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lEIBnIZ:.EIn.aKtUEllER.PhIloSoPh

Werner Eisner

Die. Beiträge. in. diesem. Band. sollen. das.arbeitsspektrum. von. leibniz. in. seiner.vollenBreiteabdecken,vondenGeisteswissenschaftenüberdieJurisprudenz,diePolitikunddieSozialwissenschaftenbishinzuMathematik,LogikundTechnik.ImFolgendensollinderEinführung,Kommentierungundz.T.auchErweiterungderhierabgedrucktenVorträgezumeinendeutlichwerden,wasfüreinuniversalerKopfLeibnizwar, inwie vielenFacetten der damaligenWissenschaften er sichbestens.auskannte..Zum.anderen.möchte.ich.aber.auch.zeigen,.dass.uns.der.große.UniversalwissenschaftlernichtnuraushistorischenGründenangeht,sondernunsauch.heute.noch.viel.zu.sagen.hat,.mithin.ein.aktueller.Philosoph.ist.

1..BIoGRaPhISChES.(hIRSCh),.hIStoRISChES.(haUPtMEyER)

Der.bekannte.leibniz-Biograph.Eike.Christian.hirsch.hat.die.Vorlesungsreihe.mit.Bemerkungen.zur.Biographie.leibniz’.eröffnet.1.Es.zeigt.sich.uns.ein.umtriebiges.Universalgenie,dasinzahlreichenwissenschaftlichenunddiplomatisch-politischenFeldernzuhausewar,einIntellektueller,dereinederumfangreichstenundauchqua-litativ. interessantesten.Korrespondenzen.mit. fast.allen.damals.bekannten.Wissen-schaftlerngeführthat,einwissenschaftlicherOrganisator,dernachenglischemundfranzösischem. Vorbild. die. „Societät. der. Wissenschaften“. (die. spätere. preußische.akademie.der.Wissenschaften).gegründet.hat..auf.der.anderen.Seite.begegnet.uns.ein.einsamer.Mensch,.ohne.Familie.und.enge.Freunde,.ein.Workaholic,.der.zuletzt.auch.von. seinem.Dienstherrn. (dem.englischen.König). ins.abseits.geschoben.und.ohneBeteiligungdesHofesundohneAnerkennunginHannoverbeigesetztwurde.

WiemansichdiesenschonaufdenerstenBlickwidersprüchlichenMenschenvorzustellenhat,gehtauseinerSelbstbeschreibunghervor,dieeretwaimAltervondreißigJahrenverfassthat:

Eristhagerer,mittlererStatur,hateinblassesGesicht,sehroftkalteHände,Füße,wiedieFin-ger.seiner.hände.nach.Verhältnis.der.übrigen.teile.seines.Körpers.zu.lang.und.zu.dünn.sind,.undkeineAnlagezuSchweiß.SeineStimmeistschwachundmehrfeinundhellalsstark,auchist. sie.biegsam,.aber.nicht.mannigfaltig.genug.. […].Er.hatte.von.Kindheit. an.kein. scharfes.Gesicht […]SeinHang zurGesellschaft ist schwächer als derjenige,welcher ihn zumein-samenNachdenkenundzurLectüretreibt.BefindetersichaberinGesellschaft,soweißersieziemlichangenehmzuunterhalten,findetaberseineRechnungmehrbeischerzhaftenundhei-terenGesprächenalsbeiSpieloderZeitvertreiben,welchemitkörperlicherBewegungverbun-densind.ErgerätzwarleichtinHitze,seinZornistaufbrausend,gehtaberschnellvorüber.Manwirdihnniewederausschweifendfröhlich,nochtraurigsehen.SchmerzundFreudeemp-

1. .Vgl..auch.hirsch.(2000)..

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findeternurmäßig.DasLachenveränderthäufigerseineMiene,alsesseineinnerenTheileerschüttert“.(Finster./.v.d..heuvel.2005,.S..20).

Man.kann.sich.vorstellen,.dass.ihn.diese.Eigenschaften.nicht.unbedingt.zum.diplo-matischenDienstqualifizierten,wosicheinDenkermitEckenundKantenbeidenhohen.adligen.herrschaften.nicht.gerade.beliebt.machte..Exemplarisch.möchte.ich.hiereinediplomatischeMissionerwähnen,diezeigt,wieweitreichendundweit-denkendLeibnizschoninjungenJahrenauchaufdiesemGebietwirkte,obgleichdieMissionerfolgloswar:

Es.handelt.sich.um.das.so.genannte.„Consilium.aegypticum“,.ein.Plan,.den.Leibniz imDienste desKurfürsten vonMainz entwickelt hatte, umFrankreichsExpansionsdrangvonEuropaweghinzuÄgyptenzulenken.Napoleonhatspäterdiesen.Plan.gelobt,.er.hatte.selbst.ein.ähnliches.Projekt.verfolgt.und.nach.der.Be-setzung.hannovers.1803.von.den.Vorstellungen.des.Gelehrten.erfahren.2.Bemer-kenswertandiesenÜberlegungensindz.B.dieVorteile,dieLeibnizeinemmariti-menKanalzwischendemMittelmeerunddemRotenMeerzuschrieb,demspäterenSuez-Kanal. (napoleon.Bonaparte.hatte.auch.hier.ähnliche.Vorstellungen,.er. ließ.sogar. den. Ingenieur. lepère. 1798. Vermessungen. durchführen).. Bezeichnend. ist.aberauch,dassausdemgenialenPlannichtswurde,LudwigXIV.ließsichnichtdaraufein,LeibnizwurdenichteinmaldieGelegenheitgegeben,ihmdenPlanzuerläutern.(vgl..hirsch.2000,.S..19.ff).

WieesumdieRollederWissenschaftinjenerZeitbestelltwar,lässtsichan-hand. einer. anderen. Geschichte. um. leibniz. gut. demonstrieren.. Bekanntermaßen.wurdeLeibnizdurchseinenenglischenKollegenIsaacNewtonineinenunerfreu-lichenPrioritätsstreitverwickelt, der ineinemPlagiatsvorwurfgegenüberLeibnizgipfelte,dieserhättedurchSchriftenNewtonsdieentscheidendenInformationenfürdieEntwicklungderInfinitesimalrechnungerhaltenunddiesesdannalseigeneEnt-wicklung ausgegeben. Eine „unabhängige“Kommission derRoyal  Society  hat. in.diesemSinnegegenLeibniz entschieden.ErstMitte des 20. Jahrhunderts konntezweifelsfreigeklärtwerden–wieauchHerbertBregerinseinemBeitraghervorhebt–,dassLeibnizvölligunschuldigwarundhiereinedergarnichtsoseltenenwissen-schaftlichenParallelentwicklungenstattgefundenhat.3.nun.zur.eigentlichen.Pointe:.Dem.arbeitgeber.unseres.Philosophen,.dem.nach.london.übergesiedelten.Kurfürs-tenGeorgLudwig (nun durchErbfolge der englischeKönigGeorg I.)war es zuohren.gekommen,.dass.sein.in.hannover.zurück.gebliebener.angestellter.des.Plagi-atsbeschuldigtwordenwar.ObwohlderKönigLeibniznichtgeradewohlgesonnenwar(ersollteinHannoverdieWelfengeschichtezuEndebringenunddurftenichtmitnachLondonübersiedeln),bestellteernundochNewtonzusich,umgenauereAufklärung zu erlangen.Anstatt aber nun dieVorwürfe zuwiederholen bzw. zubegründen,spielteNewtondieSacheherunter,esgingelediglichumdiePrioritätderEntdeckungunderwärenuneinmaldererstegewesen,Leibniz’eigenständige

2 DassNapoleonnachLeibniz’Plänenverfahrenwar,wiebisweilenzulesenist,gehörtaller-dings.ins.Reich.der.legenden.

3. 1949.konnteJosephEhrenfriedHofmanndiegegenLeibnizvorgebrachtenargumente.detail-liertwiderlegen,vgl.Hofmann(1949).

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LeistungbeiderEntwicklungderDifferential-undIntegralrechnungspracherihmnichtab.NatürlichwardasHeuchelei,denndaLeibnizvonsichausgarnichtdiePrioritätNewtonsbei derEntwicklungangezweifelt hatte, hätte sichderStreit inNichts aufgelöst.GanzoffensichtlichwarNewtondasRisikozuhoch,gegenüberseinemKönig(deralsnichtgeradeauskömmlichgalt)unbewieseneBehauptungenin.die.Welt.zu.stellen,.ohne.diese.hinreichend.belegen.zu.können..trotzdem.ging.die.DiffamierungskampagnegegenLeibnizweiterundEnglandhatsichdadurchüberJahrehinausvomkontinentalenmathematischenFortschrittabgekoppelt.

noch.ein.Wort.zum.historiker.leibniz..leibniz.hat.ja.jahrelang.an.der.Welfen-geschichte. gearbeitet. und. dies. durchaus. zum. nutzen. seines. landesherrn,. dem. er.historischeArgumentationenfürdenAnspruchaufdieKurwürdeandieHandgab.aber.Carl-hans.hauptmeyer.hebt.in.seinem.text.in.diesem.Band.hervor,.dass.leib-nizzwardiepraktischeAnwendunggeschichtswissenschaftlicherErgebnisseviel-fachrealisierte,dasseraberkeineswegsGeschichtealsLegitimationswissenschaftmissbrauchte,sondernimGegenteilquellenkritischeReflexionundObjektivitätinsZentrum.seiner.historischen.Forschungen.stellte..Er.kann.daher.mit.Fug.und.Recht.alseinVorläufer,jagenialerAntizipatorderwissenschaftlichenIdealedesHistoris-musim19.Jahrhundertgelten,dereineRevolutionimSinneeinesParadigmenwech-sels in derGeschichtswissenschaft darstellte.4 Bei Leibniz finden sich in diesemKontext.z..t..auch.schon.ganz.modern.anmutende.sozial-.und.kulturhistorische.Skiz-zen,etwaüberdiemittelalterlicheAgrarverfassungoderdenUrsprungdesRitter-tums.FolgendeEinschätzungfürdieGeschichtswissenschaftdes19.Jahrhundertsgilt–cum grano salis –schonfürvieleArbeitendeshannoverschenGelehrten:

„DieGeisteswissenschaften…wurdenim19.JahrhundertdurchdieErkenntnisvonGeschicht-lichkeit,oderallgemeiner:vonderErkenntnisderBeeinflussungdereigenenSichtdurchdiejeweiligehistorischeundkulturelleSituierungumgekrempelt.DasbedeuteteinsbesonderedieEinsicht,dassdieVergangenheitvielfachvielverschiedenervonderGegenwartunddamitvielfremderwaralsbislangangenommen,unddasandereKulturenganzanderswarenalsdieei-gene,.ohne.aber.einfach.in.ihrem.niveau.tiefer.zu.stehen..[…].Und.die.bisherigen.historiogra-phischen.Bemühungen.mussten.sich.sagen.lassen,.dass.sie.präsentistisch,.also.geprägt.von.der.jeweiligenGegenwart waren, so dass sie der Eigenart ihres historischenGegenstandes garnichtgerechtwerdenkonnten“(Hoyningen-Huene2001,S.2).

2..thEoloGISChES.(SChMIDt-BIGGEMann),PhIloSoPhISChES.(BUSChE)

ZuLebzeitenvonLeibnizistwenigveröffentlichtworden,eineAusnahmebildetdie.„theodizee“5,.eine.Schrift.zur.Rechtfertigung.Gottes,.die.der.Philosoph.aus.den.Gesprächen.mit.der.hannoverschen.Prinzessin.Sophie.Charlotte,.die.nach.Berlin.geheiratet hatteund späterpreußischeKönigingewordenwar, entwickelt hatte.6.

4. Vgl..Babin.und.van.den.heuvel.(2004).� TheodizeeisteinvonLeibnizausdemgriechischengeprägtesKunstwort,austheos.„Gott“.und.

dike.„Gerechtigkeit“..vgl..leibniz:.Theodizee.� DieAtmosphärederGesprächezwischenSophieCharlotteundLeibnizwirdsehrschöneinge-

fangen.in.dem.Roman.von.Renate.Feyl.(2006).

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Hierfindetsichu.a.dieThese,dassdiebestehendeWeltdievollkommenstesei,daGott.bei. ihrer.Erschaffung.einen.zureichenden.Grund.gehabt.haben.muss,.genau.dieseMöglichkeitzuwählen,unddasmusstenachLagederDingedersein,diebeste.Welt.zu.schaffen..Im.hintergrund.dieser.auffassung.steht.also.ein.Rationalis-mus,.Gott.erscheint.als.Inkarnation.des.Vernünftigen,.Willkür.ist.ihm.fremd..Wie.Wilhelm.Schmidt-Biggemann.in.seinem.Beitrag.deutlich.macht,. ist.dies. für.eine.rationaleTheologieoptimal,es ist jedochzweifelhaft,obdamitdasChristentummitseinerDogmatikvernunftgemäßinterpretiertwerdenkann.DassLeibniznichtzudenDogmatikernzählt,sonderneintoleranterGeistwieseinBewundererLes-sing war, zeigt sich auch darin, dass er erheblicheAnstrengungen zur Reunion(Wiedervereinigung.der.christlichen.Kirchen).unternahm.

Der.aufklärer.Voltaire.allerdings.fühlte.sich.durch.diesen. ihm.ganz.fremden.optimismus. der. theodizee. (den. er. als. Euphemismus. empfand). genötigt,. einen.Spottroman.zu.verfassen,.um.leibniz’.auffassung.lächerlich.zu.machen:.Candide.oderderGlaubeandiebestederWelten.AmEndedesRomanswirdderHeldCan-dide. von. Professor. Pangloß,7. einem. Vertreter. der. leibnizschen.auffassung. der.„besten.aller.Welten“,.über.den.Sinn.der.Dinge.aufgeklärt:.

„AlleBegebenheitenindieserbestenallermöglichenWeltensteheninnotwendigerVerkettungmit.einander,.denn:wärenSienichtwegenFräuleinKunigundens.schöner.augen.mit.derben.FußtrittenausdemschönstenallerSchlössergejagt,wärenSienichtvonderInquisitioneinge-kerkertworden,hättenSienichtAmerika zuFußedurchwandert,demFreiherrnnichteinentüchtigen.Stoß.mit.dem.Degen.versetzt,.nicht.alle.ihre.lama‘s.aus.dem.guten.lande.Eldorado eingebüßt, sowürden Sie hier jetzt nicht eingemachte Zitronenschale und Pistazien essen“(Voltaire:.Candide,.S..175).

Was.Voltaire.hier.verspottet,.ist.in.der.tat.ein.zentrales.Element.der.leibnizschen.argumentation:.die.Vernetzung.der.Welt,.die.den.negativen.Erscheinungen,.die.uns.isoliert. ausschließlich. als. schlecht. erscheinen,. einen. positiven. Sinn. zukommen.lässt.LeibnizunterschiedetdreiSortendesÜbels:1)DasmetaphysischeÜbel;esresultiert ausder notwendigenUnvollkommenheit derGeschöpfeGottes; 2) dasphysischeÜbel,dasistdasLeidmitseinerFunktionalsStrafeoderAbschreckung;schließlich3)dasmoralischeÜbel,esfolgtausderFreiheitdesMenschen,sittlichoder.unsittlich.zu.entscheiden.(der.Mensch.ist.der.beste.aller.Menschen,.keine.Ma-schine,.auch.das.Böse.muss.zu.seinen.optionen.zählen)..

WennwirvondemtheologischenRahmenabsehen8,.bleibt.von.diesen.ausfüh-rungen.jenseits.eines.naiven.optimismus.und.Euphemismus.der.holistische.aspekt.der.Vernetzung.(man.könnte.auch.sagen:.der.Systemgedanke).und.der.aspekt.der.verborgenen.Sinnhaftigkeit..Den.letzteren.Punkt.hat.C..F..von.Weizsäcker.vorsich-tig.anvisiert:

7. Von.griechisch:.pan.„alles,.umfassend“.und.glossa„Zunge,Sprache“,alsoetwa„Allesspre-cher“.

8. Immanuel.Kant.hat.leibniz’.theodizee,.die.gleichsam.Gott.als.die.Inkarnation.der.Rationalität.siehtunddeswegenauchrationalbetrachtenkann,alseineÜberforderungdesWissenschaftli-chenkritisiert.SelbstbestimmungundnotwendigesHandelnnachdemWillenGotteskönnenwirnichtzusammendenken;vgl.Kant(1791).

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„DieErkenntnisverändertdenMenschen.SelbstdiekleinenÜbeldesAlltags tragenwir jaleichter,wennwirihreNotwendigkeiteinsehen[…]AndieStelledesreinTatsächlichenundinseineTatsächlichkeitunverständlichenÜbelstritteingrößererZusammenhang,eineNotwen-digkeit,einSinn.ÄhnlicheserlebtwohlderPhilosophimSinnevonLeibniz,wennerdieWeltimGanzenbetrachtet.NichtmehrdieMassedeseinzelnentatsächlichenÜbelsistderGegen-standseinesBewusstseins,sondernderSinndesGanzen“(Weizsäcker1999,S.142).9

EswäreübrigenseinMissverständniszuglauben,derhierzutagetretendeSystem-gedankewürdedieAuffassungimplizieren,dieWeltseinichtmehrverbesserungs-fähig(wiediesjaVoltairetat),vorallemwirdnämlichmitderRedevonderbestenaller.Welten. ausgedrückt,. dass. diese.Welt. das. Potential. zur.Vollkommenheit. hat.(perfectio.durch.perfectibilitas).

EbensowiedieTheodizee.mit.ihrer.Rede.von.der.besten.aller.Welten.ist.auch.dieMonadologie,dasKernstückderLeibnizschenPhilosophiesehrgewöhnungs-bedürftig.. Monaden. sind. für. leibniz. die. eigentlichen.atome. des. Daseins,. aller-dingssindsienichtmateriell, sondernsoetwaswie immateriellegeistigeKraft-zentren,diebeidenMenschenauchmitdemBegriff„Seele“ausgedrücktwerden.Sie.sind.nicht.gleich,.sondern.autonome.individuelle.Substanzen,.die.ohne.ausdeh-nungsind–und„fensterlos“(Leibniz),ohnemiteinanderwechselzuwirken.DieseSeelenatomehabenihrEntwicklungsprinzipinsichselbst,das,waswiralsäußer-licheWechselwirkungwahrnehmen,istnichtsalseinevonAnfangan(vonGott)vorgenommene. Feinabstimmung. der. Monaden,. die. leibniz. auch. „prästabilierte.Harmonie“nennt.EsistähnlichwieineinemTheaterstück,dieauftretendenDia-logewurdenvonvornhereinvomRegisseurfestgelegt.

Besonders die Fensterlosigkeit derMonaden ist angesichts derEntwicklungderNaturwissenschaften,besondersderPhysik,nurschwerzuschlucken,auchdasVerhältnisderMonadenzurMaterie,daskeineWirkmechanismenkennt,wirftFra-gen auf. Ohne auf die verwickelten philosophie- und ideengeschichtlichen Ein-flüssedieserZeiteinzugehen(wieesHubertusBuscheinseinemBeitragindiesemBand.mit.einer.interessanten.Interpretation.über.„die.theorie.der.allesbeseelenden.Lichtmaterie namens „Äther“ tut), muss aber berücksichtigt werden, dass zwarleibniz.den.Dualismus.Descartes’.(res cogitans –res extensa)überwindenwollte,abernachwievordessendamalsallgemeingeteiltemGrundsatzanhing,dasssichMaterieundGeistgegenseitignichtbeeinflussen.Darüberhinausistfestzuhalten,dass der Individualismus hier nicht so extrem ist, wie es zunächst auszusehenscheint.DenndieMonaden sind in einBeziehungsgeflecht eingewoben,dasdieganzeWeltumfasst.DieseEigenschaftwirdvonLeibniztreffendmitderMetapherdes „Spiegels“ ausgedrückt (wobei gleichzeitig klarwird, dass die körperlichenDingedurchausinWechselwirkungzueinanderstehen):

„UnddawegenderErfülltheitderWeltallesverknüpftistundjederKörperaufjedenanderenKörperjenachEntfernungmehroderwenigerstarkeinwirktundvonihmdurchGegenwir-kungbetroffenwirkt,sofolgtdaraus,dassjedeMonadeeinlebendigerSpiegelodermitinnerer

9. Von.Weizsäcker.betont.auch,.dass.der.Gedankengang.der.theodizee.eine.analogie.zu.den.Ex-tremalprinzipienderPhysikdarstellt(einBeispielwäredasFermatschePrinzipdeskürzestenLichtwegs,wonach dieStrecke vomAnfangs- zumEndpunkt von einemLichtstrahl in derkürzestenmöglichenZeitzurückgelegtwird).

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haltung.ausgestattet.ist,.dass.sie.das.Weltall.gemäß.ihrem.Gesichtspunkt.darstellt.und.ebenso.geregeltistwiedasAllselbst“(Leibniz19��,S.417).

Die.aktualität.dieses.ansatzes.liegt.neben.diesem.holistischen.Vernetzungsaspekt.auchimEntwicklungsgedanken,denndieEntwicklungsdynamikjederMonadeistin. ihr. selbst. angelegt..Wenn. also. auch. der. allumfassende. theologisch. unterlegte.RationalismusbeiLeibnizheutesichernichtmehrübernommenwerdenkann,sosind.doch. in.diesem. imposanten.Gedankengebäude.Prinzipien.eingebaut,.die. für.uns.heute.zentral.sind.

ImÜbrigenistauchfestzuhalten,dassunseremoderneVorstellungelementarerteilchen.sich.erheblich.von.dem.früheren.atomismus,.von.dem.sich.leibniz.ab-hebt, unterscheidet. Die heutigeQuantentheorie kennt etwa die Eigenschaft der„Verschränkung“(einAusdruckdesPhysikersErwinSchrödinger)vonTeilchen,eineinnereVerbundenheitohnephysikalischeWechselwirkung,dieschoneinwe-nig.an.leibniz’.Vorstellungen.erinnert.10

LeibnizDenkweisewird sehr deutlich, wennman seineAuseinandersetzungmiteinemderHauptvertreterdesEmpirismusbetrachtet,mitJohnLocke.InseinemWerk.Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. ist.leibniz.detailliert.auf.dessen.Schrift.An Essay Concerning Human Understanding.eingegangen.(mit.gleicher.Gliederung)..Wie.Marcel.Weber.im.Einzelnen.herausgearbeitet.hat,.bedient.sichLeibnizbeiseinerAuseinandersetzunghäufigBegriffendeseigenenSystems,die.locke.aber.nicht.teilen.konnte.11Erwirktdannalsonichtsehrüberzeugend(dasbetrifft etwadieGebiete„DenkvermögenderMaterie“und„unbewusstementaleVorgänge“)..auf.dem.Feld.„eingeborene.Ideen“.argumentiert.leibniz.aber.plausibel..hier.geht.es.um.lockes.these,.es.gäbe.keine.eingeborenen.Ideen,.der.Verstand.sei.bei.Geburt.eine.tabula rasa,.Ideen,.Gedanken,.Wahrheiten.sind.einzig.und.allein.auf.die Sinneswahrnehmungen zurückzuführen. Leibniz Hauptkritik besteht in derFrage,wiederVerstanddennzunotwendigenWahrheitenkäme,wieetwazugeo-metrischenLehrsätzen.DasichNotwendigkeitnicht sinnlicherfahren lässt,mussderVerstandselbstdienotwendigenWahrheitenhervorbringen.DieSinnespieleninsofern.bei.der.Entdeckung.dieser.Wahrheiten.eine.Rolle,.als.sie.den.Geist.darauf.aufmerksammachen und auch einenAuswahlprozess beeinflussen. Der Verstandselbst.ist.dafür.nicht.ausreichend..Weber.fasst.das.Vorgehen.von.leibniz.zusammen:

„DieseganzeIdeeeinesZusammenwirkensvonVerstandundSinnenbeiderEntdeckungnot-wendigerWahrheitenbedientsichaberoffenkundigdergewöhnlichen,kausal-interaktionisti-schenRedeweise,gemässderesEinwirkungenderSinneaufdieSeelegibt.Wiebereitser-wähntistdieseigentlichinLeibnizensneuemSystemgarnichtmöglich;dieSeelenmonadenentwickelnsichganznachMaßgabeihrereigenenGesetzeohneirgendwelcheEinwirkungenvonaußen.WaswiralsSinneseindrückewahrnehmensindinWahrheitgewisse(verworrene)Perzeptionen,.die.die.Seele.aus.sich.selbst.hervorbringt,.die.aber.durch.die.prästabilierte.har-monie.mit.Ereignissen,.die.außerhalb.der.Seelenmonade.liegen.koordiniert.sind..leibniz.er-reichthieralsozweierlei:ErstensgibtereinArgumentgegenLockes„tabularasa“-Thesean,dasvonseinemneuenSystemkeinenGebrauchmacht.ZweitenslöstLeibnizabergleichzeitigden.Scheinauf,dassgewisseabstrakteBegriffeunterEinwirkungderSinnegebildetwerden.Für.die.Widerlegung.der.lockeschen.these.ist.nur.das.erste.dieser.beiden.argumente.relevant,.

10. Vgl..dazu:.Zeilinger.(2003).11. Vgl..Weber.(2005).

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undes istwichtig,dassLeibnizhierkeinePrämissenausseinemneuenSystemverwendet.Dennwürdeerdiestun,sowürdedieKritikanLockeaufeinbloßesBehauptenseineseigenenSystemshinauslaufen.DerStandpunktwechselistalsoeinnotwendigerBestandteilvonLeib-nizensArgumentation,undnichtetwaeinbloßrhetorischerZug…“(Weber200�,S.207f.).

3.JURISTISCHES(SCHNEIDER),POLITISCHES(WERnStEDt),.SoZIalES.(KnoBloCh)

leibniz.hat.in.verschiedenen.gesellschaftlichen.Feldern.hervorragendes.geleistet,.wasandieserStellenurangedeutetwerdenkann.SohatHans-PeterSchneiderinseinem.in.diesem.Band.abgedruckten.Vortrag.leibniz’.innovative.Vorstöße.für.das.Rechtswesenerläutert.SeinezahlreichenArbeitenbetrafendieStaatstheorieebensowiepraktischeFallstudien,schließlichwarerauchalsRichterundRechtsgutachtertätig. Sein Zielwar eine aufVernunftprinzipien begründeteRechtswissenschaft,also.auch.hier.das.Primat.der.Rationalität.

SeinepolitischenAktivitätensindähnlichausgerichtet.Erwirkte–wieRolfWernstedtinseinemBeitragherausgearbeitethat–alsPolitikberater,derallerdingshäufigmit seinengut durchdachtenVorschlägen (vonderMedizinbis zurWirt-schaftsgeographie)insLeerelief,warerdochaufdasWohlwollenseinesArbeitge-bersoderandererWürdenträgerangewiesen.Erhatdabeiwohldie Irrationalitätseiner. politischen.adressaten. und. überhaupt. des. politischen. Feldes. unterschätzt.(auchheutepassiertdiesBeraternmitvernünftigenVorschlägenoft),wahrschein-lichauchdieInteressenlagenhäufigfalscheingeschätzt,schließlichwarenFürstenundEntscheidungsträgerdurchausnichtaufdasGemeinwohlverpflichtet,dasfürleibniz.eine.so.große.Rolle.spielte.

DiesegesellschaftlicheVerantwortungdrücktesichauchinseinenweiterfüh-rendenArbeitenzumVersicherungswesenaus,wieEberhardKnoblochinseinemVortrag. gezeigt. hat.. Bei. leibniz’. interessanten. und. innovativen. Maßnahmen. für.dasVersicherungswesenistwenigerüberraschend,dassdergenialeMathematiker,der sich auchmit angewandterMathematik auskannte, die z.T. zuUngerechtig-keiten. führenden.und. falschen.Methoden.zur.Zins-.und.Rentenberechung.durch-schauteundzuverbessernwusste.Sehrungewöhnlichaberwar füreinenhohenBeamtenseinwirklichesInteresseamWohldesVolkes,amGemeinwohl.Davonzeugt.sein.1678.gemachter.Vorschlag.zur.Schaffung.von.assekurations-Kassen.ge-genalleZufälledesLebens.ÄhnlichforderterineinerDenkschriftvon1�80dieEinrichtung. von. Versicherungsanstalten. in. Deutschland. nach. dem. Vorbild. der.hamburger.Feuerkasse.

4..MathEMatISChES.(BREGER),.loGISChES(SChloBInSKI),.tEChnISChES.(StEIn)

LeibnizwarmitNewtonderBegründer der Infinitesimalrechnung–unddaswarmathematisch.sicher.seine.hauptleistung,.denn.hier.hat.er.eine.neue.Forschungsrich-tungbegründet,diefürdieWeiterentwicklungderMathematik(aberauchzahlreicher

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AnwendungenetwainderPhysik)konstitutivwar.HerbertBregerberichtetinseinemBeitrag. in.diesem.Band.über.die.Schritte.und.Irrtümer.dieser.großen.Entdeckung..Weniger.bekannt.ist,.dass.leibniz.auch.gleichsam.der.Pate.der.modernen.logik.und.Mathematikdes20.JahrhundertswarundvonMathematikern,LogikernundPhilo-sophenwieBertrandRussell,KurtGödelundHermannWeylaußerordentlichge-schätztwurde.Siebekannten,vieleAnregungendurchLeibnizerhaltenzuhaben.

NehmenwiralsBeispielKurtGödel.Leibnizhatteversucht,sprachlicheAus-drückeinAlgorithmenumzuwandeln,umsieberechenbarzumachen.Dabeiginger,wie Peter Schlobinski in seinemBeitrag zeigt, vonBegriffsbäumen aus, dieKonkretionvonBegriffenwirddurchdieMultiplikationmitPrimzahlenerreicht.WahristeineAussagedann,wennihrezahlenmäßigeEntsprechungohneRestteil-bar. ist. (teilbarkeitskriterium).. Diese.theorie. der. „charakteristischen. Zahlen“. ist.nurinAnsätzenentwickeltworden,hataberdengroßenVorteil,logischeSchluss-folgerungen. und. verschiedene.abstraktionsebenen. gleichermaßen. durch. Zahlen-werte(überPrimzahlzerlegung)ausdrückenzukönnen.

DieserGedankengangnunliegtauchdemberühmtenGödelschenBeweiszu-grunde,mit demGödel die notwendigeUnvollständigkeit formalerSystemege-zeigthat:EsgibtinjedemformalenSystem(einesgewissenUmfangs)Sätze,diezwarwahrsind,derenWahrheitabernichtmitdenMittelndesSystemsbewiesenwerdenkann.12.Gödel.betrachtete.einen.Satz.„Der Satz mit der Nummer x ist nicht ableitbar“undkonntezeigen,dassdieserSatz–zahlenmäßigcodiert–fürxeinge-setztwerdenkann.Wennerwahrist,isteralsonichtableitbar,damitistdasSystemunvollständig..Wenn.er.falsch.ist,. ist.er.aber.ableitbar,.d..h..das.System.generiert.einenfalschenSatz.Ergo:DasSystemistentwederunvollständigoderfalsch.Derentscheidende. Punkt. bei. diesem.ansatz. ist. die. Formalisierung. der. sprachlichen.aussagen.verschiedener.Ebenen.in.einem.Formalsystem..Wenn.dies.durch.Zahlen.geschieht,. spricht. man. auch. von. „Gödelisierung“.. Dabei. kann. man. Buchstaben.normalenZahlenzuordnen(a=1,b=2etc.)DieseZahlenwerdenjetztalsPotenzenderfortlaufendenPrimzahlen2,3,�,7etc.verwendet(sohatetwadasbanvierterStelle.den.Wert.72.)DieeinzelnenPotenzwertewerdenmultipliziert,undmaner-hältdie„Gödelnummer“,AufdieseWeisekönnenauchlangwierigeTextinformati-onen, ja auchausführlicheBeweiseund logischeSchlussfolgerungendurcheineeinzigeZahlausgedrücktwerden(ebensowiedenBuchstabenkannnatürlichauchlogischenSymboleneinZahlenwertzugeordnetwerden).MansiehthierklardenEinflussderLeibnizschenÜberlegungenzur„Universalsprache“.

DieaufLeibnizaufbauendeGödelscheFormalisierungzeigtübrigensweitrei-chendeÄhnlichkeitenmitspäterenProgrammiersprachenwieLisp.Wennmanbe-denkt, dass derLeibniz-BewundererGödelmit demKonstrukteur programmier-barer Computer John vonNeumann befreundet war (beide haben lange Zeit inPrinceton gearbeitet), sind indirekte Einflüsse der LeibnizschenGedankengängeaufdieEntwicklungmodernerComputernichtauszuschließen,jedenfallsgiltLeib-niz.zu.Recht.aufgrund.seiner.Pionierarbeiten.im.logischen.Bereich.als.ein.Vorläufer.

12 Vgl.:Gödel(1931)GödelhatmitdiesemBeweisauchLeibniz’Ziel,eineSprachezuentwik-keln,inderWahrheitberechenbarwird,denBodenentzogen.

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der.heutigen.Informatiker.13.Dies.gilt.allerdings.nur.eingeschränkt. für.einen.ver-wandtenBereich,nämlichdieheutigeKI-Forschung(KünstlicheIntelligenz).Zu-nächstkönntemanallerdingsmeinen,LeibnizseiwegenseinerVisionderUniver-salsprache,.die.die.Berechenbarkeit.von.Problemen.und.Streitpunkten.erlaubt,.ge-radezu.ein.prädestinierter.früher.Protagonist.dieser.Forschungsrichtung.

Umdieszurelativieren,schauenwirunszunächsteinenderprominentestenKri-tikerderKI-Forschungan:JohnSearle.DieserhatsicheindannberühmtgewordenesBeispielausgedacht,umdieMöglichkeitvondenkendenComputernzuwiderlegen:das.chinesische.Zimmer.14.In.dem.Zimmer.sitzt.ein.Mensch,.der.des.Chinesischen.nichtmächtigist,vonaußenwirdihmdurcheinenSpalteinZettelhineingereicht,voll.von.chinesischen.Schriftzeichen.(z..B..Fragen)..Mit.hilfe.eines.umfangreichen.RegelwerksordnetdiesePersongewissenZeichenaufdemZettelandereausseinenZuordnungstabellenzuundschreibtdieseauf(dazubrauchterwederChinesischzukönnen,nochmusserüberhauptwissen,dassdieZeichenchinesischeSprachzeichensind)..Den.neuen.Zettel.gibt.er.durch.den.Spalt.nach.draußen..Da.z..B..den.chine-sischen Fragen jetzt sinnvolleAntworten folgen (die der Bewohner des Zimmersdurch die Zuordnungen des Regelwerks erzeugt hat), ist ein draußen befindlicherMensch.der.ansicht,.im.Zimmer.befände.sich.eine.des.Chinesischen.kundige.Per-son..Searles.Pointe:.Da.der.Computer.ebenfalls.nichts.als.mechanische.Zuordnungen.produziert,kannhierniemalssoetwaswieBewusstseinoderVerständniserzeugtwerden,dieaberkonstitutivfürmenschlicheIntelligenzsind.15Kritisiertwirdhierder„Turing-Test“,dereinerMaschineIntelligenzeinräumt,wennsiebeieinerschrift-lichen.Kommunikation.nicht.von.einem.Menschen.zu.unterscheiden.sei.16

Es. ist. hochinteressant,. dass. sich.die.Struktur.dieser.argumentation.auch.bei.Leibnizwiederfindenlässt,undzwarinseinemberühmten„Mühlengleichnis“ausder.Monadologie:

„Manmußübrigenszugestehen,dassdiePerzeptionundwasvonihrabhängtdurchmecha-nischeGründe,d.h.durchFigurenundBewegungen,unerklärbarist.Angenommen,esgäbeeine.Maschine,.deren.Struktur.zu.denken,.zu.fühlen.und.Perzeptionen.zu.haben.erlaubte,.so.könnte. man. sich. diese. derart. proportional. vergrößert. vorstellen,. dass. man. in. sie. eintreten.könntewieineineMühle.Diesvorausgesetzt,würdeman,indemmansievoninnenbesichtigt,nurTeilefinden,diesichgegenseitigstoßen,undniemalsetwas,daseinePerzeptionerklärenkönnte..also.muß.man.danach. in.der.einfachen.Substanz.und.nicht. im.Zusammengesetzten.oder.in.einer.Maschine.suchen..Es.gibt.zudem.überhaupt.nur.Perzeptionen.und.deren.Verände-

13 DasallerdingswenigerwegenderErfindungdesDual-Systems,fürdaserzunächst–außermetaphysischenAnalogien–wenigVerwendunghatte.Wäreesihmallerdingsgelungen,seineauf.dem.Dual-System.basierende.Rechenmaschine.zu.bauen.(das.Projekt.scheiterte.an.der.da-mals.unzureichenden.technik),.hätte.sich.das.vielleicht.auch.noch.geändert..

14. Vgl..Searle.(1980).15 DiesesBeispielhateinebisheuteanhaltendeumfangreicheKontroverseausgelöst.Derschwer-

wiegendsteEinwandstelltm.E.dieExistenzdesRegelwerksinFrage,indergleichsamdiegesamte.Intelligenz.der.Prozedur.enthalten.ist..Die.grundsätzliche.Kritik.Searles.am.reduktio-nistischen.Programm.tangiert.das.freilich.nicht.

16 EineironischeKritikdieserAnsichtstammtvonJosephWeizenbaum,derAnfangder19�0erJahreein simpelgestricktesProgrammvorführte,daseinenTherapeutenderRogers-Schulesimulierte.ManchePsychologenwolltensoetwasunbedingtfürihrePraxishaben.

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rungen.in.einer.einfachen.Substanz..Und.daraus.allein.können.die.inneren.tätigkeiten.der.ein-fachen.Substanzen.bestehen.“.(leibniz,.Monadologie:.§17,.S..19).

Dasisteineanti-reduktionistischeArgumentation,dieÄhnlichkeitmitderSearlesaufweist.UnterPerzeptionverstehtLeibnizdeninnerenZustandderMonade,diesinnlicheVorstellungoderEmpfindung(dasüberdenZustandnachdenkendeBe-wusstsein ist dann dieApperzeption). Der Kern derArgumentation gleicht derSearles:.Die.denkende.Maschine.lässt.sich.durch.die.reine.Mechanik.in.ihrem.Inne-rennichterklären,dawirhiernurqualitativandereStossvorgängefinden,ausde-nenniemalssoetwaswieEmpfindung,Wahrnehmung,Bewusstsein,Denkener-klärtwerdenkann.

InseinerRede„ÜberdieGrenzendesNaturerkennens“(1872)hatteübrigensderberühmteMedizinerEmilDuBois-ReymondunterausdrücklichemHinweisaufdasLeibnizscheMühlengleichnisebenfallsdieReduktiondesBewusstseinsaufme-chanische.Vorgänge.abgelehnt.und.u..a..damit.den.berühmten.„Ignorabimusstreit“.ausgelöst.17

LeibnizwarimÜbrigenbeileibekeinpraxisfernerGelehrterimElfenbeinturm,wiemanvielleichtdenkenkönnte,wennmanseineimmensentheoretischenLeis-tungenbestaunt.VieleseinerAktivitätensindnämlich–nachdemMottotheoria cum praxi(angewandteTheorie)–praktischerNatur,erhatinzahlreichengesell-schaftlichen.und.technischen.Feldern.Verbesserungsvorschläge.gemacht.und.man-ches.auch.zu.realisieren.versucht.(hydraulische.Pressen,.Uhren,.chemische.Experi-mentemit Phosphor etc.).Viel Zeit hat er imHarzerBergbau verbracht,wo erWindmühlenzumAntriebvonPumpenzurEntwässerungbauenließ.DiesesPro-jektscheiterteanvielenDingen,aneinigenkonzeptionellenSchwächen,antech-nischenUmsetzungsschwierigkeitenundanderBlockadederansässigenFachleute.Amweitesten hat er eswohlmit seinenRechenmaschinen gebracht,wieErwinSteininseinemBeitragindiesemBanddetailliertschildert,diezwarzuLebzeitennieganzrichtigfunktionierthaben,dieFeinmechanikwardamalsnurunzureichendentwickelt,heutelaufendieNachbautenabereinwandfrei.

5..lEIBnIZ.alS.PhySIKER

Leibnizhat–waswenigbekanntistundauchindenfolgendenBeiträgenindiesemBandnichtangesprochenwird–auchentscheidendeImpulsefürdieEntwicklungderPhysikgegeben(vonderInfinitesimalrechnungeinmalganzabgesehen).Erhatmit.den.anhängern.Descartes’.um.den.richtigen.Begriff.der.physikalischen.Größe.„Kraft“gestritten.DiesewarenderMeinung,dasMaßderKraft,daseinbewegterKörper.beim.aufprall.auf.einen.anderen.ausübt,.sei.durch.das.Produkt.aus.Masse.undGeschwindigkeit (mv)gegeben,währendLeibniz–ausgehendvomGalilei-

17. Vgl..Du.Bois-Reymond.(1912a,.1912b)..Du.Bois-Reymond.hatte.die.thesen.aufgestellt,.dass.sichdasWesenvonMaterieundKraftunddasmenschlicheBewusstseineinervollständigenwissenschaftlichenErklärungentzögen.DieAuseinandersetzungumdieseBehauptungisterstkürzlich in einem Sammelband wieder aufgegriffen worden, vgl. Bayertz, Gerhard undJaeschke(2007).

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schenFallgesetz–vonderGrößemv2ausging.InbeidenPositionenwirdderEr-haltungssatz. (Konstanz.der.Summe.aller.Kräfte).angenommen.. In.einem.Gedan-kenexperiment. konnte. leibniz. zeigen,. dass. der. Erhaltungssatz. nach. der.Descartes’schenRechnungbeimfreienFallnichtgeltenwürde(seineFormelaberdieGleichheitvontoterundlebendigerKraftoder–wiewirheutesagen–potenti-eller.und.kinetischer.Energie.erfüllt)..Erst.der.große.Mathematiker.und.aufklärer.d’alembert.hat.1743.diesen.Streit,.der.nicht.ohne.gegenseitige.Missverständnisse.vondenAnhängernDescartes’undLeibniz’ ausgefochtenwurde,beendet.Nachd’alembert,.der.bei.seiner.analyse.eher.von.dem.durch.empirische.Daten.gestütz-tenStandpunktvonLeibnizausgegangenwar,erweistsichdieGrößemv2.als.Maß.fürdieEntfernung,dieeingeradlinigbewegterKörperdurchdiehemmendeKraftnoch.zurück.legen.kann,.also.als.dessen.kinetische.Energie.18.Von.der.Größe.mv.dagegen.(dem.heutigen.Impuls).ist.die.Zeit.abhängig,.bis.er.zur.Ruhe.kommt.19.

DieswarnichtnureinereinphysikalischeKontroverse.Leibnizsah,dassDes-cartes’Kraftbegriff eine Folge seines Substanzbegriffswar, der lediglich in derAusdehnung bestand,während bei ihm dieKraft etwas denKörpern Inhärentesdarstellt.

NichtganzzuUnrecht,aberauchnichtganzrichtigwirdLeibnizbisweilenzumVorläufer.von.albert.Einstein.stilisiert,.da.er.ebenfalls.die.Relativität.von.Raum.und.Zeitbehauptethabe.DieseEinschätzungbeziehtsichaufeinenBriefwechsel,denLeibnizwenigeJahrevorseinemTodmitSamuelClarkeführte,einemVertrautenNewtons(vgl.Schüller,1998).DieKorrespondenzwardurchVermittlungvonKron-prinzessinCarolinezustandegekommen,dieauchdieBriefeweiterleitete.

IndemBriefwechselgingesz.B.umdieFrage,obGott,nachdemerdieWeltgeschaffenhatte,nunnocherneutinsieeingreife,wieNewtonangesichtseinigerProblemederAnwendungseinerGravitationstheorieannahm.NachdemsichindernachfolgendenZeitdieNaturwissenschaftenimmermehrvonderTheologieeman-zipierten,.hat.leibniz.hier.sicher.auf.lange.Sicht.Recht.behalten.

Ein.zentraler.Streitpunkt.behandelt. eben.den.Charakter.von.Raum.und.Zeit..HierwarNewton–undClarkeverteidigtdieseZuschreibung–vonderAbsolutheitvon. Raum. und. Zeit. ausgegangen.. leibniz. hingegen. argumentiert. (in. heutigem.Sinn)fastpositivistisch,wennerschreibt:

„Hieraufantworteich,dieBewegungistzwarunabhängigvonihrerBeobachtung,abernichtvonihrerBeobachtbarkeit.EineBewegunggibtesnurdort,woeseinebeobachtbareVerände-rung.gibt..Wenn.es.keine.beobachtbare.Veränderung.gibt,.so.gibt.es.überhaupt.keine.Verände-rung.[…]Ichsagekeineswegs,daßdieMaterieundderRaumeinunddieselbeSachesind;ichsagelediglich,daßeskeinerleiRaumgibt,woeskeinerleiMateriegibt;unddaßderRaumfürsich.selbst.durchaus.keine.absolute.Wirklichkeit.hat..Der.Raum.und.die.Materie.unterscheiden.sichwiedieZeitunddieBewegung.DieseDingesind,wenngleichvoneinanderverschieden,dochnichtvoneinanderzutrennen“(Schüller1998,S.�2;S.�2).

18. leibniz.dachte.in.Proportionen,.deshalb.fehlt.hier.der.Faktor.½.19 D’AlemberterklärtedieÄnderungsratebeschleunigterBewegungenzumrichtigenKraftmaß,

durch. Integration.über.den.Weg.ergibt. sich.das.leibnizsche.Kraftmaß. (kinetische.Energie),.durch. Integration. über. die. Zeit. das. Cartesische. Kraftmaß. (Impuls).Vgl.. hierzu:. Stammel.(1982).

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Diese.moderne.argumentation.ähnelt.in.der.tat.der.Einsteins,.der.ja.zunächst.eben-fallsdavonausgegangenwar,waswirklichbeobachtetwird.FürLeibnizsindRaumundZeitrelationaleOrdnungsprinzipien,aberkeineontologischenEntitäten(wiebei Newton). Das begründet Leibniz aber auch theologisch (Schwierigkeit denStellenwertdesRaumesinBezugaufdieUnendlichkeitdesSchöpfersanzugeben).ZudemwirdbeiihmderBegriffderGleichzeitigkeitnichtproblematisiert(andersbei.Einstein)..Für.Einstein.hat.der.Raum.natürlich.auch.nicht.nur.eine.gedankliche.ordnungsfunktion,.sondern.reale.physikalische.Eigenschaften.

LetztlichistLeibnizmitseinerArgumentationnichtdurchgedrungen,weilihmder.empirische.hintergrund,.den.Einstein.später.durch.aufgekommene.anomalien.in.Bezug.auf.den.Charakter.des.lichtes.besaß,.nicht.zur.Verfügung.stand.20.hinzu.kommt,dassNewtonmitseinemberühmtenEimerexperimentdenabsolutenRaumals. Bezugssystem. der. Zentrifugalkräfte. (als. Beschleunigungskräfte). plausibel.machte,wasLeibniznichtwiderlegenkonnte.21

Zusammenfassend.kann.man.auch.für.die.physikalischen.Forschungen.konsta-tieren,dassbeiLeibnizimmerwiedermoderne,weiterführendeAnsätzevorhandensind,denenabergewissermaßenderBoden fehlt, aufdemsiegedeihenkönnen.DennochhatmanchesaufUmwegendanndochauchspätereProtagonistenbeein-flusst(fürdieRelativitätvonRaumundZeitkanndiesjedochnichtnachgewiesenwerden).SounzusammenhängendseinevielfältigenBeiträgeauchaussehenmö-gen,.organisierendes.Zentrum.seiner.aktivitäten.ist.ein.allumfassender,.theologisch.inspirierter. Rationalismus,. ein. unerschütterliches. Vertrauen. in. die. Vernunft,. der.letztlich.auch.Fürsten.und.Kirchen.sich.beugen.müssen..So.kann.man.leibniz.zu.RechtalseinenFrühaufklärerbezeichnen(dassklassischeAufklärerwieLessingihn.sehr.schätzten,.passt.dazu)..Seit.Kant.sind.uns.aber.die.Grenzen.des.Rationalis-musimmerklarergeworden,sodasseinetheologischfundierteEinheitderVernunftheutekeinZielmehrseinkann.AbereineinheitlicheswissenschaftlichesWeltbild,dasdievonLeibniz sohervorgehobeneVernetzungallerwissenschaftlichenundanderen.lebensbereiche.berücksichtigt,.ist.sicher.ein.akzeptables.Ziel.unserer.Be-strebungen.LeibnizerweistsichalsoalseinaktuellerPhilosoph,vondemwirauchheute.noch.viel.lernen.können.

20 Esgelangim19.Jahrhundertnicht,dasvermuteteTrägermediumdesLichtsalsWelle–denÄther–durchnochsoausgeklügelteExperimentenachzuweisen.ZudembotendieMaxwell-schenGleichungen,diedasLichtalselektromagnetischeWellebeschrieben,keinenHinweisauf.ein.solches.trägermedium.

21. Wenn.man.einen.Eimer.mit.Wasser.rotieren.lässt,.rotiert.das.Wasser.nach.einer.Weile.mit,.stellt.mandenEimernunruhig,rotiertdasWasserweiterundwölbtsichandenRanddesEimers.DiesistnachNewtonderBeweisfürdenabsolutenRaum,dadasWassernurnochdenleerenRaum.als.Bezugspunkt.der.Beschleunigung.haben.kann,.der.Eimer.fällt.ja.jetzt.aus..Ernst.Mach.erklärtespäterdiesesPhänomendurchdenEinflussderübrigenMateriedesUniversumsaufdas.Wasser.(Machsches.Prinzip)..Einstein.hat.dem.Machschen.Prinzip.heuristische.Bedeutung.zugesprochen, auch wenn es in derAllgemeinen Relativitätstheorie nur unter bestimmtenRandbedingungen.gilt.

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