Zur Valenztheorie des Bors und über die Konstitution des einfachsten Borwasserstoffs

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E. Miiller. Valenztheorie des Bors und iiber die Konstitution usw. 205

Zur Valenztheorie des Bors und uber die Konstitution des einfachsten Borwasserstoffs.

Von ERICH MULLER.

Im Band 173 Seite 199ff. dieser Zeitschrift hat sich Herr EGON WIBERQ rnit dem Valenzproblem des Bors auf elektronen- theoretischer Basis beschaftigt. Am Schlusse bemerkt er, daB die von ihm diskutierte B,H,-Formel des Diborans der Wahrheit naher kommt als alle bis jetzt dafiir aufgestellten, die zu einer Deutung der gesamten Erscheinungswelt ganz oder teilweise unfahig sind. Leider findet man in der Arbeit keinen Versuch, diese letzte Be- hauptung zu begriinden. Da es moglich ist, daB er unter anderen eine von mir gegebene Formel nicht genauer daraufhin gepriift hat, wenn er auch meine Arbeitl) anfiihrt, so halte ich es im Interesse der Sache fur notwendig, diese mit der seinigen hier in Vergleich zu setzen.

1. WIBERQ nimmt an, daB zwei von den Wasserstoffatomen des Diborans ihre beiden Elektronen mit den beiden Boratomen gemein- Sam haben. Zwei Elektronen umkreisen vier Atome. Er stellt folgende Formel auf

in der jede Schleife die Bahn von zwei Elektronen bedeutet, so daS jedes Boratom seine acht Elektronen besitzt. So kann er die Zu- sammensetzung des Diborans und sein Verhalten gut deuten.

2. Ich ging von folgender Idee ausl): Das Boratom besitzt zwei Innen- und drei AuBenelektronen die im folgenden, um ver- standlich zu sein, mit Kreuzchen und mit Punkten angedeutet seien:

.XBX - Wenn zwei Boratome zu einer Dublette zusammentreten, dann

konn e n ihnen wie bei der Wasserstoffmolekel zwei Innenelektronen I) E. M~LLER, Z. Elektrochem. 13 (1925), 382.

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gemeinsam werden, wodurch die beiden anderen fur die AuBenschale verfiigbar werden I):

..fix. + . x B x . - * . B a j . , . . dem Dibroan schrieb ich danach folgende Formel zu:

H H H-.B;;(I~.-H .

H H

. .

DaB eine Dublettierung, wie beim Kohlenstoff auch ohne Bin- dung durch Innenelektronen moglich ist, z. B.

. . .EB.*BE. und .;B: :Bz.

bedarf als normales Verhalten keiner besonderen Erwahnung. In der gegenseitigen Umwandlungsmbglichkeit . . .B;%g. - f .gB..BS.

4- . . kommt die verschiedene Wertigkeit des Bors, die Vier- und Drei- wertigkeit ebenso zum Ausdruck wie in der zwischen dem Ferri- und Ferroeisenatom

6Fe- fT .Fex* die Drei- und Zweiwertigkeit des Eisens.

Wie der Borwasserstoff B,H, zwei Elektronen aufnehmen kann, ohne da8 die Edelgasform seiner Atome gesttirt wird (jedes Atom bier acht Elektronen in der AuBenschale behalt), indem dafur zwei Elektronen in die Innenschale iibergehen

- - H H H H H..B;;B..H + 2 0 -.+ H..:B..B~..H

H H [ H H ] !

so vermag ein Ferriion ein Elektron aufzunehmen und in das Ferro- ion iiberzugehen, ohne daB es die Stabilitlt verliert - in diesem Falle, weil die untere Schale elastisch ist. S . w. u.

So lassen sich folgende Reaktionen in Parallele setzen BZ& + 2 Na = B,H,-- + 2 Na' -t

I%'++ + Na = F e + + + Na+ . UDd

*) Die in der Verbindungslinie von zwei B stehenden Punkte oder Kreuz- chen bedeuten Elektronen, die beiden Boratomen gemeineam sind.

Valenztheorie d. Bors u. iib. d. Konstitution d. einfachsten Borwasserstoffs. 207

In keinem der von WIBERG angefuhrten Falle kann ich einen Unterschied in der Leistungsfahigkeit unserer beiden Formeln finden - allerdings nur solange es sich um die Aufstellung einer Formel fur Diboran und um die Deutung se ines Verhaltens handelt.

3. Es gibt aber noch andere ,,abnorme" Borverbindungen. Eine Annahme, die man hinsichtlich der Elektronenbindung beim Diboran macht, mu8 auch die Zusammensetzung jener zu erkliiren vermogen. Ich habe meine Hypothese an allen mir seinerzeit von Herrn STOCK angegebenen Borverbindungen gepruft und brauchbar befunden. WIBERG hat dies mit seiner Hypothese nicht getan und ich habe mich vergeblich bemuht, sie mit anderen Tatsachen der Borchemie in Einklang zu bringen, auBer wenn ich seine Annahme dahin er- weitere, daB zwei Elektronen zwei Wasserstoffatome und noch mehr als zwei Boratome gleichzeitig umkreisen kiinnen.

4. An sich scheint mir aber schon die Annahme, daB zwei Elek- tronen vier Atome umkreisen und dadurch binden unwahrscheinlich. Eher wiirde ich eine solche Bindung fur denkbar halten, wenn die Elektronen um die Verb indungsachse der Atome kreisen, wie es die folgende Formel fur Diboran darstellt:

H U

H U H

Aber abgesehen von gewissen Bedenken gegen diese Auffassung komme ich auch damit nicht zu einer Deutung anderer abnormer Borverbindungen. In ubrigen findet diese Vierfachbindung , soviel ich weit3, nirgend anderswo eine Analogie. Dies wird man vielleicht auch meiner Auffassung entgegenhalten. Doch glaube ich durch folgende Uberlegungen dem entgegentreten zu kiinnen.

Wir wissen, daB bei den Elementen mit hoherer Atomnummer die stabile Form der AuSenschale eine gewisse Elastizitat aufweist. Die M-Schale') hat z. B. beim Mangan 13, beim Eisen 14 Elek- tronen, ein Zeichen, daB diese Schale mit 13 oder 14 Elektronen stabil sein kann. Infolgedessen kann das Eisen auBer den beiden Elektronen der N-Schale unter Bildung von Ferroion auch im Be- darfsfalle ein weiteres Elektron aus der M-Schale unter Bildung von Ferriion abgeben, ohne da8 die au6ere verbleibende Schale in- stabil wird.

l) Vgl. z. B. ROBERT MULLEB, Der Aufbau der ehemischen Verbindungen. Stuttgart, Verlag von Ferdinand Enke, S. 11.

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Werden beim Bor unter dem Zwang der Reaktionsverhaltnisse zur Auffullung seiner L-Schale mehr als die drei in ihr enthaltenen Elektronen von anderen Elementen aur homoopolaren Bindung ver- langt, so konnen diese von e i n e m Atom aus der unelastischen K-Schale nicht geliefert werden, wohl aber von zwei Atomen deren zwei - nicht mehr und nicht weniger -, wenn sie sich in die restierenden zwei teilen ; sollen drei abgegeben werden, so gehiiren d a m drei Atome u. s. f. Die Aggregierung der Boratome ist daher notwendige Bedingung, wenn sie, wie im Diboran vierwertig auf- treten sollen, wiihrend sie bei WJBERG eine Forderung lediglich der Koordinationszahl 4 ist.

Das Verhalten des Bors entspricht durchaus dem eines mehr- wertigen Elementes und es erscheint mir naheliegend, fur alle Falle wechselnder Wertigkeit dieselben Ursachen anzunehmen. DaB nicht nur die in der auBersten Schale befindlichen Elektronen das chemische Verhalten eines Elementes bedingen, sondern auch solche der darunter folgenden, ist bei den Elementen mit hoher Atom- nummer so gut wie sicher. DaB unter den Elementen mit niedriger Atomnummer sich scheinbar nur das Bor ahnlich verhalt, liegt an seiner besonderen Stellung im periodischen System. Ich habe ver- sucht zu zeigen, daB den anderen Elernenten andere Wege offen- stehen, urn im Bedarfsfalle zu einer stabilen AuBenschale zu ge- langen. Der von dem Bor eingeschlagene besondere Weg ist nur unter dem Zwang der Verhaltnisse erfolgt, weshalb die a d diesem zustande gekommenen Verbindungen instabil sind und eine gebotene Gelegenheit benutzen, urn sich von dem Zwang zu befreien.

5. Die WIBEEG’SChe Diboranformel hat im Vergleich mit der meinigen den Nachteil der Asymmetrie. DaB den sechs an sich gleich- berechtigten Wasserstoffatomen eine so verschiedene Funktion zu- kommen sollte, dunkt mich unwahrscheinlich.

Solange Herr WIBERG nicht zeigt, dab seine Annahme geeignet ist, auch auf andere Borverbindungen anwendbar zu sein und dartut, warum er andere Formeln ablehnt, ist man eher geneigt seine ein- gangs zitierte Behauptung umzukehren, daB namlich nicht andere, sondern seine eigene Formel unfahig ist zur Deutung der gesamten Erscheinungswelt der Borchemie.

Dresdem, Institut fur Elektrochermie und physikalische Chernie der Skhsischen Technischen Hochschule, Juli 1928.

Bei der Redaktion eingegangen am 27. Jxli 1928.

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