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Symposium zum Arbeitsfeld WohnenThema: Sucht und Wohnungslosigkeit

Erster Kongress für gemeindeorientierte Suchttherapie in Bielefeld-Bethel

17. März 201114 – 17 Uhr

Dr. Theo Wessel, Dipl. Psychologe, Psychotherapeut (VT, Psychodrama), Supervisor, MI-Trainer MINT Inc., Ausbilder Psychoedukation

Geschäftsführer GVS, Berlin

Herr M.

Fallskizze (1)

Der 48jährige Herr M. lebt seit ca. 4 Jahren in B. in einer ihm vom Amt für Wohnungs-bauförderung- und Wohnungshilfen zugewiesenen Odachlosenunterkunft für Männer in einem ehemaligen Weltkriegsbunker mit Mehrbettunterbringung. Herr M. ist seit 8 Jahren geschieden. Zu seinen 15 und 12 Jahre alten Kindern hat er keinen Kontakt. Herr M. kennt sich gut aus in B., er war hier einmal Briefträger und lebte im Süden von B. Ein Jahr nach seiner Scheidung verlor er auch seine Arbeit bei der Post, da sich die schon einige Jahre bestehenden Alkoholprobleme zuspitzten. Im Sommer macht Herr M. „Platte", lebt auf der Straße. Er erhält Sozialhilfe, einige Male ist es zu kleineren Eigentumsdelikten gekommen (Diebstahl von Schnaps bei Aldi), die ihm unbedeutende Vorstrafen eingebracht haben. Seine Meldeadresse ist eine Anlauf- und Kontaktstelle für wohnungslose Bürger. Herr M. leidet infolge seines exzessiven Alkoholkonsums und der damit verbundenen Lebensweise unter Gedächtnis- und Konzentrationsproblemen und Polyneuropathie. Außerdem hat sich in den letzten Jahren eine massive Angstproblematik entwickelt. Aufgrund der desolaten Lebensumstände verwahrlost er Zusehens, ein Kennzeichen dafür ist Lausbefall.

Fallskizze (2)

Aktuelle Situation: Herr M. ist als hilflose Person vor einer Aldi-Filiale aufgefunden worden. Er ist mit 3 Promille alkoholintoxikiert und hat bei den niedrigen Temperaturen im Januar leichte Erfrierungen an den Extremitäten. Die von Passanten hinzugerufene Polizei veranlasst mit einem Rettungswagen eine Einlieferung in ein Allgemeinkrankenhaus.

Wie geht es weiter?

In Ihrem regionalen Kontext?

Mit den Nachbarn „tuscheln“ zum möglichen weiteren Verlauf bei Ihnen vor Ort

An die Mit-Referenten: was schlagen Sie vor?

Wohnungslose als bedeutende Teilgruppe der chronisch mehrfachbeeinträchtigten Abhängigkeitskranken (CMA)

Funktionalität des Suchtmittelkonsums

Suchtmittel können für Wohnungslose auch sein:• Wärmespender• Nahrungsersatz und Nahrungsergänzung• Medizin bei körperlichen Schmerzen• Schlafmittel• Mittel zur Stärkung des Selbstwertgefühls• Mittel zur Stärkung des situativen Gruppengefühls

(„bottle-gang“)• Immunisierung gegen den sozialen und psychischen

Druck• Coping-Strategie: Bewältigung von Stress, Ohnmacht

In unterschiedlichen Studien und Statistiken liegen die Annahmen zumSuchtmittelgebrauch von Wohnungslosen zwischen 50 und 80%. Derdaraus resultierende Behandlungsbedarf kontrastiert eklatant mit derVersorgungsrealität. Suchtkranke Wohnungsloseoder wohnungslose Suchtkranke erfahren Hilfe von der Wohnungslosen oderder Suchtkrankenhilfe, entsprechend dem örtlichenZuständigkeitsverständnis und der vor Ort anzutreffenden Ausgestaltungdes Hilfesystems.Gezielte lokale Erhebungen gehen von einem Anteil von über 70%unversorgten suchtkranken Wohnungslosen aus. Die traditionelle, immernoch vorrangig auf der Basis von Komm-Strukturen organisierte Suchthilfe erweist sich regelmäßig als zu hochschwellig.Auf der anderen Seite wird der Wohnungslosenhilfe immerwiederkehrend der Vorwurf gemacht, sie mache sich die Sichtweise derSüchtigen zu eigen, in dem sie den Wunsch des suchtkrankenWohnungslosen nach eigenem Wohnraum als die vorrangige AufgabeAnsieht.

Betrachtet man das Neben- und Miteinander von Sucht- undWohnungslosenhilfe, so ist zum einen festzustellen, dass in den letzten

drei Jahrzehnten in vielen Fällen eine hilfreiche Zusammenarbeitpraktiziert wurde. Blickt man dabei auf den Personenkreis mit massiven

Beeinträchtigungen, so wird jedoch deutlich, dass speziell dieWohnungslosenhilfe besonderen Belastungen durch das Fehlen

verbindlicher Arbeitsteilung zwischen den verschiedenenVersorgungssystemen ausgesetzt und an vielen Stellen auch

überfordert war.

Schnittstellen der Hilfesysteme

Suchthilfe

Psychiatrie

Wohnungslosenhilfe

Spaltung Suchtkrankenhilfe

Zuständigkeitsdelegation führt zur Verschlechterung der AIkoholproblematik

Medizinische Versorgung Wohnungslosenhilfe

„Bermuda-Dreieck“

Suchtkrankenhilfe

Versorgungsrealität für Menschen mit „Doppel-diagnosen"

Suchtkrankenhilfe:

Psychose Therapieausschluss

„Bermuda-Dreieck“

Psychiatrische Hilfen:

Rückfall/ Sucht

Therapieausschluss

Wohnungslosenhilfe:

(Primärversorgung ohne Komorbiditätskonzept)

Eskalation durch Psychose diszipl. Entlassung

Folge ObdachlosigkeitWGSP, 24.10.1997

Die häufigsten Begleiterscheinungen von Substanzmissbrauch/-abhängigkeit im

Zusammenhang mit psychiatrischen Störungen ist Wohninstabilität und Wohnungslosigkeit

3 Aspekte zur Klärung dieser „Links“ (OSHER & DIXON 1996): 1. Systemische Aspekte2. Rechtliche Aspekte3. Klinische Aspekte

Zu 1.: „Bermuda-Dreieck“ sorgt für Exklusion, die primären Hilfesysteme (Psychiatrie, Sucht) keine Verantwortung für die Wohnungsproblematik

Zu 2.: Unattraktive Mieter am allgemeinen Wohnungsmarkt, kein Zugang zuinstitutionalisierten Wohnformen (BeWo), wenn keine „Krankheitseinsicht“, Systemsprenger-Problematik

Zu 3.: Verhaltensprobleme durch Suchtmittelmissbrauch, psychiatrische Symptomatiken und durch Wechselwirkungen sind eine Barriere für die Sicherung und Aufrechterhaltung von Wohnstabilität (Bsp.: Bizarres Verhalten, schlechte Hygiene, Tag-Nacht- Rhythmus-Verschiebungen, sozialer Rückzug, Aggressivität usw.)

Aus all diesem resultiert ein über das bislang Praktiziertehinausgehender Koordinationsbedarf zwischen der Sucht- und der

Wohnungslosenhilfe, dem in der Mehrzahl der sozialräumlichenVersorgungsstrukturen nur unzulänglich entsprochen wird. So kann an

dieser Stelle erst einmal festgestellt werden, dass es zu der in derWohnungslosenhilfe üblichen Motivationsarbeit vor Ort keine

Alternative gibt, den nur dieser gelingt es in zahlenmäßig bedeutsamen Umfang, Zugang zu dieser Klientel zu finden.

Von der zielgebundenen zur zieloffenen Suchtarbeit für Menschen mit CMA

• Völliger Alkoholverzicht als Ziel und Hilfevoraussetzung

• Mögliche Folgen: Resignation, Demoralisierung durch vielfältige Rückfälle, negative Erfahrungen mit Abstinenzbehandlungen, Kindling-Effekt durch häufige Entzüge und Entgiftungen beim Alkohol, Lebenslage Armut und Wohnungslosigkeit fördern Funktionalität des Alkoholgebrauchs

• Lösung könnte sein, Zieloptionen zuzulassen:1. Unveränderte Fortführung des Alkoholkonsums2. Kontrollierter, reduzierter Konsum3. Zeitweise Nullkonsum4. Dauerhafte Abstinenz

• Von der Zielgebundenheit zur Zieloffenheit mit Abstinenz im Blickwinkel aber nicht als Voraussetzung für die Inanspruchnahmevon Suchthilfen

Riskante Alkoholgebrauchsmuster und Zieloptionen

kompulsiveexzessive

(hoch-)riskanteinstabile

Konsummuster

reduziertemoderate

wenig riskanteKonsummuster

Nullkonsum(Abstinenz)

stabileriskante

Konsummuster

Sicherung des Überlebens

Sicherung des möglichst gesunden Überlebens

Reduzierung von Einnahmehäufigkeit und –menge, Rückgriff auf weniger gefährliche

Suchtmittel oder Konsumformen

Verlängerung der suchtmittelfreien Perioden

Dauerhafte Abstinenz

Menschen

Zielhierarchie Suchthilfe Ziele Sozialrecht

•Sicherung des Überlebens•Verhinderung körperlicher Folge- schäden•Soziale Sicherung der Betroffenen•Förderung der Veränderungs- bereitschaft•Förderung von konsumfreien Phasen•Behandlungsmotivation•autonome Lebensgestaltung•(Re-)integration in soziale und berufliche Zusammenhänge•Unterstützung von dauerhafter Abstinenz

•Führung eines Lebens ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht •Gesundheitsförderung•Behandlung von Krankheit/ Rehabilitation•Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit•Unterstützung bei der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit und Sicherung des Lebensunterhalts•Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe

Handlungsgrundsätze in der regionalen Versorgung von wohnungslosen CMA-Menschen

• Sozialräumliche Orientierung (dezentrale Organisationsstruktur)

• Bedarfsorientierung, angepasst am örtlichen Hilfebedarf

• Umfassendes, einheitliches Rahmenkonzept

• Niedrigschwellig

• Aufsuchende, entgegenkommende Hilfen

• Zielgenauigkeit und Regelung der Fallverantwortung (Case-Management) Abstimmung und Verknüpfung der Hilfen (koordinierte Kooperation)

Kontinuum der Wohn-Optionen

Wohn-Option „Nasses Wohnen“ „Feuchtes Wohnen“

„Trockenes Wohnen“

Haltung zum Substanzgebrauch

Relativ tolerant Irgendwie tolerant Relativ intolerant

Case-Management-Phase

Aufbau einer Behandlungsallianz

Überzeugung und Motivation

Aktive Behandlung und Rückfall-Prävention

Primäre Funktionen

• Schutz und Sicherheit• Stabile Unterkunft• Allianz aufbauen durch Toleranz

• Stabiles Wohnen mit Grenzen für den Gebrauch

• Konsequenzen des Suchtmittelgebrauchs explodieren

• Richtung ReduktionAbstinenz

• Stabiles Wohnen mit abstinentem Lebensstil

• Freiheit von Konsum-Peer-Gruppe

• Soziale Unterstützung durch Abstinente

• Tagesstruktur und soziale Beziehungen verbessern

Niedrigschwellige Versorgung chronisch Suchtkranker

Grundversorgung (Re)Integration/ Langzeitmaßn.

Kontaktstelle(nicht trocken)

Amb. aufsuch. Dienste

Notschlaf-stellen

Medizin. Hilfen Wohnen Eingliede-rungshilfen

Arbeit/Beschäftigung

Kontaktstelle (trocken)

Existenzsich. Versorgung

Krisen-dienst

Hauskran-kenpflege

Soziale Beratung

Kranken-haus

Beratung für Suchtkranke

Niedrigschw. Unterbringung

Frauen

Suchtabteilg. Psychiatr.

Klinik

Freizeit/Tagesstruk-

turierung

Arbeits-plätze

WGFrauenMännerPaareFamilienNiedrigschw.

Unterbringung Männer

Niedrigschw. Unterbringung

Paare

AufsuchendeGesundheits-

pflege

Unterkünfte

Mietwohng.OBG

Betreutes Wohnen

Beschäf-tigung

Zuver-dienst

Kl. dezentrl.Heimein-richtung

Heimein-richtungen

Casemanagement

Inklusion und Teilhabe!

An Teilhabe ausgerichtete:

Intensive, individuelle, langfristige Betreuungorientiert an :

• der individuellen Situation des Betroffenen• den persönlichen Fähigkeiten und Grenzen• der gesamtbiographischen Entwicklung

An Teilhabe ausgerichtete Interventionskozeptebei wohnungslosen CMA sind zieloffen und

greifen folgende Ansätze auf:

– Motivational Interviewing (MI, Miller&Rollnick)) – Stadien der Veränderungsbereitschaft aufgreifende

Interventionen (TTM, Prochaska&DiClemente)– Psychoedukative Gruppenprogramme (z.B. PEGPAK,

Wessel&Westermann)– (Selbst-) Kontrolliertes Trinken (z.B. WALK, Körkel)– Extern Kontrolliertes Trinken – Rückfallprävention (z.B. STAR, Körkel, Schindler)– Genmeinwesenorientierte Interventionen (z.B. CRA,

CRAFT, ACRA, Meyers&Smith)

Waage und Ambivalenz

Bild1.png

Stadien der Veränderung (TTM-Modell)

Veränderungsbereitschaft überprüfen

Wie bereit sind Sie etwas zu

verändern?

Nicht bereit

Unsicher Denke darüber

nach

Bereit Sehr bereit

Mögliche Bereiche aufschreieben, z.B.:

Mit dem Trinken aufhören

*

Mit dem Rauchen aufhören

*

Medikamente nehmen

*

Einen sicheren Platz zum Leben finden

*

Trockenen Freundeskreis aufbauen

*

….

….

….

Das Programm Kt-WALKWohnungslosigkeit und Alkohol

•Programm für chronisch mehrfachgeschädigte wohnungslose Abhängigkeitskranke

• Seit 2003 in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe in München mit 80 für das Programm ausgebildeten Mitarbeitern und 233 Plätzen in 13 Einrichtungen

• Elemente: MI, AkT, EkT und WALK-Handbuch

• Von 255 angesprochenen Bewohnern nahmen 59 an einem kT-Programmteil (23,1%) teil

kT-WALK – Erste Ergebnissen=33 in 6-Monate-Katamnese

• Zu Beginn 70% alkoholsensible Leberwerte (GGT, GPT, GOT, 6 Monate nach Programmteilnahme Normalisierung dieser Werte, signifikante Verbesserung bei GPT

• Lebensqualitätseinschätzung verbesserte sich in allen 4 Bereichen (Körper, Psyche, Soziales, Alltag), signifikant im Bereich Körper und Gesamtzufriedenheit

• Zu Beginn 57% alkoholabhängig und 16% mit Alkoholmißbrauch, durchschnittlicher Alkoholkonsum vor Programmteilnahme bei durchschnittlich 1100 g Reinalkohol pro Tag (etwa 4 l Bier am Tag), nach einem halben Jahr nach Programmteilnahme lag die durchschnittliche Konsummenge bei 560 g pro Tag. 22 Teilnehmer reduzierten mindestens 10%, davon 13 mindestens 50% der ursprüngliche Alkoholmengen, d.h. 73% Erfolgsquote

• Mitarbeiter bewerteten das Programm positiv, erlebten Entlastungund Erweiterung der eigenen Handlungsspielräume

Kritisches zum Kontrollierten Trinken

• Kontrolliertes Trinken ist möglich aber nicht wahrscheinlich

• Freiheit und Selbstbestimmung sind relativ• Chronische Erkrankungen brauchen einen

langen Atem und viel Geduld• Suchtmechanismen sind subkortikal

Community Reinforcement Approach CRA, und CRAFT nach Meyers&Smith

• In den USA bereits erfolgreich umgesetzt, bei uns noch weitgehend unbekannt:

• CRA (Community Reinforcement Approach) heißt ein wirksames verhaltenstherapeutisches Konzept zur Behandlung von Alkohol- oder Drogenabhängigkeit. Es basiert auf der Erkenntnis, dass Verstärker aus dem sozialen Umfeld großen Einfluss darauf haben, ob ein süchtiger Mensch den Konsum von Alkohol oder Drogen fortsetzt oder einstellt. Das "CRA-Manual zur Behandlung von Alkoholabhängigkeit" von Robert J. Meyers und Jane Ellen Smith macht Sie mit diesem Behandlungsansatz bekannt. http://verlag.psychiatrie.de/buecher/fachbuecher/book/492.html

• In Fortschreibung des CRA-Ansatzes wurde dann CRAFT (Community ReinforcementApproach Familiy Training) entwickelt, ein Trainingsprogramm für die Arbeit mit Familienangehörigen von Alkohol- oder Drogenabhängigen. Die Angehörigen sind aufgrund des sozialen Drucks, den sie ausüben können, besonders wichtig für die Genesung der suchtkranken Familienmitglieder. Andererseits brauchen gerade diese Angehörigen Hilfen, weil sie wegen der großen Belastung erhöhtenKrankheitsrisiken ausgesetzt sind und unter einem Verlust an Lebensqualität leiden. In ihrem Buch "Mit Suchtfamilien arbeiten" stellen Robert J. Meyers und Jane Ellen Smith ihr in Deutschland noch unbekanntes Konzept für die Arbeit mit Familienangehörigen von Suchtkranken vor. http://www.verlag.psychiatrie.de/buecher/fachbuecher/book/472.html

CRA

CRA sieht Suchtmittelabhängigkeit als ein Problemverhalten, das durch Veränderungen im Umfeld des betroffenen Menschen modifizierbar ist. Die Betonung liegt dabei nicht auf Einsichtenund Transaktionen, die innerhalb einer Therapiesitzung auftreten, sondern das Erlernen eines Lebensstils, in der mehr positive Belohnungen bietet als fortgesetzter Suchtmittelkonsum. CRA bietet eine systematische Vorgehensweise zur Veränderung der Umweltgegebenheiten des betroffenen Menschen. Er integriert eine funktionale Verhaltensanalyse, ein behaviorales Fertigkeitentraining, die Einbeziehung von An- und Zugehörigen sowie Pharmakotherapie in die Behandlung

CRA-Bereich Wohnen

• Der Lebensbereich „Wohnen“ spielt eine wesentliche, belohnende Rolle bei Menschen in Wohninstabilität und Wohnungslosigkeit.

• Diverse Studien weisen die Evidenz dieses Therapieansatzes bei Wohnungslosen in den USA nach: Azrin et al. 1982, Smith, Meyers, Delaney 1998, Smith, Delaney 2001

Weitere Fallgestaltung in B. (1)

Im Allgemeinkrankenhaus werden nach Notaufnahme die akute Intoxikation und die körperlichen Symptome kurzfristig behandelt. Der Krankenhaussozialdienst nimmt mit der Kontaktstelle zur existenzsichernden Versorgung für Wohnungslose telefonische Verbindung auf und vereinbart mit dem dort zuständigen „Case-Manager" einen umgehenden Krankenhausbesuch zur weiteren Abklärung des aktuellen Hilfebedarfs. Nach wenigen Tagen kommt es zu einer direkten Verlegung in die psychiatrische Akutklinik auf die zuständige Sektorstation zur Suchtbehandlung, d.h. eine qualifizierte Entzugsbehandlung unter Einbeziehung der alkohol-bedingten gesundheitlichen Folgeschädigungen, des Lausbefalls und der Angstsymptomatik. Unter Mitwirkung des „Case-Managers", der Wohnungslosen-Kontaktstelle wird nach Abschluss der mehrwöchigen Akutbehandlung eine Einweisung nach dem Ordnungsbehörden-Gesetz (OBG) in eine private Wohnung einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft vorgenommen. Diese Einweisung ist verknüpft mit ambulanter Eingliederungshilfe durch Betreutes Wohnen im Betreuungsschlüssel 1:6.

Weitere Fallgestaltung in B. (2)

Die Wohnungskosten werden vom örtliche Sozialamt übernommen, nach einem Jahr wird die OBG-Einweisung in einen privaten Mietvertrag umgewandelt. Nach Einzug in die Wohnung nimmt Herr M. regelmäßig ambulante Hilfen im Rahmen der Klinik-Institutsambulanz (ambulante Behandlung der psychiatrischen Komorbidität) und der Klinik-Ergotherapie (Hirnleistungstraining als ambulante Ergotherapie) in Anspruch. Die alkoholbedingten Schädigungen verbessern sich, auftretende suchtbedingte Rückfälle können mit einer entsprechenden Behandlungsvereinbarung mit der zuständigen Sektorstation in der psychiatrischen Akutklinik kurzfristig überwunden werden.

Weitere Fallgestaltung in B. (3)

Zur Tagesstrukturierung pflegt Herr M. fast tägliche Kontakte zu einem „trockenen" Tagestreff für chronisch Suchtkranke, aktive Freizeitgestaltung steht dabei im Vordergrund. Mit der Zeit gelingt es Herrn M. zu den beiden Kindern Kontakt aufzunehmen und ein geregeltes Besuchsrecht durchzusetzen. Zur Stabilisierung der Suchtsymptomatik und zur Erreichung längerer Abstinenzphasen schließt sich Herr M. dem „Stützpunkt" an, einer Selbsthilfeinitiative, die vom Ziel der dauerhaften, lebenslangen Abstinenz abgerückt ist und gegenseitige Hilfe im Fall einer Abstinenzbeendigung organisiert. Aktuell plant Herr M. sich einem Zuverdienst-Projekt für chronisch Abhängigkeitskranke anzuschließen, um erste berufliche Reintegrationsschritte zu schaffen (Gartenarbeit). Als wichtigste Stütze auf diesem Genesungsweg benennt Herr M. den über Jahre zuständigen „Case-Manager" der Kontaktstelle zur existenzsicherndenVersorgung im Bereich der kommunalen Wohnungslosenhilfe. Mit ihmstimmt er alle Schritte ab und erfährt verbindlich die notwendige und angemessene Unterstützung bei der Bewältigung gesundheitlicher und lebenspraktischer Probleme.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

wessel@sucht.orgwww.sucht.org

Fünf Thesen zur Gestaltung geeigneter Hilfen und mögliche Beiträge des CRA-Ansatzes (1)

Wir brauchen eine interdisziplinäre Verständigung über Möglichkeiten, Sinnhaftigkeit, Konsequenzen und Grenzen einer auch in allen Krisen relevanten verbindlichen Hilfeplanbasierung von Hilfen im Sinne einer möglichst nahtlosen bzw. konsequent aufeinander bezogenen Betreuung.

CRA: subjektive Perspektive als Ausgangspunkt von Hilfeplanung

These 2

Wir brauchen eine verbindliche Regelung eines interdisziplinären Casemanagements in der Region für diese Zielgruppe, um einerseits konsequente Betreuungskontinuität zu ermöglichen, um aber auch andererseits im Rahmen der notwendigen Klientenorientierung strukturell entwicklungsoffen zu bleiben.

CRA: Case-Management macht der, der am nächsten dran ist!

These 3

Wir brauchen eine arbeitsteilige Entwicklung und Etablierung von Hilfeangeboten, die auf die Entwicklungswünsche, die Veränderungsbereitschaften und –fähigkeiten dieser Menschen eingehen, ohne dabei voreilige und falsche Typisierungen zu schaffen (vgl. den Begriff “abstinenzunfähig“):

Bezüglich der Orte der Hilfe (auch aufsuchende Hilfen)Zeithorizont von Kontakten und Vereinbarungen (Alltagsstrukturiertheit)Dauer und emotionale Intensität von KontaktenErreichbarkeit von Klein- und Teilzielen (lieber 5 winzige Teilerfolge als 1 Scheitern wegen Überforderung)Orientierung eher an individueller Entwicklung als an grundsätzlicher Behandlung / ProblemlösungOrientierung der Hilfen an einer spürbaren Stabilisierung und / oder Verbesserung der subjektiven Lebensmöglichkeiten und an einer Reduzierung des Potentials sozialer Störung

CRA: Zufriedenheitsskala und „Sobriety Sampling“ (subjektiv, kleinschrittig, realistisch)

These 4

Wir brauchen Hilfeformen, die dem Risikopotential dieser Menschen (z.B. Suchtmittelrückfall) gerecht werden, ohne sie von uns aus zum Dauernutzer von psychosozialer Betreuung zu machen oder auch nur entsprechende Tendenzen der Klienten zu leichtfertig zu akzeptieren!

CRA: Ressourcenorientierung als Ausgangspunkt für Teilhabe am Wohnungsmarkt

These 5

Wir brauchen im Interesse einer längerfristigen Wirksamkeit unserer Hilfen Wohn- und Lebensräume für diese Menschen, in denen sie auch trotz einer wodurch immer bedingten sozialen Ausgrenzung möglichst selbstbestimmt und in Würde leben können.

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