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Universität RegensburgSchlafmedizinisches ZentrumPsychiatrische Universitätsklinik

Dr. Roland Popp

?

am Bezirksklinikum Regensburg

Vigilanz und Vigilanzmessung

Seminar SS 2010Schlaf und Schlafstörungen 01.06.2010

Unfallrisiko Sekundenschlaf24 % der tödlichen Unfälle auf bayerischen Autobahnen sind übermüdungsbedingt

Zulley et al., 1991

Unfallrisiko SekundenschlafSchiffshavarie: 05/09/2004, Sonntag früh –

Osakikami Insel / Japan

Video-BeobachtungUnfall Taxifahrer

Technische Anwendungsaspekte

Klinische Aspekte

Gutachterliche Aspekte

Erfassung von Vigilanzstörungen - warum?

Technische Anwendungsaspekte

„On-line-Monitoring“automatisches Erkennen erhöhter Schläfrigkeit z.B. beim Fahren oder im Dienst

Erfassung von Vigilanzstörungen - warum?

„Eye-watcher“ - Favorit in den USA

100% offen 80% zu

PERCLOS= Ausmaß, in dem die Pupille vom Augenlid verdeckt wird

(PERcentage CLOSed)

Schläfrigkeitsparameter:80 % Verdeckung über ein bestimmtes Zeitintervall

Problem: der Warnzeitpunkt erfolgt möglicherweise erst sehr spät

100% offen 80% zu

„Totmanntaste“ im Lokomotiv-Führerstandautomatisierte Reaktion auch im somnolenten Zustand

„Vigilanztestung“ in der Lok

Technische Anwendungsaspekte

„Fit-for-duty-test“Überprüfung einer Vigilanzminderung vor oder nach einer Fahrt

Erfassung von Vigilanzstörungen - warum?

Klinische Aspekte

Schläfrigkeit / Müdigkeit als wichtiges Leitsymptom für viele Schlaf-Wach-Störungen

häufige Folge von „Nicht-erholsamen Schlaf“

- für schlafmedizinische Diagnosen (Hypersomnie)

- Überprüfung des Therapieerfolgs

>> erhebliche Alltagsrelevanz / Unfallrisiko

Erfassung von Vigilanzstörungen- warum?

Welche schlafgestörten Personen sind besonders gefährdet?

Hypersomnische Patientend.h. mit stark erhöhter Tagesschläfrigkeit

(Excessive Daytime Sleepiness) & erhöhtem Schlafbedürfnis

bei hypersomnischen Patienten sind schläfrigkeitsbedingte Unfälle 1,5 bis 4-mal so häufig als bei gesunden Kontrollpersonen

Aldrich, 1989; Haraldsson et al., 1990.

Gutachterliche AspekteHintergrund: Änderung der FeV(Fahrerlaubnisverordnung) zu §§ 11, 13 und 14

unbehandelte Schlafstörung mit Tagesschläfrigkeit

behandelte Schlafstörung mit Tagesschläfrigkeit

>> keine oder bedingte Eignung,wenn eine messbare auffälligeTagesschläfrigkeit vorliegt

vgl. Vigilanzbeeinträchtigungen

Erfassung von Vigilanzstörungen- warum?

• “Daytime sleepiness is defined as the inability to stay awake and alertduring the major waking episodes of the day, resulting in unintended lapses into drowsiness or sleep. ...“

Was versteht man unter Tagesschläfrigkeit?

neurologisch

Grad der zentralnervösen AktivierungSpektrum: Panik - Tod

schlafmedizinisch

Grad der Wachheit / Alertness (vgl. „Red Bull“)Spektrum wach/alert - Schlaf

experimental-psychologisch

Wachsamkeit

„Zustand oder Ausmaß der Bereitschaft, seltene und zufällig auftretende kleine Veränderungen in der Umwelt zu entdecken und zu beobachten.“ (Mackworth, 1948).

Was ist überhaupt Vigilanz?

müde

schwunglosantriebslos

schwacherschöpft

schläfrig?

JA / NEIN?Klinisch relevant?Wie stark ausgeprägt?

abgeschlagen

Leidet mein Patient unter Tages-schläfrigkeit bzw. Vigilanzproblemen?

Introspektion

Erfassung von Tagesschläfrigkeit - auf unterschiedlichen Ebenen

Physiologie

Verhalten

Epworth Sleepiness Scale

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, daß Sie in einer der folgenden Situationen einnicken oder einschlafen würden, - sich also nicht nur müde fühlen?

Im Sitzen lesendBeim FernsehenWenn Sie passiv (als Zuhörer) in der Öffentlichkeit sitzen (z.B. im Theater oder bei einem Vortrag)Als Beifahrer im Auto während einer einstündigen Fahrt ohne PauseWenn Sie sich am Nachmittag hingelegt haben, um auszuruhenWenn Sie sitzen und sich mit jemand unterhaltenWenn Sie nach dem Mittagessen (ohne Alkohol) ruhig dasitzenWenn Sie als Fahrer eines Autos verkehrsbedingt einige Minuten halten müssen mehr als 11 Punkte von 24

nie hoch

ESSEpworth Sleep Center, Epworth Hospital, Melbourne, Australia

Murray Johns

Epworth Sleepiness Scale

Wenn Sie sich am Nachmittag hingelegt haben, um auszuruhen

Beim Fernsehen

Wenn Sie nach dem Mittagessen (ohne Alkohol) ruhig dasitzen

Als Beifahrer im Auto während einer einstündigen Fahrt ohne Pause

Im Sitzen lesend

Wenn Sie passiv (als Zuhörer) in der Öffentlichkeit sitzen (z.B. im Theater oder bei einem Vortrag)

Wenn Sie sitzen und sich mit jemand unterhalten

Wenn Sie als Fahrer eines Autos verkehrsbedingt einige Minuten halten müssen

ESS

?

?

Ungewolltes Einschlafen Dt. Version unter www.dgsm.de

Epworth Sleepiness Scale

Die ESS lässt sich auch als „objektive Beobachtungsmethode“verwenden:

Ausfüllen durch Partner und Angehörige (Fremdbeobachtung)

Störung der Eigenwahrnehmung aufgrundchronischer Schläfrigkeit

ESS

gut geeignet für subjektive Einschätzungenvor und nach einer Testung

Visuelle Analog Skalen VAS

Visuelles Rating zur momentanen Befindlichkeit / Schläfrigkeithellwach schläfrig

fitt erschöpft

Visuelle Analog Skalen VAS

Stanford Sleepiness Scale SSS

Stanford UniversityDie SSS wurde 1970 mit dem erklärten

Ziel entwickelt, die Schläfrigkeit zu quantifizieren...

„the first attempt in the history of the world“ W. Dement

Stanford Sleepiness Scale SSS

2 von 7 PunktenBei der SSS soll die Versuchsperson diejenige Aussage ankreuzen, die am besten den Grad ihrer Schläfrigkeit (bzw. Wachheit) beschreibt.

1. Fühle mich aktiv und vital; vollkommen wach.................................................

2. Bin voll da, jedoch nicht auf den Höhepunkt; kann mich konzentrieren............

3. Entspannt; wach; nicht voll aufmerksam, ansprechbar...................................

4. Etwas dösig; nicht auf dem Höhepunkt; etwas schlapp..................................

5. Dösig; verliere das Interesse, wach zu bleiben; verlangsamt..........................

6. Schläfrig; möchte mich hinlegen; kämpfe gegen den Schlaf; benebelt...........

7. Fast träumend; schlafe bald ein; kein Bemühen mehr, wach zu bleiben........

Stanford Sleepiness Scale

erfasst Schläfrigkeit auf der subjektiven, introspektiven Ebene

beschreibt den momentanen Zustand

Kein diagnostisches Instrument an sich!

gut geeignet zur Erfassung der subjektiven Schläfrigkeit

- vor oder nach einer Testung (Vigilanztest, MSLT etc.)

- im Verlauf eines Tages (Tagesgang, circadiane Schwankungen)

SSS

!

Introspektion

Erfassung von Tagesschläfrigkeit - auf unterschiedlichen Ebenen

Physiologie

Verhalten

VerhaltensbeobachtungKatze beim Einschlafen

Video-AuswertungFahrsimulator -Sekundenschlaf

Macworth ClockTest zur Erfassung der Daueraufmerksamkeitunter monotonen Bedingungen

Reaktionsschnelligkeit [ms]- Verlauf der RT- Streuung der RT

Reaktionsgenauigkeit

- Richtige- Falscher Alarm- Auslasser

Messparameter

Macworth ClockTest zur Erfassung der Daueraufmerksamkeit unter

monotonen Bedingungen

Dauer: 26 min

„relativ“ geringe Reizdichte: 3.9 / min

Auftreten der kritischen Ereignisse: zufällig

„Vigilanztest“

Version: Quatember & Mali des Wiener-Testsystems www.schuhfried.at

Macworth ClockTest zur Erfassung der Daueraufmerksamkeit unter

monotonen Bedingungen Abfall der Leistung (time-on-task decrements)Zunahme der ausgelassenen Reize (lapses)

Psychomotor Vigilance Task

einfache Reaktionszeitaufgaben

misst Reaktionszeiten kontinuierlichüber 10 min hinweg

Messwiederholungenmöglich

mitunter sensitivstes Maßgegenüber Schlafdeprivation

Balkin et al., 2005

Psychomotor Vigilance Task

einfache Reaktionszeitaufgaben

Variabilität der Leistung / Reaktionszeiten (instability)

Kognitive Leistungstests

Daueraufmerksamkeitstests (sustained attention)Reaktionszeitaufgaben

wichtige Messparameter:

time-on-task decrements

lapses (Auslassungen)

Variabilität der Leistung (instability)

Introspektion

Erfassung von Tagesschläfrigkeit - auf unterschiedlichen Ebenen

Physiologie

Verhalten

Multiple Sleep Latency TestDer MSLT untersucht die Einschlafbereitschaftunter standardisierten Bedingungen:- 5 x am Tag (9:00, 11:00, 13:00, 15:00. 17:00) /

MSLT 30: Testdauer: 30 min- Patient liegt im Bett, in einem ruhigen, abgedunkelten Raum- Instruktion: „Bleiben Sie ruhig und mit geschlossenen Augen

im Bett liegen. Versuchen Sie falls möglich einzuschlafen!“

-Aufzeichnung von Biosignalen (Polysomnographie)- kein Alkohol, Nikotin oder Koffein, keine ZNS wirksamen

Substanzen- ausreichend Schlaf vor dem MSLT (PSG-Kontrolle)

MSLT

Multiple Sleep Latency TestCarskadon, (1977, 1986)

MSLT Testversionen Research Version„Goldstandard“ zur Messung der Einschlafbereitschaft?

Clinical Version („Diagnostischer MSLT“)Erweiterte Fragestellung:

- Treten Einschlaf-REM-Episoden auf?>> REM-Schlaf innerhalb von 15 Minuten nach dem

Einschlafen, Sleep Onset REM, SOREM)

Nach dem Einschlafen noch 15 Min. weiter

Test mit fixierter Dauer (MSLT-20, MSLT-30)

MSLT

MSLT-30 Befund bei einem Patienten mit Narkolepsie

MSLT

MSLT Beurteilung MSLT

Bei Narkolepsie:

– Mittlere SL: < 8 min

SOWIE

– 2 SOREM „spezifisch und sensitiv“, wenn keine unbehandelte Schlaf-Apnoe

SLEEP 2006; 29(5):687-692

MSLT – valide und objektiv? MSLT

Was ist die Aussagekraft von kurzen Schlaflatenzen?

Geisler et al., 2006

MSLT – valide und objektiv? MSLT

Was ist die Aussagekraft von kurzen Schlaflatenzen?

Geisler et al., 2006

< 8 min

MSLT – valide und objektiv? MSLT

Was ist die Aussagekraft von kurzen Schlaflatenzen?

Geisler et al., 2006

Wie anfällig ist der Test gegenüber Manipulationen und Verzerrungen?

MSLT – Fehlerquellen MSLT

Vortäuschung von Schläfrigkeit (Simulation) durch nicht Einhalten der Untersuchungsbedingungen

- Schlafentzug- Medikamenten-Einnahme

Verbergen von Schläfrigkeit (Dissimulation) durch Verhalten

- bewusster Versuch, wach zu bleiben- Konsum von Koffein oder Medikamenten

auch: Multipler Wachbleibe-Test / Mehrfach-Wach-TestDer MWT untersucht die Fähigkeit wach zu bleibenunter standardisierten Bedingungen:

- 4 Einzeltests am Tag für 20 bzw. 40 min - Patient liegt in einem bequemen Sessel,

- in einem ruhigen, schummrig beleuchteten Raum

MWTMehrfacher Wachbleibetest

Doghramji et al, Electroencephalogr. clin. neurophysiol. 103, 554-562, 1997

MWTMehrfacher Wachbleibetest

Probandeninformation:• „Bitte sitzen Sie ruhig und bleiben Sie so lang wie

möglich wach. Bitte schauen Sie geradeaus, und schauen Sie nicht direkt ins Licht“.

• Probanden dürfen keine ungewöhnlichenDinge tun, um sich wach zuhalten, z. B. sich ins Gesicht schlagen oder singen.Keinen Kaugummi kauen!

MWTMehrfacher Wachbleibetest

Beurteilung:• beträgt bei einem MWT (4 x 40 min) die

durchschnittliche Einschlaflatenz 13 Minuten:

>> beeinträchtige Wachbleibe-Tendenz(wake tendency)

MWT – valide und objektiv? Analog zu MSLT >> anfällig gegenüber Simulation und Dissimulation

>> erfasst das Konstrukt „ungewolltes Einschlafen“

Introspektion

Erfassung von Tagesschläfrigkeit - auf unterschiedlichen Ebenen

Verhalten

Physiologie

Registrierung von physiologischen Parametern:

EEG-Veränderungen (Alpha- und Deltabereich)

EMG-Veränderungen / Muskeltonus

Herzfrequenzvariabilität, Hautwiderstand

Augen- und Pupillenreaktionen- Lidschlagverhalten (Dauer & Blinzelverhalten)

- PERCLOSE / Augenlid-EMG- Pupillometrie

Erfassung von Tagesschläfrigkeit - Messung von Korrelaten

Auftreten von „fatigue waves“

1963 zum ersten Mal von LÖWENSTEIN beschrieben

Unter absoluter Dunkelheit kommt es bei erhöhter Müdigkeit zu langsamen Oszillationen der Pupille.

Spontanverhalten der Pupille spiegelt bei absoluter Dunkelheit den Grad der zentralnervösen Erregung wider

PST-AuswertungQUALITATIV - mittels Graphoelementen

“Müdigkeitswellen” (Fatigue waves)Messung eines „Pupillen-Unruhe-Index“ (PUI)

Fallbeispiel Narkolepsiepatient, 52

ESS Pupillographie Vigilanztest MSLT

19 SL 1 minPunkte

Fallbeispiel OSAS-Patientin, 38

ESS Pupillographie Vigilanztest MSLT

18 SL 5 minPunkte

Fazit zur Schläfrigkeitsmessung

Schläfrigkeit ist kein einheitliches, sondern ein multidimensionales Konstrukt

es umfasst verschiedene Komponenten

es gibt häufig eine beträchtliche intraindividuelle Variabilität

Fazit zur Schläfrigkeitsmessung

verschiedene Messinstrumente erfassen unterschiedliche Aspekte auf verschiedener Ebene

>> in einer Praxis sollte Sie mindestens zwei Verfahrenverwenden:

z.B. ESS + Leistungstest (Vigilanztest)

>> im Schlaflabor sollte eine weiterführende,mehrdimensionale Testung erfolgen

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