitgegeben werden soll.
26
Das Budget für denZukunftsstandort Göttelborn(2001 – 2010) Mio. DM
1Investitionen fürGebäudebestand und Park 50
2Startfinanzierung 20
Bei den Investitionen sind die Herrichtung eines markanten
Parks mit ca. 30 Mio. DM gerechnet sowie der Umbau der
Bestandsgebäude zu Büronutzung und Werkstätten/Lehr-
sälen und Veranstaltungsräumen mit 20 Millionen.
Die Anschubfinanzierung der dort gedachten neuen Instituti-
on für die Zukunft von Design, Kunst, Architektur und Medien
wird auf vier Jahre mit jeweils 5 Mio. DM veranschlagt. Da-
nach muss für den öffentlichen Anteil der Dauerfinanzierung
eine Lösung gefunden werden. Dazu kommen private Mittel
in beträchtlicher Höhe, die jedoch erst fließen werden, wenn
die Institution ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt
haben wird.
Exkurs
Die Ansiedlung der Retail-Solution in St. Ingbert zeigt, dass Zu-
kunftsunternehmen auf ein Ambiente bestehend aus Park und
Architektur großen Wert legen. Deshalb dieses Grundstück mit
den Villen aus der Jahrhundertwende und den Grünanlagen mit
den alten Baumbeständen. Darin drückt sich ein „Raumgefühl“
27
aus, das offenkundige Verwandtschaft zum amerikanischen Cam-
pus hat. SAP in St. Ingbert folgt allerdings der traditionellen Linie
der Campusidee. Industriekultur dagegen sprengt diese anmutig
kleinen Maßstäbe in der räumlichen Dimension und in der For-
mensprache.
28
3.2
Zukunftsstandort Reden
Im Vergleich zu Göttelborn ist das Bergwerk Reden weniger
spektakulär. Üblicherweise würden dort die Tagesanlagen
abgerissen bis auf die für die Wasserhaltung benötigten, um
daraus mit beträchtlichem Aufwand eine platte gewerbliche
Ansiedlungsfläche zu machen. Für wen?
Reden ist eher abseitig gelegen. Was hätte dann Reden,
was andere Gewerbestandorte nicht längst schon haben mit
obendrein besserer Lage?
Trotzdem ist Reden ein Zukunftsstandort. Seine Zukunft liegt
in einer radikalen Alternative zur Entwicklung von Alt-
Standorten, im „Dornröschenschlaf“. Deshalb soll die Tages-
anlage samt Außenanlagen und Halde wirklich zum „Dorn-
röschen“ werden. Dann gibt es auf Reden viel zu entdecken.
Da sind die denkmalwerten mächtigen Gebäude im Stil der
Moderne. Da ist das komplett erhaltene Bergwerk, zur Zeit
das einzige im Saarland, in dem vollständig der Weg der
Kohle mit den zugehörigen Gebäuden und technischen An-
lagen nachverfolgt werden kann.
Dort bleibt die Wasserhaltung bestehen, und wer weiß schon
Bescheid über das Gewässersystem unter Tage?
29
All das macht neugierig. Also lohnt es sich, Reden zu besu-
chen und daraus ein Besucherbergwerk zu machen, das an-
ders ist als alle anderen, die es schon gibt oder die von der
modernen Freizeitindustrie zur Zeit als Variante riesiger ame-
rikanischer Freizeitparks im Gerede sind.
Der Nukleus dieses Besucherbergwerkes ist die zentrale
Wasserhaltung. Sie führt die Besucher in die Tiefe, vermittelt
ein authentisches Tiefenerlebnis und zeigt, wie das Wasser
im Berg ist und was es heißt, dieses Wasser in die technisch
gewollten Fließbahnen zu pumpen. Da lassen sich reale Er-
fahrungen mit Tiefe, Temperatur, Wetter, Staub, Dunkelheit,
Schächten und Stollen samt Abbautechniken zeigen. Da wird
über die Beherrschung von Wasser und Wetter informiert.
Und zu den realen Erfahrungen kann es die fantastischen
Bildwelten der Medienzeit geben. Irgendwann sind sogar
Einrichtungen der Unterhaltungsindustrie von Disco bis Edel-
restaurant samt Hotel unter Tage nicht ausgeschlossen. Sie
sind sicher nicht der Anfang bei der Entfaltung des Besu-
cherbergwerkes. Und wegen ihrer wirtschaftlichen Risiken
sollten sie auch nicht im Vordergrund der Attraktion stehen.
Wenn das eine verlockende Perspektive ist, dann muss das
„Dornröschen“ über Tage auch entstehen. Das bedeutet in
erster Linie den Erhalt der gesamten Anlagen auf einem
30
bautechnisch sehr niedrigen Standard. Nur so lassen sich
die jährlichen Unterhaltungskosten auch darstellen. Die Au-
ßenbereiche müssen in eine üppig blühende „Dornröschen-
Vegetation“ umgewandelt werden. Denn der derzeit vorherr-
schende Schrott- und Baustellencharakter ist abstoßend.
Wie wäre es wirklich mit einem „Rosarium“ der wilden Ro-
sen, pflegearm und an die harten und kargen Böden ange-
passt?
Und da ist schließlich die Halde, die auch so nicht bleiben
kann. Sie ist zur Zeit leider nicht mehr die alte, wild geschüt-
tete Halde vom „Typus Saarbergbau“, sondern eine schwer
verständliche Mischung von Deponie und begrünendem
Öko-Engagement. Sie ist nicht mehr Zeugnis der Bergbau-
geschichte, aber auch kein Symbol für ein modernes Natur-
verständnis. Sie ist eher die „krauterige“ Anmutung überhol-
ter Abfall- und Umweltpolitik. Es wird schwer, der Halde eine
neue Form zu geben, die sich selbstbewusst von der Wald-
landschaft in der Umgebung absetzt. Aber das muss gelin-
gen, um dem „Dornröschen“ das richtige Umfeld zu geben.
Irgendwann wird ein Prinz kommen und es wird sein wie im
Märchen. Die Grube Reden wird zum außergewöhnlichen
Investitionsstandort. Denn es gibt immer mal wieder Unter-
nehmen, die suchen den besonderen Standort mit ausgefal-
lenem Ambiente. Es lohnt sich, darauf zu warten.
31
Reden liegt abseitig, aber ein Dornröschen kann sich die
versteckte Lage leisten. Denn die Besucher dieses Besu-
cherbergwerkes werden ebenso wie die Unternehmen mit
ungewöhnlichen Produkten auf Entdeckungsreise gehen und
sich gerade im Abseits profilieren.
Das ist die Zukunft des Zukunftsstandortes Reden.
Diese Perspektive steht nicht im Gegensatz dazu, dass in
den gut erhaltenen Gebäudeteilen öffentliche und private
Nutzungen einziehen. Das Angebot des Landkreises Neun-
kirchen ist hoch zu schätzen, dort alsbald Einrichtungen des
Kreises unterzubringen. Außerdem muss es eine kleine Ar-
beitseinheit für die Bestandspflege geben ebenso wie ein
kleines Besucherzentrum. Ständig anwesend ist schließlich
die Betriebseinheit der DSK für die Verwaltung. Damit ist die
Anlage belebt und bewacht.
Das Budget für den ZukunftsstandortReden 2001 – 2010 Mio. DM
1Dornröschenpark 10
2Besucherbergwerk 10
3Bestandspflege(2001 – 2010) 40
32
Die Budgetsetzung hat folgende Komponente:
Die Erstinvestitionen in den großen Dornröschenpark auf der
Tagesanlage und auf der Halde.
Die Ersteinrichtung des Besucherbergwerkes bezogen auf
das Erlebnis und das Ereignis unter Tage.
Die Kosten für eine kontinuierliche jährliche Bestandspflege
des Dörnröschenparkes und der Gebäude mit 4 Mio. DM per
anno. In diesem Betrag sind auch kleinere Investitionen in
die Erneuerung von Gebäudeteilen als Vorleistungen für
Miet- und Kaufinteressenten.
Exkurs
Die Zeche Waltrop 1/2 im östlichen Ruhrgebiet hat 12 Jahre auf
ihren „Prinzen“ gewartet. Es handelt sich um ein historisch sehr
wertvolles Ensemble aus der Zeit des Historismus. Aber über viele
Jahre hinweg wollte kein Unternehmen diesen Standort akzeptie-
ren. Nun hat das bundesweit bekannte Unternehmen Manufactum
dorthin seinen Stammsitz verlegt und die Maschinenhallen, die
Lohnhalle, die Waschkaue und die Werkstätten vorrangig mit ar-
chitektonischen Haus-in-Haus-Lösungen zu einem viel bewunder-
ten neuen Firmensitz umgebaut mit ganz erheblich positiven Aus-
wirkungen auf die Prosperität des Unternehmens. Alljährlich kom-
men Tausende Kunden, um das Unternehmen live in Augenschein
zu nehmen, den außergewöhnlichen Standort zu besichtigen, ei-
nen Tag oder zwei Tage Kulturreise im Ruhrgebiet anzuhängen
33
und am Standort selbst Artikel aus dem reichhaltigen Sortiment
von Manufactum einzukaufen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hatte die Zeche Waltrop 1/2 im
Grundstücksfonds „sorgfältig gelagert“ und das Mindestmaß an
Instandhaltung betrieben. Mit Mitteln der Wirtschaftsförderung
wurde dafür gesorgt, dass der Standort auf Vorrat als „Gewerbe-
park“ mit einer attraktiven Parklandschaft gestaltet wurde.
34
3.3
Zukunftsstandort Völklinger Hütte
Der Zukunftsstandort Völklingen ist die Ikone der saarländi-
schen Industriekultur, hervorgehoben und gefördert als Mit-
glied auf der Liste des Weltkulturerbes. Dort ist der Knoten in
der Route der Industriekultur. Dort ist auch die Intendanz für
die kulturelle Bespielung der Industrieräume. Dorthin gehört
das Zentrum für den Tourismus, der sich mit Industriekultur
verbindet.
Der Zukunftsstandort Völklinger Hütte ist somit der Kultur,
der Kulturwirtschaft und dem Tourismus gewidmet, einem
Wirtschaftssektor mit krisensicherer Wachstumsprognose.
Die Völklinger Hütte in den Abgrenzungen des UNESCO-
Denkmals ist ein herausragendes Zeugnis der Technik- und
Wirtschaftsgeschichte für den Bereich der Eisenverhüttung
und der Stahlproduktion. Gleichwohl ist eine umfassende
und aufwendige Erhaltung der gesamten Anlagen nach her-
kömmlichen konservatorischen Maßstäben denkmalpflege-
risch nicht sinnvoll und wirtschaftlich nicht darstellbar. Die
denkmalpflegerische Strategie ist daher die der „kontrollier-
ten Ruine“. Auf diese Weise werden einerseits die baulichen
und technischen Anlagen in ihrem jetzigen Zustand für einen
möglichst langen Zeitraum bewahrt, andererseits von stark
35
veränderten Eingriffen als Folge einer Rundum-Instand-
setzung nach heute geltenden, aber unpassenden techni-
schen Normen verschont.
Das Kultur- und Unterhaltungsprogramm der Völklinger Hütte
ruht auf zwei Säulen:
Die eine ist die umfassende Präsentation der Hütte und der
zugehörigen Anlagen zusammen mit der Technik-, Wirt-
schafts- und Sozialgeschichte, der Eisenverhüttung, Stahler-
zeugung und Stahlverarbeitung in SaarLorLux.
Die andere Säule ist die Bespielung der Industrieräume mit
Kulturereignissen und Publikumsausstellungen.
Beide zusammen bilden die „Infrastruktur“ für einen außeror-
dentlich attraktiven Standort der Kulturwirtschaft.
Die kulturwirtschaftliche Komponente am Zukunftsstandort
Völklingen erhält mit der Idee, ein „ScienceCenter“ zu eta-
blieren, einen zusätzlichen Impuls. In diesem Center werden
technische und organisatorische Innovationen der Jetztzeit
dargestellt, erläutert, transparent gemacht und auch kritisch
befragt, und dies für ein breites Publikum. Das ist ein An-
spruch, der diese Einrichtung von den bekannten Science-
Freizeitparks unterscheidet. Es ist zu prüfen, ob dieses An-
liegen besser mit einer festen Einrichtung in einem Gebäude
der modernen Architektur oder mit wechselnden Ausstellun-
36
gen zu einzelnen Zukunftsthemen in der Hütte erreicht wer-
den kann.
Der Zukunftsstandort Völklingen erhält für diese Aufgaben
eine sehr anspruchsvolle städtebauliche, architektonische
und landschaftliche Gestalt, die ihn für die Ansiedlung von
Kulturwirtschaftsbetrieben interessant macht und den Besu-
chern die Industrielandschaft in Völklingen auf eine unge-
wöhnliche Weise nahebringt.
(Wegen der Bedeutung der Völklinger Hütte als Zukunfts-
standort und als Mittelpunkt der Route der Industriekultur
wird dieser Standort in Kapitel 5 eingehender behandelt.)
37
3.4
Weitere Standorte der Industriekultur
Um diese Zukunftsstandorte liegt ein Kranz industriekulturell
geprägter Standorte. Diese Standorte haben aber nicht die
herausragende Bedeutung wie die drei genannten Zukunfts-
standorte. Für ihre Entwicklung ist der sorgsame Umgang mit
den Baubeständen aber gleichwohl kulturelle Verpflichtung
und künftiger Standortvorteil.
(1)
Kokerei Fürstenhausen in Völklingen
Das Gelände der Kokerei Fürstenhausen ist mit seinen raum- und
gestaltwirksamen Dominanten Teil der Industriekulisse im Saartal.
Anzustreben ist die Erhaltung des Gasometers in seiner Funktion
als Markenzeichen, eine Begehung als Aussichtsplattform ist nicht
zwingend erforderlich, aber verlockend. Um der Großform des
Gasometers einen räumlichen Halt bzw. ein gestaltwirksames Ge-
genüber zu verschaffen, sollten auch die Koksbatterien erhalten
bleiben. Dies jedoch nicht aus Denkmalüberlegungen oder um die
ehemalige Kokserzeugung demonstrieren zu können, sondern als
Mauer, die in Teilen durch die Abbruchmassen des Kohlebunkers
auch überformt werden kann.
38
Es besteht keine Notwendigkeit, den zentralen Bereich der ehe-
maligen Kokerei wieder gewerblich zu nutzen. Im nördlichen
Randbereich (Kokslagerfläche) besteht die Möglichkeit, kurzfristig
eine gewerbliche Fläche zu entwickeln. Auf der südlich gegen-
überliegenden Seite stehen mittelfristig ca. 40 ha Fläche nach dem
Abklingen der bergbaulichen Einwirkungen für eine gewerbliche
Nutzung zur Verfügung.
Der zentrale Bereich der Kokerei (Umfeld Gasometer, Umfeld
Koksbatterien und die Fläche zwischen Koksbatterien und Gaso-
meter) soll landschaftlich gestaltet werden mit einem Anspruch,
der weit über die übliche „Bauschuttbegrünung“ hinausreicht. Wie
wäre es, wenn Land-Art-Künstler ein „Abriss-Kunstwerk“ durch-
setzt von „Altlasten-Denkmälern“ entwerfen?
Die so gestaltete ehemalige Kokereifläche mit dem Gasometer
und der Mauer der Koksbatterien erinnert auf diese Weise an die
Industrievergangenheit und provoziert als Kunstwerk.
(2)
Mosaikfabrik und Sanitärfabrik Mettlach
Mettlach ist mit seiner Keramik und der Alten Abtei ein überregio-
nal bekannter Ort sowohl der Architektur- und Industriegeschichte
als auch der Keramikprodukte.
Die über 200.000 Besucher jährlich, die die Kerasivion und die
Keramik-Ausstellungen besuchen oder zu den Konzerten in der
39
Alten Abtei kommen, machen Mettlach schon heute zu einem
„Mekka“ für Keramik.
Die Flächen der Fliesenfabrik sowie evtl. später auch die Flächen
der Sanitärfabrik werden verfügbar, wenn die Produktionen in
Merzig konzentriert werden.
Mit dem Grundstückseigentümer ist eine Strategie für die Folge-
nutzung zu entwickeln. Leitziele sollten dabei sein, die Technik-
und Produktgeschichte der Keramik in der Erinnerung zu halten,
aufregende Produktionsanlagen als technische Anlagen publi-
kumswirksam zu inszenieren und in die neue Architektur einzufü-
gen, um so die Keramik in Mettlach noch mehr zu einem Ziel für
Touristen und Käufer zu machen. Die Kleinteiligkeit der umgeben-
den Bebauung ist für die neue Entwicklung auf den frei werdenden
Flächen ein zu beachtender Maßstab.
(3)
Merziger Werk der Firma Villeroy & Boch
In dem in der Stadt Merzig gelegenen Werk der Firma Villeroy &
Boch werden mittelfristig die derzeitigen Aktivitäten wohl neu ge-
ordnet. Die Logistik soll an einen verkehrlich besser angebunde-
nen Standort verlegt, die Produktion im stadtfernen Teil des Areals
konzentriert werden. Die stadtnahe Teilfläche wird dann für eine
neue Nutzung zur Verfügung stehen.
40
Diese Fläche bietet der Stadt Merzig und der Region eine große
Entwicklungschance. Unter Einbezug der vorhandenen histori-
schen Hallen ist dieser Standort prädestiniert für eine hochwertige
Mischung von neuem Wohnen, Arbeiten und Dienstleistungen.
Die Tallandschaft einschließlich des Bachlaufes des Seffersba-
ches soll geöffnet und zum natürlichen Mittelpunkt des neuen
Stadtteils werden.
Auf dieser Teilfläche des Merziger Werkes kann exemplarisch de-
monstriert werden, wie neue Formen von Wohnen und Arbeiten in
qualitätvoller Architektur die Attraktivität von Mittel- und Kleinstäd-
ten im ländlichen Raum prägen.
(4)
Kristallerie Wadgassen
Die Kristallerie Wadgassen ist ein bauliches und technisches Do-
kument der Glasverarbeitung im Saarland. Das denkmalwerte Ge-
bäude liegt eingebettet in eine Parklandschaft. Die derzeitigen
Nutzungen und ergänzenden Gebäude verstellen den einzigarti-
gen Charme dieses Ortes.
Anzustreben ist die Erhaltung der Kristallerie und die Zurückfüh-
rung auf die Form, die ihr den Wiedererkennungswert der ur-
sprünglichen Nutzung zurückgibt. Die so gemeinsam mit ihrem
Umfeld in Wert gesetzte Kristallerie sollte ein Ort der Präsentation,
41
der Ausstellung und in gewissem Umfang auch des Verkaufs von
Glasprodukten sein.
Zum weiteren Umfeld der Kristallerie gehört auch das Hofgebäude
der alten Abtei. Die hier vorgesehenen Nutzungen bzw. schon
vorhandenen Nutzungen des Druck- und Zeitungsmuseums sowie
der Bürgersaal sollten einschließlich der noch zu gestaltenden
Außenanlagen in ein stimmiges Gesamtkonzept einbezogen wer-
den.
(5)
Kaserne St. Wendel
Auf dem ehemaligen Kasernenareal in St. Wendel, eine Doppelka-
serne der Deutschen Wehrmacht aus dem Jahr 1938, die bis zum
Jahr 1999 von der französischen Armee genutzt wurde, bietet sich
die Chance, traditionelle Handwerks- und Gewerbebetriebe, neue
Dienstleistungen und Freizeiteinrichtungen in die alte Bausubstanz
einzufügen. Die strenge Ordnungsstruktur der Kaserne gibt dem
Areal ein gegliedertes und stabiles städtebauliches Gerüst, das
eine prägende Selbständigkeit vermittelt. Ergänzungsbauten im
vorgegebenen Ordnungsraster eröffnen eine hohe Nutzungsflexi-
bilität.
Auch wenn das Kasernenareal keinen industriekulturellen Hinter-
grund hat, gehen von ihm ähnlich prägende Wirkungen aus wie
von den Bauwerken der Montanindustrie.
42
(6)
Das Neunkircher Eisenwerk
Das Neunkircher Eisenwerk ist Vergangenheit. Die Umstrukturie-
rung vom Alten zum Neuen ist fast abgeschlossen. Viele bedeut-
same Elemente des Eisenwerkes sind dabei verloren gegangen.
Schnelligkeit hatte Vorrang vor Beständigkeit. Trotzdem muss der
Standort des Neunkircher Eisenwerkes hier genannt werden, denn
der Eisenwerkspark und seine Umgebung bieten noch immer
Chancen, industriekulturelle Qualitäten zu entwickeln.
(7)
Alte Schmelz und Drahtwerk Nord in St. Ingbert
Die historische Alte Schmelz in St. Ingbert symbolisiert den Beginn
der industriellen Eisenverarbeitung im Saarland und markiert den
Beginn des Werkswohnungsbaus mit den Mietshäusern.
Dieser industriegeschichtlich bedeutsame Standort Alte Schmelz
entwickelt sich heute im Nutzungsgemisch von Dienstleistung,
Freizeit und Kultur. Leider fehlt bislang ein städtebauliches Ge-
samtkonzept mit Vorgaben für die einzelnen Akteure und einer
öffentlichen Verantwortung für die Gestalt der Gebäude, der Infra-
struktur und des Freiraums.
Die nördlich angrenzende Fläche des ehemaligen Drahtwerks
Nord ist prädestiniert für die Entwicklung innerörtlicher Wohnfor-
men in Verbindung mit gewerblichen und Dienstleistungsnutzun-
43
gen. Hier darf keine große „Investorenlösung“ Platz greifen, son-
dern der in ihrem historischen Bestand kleinteilig gegliederten
Stadt muss eine adäquate Ergänzung gegeben werden.
(8)
Ehemalige Glashütte in St. Ingbert
Die ehemalige Glashütte in St. Ingbert, eine imposante und einzig-
artige Industriearchitektur des Jugendstils im Saarland, ist aufge-
geben. Ein Abbruchantrag wurde genehmigt, da für einen Privatin-
vestor eine Folgenutzung im denkmalwerten Gebäude nicht zu-
mutbar erschien. Die Planverfahren für eine Neunutzung des Ge-
ländes durch einen Baumarkt laufen bereits.
Es sollte trotzdem noch einmal der Versuch unternommen werden,
das alte Gebäude zumindest in den die Architektur prägenden
Elementen fragmentarisch zu erhalten und die Investoren zu er-
mutigen, von dem eingefahrenen Weg abzuweichen, sich in einer
gesichtslosen Schuhkartonarchitektur zu präsentieren.
Hier sind Politik und Verwaltung aufgefordert, nochmals nachzu-
denken und unkonventionelle Wege zu beschreiten, um gemein-
sam mit dem Investor eine Lösung zu finden. Schnelles Handeln
ist gefordert.
(9)
Gelände des Hauptbahnhofs Saarbrücken
Saarbrücken 21
44
Das Gelände des Hauptbahnhofes in Saarbrücken scheint auf den
ersten Blick nur wenig mit Industriekultur in Verbindung zu stehen.
Beim genauen Hinsehen ist dieser Ort des Verkehrs, des Ankom-
mens und Abfahrens ein wichtiger Ort der industriellen Entwick-
lung des Landes. Auf dem Gelände befinden sich heute nur noch
Relikte der Vergangenheit, z.B. der alte Wasserturm.
Nachdem die großen Lösungen der 21er Projekte der DB AG ge-
scheitert sind, müssen kleinteilige, sowohl wirtschaftlich, finanziell
und stadtstrukturell verträgliche Lösungen angestrebt werden.
Das Projekt in Saarbrücken bietet die große Chance, den Schie-
nenschnellverkehr mit ICE und TGV in den Mittelpunkt der zukünf-
tigen wirtschaftlichen Entwicklung zu stellen, die Chancen des
Landes an der Grenze zu Frankreich zu nutzen. Gleichzeitig ist der
Bahnhof die Verknüpfung der Ferne mit der Nähe vieler der vorbe-
schriebenen Standorte, von hier geht es auf der Schiene weiter
nach Völklingen, nach Reden und zu vielen anderen Standorten.
(10)
Tagesanlage Camphausen
Die Tagesanlage Camphausen in der Gemeinde Quierschied prägt
mit dem Fördergerüst die Talsituation des Fischbachtales. Aus
betrieblichen Gründen und aufgrund ihrer Raumwirkung müssen
die Fördertürme erhalten bleiben. Das Gebäude der ehemaligen
Kohlenwäscherei kann abgebrochen werden. Die untere Teilfläche
45
eignet sich zur Wiedernutzung durch örtliches Gewerbe. Auch auf
der oberen Fläche können, möglichst unter Einbeziehung der vor-
handenen Gebäude, neue Gewerbebetriebe angesiedelt werden.
46
3.5
Das Eisenbahnausbesserungswerk Burbach
Das Eisenbahnausbesserungswerk in Burbach ist ein Stand-
ort für die Ansiedlung für Gewerbe- und Dienstleistungsbe-
triebe aus dem Kernraum des Saarlandes, der mehr als eine
gewöhnliche Erschließung eines Gewerbegebietes erhalten
sollte.
Die besondere Anstrengung sollte sich auf die gesamthafte
Bewahrung der historischen Anlage richten. Dazu passt ein
Experiment für eine zukunftsweisende Gestaltung von Ge-
werbestandorten zu wagen, den Gewerbepark unter ein So-
larkraftwerk zu stellen.
Die historische Anlage dieses Eisenbahnausbesserungswer-
kes ist weit über das Saarland hinaus bedeutsam. Sie wird
geprägt durch die Geometrie der Gleisharfe mit der Waggon-
verschiebeanlage und von den ausgedehnten Hallen des
ehemaligen Ausbesserungswerkes.
Dieses historische Gerüst soll nun auch die städtebauliche
Struktur für den künftigen Gewerbe- und Dienstleistungs-
standort profilieren. Dazu sollen die Hallen des Ausbesse-
rungswerkes zu einer großen Gewerbemall mit aufeinander
47
folgenden Gewerbestraßen umgebaut werden, sozusagen
zum „Glashaus für Gewerbe und Dienstleistungen“.
Darüber hinaus ist zu prüfen, ob auch die Fläche mit der rie-
sigen Gleisharfe eine „Suprastruktur“ erhalten kann, also ein
neues „Glaszelt“, unter dem sich Gewerbebetriebe als ein-
zelne Wirtschaftseinheiten an Gewerbestraßen ansiedeln.
Beide Glasdächer, das historische und das neue, bieten sich
als Träger für Solarstrommodule an, so dass dieses Gewer-
begebiet zugleich auch ein riesiges Solarkraftwerk wird.
Diese Suprastruktur wird als zukunftsweisende Infrastruktur
eines Gewerbestandortes verstanden, so wie Straßen, Ka-
näle und Medientrassen. Darüber hinaus entsteht ein außer-
gewöhnliches Ambiente, das den dort wirtschaftenden Be-
trieben zusätzlich einen Imagevorteil verleiht, vielleicht auch
Synergieeffekte in der inneren Zusammenarbeit stiftet. Das
Saarland könnte sich als eine Region zeigen, die Zu-
kunftsexperimente für die Gestaltung moderner Gewerbe-
standorte in Verbindung mit neuen Technologien wie Solar-
technik realisiert.
48
3.6
Der Blick nach Lothringen
Carreau Wendel
Die Fläche des Carreau Wendel in Petite-Rosselle in Loth-
ringen muss in die Überlegungen zur Industriekultur und zum
Industrietourismus einbezogen werden. Das Carreau Wendel
ist das Pendant zur Völklinger Hütte und spiegelt wie Völklin-
gen die Stahlvergangenheit, die Bergbaugeschichte der Re-
gion Saarland-Lothringen.
Durch die Koppelung und Vernetzung der Entwicklung auf
beiden Standorten und die gemeinsame Vermarktung wer-
den beträchtliche Synergieeffekte bewirkt.
Die unterschiedliche Herangehensweise auf saarländischer
und lothringischer Seite und der unterschiedliche Umgang
mit den Objekten können den Gesamteindruck bereichern.
Die Entwicklung im Carreau Wendel sollte von der saarländi-
schen Seite positiv begleitet werden.
49
4
Die Route der Industriekultur
Die Route der Industriekultur präsentiert Standorte und Ob-
jekte, an denen die Industriegeschichte des Saarlandes
grenzüberschreitend zusammen mit Lothringen und hinüber-
reichend bis nach Luxemburg (SaarLorLux) ablesbar wird.
Die Route der Industriekultur ist in drei Hierarchiestufen ver-
fasst:
Stufe 1 sind die „Ikonen“.
A 1
Die Ikone für Eisen und Stahl ist das
Hüttenwerk in Völklingen.
A 2
Die Ikone für Bergbau und Energie ist das
Carreau Wendel auf der lothringischen Seite.
50
Stufe 2
sind hervorgehobene Standorte, die in ihrer baulichen Anla-
ge und ihrer geschichtlichen Aussage unverzichtbar für das
Verständnis sind.
B 1
Mettlach für Keramik
B2
Saarbrücken mit Burbacher Hütte
B 3
Göttelborn Bergwerk der Neuzeit und Zukunftsstandort
B 4
Landsweiler-Reden für Bergbau im Saarkohle-Wald
B 5
Neunkirchen für Eisen und Stahl
B 6
St. Ingbert für Eisengießerei, Glas, Baumwolle und Bier
Stufe 3
schließlich besteht aus einem weit verzweigten System von
lokalen Fundstellen und industriegeschichtlichen Orten.
51
Die Route der Industriekultur ist weit mehr als die übliche
Präsentation einer „Touristenstraße“:
1. Die Route ist gegründet auf sorgfältiger Geschichtsfor-
schung, also auf historisch-wissenschaftlicher Grundlage.
2. Die Route präsentiert an den einzelnen Standorten Bau-
geschichte, Technikgeschichte und die nicht mehr un-
mittelbar ablesbare Wirtschafts- und Sozialgeschichte.
3. Die Route ist schließlich der programmatische Zusam-
menschluß von Veranstaltungen und Kulturangeboten an
den einzelnen Standorten. Sie ist auch die Ausstellung
der modernen technischen Entwicklungen und der neuen
Architektur.
Die Route der Industriekultur braucht daher ein „Programm-
Institut“, das Verantwortung für Seriosität, Klarheit der Prä-
sentation und profilierter Bewerbung trägt. Diese Intendanz
hält Qualitätsansprüche hoch, sorgt für die Reduktion auf
Wesentliches, wehrt auch Wachstum in die Breite und Wild-
wuchs ab, hat ein entscheidendes Mitspracherecht bei der
Vergabe öffentlicher Fördermittel.
52
Mit diesem Anspruch rückt die Route der Industriekultur in
den Mittelpunkt der Tourismuswerbung für das Produkt Indu-
striekultur im Saarland und im benachbarten Lothringen. Das
setzt voraus, dass sich die Bewerbung dieses neuen Tou-
rismusproduktes weitgehend unabhängig macht von den
häufig eher profillosen Fremdenverkehrswerbungen örtlicher
und regionaler Institutionen.
Eine Beschreibung der Route der Industriekultur mit allen
Standorten, verfasst von Herrn Johann Peter Lüth, kann auf
Anfrage zur Verfügung gestellt werden.
5
Die Ikone Völklinger Hütte
Die Völklinger Hütte umfasst ein Areal, das weit über das
engere Hüttenwerk hinaus reicht.
53
Für dieses Areal gab es zu Beginn der neunziger Jahre ei-
nen vorbildlichen städtebaulichen Wettbewerb, wobei die
Ergebnisse aus den verschiedensten Gründen nicht umge-
setzt wurden. Es sollte ein neuer Stadtteil mit gewerblich
nutzbaren Flächen entstehen.
Heute haben sich wesentliche Grundlagen des damaligen
Wettbewerbs verändert. Die Völklinger Hütte hat heute in der
Gesamtentwicklung der Stadt Völklingen einen anderen
Stellenwert. Sie ist Zentrum der Industriekultur und Standort
für die Kulturwirtschaft. Für die Entwicklung von Gewerbe
gibt es ausreichend andere Standorte in der Stadt.
Das Areal der Völklinger Hütte ist somit nicht länger ein
quantitativ ergiebiger Ansiedlungsstandort für den Raum
Völklingen. Für kulturwirtschaftlich orientierte Unternehmen
werden nur relativ kleine Flächen und Gebäude benötigt.
Diese verlangen allerdings eine moderne urbane Umgebung.
Für die bauliche und landschaftliche Gestaltung des Zu-
kunftsstandortes rund um die Hütte schälen sich vier
Schwerpunkte heraus:
1. Der Zugang von der Stadt zur Hütte muss großzügig,
fußläufig und repräsentativ dargeboten werden. Dazu ist
54
eine spannende Wegeführung, Platzgestaltung und Ge-
bäudekonfiguration zu planen.
2. Der „urbane Platz“ hinter der Gebläsehalle soll eine
hochwertige Randbebauung und eine sehr strenge kunst-
volle Platzgestaltung erhalten. Ein Teil dieser Randbe-
bauung ist durch den Wasserturm, das Technologiezen-
trum und die Benzolhäuser gegeben. Vor allem die Platz-
kante zur Eisenbahn hin bedarf der Ausfüllung mit neuer
hochwertiger Architektur.
3. Der Weg zum Wasser soll geöffnet werden. Das macht
nur Sinn, wenn es eine breite Passage hin zum Saarka-
nal gibt und die Saar eine Attraktion darstellt. So wie die
Saar heute dort liegt, ist das keine Sehenswürdigkeit für
ein anspruchsvolles Publikum. Also müssen Überlegun-
gen angestellt werden, wie die Ufer der Saar einschließ-
lich der alten Schleuse zum Ereignis gemacht werden
können.
4. Der Weg hinaus in die Landschaft und hinauf auf die Hal-
den ist der vierte bauliche Entwicklungsschwerpunkt für
diesen Zukunftsstandort. Dieser Weg überquert Eisen-
bahn, Saarkanal und Autobahn und führt hinauf auf eine
der beiden markanten Spitzkegelhalden (Herrmann oder
Dorothea). Es soll ein sehr breiter, in der Konstruktion
55
markanter hochgeführter Weg entstehen, der an die
Bandbrücken und Schienen des ehemaligen Massen-
transports auf der Hütte erinnert.
Für diese vier sehr unterschiedlichen baulichen Entwick-
lungsaufgaben ist es notwendig, in getrennten und gut vorbe-
reiteten Wettbewerben mit internationalem Anspruch eine
hohe Gestaltqualität zu formulieren.
56
Das Budget des ZukunftsstandortesVölklinger Hütte2001 – 2010 Mio. DM
1Investitionen in denEntwicklungsbereichen 1 – 4 50
2Pflege der Landschaftund Infrastruktur 10
Außerhalb der Betrachtung bleibt das von Bund und Landvereinbarte Budget für Sanierung und laufende Betriebsko-sten des Weltkulturerbes in Höhe von ca. 10 Mio. DM proJahr.
57
6
Die Landschaft in der Industrielandschaft
Der Saarkohlenwald
Industriekultur wird normalerweise nur in den Bauwerken
wahrgenommen. Ebenso wichtig aber ist die mit der industri-
ellen Produktion verbundene Umgestaltung der Landschaft.
Es sind dies mächtige Eingriffe in die Natur- und Kulturland-
schaft der vorindustriellen Zeit. Deswegen ist verständlich,
dass nach dem Weggang der Montanindustrie eine Re-
Kultivierung verlangt wird.
Ob die heute üblichen Re-Kultivierungsformen ökologisch
und kulturell wirklich sinnvoll sind, darf in Frage gestellt wer-
den. Möglicherweise ist damit ein erneuter Eingriff in Kultur-
und Natursysteme verbunden, der weder zurück zu dem ur-
sprünglichen Zustand noch vorwärts in eine neue Kultur-
schicht und in einen rücksichtsvollen Umgang mit dem Öko-
system führt.
Die Landschaft der Industrielandschaft sollte daher als eine
kulturelle Leistung verstanden werden, die ebenso bewah-
renswert ist wie die baulichen Zeugnisse und die technischen
Anlagen. Die Aufgabe heißt also Kultivierung und nicht Re-
Kultivierung.
58
Dieser Grundsatz wird auf mannigfache Widerstände bei den
Naturschutzorganisationen und den Umweltbehörden sto-
ßen, die bislang nach anderen Maßstäben vorgehen. Auch in
der Akzeptanz der Bevölkerung wird es Verständnisschwie-
rigkeiten geben, da die Vorstellung weit verbreitet ist, es
müsse nun die Harmonie mit der alten Kulturlandschaft wie-
der hergestellt werden.
Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Perspektive wird es
bedeutsam, wie die vielfältigen Aufschüttungen des Kohle-
bergbaus und der Hüttenindustrie in Zukunft behandelt wer-
den sollen.
Bildlich gesprochen sind diese Aufschüttungen Landmarken
der Industriezeit in der vorindustriellen Landschaft, die als
solche erhalten und sogar herauspräpariert werden sollten,
wobei innerhalb dieser kulturellen Perspektive der Natur eine
neue Position eröffnet wird. Diese neue Position heißt nicht
"gewaltsame“ Übererdung und Pflanzung, sondern belasse-
ne Kahlheit mit tolerierter Erosion und langsamer Bodenbil-
dung, viel Platz für Pioniervegetation, ein Biotop, weit selte-
ner und seltsamer als die heute so viel gehätschelten Trok-
kenrasen, Streuobstwiesen oder Feuchtbiotope.
59
Im bildlichen Eindruck könnten diese Aufschüttungen wie
Basaltvulkane aus dem üppigen Grün der vorindustriellen
Kultur- und Waldlandschaft herausragen.
Dies ist im Moment nicht mehr als eine eher theoretisch an-
mutende Vision, die vor allem dadurch in den Widerspruch
mit der Realität gerät, dass die Halden zumeist fertig ge-
schüttet sind und somit kein neues Material für die Heraus-
arbeitung einer prägnanten Form mehr vorhanden ist. Der
Konflikt mit den herkömmlichen Rekultivierungsvorstellungen
und den damit bereits getätigten Aufwendungen ist ebenso
naheliegend.
Trotzdem regt die Kommission an, dieses Thema noch ein-
mal vom Grundsatz her zu bedenken und einer gesonderten
Überlegung zuzuführen.
Diese besondere Landschaft der Bergehalden erstreckt sich
im Saarkohlenwald zwischen Saarbrücken und Neunkirchen.
Ein besonders auffallender „Sonderling“ ist die Bergehalde in
Ensdorf. Diese monolithische bergartige Erhebung im Saartal
fordert zu einer außengewöhnlichen Gestaltung als Land-
markenkunstwerk heraus. Die Ensdorfer Halde hat zugleich
das Zeug dazu, zu einer überregionalen Touristenattraktion
zu werden.
60
Budgetschätzung Mio. DM
1Landschaftliche undkünstlerische Gestaltungder Halden im Saarkohlenwald 10
2Die Halde Ensdorf 10
61
7
Die Landmarken des Saartales
Wenn im vorhergehenden Kapitel über ein Landmarkensy-
stem in der weiten, wenig besiedelten Waldlandschaft die
Rede war, sollen nun die Landmarken in einem dicht besie-
delten Industrieraum behandelt werden.
Der Raum mit einer besonders dichten Besiedlung aus der
Industriezeit ist der rund um Völklingen im Saartal.
Der Blick in diesen industriellen Siedlungsraum richtet sich
z.Z. ausschließlich auf die Völklinger Hütte. Das hat die Iko-
ne auch verdient.
Das Gesichtsfeld aber sollte geweitet werden, indem ein
ganzer Kranz von Landmarken die Größe dieses Siedlungs-
raumes markiert und darüber hinaus die geschichtliche und
topographische Orientierung erleichtert.
62
Deshalb sollen die Landmarken, wie sie nachstehend auf-
geführt werden, in einem Kontext erhalten und präsentiert
werden:
- die Spitzkegelhalden „Hermann und Dorothea“ der
SAARSTAHL AG i.K.
- die Kühltürme des Kraftwerkes Wehrden
- das stillgelegte Kraftwerk Wehrden
- das Hüttenwerk
- die beiden markanten Kirchtürme aus der Jahrhundert-
wende im Völklinger Stadtbild
- Kokerei und Gasometer Fürstenhausen
Diese vertikalen Landmarken werden durch langgezogene
horizontale Bänder entlang der Saar, die Walzstraßen, er-
gänzt.
Die Voraussetzung, um dieses Landmarkensystem bewusst
zu machen, ist ihr Erhalt. Deshalb sollte der Abriss des
Kraftwerkes Wehrden ebenso verhindert werden wie die Be-
seitigung der Kokerei Fürstenhausen.
Diese Landmarken sind Zeugnisse der Bau- und Technikge-
schichte. Sie bieten außergewöhnliche Raumerlebnisse in
ihrem Innern. Die Erfahrungen aus dem Ruhrgebiet lehren,
dass im Laufe der Zeit diese Räume die spektakuläre Kulisse
63
für Kulturereignisse und große Publikumsausstellungen her-
geben. Landmarken sind aber zuvorderst große topogra-
phisch wirkende Zeichen in der unübersichtlichen Industrie-
landschaft.
Die Bewahrung solch mächtiger Landmarken vor dem Abriss
wird nur möglich sein, wenn dafür eine eigenständige Auf-
fangorganisation in Gestalt einer Industriedenkmalstiftung
geschaffen wird (vgl. die Ausführungen zu Kapitel 12).
Budgetschätzung Mio. DM
1Investitionsmittel ausersparten Abrisskosten *
2Zusätzliche Investitionsmittelzur Gestaltung 25
3Mittel für einfachen Unterhalt 5
* nicht ermittelt, werden außerhalb des Budgets veranschlagt
64
8
Kultur in Industrieräumen
Die Phase der Großindustrialisierung liegt weitgehend in ei-
ner Zeit, die wir gerne unter dem Sammelbegriff Moderne
zusammenfassen. Viele moderne Werke der Musik, Malerei,
Literatur und Architektur sind im Geist der Industriezeit ent-
standen, setzen sich mit der Industriezeit auseinander oder
sind Elogen auf diese Zeit.“
Die Aufführungen dieser Werke dagegen wurden in die Säle
der großbürgerlichen Gesellschaft gezwängt: Die Musik in
die philharmonischen Orchester und in die Konzertsäle, die
nach den strengen Regeln der Feudalzeit organisiert und
gestaltet sind, die Literatur in die klassischen Theater und die
darstellende Kunst in die Museen.
Immer wieder sind Künstler und Kulturschaffende aus diesen
Zwangsjacken ausgebrochen. Die Landart-Künstler zum Bei-
spiel gingen hinaus in die einsamen Wüsten und in die peri-
pheren dünn besiedelten ländlichen Räume, die Maler und
Aktionskünstler in die Fabriken, die Literatur und die Bild-
hauerei auf die öffentlichen Plätze bis weit hinein in die
Landschaft (z.B. das Skulpturenprojekt in Münster oder die
Documenta in Kassel oder die Museumsinsel Hombroich),
Musik und Oper gingen Open air.
65
Ähnliche Entstehungsbedingungen und Präsentationsströ-
mungen sind in der Popular-Musik und im Event-
Entertainment zu beobachten.
Die Auswanderung in die eigentlichen Raumkonfigurationen
der Industriezeit, in ihre weitläufigen Industrieanlagen, war
bis vor kurzem nicht möglich. Erst die rasante Stilllegung rie-
siger Anlagen bot die Möglichkeit für Künstler und Kultur-
schaffende aller Art, diese Räume zu betreten, zu empfin-
den, zu besetzen und gestalterisch zu erobern.
„Kultur und Unterhaltung im Industrieraum“ ist nun die pro-
grammatische Forderung der Industriekultur, aus diesen
Trends und aus diesen Strömungen ein anspruchsvoll ge-
staltetes und professionell geführtes Angebot zu machen, um
auf diese Weise den Kulturschaffenden aller Art eine „neue
Bühne“ zu bieten.
Noch hat das Saarland mit der „Bühne Völklinger Hütte“ eine
europaweit einmalige Ausgangssituation und eine bislang
noch an keiner anderen Stelle wirklich genutzte kulturpoliti-
sche Chance.
Was sind die besonderen Reize für Kultur und Unterhaltung
im Industrieraum?
66
- Zuerst wird die nie gesehene und in den Raumdimensio-
nen außergewöhnliche „Kulisse“ wahrgenommen.
- Es faszinieren die intimen wie die übergroßen offenen
Räume in den Industrieanlagen und in den Produktions-
hallen.
- Dazu kommen die völlig andersartigen ästhetischen Rei-
ze, die von den gigantischen Stahlkonstruktionen ausge-
sendet werden.
- Da zwingen der mangelnde Komfort und schlechte Aku-
stik zu neuen Präsentationsformen und Inszenie-
rungsideen.
Diese außergewöhnlichen Reize wirken aber nicht nur auf
die Kulturschaffenden und die Ausstellungsmacher und die
großen Entertainmentveranstalter. Sie beeindrucken ebenso
stark das breite Publikum, weit stärker als Freilichtbühnen,
Open air-Plätze, Fußballstadien oder Stadtplätze bis hin zu
antiken Amphitheatern. Dies führt der Kultur in Industrieräu-
men einfacher als anderswo große Publikumsströme zu und
erschließt der schwer zugänglichen zeitgenössischen Kunst,
Literatur und Musik Publikumsschichten, die über die übli-
chen Darbietungsformen in den gewohnten Spielstätten nur
schwer ansprechbar sind.
67
Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass die Kultur-
schaffenden und die Anbieter von Unterhaltung das „so sein“
der Industrieräume akzeptieren und nicht den Versuch ma-
chen, diese nach Maßstäben und Komfortstandards zu nor-
malen Museen, Konzertsälen oder gar Kongresshallen hoch-
zurüsten. Das Beseitigen der außergewöhnlichen Situationen
wäre außerdem ökonomisch in doppeltem Sinne unsinnig.
Die hohen Investitionskosten ließen sich nicht wirtschaftlich
darstellen und der Konkurrenzvorsprung im Marketing gingen
verloren.
Am Standort Völklingen ist es möglich, den weltweit ersten
Anlauf zu machen, einen gesamten Industrieraum in die
„größte Bühnenlandschaft der Jetztzeit“ zu verwandeln. Es
soll eine Komposition von Open air bespielbaren Räumen,
angefangen beim kleinsten Modul eines Kammermusikrau-
mes, bis hin zum ganz großen Amphitheater verfügbar wer-
den und dazu kommen die geschlossenen Räume, die wie-
derum vom ganz intimen Saal bis hin zur großen Halle rei-
chen. In diese „Orgie der Bühnenlandschaft“ sind die Kühl-
türme und die Turbinenhalle des Kraftwerkes in Wehrden als
ganz besondere Räume mit hinzuzudenken.
Dies ist im Moment nicht mehr als das Erspüren einer gro-
ßen kulturpolitischen Chance mit einem beachtlichen öko-
nomischen Effekt. Mit guten Argumenten lässt sich behaup-
68
ten, dass der Industrieraum zum Experimentierraum für die
Kulturschaffenden der Jetztzeit werden könnte und ebenso
berechtigt ist die Annahme, dass davon ein kulturwirtschaftli-
cher Effekt ausgeht, der nicht hoch genug einzuschätzen ist.
500.000 Jahresbesucher für Theater, E-Musik, Popular-
Musik, große Ausstellungen, Kulturfeste in der Bühnenland-
schaft Völklingen sind eine realistische Zahl. Der Einzugsbe-
reich reicht weit über das Saarland hinaus. Dies ist ein „neu-
es Produkt“ im Kulturtourismus, das für den, der damit zuerst
anfängt und es wirklich groß ausgestaltet, ziemlich konkur-
renzlos dasteht. Das ist die wohl wirksamste Standortwer-
bung für das Saarland.
Diese Vision muss nun nach professionellen Kriterien kon-
kretisiert, baulich und im Programmangebot ausgestaltet und
unter Aspekten der Wirtschaftlichkeit unterfüttert werden.
Dazu soll eine Sachverständigenkommission mit einer
Machbarkeitsstudie beauftragt werden.
Budget für die Bespielungder Industrieräume2001 – 2010 Mio. DM
1Für das Programm„Kultur in Industrieräumen“ 80
2Für Marketing 20
69
9
Industriekultur in der Mitte der Strukturpolitik
Zur Strategie, die Industriekultur in die Mitte der Strukturpoli-
tik und der Kulturpolitik zu rücken, wurden im Kapitel 2 be-
reits die grundsätzlichen Aussagen gemacht.
Nun geht es darum, die Beschäftigungswirkungen genauer
zu systematisieren und zu erläutern.
Investitionen gleich welcher Art sind per se beschäftigungs-
wirksam, vorrangig in der Bau- und Anlagenwirtschaft. Das
gilt für den Autobahnbau ebenso wie für die Entwicklung von
Zukunftsstandorten mit Kultur. Insoweit sind die quantitativen
Nachweise der Beschäftigungswirkungen von öffentlichen
und privaten Investitionen nicht besonders aussagekräftig.
Für die politische Entscheidung über den Einsatz der knap-
pen öffentlichen Mittel sind viel mehr zwei andere Kriterien
entscheidungsbedeutend:
1. Wo hat das Saarland im Vergleich zu anderen Regionen
bei der „Infrastrukturausstattung“ genug und wo sind mit
Blick auf die künftigen Anforderungen an modernes Wirt-
schaften „Engpässe“ zu vermuten? Also lautet die Forde-
rung: „Nicht immer mehr vom gleichen, sondern Prioritä-
ten für noch nicht ausgebildete Standortqualitäten.“
70
(Die Ausstattung mit Verkehrswegen im Saarland ist zu-
mindest gesamtregional betrachtet nicht schlechter als in
konkurrierenden Regionen. Gleiches gilt vermutlich für
die technische Infrastruktur wie Energieversorgung, Was-
serversorgung und Abwasserbeseitigung bis hin zu Was-
serwegen. Verbesserungen in diesen Bereichen bringen
also keinen Wettbewerbsvorteil mehr, allenfalls etwas
mehr „Komfort“ für die Saarländer.)
2. Nicht die primären Beschäftigungswirkungen, die von In-
vestitionen aus Bau- und Anlagenwirtschaft ausgehen,
bilden den Standort. Es sind vielmehr die abgeleiteten:
- Wie ist die regionale Auswirkung, wieviele der getä-
tigten Aufträge verbleiben in der Region, weil diese im
Wettbewerb leistungsfähiger ist?
- Wie viele der Aufträge fordern vorhandene Unterneh-
men in der Region zu innovativen Leistungen und
neuen Antworten heraus; wie viele reizen Neugrün-
dungen von Unternehmen an?
- Wieviel „Nachrichtenwert“ haben die Aktivitäten der
Standortverbesserung in einer Mediengesellschaft, in
der der Regionen-Wettbewerb im wesentlichen über
Kommunikationsstrategien ausgetragen wird?
Industriekultur als Mittel der Strukturpolitik hat die Ausfor-
mung der „weichen Standortqualitäten“ im Visier, wobei in
71
Zukunft an die weichen Standortfaktoren vor allem ökologi-
sche und kulturelle Anforderungen gestellt werden.
Ohne Zweifel müssen die klassischen Kriterien der „Lage-
qualität“ und der Infrastrukturausstattung stimmen. Darüber
hinaus aber muss ein Standort Ereignischarakter haben, wo-
bei sich das Ereignis nicht rasch „abspielen“ darf, es muss
zumindest mittelfristige Beständigkeit haben. Unternehmen
der privaten und der öffentlichen Hand fühlen sich an sol-
chen Standorten wohl, weil sie sich in und mit diesen Stand-
orten selbst ausdrücken, auch ihren qualifizierten Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeitern ein Gefühl der besonderen Bedeu-
tung verleihen und nicht zuletzt werbewirksam damit arbeiten
können.
Industriekultur als Mittel der Strukturpolitik soll dem In-
dustrieland Saar ein ökologisches Fundament und ein
kulturelles Gesicht für die Zukunft geben.
Mit Industriekultur lässt sich ein doppelter Beschäftigungsef-
fekt erreichen. Industriekultur ist ein neuartiges touristisches
Produkt für die „Weltreisenden“, die schon fast alles gesehen
haben. Es sind dies Touristen, die mit hohem kulturellen An-
spruch vor allem Städte- und Kurzzeitreisen unternehmen.
Diese Gruppe trägt nicht nur Einkommen in die Region mit
72
Auswirkung auf Beschäftigung. Sie ist zugleich der wirksam-
ste Nachrichtenträger in der Standortwerbung.
Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, die räumlich und
sachlich recht verzettelte Werbung der Fremdenverkehrsin-
stitutionen, der Wirtschaftsförderungsinstitutionen und der
Imagewerbung zu durchforsten, strategisch neu zu ordnen
und auf eben diesen Schwerpunkt auszurichten.
73
10
Grundsätze der Organisation
Zur Bestimmung einer zweckmäßigen Organisationsform
sind nachstehend die wichtigen Aufgaben noch einmal be-
nannt:
1. Die Beschaffung von Sachverstand und Kreativität im
internationalen Maßstab für
- strategische Fragen (Besetzung und Führung von
Strategiekommissionen),
- - Vorbereitung und Durchführung von Kreativgesprä-
chen,
- Vorbereitung und Durchführung von Wettbewerbs-
verfahren der verschiedensten Form,
- Beschaffung von Sachverständigen für technische und
rechtliche Fragen, die bei der Realisierung unge-
wöhnlicher Lösungen benötigt werden.
2. Projektmanagement und Qualitätskontrolle bei wichtigen
Vorhaben innerhalb
- der Zukunftsstandorte,
- der Route der Industriekultur.
74
3. Intendanz für die Bespielung der Industrieräume mit Kul-
tur, Publikumsausstellungen und Unterhaltungsveran-
staltungen:
- Kultur in Industrieräumen
- Publikumsausstellungen in Industrieräumen
- große Feste an Industriestandorten
4. Die zentrale Präsentation der Industriekultur
- über die Route der Industriekultur,
- in der Standortwerbung des Saarlandes,
- im Bereich von Fremdenverkehr und Tourismus,
- im „Kulturkalender“ des Saarlandes und weit darüber
hinaus.
5. Die Vorbereitung einer großen Präsentation im
Jahre 2005.
6. Das wirksame Einbringen der Industriekultur in die
Strukturpolitik und in die Kulturpolitik des Landes.
Alle bestehenden Organisationsformen im öffentlich-
rechtlichen und privatrechtlichen Bereich der Landesregie-
rung und der kommunalen Gebietskörperschaften bleiben
grundsätzlich von der hier zu schaffenden Organisation un-
berührt.
75
Das bedeutet auch, dass die bestehenden oder neu zu
schaffenden Organisationen für die Entwicklung der Zu-
kunftsstandorte eine eigenständige Verfassung haben oder
erhalten.
Die hier zu bestimmende Organisationsform ist also eine
zentrale Instanz, die, ausgestattet mit politischem Einfluss
und hoher fachlicher Autorität, anregend und moderierend
tätig wird, mit gewissen Kontrollfunktionen ausgestattet ist
und die Zuständigkeit für die zentrale Präsentation erhält.
Für diese Aufgabe wird eine ausschließlich dem Land gehö-
rende Gesellschaft in der Rechtsform einer GmbH vorge-
schlagen. Den Vorsitz in dieser Gesellschaft führt der Mini-
sterpräsident in Person.
Für die Koordination innerhalb der Landesregierung sorgt ein
ständiger interministerieller Ausschuss unter dem Vorsitz des
Chefs der Staatskanzlei.
Die Einflussnahme auf die Träger der Projekte mit Bedeu-
tung für die Industriekultur (Zukunftsstandorte, etwaige Kul-
tureinrichtungen) erfolgt über Kooperationsverträge und
Qualitätsvereinbarungen.
76
Das bedeutet auch, dass die existierende Trägerschaft für
die Völklinger Hütte von dieser neuen Organisationsform un-
berührt bleibt.
Diese Organisation wird mit zeitlicher Begrenzung geschaf-
fen. Sie hat eine Laufzeit von längstens 10 Jahren und wird
nach 5 Jahren überprüft.
Demgegenüber müssen Rechtsformen und Trägerschaften
für die einzelnen Projekte dauerhafte Einrichtungen darstel-
len. Auch dies ist ein Argument, weshalb die einzelnen Pro-
jektträgerschaften unabhängig von der „zentralen Intendanz“
verfasst sein sollen.
77
11
Finanzierungsstrategie
Der wichtigste Grundsatz:
Der Finanzbedarf der Industriekultur im Saarland ist für
die öffentlichen Haushalte des Landes und der kommu-
nalen Gebietskörperschaften finanzneutral zu gestalten.
Die Finanzierung wird also nur durch Umschichtungen in den
einzelnen Haushalten oder durch entsprechende Prioritäten-
setzung in den Förderprogrammen möglich. Daher die Ab-
sicht, die Industriekultur „in die Mitte“ von Strukturpolitik und
Kulturpolitik zu rücken.
Diese Umschichtungen können jedoch nicht allein durch die
Modifikation jährlicher Förderprogramme oder im Rahmen
der jährlichen Haushaltsplanungen erfolgen.
Um einerseits Planungs- und Realisierungssicherheit für ei-
nen langen Zeitraum zu gewähren und andererseits auch
einen realistischen finanziellen Handlungsrahmen vorzuge-
ben, sind Budgets zu definieren und verbindlich zu verabre-
den, die
- einerseits groß genug sind, um den Anspruch einzulösen,
das Saarland als Industrieland zu positionieren,
78
- - andererseits aber auch die Verpflichtungsnotwendig-
keiten für andere Aufgaben zu respektieren, den Umver-
teilungsspielraum also realistisch einzuschätzen.
Wesentlich und ergiebig für die Finanzierung der Industrie-
kultur sind eigentlich nur zwei Haushaltsbereiche:
1. Die Mittel der Strukturförderung der Europäischen Union,
EFRE und ESF samt Gegenfinanzierung durch das Land.
2. Die Mittel für Städtebauförderung, Umweltpolitik und
Wirtschaftsförderung des Landes samt Mitfinanzierungs-
anteilen des Bundes, soweit gegeben.
Dagegen kann der Kulturhaushalt des Landes im engeren
Sinn für eine strategische Finanzüberlegung außer acht ge-
lassen werden.
Zumindest mittelfristig ist anzustreben, eine eigenständige
Finanzierungsquelle für den dauerhaften Finanzierungsbe-
darf der Industriekultur im Saarland zu schaffen. Dies kann
einerseits durch die Gründung einer Stiftung geschehen, die
überwiegend private Zuwendungen akquiriert. Die finanzielle
Ergiebigkeit einer solchen Stiftung sollte zurückhaltend ein-
geschätzt werden. Zu überlegen ist auch eine neue Einrich-
79
tung des „Glücksspiels“, sei es eine Spielbank oder eine
Lotterie.
Um nun eine Vorstellung zu vermitteln, in welchen Größen-
ordnungen sich die Finanzbedarfe in den nächsten 10 Jah-
ren bewegen könnten, werden Modellannahmen gemacht,
die absichtlich nicht auf Kostenkalkulation beruhen. Diese
wären zum gegenwärtigen Zeitpunkt ohnehin nicht möglich.
Es handelt sich stattdessen um Budgetvorgaben, die von
vornherein den begrenzten Spielraum deutlich machen, so
dass sich das Machbare danach auszurichten hat.
Drei unterschiedliche Budgetarten sind dabei zu unterschei-
den:
1. Das Budget für Investitionen an den Zukunftsstandorten
und innerhalb der Route der Industriekultur.
2. Das Budget für die hochkarätige Bespielung der Indu-
strieräume mit Kultur und Ausstellungen.
3. Das Budget für den „Eigenbedarf“ der IndustrieKultur
Saar GmbH.
Die Größenordnungen dieser Budgets sind in der nachste-
henden Tabelle enthalten. Sie haben im Rahmen des Kom-
80
missionsberichtes lediglich die Funktion, politisch abschätz-
bar zu machen, ob die von der Kommission vorgetragenen
Vorstellungen überhaupt finanziell darstellbar sind.
Budget-Überlegungen (in Mio. DM)„IndustrieKultur Saar“
2001 – 2005 2006 – 2010
1Zukunftsstandorte
1.1Göttelborn 60 10
1.2Reden 40 20
1.3Völklingen 50 10
2Die Bergehalden-Landschaft 15 5
3Landmarken desSaartales 25 5
3Bespielung derIndustrieräume 50 50
4Route der Industriekultur 15 5
5Eigenbedarf +„Freie Mittel“ derIndustrieKultur Saar GmbH 15 15
Summe 1 – 5 270 120
81
Die laufenden Betriebskosten für Instandhaltung von Gebäu-
den, Personal, Service und Präsentation an verschiedenen
Projekten der Industriekultur können an dieser Stelle nicht
benannt werden, dazu sind die Aufgaben und die Verfassun-
gen dieser Projekte zu unterschiedlich und zum großen Teil
auch noch zu weit in der Zukunft gelegen. Es wäre auch
strategisch falsch, hier ein Budget zu benennen, denn dies
könnte die Erwartungshaltung nähren, dass es dazu eine
dauerhafte Kostgängerschaft im Landeshaushalt geben
könnte.
Gleichwohl wird sich letztlich doch nicht vermeiden lassen,
dass für einige wenige ausgewählte Aufgaben und Einrich-
tungen der Industriekultur entweder eine maßgebliche dau-
erhafte Mitfinanzierung aus einem Landeshaushalt oder eine
ausschließliche landeseigene Trägerschaft notwendig wird.
Das hindert nicht, dass jede einzelne Einrichtung einen mög-
lichst hohen Kostendeckungsgrad durch Erträge und Zuwen-
dungen Dritter zu erzielen hat.
82
12
Eine Stiftung der Industriekultur
In Abwandlung der erfolgreichen Einrichtung im Ruhrgebiet,
der „Stiftung für Industriedenkmalpflege und Geschichtskul-
tur“, sollte auch im Saarland eine solche Einrichtung ge-
schaffen werden.
Das Thema Industriekultur braucht Akzeptanz, Unabhängig-
keit und Zeit.
Akzeptanz für manchmal schwierige und ungewöhnliche
Projekte vor dem Hintergrund der vielfältigen Partikularinter-
essen der Denkmaleigentümer, der Kommunen, von Unter-
nehmen und Interessengruppen.
Unabhängigkeit für die Durchsetzung auch von ungewöhnli-
chen Projekten und Prozessen.
Zeit für die ungestörte Arbeit im Ringen um die wirklich trag-
fähigen und nachhaltigen Lösungen.
Eine Stiftung „IndustrieKultur Saarland“ könnte das Instru-
ment für Akzeptanz, Unabhängigkeit und Zeit sein.
83
Ihre primäre Aufgabe ist, Anlagen und zugehörige Liegen-
schaften von Industrieunternehmen nach ihrer Stilllegung zu
übernehmen und auf einfachstem Niveau vor einem unkon-
trollierten Verfall oder gar einem planmäßigen Abriss zu be-
wahren.
Die Gebäuderestwerte sowie die Anlagenrestwerte werden
bei der Übergabe an die Stiftung mit Null bewertet. Die Ab-
risskosten werden kalkuliert auf der Grundlage von Erfah-
rungswerten und Ausschreibungen. Gleiches gilt für die De-
kontaminierungsnotwendigkeiten. Dieser Betrag wird dann
als „ersparte Abrisskosten“ zusammen mit den Bauten und
den Anlagen sowie den im Einzelfall zu bestimmenden Lie-
genschaften an die Stiftung übergeben.
Diese Stiftung sollte getragen sein (Stifter) vom Land Saar-
land und den Unternehmen, die Eigentümer von Objekten
der Industriekultur sind.
Als Unternehmen sollten die Deutsche Steinkohle AG/RAG
und die SAARSTAHL AG gewonnen werden, aber auch
weitere Unternehmen. Dies geschieht mit der Übergabe der
Anlage an die Stiftung. Dann werden die Alteigentümer auch
Mitglied in der Stiftung, falls sie das wollen. Eine andere
Form wäre die der „Zustiftung“.
84
Die Stiftung übernimmt die Liegenschaftsverwaltung und die
Ordnungssicherheit für Anlagen und Gelände. Ihre Stammfi-
nanzierung ist der Kapitalertrag. Darüber hinaus kann die
Stiftung Fördermittel empfangen. Sie kann insbesondere mit
Hilfe von Projekten der Arbeitsbeschaffung und Qualifizie-
rung einen beachtlichen Teil ihrer Aufgaben erledigen und
auf diese Weise die Personalkosten niedrig halten.
Trotzdem braucht die Stiftung gleich zu Beginn einen be-
achtlichen Kapitalstock, da sie sich mit der Übergabe von
Anlagen erst allmählich in eine ausreichende Größenord-
nung hinein entwickelt. Dieser Anfangsbetrag wird wohl von
der Landesregierung in die Stiftung eingebracht werden
müssen. (Die Stiftung im Ruhrgebiet hat vom Land einen
Anfangsbetrag von 40 Mio. DM erhalten.)
Schon zu Beginn sollten die Standorte Reden und Göttel-
born, das Kraftwerk Wehrden mit den Kühltürmen, Teile der
Kokerei Fürstenhausen (Gasometer) der Stiftung übertragen
werden.
Anreiz für die Unternehmen könnte eine Verabredung über
eine besonders pragmatische betriebs- und entwicklungsori-
entierte Vorgehensweise auf den mit untergeordneten Indu-
striedenkmalwerten versehenen übrigen Flächen sein (in
NRW sind so über 100 Flächen verfügbar geworden).
85
Die Stiftung hätte gemeinsam mit den anderen Akteuren die
Idee der Industriekultur zu fördern und auf der Zeitachse die
ihr zugeordneten Projekte, von anderen Interessen unab-
hängig, in diesem Sinne zu entwickeln.
Dazu bedarf es einer kleinen, aber effektiven Organisation
mit breitem Hintergrund. Die Stiftung sollte eine Geschäfts-
führung, einen Vorstand und ein Kuratorium haben. Die Ge-
schäftsführung sollte mit der notwendigen fachlichen und
operativen Kompetenz ausgestattet sein. Der Vorstand re-
präsentiert die Stiftung und sollte durch Vertreter der wesent-
lichen Stifter und einen Vertreter der Region gebildet werden.
Das Kuratorium bildet sich neben den Stiftern aus wichtigen
Repräsentanten, die für das Thema Industriekultur bedeut-
sam sind. Der Ministerpräsident sollte das Kuratorium leiten.
Die Stiftung sollte darüber hinaus einen Förderkreis initiieren,
der insbesondere die saarländische Unternehmerschaft ein-
bindet, der ergänzend die Projekte unterstützt.
86
13
Das Ereignis 2005 – Die Vision
Industriekultur ist bereits heute im Saarland präsent, haupt-
sächlich verbunden mit der Völklinger Hütte.
Die Präsentationsaktivitäten werden sich begleitend zur Ar-
beit, die nun die Landesgesellschaft der IndustrieKultur Saar
leistet, verstärken und räumlich sowie sächlich erweitern.
Im Jahre 2005 sollte es einen ersten viel beachteten Höhe-
punkt geben:
Ein Fest für das Industrieland Saar.
Dafür könnte sich eine Landesausstellung eignen mit dem
Titel „Industrieland Saar“. Diese Landesausstellung stellt den
Industriestandort Saar mit der Geschichte und der Zukunfts-
perspektive der saarländischen Bevölkerung und weit dar-
über hinaus dar.
Diese Landesausstellung könnte an vier Standorten jeweils
unterschiedliche Top-Ereignisse im Programm haben. Der
Designpark und das Zentrum für Design, moderne Kunst,
Architektur und Medien am Zukunftsstandort Göttelborn ist
bis dahin fertig.
87
Die Grube Reden am Zukunftsstandort Reden präsentiert
sich als Dornröschenpark. Dort wird das Besucherbergwerk
eröffnet.
Die Völklinger Hütte hat eine erste große Erhaltungsstufe
hinter sich und präsentiert sich in der Umgebung mit neuen
Plätzen, mit der Passage zum Wasser und mit dem Weg auf
die Spitzkegelhalden in einem neuen Gewand. Dort wird
Weltklasse im Bereich der „Kultur im Industrieraum“ gespielt.
Das Kraftwerk in Wehrden zeigt in einer großen Publikums-
Ausstellung die innovativen Produkte der Vergangenheit und
die neuen Produkte des heutigen Saarlands.
Die Ankerpunkte der Route der Industriekultur präsentieren
sich mit einem hervorgehobenen Programm.
Es gibt zwei große Open-air-Feste:
- eines am Standort der Völklinger Hütte
- ein zweites im Carreau Wendel
Das sind grenzüberschreitende internationale Feste für ein
Massenpublikum.
Mit diesem Fest der Industriekultur im Jahre 2005 ist eine
europaweite Tourismuswerbung für SaarLorLux verbunden,
für Städtereisende und Kulturreisende.
88
Dieses Programm müsste zumindest das Niveau einer „Kul-
turhauptstadt Europa“ erreichen, wenn auch dieser Titel in
der Kürze der Zeit für das Saarland wohl nicht mehr zu ak-
quirieren sein wird.
Wenn Teile aus diesem Programm dann zu einer grenzüber-
schreitenden dezentralen Gartenschau verbunden werden,
dann macht dieser Typ von Gartenschau im Vergleich zu den
herkömmlichen Konzepten durchaus einen Sinn.
89
Anders sehenText von Helga Knich-Walter zu Bildern von André Mailänder
Aus dem Beifahrerfenster schauen, während man über die
Autobahn im Bogen an Völklingen vorbei gleitet. Die Augen
machen Bilder, die Blicke rücken nach, die Bilder setzen sich
im Kopf zusammen. Vertrautes sieht anders aus.
Die alte Hütte mitten in den undurchschaubaren Produkti-
onsanlagen, ein Juwel in Rost, eingebettet in die vielen For-
men drum herum. Die Silhouette einer Stadt heute, von ge-
stern für morgen.
Das Kraftwerk Wehrden sieht man, und doch erkennt man es
nicht. Wäre es einmal nicht mehr da, woran hielte sich der
Blick? Welches Bild würde vorbeiziehen, würde bleiben ?
Bilder, zusammengesetzt auf diese Weise zeigen nicht Still-
stand und Verfall. Sie zeigen eine neue Welt, eine neue
Wahrheit.
Sieht man die Bilder so, sieht man in all den Anlagen und
Formen Zeichen, die nicht nur jetzt das Bild vervollständigen,
sondern Zeichen, die auch für eine neue Zeit taugen. Sie
zeigen an, dass mit dem weiter gemacht werden kann, was
die alte Zeit der schweren Industrie aufbaute, um höchst
produktiv zu sein. Was man so sieht, das kann so sein, das
kann so werden, das ist so. Weiter machen, nicht „weg ma-
chen“.
Das Walzwerk am Nauweiler Gewann wird, -kneift man die
Augen zusammen, verengt man den Blick und dreht den
Kopf langsam-, ganz lang. Es ist lang, eines der längsten.
Das Längste?
Ein Wert, den man sieht, wenn man anders hin guckt.
Hinter der langen Wand wird Stahl gewalzt und hart poliert.
90
Da geschieht Gigantisches, in der Hütte geschah Schwer-
wiegendes. Nun verfällt die Maschine Hochofen und wir se-
hen die Reste produktiver Taten. So gesehen weiß man,
dass Vieles geht , doch nicht alles ist machbar und die Dinge
sind vergänglich. Die Bilder erhalten, um daran zu erinnern.
Ein Fotograf hält diese Bilder fest, mit einer Kamera, mit sei-
nem Blick. Dem Betrachter sind sie fremd, auch wenn er die
Motive kennt.
Das Motiv zur Erneuerung ist die Notwendigkeit, die Dinge
anders zu sehen.
Industriebauten, die man nicht mehr braucht reißt man nicht
ab, wenn man die Bilder, entstanden aus dem langsam sich
drehenden, wandelnden Blick, anders sieht. Dann sind es
Bilder für eine Zukunft, die mit den Symbolen der Kraft aber
auch mit den Zeichen der Vergänglichkeit die Zukunft ge-
stalten wollen. Neu gestalten, aus Fehlern lernen.
Die Schwerindustrie war raumgreifend. Auch neue Wirt-
schaftsbetriebe greifen Raum. Wenn sie es tun, sollten sie
intelligent gestaltet sein.
Ein Gesicht unserer Zeit, das sich sehen lassen kann.
1929 sagte der Architekt Fritz Schupp, Industriebauten seien
keine störenden Glieder im Stadtbild oder in der Landschaft,
sondern Symbole der Arbeit, Denkmäler der Stadt, die mit
Stolz dem Fremden gezeigt werden sollen, wie andere Ge-
bäude auch. Und er baute in Essen die Zeche Zollverein.
Wie schnell ist die Zukunft Vergangenheit.
Göttelborn, ein perfekt gestalteter Förderturm. Ein Bild von
einem Bock verheißt Großes. Die Anstrengung, die hier vor
gar nicht langer Zeit gemacht wurde, schaut auf den Bildern
zwischen den Häusern der Menschen hindurch. Da stehen
91
die schon vergangene Zukunft und die noch nicht begonnene
gleichzeitig. Stünden sie nicht hier, was dann? Man könnte
nicht hinauf fahren durch den dunklen Turm und oben, wie-
der im Licht, herunterschauen auf ein Bild in Schwarz und
Weiß, aus Landschaft und Kunst, in Vergangenheit und Zu-
kunft, ganz anders, nie gesehen. Ein Weitblick. Ein Ort mit
klaren Bildern.
Hier muss die Arbeit neu werden, von hier die Dinge anders
bewegen. Vorsehen und Nachdenken. Ein Ort, an dem die
besten Geister über die Gestaltung der Zukunft nachdenken,
mit viel Freiheit. Und alles im wahrsten Sinne des Wortes.
„Die Gestaltung des Verfalls ist der Anfang für Kulturwirt-
schaft.“ So schrieb Prof. Karl Ganser und baute eine neue
alte Wirklichkeit mit der IBA Emscherpark.
Viele können unter dem weißen Bock arbeiten, zwischen den
Wohnhäusern, den Maschinenhäusern. Neben dem Förder-
turm, das Bauhaus des 21. Jahrhunderts. Bock auf Zukunft?
In Reden kann man auch hinschauen und gucken was
kommt? Das weiß man heute nicht immer, morgen vielleicht,
übermorgen bestimmt.
Die Tore der Stadt sind oft grau. Hochregallager, Profilblech-
verlegenheiten, Arbeitsplatzgehäuse. Man sieht die Men-
schen nicht dabei. Können die Menschen darin noch sehen?.
Nicht suchen, sondern finden. Wie findet man Landschaft,
die gemacht ist, nicht von der Natur, sondern von der Indu-
strie. Nicht zufällig und doch zufällig so, wie sie geschüttet
wurde. Haldenereignis. Ringsherum sehen alle Berge wie
Berge aus, nur die Halden nicht. Die Natur ist umgekrempelt
und präsentiert sich dabei dem Auge so ordentlich. Es
schweift darüber, über Formen, Farben, Figuren, Fantasien,
92
über den Bergbau. Eine Herausforderung zum Experiment,
künstlerisch, kulturell, politisch, wirtschaftlich.
Wenn man oben steht und die Reste von Reden sieht, redet
der Kopf. Man kann ihn langsam bewegen, viele Bilder se-
hen und dabei an neue Inhalte denken. Derweil geschieht,
bis neues da ist, das Spektakel des Dornröschenschlafs. Ein
fantastisches Bild, sieht man es so. Alles ist möglich, aber
auch vergänglich. Nicht vergessen. Nur nicht vergessen. Al-
tes neu sehen ist ökologisch, es unsichtbar machen und
energiereich wieder erstellen nicht.
Einmalig und aufregend ist diese Landschaft. Nichts daran ist
normal und alles ist Kultur. Authentisch, echt zuverlässig,
verbürgt. Die Bilder der Industrielandschaft setzen auf das
Authentische, Erneuerung schaffend, Neues beinhaltend. Die
Bilder der saarländischen Industrielandschaft setzen auf In-
novation. Sie sind auf neuem Weg. Man kann sie nicht mehr
zerstören ohne sie zu verraten, zu verstümmeln.
Lange waren die Blicke auf die alte Industrie verhangen von
Tränen der Trauer und der Wut, weil vieles vorbeigegangen
ist und nichts anderes da war. Doch nach einer Weile wer-
den die Blicke klar, gewinnen an Schärfe, werden heller, sind
Zukunft. Es sind die selben Motive.
93
Anmerkungen der Landesregierung
Der Bericht gibt das Ergebnis der Bera-tungen der Kommission “Industrieland-Saar” wieder.Der Ministerrat hat den Bericht in seinerSitzung vom 19. September 2000 zurKenntnis genommen und beschlossen,ihn dem Landtag des Saarlandes zur Bera-tung zu übersenden.
Des Weiteren hat der Ministerrat die Betei-ligten gebeten, weitere Maßnahmen unver-züglich in Angriff zu nehmen. Hiervon umfasstist auch die Prüfung, in welchem Umfang dasvon der Kommission vorgeschlagene Budgetfür die IndustrieKultur finanziert werden kann.Der Ministerrat hat in diesem Zusammenhangbetont, dass das vorgeschlagene Budget aufBerechnungen der Kommission beruht unddass im Rahmen der künftigen Prüfungen zuberücksichtigen ist, dass dieses Budget ei-nem Finanzierungsvorbehalt unterliegt. Hier-bei geht der Ministerrat davon aus, dass dieVorstellungen der Kommission nicht allein mitMitteln des Landes umzusetzen sind, sonderndass es hierfür auch Mittel aus anderen Fi-nanzierungsquellen bedarf.Der Ministerrat hat ferner deutlich gemacht,dass IndustrieKultur als Grundlage für Wirt-schaftsförderung und Kulturpolitik im Saar-land eine langfristige Aufgabe ist.
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