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Projekt Traumapädagogik in der Jugendhilfe: Ergebnisse der
Begleitforschung
Auswirkungen der Implementierung traumapädagogischer
Konzepte auf die Institutionen, Mitarbeiter sowie die
Kinder und Jugendlichen
Ute Ziegenhain, Annabel Zwönitzer, Claudia Dölitzsch, Marc Schmid,
Anne Katrin Künster
Förderung durch
11. Kinder- und Jugendbericht:
eklatanter Mangel an Wirksamkeitsüberprüfung in der JH
– viel Prozess, wenig Ergebnis ?
häufige Kritik:
- Reduktion und Verengung von komplexen Zusammenhängen
(„Methodenzwang“, finanzieller Rahmen)
- „Belästigung“ der Praxis mit zeitaufwendigen
Begleiterscheinungen (Fragebögen, Interviews, etc.)
- häufig kein direkter Nutzen
Projekt „Traumapädagogik in der stationären Jugendhilfe:
„schlanke, den Prozess abbildende Evaluation“?
(Marc Schmid)
„Action-Research“ – gemeinsame Forschung von
Wissenschaft und Praxis
Forschungskompetenz
Informations-
gewinnung
Aufbereitung
und
Interpretation:
Wirksamkeits-
überprüfung und ggf.
auch Nutzen für die Praxis
Praxiskompetenz
Feldkenntnis
Kenntnis der
Relevanz von
Fragestellungen
Kompetenzlücke:
konkrete Umsetzung
in die Praxis
„Action-Research“ – gemeinsamer Nutzen für Praxis
und Forschung
extreme und kumulierende psychosoziale Belastungen wie
Misshandlung, sexueller Missbrauch, Deprivation
und multiple Beziehungsabbrüche durch unterschiedliche
Fremdplatzierungen (gesicherte Missbrauchs-, Misshandlungs-
und/oder Vernachlässigungserfahrungen bei ca. 60% der Kinder und
Jugendlichen in stationärer Jugendhilfe (Meltzer et al., 2003;
Schmid, z.B. 2008)
externalisierende Verhaltensprobleme (aggressiv-impulsives
Verhalten), zunehmend Persönlichkeitsstörungen mit
selbstverletzendem Verhalten, erhöhte Suizidalität, massiv
erhöhtes Suchtentwicklungsrisiko (Fegert et al. EMCDDA-Bericht 2007 –
forthcoming http://europa.eu/agencies/ community_agencies/emcdda/index_de.htm)
vermutlich Folgen früher Störungen der Bindungsbeziehung / früher Traumatisierung in der Beziehung (neben belegten dispositionellen
Temperamentsmerkmalen und anlagebedingten Risiken)
Psychisch belastete Kinder und Jugendliche
in stationärer Jugendhilfe
Empfehlungen an die Fachpraxis der Kinder- und Jugendhilfe, an die beteiligten Institutionen in den gesundheitsbezogenen Netzwerken sowie an die Politik:
„Die Hilfsangebote für traumatisierte Kinder und Jugendliche müssen mehr Aufmerksamkeit erhalten. Im Kompetenzprofil der Fachkräfte muss die Sensibilität für die Situation von traumatisierten Kindern und Jugendlichen einen höheren Stellenwert erhalten“
13. Kinder- und Jugendbericht
Projekt „Traumapädagogik in der stationären Jugendhilfe“
Projekt CJD „Traumapädagogik in der stationären Jugendhilfe“
Laufzeit:
- Januar 2012 – Februar 2014
Ziele:
- Implementierung traumapädagogischer Konzepte in die Arbeit
der stationären Jugendhilfe
- Evaluation der Implementierung und begleitende
Dokumentation
Umsetzung: Implementierung des Konzepts durch
traumapädagogische Schulung für
A) Leitungsebene (6 Module à 3 Tage)
B) Gruppenpädagogen/innen (8 Module à 2 Tage)
In insgesamt 10 Einrichtungen
Versorgungsebenen
Kind
Gruppen-
pädagogIn Versorger Leitung
Institution
Wissenschaftliche Dokumentation und Evaluation
Praxisorientierte Evaluation
Prozessbeschreibung
Einrichtungsleitung Versorger Teammitarbeiter
Veränderungsmessung
Ebene der Mitarbeiter Ebene der Kinder
Ziele der wissenschaftlichen Begleitforschung
Ablauf der Evaluation
Schulungen
der Versorger in der IG
Schulungen
der Teammitarbeiter in der IG
t1 prä
Institutionen
Versorger
Team
Kinder/
Jugendliche Untersuchung der Kinder/Jugendlichen
t2
t3 post
qualitative
Interviews
Befragung der Teammitarbeiter
Der Begriff wurde von Freudenberger Anfang der 70er Jahre in
der Beschreibung der Erschöpfungszustände von freiwilligen
Helfern in einer sozialen Einrichtung für Drogenabhängige in
New York zuerst verwandt:
- zunehmende Erschöpfung
- distanzierte und zynische Einstellung gegenüber den
Klienten
- negative Einstellung gegenüber der Arbeitsleistung
(Freudenberger 1974)
Christina Maslach, Berkeley, definierte Burnout Zustände
1982 folgendermaßen:
- emotionale Erschöpfung
- Depersonalisierung
- reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit
Burnout
Leistung,
Arbeit
Körper
Sinnlichkeit
Spiritualität
Kultur
Soziale
Beziehungen
„Work-Life-Balance“ (nach Fegert)
Stichprobenbeschreibung
Teammitarbeiter Interventions-
gruppe (N=61)
Kontrollgruppe
(N=20)
Alter MW= 38,97,
SD=10,58
MW=32,20
SD=9,29
männlich 17 (27 %) 7 (35 %)
weiblich 45 (73 %) 13 (65 %)
Kinder &
Jugendliche
Interventions-
gruppe (N=80)
Kontrollgruppe
(N=28)
Alter MW= 13,8;
SD= 3,21
MW=17,2;
SD=1,99
männlich 48 (60%) 20 (71%)
weiblich 32 (40 %) 8 (29 %)
Stichprobenbeschreibung
Teammitarbeiter Interventions-
gruppe (N=61)
Kontrollgruppe
(N=20)
Alter MW= 38,97,
SD=10,58
MW=32,20
SD=9,29
männlich 17 (27 %) 7 (35 %)
weiblich 45 (73 %) 13 (65 %)
Kinder &
Jugendliche
Interventions-
gruppe (N=80)
Kontrollgruppe
(N=28)
Alter MW= 13,8;
SD= 3,21
MW=17,2;
SD=1,99
männlich 48 (60%) 20 (71%)
weiblich 32 (40 %) 8 (29 %)
Teammitarbeiter in der
Interventionsgruppe
waren signifikant
älter!!
Kinder/Jugendliche in
der
Interventionsgruppe
waren signifikant
jünger!!
Ergebnisse
Praxisorientierte Evaluation
Prozessbeschreibung
Einrichtungsleitung Versorger Teammitarbeiter
Veränderungsmessung
Ebene der Mitarbeiter Ebene der Kinder
Ziele der wissenschaftlichen Begleitforschung
Teambefragung – Verdacht auf Burnout
Interventionsgruppe
(10 Einrichtungen)
Kontrollgruppe
(3 Einrichtungen)
prä 23 37% 6 30%
post 15 24% 8 40 %
Tendenziell gibt es insgesamt weniger Personen mit Verdacht auf
Burnout in der Interventionsgruppe! (Chi²=6,26; p<.05; df=1; N=59)
Fragebogen zum Burnout (BOSS, Hagemann & Geuenich, 2010)
Fragebogen für Jugendliche (YSR 11-18, Döpfner et al., 1998)
- Jugendliche von 11 bis 18 Jahren
- Teil 1: drei Kompetenzskalen zusammengefasst
- Teil 2: acht Problemskalen
- Internale Störungen (Sozialer Rückzug, Körperliche
Beschwerden, Angst/Depressivität)
- Externale Störungen (Dissoziales Verhalten, Aggressives
Verhalten)
- Gemischte Störungen (Soziale Probleme,
schizoid/zwanghaft, Aufmerksamkeitsprobleme)
Verringerung der internalisierenden Verhaltensprobleme bei
Jugendlichen
Jugendliche berichteten im Verlauf von geringeren
internalisierenden Symptomen (F=4,76; df=1;79; p<.05; d=0,22;
N=81)
Klinischer
Cut-off
Verringerung der internalisierenden Verhaltensprobleme bei
Jugendlichen
Jugendliche berichteten im Verlauf von geringeren
internalisierenden Symptomen (F=4,76; df=1;79; p<.05; d=0,22;
N=81)
Signifikant stärkere Verringerung der Verhaltensprobleme der
Jugendlichen in den Einrichtungen in denen sich auch die Anzahl der
Burnout-Verdachtsdiagnosen der Mitarbeiter verringert hatte
(F=6,68; df=1;61; p<.05; d=0,23; N=64)
Auch die posttraumatischen Belastungssymptome wurden signifikant
weniger in Einrichtungen, die das Burnout-Risiko verringern konnten
(F=19,97; df=1;70; p=.00; d=0,31; N=73)!
Weniger Burnout-Verdacht weniger internalisierende
Verhaltensprobleme und weniger PTBS-Symptome bei den
Jugendlichen!
Praxisorientierte Evaluation
Prozessbeschreibung
Einrichtungsleitung Versorger Teammitarbeiter
Veränderungsmessung
Ebene der Mitarbeiter Ebene der Kinder
Ziele der wissenschaftlichen Begleitforschung
Art der Befragung Funktion der Mitarbeiter Anzahl der
Teilnehmerinnen und
Teilnehmer
Prozessfragebogen
(Multiple Choice und
Freitext), schriftlich
Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des
pädagogischen Teams,
VersorgerInnen,
Einrichtungsleitungen
22
qualitatives Interview Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des
pädagogischen Teams
7
Versorgerinnen und
Versorger
7
Einrichtungsleitungen 3
- Beginn des Prozesses/ Einführung des Konzeptes
(Entscheidungsprozesse, Informationspolitik, Abläufe etc.)
- Umsetzung der traumapädagogischen Ansätze
- wahrgenommene Veränderungen in den verschiedenen
Bereichen (Auswirkungen auf Kinder & Jugendliche, Team,
Einrichtung, Eltern, persönlich)
- Resümee des gesamten Prozesses
- für Versorger zusätzlich: Definition der Versorgerrolle
Inhalte der Befragung / Prozessbeschreibung
0%
20%
40%
60%
80%
100%
120%
Veränderungen im Prozess
Veränderungsbereiche im Implementierungsprozess
Prozessfragebogen; N=22
„…ja es ist vor allem eine Haltungssache. Also dieses
Stichwort des „Guten Grundes“, das Kind hat einen guten
Grund, wenn es sich so verhält, und die Verhaltensweise, die
wir als störend empfinden war vorher die Überlebensstrategie
für das Kind, das war vorher lebensnotwendig. Und die legt
man ja nicht eben ab, nur weil’s hier anders ist….“
Förderliche und hinderliche Faktoren
Förderliche Faktoren
Unterstützung durch die Leitungsebene
(Versorgung, Teilnahme an den Schulungen, Unterstützung bei der
Durchsetzung wichtiger Veränderungsprozesse)
Schulung eines gesamten pädagogischen Teams
Interesse und Offenheit bei den nicht-geschulten Mitarbeitern
Offenheit für Veränderungen der Strukturen und Veränderungen bei
allen Beteiligten
hohe Motivation der Teilnehmer
Unterstützung durch das Jugendamt
Partizipation der Mitarbeiter am Entscheidungsprozess
„…Also ich hatte ganz oft das Gefühl, dass wenn ich wirklich
Hilfe brauche, dass ich auch ernst genommen werde und
dass man mir auch Sicherheit gibt, dass man mir Hilfestellung
gibt, wenn ich darum bitte. Dass viel eher die Bereitschaft da
war, da nach Lösungen zu suchen….“
„…wir brauchen einfach eine finanzielle Unterstützung von
den Jugendämtern, die das oft nicht eingesehen haben und
jetzt unter dem Blickwinkel „Spaß und Freude trägt mehr
Belastung“ da offener sind für solche Aktivitäten. Also dass es
nicht dazu dient, dass wir einfach einen chilligen Job hier
machen, sondern dass es durchaus einen guten Grund hat
warum wir das machen….“
Förderliche Faktoren
bunt gemischte Prozessteams (professioneller Hintergrund,
Persönlichkeiten, Altersstruktur)
stabile Teamstruktur
gute Kooperation mit anderen Kooperationspartnern
„…ich glaube, dass es tatsächlich die Vielfalt ist, die total
wichtig ist. Und die haben wir eben auch in diesem
Projektteam…“
Hinderliche Faktoren
geringe Veränderungsbereitschaft der Leitungsebene
bürokratische Hindernisse (innerhalb der Einrichtung (z.B. keine
Reaktion auf Schadensmeldungen, abrechnungstechnische
Schwierigkeiten)
geringe Ressourcen (Zeit, finanziell, personell)
geringe Belastbarkeit der Teammitarbeiter (z.B. durch eigene
persönliche Schwierigkeiten)
Zusammensetzung der Fortbildungsgruppen (unterschiedlicher
Entwicklungsstand und Ausgangssituation, andere Strukturen,
andere Bedürfnisse)
wenn Versorger als nicht versorgend und nicht transparent erlebt
wurden
„… der „Sichere Ort“ macht mich eigentlich im Moment
eher wütend, weil ich‘s gern umsetzen würde aber nicht
kann… es wird eigentlich nicht gewollt, dass die
Jugendlichen so viel mitbestimmen… finde ich sehr
schade…“
Hinderliche Faktoren
mangelnde Kommunikation (z.B. von den Versorgern an die
Mitarbeiter: Informationen z.B. über Schulungsinhalte wurden nicht
immer weitergegeben)
Teil des Teams hat nicht an Schulung teilgenommen (keine Zeit es
Ihnen zu erklären, aus zweiter Hand nicht so nachhaltig verankert,
Abwehr weil sie die Schulungen durch Überstunden ausgleichen
müssen)
Verständnisprobleme der Inhalte / Widerstände bei Kollegen die
Inhalte umzusetzen
Resümee
„..und ich finde es einfach ein sehr, sehr gutes Konzept
im Vergleich zu anderen Fortbildungskonzepten, die wir
hatten, die im Sande verlaufen sind, weil sie nicht
ganzheitlich genug waren. Weil es nur Einheiten von
Fortbildung waren, weil die Haltung bei weitem nicht so
im Vordergrund stand und wo dann im Alltag einfach
alles in Vergessenheit geraten ist, würde ich auch mal
sagen. Also insofern bin ich von dem Konzept sehr
angetan und würde es jederzeit weiter empfehlen…“
„…aber diese Traumapädagogik ist für mich eigentlich:
So sollte Pädagogik sein. Also ich finde, das ist so; ich
hab ganz viel Bestätigung über die Pädagogik, so wie wir
arbeiten, also wie sie mir wichtig ist. Und ich finde, nicht
nur mit Traumakindern zu tun, sondern das sollte man
allen Kindern angedeihen lassen…“
Zusammenfassung und Fazit
Zusammenfassung und Fazit
- die Implementierung des traumapädagogischen Ansatzes wurde
als positiv und gewinnbringend beschrieben
- positive Entwicklungen - sowohl auf der Ebene der Mitarbeiter,
der Kinder und Jugendlichen als auch auf Institutionsebene
- der Prozess der Implementierung wurde insbesondere durch die
gegenseitige Unterstützung/Versorgung im Team, die
Unterstützung durch die Leitung sowie durch die Bereitstellung
ausreichender Ressourcen positiv beeinflusst!
- Verbesserungen bei den Kindern und Jugendlichen (trotz der
sehr kurzen Zeitspanne)
- signifikante Reduktion internalisierender Verhaltensprobleme
Zusammenfassung und Fazit
- positive Veränderungen bei den Mitarbeitern - Reduktion von
Burnout- Verdachtsdiagnosen
- in den Einrichtungen mit Mitarbeitern, deren Burnout-
Verdachtsdiagnosen abnahmen, betreuten diese auch Kinder und
Jugendliche, deren Verhaltensauffälligkeiten und PTBS-
Symptome abnahmen
Die Beziehung zählt! Die Betonung des Beziehungsaspektes wird
durch die Evaluation bestätigt
Traumatisierte Kinder sind in der JH eher die Regel als die
Ausnahme! Traumapädagogik sollte eine grundlegende Basis der
Arbeit in der JH sein!
Dies erfordert Veränderungen auf allen strukturellen Ebenen!!!
Konrad Lorenz
– Gesagt ist nicht gehört.
– Gehört ist nicht verstanden,
– Verstanden ist nicht einverstanden.
– Einverstanden ist nicht durchgeführt.
– Durchgeführt ist nicht beibehalten.
Herausforderung für die breite und nachhaltige
Verstetigung
Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit!
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