Postwachstumsökonomie – eine Strategie für den Klimaschutz?

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Postwachstumsökonomie – eine Strategie für den Klimaschutz?Prof. Dr. Manfred MiosgaUniversität Bayreuth, Abteilung Stadt-und Regionalentwicklung

Bayreuther Klimaschutzsymposium 2016Dienstag, 04. Oktober 2016, Universität Bayreuth

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Inhalt1. Herausforderung Klimawandel – Implikationen des Pariser

Abkommens

2. Green Growth, Green Technologies, Green Economy… kann ein ergrüntes Wachstum die Lösung sein?

3. „Befreiung vom Überfluss“: Ideen und Konzepte einer Postwachstumsgesellschaft

4. Jenseits der Utopie: gibt es kommunale Strategien aus derWachstumsfalle?

5. Diskussion

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Herausforderung Klimawandel

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Herausforderung Klimawandel

WBGU 2011:„Eine Erderwärmung um mehr als 2⁰C würde unsere Zivilisation vor beispiellose Herausforderungen stellen und bedeutet daher eine ‚gefährliche Störung des Klimasystems‘“

Quelle: http://www.wbgu.de/hauptgutachten/hg‐2011‐transformation/

http://www.nasa.gov/sites/default/files/thumbnails/image/2016temperature.png

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Überschreiten der planetarischen Leitplanken

http://www.overshootday.org/newsroom/past‐earth‐overshoot‐days/

Von Ninjatacoshell ‐ Diese Datei wurde von diesem Werk abgeleitet:  Globe.svg, CC‐BY‐SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39247838

Will Steffen et al: Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet. In: Science. (2015), doi:10.1126/science.1259855

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UN-Klimakonferenz 2015 in Paris – der nötige Durchbruch?

U.S. Department of State from United States ‐ Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=45609724

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UN-Konferenz von Paris 2015

Weltgemeinschaft erkennt Dramatik der Situation

Zielfestlegung: weltweiter Temperaturanstiig soll auf ein

Niveau von „weit unter 2°C“ begrenzt werden Es sind „Anstrengungen zu unternehmen,

einen Anstieg auf 1,5°C nicht zu überschreiten“ Die globalen Treibhausgasemissionen sind in

der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auf Netto-Null zu senken.

Geht über bisherigen politischen Konsens hinaus

Quelle: NewClimate, Februar 2016, Kurzstudie im Auftrag von Greenpeace, S. 2 

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Das Klimaabkommen von Paris

http://www.greenpeace.org/international/Global/international/briefings/climate/COP21/Operationalise‐Mitigation‐Ambition‐Mechanism.jpg

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UN-Konferenz von Paris 2015 - Kritik Bisher nur Symbolik – Absichtsbekundung „So schnell wie möglich“ Klausel, fehlende klaren Daten und Termine, z.B. ab wann

die THG-Emissionen sinken sollen ->„wage Verpflichtung“ Freiwillige Verpflichtung, deren Einhaltung der nationalen Regierungen obliegt ohne

äußere Kontrolle oder Strafen. Vertraglich ist nur das Stecken ambitionierterer Ziele, alle 5 Jahre bindend, nicht die Einhaltung dieser.

Der Vertrag ist völkerrechtlich bindend, aber keine Strafen falls INDC-Ziele verfehlt werden.

Damit ist die einzige Verpflichtung: regelmäßige 5 jährliche Präsentation der INDC Fehlende Einklagbarkeit von den im Vertrag genannten Hilfen für Klimaschäden in

armen Staaten.

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Was folgt aus dem Pariser Abkommen

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Was bedeutet das Pariser Abkommen für den Klimaschutz in Deutschland?

Die globalen CO2-Emissionen aus der Energieerzeugung und -nutzung sowie der Land- und Forstwirtschaft etwa um 2035 null erreichen.

Industrieländer wie Deutschland müssen ihre Treibhausgasemissionen früher als im globalen Durchschnitt auf null senken, die heimischen CO2-Emissionen also vor dem Jahr 2035.

Der Anteil der erneuerbaren Energien am Energiemix (Stromerzeugung, Gebäudewärme, Industrie und Transport) in Deutschland vor dem Jahr 2035 100% erreichen.

Der Ausstieg aus der Braun- und Steinkohle zur Stromerzeugung in Deutschland bis etwa 2025 erfolgen.

Verkehr muss vermieden und verlagert, der Anteil von PKWs ohne Verbrennungsmotor erhöht werden z.B. durch die Förderung der Elektromobilität über die jetzigen Ziele hinaus.

5% der Gebäude in Deutschland müssen pro Jahr energetisch saniert werden (statt 1%). Alle Neubauten müssen den Nullenergie-Standard erfüllen.

Emissionen aus Landwirtschaft letztendlich auch auf fast null gesenkt werden, wenn auch eventuell etwas später als die energiebedingten Emissionen.

Die Forstwirtschaft kann durch den Aufbau von Biomasse-Vorrat in den Wäldern erhebliche Mengen an CO2 aus der Atmosphäre als sogenannte Senke binden.

Quelle: Niklas Höhne, Takeshi Kuramochi, Sebastian Sterl, Lina Röschel: Was bedeutet das Pariser Abkommen für den Klimaschutz in Deutschland? Kurzstudie von NewClimate Institute im Auftrag von Greenpeace. Februar 2016

Annahmen: verbleibende globale CO2‐Budget (nach derzeitiger globaler Emissionsentwicklungen) zu Grunde gelegt  Negative Emissionen unberücksichtigt (CCS, Geoengeneering); Potenzial von Wäldern und Böden eher 

gering

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Green Growth, Green Technologies, Green Economy – kann ein ergrüntesWachstum die Lösung sein?

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Quelle: WBGU 2011

Quelle: Süddeutsche Zeitung

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Entkopplung macht‘s möglich…

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Rebound-Effekte

Werbeanzeige aus dem Jahr 2009

Sorrell, S. 2007: The Rebound Effect: an Assessment of the Evidencefor Economy‐wide Energy Savings from Improved Energy Efficiency. London: UK Energy Research Center

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Rebound-Effekte vs Entkopplung

Entwicklung des Kraftstoffverbrauchs(Atlas der Globalisierung 2015: 56)

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Rebound-Effekte

„Die Zukunft liegt in der Wolke

Cloud Computing wird das IT-Geschehen der Zukunft prägen. Obwohl die Wolke selbst sehr ressourceneffizient sein kann, wird durch die starke Zunahme in der Nutzung der Ressourcenbedarfweiter steigen.“

Dr. Ralph Hintemann: Green Cloud Computing:Rebound komplex. In: Factor Y. Heft 3, 2014 Entwicklung des weltweiten Energiebedarfs der mobilen Cloud-Nutzung

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Peak Lithium? Ressourcenverlagerung

Szenario zum Lithiumbedarf(Fraunhofer ISI 2011: 22)

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Rebound vs Entkopplung

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https://www.umweltbundesamt.de/daten/klimawandel/treibhausgas‐emissionen‐in‐deutschland

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„Entkopplungsmythos“ Finanzielle Rebound-Effekte: Einsparungsbedingte Kostensenkungen führen zu

Mehrverbrauch Psychologischer Rebound: Moralische Kompensation nicht nachhaltigen Verhaltens Überschätzung technischer Möglichkeiten Materieller Rebound: Zuwachs an materiellen Bestandsgrößen mit geringeren Stoff-

und Energieflüssen als vorher verwendete Techniken Verlagerungseffekte/Problemverschiebungen:

Materielle Verlagerung: Knappheit einer Ressource (z.B. fossile Energien) wird durch knappe andere Ressourcen (z.B. seltene Metalle) ersetzt 

Mediale Verlagerung: Ökologische Schäden in einem Medium (z.B. Emissionen in der Atmosphäre) werden in ein anderes Medium (z.B. Fläche) transferiert

Zeitliche Verlagerung: z.B. Probleme bei der Entsorgung von Photovoltaikpaneelen und Windkraftanlagen am Ende ihrer Nutzungsdauer (i.d.R. 20 Jahre)

Unabschätzbare Innovationsrisiken

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Das Zeitproblem im Klimaschutz

Beispiele für globale Emissionspfade, bei denen im Zeitraum 2010–2050 750 Mrd. t CO2 emittiert werden.Quelle: WBGU, 2009b

Knutti, R. et al: A scientific critique of the two‐degree climate change target. In: Nature Geoscience 9 (2016), verändert

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Ideen und Konzepte einer Postwachstumsgesellschaft

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Wachstumskritik als Basis der PWÖ Fortlaufendes Wirtschaftswachstum ist die zentrale Ursache der ökologischen Krise

und löst auch soziale Probleme nicht. Unbegrenztes Wirtschaftswachstum ist in einer endlichen Welt nicht möglich. Wirtschaftswachstum kann nicht vollständig durch Effizienzsteigerungen vom

Umweltverbrauch entkoppelt werden. Anhaltendes Wirtschaftswachstum steigert ab einem bestimmten Sättigungspunkt

den individuellen und gesellschaftlichen Nutzen nicht weiter. Nachhaltige Entwicklung erfordert eine dauerhafte Reduzierung des

Ressourcenverbrauchs, die aufgrund der Stofflichkeit von Produktion und Konsum mit einer Verringerung des Wirtschaftswachstums einhergeht.

„Wohlstand ohne Wachstum“(Jackson 2011): Lebensqualität erhalten, ohne Produktion und Konsum ständig steigern zu müssen

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Postwachstumsökonomie als Alternative?Die Thesen von Niko Paech im Überblick (Paech 2012: 10 f.)

„Erstens: Unser ohne Wachstum nicht zu stabilisierender Wohlstand ist das Resultat einer umfassenden ökologischen Plünderung. […]

Zweitens: Jegliche Anstrengungen, wirtschaftliches Wachstum durch technische Innovationen von ökologischen Schäden zu entkoppeln, sind bestenfalls zum Scheitern verurteilt. […]

Drittens: Das Alternativprogramm einer Postwachstumsökonomie würde zwar auf eine drastische Reduktion der industriellen Produktion hinauslaufen, aber erstens die ökonomische Stabilität der Versorgung (Resilienz) stärken und zweitens keine Verzichtsleistung darstellen, sondern sogar die Aussicht auf mehr Glück eröffnen.“

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Ziele der PWÖ Überwindung der Wachstumsorientierung Begründung der Notwendigkeit einer ökologisch und sozial

zukunftsfähigen Wirtschaft ohne Wachstum Erzeugung von Veränderungswissen Aufzeigen von praktischen Handlungsoptionen

Die Postwachstumsökonomie ist ein konkreter Zukunftsentwurf für eine nachhaltige Entwicklung auf der Grundlage einer Wirtschaft, die ohne weiteres Wirtschaftswachstum funktionieren kann.

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Reduktion als zentrales Programm der PWÖ

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Ansatzpunkte für eine Postwachstumswirtschaft

Suffizienz Subsistenz, Industrierückbau De-Globalisierung von Produktion und Konsum, Regionalwirtschaft Veränderung der industriellen Produktion Institutionelle Innovationen

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5 Schritte zu einer Wirtschaft ohne Wachstum

Quelle: Paech 2009: 30

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Suffizienz: Befreiung vom Überfluss durch Mäßigung

Übliches Verständnis: Verzicht, Askese Positive Wendung: Befreiung von Wohlstandsballast,

von Zeit, Geld, Raum und Ressourcen in Anspruch nehmendem Überfluss

Mäßigung des Konsums Welche Bedarfe sind sinnvoll? Welche Alternativen können die Bedarfe decken? Bedarfssubstitution, nicht Verzicht

Grafik: http://bw.bundjugend.de/files/sommerakademie‐2014‐header.jpg

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Subsistenz: Selbst-und Fremdversorgung in Balance bringen Graduelle/punktuelle Aufhebung der

Fremdversorgung, Zunahme der Selbstversorgung Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit (auf

durchschnittlich 20 Stunden pro Woche) zur Freisetzung von Zeitressourcen für marktfreie Aktivitäten

Handwerk (z.B. Pflege und Reparatur von Gütern), Kindererziehung, Nachbarschaftshilfe, Ehrenamt, Gemeinschaftsgärten

Unabhängigkeit von industrieller Fremdversorgung führt zu ökonomischer Resilienz und Autonomie

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Regionalwirtschaft

Regionalökonomie als ergänzendes Versorgungssystem zwischen lokaler Subsistenz und globaler Arbeitsteilung

Direktvermarktung

Regionalwährungen zur Bindung von Kaufkraft in der Region http://fairfinance.info/blog/2013/5/7/regionalwhrungen‐als‐altenative

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Veränderung der industriellen Produktion

Reduzierung der Neuproduktion von Gütern Langlebige, reparaturfreundliche Designs Neuherstellung von Gütern ausschließlich zum Ersatz nicht

mehr verwertbarer Güter Nutzungsdauerverlängerung (Reparatur) Nutzungsintensivierung (Gemeinschaftsnutzung) Erhalt und Aufwertung vorhandener Güterbestände Renovation (Umbau statt Neubau) Ergänzende Unternehmensdienstleistungen (Prosumentenmanagement)

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Institutionelle Innovationen Subventionsabbau zur Reduzierung ökologischer Schäden und der

öffentlichen Verschuldung Moratorium für Bodenversiegelung Rückbau von Infrastrukturen (z.B. Autobahnen, Flughäfen):

Entsiegelung, Renaturierung, Nutzung für Erneuerbare-Energien-Anlagen Emissionskonto Verpflichtung zur Kennzeichnung von Produkten mit ökologischem

Rucksack Bildungssystem: Befähigung zur Subsistenz

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Neue Verteilung der individuellen Zeitbudgets

Quelle: Nico Paech.  www.postwachstumsoekonomie.org

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Die wichtigsten Erkenntnisse der PWÖ Die Entkopplung des Wirtschaftswachstums von ökologischen Schäden ist nicht

möglich. Eine Wirtschaft ohne Wachstum ist unausweichlich –entweder erzwungen oder

gestaltet. Im Fokus einer gestalteten Postwachstumsökonomie steht, möglichst wenig zu

verbrauchen (Suffizienz) und davon möglichst viel selbst (Subsistenz) oder auf Basis lokaler Netzwerke zu produzieren.

Eine Postwachstumsökonomie ist aktuell nur für eine Minderheit akzeptabel, dabei muss sie keinen Wohlstandsverlust bedeuten.

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Gibt es kommunale Strategien aus der Wachstumsfalle?

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Gemeinnützige Forschungsgesellschaft für nachhaltige Land-und Regionalwirtschaft

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Kartoffel-kombinat

Essbare Stadt Bayreuth e.V.

Kommunale Selbstversorgung mit Lebensmitteln in Albi (FR)

Bilder:www.angewandte–wirtschaftsethik.org; www.kartoffel‐kombinat.de; www.essbares‐bayreuth.org; https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/2/25/Blason_ville_fr_Albi_%28Tarn%29.svg/545px‐Blason_ville_fr_Albi_%28Tarn%29.svg.png

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Gemeinwohl-region Vinschgau

Pumpipumpe Social Impact Lab Frankfurt

Solidarische Landwirtschaft

Bilder:www.solawi‐frankfurt‐main.de bearbeitet; www.solawizabergaeu.com; www.academieintegra.worldpress.com, www.pumpipumpe.ch, www.goodimpact.org

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Ideen3 // Räume für Entwicklung

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Bristol Pound BioenregiedorfJühnde

ElektrizitätsWerkeSchönau

Kommunale Selbstversorgung mit Lebensmitteln in Albi (FR)

Nachdem sich die Offiziellen der Stadt Albi in Südwest‐Frankreich bewusst wurden, dass die Versorgung der Stadt  im Falle einer Lebensmittelkrise nur für 5 Tage gesichert ist, gaben sie Anfang 2016 bekannt, dass bis 2020 die komplette Selbstversorgung mit Lebensmitteln aus einem 60km Umkreis um die Präfektur Tarn erreicht werden soll. Eine zukunftsfähige und visionäre Maßnahme zur Steigerung der regionalen Resilienz. Die 51.000 Einwohner starke Stadt ist damit die erste Frankreichs dieser Größenordnung, die sich auf diesen ambitionierten Weg gemacht hat. Sie setzt auf kurze Wege, eine direktere Vernetzung von Land und Stadt, durch die sich Erzeuger*innen und Abnehmer*innen sich wieder kennenlernen und „die Hände schütteln“, und auf urbane Landwirtschaft:

Auf einer 73 Hektar großen nicht baureifen Brachfläche, die nur 15 Fahrradminuten vom Stadtzentrum entfernt ist, befindet sich nun ein echtes „Gemeinde‐Laboratorium“. Nachdem es die Gemeinde erworben hat, verpachtet sie nun kleine Parzellen von bis zu einem Hektar an „Neu‐Gemüsebauern“, die sich an den Beruf heranwagen wollen. Willkommen in Canavières – der Zukunft der „Stadtbauern“.

Bilder:www.ideenhochdrei.org; www.bristolpound.org; www.bioenergiedorf.de; www.ews‐schoenau.de

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Ihr Kontakt zu uns

Prof. Dr. Manfred Miosga Sebastian Norck

Universität BayreuthAbteilung Stadt- und RegionalentwicklungTel.: 0921/55-2280Fax: 0921/55-2369E-Mail: manfred.miosga@uni-bayreuth.de

Universität BayreuthAbteilung Stadt- und RegionalentwicklungTel.: 0921/55-4676Fax: 0921/55-4667E-Mail: sebastian.norck@uni-bayreuth.de

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