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LOKALESSamstag, 24. Januar 2015 TU Nummer 19 29

Von Robert SeifertSondermoning. „Am Anfang

war ich schon ein wenig aufge-scheucht aus meiner heimeligenBio-Welt“, gesteht Gisela Sengl ausSondermoning, die im Herbst 2013für die Grünen überraschend denSprung in den bayerischen Land-tag geschafft hatte, über ihre erstenMonate im Maximilianeum. Beruf-liche Aufgaben, persönlicher Hori-zont, Zeit für Familie und Freunde– in den wenigen Wochen zwi-schen Wahl und Amtsantritt drehtesich ihr Leben um 180 Grad. Mitt-lerweile hat sich die Bio-Bäuerinim politischen Apparat in Mün-chen gut zurecht gefunden. Sie ha-be ihre Aufgaben und Themen ab-gesteckt, bereits erste politischeErfolge erreicht und auch ihr priva-tes Umfeld geordnet, wie sie in ei-ner ersten Zwischenbilanz gegen-über der Heimatzeitung betont.

Forcieren will sie nun die Arbeitin ihrem Wahlkreis Traunstein undin den Wahlkreisen, für die sie Be-treuungsabgeordnete der Grünenist – Altötting, das Berchtesgade-ner Land und Mühldorf sowieEichstätt und Ebersberg. Dazu sollauch der Teisendorfer Gemeinde-rat Peter Beisser beitragen, der seitJanuar auf 450-Euro-Basis für dieAbgeordnete arbeitet. „Ich bin mo-mentan noch auf der Suche nacheinem Raum für mein Wahlkreis-büro in Traunstein.“

Prominente Kollegen beider Wahl ausgestochen

Es war eine politische Sensationgewesen, dass Sengl den Sprung inden Landtag geschafft hatte. VonListenplatz 13 war sie von den Bür-gern mit fast 16 500 Stimmen aufPlatz sechs nach vorne gewähltworden, ergatterte damit eines dersieben grünen oberbayerischenMandate und stach so prominenteParteikollegen wie den damaligenFraktions-Chef Dr. Martin Rungeoder Susanne Tausendfreund dochrecht deutlich aus. Nach dem Ab-sinken der Grünen auf unter neunProzent „hab ich’s mir am Wahl-abend natürlich nicht vorstellenkönnen, dass ich drin bin – auchwenn ich mit diesem klaren Ziel inden Wahlkampf gegangen bin“, ge-steht sie. „Die politischen Verhält-nisse scheinen doch recht zemen-tiert, und so schaffen es nur seltenrichtige Überraschungskandida-ten.“

Vom heimeligen Bio-Bauernhof in den Landtag

So eine Überraschungskandida-tin war Gisela Sengl, die bei derVorbereitung auf ihr erstes Mandatüberhaupt auf breite Unterstüt-zung stieß: „Ich habe meine inner-parteilichen Kontakte genutzt undhatte natürlich eine Kandidaten-schuldung absolviert. Und von derLandtags-Verwaltung werden alleAbgeordneten – unabhängig vonder Parteizugehörigkeit – perfektbetreut.“ Das Büro im Landtag warflugs eingerichtet, zwei 25-Stun-den-Kräfte hat Sengl eingestellt,und mittlerweile ziert auch eineKlapp-Couch das Büro, falls dieSitzungen und Termine länger dau-ern, was nicht selten der Fall ist.

Viel Rückhalt habe sie in der ei-genen, zur Hälfte runderneuertenFraktion und bei deren Fachmitar-beitern gefunden, so Sengl. „Derneue Input an Ideen hat uns gut ge-tan, habe ich das Gefühl. Graben-kämpfe oder so hat’s von Anfangan nicht gegeben.“ In der ersten

Fraktionssitzung habe jeder seineThemen und Präferenzen geäu-ßert. „Ich wollte unbedingt agrar-politische Sprecherin werden undin den Ausschuss für Ernährung,Landwirtschaft und Forsten – dashabe ich geschafft.“

Zudem sitzt die Sondermonin-gerin im Ausschuss für Bildungund Kultus – und damit in den glei-chen Ausschüssen wie ihr heimi-scher CSU-Kollege Klaus Steiner,dessen Engagement Sengl übrigensunabhängig von politischen Mei-nungsverschiedenheiten durchauswertschätzen kann: „Dass er sichimmer wieder für das heimischeHandwerk einsetzt und heraus-stellt, dass nicht nur das Gymnasi-um, sondern auch die anderenSchularten was wert sind – da sindwir auf einer Linie.“ Die Zusam-menarbeit mit den anderen Abge-ordneten empfindet sie allgemeinals „sehr angenehm“: „Auf der po-litischen Ebene wird natürlich ge-

stritten, aber auf der persönlichenEbene habe ich bisher nur positiveErfahrungen gemacht.“

Trotz allem hat es einige Zeit ge-dauert, bis Sengl die Abläufe imLandtag voll durchblickt hat.„Man muss schon auch die Mehr-heitsverhältnisse im Plenum re-spektieren und nur politisch sinn-volle Aktionen starten – sonst rö-delt man ohne Effekt und stelltdurchgehend Anträge, die dann –wie aus Prinzip eigentlich alles,was von der Opposition kommt –ständig abgelehnt werden.“

„Mein Horizont hat sich enormerweitert, ich habe viele neue Leu-te kennengelernt, und mein Worthat mehr Gewicht, weil mir ein-fach mehr Leute zuhören.“ SenglsFazit nach dem ersten Jahr im neu-en Amt fällt positiv aus. „Aber an-gesichts der Themenflut, mit derman konfrontiert wird, neige ichschon noch dazu, mich zu verzet-teln. Es ist eine hohe Kunst,

Wie die heimische Grünen-Abgeordnete Gisela Sengl aus Sondermoning die 180-Grad-Wende erlebt hat – Erste politische Erfolge – Wahlkreisbüro in Traunstein

Schwerpunkte zu setzen und nurdas Sinnvolle auch weiterzuverfol-gen – da bin ich noch dabei zu ler-nen.“

Zusammen mit ihrem MannHans Dandl hatte Sengl auch denEinzug in den Traunsteiner Kreis-tag geschafft und damit für ein Ku-riosum gesorgt. „Das hilft mir, denKontakt zur Region zu halten,auch wenn ich mich aus dem Ta-gesgeschäft aus Zeitgründen na-türlich raushalten muss – dasmacht meine fleißige Fraktion.“Darum hat sie sich auch nicht füreinen der Kreisausschüsse nomi-nieren lassen, sitzt nur noch imChiemgau Tourismusverband,„weil das von meinen Themen herpasst – Stichworte: Vermarktungregionaler Produkte, Urlaub aufdem Bauernhof oder Erhalt derKulturlandschaft“.

Apropos Ehepaar im Kreistag:Gibt’s im Alltag daheim noch an-deres als Politik? „Es klappt natür-

lich nicht immer, aber wir versu-chen schon, das aus dem Familien-alltag rauszuhalten.“ Für die Fami-lie war die Wahl in den Landtag oh-nehin die größte Veränderung –weniger für Sohn Jim (32), der inMünchen als Politikwissenschaft-ler auf eigenen Füßen steht und inder Landeszentrale für neue Medi-en arbeitet. Aber für die TöchterViola (14) und Jolana (18), die bei-de noch zur Schule gehen, war dieUmstellung enorm.

„War immer daheim –nun bin ich viel weg“

Zuvor hatte Sengl mit ihremMann auf dem Bioland-Hof gear-beitet und die Produkte im eigenenLaden verkauft. „Ich habe also da-heim gearbeitet, war immer amHof für die Kinder präsent und ha-be auch viel zusammen mit mei-nem Mann gearbeitet – das ist jetztkomplett anders. Wir haben natür-lich schon im Vorfeld über meineKandidatur gesprochen, und es ha-ben mich auch alle unterstützt –aber es war uns allen nicht so klar,welch zeitlich einschneidendeVeränderungen das mit sich bringt.Drum schaue ich auch, dass dieWochenenden zumindest tagsüberfrei von Terminen sind.“

Immerhin sind die Schulferiensitzungsfrei, jeweils vor und nachden Ferien gibt es Info-Wochen,die für Klausuren, Fahrten undVeranstaltungen vor Ort genutztwerden. Die „heftigste Zeit“ sinddie 25 Sitzungswochen, in denenauch die Arbeitskreise und Frak-tionen tagen. Da herrscht Anwe-senheitspflicht, und Pflichtterminewie parlamentarische Abende bei-spielsweise von BDM oder Lehrer-verband könne man da auch nichteinfach sausen lassen.

Den Kontakt zu ihrem Bioladenund „ihren“ Kunden will Sengltrotzdem nicht abreißen lassen,„zumal ich ja auch nicht weiß, obich beim nächsten Mal überhauptwiedergewählt werde“. Die Ge-schäftsführung hat sie freilich anihre langjährige Mitarbeiterin JuttaStaudt-Franzen übertragen. „Aberfreitags bei der Buchführungschaue ich schon, dass ich mitar-beite, und bei Urlaub und Krank-heitsfällen auch im Laden bin –nach der vielen Rumsitzerei tut soeine direkte und praktische Arbeitrichtig gut“. Wie im gesamten Le-ben gelte es, die richtige Balancezu finden.

Sondermoning. „Die Vielfaltam Land erhalten. Gesunde Le-bensmittel für alle. Die Agrarwen-de in Gang bringen.“ Mit diesenHauptforderungen war GiselaSengl in den Landtagswahlkampfgezogen. Die Heimatzeitung hatdie frisch von der Fraktionsklau-sur in Regensburg zurückgekehrteGrünen-Abgeordnete beim Be-such auf ihrem Bioland-Hof inSondermoning mit diesen Zielenund aktuellen politischen Themenkonfrontiert:

Frau Sengl, ein gutes Jahr langsitzen Sie jetzt im Landtag – aufwelchen politischen Erfolg sindSie besonders stolz?

Gisela Sengl: Ich habe aus unsererkleinen Oppositonsfraktion her-aus einen Antrag durchgebracht,dass der Produktanbau in denbayerischen Justizvollzugsanstal-ten zu 100 Prozent nach ökologi-schen Gesichtspunkten zertifi-ziert wird. Das ist nach einigerWortklauberei letztlich einstim-mig verabschiedet worden, wasmich sehr gefreut hat. Denn jetztkann der Staat auf den großen Flä-chen der Anstalten – das sind im-merhin bayernweit fast 100 Hekt-ar – zum Vorreiter in Sachen Öko-Landbau werden. Das Personal istja da, die Arbeit hat einen hohenResozialisierungsfaktor, und dieProdukte sind sehr gefragt.

Gab’s auch Rückschläge undErnüchterung?

Sengl: Natürlich. Aber es ist dochklar, dass die CSU-Kollegen, die japraktisch alle direkt gewählt wur-den, dank dieses enormen Rück-halts aus den Wahlkreisen mit ei-

nem ganz anderen Selbstbewusst-sein auftreten können und allem,was von der Opposition kommt,erst mal kritisch gegenüber stehen.Geärgert hat mich beispielsweise,dass im Juli unser Dringlichkeits-antrag zur Erhöhung der Bioprä-mie für die Landwirte abgelehntworden ist – und im Septemberwurde die Prämie dann mit derCSU-Mehrheit doch erhöht. Daging’s einfach ums Prinzip. Aberich bin keine Parteitaktikerin.Wenn ich was vernünftig finde,stimme ich zu, da bin ich viel zuehrlich.

Drum haben sie auch Agrarmi-nister Helmut Brunner immersehr gelobt...

Sengl: Ja, er leistet sehr gute Ar-beit. Das neue Kulap ist sehr grün,die Richtung im Agrarbereichstimmt, zum Beispiel bei der Flä-chenprämie für Kleinbetriebe. Dasunterstützen wir Grüne alles – dasind eher Brunners Parteikolle-gen, vor allem die vom BBV, nichtglücklich drüber. Für die sind Biound Öko bisher nie wichtig gewe-sen, und sie sehen die regionaleVermarktung immer noch alsHobby. Für mich ist ja auch klar,dass wir in einer globalisiertenWelt nicht allen Export abschaffenkönnen und auch große Betriebebrauchen. Nur sollten wir ebendas Regionale genauso stärkenund die kleinen Betriebe, die imübrigen bei Krisen stabiler und un-abhängiger sind, individueller be-raten. Dazu gehört für mich auch,ökologischen Landbau als Paral-lelfach in allen landwirtschaftli-chen Berufsschulen, Fachschulenund Universitäten einzuführen.

Agrarpolitik ist nämlich nicht nureine Klientelpolitik für die Bau-ern, sondern eine gesamtgesell-schaftliche Aufgabe.

Ist die Sympathie für BrunnersPolitik schon der rote Teppichfür eine künftige schwarz-grüneKoalition?

Sengl: Das muss man vielleichtlangfristig im Auge haben, ist aberjetzt noch kein Thema. Wir müs-sen ganz nach unserem Motto„Grün pur“ erst mal bei unserenThemen bleiben, weil uns die Bür-ger zum Beispiel beim Umwelt-schutz große Kompetenz zu-schreiben. Und da haben wir mitjedem Partner unsere Schwierig-keiten – zum Beispiel auch mit der

Lob für den Landwirtschaftsminister, Widerstand gegen TTIP„Industriepartei“ SPD. Aber wennwir unser klares Profil in eine Koa-lition hineinverhandeln könnten,wäre für mich Schwarz-Grün inBayern schon vorstellbar.

Die inhaltlichen Unterschiedesind zurzeit aber schon nochgroß – Stichwort: Winderlass...

Sengl: Das werfe ich der CSU jahauptsächlich vor: In unserer De-mokratie wäre sie für die Gesamt-bevölkerung zuständig, machtaber oft nur Politik für ihre Wähleroder gewisse Lobbygruppen. Werden Winderlass so durchdrückt,dass praktisch keine Standortemehr möglich sind, und gleichzei-tig Hochspannungsleitungen ausdem Norden ablehnt, muss doch

automatisch die jetzt für die Kon-zerne hochrentablen Atomkraft-werke weiter laufen lassen – das istklar gegen den Willen der Bevöl-kerung.

Die Grünen haben mit ihremWiderstand gegen Pumpwasser-kraftwerke die Energiewende al-lerdings auch gebremst.

Sengl: Die Ortsverbände warendagegen, zum Beispiel am Joch-berg. Wir von der Landtagsfrakti-on waren immer für Pumpspei-cherkraftwerke. In irgendeinensauren Apfel muss man beißen, damuss man schon realistisch blei-ben, das Gesamtkonzept im Augehaben und den gesellschaftlichen

Egoismus ablegen. Und gemein-sam beim Energiesparen noch vielkonsequenter anpacken.

Zum Abschluss noch das der-zeit wichtigste EU-Thema: Wieist ihre Position und ihr Kennt-nisstand zu den geplanten Frei-handelsabkommen?

Sengl: In den Abkommen sehe icheine große Gefahr für die bäuerli-che Landwirtschaft und einen Wi-derspruch zur Regionalität. DerGentechnik könnte Tür und Torgeöffnet werden. Kleinere Länderwürden ebenso ausgebremst wiedie Welthandelsorganisation –und auch die Justiz, wenn tatsäch-lich Schiedsgerichte eingerichtetwerden, vor denen nur die Inves-toren klagen können. Deshalb for-dere ich, die Verhandlungen trans-parent und öffentlich zu machen.Derzeit dürfen unsere EU-Abge-ordneten die Verhandlungstextezwar in einem abgetrennten Raumeinsehen, aber nicht kopieren, ab-fotografieren oder weiterverbrei-ten. Man muss einfach sehen: Inden USA ist die Landwirtschaftvöllig betriebswirtschaftlich aus-gerichtet – das haben wir Abgeord-neten bei einer Reise des Agrar-ausschusses hautnah erlebt. Wirwaren auf einer Farm in Georgia.Ganz ehrlich: Dort sind die Hüh-ner keine Lebewesen mehr. Aller-dings sind die Produktionskostendort nur halb so hoch wie bei uns –da kann man sich doch vorstellen,wer nach der Unterschrift unterdie Handelsbkommen die Markt-macht übernehmen wird...

Das Interview führte Robert Sei-fert.

„Auf der politischen Ebene wird natürlich gestritten, aber auf der persönlichen Ebene habe ich bisher nur positive Erfahrungen gemacht.“ MdLGisela Sengl hat sich nach ihrer sensationellen Wahl in den Landtag gut zurechtgefunden im Maximilianeum. � Foto: gisela-sengl.net

Erster politischer Erfolg für Gisela Sengl: In der JVA Bernau soll der Produktanbau wie an allen anderenbayerischen Justizvollzugsanstalten nach ökologischen Gesichtspunkten zertifiziert werden. � Foto: dpa

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