Systemisches Denken und mathematische Darstellungsmittel Ass. Prof. Dr. Günther Ossimitz...

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Systemisches Denken und mathematische

Darstellungsmittel

Ass. Prof. Dr. Günther OssimitzUniversität Klagenfurt

26.1.2001

Universität Salzburg

Günther Ossimitz: Systemisches Denken und mathematische Darstellungsmittel

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Ich möchte folgende Fragen behandeln:

• Was ist systemisches Denken?• Wie kann man systemisches Denken erlernen?• Wie hängen systemische Denken und systemische

Darstellungsmittel miteinander zusammen?• Was hat dies mit Mathematik zu tun?

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Man findet in der Literatur verschiedene Begriffe:

Was ist systemisches Denken?

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Was ist systemisches Denken?(nach Ossimitz 2000)

• Vernetztes Denken: indirekte Wirkungen, eskalierende und stabilisierende Rückkoppelungen, Wirkungsnetze

• Dynamisches Denken: zeitliche Eigendynamik, Verzögerungen, Schwingungen, Bestände vs. Flüsse

• Denken in Modellen: Modelle sind Vereinfachungen, Bewusster Unterschied Modell – Realität, Modellannahmen

• Systemisches Handeln: Steuerung v. Systemen, "leverage point", richtige Intensität und richtiges Timing

Vier Dimensionen Systemischen Denkens:

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Dynamisches DenkenProjekt "Badewannendynamik"

• Ziel: Erkennen, wo Schwierigkeiten im Umgang mit Bestands- und Flussgrößen

• Fähigkeit zum Lesen/Interpretieren v. Grafiken• Untersucht wurden:

– 104 Studierende der ABWL Klgft (1. Abschnitt)– 25 Studierende USW (Uni Graz)– 25 studentische TN am "beer-game" (WU Wien)

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Der nebenstehende Graph zeigt den Zufluss und den Abfluss einer Badewanne über einen Zeitraum von 16 Minuten.

Tragen Sie im unteren Diagramm ein, wie sich die Wassermenge in der Badewanne entwickelt, wenn zu Beginn 100 Liter in der Wanne sind!

"Bathtub Dynamics" (Sweeney/Sterman 2000)

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Bestandsgrößen vs. Flussgrößen• Bestandsgrößen: Wasserstand, Bevölkerungsstand,

Lagerstand, Kontostand (math.: Integratoren)Bestandsgrößen sind immer zeitpunktbezogen!

• Flussgrößen: Zuflüsse und Abflüsse, die einen Bestand verändern: Geburten, Sterbefälle, Lager- veränderungen, KontobewegungenFlussgrößen sind immer zeitintervallbezogen!

math.: Bestand:Fluss Funktion:Ableitung

Testaufgabe "Staatsverschuldung vs. Budgetdefizit"

Graz: µ=0,76Wien: µ=0,8Graz: µ=0,32Wien: µ=0,68Graz: µ=0,64Wien: µ=0,72Graz: µ=0,44Wien: µ=0,52Graz: µ=0,16Wien: µ=0,28Graz: µ=0,4Wien: µ=0,56

Klgft:63%

30%

62%

42%

56%

41%

Klagenfurt: n=104 (BWL)Graz: n=25 (USW)Wien: n= 25 (WU,TU, Uni)

In Fantasien nennt man den Betrag, um den die Staatsausgaben in einem Jahr höher sind als die Staatseinnahmen, "öffentliches Budgetdefizit". Im Jahr 1998 betrug das öffentliche Budgetdefizit in Fantasien 60 Mrd. Taler, Ein Jahr später lag es bei 40 Mrd. Taler. Kreuzen Sie an, welche der folgenden Aussagen richtig bzw. falsch bzw. nicht beantwortbar sind!

Im Jahr 1999 wurden 20 Mrd. Taler Schulden zurückbezahlt

Der Finanzminister konnte die Staatsschulden von 1998 auf 1999 um ein Drittel senkenWenn es gelingt, das Budgetdefizit auf 0 zu senken (ausgeglichen zu budgetieren), dann hat Fantasien keine Schulden mehr.

Wenn es gelingt, das Budgetdefizit auf 0 zu senken, dann hat Fantasien seinen höchsten Schuldenstand erreicht.

Ein geringeres Budgetdefizit bedeutet eine geringere Staatsverschuldung.

Die Schulden sind sowohl 1998 als auch 1999 gewachsen.

Diese Performance hätte man auch durch Münzwurf erreicht!

Schnittpunkt

Aufgabe 2

Klgft: µ=0,14 Graz: µ=0,16Wien: µ=0,4

Wie kann man aus der Grafik rasch und elegant (ohne mühsames Nachrechnen, sondern direkt durch Hinschauen) ermitteln, wann die meisten Gäste im Hotel waren? Erklären Sie, wie Sie dies bewerkstelligen würden!

27.12.

Aufgabe 2

Klgft: µ=0,18 Graz: µ=0,24Wien: µ=0,48

An welchem Tag waren die meisten Gäste im Hotel?

6.1.

Aufgabe 2

Klgft: µ=0,90Graz: µ=1,0Wien: µ=0,96

An welchem Tag gab es die meisten Abreisen?

Wenn Anreisen > Abreisen Zahl steigtWenn Anreisen < Abreisen Zahl sinkt

Aufgabe 2

Klgft: µ=0,16 Graz: µ=0,36Wien: µ=0,28

Nach welchem Kriterium kann man rein visuell aus der Grafik beurteilen, ob an einem bestimmten Tag die Zahl der Gäste steigt oder fällt?

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Fazit:• Staatsverschuldung mit Budgetdefizit verwechselt!• Große Schwierigkeiten, aus Flussgrößen auf Bestandsgrößen

zu schließen!• Große Probleme beim Interpretieren der Grafiken von

Ankünften und Abreisen!• Probleme beim Unterscheiden von Beständen und Flüssen!• Didaktische Forschung und Entwicklung zum Stock-Flow-

Denken (Denken in Beständen und Flüssen) ist gefragt!

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Dynamisches Denken: Denken in Zeitabläufen

•Worse before better: man muss oft kurzfristige Nachteile für langfristige Vorteile in Kauf nehmen• Investment als Beispiel für worse before better.• Better before worse: man vermeidet kurzfristig Nachteile zu Lasten langfristiger Nachteile. "Shifting the Burden"• Beispiel: Leben auf "Pump".

Prinzip: Kurzfristige Vorteile bringen oft langfristige Nachteile!

Systemgesetze haben vielfach einen Zeitbezug!Zeitliche Muster in Systemen:

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Zeitbezogene Systemgesetze: Shifting the Burden (Problemverschiebung, nach Senge 1990)

• Problem Zahnweh: Aspirin statt Zahnarztbesuch.• Problem "Hoher Heizölpreis": Zuschüsse für

Ölheizungen statt Förderung sinnvoller Alternativen.• zu viele Arbeitslose: Änderung der statistischen Kriterien, wer als "arbeitslos" zählt.• Hohe Staatsverschuldung: Schulden ausgliedern.• quick-and-dirty-Lösungen: helfen sofort und nützen

langfristig nichts!

Prinzip: Symptomkur statt fundamentaler Lösung!

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Denken in Modellen: Heroinmarkt 1

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Preiselastiziät Heroinmarkt

0

1000

2000

3000

4000

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11kg Heroin am Markt

Pre

is p

ro k

g H

ero

in

Tsd S

Preiselastizität von Heroin

10 kg Heroin am Markt: 1000 S/kg: 10 Mio S Umsatz9 kg Heroin am Markt: 2000 S/kg: 18 Mio S Umsatz !

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Denken in Modellen: Heroinmarkt 2

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Lehren aus den Heroinmodellen• Wirkungsdiagramme sind nützliche Darstellungshilfen

• Dieselbe Situation kann verschieden modelliert werden

• Kleine Unterschiede können große Wirkungen haben

• Was als eine Lösung erscheint, kann das Problem im System verschärfen!

"Mehr desselben - oder wenn die Lösung zum Problem wird" (Watzlawick 1974 - Streitendes Ehepaar)

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Wie kann man systemisch denken lernen?

• "Awareness of Systems": Bewusstsein für Systeme und ihre Eigenschaften entwickeln• Systeme darstellen und untersuchen: qualitatives Systemmanagement, Wirkungsdiagramme• Systeme modellieren und bewusst steuern: quantitatives Systemmanagement, System Dynamics

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Systemisches Denken und systemisches Darstellen

Systemisches Denken braucht geeignete Darstellungsmittel!

• jeder Systemansatz hat typische Darstellungsformen• Kommunikation von systemischen Ideen/Modellen braucht geeignete Darstellungsformen• Systemisch Denken Lernen erfordert systemische Darstellungsformen• Messen systemischen Denkens: durch Analyse von systemischen Darstellungen

Systemisches Denken = Umgang mit systemischen Darstellungsmitteln!

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Darstellen von Systemmodellen

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Wirkungsdiagramme(causal loop diagram, influence diagram)Vom Leben der Hilus

Der afrikanische Stamm der Hilus lebt von der Rinderzucht. Sein Einkommen hängt davon ab, wie viele Rinder er pro Jahr verkauft; je größer die Herde ist, desto mehr Tiere werden verkauft. Da es selten regnet, legen die Hilus einen Tiefwasserbrunnen an und errichten eine Bewässerungsanlage. Mit zunehmender Bewässerung werden die Weidegebiete immer fruchtbarer, und je fruchtbarer das Weideland ist, desto größer wird die Herde. So ist die Bewässerungsanlage kräftig in Betrieb, denn die Hilus wissen: Nimmt das Futterangebot ab, dann verkleinert sich ihre Herde wieder. Die Bewässerung hat jedoch einen Nebeneffekt: Die in dieser Region beheimatete Tse-Tse-Fliege fängt an, sich stark zu vermehren, und je feuchter die Weidegebiete sind, desto stärker vermehrt sie sich. Die Hilus sind über diese Entwicklung ziemlich erschrocken; die Tse-Tse-Fliege ist nämlich die Überträgerin der gefürchteten, zumeist tödlich verlaufenden Rinderschlafkrankheit.

Versuche, diese Zusammenhänge so in einer Skizze darzustellen, dass man das Wichtigste auf einen Blick erkennt!

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Flussdiagramme - System Dynamics

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Die Rolle der Mathematik• Fischer (1984): "Offene Mathematik": Mathematik

als Darstellungs- und Kommunikationsmittel• Mathematische Darstellungen ermöglichen

regelhaftes Operieren• Unterschiedliche Darstellungsformen erlauben

verschiedene Denk- und Handlungsmöglichkeiten

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Nun: was tun?

• Weitere Untersuchungen zum Stock-Flow-Denken• Crash-Kurs zur Entwicklung von Stock-Flow-Denken• systemisches Denken für die Praxis• Aufbau eines österreichischen SystemDenker-

Netzwerkes• Kooperationen in der SystemDenker-Forschung:

wie kann systemisches Denken entwickelt werden?

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Zusammenfassung• vier Dimensionen systemischen Denkens

– vernetztes Denken – dynamisches Denken– Denken in Modellen – systemisches Handeln

• Mängel beim systemischen Denken und Darstellen• Systemisches Denken braucht systemische Darstellungen• systemische Darstellungsformen:

u.a. Wirkungsdiagramme und Flussdiagramme • Mathematik als Kommunikationsmittel

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Literatur• Dietrich Dörner (1989): Die Logik des Misslingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen. Reinbek: Rowohlt

• Gomez/Probst (1987): Vernetztes Denken im Management. Die Orientierung 89. Bern: Schweizerische Volksbank

• Günther Ossimitz (2000): Entwicklung systemischen Denkens. München: Profil

• George Richardson (1991): Feedback thought. Reading: Pegasus Communications

• Peter Senge (1990): Die fünfte Disziplin. Stuttgart: Klett-Cotta

• John Sterman (2000): Business Dynamics. Systems Thinking and Modeling for a Complex World. Boston: McGrawHill-Irwin

• Frederic Vester (1999): Die Kunst, vernetzt zu denken. Stuttgart: DVA

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Interessiert an mehr?

• http://go.just.to/go Homepage G. Ossimitz• http://go.just.to/pap Papers und Materialien• http://go.just.to/sd System Dynamics / Systems

Thinking Mega Link List• alternativ: www.ossimitz.at• mail: ossimitz@bigfoot.com

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