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Zentrale Kontextfaktoren: Politische, wirtschaftliche, kulturelle und sozialstrukturelle Faktoren
Arbeits-Paper im NFP60-Projekt: Geschlechtsspezifische Ungleichheiten in der Schweizerischen Arbeitswelt
31. Januar 2012
verfasst von:
Epple, Ruedi; Gasser, Martin; Kersten, Sarah; Nollert, Michael; Schief, Sebastian
Universität Fribourg Studienbereich Soziologie, Sozialpolitik und Sozialarbeit NFP60-Projekt „Gleichstellung der Geschlechter“ Rte des Bonnesfontaines 11 CH-1700 Fribourg E-Mail : sarah.kersten@unifr.ch
1
1. Einleitung .............................................................................................................................................. 2
2. Theoretischer Analyserahmen .......................................................................................................... 3
3. Politische Faktoren ............................................................................................................................. 6
3.1 Politics .................................................................................................................................................. 6
3.2 Polities .................................................................................................................................................. 7
3.1 Policies ................................................................................................................................................. 7
4. Wirtschaft .............................................................................................................................................. 9
5. Kultur ................................................................................................................................................... 10
6. Sozialstrukturelle Faktoren .............................................................................................................. 11
7. Anhang ................................................................................................................................................ 13
8. Literaturverzeichnis .......................................................................................................................... 15
2
1. Einleitung
Im NFP60-Projekt „Geschlechtsspezifische Ungleichheiten in der Schweizerischen
Arbeitswelt“ untersuchen wir den Einfluss politischer Massnahmen auf Ungleichheiten in den
Arbeitssphären Erwerbsarbeit, Haushalts- und Familienarbeit und Freiwilligenarbeit.
Ausgangspunkt unserer Analyse ist zum einen die fortbestehende ungleiche Verteilung
dieser bezahlten (Erwerbsarbeit) und unbezahlten (Haushalts-, Familien- und Frei-
willigenarbeit) Arbeit zwischen Frauen und Männern. Zum anderen ist die grosse Variation
zwischen den Kantonen hinsichtlich dieser Ungleichheiten Grundlage des Projekts. So
nehmen wir an, dass insbesondere politische Massnahmen, aber auch zahlreiche gesell-
schaftliche Faktoren Einfluss auf die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern nehmen,
zumal die föderalistische Staatsstruktur den politischen Akteuren einen vergleichsweise
grossen Handlungsspielraum gewährt. Die politischen und gesellschaftlichen Rahmen-
bedingungen werden im Weiteren auch Kontextfaktoren genannt, da sie den Kontext der
Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern bestimmen. Ziel des Projekts ist es, vor dem
Hintergrund der von uns gemessenen kantonalen Variation die Einflüsse der Kontextfaktoren
auf die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten zu analysieren. Kurzum: Im Mittelpunkt der
Analyse stehen interkantonale Unterschiede, sowie die Auswirkungen dieser Unterschiede
auf den individuellen Zeitaufwand innerhalb und zwischen den drei Arbeitssphären.
Wir erachten vier Faktorenbündel als relevant zur Erklärung geschlechtsspezifischer
Ungleichheiten. Diese sind: Politik, Wirtschaft, Kultur sowie die Sozialstruktur. Der Faktor
Politik unterteilt sich in weitere drei Dimensionen: die politischen Massnahmen, den Policies,
die von Politics, dem politischen Kräfteverhältnis, und Polities, den politischen Institutionen,
beeinflusst werden. Da die Faktorenbündel in einem engen interdependenten Verhältnis
stehen, ist es besonders interessant, ihre direkten und indirekten Auswirkungen auf
geschlechtsspezifische Ungleichheiten im Rahmen eines multivariaten Testdesigns zu
untersuchen.
Im vorliegenden Paper liegt der Fokus auf der theoretisch reflektierten, inhaltlichen
Beschreibung der Kontextfaktoren. Auf die konkreten Zusammenhänge mit der abhängigen
Variablen, den geschlechtsspezifischen Ungleichheiten in den Arbeitssphären, wird nur
peripher eingegangen. Erläutert werden hingegen mögliche Zusammenhänge zwischen den
Kontextfaktoren, sowie die dazugehörigen Indikatoren. Als Indikator bezeichnen wir die
konkrete empirische Erfassung eines Faktors. Ein prominentes Beispiel ist die Höhe der
Kinderzulagen als Indikator für familienorientierte Policies.
In der Analyse wenden wir zwei statistische Methoden an: Qualitative Comparative Analysis
(QCA) und Mehrebenenanalyse (MEA). Je nach Methode rücken verschiedene Indikatoren
der Kontextfaktoren in den Vordergrund. Die Erläuterung des jeweiligen Analyserahmens
unserer Studie mit der genauen Auswahl und Operationalisierung der Indikatoren erfolgt in
einem zweiten Schritt. Zunächst soll im Folgenden der allgemeine theoretische Rahmen
dargestellt werden, sowie die Verortung der Kontextfaktoren und ihrer entsprechenden
Indikatoren. Darüber hinaus werden die verschiedenen Ebenen, auf denen sich die Faktoren
und Indikatoren befinden, veranschaulicht und ausgeführt. Dies ist insofern nötig, als dass
für die beiden Methoden jeweils präzisiert werden muss, auf welche der Ebenen sie sich
beziehen. Zum einen können Indikatoren auf der individuellen oder der kantonalen Ebene
liegen, oder auf beiden gleichzeitig erfasst werden. Beispielsweise hat jedes Individuum ein
individuelles Alter, auf kantonaler Ebene wird hingegen das durchschnittliche Alter aller
3
Einwohner erfasst. Die Anzahl an Kinderkrippen kann hingegen nur auf kantonaler Ebene
erfasst werden. Besonders die sozialstrukturellen Faktoren lassen sich sowohl auf
individueller wie kantonaler Ebene erfassen.
Es wird also im nächsten Punkt der theoretische Rahmen erläutert, und daran anschliessend
die einzelnen Indikatoren und deren Operationalisierung aufgeführt. Im Anhang findet sich
eine tabellarische Übersicht aller in der Analyse berücksichtigten Faktoren und Indikatoren.
2. Theoretischer Analyserahmen
Zu erklären sind geschlechtsspezifische Ungleichheiten in den drei Arbeitssphären
Erwerbsarbeit, Haus- und Familienarbeit und Freiwilligenarbeit. Diese stehen in
Zusammenhang mit den Kontextfaktoren Kultur, Wirtschaft, Politik und Sozialstruktur. In
Abbildung 1 werden die Interdependenzen veranschaulicht. Die Reihenfolge soll keine
Wertigkeit oder eine zeitliche Abfolge darstellen. Auch gibt es zwischen den Faktoren
Wirtschaft, Kultur und den sozialstrukturellen Faktoren einen direkten Zusammenhang mit
den Arbeitssphären und dem individuellen Arbeitsverhalten. Auf dessen Darstellung wurde
aber verzichtet, um die Graphik nicht zu komplex zu gestalten.
Abbildung 1: theoretischer Analyserahmen
Quelle: Eigene Darstellung
Insgesamt wird in der Graphik ersichtlich, dass die Faktordimensionen der Politik, und dabei
speziell die Policies, die politischen Massnahmen, im Zentrum unseres Interesses stehen.
Politik steht dabei im Wechselverhältnis mit den Faktoren Wirtschaft, Kultur und den
sozialstrukturellen Faktoren. Beispielsweise hat die wirtschaftliche Struktur und Lage eines
Kantons einen erheblichen Einfluss darauf, welche politischen Möglichkeiten sich ergeben.
Umgekehrt kann die Politik einen erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der
wirtschaftlichen Akteure nehmen, beispielsweise indem sie arbeitsmarktrelevante Gesetze
erlässt. Auf diese Zusammenhänge wird im weiteren Verlauf noch genauer eingegangen.
Wir gehen davon aus, dass soziale Ungleichheiten im Allgemeinen und geschlechts-
spezifische Ungleichheiten im Speziellen politisch strukturiert sind (Lenski 1977, Kreckel
2004). Danach werden geschlechtsspezifische Ungleichheiten wie alle anderen sozialen
Ungleichheiten durch ein politisches Kräftefeld (Politics) generiert, auf dem eine Vielzahl von
Akteuren versuchen, ihre partikulären Interessen durchzusetzen und mittels politischer
Massnahmen (Policies) zu institutionalisieren. Daher liegt die Grundhypothese auf der Hand,
4
dass das Ausmass geschlechtsspezifischer Ungleichheiten in erster Linie politische
Kräfteverhältnisse und Massnahmen reflektiert. Um der Vielschichtigkeit des Faktors Politik
Rechnung zu tragen, wird diese deshalb in Policies, Polities und Politics unterteilt. So wird
deutlich gemacht, welche wechselseitigen Einflüsse innerhalb der Dimension zur Entstehung
der politischen Massnahmen (Policies), beitragen. Polities und Politics beeinflussen indirekt
die geschlechtliche Arbeitsteilung in den Kantonen.
Polities betont dabei den strukturellen und formellen Aspekt des Faktors und bezieht sich
auf die institutionellen Rahmenbedingungen öffentlichen Lebens. Dazu gehört das
Normensystem der Gesellschaft, also ihre Verfassung, deren Besonderheit in der Schweiz
die direkte Demokratie und der hohe Grad an Föderalismus ist. Polity strukturiert den
Handlungsspielraum, in dem politische Akteure agieren können.
Das politische Kräfteverhältnis, Politics, kann daher nur innerhalb dieser Spielräume
passieren. Gemäss Korpi (1983) strukturieren diese Kräfteverhältnisse soziale
Ungleichheiten, indem die Verteilung der politischen Machtressourcen über die Verteilung
der Privilegien entscheiden. Es ist davon auszugehen, dass eine Beteiligung wirtschaftlich
schwacher Akteure zu einer Reduzierung der Ungleichheiten beiträgt. Eine weitere Theorie,
die auf die politische Strukturierung von sozialen Ungleichheiten fokussiert, ist die von Max
Weber inspirierte Theorie sozialer Schliessung (Parkin 1979). Ausgangspunkt dieser Theorie
(vgl. Mackert 2004) ist die Annahme, dass in allen Gesellschaften soziale Gruppen dazu
tendieren, andere Akteure vom Zugang zu Ressourcen auszuschliessen, und zwar sowohl
auf der Basis von zugeschriebenen als auch erworbenen Merkmalen. In diesem Sinne lässt
sich auch die Persistenz geschlechtsspezifischer Lohnungleichheiten, traditionell-
bürgerlicher Familienmodelle und die Arbeitsmarktsegregation (z.B. Matysiak und Steinmetz
2008) als Nachhall der historisch tradierten Ausschliessung der Frauen von der Ausübung
bürgerlicher, politischer und sozialer Rechte interpretieren (vgl. auch Cyba 2000). Ähnlich
wie die Theorien von Lenski und Korpi sieht auch die Schliessungstheorie vor, dass die
ausgeschlossenen Akteure versuchen, sich von den politischen Fesseln der Ausschliessung
zu befreien. Indes räumt die Theorie auch ein, dass auch ausgeschlossene Akteure häufig
dazu neigen, noch schwächere Akteure auszuschliessen (dual closure). Von daher seien
auch Frauen nicht davor gefeit, ihrerseits Akteure auf der Basis von ethnischen, religiösen
oder ökonomischen Kriterien auszuschliessen (vgl. Meulenbelt 1988).
Policies sind das Ergebnis des Zusammenspiels von Politics und Polities. Der Einfluss der
politischen Massnahmen auf geschlechtsspezifische Ungleichheiten in den drei
Arbeitssphären ist direkt messbar. Eine Vielzahl an Studien untersucht den Effekt
wohlfahrtsstaatlicher Massnahmen, im Fokus steht dabei oftmals das Ausmass der
Frauenerwerbstätigkeit (vgl. u.a. Stadelmann-Steffen 2007; Pascall/ Lewis 2004; Pfau-
Effinger 2000, 2006; Leitner/ Ostner 2004; Lewis 2006). Viele dieser Studien orientieren sich
an Gender Regime Konzepten, die einen geeigneten Rahmen vorgeben, um politische
Einflüsse vor dem Hintergrund regionaler und länderspezifischer Differenzen zu
untersuchen. Die Kategorie Geschlecht wird dabei im Gegensatz zu klassischen Ansätzen
wie Esping-Andersens (1990) Wohlfahrtsregimetypologie in den Mittelpunkt der Analysen
gestellt, da davon ausgegangen wird, dass “sozialpolitische Arrangements, je nach
Ausgestaltung dazu beitragen, Geschlechterungleichheiten zu verringern oder zu
verfestigen" (Kulawik 2005: 7). Pascall und Lewis (2004) fokussieren in ihrem Modell der
Gender Equity Policies auf gleichstellungspolitische Massnahmen. Sie unterscheiden vier
Interventionsebenen (Individuum, Haushalt, Zivilgesellschaft und kollektive Ebene) auf denen
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Policies wirken können, und zwischen fünf Ungleichheitsdimensionen (bezahlte Arbeit, Care,
Einkommen, Zeit, und Voice), auf denen geschlechtsspezifische Ungleichheiten vorzufinden
sind (ebd. 377). In unserer Studie untersuchen wir vor allem die Ebene des Individuums als
Interventionsebene und die Ungleichheitsdimension Zeit. Ferner lassen sich Policies danach
unterscheiden, ob sie dekommodifizierend oder (re-) kommodifizierend wirken (vgl. Orloff
1993; Leitner et. al. 2004). Der Begriff der Dekommodifizierung beschreibt Massnahmen, die
bestimmte Gruppen vom Arbeitsmarkt ausschliessen, sei es durch negative Massnahmen
wie Beschäftigungsverbote, oder durch positive Massnahmen wie Frühverrentung.
Kommodifizierung oder Re-Kommodifizierung beinhaltet Massnahmen die auf die (Wieder-)
Eingliederung in den Arbeitsmarkt abzielen. Es geht also um die Unterscheidung von
Zugangsmöglichkeiten und -barrieren. Bezogen auf den Wohlfahrtsstaat heisst dies,
inwieweit der Staat soziale Sicherheit ausserhalb des Arbeitsmarktes gewährt und die
Abhängigkeit von diesem verringert. Zu untersuchen ist, wie diese Massnahmen auf die
Geschlechter und deren Arbeitsteilung wirken. Der alleinige Fokus auf Dekommodifizierung,
wie bei Esping-Andersen (1990), wurde in der feministischen Forschung allerdings stark
kritisiert, da hier besonders die Situation des männlichen Arbeitnehmers erfasst wurde, die
(meist unbezahlte) Arbeitssituation von Frauen hingegen blieb unbeachtet. Entsprechend
wird gefordert, dass Regimetypologien nicht nur das Ausmass der Abhängigkeiten der
Erwerbstätigen vom Arbeitsmarkt, sondern auch das Ausmass der Abhängigkeiten von
Frauen und Kindern von der Familie (defamilisation) berücksichtigen (Lister 1994). Für eine
hohe Defamilialisierung spricht u.a., wenn Frauen die ungleichheitskonservierenden
Abhängigkeiten traditioneller Familienmodelle durch die Abhängigkeiten vom Arbeitsmarkt
ersetzen können. Ein anderer Strang feministischer Theorie kritisiert auch bei
gendersensiblen Regimetypologien die Fokussierung auf die Erwerbstätigkeit, und
unterstreicht die gleichwertige Bedeutung von Erwerbsarbeit und Care-Arbeit (vgl. Fraser
1997). Dies erscheint plausibel, da Care-Arbeit, d.h. unbezahlte Pflegearbeit, die „unbezahlte
Grundlage von Lohnarbeit in kapitalistischen Gesellschaften“ (Pfau-Effinger 2005: 5) ist.
Dieser Kritik werden wir in unserer Analyse gerecht, indem wir nicht nur
Geschlechterungleichheiten innerhalb der Erwerbsarbeitssphäre betrachten, sondern
unbezahlte Arbeit in Form von Haus- und Familienarbeit sowie (informelle) Freiwilligenarbeit
miteinbeziehen.
Der Faktor Wirtschaft ist eng mit dem Politik-Faktor verknüpft. Die wirtschaftlichen
Bedingungen eines Kantons stellen die Rahmenbedingungen dar, innerhalb welcher zum
einen Policies umgesetzt werden können. Je nach Wirtschaftsstruktur und –tradition
gestalten sich die Anforderungen an die Politik unterschiedlich. Beispielsweise ist ein von
ländlichen Betrieben geprägter Kanton mit anderen Anforderungen konfrontiert als ein
urbaner Kanton. Konjunkturelle Schwankungen beeinflussen ebenfalls das Ausmass an
Sozialleistungen, etwa die Höhe der Arbeitslosenhilfe. Durch arbeitsmarktrechtliche
Regelungen gestaltet wiederum die Politik das Geschehen auf dem Arbeitsmarkt. Auch die
drei Arbeitssphären sind direkt durch die Wirtschaft beeinflusst. Die konjunkturellen und
strukturellen Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes gestalten also zum anderen direkt die
Qualität und Quantität der Erwerbstätigkeit von Frauen und Männern, und somit gleichzeitig
indirekt die geschlechtsspezifische Verteilung unbezahlter Arbeit. Allerdings hängt diese bei
Frauen sehr viel stärker mit dem Ausmass ihrer Erwerbstätigkeit zusammen. Haben Frauen
Kinder oder pflegebedürftige Erwachsene zu versorgen, reduziert sich ihre Tätigkeit auf dem
Arbeitsmarkt erheblich (Bühlmann 1999). Bei Männern ist dieser Effekt kaum vorzufinden.
Das Ausmass von Freiwilligenarbeit hängt hingegen stärker von der Erwerbstätigkeit des
Einzelnen ab. Berufstätige Personen leisten deutlich mehr Freiwilligenarbeit, vorwiegend
6
formelle Freiwilligenarbeit, als Personen, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen (Nollert/
Huser 2007).
Der Faktor Kultur hat mittels normativer Vorstellungen über die Verteilung von bezahlter und
unbezahlter Arbeit zwischen Frauen und Männern einen indirekten Einfluss auf die
Mikroebene der Individuen, sowie auf die Politikebene, da auch deren Akteure und
Institutionen geprägt sind von Werten und Normen über die geschlechtsspezifische
Arbeitsteilung. Die Leitbilder sind das Ergebnis kollektiver Verhandlungsprozesse sozialer
Gruppen, die auf allen gesellschaftlichen und institutionellen Ebenen stattfinden. Der
Prozess ist andauernd, das heisst Veränderungen in den Vorstellungen sind möglich,
erfolgen aber relativ langsam, da die kulturellen Werte im institutionellen und politischen
System verfestigt sind (Pfau-Effinger 2000: 69). Die Beziehungen zur Politik und der Ebene
der Arbeitssphären ist daher reziprok. Wie in Kapitel 5 gezeigt wird, sind diese Faktoren am
schwierigsten empirisch zu erfassen, da wir eine sekundäranalytisch arbeiten (d.h. wir
arbeiten mit statistischen Daten und führen selbst keine Befragung durch). Kultur wird aber in
unserem Projekt dennoch als einflussreicher Faktor aufgeführt, da wir von der grund-
legenden Annahme ausgehen, dass sowohl auf individueller als auch auf Makroebene
kulturelle Leitbilder vorherrschen, die das jeweilige Handeln und die Strukturen beeinflussen.
Schliesslich integrieren wir sozialstrukturelle Faktoren in die Analyse. Sie zeichnen ein
allgemeines Bild der Bevölkerung, beispielsweise anhand der demographischen Struktur,
dem Bildungsdurchschnitt oder des durchschnittlichen Einkommens der Menschen in den
Kantonen. Diese Faktoren haben ebenfalls einen relevanten Effekt auf die
geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Arbeitssphären. Fast alle sozialstrukturellen
Indikatoren lassen sich sowohl auf kantonaler als auch auf individueller Ebene erfassen.
Beispielsweise hat jede Person ein individuelles Alter, auf kantonaler Ebene wird aber das
durchschnittliche Alter aller Bewohner erfasst. Auch das Bildungsniveau kann individuell oder
kantonal erfasst werden. In diesem Fall kann man Aussagen darüber treffen, welche
Auswirkungen das durchschnittliche Bildungsniveau im Kanton X verglichen mit jenem im
Kanton Y auf die Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Frauen und
Männern hat. Im weiteren Verlauf der Analyse muss jeweils geklärt werden, welcher
Indikator auf welcher Ebene integriert wird.
Im Folgenden werden nun die vier Faktorenbündel und die Operationalisierung der
Indikatoren dargestellt.
3. Politische Faktoren
3.1 Politics
Politics bezeichnen den politischen Prozess sowie die Bedingungen für deren Ausgestaltung,
das heisst die politischen Kräftekonstellationen, messbar anhand der Anteile der Parteien
im Parlament beziehungsweise in der Regierung. Ferner ist die politische Ausrichtung
der Bevölkerung in den Kantonen Indikator der politischen Kräftekonstellationen, messbar
unter anderem anhand der Wähleranteile der jeweiligen Parteien oder mittels einer Typologie
kantonaler Demokratien (vgl. Vatter 2002; Ladner 2003). Jede der Strömungen beinhaltet
differenzierende Wertvorstellungen hinsichtlich der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung.
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Für unsere Analyse beziehen wir ausserdem das politische Gewicht der Frauen ein,
messbar anhand ihres Anteils im Parlament beziehungsweise ihres Anteils in der
Regierung. Wir gehen davon aus, dass geschlechtsspezifische Ungleichheiten abnehmen
beziehungsweise geringer sind, wenn es Frauen besser gelingt, ihre Interessen im
politischen Prozess durchzusetzen. Diese Annahme beruht auf soziologischen
Machttheorien, die davon ausgehen, dass sozioökonomische Ungleichheiten in modernen
Gesellschaften durch politische Macht strukturiert sind, indem die Verteilung der
Machtressourcen über die Verteilung von Privilegien entschieden wird (vgl. u.a. Lenski 1977;
Korpi 1983; Kreckel 2004).
Um den Einfluss von Akteuren mit gleichstellungspolitischen Zielen zu messen, verwenden
wir ausserdem die Stärke der Frauenbewegung. Es ist davon auszugehen, dass Kantone
mit einer starken, langjährigen Frauenbewegung auch insgesamt ein höheres Mass an
Geschlechtergleichheit in unserer abhängigen Variablen aufweisen. Weiter verwenden wir
die Offenheit der Kantone für gleichstellungspolitische Akteure, gemessen anhand der
Anzahl Referenden in den Gleichstellungsbüros. Auch die Stärke der Gewerkschaften ist in
diesem Zusammenhang ein interessanter Indikator.
3.2 Polities
Unter Polity wird die institutionelle Dimension der Politik verstanden, dass heisst, die
Rahmenbedingungen, unter denen die politischen Akteure handeln. Zentral ist hierbei die
Verfassung einer Gesellschaft. Charakterisierend für die Schweiz sind dabei die
Konsensdemokratie und direkte Demokratie sowie das föderalistische System. Von
Bedeutung für unsere Untersuchung ist daher die Stärke der direkten Demokratie und der
Grad der Gemeindeautonomie. In ländlichen Kantonen der Deutschschweiz ist die
Gemeindeautonomie sehr hoch, während in Westschweizer Kantonen die Gemeinden nur
eine geringe Autonomie gegenüber der kantonalen Ebene haben (Sciarini 2003).
Operationalisiert wird dieser Indikator anhand des Anteils öffentlich Angestellter in der
Kantonsverwaltung an allen öffentlich Angestellten im Kanton.
Darüber hinaus betrachten wir Indikatoren zur Gleichstellungspolitik. Die Polity Dimension
erfasst institutionelle Einflussfaktoren auf kantonaler Ebene. Daher ist zum einen die
Schaffung / Abschaffung beziehungsweise die Existenz von Gleichstellungsstellen
aussagekräftig, zum anderen die Stellenprozente der Gleichstellungsstellen, sowie die
Einführung des Frauenstimmrechts.
Eine weitere institutionelle Dimension der Politik ist das jeweilige Wohlfahrtsregime. Esping-
Andersen (1990) unterscheidet zwischen den liberalen, sozialdemokratischen und
konservativen Wohlfahrtsstaaten. Bei der Einteilung der Staaten/ Kantone in Typen geht es
vor allem um die Prinzipien bei der Verteilung von sozialen Gütern. Zwischen den Kantonen
gibt es dabei durchaus Unterschiede, dennoch sind deren Systeme jeweils nicht
gleichzusetzen mit nationalen Wohlfahrtsregimen.
3.1 Policies
Die politischen Massnahmen (Policies) lassen sich in die Kategorien Arbeitsmarktregulation,
Familienpolitik, Steuerpolitik, Sozialpolitik und Budgetpolitik untergliedern. Sämtliche
Indikatoren der Dimension Policies werden auf kantonaler Ebene erfasst.
Zu Indikatoren der Arbeitsmarktregulation zählt zum einen der arbeitsrechtliche Schutz,
zum anderen die Arbeitslosenversicherung. Diese ist zwar in der Schweiz über das
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Bundesgesetz national geregelt und erfolgt über Beitragssätze der Arbeitgeber und –
nehmer, die Kantone können aber darüber hinausgehend Arbeitslosenhilfe anbieten. Mittels
der Unterscheidung in Kantone, die diese Hilfe anbieten und jene, die sie nicht anbieten,
kann dieser Indikator in der Analyse operationalisiert werden (Stadelmann-Steffen 2007: 83).
Hinsichtlich der Familienpolitik sind nach Daly und Rake (2004: 51) die zwei wichtigsten
Massnahmen, um Staaten respektive Kantone danach zu beurteilen, welchen Stellenwert sie
Care-Arbeit einräumen, Elternurlaub und öffentliche Kinderbetreuungseinrichtungen. Erstere
besteht in der Schweiz nur aus bezahltem Urlaub für Mütter, Vätern wird diese Art der
Aufgabe nicht zugedacht. Dies ist ein erstes Zeichen für die normative Vorstellung einer
traditionellen geschlechtsspezifischen Aufgabenteilung auf politischer Ebene. Die Aufgabe
der Kindererziehung wird der Frau zugeschrieben. Leitner (2003: 267) spricht in diesem
Zusammenhang von einer „Diskriminierung aufgrund von biologischen Differenzen“, indem
implizit Männer, die diese Care-Aufgaben ausführen würden, ausgeschlossen werden. Der
Mutterschaftsurlaub wird in der Schweiz national geregelt, erst im Jahr 2005 trat ein
entsprechendes Gesetz in Kraft.1 Vorhergehende Versuche wurden von konservativen
Parteien und Strömungen erfolgreich verhindert. Zwar hatte die Regierung seit 1945 den
Verfassungsauftrag, eine Regelung zum Schutz der Mutter einzuführen, nachdem im Jahr
1999 ein erneuter Vorstoss für eine entsprechende Abstimmung scheiterte, konnte aber erst
2004 erfolgreich über eine Initiative abgestimmt werden. Auf kantonaler Ebene hat noch
immer nur Genf eine eigene, über die nationalen Bestimmungen hinausgehende Regelung
bezüglich des Mutterschafts- und Elternurlaubs (Stadelmann-Steffen 2007: 89). Dies zeigt,
dass der Kanton Genf mehr Wert auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie legt indem er
dies zu seinen öffentlichen Aufgaben zählt und somit die Kindererziehung nicht nur der
Privatheit der Eltern zuschreibt. Ferner zeigen sich grosse Unterschiede zwischen den
Kantonen hinsichtlich der Anzahl öffentlicher Kinderbetreuungseinrichtungen. Um das
Angebot zu messen, wird die Anzahl der Kinderhorte und Kinderkrippen pro 1000 Kinder
unter sieben Jahren (BFS) verwendet. Eine Unterscheidung nach Altersklassen wäre für die
Untersuchung sehr wertvoll, da besonders die Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern
unter 3 Jahren von externer Betreuung abhängt. Diese Daten sind für die Schweiz und die
Kantone aber nicht verfügbar (Stadelmann-Steffen 2007). Für die Analyse messbar hingegen
ist der Anteil an Haushalten mit familienergänzender Kinderbetreuung. Unterschieden
wird dabei zwischen formeller und informeller Betreuung. Zur formellen Betreuung zählen
Einrichtungen wie Krippen, Horte, und Kindergärten, informelle Betreuung besteht aus der
Betreuung durch Verwandte, Grosseltern oder Freunde. Ausserdem kann nach der Dauer
der Betreuung unterschieden werden (bis ein Tag die Woche/ mehr als ein Tag die Woche).
Weiter ist die Höhe der Kinderzulagen ein wichtiger Indikator zur Einschätzung der
kantonalen Familienpolitik. Hier wird die Kompensation der durch Kinder entstehenden
Kosten betrachtet.
Die Kantone unterscheiden sich weiter hinsichtlich ihrer Steuerpolitik. Einige dieser
Indikatoren könnten auch den familienpolitischen Massnahmen zugeordnet werden, da sie
speziell an Familien mit Kindern gerichtet sind. Dazu zählen zum einen die Abzüge für
externe Kinderbetreuung (gemessen anhand der Höhe der Steuerabzüge für
Kinderbetreuungskosten) und der Kinderabzug (staatliche Kompensation der Kinderkosten
von der Einkommenssteuer). Insgesamt wird die Steuerlast mittels der kantonalen
1 Seit dem 1. Juli 2005 haben erwerbstätige Mütter nach der Geburt das Recht auf eine
vierzehnwöchige Lohnfortzahlung in der Höhe von 80% ihres bisherigen Einkommens. Nicht-erwerbstätige Mütter sind von der Mutterschaftsentschädigung ausgeschlossen. Mütter die im öffentlichen Dienst erwerbstätig sind, haben darüber hinaus in 14 Kantonen das Recht auf die Lohnfortzahlung zu 100%, für 16 Wochen.
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Steuerbelastungsindizes erfasst. Ehepaare werden in der Schweiz sowohl auf nationaler
als auch auf kantonaler Ebene gemeinsam besteuert, weshalb deren Steuererleichterung
nicht für die Kantone einzeln gemessen werden kann.
Als sozialpolitische Indikatoren verwenden wir die Höhe der kantonalen sozialen
Ausgaben insgesamt.
Innerhalb der Budgetpolitik verwenden wir die Indikatoren Gesamtausgaben pro
Einwohner, den Indikator Finanzvergleich (Gewichteter Mittelwert der acht Variablen der
Indikatoren zur Gesundheit der Kantonsfinanzen und zur Qualität der Finanzverwaltung)
sowie die Qualität der Haushaltsführung.
4. Wirtschaft
Sämtliche ökonomische Faktoren werden auf kantonaler Ebene erhoben. Wir untergliedern
sie in Indikatoren zum Arbeitsmarkt und Beschäftigung, zur Wirtschaftsleistung,
Wirtschaftsfaktoren mit Gender-Fokus und Indikatoren zur Wirtschaftsstruktur der Kantone,
sowie weitere Wirtschaftsindikatoren.
Um den Einfluss der Arbeitsmarktstruktur und das Ausmass der Beschäftigung der Kantone
zu erfassen, verwenden wir die kantonale Arbeitslosenquote. Diese lässt sich weiter
unterteilen in saisonale, konjunkturelle, und strukturelle Arbeitslosigkeit, sowie Jugend- und
Langzeitarbeitslosigkeit. Weiter gibt die Erwerbsquote der Kantone Auskunft über die
wirtschaftliche Situation. Wir betrachten sowohl die allgemeine Quote als auch die weibliche
Quote in Relation zu jener der Männer. Ein weiterer geschlechtsspezifischer Indikator ist in
diesem Zusammenhang die Teilzeitquote von Frauen. Denn die Beschäftigtenrate alleine
gibt möglicherweise einen falschen Eindruck in Bezug auf die Integration der Frauen in den
Arbeitsmarkt, da sie nur den Anteil der Frauen in Erwerbstätigkeit misst, nicht jedoch das
Ausmass ihrer Partizipation. Im europäischen und auch im interkantonalen Vergleich
arbeiten erheblich mehr Frauen in einer Teilzeitbeschäftigung als Männer. Als Äquivalent die
Teilzeitquote von Männern zu messen, scheitert an der auf kantonaler Ebene betrachtet
geringen Anzahl an Männern in einer Teilzeitbeschäftigung. Hingegen eignen sich die
kantonalen Erwerbsarbeitsvolumina als geeigneter Indikator zur Beschäftigung. Die
Volumina messen die auf dem Arbeitsmarkt durchschnittlich geleisteten Stunden pro Woche.
Die kantonale Wirtschaftsleistung messen wir anhand des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Es
lässt sich unterscheiden nach dem BIP pro Kopf und dem absoluten BIP. Das BIP ist ein
wichtiger Wirtschaftsindikator, denn es gibt Auskunft über das Wachstum in den Kantonen,
gemessen als Veränderungsrate zum Vorjahr.
Zu den Wirtschaftsfaktoren mit Gender-Fokus zählt der Umfang bezahlter Care-Arbeit. Nur
ein Fünftel aller geleisteten Care-Arbeit (in Stunden pro Jahr) in der Schweiz ist bezahlt. Der
Umfang bezahlter Care-Arbeit für Kinder betrug im Jahr 2004 insgesamt 166 Mio. Stunden,
der für Erwachsene betrug 368 Mio. Stunden (entspricht 66% der insgesamt geleisteten
Care-Arbeit für Erwachsene) (EBG 2010: 7). Care-Arbeit wird hauptsächlich von Frauen
geleistet, sowohl bezahlt als auch unbezahlt, weshalb der Einbezug dieser Indikatoren
unumgänglich ist, betrachtet man geschlechtsspezifische Unterschiede in der Arbeit. Weiter
kann Care-Arbeit mittels des monetären Umfangs von unbezahlter Care-Arbeit erfasst
werden. Hierfür wird der Zeitaufwand für die Haus- und Familienarbeit geschätzt und mit
einem Stundenlohnansatz evaluiert (Bühlmann 2006). Eine andere Messung verwendet das
Satellitenkonto Haushaltsproduktion, das den Anteil der Bruttowertschöpfung der
Haushalte an der erweiterten Gesamtwirtschaft misst (BFS 2004). Dieser Indikator misst
also den Anteil unbezahlter Arbeit im Bereich der Haushalts- und Familienarbeit sowie
10
Freiwilligenarbeit insgesamt an der Gesamtproduktivität. Im Jahr 2007 lag dieser Anteil in der
Schweiz insgesamt bei 45%. Dies zeigt, wie wichtig es ist, unbezahlte Arbeit in die
Betrachtung zu integrieren, da diese Arbeit vorwiegend von Frauen geleistet wird, und eine
Nicht-Beachtung den Blick auf geschlechtsspezifische Ungleichheiten stark verzerren würde.
Der Umfang bezahlter Care-Arbeit kann ferner gemessen werden mit dem Anteil an Frauen,
die in öffentlichen und privaten Einrichtungen des Erziehungs-, Bildungs- und
Gesundheitswesens erwerbstätig sind (respektive im Anteil der Männer). Dieser Indikator
geht einher mit der geschlechtsspezifischen Segregation auf dem Arbeitsmarkt. Hier wird
die strukturelle Ungleichheit zwischen Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt besonders
deutlich. Besonders die horizontale Segregation (männliche Dominanz in den manuellen
Berufen, weibliche Dominanz in den nicht-manuellen Dienstleistungsberufen) hat sich in der
Schweiz in den letzten Jahrzehnten verschärft, wohingegen die vertikale Segregation
besonders in den nicht-manuellen wissenschaftlichen Berufen zurückgegangen ist (Charles
2005). Frauen sind demnach erheblich seltener in Kaderstellen vertreten (BFS 2005; ILO
2004, 2009; Liebig 1997) und gleichzeitig bei den häufig von Prekarität sowie tiefer
Entlohnung und geringerem arbeitsrechtlichen Schutz geprägten atypischen
Arbeitsverhältnissen überrepräsentiert (Ecoplan 2003; BFS 2005; Brinkmann et al. 2006;
Castel und Dörre 2007; ILO 2004, 2009; Pelizzari 2009).
Die Wirtschaftsstruktur und deren Einfluss auf geschlechtsspezifische Ungleichheiten
messen wir zum einen anhand der Anzahl Beschäftigte pro Wirtschaftssektor, ferner
anhand des Verhältnisses primärer/ sekundärer/ tertiärer Sektor. Darüber hinaus
betrachten wir den Anteil an Klein- und mittelständischen Unternehmen gemessen an
der Anzahl von Beschäftigten in diesen Betrieben. Auch die Stärke des öffentlichen
Sektors ist von Interesse. Besonders Frauen sind aufgrund der Möglichkeit einer
Teilzeitarbeit häufig im öffentlichen Dienst erwerbstätig. Operationalisiert werden kann dieser
Indikator zum einen über den Anteil der Beschäftigten im dritten Sektor in Prozent der
Einwohner oder Berufstätige, oder im Anteil der Beschäftigten im dritten Sektor insgesamt.
Weiter lässt sich die Wirtschaftsstruktur auch über die
Als weiteren Wirtschaftsindikator ziehen wir die kantonale Steuerbelastung hinzu.
5. Kultur
Die Kultur fliesst auf zwei verschiedene Arten in die Analyse mit ein. Zum einen nehmen wir
an, dass kulturelle Werte sich in der geschlechtsspezifischen Verteilung von Arbeit
widerspiegeln. Diesen Zusammenhang können wir aber nicht direkt messen. Genauso
erfolgt ein solcher Einfluss auf die Politik-Ebene, dieser ist aber ebenfalls nicht direkt
messbar. Um aber die Kultur in die Analyse einzubeziehen, nehmen wir sozusagen einen
Umweg und messen sie indirekt. Dies zum einen auf der Mikroebene über das Ausmass
reell gelebter Familienmodelle, und zum anderen über die Variablen Religionszugehörigkeit
und Sprachregion. Da die vorhandenen Familienmodelle nur indirekt das ideale
Familienleitbild repräsentieren – dieses wäre durch Einstellungsbefragungen erfassbar –
wird dieser Indikator unter den sozialstrukturellen Faktoren erfasst. Zum anderen kommen
kulturelle Leitbilder in der Dimension der Politik zum Tragen, die sich sowohl in den Policies
in Form von sozial- und familienpolitischen Regelungen manifestieren (siehe 4.1.), wie auch
politische Akteure und Institutionen von normativen Vorstellungen zur geschlechtlichen
Arbeitsteilung geprägt sind. Messbar wird dies beispielsweise anhand des Zeitpunktes der
Einführung des Frauenstimmrechts oder an der Geschlossen- oder Offenheit staatlicher
Institutionen für gleichstellungspolitisch aktive Akteure (siehe 4.2. beziehungsweise 4.3.).
11
Zu den kulturellen Faktoren gehören zunächst Indikatoren zum generellen Weltbild. Darunter
zählen wir die Konfession der Bevölkerung, beziehungsweise die religiöse Grundhaltung,
die sich durch den Anteil an Konfessionslosen im Kanton oder dem Anteil der Katholiken an
allen Religiösen messen lässt. Es ist anzunehmen, dass konservativ-katholische Kantone
stärker von einer traditionellen Aufgabenteilung zwischen Männern und Frauen geprägt sind
und diese auch auf politischer Ebene bevorzugt wird, als in überwiegend protestantischen
Regionen. Der Protestantismus unterstreicht die individuellen Rechte stärker und lässt
moderne gesellschaftliche Strömungen eher zu. Für die politisch-kulturellen Identitäten
sowohl auf kantonaler politischer als auch auf individueller Ebene ist weiter die
Sprachregion von Bedeutung (Bühlmann/ Freitag 2007: 89). In der Schweiz gibt es vier
offizielle Sprachen, die jeweils in verschiedenen Kantonen die Hauptsprache sind: Deutsch,
Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. Die Regionen lassen sich kulturwissenschaftlich
den Ländern Deutschland, Frankreich und Italien zuordnen, man kann daher drei
Sprachregionen unterscheiden (Romandie/ Westschweiz, Deutschschweiz, Italienische
Schweiz). Auch wenn die Sprachregionen an sich keine politische Kraft innehaben und diese
ganz bei den Kantonen liegt, sind die Gemeinsamkeiten zwischen den Kantonen einer
Sprachregion meist grösser als ihre Differenzen. Dies zeigt sich beispielsweise bei
nationalen Wahlen, oder auch bei geschlechtsspezifischen Ungleichheiten in unserem
Analysekontext.
Des Weiteren unterscheiden wir nach Indikatoren, die Leitbilder in Bezug auf
Geschlechterrollen und –normen beinhalten. Dazu gehört die kantonale
gleichstellungspolitische Ausrichtung: der Rückhalt gleichstellungspolitischer
Forderungen in der Stimmbürgerschaft, die anhand einer Typologie von Abstimmungen
zu gleichstellungsrelevanten Fragen erfolgt. Ausserdem zählen wir das Familienleitbild zu
dieser Dimension, das heisst, welches Familienideal in einem Kanton vorherrscht, und
inwieweit Doppelverdiener-Familien akzeptiert sind. Bei diesem Indikator geht es um die
Einstellungen der Individuen.
6. Sozialstrukturelle Faktoren
Schliesslich sind zur Erklärung von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten auch
sozialstrukturelle Faktoren von Bedeutung. Diese Faktoren sind insgesamt nur langsam
veränderbar, da von politischer Seite nur wenig Einfluss auf sie ausgeübt werden kann,
beziehungsweise nur mit einem langfristigen Fokus. Auf kantonaler Ebene sind dabei die
Bevölkerungsdichte, der Urbanisierungsgrad, sowie der Zentrum-Peripherie-Grad für
uns interessant. Diese Indikatoren geben Auskunft über die generelle Struktur der Kantone.
Es ist davon auszugehen, dass urbane Kantone und mit einer hohen Bevölkerungsdichte
insgesamt eine modernere Aufgabenverteilung zwischen Frauen und Männern aufweisen,
und somit ein höheres Mass an Geschlechtergleichheit, als eher ländlich geprägte Kantone.
Ausserdem beziehen wir die durchschnittliche Grösse der Haushalte, den Anteil
Alleinerziehender, die Scheidungsrate, den Jugend- bez. Altersquotient, sowie den
durchschnittliche Bildungsgrad mit ein. Darüber hinaus ist das Einkommen ein wichtiger
Indikator zur Messung von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten. Dieses kann auf
Haushalts- oder Individualebene erfasst werden. Weiter interessieren wir uns für den
Einfluss von Familientypen auf Ungleichheiten in den Arbeitssphären zwischen Frauen und
Männern. Untersucht werden kann das Familienmodell nach der Zusammensetzung des
Haushaltes und nach den Arbeitsstunden der (Ehe-)Partner. Ersteres Modell enthält die
Kategorien Ein-Eltern-Haushalte, (Ehe-)Partner mit im Haushalt lebendenden Kind(ern),
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(Ehe-)Partner ohne im Haushalt lebende Kinder, Ein-Personen-Haushalte. Unterscheidet
man Familienmodelle nach den Arbeitsstunden der Partner, so werden beispielsweise die
Kategorien traditionelles bürgerliches Modell, bei dem nur der Mann Vollzeit erwerbstätig ist,
modernisiertes bürgerliches Modell, bei dem darüber hinaus die Frau einer
Teilzeitbeschäftigung nachgeht oder egalitär-erwerbsbezogenes Modell, bei dem beide
Partner Vollzeit erwerbstätig sind, unterschieden (BFS 2011). Weitere Kombinationen sind
möglich, es werden jeweils Paarhaushalte mit Kindern unter sieben Jahren betrachtet.
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7. Anhang
Tabelle 1: Zusammenfassung aller Kontextfaktoren und der jeweiligen Indikatoren
Faktoren Indikatoren
POLITIK
Politics
Politische
Kräftekonstellationen
Anteil von Parteien im Parlament
Anteil von Parteien in der Regierung
Politische Ausrichtung der Bevölkerung
Politisches Gewicht der
Frauen
Anteil von Frauen im Parlament
Anteil von Frauen in der Regierung
Einfluss von Akteuren mit
gleichstellungspolitischen
Zielen
Stärke der Frauenbewegung
Offenheit der Kantone für gleichstellungspolitische Akteure
Stärke der Gewerkschaften
Polities
Grad der
Gemeindeautonomie
Anteil an öffentlichen Angestellten in der
Kantonsverwaltung
Gleichstellungspolitik Schaffung/Abschaffung/ Existenz von
Gleichstellungsstellen
Stellenprozente der Gleichstellungsstellen
Einführung des Frauenstimmrechts
Kantonales
Wohlfahrtsregime
Policies
Arbeitsmarktregulation Arbeitslosenversicherung
Arbeitsrechtlicher Schutz
Familienpolitik Unterschiede im Mutterschaftsurlaub
Anzahl öffentlicher Kinderbetreuungseinrichtungen
Anteil Haushalte mit familienergänzender Kinderbetreuung
Höhe der Kinderzulagen
Steuerpolitik Abzüge für externe Kinderbetreuung
Kinderabzug
Steuerbelastungsindex
Sozialpolitik Höhe der kantonalen sozialen Ausgaben
Budgetpolitik Gesamtausgaben pro Einwohner
Finanzvergleich: Gesamtindikator
Indikator Qualität der Haushaltsführung
WIRTSCHAFT
Arbeitsmarktstruktur /
Ausmass der
Beschäftigung
Arbeitslosenrate
Saisonal
Konjunkturell
Strukturell
Jugendarbeitslosigkeit
Langzeitarbeitslosigkeit
Erwerbsquote
Allgemein
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Verhältnis Quote der Frauen/ Männer
Teilzeitquote der Frauen
Erwerbsarbeitsvolumina
Wirtschaftsleistung BIP (Veränderung)
Pro Kopf
absolut
Wirtschaftsfaktoren mit
Gender-Fokus
Umfang bezahlter Care-Arbeit (in Stunden)
Monetärer Umfang unbezahlter Arbeit
Satellitenkonto Haushaltsproduktion: Brutto-Wertschöpfung
der Haushalte
Geschlechtsspezifische Segregation
Wirtschaftsstruktur Stärke des öffentlichen Sektors
Beschäftigte pro Wirtschaftsektor (Angestellte VZS
primärer, sekundärer, tertiärer Sektor)
Verhältnis Primär/Sekundär/Tertiär
Beschäftigte in KMU-Unternehmen
Weitere
Wirtschaftsindikatoren
Kantonale Steuerbelastung
KULTUR
Generelles Weltbild Konfession: Anteil Katholiken an allen Religiösen/
Säkularität: Anteil nicht Religiöser
Sprachregion
Leitbilder mit Bezug auf
Geschlecht
Gleichstellungspolitische Ausrichtung
Familienleitbild
SOZIALSTRUKTURELLE FAKTOREN
Durchschn. Grösse der Haushalte
Anteil Alleinerziehender
Scheidungsrate
Jugendquotient/ Altersquotient
Ständige Wohnbevölkerung
Familientyp
Nach Zusammensetzung des Haushaltes
Nach Arbeitsstunden der Partner
Kantonal/ individuell
Einkommen
Bevölkerungsdichte
Urbanisierungsgrad
Zentrum/Peripherie-Grad
Durchschnittlicher Bildungsgrad
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