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58 prmagazin 01/2011 WISSENSCHAFT & AUSBILDUNG Theorie & Praxis 1 Einleitung „Das Auto fährt preiswerter als die Bahn.“ Im November 2009 publizierte die Deutsche Bahn (DB) eine Informati- onsbroschüre mit dem vielsagenden Titel „Fakten. Informationen für Journalisten“. Darin werden 20 der „beliebtesten Vor- urteile über die Bahn“ mit „Fakten“ kon- trastiert. Rüdiger Grube, seit Mai 2009 Vorstandsvorsitzender der Bahn, spricht in der Broschüre von einer „verzerrten Wahrnehmung“. Einerseits gehöre die DB in vielen Bereichen weltweit zu den er- folgreichsten ihrer Branche, andererseits würden immer wieder Negativthemen die Wahrnehmung des Unternehmens ver- fälschen. Wer die Position der Deutschen Bahn in den Reputationsrankings der vergangenen Jahre betrachtet, stellt fest, dass das Unternehmen in der Tat kritisch wahrgenommen wird. So rangierte der Konzern im Jahr 2008 auf den Heimat- markt bezogen mit einem Reputations- wert von 32,44 Punkten auf dem 32. Platz und im Jahr 2009 nur leicht verbessert auf dem 31. (37,93 Punkte). 1 ) Offenbar existieren bei verschiedenen Stakehol- dergruppen negative Vorstellungsbilder (Images) von der DB, die in entsprechen- den Untersuchungen zu einem niedrigen Reputationswert führen. Wer das auf eine „verzerrte Wahrneh- mung“ reduziert, postuliert aber nichts anderes, als dass über eine bessere Kom- munikation die Images und damit die Reputation in den gewünschten Bereich zu steuern wären. Leider ist die Realität in der Regel komplizierter: Das Ausein- anderklaffen von Fremdbild (Images, Reputation) und Selbstbild (Identität) ist selten nur das Ergebnis ungenügender Kommunikation. Images bilden sich nämlich nicht nur über Kommunikation, sondern auch über andere Manifestatio- nen der Identität – an erster Stelle über das Leistungsangebot des Unternehmens und das Verhalten der Mitarbeiter. Wer den Weg der Deutschen Bahn vom trägen Staatsbetrieb zum unterneh- merisch geführten, börsentauglichen Mo- bilitäts- und Logistikkonzern verfolgt hat, erkennt rasch, dass hier ein Unterneh- men seine Identität zuerst neu finden IDENTITÄTSORIENTIERTES KOMMUNIKATIONS- MANAGEMENT TEXT: Markus Niederhäuser und Nicole Rosenberger * * Markus Niederhäuser ist Dozent und Berater für Or- ganisationskommunikation. Er leitet den Executive- Master-Studiengang Communication Management and Leadership des IAM Instituts für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Nicole Rosenberger ist Dozentin und Beraterin für Organisationskommunikation. Sie leitet die Weiter- bildung des IAM Instituts für Angewandte Medien- wissenschaft der ZHAW.

Identitätsorientiertes Kommunikationsmanagement, prmagazin 2011

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58 prmagazin 01/2011

WISSENSCHAFT & AUSBILDUNGTheorie & Praxis

1Einleitung

„Das Auto fährt preiswerter als die Bahn.“ Im November 2009 publizierte die Deutsche Bahn (DB) eine Informati-onsbroschüre mit dem vielsagenden Titel „Fakten. Informationen für Journalisten“. Darin werden 20 der „beliebtesten Vor-urteile über die Bahn“ mit „Fakten“ kon-trastiert. Rüdiger Grube, seit Mai 2009

Vorstandsvorsitzender der Bahn, spricht in der Broschüre von einer „verzerrten Wahrnehmung“. Einerseits gehöre die DB in vielen Bereichen weltweit zu den er-folgreichsten ihrer Branche, andererseits würden immer wieder Negativthemen die Wahrnehmung des Unternehmens ver-fälschen. Wer die Position der Deutschen Bahn in den Reputationsrankings der vergangenen Jahre betrachtet, stellt fest, dass das Unternehmen in der Tat kritisch wahrgenommen wird. So rangierte der Konzern im Jahr 2008 auf den Heimat-markt be zogen mit einem Reputations-wert von 32,44 Punkten auf dem 32. Platz und im Jahr 2009 nur leicht verbessert auf dem 31. (37,93 Punkte).1) Offenbar existieren bei verschiedenen Stakehol-dergruppen negative Vorstellungsbilder (Images) von der DB, die in entsprechen-den Unter suchungen zu einem niedrigen Reputationswert führen.

Wer das auf eine „verzerrte Wahrneh-mung“ reduziert, postuliert aber nichts anderes, als dass über eine bessere Kom-munikation die Images und damit die Repu tation in den gewünschten Bereich zu steuern wären. Leider ist die Realität in der Regel komplizierter: Das Ausein-anderklaffen von Fremdbild (Images, Reput ation) und Selbstbild (Identität) ist selten nur das Ergebnis ungenügender Kommunikation. Images bilden sich nämlich nicht nur über Kommunikation, sondern auch über andere Manifestatio-nen der Identität – an erster Stelle über das Leistungsangebot des Unternehmens und das Verhalten der Mitarbeiter.

Wer den Weg der Deutschen Bahn vom trägen Staatsbetrieb zum unterneh-merisch geführten, börsentauglichen Mo-bilitäts- und Logistikkonzern verfolgt hat, erkennt rasch, dass hier ein Unterneh-men seine Identität zuerst neu finden

IDENTITÄTSORIENTIERTES KOMMUNIKATIONS-

MANAGEMENT

TEXT: Markus Niederhäuser und Nicole Rosenberger *

* Markus Niederhäuser ist Dozent und Berater für Or-ganisationskommunikation. Er leitet den Executive-Master-Studiengang Communication Management and Leadership des IAM Instituts für Angewandte Medien wissenschaft der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Nicole Rosenberger ist Dozentin und Beraterin für Organisations kommunikation. Sie leitet die Weiter-bildung des IAM Instituts für Angewandte Medien-wissenschaft der ZHAW.

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muss. Dass die sich wandelnden Iden-titäten Inkonsistenzen aufweisen und in der Übergangsphase Irritationen bei den Stakeholdern auslösen können, liegt auf der Hand. Eine unklare Identität aber führt regelmäßig zu Image- und Reputati-onswerten, welche die Wettbewerbsfähig-keit der betroffenen Unternehmen beein-trächtigen können.

2Didaktisches Modell entwickelt

Die Abhängigkeiten und Wechselwir-kungen von Unternehmensidentität und -images – beziehungsweise von Selbst- und Fremdbild – sind seit Jahrzehnten Thema der Organisations- und Kommunikations-forschung. Das bislang bekannteste und am meisten zitierte ist das Corporate-Identity-Modell von Birkigt et al. (2002). Sie defi-nieren Corporate Identity als „strategisch geplante und operativ eingesetzte Selbst-darstellung und Verhaltensweise eines Un-ternehmens nach innen und außen auf Basis einer festge legten Unternehmens-philosophie, einer langfristigen Unterneh-menszielsetzung und eines definierten Soll-Images“ (Birkigt et al. 2002, S. 59).

Im Kern der Corporate Identity steht die Unternehmenspersönlichkeit, die sich einerseits aus Zweck und Zielsetzungen des Unternehmens, andererseits aus der Rolle in Markt und Gesellschaft ergibt. Diese Per-sönlichkeit kann sich mittels der Instru-mente Verhalten (Corporate Behaviour), Kommunikation (Corporate Communica-tions) und Erscheinungsbild (Corporate Design) verwirklichen. Der „Identitäts-Mix“ ist „Medium und Kanal für die Vermittlung der Unternehmenspersönlichkeit“ gegen-über internen und externen Zielgruppen. Die Vermittlung führt zum Corporate Image als „Spiegelbild der Corporate Identity“ (Birkigt et al. 2002, S. 19-23).

Wie nun Kommunikation die Iden-titätsbildung und -pflege beeinflusst und unterstützt, kam bei diesem Ansatz und dessen Ableitungen bislang zu wenig zum Tragen. Die Autoren des vorliegenden Beitrags orientierten sich an diesem Be-dürfnis und entwickelten während ihrer Dozenten-, Beratungs- und Forschungs-tätigkeit an der Zürcher Hochschule für An gewandte Wissenschaften (ZHAW) ein eigenes Modell, das als didaktisches Instrument zu verstehen ist: das Modell

des identitätsorientierten Kommunika-tionsmanagements. Es vereinigt und in-tegriert bestehende Konzepte aus PR, Marketing und Branding sowie die Er-fahrungen von praxiserprobten Kommu-nika tionsmanagern. Das Modell dient gleichzeitig als Analyseinstrument und Handlungsanleitung, wie Kommunika-tionsmanagement als Teil des Identitäts-managements zu verstehen und zu betrei-ben ist. Im Folgenden wird es schrittweise entwickelt und beschrieben.2)

3Identität konstituiert sich in vier Dimensionen

Aus systemtheoretischer Sicht erzeu-gen Unternehmen ihre Identität durch das Setzen einer Systemgrenze, durch die sie sich von ihrer Umwelt abheben und zu etwas von der Umwelt Unterscheidba-rem werden. Die Abgrenzung von ande-ren Systemen geschieht zum einen über die Definition und die spezifische Lösung der Aufgabe, zu deren Erfüllung sich das System konstituiert, zum anderen über die Gestaltung der Austauschbeziehun-gen mit der Umwelt. Denn die Umwelt ist Abnehmerin der Produkte, die bei der Aufgabenerfüllung entstehen (Output) und zugleich Lieferantin von Ressourcen (Input), die im internen Transformations-prozess zur Aufgabenerfüllung führen.

Unternehmen definieren ihre Aufgabe und deren Gestaltung relativ abstrakt auf der Ebene der Unternehmenspolitik mit-tels Vision, Zweck, Strategie und Werten. Die Umsetzung dieser Politik ist auf Men-schen angewiesen, die unter einem Unter-nehmensnamen bestimmte Produkte her-stellen und vertreiben. Die Identität wird damit erst in der Umsetzung der unter-nehmenspolitischen Vorgaben manifest. Unternehmensidentität konstituiert sich im Modell des identitätsorientierten Kom-munikationsmanagements über die Reali-sierung der Unternehmenspolitik in den folgenden vier Identitätsdimensionen:

Leistungsangebot,Verhalten der Mitarbeiter, multisensorische Symbole, Unternehmenskommunikation.

Die Kombination der verschiedenen Merkmale dieser Identitätsdimensionen macht schließlich die spezifische, im Ideal-fall unverwechselbare Identität aus. Der

Zusammenhang zwischen Unternehmens-politik und Identität lässt sich dem-nach folgendermaßen beschreiben: Un-ternehmen konstituieren sich über die Definition der zu erfüllenden Aufgabe und damit über unternehmenspolitische Entscheidungen. Die Unternehmenspoli-tik schafft dementsprechend die Basis für die Identität. Der Aufbau einer Identität und damit deren Manifest- und Erlebbar-Werden geschieht allerdings erst durch die Austauschbeziehungen zwischen dem Un ternehmen und den internen und ex-ternen Bezugsgruppen – und zwar über die oben genannten Dimensionen.

Dem Kommunikationsmanagement, verstanden als Steuerung der kommuni-kativen Beziehungen zwischen dem Un-ternehmen und seinen relevanten Be-zugsgruppen, kommt dabei eine doppelte Rolle zu. Unternehmenskommunikation ist zum einen selbst Ausdruck und damit Träger spezifischer Identitätsmerkmale, zum anderen hat sie eine unterstützende Funktion bei der Entwicklung, Umset-zung und Vermittlung der Identität nach innen und außen. Die Kommunikation des Selbstverständnisses nach innen stif-tet Orientierung und Sinn, die Vermitt-lung nach außen schafft Transparenz, Akzeptanz und Vertrauen.

Da die Kommunikation mit den ver-schiedenen Stakeholdern in regelmäßigem Austausch steht, ist es ihre Aufgabe zu überprüfen, ob die Stakeholder die Iden-tität akzeptieren und ob definierte und reale Identitätsmanifestation übereinstim-men. Damit leistet das identitätsorientierte Kommunikationsmanagement einen we-sentlichen Beitrag zur Wertschöpfung: In-tern optimiert es den Ressourceneinsatz und stärkt die Identifikation und damit die Motivation der Mitarbeiter, extern ver-schafft es dem Unternehmen ein klares Profil und leistet damit einen Beitrag zur Stärkung der Reputation.

4Identität wird in Steuerungs-instrumenten konkretisiert

Im Modell des identitätsorientierten Kommunikationsmanagements wird die Unternehmensidentität abgeleitet aus der Unternehmenspolitik (Vision, Mission, Werte, Strategie) und manifestiert sich in einem spezifischen Leistungsangebot, im Verhalten der einzelnen Organisa-

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WISSENSCHAFT & AUSBILDUNGTheorie & Praxis

tionsmitglieder, in einem bestimmten Auftritt – vermittelt über multisenso-rische Symbole – und in einer spezi-fischen Kommunikation. Über diese Dimen sionen vermitteln Unternehmen, sobald sie als Handelnde auftreten, ihre Identität.

Die Identitätsmanifestationen wer-den über Steuerungsinstrumente geführt und definiert. Da die Ergebnisse der Um-setzung der Steuerungsinstrumente teil-weise von der Planung abweichen, wird im Modell zwischen definierten und realen Manifestationen unterschieden. Mit definierten Manifestationen wird die angestrebte, ideale Realisierung der Un-ternehmenspolitik in den vier Identitäts-dimensionen bezeichnet. Dabei können einzelne Identitätsdimensionen oder die Identität als Ganzes explizit definiert sein, oder sie ergeben sich implizit aus der Unternehmenspolitik. Reale Mani-festationen hingegen bezeichnen die tat-sächliche Umsetzung der Unternehmens-politik in den Identitätsdimensionen.

Die aus der Unternehmenspolitik abgeleitete Identität wird in verschiede-nen Steuerungsinstrumenten konkreti-siert:

Marketingkonzept, Verhaltensrichtlinien, Symbolhandbuch, Kommunikationskonzept.

Diese Instrumente steuern die Um-setzung der Unternehmenspolitik in die Identitätsmanifestationen und besitzen damit eine Scharnierfunktion. Unterneh-mensidentität umfasst im vorliegenden Modell sowohl die Steuerungsinstru-mente als auch die definierten und realen Manifestationen in den vier Identitäts-dimensionen Leistungsangebot, Verhal-ten, Symbole und Kommunikation. Von definierter Identität hingegen wird ge-sprochen, wenn lediglich die Steuerungs-instrumente und die definierten Mani-festationen gemeint sind. Sie bezeichnet damit die autorisierte und meist explizit kommunizierte Vorstellung der idealen

Realisierung der Unternehmenspolitik in den vier Identitätsdimensionen.

Die gezielte gegenseitige Abstimmung der vier Identitätsdimensionen respek-tive ihrer Manifestationen führt zu einer konsistenten und kongruenten Identität, die mittels eindeutiger Merkmale wahr-nehmbar ist. Identitätsmanagement zielt auf eine unverwechselbare und kohärente Kombination der Identitätsdimensionen ab, die auch mit der Unternehmenspolitik übereinstimmt.

5 Identität als Ergebnis von Ableitungs-, Abstimmungs- und Umsetzungsprozessen

Die Umsetzung von Unternehmens-politik in Identität verläuft über verschie-dene Prozesse. Als Ableitungsprozesse werden im Modell die Übersetzung der Unternehmenspolitik in die Steuerungs-instrumente bezeichnet. Abstimmungs-prozesse hingegen haben die Aufgabe, die Identitätsdimensionen untereinander zu koordinieren, während die Realisie-rung der Steuerungsinstrumente mittels Umsetzungsprozessen geführt wird (siehe Abbildung 1).

Die Austauschbarkeit von Produkten und Dienstleistungen und die Flut von Informationen, mit denen die Stakehol-der heute konfrontiert sind, führen dazu, dass das alleinige Kommunizieren des Leistungsangebots nicht mehr ausreicht, um sich im Aufmerksamkeitswettbewerb durchzusetzen. Die Vermittlung der spe-zifischen Identität stellt sicher, dass sich das Unternehmen von anderen diffe-renziert und damit überhaupt wahrge-

DEFINIERTE IDENTITÄT UND DEREN PROZESSE

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Elemente

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Steuerungsinstrumente Definierte Manifestationen

Mission Marketingkonzept Leistungsangebot

Vision Verhaltensrichtlinien Verhalten

Werte Symbolhandbuch Symbole

Strategie Kommunikations-konzept Kommunikation

Ableitungsprozesse Abstimmungsprozesse Umsetzungsprozesse

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nommen und akzeptiert werden kann. Während Identitätskommunikation die spezifische Umsetzung von Produkt-, Kommunikations-, Verhaltens- und Sym-bolpolitik nach innen und außen trägt, verdichtet und spitzt die Marke diese Identität als kommunikatives Verspre-chen zu. Die Marke entspricht damit der angestrebten Positionierung.

Wie Differenzierung über Identität und eine entsprechende Identitätskom-munikation gelingen kann, zeigt Apple exemplarisch. Das Leistungsangebot ist zweifellos innovativ, das Verhalten der Mitarbeiter jugendlich cool, die Symbolik (zum Beispiel das Design) stringent ge-führt und ästhetisch überzeugend. Auf dieser Basis hat Apple eine Kommunika-tionsstrategie entwickelt, die zurzeit welt-weit einzigartig ist. Klassische PR in Form von Pressemitteilungen oder Messeauf-tritten wird kaum betrieben, dafür wird um die Innovationen herum ein gezielter, nervöser Erwartungsdruck aufgebaut, der sich regelmäßig in den Medien entlädt.

Gearbeitet wird dabei mit verschie-denen Mitteln: Personalisierungsstrategie mit CEO Steve Jobs als Mischung von Messias und Popstar, Geheimniskrämerei um die Innovationen gepaart mit geziel-ten „Leakages“, Aufbau und Pflege einer Fankultur. Solange Apple die Innovations-führerschaft innehat, kann auch diese Kommunikationsstrategie funktionieren. Apple gelingt es derzeit wie keiner ande-ren Firma, die vier Dimensionen ihrer Identität stringent aufeinander abzustim-men und nach außen hin über professio-nell geführte Identitäts- und Markenkom-munikation sichtbar zu machen.

6Images bilden sich über Austauschprozesse

Durch die Kommunikation von und über Unternehmen konstituiert sich Öffent-lichkeit im Sinne eines Beobachtungs-raums. Dieser wird im Modell als „Kom-munikationsarena“ (Zerfaß 2010, S. 195ff.) bezeichnet. In der Arena tauschen verschie-dene Akteure Informationen, Ansichten und Bewertungen aus. Dabei können sich öffentliche Meinungen ausbilden. Es gibt verschiedene Kommunikationsarenen, die sich hinsichtlich Akteur, Funktion und The-menfokus unterscheiden. Sie konstituieren sich über die Beobachtungen und Bewer-

tungen von Absatz-, Kapital- und Personal-markt sowie über den politischen Mei-nungsmarkt (vgl. Szyszka 2008, S. 252). Die gesamtgesellschaftliche Arena ist der wich-tigste Meinungsraum, denn sie beobachtet die Meinungsbildungen in den anderen Arenen und prägt diese wesentlich mit. Aus diesem Grund fokussiert das vorliegende Modell des identitätsorientierten Kommu-nikationsmanagements auf die gesamtge-sellschaftliche Kommunika tionsarena.

Akteure der gesamtgesellschaftlichen Kommunikationsarena sind neben den Medien die verschiedenen Bezugsgrup-pen, beispielsweise Kunden, Kapitalgeber und Mitarbeiter. Interaktionen zwischen Unternehmen und Bezugs gruppen fin-den auf vielfältige Weise statt und können als Austauschprozesse bezeichnet wer-den: über Transaktionen von Ressourcen und Produkten, mittels institutionalisier-ter Unternehmenskommunikation und via interpersonaler Kommunikation zwi-schen einzelnen Organisationsmitgliedern und konkreten Akteuren.

Die Bezugsgruppen bilden meist stark vereinfachte, typisierte und stabile Vorstel-lungsbilder von Unternehmen aus (vgl. Bergler 2008, S. 328ff.). Diese Images wer-den geprägt durch direkte Erfahrungen mit konkreten Produkten und Organisa-tionsmitgliedern, durch öffent liche und nicht öffentliche Kommunikation über das Unternehmen sowie durch in stitutionelle Unternehmenskommunikation.

Medien sind eine Bezugsgruppe neben anderen, sie beeinflussen in ihrer Funk-tion als Gestalter der öffentlichen Kommu-nikation und damit als Mittler auch die Images der anderen Bezugsgruppen. Ima-ges prägen Einstellungen und haben damit eine verhaltenssteuernde Wirkung. Ent-sprechend zielt die Unternehmenskom-munikation darauf ab, diese aktiv mitzuge-stalten. Aufgrund der stark gewachsenen Bedeutung der digitalen Medien und der Individualisierung der Massenkommuni-kation gelingt dies allerdings nur noch bedingt. Weisen die von den verschiede-nen Bezugsgruppen entwickelten Images eine substanzielle inhaltliche Überschnei-dung auf und stimmen die Images im Kern mit der definierten Identität überein, dann ist die Unternehmens identität kon-zis vermittelt worden (siehe Abbildung 2).

Auch die Reputation von Unterneh-men bildet sich in der Kommunikations-arena heraus, verstanden als „Ruf der

Vertrauens würdigkeit“ (Eisenegger 2005, S. 24). Dabei werden die verschiedenen Images zu einem Gesamtwert des An-sehens aggregiert. Die Konstrukte Image und Reputation und die in der Kommuni-kationsarena kondensierten Meinungen zu relevanten Themen beeinflussen auf je spezifischen Ebenen und unter unter-schiedlichen Perspektiven die Außen-wahrnehmungen von Unternehmen. Diese wirken zudem gegenseitig aufeinander ein.

7Vertrauen entsteht durch klare Identität

Die Stakeholder erwarten zunächst, dass sich ein Unternehmen so verhält, wie es die definierte Identität suggeriert. Diese Erwartungshaltung ist die Voraus-setzung dafür, dass die Stakeholder das Unternehmen als berechenbar und da-mit als vertrauenswürdig einstufen. Ver-trauenswürdig kann letztlich nur sein, wer zum einen fassbar ist, das heißt sich durch eine klar definierte Identi-tät dif ferenziert. Zum anderen müssen die Erwartungen der Stakeholder erfüllt werden.

Diese Erwartungen beziehen sich so-wohl auf die Kompetenz einer Organisa-tion, ihren Leistungsauftrag möglichst op-timal zu erfüllen, als auch auf die Integrität bezüglich des Einhaltens bestimmter Nor-men und Werte. Denn Normen und

KOMMUNI-KATIONSARENA

Med

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Images

Kapitalgeber

Kunden

Mitarbeiter

Öffentlichkeit/NPO

Staat

Lieferanten

Konkurrenz

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Reputation

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Werte prägen die Anliegen und Interessen der Stakeholder, die nicht immer mit den Zielen des Unternehmens vereinbar sind. Kompetenz und Integrität sind zwei zen-trale Kriterien für die Reputationsbildung (vgl. Eisenegger 2005, S. 37-44).

Ein Unternehmen wird nicht nur an der Adäquatheit seiner definierten Iden-tität gemessen, sondern auch daran, ob diese im effektiven Agieren umgesetzt wird, das heißt ob definierte und reale Identitätsmanifestationen kongruent sind. Eine größere Diskrepanz zwischen defi-nierten und realen Manifestationen führt zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit (cre-dibility gap) und an Reputation.

Zwei Beispiele: Da der britische Erdöl-konzern BP sich in den vergangenen Jah-ren als nachhaltige, ökologisch sensible Firma definierte, musste die Ölkatas-trophe im Golf von Mexiko für die Re-putation von BP besonders dramatische Auswirkungen haben. Und wenn der in

Sachen Qualität führende Automobilher-steller Toyota jüngst eine der größten Rückrufaktionen seiner Geschichte star-ten musste, so kollidieren hier der defi-nierte und kommunizierte Qualitätsan-spruch mit den realen Leistungen.

Zentraler Treiber der erfolg reichen Umsetzung der definierten Iden tität ist die Unternehmenskultur. Sie umfasst die unbewussten, kollektiven Annah men und Wertvorstellungen der Organisationsmit-glieder.3) Da diese Mus ter die Haltung und das Verhalten der Mitarbeiter stark prägen, begrenzt die Unternehmenskultur den möglichen Gestaltungsraum von Un-ternehmenspolitik und Identität. Die Im-plementierung und Realisierung der in der Unternehmenspolitik festgelegten Werte und Zielsetzungen kann nur gelingen, wenn sie diesen kollektiven Einstellungen nicht zuwiderlaufen (siehe Abbildung 3).

Gravierende Diskrepanzen zwischen definierten und realen Manifestationen

sind in negativem Sinn reputationswirk-sam, da in diesem Fall die Erwartungen der Bezugsgruppen nicht erfüllt werden. Größere Verschiebungen zwischen den beiden Ebenen müssen denn auch mittels Change Management angegangen wer-den. Der Kommunikation kommt dabei eine den Wandel unterstützende Funk-tion zu.

Die Austauschprozesse zwischen Un-ternehmen und ihren Bezugsgruppen werden grundsätzlich über alle vier Iden-titätsdimensionen geführt. Das physische Produkt in der Hand des Kunden, das Verhalten der Mitarbeiter am Point of Sale, die Architektur des Firmengebäu-des, die Medienmitteilung zum Rücktritt des CEO: Sie alle sind Teil der Austausch-prozesse und damit image- und reputa-tionswirksam. Die spezifische Rolle der Identitätsdimension Kommunikation für die Schaffung der immateriellen Werte Image und Reputation besteht primär darin, die Konkretisierung der Unter-nehmenspolitik in eine definierte Iden-tität kommunikativ zu begleiten und diese nach innen und außen sichtbar zu machen.

Neben einer eindeutigen Positionie-rung des Unternehmens über die Marke kommt der Kommunikation dann aber auch die Aufgabe zu, mittels Dialog mit den Stakeholdern und mittels Issues Manage ment die von außen an das Unternehmen gestellten Erwartungen in Bezug auf Kompetenz und Integrität zu erheben und in die Unternehmens leitung hineinzuspielen. Diese hat anschließend zu entscheiden, ob und, wenn ja, auf welcher Ebene (Unter nehmenspolitik, definierte Identität, reale Manifestatio-

Unternehmen

Kultur

DEFINIERTE UND REALE IDENTITÄTSMANIFESTATIONEN

Abbildung 3

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Reale Manifestationen

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Steuerungsinstrumente Definierte Manifestationen

Mission Marketingkonzept Leistungsangebot

Vision Verhaltensrichtlinien Verhalten

Werte Symbolhandbuch Symbole

Strategie Kommunikations-konzept Kommunikation

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nen) gehandelt werden muss (siehe Ab-

bildung 4). Ein identitätsorientiertes Kommuni-

kationsmanagement behält stets den im-materiellen Kern einer Organisation im Blick und bearbeitet Inkonsis tenzen im Gesamteindruck, den sie in ihren Mani-festationen nach innen und außen weckt. Das Ziel heißt: ein nachhaltig klares und selbstbewusstes Profil. Dieses ist gleich-bedeutend mit einem lang fristigen Leis-tungsversprechen, auf das die Stakehol-der vertrauen – daraus letztlich erwächst Reputation.

Schlagen wir zum Schluss den Bogen zurück zur Deutschen Bahn: Wenn es ihr gelingt, ihre Unternehmenspolitik in eine klare und konsistente Identität zu überführen, wenn es ihr zudem gelingt, die Identität über alle vier Dimensionen nach innen und außen zu tragen, und wenn es ihr insbesondere gelingt, über ein strategisch ausgerichtetes Kommuni-kationsmanagement diese Identität bei den Stakeholdern zu verankern, dann werden die Images und die Reputation in Zukunft näher am Selbstbild liegen. Dann braucht es auch keine Broschüre mehr, die den Kunden mit „Fakten“ von der idealen Welt zu überzeugen ver-sucht.

Fußnoten

1) „Global Pulse Study“ 2008 und 2009 des Reputation Institute. Auf der Skala 0 bis 100 wird die Reputation in die-sem Ranking wie folgt eingestuft: < 40 Poor/Lowest Tier; 40-59 Weak/Vulne-rable; 60-69 Average/Moderate; 70-79 Strong/Robust; > 80 Excellent/Top Tier. Die Studienergebnisse können beim Reputation Institute (www.reputatio-ninstitute.com) bestellt werden.

2) Die Darstellung des Modells basiert auf Niederhäuser/Rosenberger 2011, S. 23-29.

3) Dieses Verständnis entspricht der un-tersten Ebene in Scheins Modell der verschiedenen Ebenen der Unterneh-menskultur (vgl. Schein 2004, S. 25ff.).

Literatur

Bergler, Reinhold (2008): Identität und Image. In: Bentele, Günter/Fröhlich, Romy/Szyszka, Peter (Hrsg): Handbuch der Public Relations. Wissenschaftliche Grundlagen und beruf liches Handeln. 2., korrigierte und erweiterte Auflage. Wiesbaden, S. 321-334.

Birkigt, Klaus/Stadler, Marinus M./Funck, Hans Joachim (2002): Corporate Identity. Grundlagen. Funktionen. Fallbeispiele. 11., überarbeitete und aktualisierte Auflage. München.

Eisenegger, Mark (2005): Reputation in der Mediengesellschaft: Konstitution – Issues Monitoring – Issues Manage-ment. Wiesbaden.

Niederhäuser, Markus/Rosenberger, Ni-cole (2011): Unternehmenspolitik, Identität und Kommunikation. Mo-dell – Prozesse – Fallbeispiele. Wies-baden.

Schein, Edgar H. (2004): Organizational Culture and Leadership. 3. Auflage. New York.

Szyszka, Peter (2008): PR-Verständnis im Marketing. In: Bentele, Günter/Fröhlich, Romy/Szyszka, Peter (Hrsg): Handbuch der Public Relations. Wissen schaftliche Grundlagen und be rufliches Handeln. 2., kor rigierte und erweiterte Auflage. Wiesbaden, S. 241-253.

Zerfaß, Ansgar (2010): Unternehmens-führung und Öffentlichkeitsarbeit. Grundlegung einer Theorie der Unter-nehmenskommunikation und Public Relations. 3., aktualisierte Auflage. Wiesbaden.

DAS MODELL DES IDENTITÄTSORIENTIERTEN KOMMUNIKATIONSMANAGEMENTS

Ableitungsprozesse Abstimmungsprozesse Umsetzungsprozesse

Abbildung 4

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Unternehmen

Kultur

Reale Manifestationen

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Steuerungsinstrumente Definierte Manifestationen

Mission Marketingkonzept Leistungsangebot

Vision Verhaltensrichtlinien Verhalten

Werte Symbolhandbuch Symbole

Strategie Kommunikations-konzept Kommunikation

Kommunikationsarena

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Kapitalgeber

Kunden

Mitarbeiter

Öffentlichkeit/NPO

Staat

Lieferanten

Konkurrenz

Umfeld

Austauschprozesse