US–DEMOKRATEN PLANEN TRUPPEN-ABZUG AUS DEM IRAK 3 … · Dachil Kasim Hassun, Bürgermeister der...

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Münchner Merkur Nr. 188 | Freitag, 17. August 2007

Telefon (089) 53 06-410politik@merkur-online.deTelefax: (089) 53 06-86 57 3Im Blickpunkt

Der Polizeichef der Stadt, Scheich SaedSchangari, erklärte: „Wir hatten Geheim-dienstinformationen erhalten, dass die Ter-roristen in Sindschar Anschläge verübenwollten.“ Daraufhin seien die Sicherheits-maßnahmen in der Stadt verschärft wor-den, weshalb die Attentäter ihre Sprengsät-ze schließlich in den Dörfern südlich vonSindschar zur Explosion gebracht hätten.

zu gleichzeitigen Explosion von Autobom-ben ein Blutbad in den Siedlungen einer re-ligiösen Minderheit an.Dachil Kasim Hassun, Bürgermeister derStadt Sindschar, zu der die beiden Dörfergehören, sagte: „Das ist das größte Massa-ker in der Geschichte von Sindschar. DieExplosionen haben auf einer Fläche von ei-nem Quadratkilometer alles zerstört.“

Die Serie von Selbstmordanschlägen imNordirak hat nach Regierungsangaben 400Menschen das Leben gekostet. Das Innen-ministerium erklärte gestern, bei den Bom-benexplosionen seien zwei TonnenSprengstoff eingesetzt worden. Es war dasschwerste Attentat seit Beginn des Irak-Krieges im März 2003. Die vier Attentäterrichteten am Dienstagabend mit der nahe-

Anschläge fordern 400 Menschenleben

Der Biden-Plan

Der Außenpolitiker Joseph Bi-den schlägt vor, den Irak in dreiautonome Sektoren zu gliedern– nach Volksgruppen getrenntin Schiiten, Sunniten und Kur-den. Als Vorbild dient das Bos-nien der 90er-Jahre. Im Irak wä-ren demnach nur noch rund50 000 US-Soldaten notwen-dig, die den Kampf gegen ElKaida fortführen sollen.

Der Baker-Plan

Bereits im Dezember hat die ausDemokraten und Republikanernbestehende Kommission denAbzug aller Kampftruppen bisAnfang 2008 empfohlen. Statt-dessen sollen die diplomati-schen Bemühungen ausgebautund dabei auch Syrien und derIran einbezogen werden. Vor al-lem diese Forderung war Grundfür Bushs Ablehnung.

„Die Demokraten sind inder Irak-Frage gespalten“,sagt Ulf Gartzke, der die Ver-bindungsstelle der bayeri-schen Hanns-Seidl-Stiftung(HSS) in Washington leitet.„Während die Demokraten imKongress einen recht vernünf-tigen Plan zur teilweisen Ver-lagerung aus Bagdad bezie-hungsweise zum partiellenAbzug der US-Truppen vorge-legt haben, fordert die linkeParteibasis den sofortigen undkompletten Rückzug aus demIrak“, sagt Gartzke – undschiebt nach: „Ein solch über-stürzter Schritt wäre nicht nurfür die irakische Zivilbevölke-rung ein Desaster, sondernwürde auch die Position Iransim Nahen Osten weiter stär-ken.“

Deutsche Diplomaten inWashington erwarten deshalbeher, dass der im vergangenenHerbst vorgelegte, von Präsi-dent Bush aber weitgehendignorierte Plan der Baker-Kommission wieder aufge-nommen werden könnte (sie-he Kasten links). Vielleichtsogar noch von der RegierungBush. Andere setzen auf dasKonzept des demokratischenChef-Außenpolitikers JosephBiden, der eine Aufteilung desIraks in drei autonome Gebie-te vorsieht. Biden führt der-zeit einen aussichtslosenKampf um das Präsidenten-amt, könnte aber in einer Re-gierung Clinton oder ObamaAußenminister werden.

Die Vorentscheidung überdie weitere Strategie im Irakdürfte in einem Monat fallen:Mitte September wird Gene-ral David Petraeus, der Ober-kommandierende der US-Truppen im Irak, seinen Zwi-schenbericht vorlegen. Er fälltdas Urteil, ob die jüngste Stra-tegie von George W. Bush ver-fängt, der die Truppenzahlnoch einmal deutlich erhöhthatte. Mit der massiven Prä-senz von 160 000 US-Solda-ten soll den Terrorbanden dasHandwerk gelegt werden.

Bislang hört man Unter-schiedliches: Auf der einenSeite stehen verheerende Ter-roranschläge (s. Kasten un-ten), auf der anderen meldenBeobachter positive Entwick-lungen. In Deutschland be-richtete vergangene Wocheder „Spiegel“, den US-Trup-pen sei es vielerorts gelungen,den Frieden wieder herzustel-len. In den USA meldeten sichin der „New York Times“ zweieher liberale Wissenschaftlerder „Brookings Institution“mit ähnlichen Ergebnissen zuWort. Ihr Artikel (Titel: „EinKrieg, den wir gerade so ge-winnen könnten“) fand vor al-lem in konservativen Kreisengroßes Echo. Wenn jetzt nochder Petraeus-Bericht positivausfällt, „wird dieser kontro-verse Artikel später als wichti-ger Wendepunkt in der Irak-Debatte betrachtet werden“,glaubt HSS-Mann Gartzke.

Petraeus will allem politi-schen Druck widerstehen undeine ehrliche Bilanz vorlegen.„Wir werden nicht versuchen,ein Schwein mit Lippenstiftaufzuhübschen“, hat er seinenSoldaten versprochen. Zu er-warten ist also keine Erfolgs-geschichte, sondern besten-falls ein gespaltenes Bild,wahrscheinlicher noch eineNegativbilanz. Gartzke ist si-cher: „Dann werden auch diekonservativsten Republikanerauf dem Capitol Hill den Be-ginn des US-Truppenabzugsaus dem Irak fordern.“ Präsi-dent Bush will deshalb vor-sorgen: Petraeus soll den Be-richt hinter verschlossenenTüren vorstellen.

Der Präsident verliert seinGefolge: George W. Bushglaubt weiter an den Er-folg im Irak. Seine Bürgerhat der Präsident dabeinicht mehr hinter sich. DieDemokraten, aber auchviele Republikaner wol-len raus aus dem Irak. Diegroße Frage lautet: Wie?In Washington sucht mannach einer Antwort – mitmäßigem Erfolg.

VON MIKE SCHIER

Washington – Hier bekommtdas Grauen einen Namen.„Names of the Dead“ (Namender Toten) heißt die Kolumne,die seit vier Jahren jeden Tagin der „New York Times“ er-scheint. Es ist nur ein un-scheinbarer, kleiner Kasten indieser dicken Zeitung. Dochdie Wirkung ist enorm. Hierfinden sich die Namen von20-Jährigen wie Derek C. Di-xon aus Riverside, Ohio.Manchmal sind auch Älteredabei: Douglas A. Zembiecaus Albuquerque in New Me-xiko wurde immerhin 34. Derbislang Letzte auf der Listewar gestern Shawn Hensel,auch er gerade mal 20. Er trägtdie Nummer 3683.

3683 US-Soldaten hat derIrak-Krieg inzwischen das Le-ben gekostet. Und „gekostet“ist sehr wörtlich zu nehmen.Denn überall in den Vereinig-ten Staaten haben sie zu rech-nen begonnen: Sie addierendie Unsummen, die der Feld-zug verschlingt. Mehr als 300Millionen Dollar – pro Tagwohlgemerkt. Sie zählen dieVerletzten und Verstümmel-ten – über 26 000. Dazu kom-men die Unzähligen, die mitschweren psychischen Schä-den vom Tigris zurückgekehrtsind und zuhause, in Wyo-ming, Arkansas oder Pennsyl-vania, nicht mehr in ihr altesLeben finden. Im vergange-nen Jahr haben sich 99 Solda-ten das Leben genommen, soviele wie seit 27 Jahren nicht.

Das katastrophale Ergebnisdieser Rechnungen ist auch in

Washington angekommen.Zum Beispiel bei Diane Wat-son. Die kräftige Schwarze,der man ihre 73 Jahre nichtansieht, ist eine äußerstfreundliche und zuvorkom-mende Frau. Doch wenn dasThema auf den Irak kommt,kann sie ihren Ärger nicht un-terdrücken. „Wir haben Milli-arden Dollar von amerikani-scher Steuerzahlern für einenKrieg verschwendet, den wirnicht gewinnen können“,schimpft Watson. Die demo-kratische Abgeordnete vertrittim Repräsentantenhaus, dergrößeren Kammer des US-Parlaments, einen problembe-ladenen Wahlkreis im Südenvon Los Angeles. Watsonwüsste dort viel mit dem Geldanzufangen, das in den Irakgepumpt wird. Für sie ist eshöchste Zeit für den Rückzug.„Wir kämpfen jetzt länger imIrak als einst im ZweitenWeltkrieg. Und nach fünf Jah-ren kann uns niemand vor-werfen, dass wir uns aus derVerantwortung stehlen.“

Watson sagt diesen Satzüber die Verantwortung, ohnedass man sie darauf angespro-chen hätte. Die Demokraten,die 2008 den Präsidenten stel-len dürften, wissen, wo dieProbleme liegen: Erst habensie diesem Krieg mehrheitlichzugestimmt, jetzt wollen siealle raus aus dem Schlamassel– nur ein Konzept für den ge-ordneten Rückzug bieten sie

„Raus, raus, raus“US–DEMOKRATEN PLANEN TRUPPEN-ABZUG AUS DEM IRAK ..................................................................................................................................................................................................................................

den Irak zu verlassen: Raus,raus!“ Die Pläne der übrigenBewerber umfassen mehrerePunkte und viele Zwischentö-ne. Fast alle sehen zwar einenAbzug vor, veranschlagen da-für aber mehrere Jahre.

„Wir müssen auf dasSchlimmste vorbereitet sein,über das bislang kaum einerspricht: dass es zu einem Ge-nozid kommt und die Schiitenversuchen, die Sunniten sys-tematisch zu eliminieren“,warnte beispielsweise JohnEdwards, den viele als mögli-chen Vize-Präsidenten vonHillary Clinton sehen. WieEdwards will auch Clinton ei-nige Truppen im Irak belas-sen, allein schon um Terroris-ten zu bekämpfen und den inden vergangenen Tagen stär-ker ins Blickfeld gerücktenkurdischen Norden des Iraksvor Übergriffen zu schützen.Trotzdem wiederholt sie über-all ihre Botschaft: „Wenn die-ser Präsident den Krieg nichtbeendet, bevor er aus demAmt scheidet, werde ich es alsPräsidentin tun.“

ein Bürgerkrieg, der eine De-kade oder sogar eine ganzeGeneration dauern könnte.“Und trotzdem will er den Ab-zug? „Den Bürgerkrieg wirdes geben – egal ob wir den Irakin zehn Minuten oder in zehnJahren verlassen.“

Ganz so radikal äußern sichdie Präsidentschaftskandida-ten der Demokraten natürlichnicht. Einzige Ausnahme istder Gouverneur von New Me-xiko, Bill Richardson, derneulich verkündete: „Ich habeeinen Ein-Punkt-Plan, um

nicht. Es bleiben bohrendeFragen: Bricht der Irak ohneHilfe von außen auseinander?Sind die Amerikaner zumBleiben verdammt?

Wer sich auf dem Kapitols-hügel, wo das Parlament sitztund die Demokraten bereitsdas Sagen haben, auf die Su-che nach Antworten begibt,landet auch bei Brad Miller.Wie Diane Watson ist er De-mokrat. Wie Watson sitzt er imAuswärtigen Ausschuss desRepräsentantenhauses. Undwie Watson hat er im Oktober2002 gegen den Feldzug ge-stimmt und vor fatalen Folgengewarnt. Nun wünscht er, erhätte nicht recht behalten.

Miller ist ein gut aussehen-der Mann, so wie man sich ei-nen US-Abgeordneten vor-stellt: groß gewachsen, die an-gegrauten Haare zum Scheitelgekämmt. Auf Besuch ist ereingestellt: Außer einem et-was chaotischen Schreibtischbesteht sein kleines Büro qua-si nur aus einer gigantischenSitzecke. Und man kann nurstaunen, wie Miller da so ele-

John Edwardswarnt vor einem Genozid,falls die USA alle Truppen

aus dem Irak abziehen

David H. Petraeuslegt im September einen Be-

richt vor, der für die neueStrategie entscheidend ist

George W. Bushhält eisern an seiner Strate-gie fest, wonach nur mehr

Truppen die Lage beruhigen

Hillary Clintonwill zwar den Irak-Krieg be-enden, aber trotzdem US-Truppen im Land belassen

Traurige Heimkehr: Die Liste der toten US-Soldaten wächst täglich – zum Ärger der Öffentlichkeit. FOTO: DPA

gant und gut aussehend in sei-nem schwarzen Sessel thront– und dem Besuch aus Europaeine Ungeheuerlichkeit nachder nächsten verkündet. „Esgibt einen Bürgerkrieg imIrak. Und zusätzlich gibt esnoch einen Aufstand gegendie US-Truppen“, sagt er. Dasist für amerikanische Verhält-nisse mehr als schonungslos.

Aber Miller wird noch deut-licher: Was passiert, wennsich jetzt die US-Truppen ausdem Irak zurückziehen? „Diewahrscheinlichste Folge wäre

„Wir haben Milliarden

Dollar für einen Krieg

verschwendet, den

wir nicht gewinnen

können.“DIANE WATSON, DEMOKRATIN

„Den Bürgerkrieg wird

es geben – egal ob wir

den Irak in zehn Minu-

ten oder in zehn Jah-

ren verlassen.“BRAD MILLER, DEMOKRAT

3 FRAGEN AN

Peter Lemke

Sinnvolle Reiseder Kanzlerin

Seit gestern besucht die Kli-ma-Reisende Angela MerkelGrönland. Der Bremerhave-ner Klimaforscher Peter Lem-ke bewertet die Visite derKanzlerin positiv. Lemke lei-tet den Klimabereich am Al-fred-Wegener-Institut fürPolar- und Meeresforschung.

Die Bundeskanzlerin wird

auf ihrer Grönland-Reise

große Gletscher besichti-

gen. Ist das langsame

Sterben der Eismassen

auf der Insel für das nicht

geübte Auge sichtbar?

Ich denke schon. FrauMerkel ist Physikerin.Und sie wird vor Ort si-cher Hinweise dafür be-kommen, wie sich dieGletscher im Verlauf derletzten zehn Jahre verän-dert haben. Das Ab-schmelzen der Eiskappeund der Massenverlustüber das Abbrechen vonEisbergen an den Glet-scherzungen hat sich inden vergangenen zehnJahren klar verstärkt.

Halten Sie als Experte Be-

suche von Politikern „an

der Front“ des Klimawan-

dels für sinnvoll?

Es ist gut, dass sich eineBundeskanzlerin mitdem Klimawandel auchdort auseinandersetzt,wo die Folgen besondersgut zu erkennen sind.Politiker sollten mit ei-genen Augen sehen, wound wie der Klimawan-del stattfindet. Die Aus-wirkungen sind aller-dings auch in den Alpendeutlich sichtbar. DieGletscherzungen werdenkleiner. Auf den Glet-schern sieht es zum Teilschmutzig aus, weil imWinter gefallener Neu-schnee rasch schmilzt.

Birgt der Rückgang der

Eismassen tatsächlich die

Gefahr, dass es in Europa

verstärkt zu Flutkatastro-

phen kommen könnte,

Gebiete langfristig sogar

ganz von der Landkarte

verschwinden könnten?

Das Abschmelzen derGletscher trägt wesent-lich zum Anstieg desMeeresspiegels bei. 0,8Millimeter Anstieg proJahr resultieren alleindurch den Rückgang derGletscher in Gebirgen.0,2 Millimeter gehen zu-sätzlich auf das Kontodes Rückgangs der Eis-massen in Grönland undweitere 0,2 Millimeterauf den Eisverlust in derAntarktis. Außerdemdehnen sich die Ozeanedurch die Erderwärmungaus. Das bedeutet, dassdie Meere in den kom-menden 100 Jahren um30, vielleicht auch um 60Zentimeter ansteigenwerden. Für Deutsch-land dürfte dies keinProblem darstellen, dadie Deiche erhöht wer-den können. Aber einLand wie Bangladeschlässt sich nicht eindei-chen. Zu rechnen ist aberdamit, dass es mehr Wet-terextreme geben wird. Jemehr Feuchtigkeit in derwärmeren Atmosphäreist, desto mehr kann eszu heftigen Gewittern,Starkregen und auch zuStürmen kommen.

Interview: Ulrich Scharlack

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