Paul Burkhard...2017/12/18  · Choral Paul Burkhards «O mein Papa» an. «In der Trauergemeinde...

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Paul BurkhardPaul Burkhard nimmt unter den Schweizer Kom-

ponisten, ja unter den Komponisten der Gegenwartüberhaupt, eine Sonderstellung ein. Obwohl er sichvom Anfang seiner kompositorischen Laufbahn anhauptsächlich der leichten Muse verschrieben hat,knüpfte er nicht an die Ausläufer der parfümiertenund sentimentalen Wiener Operette an. Dagegen istein gewisser Einfluß des Meisters der klassischenOperette Jacques Offcnbacb unverkennbar.

Nach seinen Studien am Zürcher Konservatoriumfand Burkhard 1934 sein erstes Engagement amStadttheater Bern. Die Atmosphäre des Theatersfaszinierte ihn derart, daß er sich entschloß, nebenseiner Tätigkeit als Dirigent und Korrepetitor einWerk für die Bühne zu schreiben. So wurde derKapellmeister zum Komponisten, und 1935 entstandinnerhalb kurzer Zeit die Operette «Hopsa». Das vonder in der Schablone erstarrten Operette völlig freieWerk ging über sämtliche Schweizer Bühnen mitgrößtem Erfolg und erweckte HolTnungen auf einWeiterbestehen dieser Gattung. A u ch sein folgendes

Werk «3 X Georges» (1937), obwohl, wie Kaimans«Zirkusprinzessin», der Welt des fahrenden Volkesverschrieben, ging neue Wege: keine verlogeneSalonsentimentalität, sondern echtes herzvolles Emp-

finden.Bezeichnend für Burkhards künstlerischen Weg

ist, daß seine nächste und langjährige Station dasZürcher Schauspielhaus" war, dem er von 1939 bis1944 angehörte. In diesen Jahren erlebte das Schau-spielhaus' seine Glanzzeit als Sammelpunkt hervor-ragender Kräfte und Insel des freien künstlerischenAusdruckswillens. Paul Burkhard schrieb nun zu un-zähligen Werken die Musik mit einem ungewöhnli-

chen Stilempfinden. Sein Bogen reicht von «Faust II»bis zu Brechts noch heute allen Besuchern im Ohrhaftendem Landsknechtlied der «Mutter Courage», vonGiraudoux* märchenhafter «Undine» bis zu Lope deVega und Calder6n. Wer erinnert sich nicht derzauberhaften, leicht parodistischen Musik zu Gol-donis Komödie «Das Kaffeehaus» in unserer Garten-bauausstellung, an das köstliche Frauenterzett oderan die von südlichem Brio durchpulste Colombinen-szene? Burkhard verdankt, wie er selbst bekennt,dem Zürcher Schauspielhaus unendlich viel: «Seitich diese Aufführungen erlebt und an ihnen mit-gearbeitet habe, kann ich nicht mehr für schlechtesTheater schreiben.»

Burkhard geht in seinen Kompositionen immer vomWort und von der Atmosphäre aus. Seine Musik istnie Selbstzweck. Er unterstreicht die Stimmung, hebtsie auf feinfühlige Weise verdeutlichend hervor. Sobildet seine Musik eine sinnvolle und harmonischeErgänzung zum Wort, zur Handlung, zum gesamten

Werk. Und immer spricht aus seinem Schaffen derechte Humor, der Schalk. Seine Absicht. ist, uns zuunterhalten. Und doch bekundet er in jedem TaktGeschmack und Kultur, im nebensächlich Unter-spielten echt Menschliches.

Trotz seinen großen- internationalen Erfolgen istBurkhard stets einer der Unsrigen geblieben. Amdeutlichsten tritt' dies in seinem unverwüstlichen«Schwarzen Hecht» zutage, dessen Lokalkolorit echt'

schweizerisch ist, wie auch in der zurzeit mit größtem

Beifall am Schauspielhaus wiederaufgeführten «Nie-derdorf-Oper». Eric Charell, der große Producer derBerliner Uraufführung des «Weißen Rößl», verhalf1949 dem «Schwarzen Hecht», aus dem die erweitertorchestrierte Bearbeitung «Feuerwerk» wurde, zumSiegeszug über fast alle Bühnen der Welt, von Lon-don bis Paris, von Berlin bis Wien. Obwohl dasschweizerische Kolorit, das Burkhard und Jürg Am-stein in Anlehnung an Emil Sautters Dialektstück«De sächzgischt Geburtstag» getroffen hatten, elimi-niert werden mußte, war es erfreulich, daß dasWerk eines Schweizer Komponisten begeisterten

Widerhall weit über die Grenzen unseres Landesfand. Nach der Verfilmung mit Lili Palmer undRomy Schneider griffen auch sämtliche deutsch-sprachigen Provinztheater nach dem sicheren Kassen-stück. Wie populär das «O mein Papa»-Chanson

selbst in den entlegensten Dörfern und Städten desAuslandes ist, illustrieren folgende zwei Episoden:

In einem Dorf bei Passau, so lesen wir in einerbayrischen Zeitung, Wurde ein Mitglied des Krieger-vereins mit den in Deutschland üblichen «militäri-schen Ehren» beigesetzt. Nachdem der Pfarrer ge-sprochen hatte, spielte die Kapelle das Lied vom«Guten Kameraden», und drei- Böllerschüsse krach-ten über das offene Grab. Dann aber wollten dieDorfmusikanten auch noch zum Ausdruck bringen,daß der Verblichene nicht nur ein erfolgreicherKrieger, sondern auch ein treusorgender Familien-vater war. Und deshalb stimmten sie als Trauer-Choral Paul Burkhards «O mein Papa» an. «In derTrauergemeinde blieb kein Auge trocken», soschließt der Zeitungsbericht.

Die andere Begebenheit trug sich vor einigen

Jahren in den Vereinigten Staaten zu: Als ein Leut-nant der Schweizer Armee, Mitglied der NeutralenRepatriierungskommission in Korea, auf der Rück-reise nach der Schweiz in New York eines Abendseine Bar betrat, begann der Pianist plötzlich wiewild die «Marseillaise» zu spielen und erklärte amSchluß: «Meine Damen und Herren, wir haben diegroße Ehre, daß sich ein Held der französischenArmee in unserem Lokal aufhält . . .» Als das Miß-verständnis schließlich geklärt war, beeilte sich derBarpianist, die schweizerische Nationalhymne zu in-tonieren. Doch wie ging die nur? Plötzlich ging einaufatmendes Lächeln der Erleuchtung über das Ge-sicht des Pianisten. Er setzte sich feierlich auf sei-nem Stuhl zurecht und lmb an «0 mein Papa...».

Obwohl Burkhard mit dem «Schwarzen Hecht»und namentlich mit seinem Erfolgsschlager «0 meinPapa» weltweite Popularität gewonnen hat, ist ernicht, wie andere hochbegabte Operettenkompo-nisten, in die Banalität der Dutzendware abgeglitten.

Von neuem fühlte er sich zum Sprechtheater- hin-gezogen. In anderthalbjähriger Zusammenarbeit mitFriedrich Dürrenmatt entstand die «Oper einer Pri-vatbank, Frank V.», vor einem Jahr im Schauspiel-

haus uraufgeführt, die zurzeit VOn Autor und Kom-ponist in eine neue Fassung gebracht wird. Aufseinen Erfolgen nie ausruhend, stets neue Wegebeschreitend, bleibt Burkhard sich selbst treu.

Jürg Mcdicus

Der Käferheilige Sankt Mang

Mit der Pracht des Frühlings bricht auch dielustvolle Zeit aller Schädlinge an. Die Schneckenmachen sich mit Ingrimm über das junge Grün her,die Blütenstecher fallen auf die blühenden Bäumeein, Raupen und Larven, Maden und Läuse gehen

ans Werk, und die Maikäfer feiern Feste. Heuterückt der Mensch dem Ungeziefer mit chemischenMitteln zu Leibe. Flugzeuge sprühen Gifte überdie zum Fraß versammelten Käfer, sie vernichtenauch alle nützlichen Insekten und leider auch dieInsektenfresser, unsere lieben Singvögel. UnsereAhnen waren nicht auf so unmenschliche Mittelangewiesen.

Die Maikäfer waren schon dem hl. Isidor vonSevilla, der ums Jahr 600 lebte, bekannt AufSchweizer Boden ist der Zürcher Chorherr FelixHemmerli der erste, der von einer Maikäferbekämp-fung zu berichten weiß. Er schildert 1460 das 'ab-

sonderliche. Verfahren, das gegen die Maikäfer inder Diözese Chur angewandt wurde. Danach stellteman die Schädlinge vor ein weltliches Provinzial-gericht. Ein Ankläger schilderte ihre Untaten. .Aberdie Gerechtigkeit forderte auch einen Verteidiger.

Dieser aber erreichte nur die Zubilligung mildern-der Umstände. Die Verurteilten wurden in eine ödeund waldige Gegend verbannt.

Ein gleicher Prozeß ist aus Lausanne unter demBischof Georg von Saluzzo (1440 bekannt.Dort wurden die Engerlinge durch einen Botenöffentlich vorgeladen. Nach ihrer Weigerung führteman drei Angeklagte unter großem theatralischemAufwand gewaltsam vor das Gericht, gab ihnen eineletzte Frist von drei Tagen, innert welcher sämt-liche Engerlinge das Gebiet zu verlassen hätten,andernfalls sie im Namen Gottes und der Kircheverflucht würden. Da die Verwarnten die Frech-heit hatten, dem Befehle zu trotzen, wurden dievorgeladenen Engerlinge geköpft und alle andernin contumaciam verflucht. Das Volk war tief be-friedigt, daß endlich etwas Entscheidendes ge-

schehen war.

1479 gelangten die Bewohner des Freiamts wegen

der Maikäferplage an den Bischof von Konstanz.Dieser nun ging von der Annahme aus, es handlesich um eine Strafe Gottes und verordnete andereMittel. Er übersandte einen großen Exorzismus, anden aber schwere Vorbedingungen geknüpft waren,wenn er wirken sollte. Männer und Frauen mußtenzusammengerufen, und es mußte ihnen verordnetwerden: «daß sy an allen Sontagen, ouch an allenFesten Gottes und der ußerwelten Heiligen alleoffne Tanz fliehind und miedind, ouch alle Ehe-brecher und Ehebrecherin, item alle Huorerytriber,geistlich und weltlich,

. von irer ergerlichen ver-botenen Huorery abstandend und ufhörend, deß-

glichen niemand weder mit Würffei noch Kartenoder ander ungebürend Sachen o d er Spil sichüebind.» Ferner sollten Kreuzgänge abgehalten undVotivmessen für das Gedeihen der Feldfrüchte ge-

lesen werden. Zum Schlüsse mußte die Allerhei-ligenlitanei gebetet und dann die eigentliche Be-schwörung gegen die Engerlinge vorgenommenwerden. Es leuchtet ein, daß der kluge Bbchof mitseinem Exorzismus wichtigere Schädlinge bekämp-

fen wollte als die moralisch belanglosen Engerlinge.

1481 erbaten auch die Gemeinden am oberenZürichsee ein solches Beschwörungsschreiben vonKonstanz, und 1492 litt Uri so schwer unter derPlage, daß seine Bewohner ohne Vermittlung derKirche eine Befreiung für unmöglich hielten unddaher vom apostolischen Stuhl eine Engerlingsbulle

erbaten. In Obwolden hört man 1559 zum erstenmalvon den Schädlingen. Die Regierungsmänner sannendamals auf Abhilfe und vernahmen im Laufe derBeratung von jenem gewaltigen Exorzismus, den dieBewohner des Freiamtes von Konstanz erhaltenhatten. Landammann Johann Wirz benutzte seinenächste Reise an die Tagsatzung nach Baden, umdem Text nachzuforschen, fand ihn und verschafftesich eine sorgfältige Abschrift. Nach seiner Heim-kehr fibergab er das wertvolle Dokument, mit eigen-händiger Beglaubigung, sofort dem Landesarchiv,wo es wie ein Schatz gehütet und nur bei dringen-

dem Bedarf an die kirchlichen Behörden aus-gehändigt wurde.

Als besonderer Schutzpatron gegen die Enger-lingsplage galt von jeher der hl. Magnus. Damittritt der mächtigste Gegner des Ungeziefers auf denPlan. Der. hl. Magnus oder Sankt Mang, wie er inalten Schriften heißt, war der Apostel des Allgäus.

Er liegt in der eindrucksvollen romanischen Kryptades Klosters Füssen in Oberbayern begraben. Da erden Drachen des Unglaubens bekämpft hat, wird ermit einem Drachen oder Lindwurm abgebildet. DieLogik der Bauern rechnete sich aus, daß ein' Hei-liger, der es mit so gewaltigen Würmern aufnimmt,um so leichter mit kleinen fertig werden müsse;außerdem starben die Drachen langsam aus, so daßman den Heiligen mit weniger Bedenken gegen dieverhaßten Erdwürmer, die Engerlinge, in Anspruch

nehmen durfte.Die Herren von Bern erbaten sich 1511 vom

Kloster St. Gallen einen Arm des hl. Magnus, damitdie Felder mit der Reliquie gesegnet und vonEngerlingen befreit werden könnten. Die gleiche

Gunst wurde vom Kloster St. Gallen dem LandeUri gewährt. In Willisau wurde schon zu Anfang

des Jahrhunderts das Magnusfest als Fest desEngerlingvertilgers gefeiert und ein Opfer für die«Ingerkerze» aufgenommen. Auch die Kirchgenossen

von Sarnen beschlossen, am Sonntag vor Verenafür eine «Ingerkerze» das Opfer aufzunehmen unddie Kerze bei jedem Amt während des ganzen

Jahres brennen zu lassen. 1685 war die Engerling-plage in Obwaldcn wieder so verheerend, daß derTag des hl. Magnus zum Feiertag erklärt werdenmußte. Er wurde «Ingcrfirtig» genannt. Im KlosterSt. Mang zu Füssen wird auch der Stab deshl.Magnus aufbewahrt, der als besonders wunder-tätig galt. Die Bauern des Allgüus bestürmten denAbt mit Bitten, er möge mit dem Stab ihre Feldersegnen lassen. Die Mönche hatten mit der Reliquieausgedehnte Reisen zu unternehmen. Der Ruf desWunderstabes gelangte auch nach Sarnen, und aufdringende Bitten der Behörden brachte ihn einMönch bis ins entlegene Obwalden. Ein PaterCoeleritin Stadler zog mit dem Stab prozessions-

weise über die Felder sämtlicher Gemeinden.

Der obere Halbkanton war hierin, wie in allenfrommen und rentablen Dingen; den Nidwaldncrnvoraus. Aber bald wurde auch in Nidwaiden all-jährlich am Magnustag ein Kxeuzgang auf den All-weg abgehalten. Die dortige Kapelle war 1671 alsErsatz für eine baufällige frühere Kapelle erbautworden zur Erinnerung an die Heldentat StrutanWinkelrieds, der das Land von einem Drachenbefreit hatte. Sie wurde Winkelried- o d er Drachen-kapelle genannt und ist dem hl.Magnus geweiht.

Der Heilige mit dem Drachen schien den altenNidwaldnern der angemessene Patron für eineDrachenkapelle. Sofort übernahm aber SanktMagnus auch seine neue Aufgabe als Bckümpfcr derEngerlinge und Maikäfer. Um die Jahrhundertwendewaren d ie Bittgänge nach «St. Mang auf dem All-weg» zur Gewohnheit geworden, ja die Begeisterung

dafür schien schon abzuflauen, so daß die hoheRegierung 1708 die Bevölkerung zu vermehrterTeilnahme ermahnen mußte: «Weilen von ersühn-liehen Jahren hero zur Ausreüttung der schedlichenIngern undt zur Erhaltung des lieben Viechs eineallgemeine Prozession zue St. Mang abgehalten, aber

neuerdings wenig besuecht worden, soll die Prie-sterschaft von den Kanzlen herab das Volk dazucgemahnen.» Besonders 1711, als die Engerlinge inFülle großen Schaden stifteten, traf die RegierungAnstalten, durch Prozession und Benediktiondieses Ungeziefer zu bekämpfen. Da auch das Klo-ster Engelberg eine kleine Reliquie des hl.Magnusbesaß, ersuchte der Wochenrat den gnädigen' Herrn,diese überbringen zu lassen, damit bei der «all-gemeinen Landsprocession zu dem Hl. Magno Uffdem Allweg die Benediction und Segen ertheilt undwir des Leidigen Unzüffers vermittelst gedachteAllgemeiner Andacht und Segen erledigt werdenmögent». Die Prozession wurde denn auch abgehal-

ten, und der beauftragte Pater segnete «mit St MangsHeiligthum» die Felder, das Erdreich, das Wasserund die Asche.

Wenige Wochen später vernahm man in Nid-walden, daß wieder ein Pater aus Füssen mit demMagnus-Stab in Obwalden weile. Da beschloß derWochenrat, diesen «Pater Frantz aus Fießen mit ge>

dachtem wunderwürkhendem Staab» zu ersuchen,auch nach Nidwaiden zu kommen, damit «durchdie Vorpitt des großgültigen H. Magni die liebenErdfrüchte von solcher Schedlichkeit mögen übe-riert werden». Höchst feierlich sandte man dieSpitzen der Regierung dem Pater bis an die Landes-grenze entgegen und empfahl dem ganzen Rat, demwertvollen Gast während seiner Anwesenheit aufLandesboden Gesellschaft zu leisten. Nachdem derMönch seine geistlichen Funktionen verrichtethatte, überreichte ihm die hohe Regierung einDankesschreiben an den Abt von Füssen und einHonorar von acht Louis d'or.

Der Feiertag zu Ehren des hl.Magnus bestandin Nidwaiden bis 1858, in Obwalden, wie man ver-mutet, noch zwanzig Jahre länger. Dann wurdendie alten frommen -Mittel von der Chemie abgelöst,

die radikaler aber auch gefährlicher zu Werke gehtOb ihr Enderfolg erfreulicher ausfallen wird, magdie Zukunft weisen. HflM

Man nehme . .

Wenn die englischen Verleger die Listen ihrerBestseller veröffentlichen, dann steht, neben derBibel und Shakespeares Werken, seit hundert Jah-ren ein Buch an prominenter Stelle, von dem manim Ausland kaum den Namen kennt

In England ist der Name der Autorin ein selbst-verständlicher Begriff, ganz so wie «La Tante Marie»in Frankreich und «Die Prato» in Oesterreich. Aus-wärtige Gäste, ob sie bei Freunden oder in Restau-rants essen, werden leider zur Anschauung kommen,die englische Küche sei langweilig, arm, phantasie-

los sagen wir es ehrlich: recht schlecht. Hättensie, aber das kann man von Gästen kaum verhingen,

eine Viertelstunde mit dem Standardwerk IsabelleBeeton's: «Die Leitung, eines Haushaltes» verbracht,so' wüßten sie, daß man' einst in England sogar aus-gezeichnet gekocht and opulent gegessen hat. Mrs.Beeton, wenn sie vielleicht hoch als Geist aus denTagen 'der Königin Victoria durch Englands Küchenspukt, wundert sich wahrscheinlich selbst am mei-sten, wie es so weit hat kommen können.

Der Geist der Frau Isabelle Beeton wird nichterhört, obwohl sie keine von denen ist, derenRezepte mit 16 Eiern, einer silbernen Schüssel,einer Flasche Sherry und einem halben PfundKaviar beginnen. Moderne Kochrezepte erscheinenin den Frauenzeitungen unter dem Namen Peggy,Jane, oder Mary Beaton. Neue Kochbücher, dünn,flach, stromliniert, sind so wie die Speisen, die sieempfehlen. Alle Tageszeitungen widmen täglich

eine Spalte der Kochkunst. Rundfunk und Fern-sehen haben ihre wöchentlichen Kochstunden. Siesind größtenteils unkundig abgefaßt, gehen an demEssentiellen des Kochens vorbei und sind fast allefür die Katze. Davon verängstigt, öffnet die Haus-frau eine Büchse gebackener Bohnen und eineBüchse Spaghetti in Tomatensauce, legt beides aufBrot und unter den Toaströster und wendet sichträumerisch der Lektüre der Isabelle Beeton zu, sowie man sieb von einem Reisebuch in die Südseeentführen läßt Zwischendurch liest auch der Gattemit und murmelt: «Das waren noch Zeiten!»

Sie war keine «Kochtante», keine furchterregendtüchtige Hausfrau. Sie war eine junge Dame, dieihrem Gatten, einem Verleger, bei seinen Geschäf-ten half, eine ganz ausgefallene Sache in den 50erJahren des vorigen Jahrhunderts, und die In* einLeben, das bloß achtundzwanzig Jahre währte, mehrhineinpreßte als viele ihrer Zeitgenossinnen, dieGroßmamas wurden.

Ihr Vater war Sekretär des Rennplatzes inEpsom, ein vermögender, kultivierter Mann, derüber .eine Dienstwohnung im Zuschauerpavillon v e r-fügte. Den großen Speisesaal installierte er als; Eß-zimmer der Familie, die Kinder spielten währendder .toten Saison auf den Tribünen und auf derRennbahn, und ums Derby herum wurden sie zuFreunden geschickt Da der gute Mr. Dorling ein-undzwanzig Kinder hatte, war offenbar wirklich einRennplatz nötig, um sie alle unterzubringen.

Während der .Rennzeit hatten die Dorlings denRestaurantbetrieb unter sich, und möglicherweisegab diese Bewirtung im großen Stil Isabelle mancheihrer grandiosen Ideen für später. Mit 20 Jahrenverliebte sie sich in den Verleger Sam Beeton undheiratete ihn ein Jahr später.

Sam war ein unternehmungslustiger jungerMann. Er hatte mit dem Nachdruck von «OnkelToms Hütte» eine Menge Geld gemacht, einem legalzulässigen literarischen Diebstahl, da die englischenVerleger damals das amerikanische Copyright nichtanerkannten. Beeton allerdings war eine Ausnahme;er druckte das Buch zwar wie alle andern ohne, dieErlaubnis der Autorin, aber nachher fuhr er nachAmerika und händigte Mrs. Harriet Beechcr Stoweeinen Scheck auf 500 Pfund aus.

Als er Isabelle heiratete, gab er «Boys' OwnJournal-» heraus, eine Jungenzeitung, und einigeFrauenmagazine. «Queen» und «Boys* Own» existie-ren noch heute. Isabelle begann sofort, ihm zu

helfen. Zu einer Zeit, da Damen (zum Unterschiedvon Frauen; damals gab es noch einen klar definier-ten Unterschied) mit der «Beaufsichtigung» ihresHaushaltes voll beschäftigt waren, übersetzte Isa-belle aus dem Französischen, korrigierte Manu-skripte,- sorgte für den Umbruch, und richtete denersten Schnittmusterdienst in England nach fran-zösischem Vorbild ein. Daß sie das Haus führte,Gäste empfing, vier Kinder gebar, von denen siezwei ganz klein verlor, davon sprach man kaum.

Aber man sprach von ihrem Standardwerk.Schon als junges Mädchen hatte diese klare, logische,systematische Frau ein verläßliches Buch vermißt,in dem man nachschlagen konnte, wie man Fleckenaus einem Perserteppich entfernt, einen Braten zu-richtet, Kranke pflegt,' eine Köchin aufnimmt undein Abendessen arrangiert Da es nichts 'dergleichengab; schrieb sie es selbst und verlegte es bei ihremGatten,* zuerst in monatlichen

' Bändchen, dann 'ge-

sammelt als Buch.

Dazwischen all das in acht Jahren Ehe biszu ihrem frühen Tod fuhr sie nach Heidelberg,wo ihre kleinen Schwestern im Pensionat waren,reiste nach Berlin, Biarritz, Irland und Brüssel.Aber wo immer sie war, die Arbeit reiste mit ihr:sie korrigierte Rezepte aus ihrem Leserkreis, diesie jedes einzeln ausprobierte, ließ Illustrationenanfertigen und sah die Druckfahnen durch. Sie undihr Mann waren ständige Besucher in Paris, wo sieselbstverständlich nicht im Traum daran dachten,i h re Eßgewohnheiten zu ändern. Sie begannen denTag mit einem ordentlichen Frühstück mit Steaksund Koteletten, ein bißchen Fisch vielleicht undnatürlich Orangenjam. Mittags aßen sie, zur Vcr-zweiflung ihrer Gastgeber, nur ein bißchen Suppe

und Toast, und dann um Fünf verspeisten sie einsolides Abendessen mit fünf Gängen.

Das Buch wurde sofort bei seinem Erscheinenein. Riesenerfolg. Isahelles präziser Stil, ihre Samm-lung von Anekdoten über Brillat-Savarin, überJenny Limit, die «schwedische Nachtigall», der sieeine Suppe gegen Halsweh verdankte, ihre 'Gabe,die Dinge zu erklären, ob sie nun über Hausmittelgegen eine Ohnmacht oder über Suppenküchen inNotzeiten schrieb, gefielen, und gefallen noch heute.Ihr «illustrierter» Wildschweinskopf, ihr getrüffelterFasan, ihre hoch getürmten Torten in zwölf Schich-ten, ihre Eisbomben und pikanten Gelees wurdenSchaustücke der englischen Haushalte. Und in derOriginalausgabe (heute ein Sammlerstück, denn jedeneue Auflage wird modernisiert) lesen wir mit einwenig Sehnsucht von Einrichtungen, die es längst

nicht mehr gibt: die Diät einer Amme, das Verhält-nis zwischen Köchin und Küchenmädchen, die Rei-nigung von Straußfedern und Reiheragraffen, daskorrekte Verhalten bei offiziellen Besuchen... ihrpraktischer Wert ist Vom Wind verweht. Aber alsSozialgcschichte dieser Zeit sind diese 1997 Seitennoch immer zum Greifen nahe. Einhundert Rezeptegab sie allein für Rindfleisch, fast ebenso viele fürLammfleisch. Wir lesen über Puddings, Gebäck,Brot, oft mit Zitaten von Keats, Byron, Shelley ver-quickt, und betrachten mit Entzücken die silbernenTafcldekorationen mit Blumen und Kristall. Nichtzu vergessen ihre Vorbereitungen für ein Picknickzu vierzig Personen mit vier gebratenen Kapau-nen, zwei Enten, einem glasierten Schinken und einerZunge , zu dem ausdrücklich drei Korkzieher ge-braucht wurden.

Isabelles Nachkommen nehmen sechs Käsesand-wichs mit, wenn sie auf ein Picknick radeln, und siesind meistens zu zweit oder zu viert. Vielleicht habensie mehr Freunde am Leben als die Damen, die einenTeekessel mitnehmen mußten, Teetassen, kleine undgroße Teller und Besteck. Sie sind nette, muntere,unbeschwerte junge Frauen, aber ach, sie sollten siel;von den Mengen und vom Aufputz nicht abhaltenlassen, Souffles ä la Marlborough zuzubereiten,Potage Solferino oder Poulet Marengo, in Oel undWeißwein gedünstet. Kochen ist, wenn man sich nurein Herz nimmt, gar nicht so schwer. . q

Neue Zürcher Zeitung vom 21.05.1960

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