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cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

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Page 1: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen
Dateianlage
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Richard Pircher (Hrsg)Wissensmanagement

WissenstransferWissensnetzwerke

Autoren

Benno Ackermann Dr Frank D BehrendMag Andreas BlumauerFranz Bojer Mag (FH) Gertraud DenscherGerhard DrexlerSimon DuumlckertDipl-Kffr (FH) Barbara EhniszligAnja FlickerThomas FundneiderDr Peter A GloorDr Gerit GoumltzenbruckerDr-Ing Josef Hofer-Alfeis Dr Bruno HribernikDr Anna Maria KoumlckProf Dr Michael Litschka

Angelica V MarteDr Angelika MittelmannMarc NitschkeProf Dr Markus F PeschlMag Tassilo PellegriniDr Richard PircherGerhard SchatzlDr Manfred della SchiavaDipl-Ing Maria Tagwerker-SturmDipl-Ing Alexandra ThannhaumluserDr Josef TuppingerDr Christoph H WechtDr Reinhard WillfortMichael WuumlrzelbergerMag Lukas Zenk

WissensmanagementWissenstransfer

WissensnetzwerkeKonzepte

MethodenErfahrungen

von Richard Pircher (Hrsg)

2 aktualisierte Auflage 2014

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uumlber httpdnbd-nbde abrufbar

Autoren und Verlag haben alle Texte in diesem Buch mit groszliger Sorgfalt erarbeitet Dennoch koumlnnen Fehler nicht ausgeschlossen werden Eine Haftung des Verlags oder der Autoren gleich aus welchem Rechtsgrund ist ausgeschlossen Die in diesem Buch wiedergegebenen Bezeichnungen koumlnnen Warenzeichen sein deren Benutzung durch Dritte fuumlr deren Zwecke die Rechte der Inhaber verletzen kann

wwwpublicis-booksde

Print ISBN 978-3-89578-436-1 ePDF ISBN 978-3-89578-914-4 ePUB ISBN 978-3-89578-722-5 mobi ISBN 978-3-89578-821-5

Verlag Publicis Publishing Erlangencopy 2014 by Publicis Erlangen Zweigniederlassung der PWW GmbH

Das Werk einschlieszliglich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschuumltzt Jede Verwendung auszligerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulaumlssig und strafbar Das gilt insbesondere fuumlr Vervielfaumlltigungen Uumlbersetzungen Mikroverfilmungen Bearbeitungen sonstiger Art sowie fuumlr die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen Dies gilt auch fuumlr die Entnahme von einzelnen Abbildungen und bei auszugsweiser Verwendung von Texten

Printed in Germany

Danksagung 5

Danksagung

Mein Dank gilt den Autorinnen und Autoren dieses Bandes und all jenendie sein Zustandekommen direkt oder indirekt durch Gespraumlche und ihreArbeiten persoumlnlich unterstuumltzt haben unter anderen waren dies Dr Ange-lika Mittelmann Dr Reinhard Willfort Dr Manfred della Schiava ProfDr Stefan Guumlldenberg Prof Dr Klaus North Prof Dr Helmut WillkeProf Dr Ursula Schneider dagger Prof Dr Gerald Huumlther und Dr Don BeckWeiters danke ich all den Seminar- und LehrgangsteilnehmerInnen vondenen ich wohl ebenso viel lernen konnte wie sie von mir sowie weite-ren Personen mit denen ich zusammenarbeiten durfte und darf demTeam des Departments fuumlr Wissens- und Kommunikationsmanagementan der Donau-Universitaumlt Krems den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen des berufsbegleitenden Studiengangs Wissensmanagement an derDonau-Universitaumlt Krems sowie dem Team Bank- und Finanzwirtschaftan der Fachhochschule des bfi Wien

6 Geleitworte

Geleitworte

Wissen braucht Duumlnger Licht und Kommunikation

Das Zusammenspiel von Wissensmanagement Wissenstransfer und Wis-sennetzwerken zu orchestrieren ist eine der faszinierendsten Manage-mentaufgaben von heute Jene Unternehmen die besser als anderesicherstellen dass das aus praktischer Erfahrung entstandene Wissen fuumlrall jene im Unternehmen verfuumlgbar ist die es benoumltigen werden produk-tiver und erfolgreicher sein als andere Dieses Erfahrungswissen kannjedoch nur in Ausnahmefaumlllen wirtschaftlich rentabel schriftlich doku-mentiert und somit elektronisch zugreifbar gemacht werden in den meis-ten Faumlllen muumlssen wir akzeptieren dass dieses Wissen in den Koumlpfen derMitarbeiter steckt und nur uumlber diese Menschen zugaumlnglich ist

Moderne Dokumentenmanagementsysteme waumlren ausgereift genug umschriftlich dokumentiertes Wissen zugaumlnglich zu machen aber wir errei-che ich dass Mitarbeiter das Wissen in Ihren Koumlpfen effektiv austau-schen Die Erfahrung zeigt dass face-to-face also im persoumlnlichenGespraumlch dieses Wissen am ehesten ausgetauscht werden kann Wie abererreiche ich dass Mitarbeiter die global uumlber Standorte verteilt sind ihreErfahrungen teilen

Das ist der Grund warum soziale Netzwerke innerhalb von Unternehmenso an Bedeutung gewinnen Mitarbeiter werden durch ihre Aktivitaumlten imsozialen Netzwerk fuumlr jene sichtbar die das Wissen ebenso benoumltigen Ins-besondere die juumlngeren Mitarbeiter wachsen ja bereits als Digital Nativesim Internet mit sozialen Netzwerken auf Sie sind gewoumlhnt ihre Kommu-nikation auch fuumlr Unbekannte zu oumlffnen um durch Ihren Aktivitaumltsstrommit ihrer Kompetenz sichtbar und auffindbar zu werden Sie habengelernt dass sie dadurch fuumlr andere interessanter werden Sie haben auchgelernt wie man sein eigenes Netzwerke aufbaut und was passiert wennman zuviel Zeit oder zuwenig Zeit dafuumlr investiert

Die heutigen Web 20-Technologien im Enterprise 20 unterstuumltzenUnternehmen ihren Mitarbeitern ein Umfeld zu bieten in dem solchesoziale Netzwerke im Unternehmen entstehen koumlnnen Der zentrale Wis-sensmanager hat dann mehr die Rolle eines Gaumlrtners der ab und zu andie richtige Stelle etwas Duumlnger hinzufuumlgt und ab und zu ein paar ver-

Geleitworte 7

trocknete Blaumltter aus dem Wissensbaum des Unternehmens entfernt dieeigentliche Energie zum Aufbau des Wissensbaumes kommt ndash wie in derNatur ndash nicht vom Gaumlrtner sondern von dem gigantischen Wissens-Potenzial das in den Mitarbeitern schlummert Das Management hat diefeinsinnige Aufgabe die jungen frischen Zweiglein zur Sonne hinzuent-wickeln und zu tragenden Geschaumlftszweigen zu machen die dann auchdas Ernten von Fruumlchten ermoumlglicht Im Unternehmen nennt man dasdann Innovation

Diese in den letzten 10 Jahren aufgekommene und sich heute immerschneller verbreitende neue Form des Wissensmanagements ist sehr starkgekoppelt mit den Themen Cultural Change und Change Managementdie wiederum naumlher an Psychologie Soziologie und neuen Management-methoden liegen als beim klassischen Biblothekarswesen

Da Kulturwandel nicht einfach verordnet werden kann koumlnnen geschickteingesetzte Social Media Tools im Enterprise 20 als bdquoTraumlgersubstanzldquo fuumlreinen gezielten Kulturwandel in Unternehmen dienen wenn dieser Kul-turwandel sichtbar vom CEO unterstuumltzt und wirklich gewollt ist

Dieses Buch gibt einen sehr guten Uumlberblick uumlber das Wissensmanage-ment der 3 Generation und zeigt mit Praxisbeispielen aus fuumlhrendenUnternehmen wie Wissensmanagement heute erfolgreich umgesetztwerden kann Wer die Bedeutung des Managements von Wissen undInnovationen fuumlr die Zukunft von Unternehmen erkannt hat findet hiereine wertvolle Orientierungshilfe

Beim Lesen des Buches wuumlnsche ich Ihnen viele neue Erkenntnisse dieSie dann im eigenen Unternehmen umsetzen koumlnnen um das Potenzialdas in Ihren Mitarbeitern steckt voll zur Geltung kommen zu lassen

Univ-Doz Dipl-Ing Dr techn Michael Heiss Corporate Technology Siemens AG

Den Unternehmen fehlt die vierte organisatorische Dimension

Nichts ist so persoumlnlich und veraumlndert sich so dynamisch wie das Wisseneines Menschen Es gibt keine zwei Menschen die uumlber das gleiche Wis-sen verfuumlgen denn jeder von uns hat seine individuelle Erfahrungsbio-graphie

Diese Individualitaumlt von Wissen ist zugleich Reichtum und Hemmnis desZusammenlebens und -arbeitens Reichtum deswegen da die Vielfalt indi-

8 Geleitworte

vidueller Erfahrungen Quelle von Innovationen ist die aus der Vernet-zung des Wissens bei geeignetem bdquoInnovationsklimaldquo entstehen koumlnnen

Reichtum deswegen weil bei aller Individualitaumlt Wissen ein soziales Phauml-nomen ist das Wert aus der sozialen Interaktion der Reflektion und demkoordinierten gemeinsamen Handeln schoumlpft

Hemmnis deswegen weil Wissen auf der individuellen Interpretationvon Informationen aufbaut und damit nicht wie eine Tiefkuumlhlkost einge-lagert aufgetaut und verschoben werden kann Wissen im engeren Sinneist nicht transferierbar

Hemmnis auch deswegen weil Wissen und Nichtwissen mit Macht undOhnmacht mit Wollen und Duumlrfen mit Emotionen in sozialen Systemenuntrennbar verbunden sind

Nur wenn wir uns dessen bewusst sind wird es gelingen in Organisatio-nen realistische Erwartungen an das Management von Wissen zu stellenund geeignete Rahmenbedingungen zu gestalten die Wissen als individu-ellem und sozialem Phaumlnomen gerecht werden Dies erfordert jedochauch ein Uumlberdenken wie wir Organisationen aufbauen und Fuumlhrungleben

Im Allgemeinen konkurrieren und ergaumlnzen sich verschiedene Dimensio-nen der Aufbau- und Ablauforganisation Wissen ist in FachabteilungenProjekten und Geschaumlftsprozessen gebunden und wird dort meist nichtsystematisch aufbereitet geteilt und uumlber Grenzen von Organisationsein-heiten transferiert Aus vielen Gespraumlchen in Unternehmen scheint mirein tiefer liegender Grund fuumlr die Schwierigkeiten auf dem Weg zu einerwissensorientierten Unternehmensfuumlhrung ausschlaggebend Das Orga-nisationsverstaumlndnis Meine These lautet Unternehmen fehlt eine vierteorganisatorische Dimension ndash die Wissensorganisation ndash komplementaumlr zuhierarchischerfunktionaler Organisation (1 Dimension) Prozessorgani-sation (2 Dimension) und Projektorganisation (3Dimension) Alle dreigenannten Dimensionen sind schlecht geruumlstet Wissen mit einer uumlberdie kurzfristigen Geschaumlftsbeduumlrfnisse hinausgehenden Perspektive syste-matisch zu nutzen und zu generieren sowie Grenzen der Organisations-einheiten zu uumlberschreiten

Wir benoumltigen daher eine vierte komplementaumlre Dimension Die Wissen-sorganisation Sie schafft gemeinsame Kontexte ermoumlglicht fachuumlbergrei-fend Verstaumlndigung durch Bildung gemeinsamer Sprache foumlrdert diekompatible Problemloumlsungsfaumlhigkeit gestaltet Raum fuumlr Reflektion undInteraktionen von Menschen foumlrdert die physische und IT-Infrastruktursowie Medien zur Repraumlsentation und Kommunikation von Wissen unduumlbergreifende Lernprozesse

Geleitworte 9

Neben dem Organisationsverstaumlndnis muumlssen wir uns fragen ob unseraus der industriellen Produktion gepraumlgtes Fuumlhrungsverstaumlndnis in wis-sensintensiven Wertschoumlpfungsprozessen noch zielfuumlhrend ist Die Fuumlh-rung in Organisationen deren dominante Ressource Wissen ist kannvielmehr durch drei Kernsaumltze gekennzeichnet werden

Wissensorientierte Fuumlhrung ist in hohem Ausmaszlig Selbstfuumlhrung Jede Veraumln-derung in einer Organisation beginnt daher beim Erkennen und Veraumln-dern eigener mentaler Modelle

Wissensorientierte Fuumlhrung ist dezentrale Fuumlhrung Sie ist vielmehr eine aufallen Hierarchieebenen verteilte Fuumlhrung die sich an gemeinsamen Wert-vorstellungen orientiert

Wissensorientierte Fuumlhrung ist indirekte Fuumlhrung In Wissensorganisationenkann nicht mehr die inhaltliche Dimension der Strategie direkt gemanagtwerden sondern man muss sich auf den Strategieprozess und die Gestal-tung der kontextuellen Rahmenbedingungen konzentrieren um die best-moumlglichen Inhalte und damit auch die bestmoumlglichen Ergebnisse imSinne der strategischen Leistung erzielen zu koumlnnen

Durch Wissensmanagement bleiben Unternehmen auch in turbulentenZeiten zukunftsfaumlhig Dies macht das vorliegende Buch mit grundlegen-den Konzepten vielen Beispielen und Anregungen zur Entwicklung intel-ligenter Organisationen und Unternehmen deutlich Die Beitraumlge zeigendie Vielfalt der Moumlglichkeiten auf den Reichtum des Wissens in Organi-sationen und uumlber Organisationsgrenzen hinweg wertschoumlpfend nutzbarzu machen

Prof Dr Klaus North Hochschule RheinMain Autor von bdquoWissensorientierte Unternehmensfuumlhrungldquo und Ko-Autor von bdquoProduktive Wissensarbeit(er)ldquo

Eine nachhaltig wettbewerbsfaumlhige Volkswirtschaft braucht Wissensunternehmen

In den modernen Volkswirtschaften sind die Perspektiven gesellschaftli-cher und wirtschaftlicher Entwicklung eng mit der Wettbewerbs- undInnovationsfaumlhigkeit der einzelnen Unternehmen verknuumlpft Die Unter-nehmen liefern durch ihre Innovationskraft einen hohen Beitrag zumWohlstand und sichern damit ihre Stellung im globalen Umfeld DieKraft eines Unternehmens zur Innovation und auch zum Einsatz vonWissensmanagement ist heute ein maszliggeblicher Faktor fuumlr die Wettbe-

10 Geleitworte

werbsfaumlhigkeit einer Oumlkonomie Gerade fuumlr die stark industrialisiertenVolkswirtschaften kann der sich vollziehende Wandel zur Wissensgesell-schaft nur durch verstaumlrkte Bemuumlhungen im Bereich Wissensmanage-ment und durch dessen intensive Anwendung in allen betrieblichen Pro-zessen gelingen

Um die Wettbewerbsfaumlhigkeit der Unternehmen auch in Zukunft zugewaumlhrleisten und zu steigern sind wirtschaftspolitische Rahmenbedin-gungen zu schaffen die die Entstehung von Neuem beguumlnstigen und dieVerbreitung von Wissen nachhaltig foumlrdern Fuumlr die Unternehmen heiszligtdies die Chancen in einem solchen innovativen Umfeld gezielt wahr-zunehmen und eine wissensorientierte Kultur zu schaffen Diese frucht-bare Wissenskultur zeichnet sich auch durch die Bereitschaft aus sich mitfuumlhrenden Unternehmen zu messen und das Bestehende zu hinterfragenDies hilft Staumlrken und Schwaumlchen klar zu erkennen und erfolgreich inProzesse zu investieren um bei jeder unternehmerischen EntscheidungChancen und Risiken klar erkennen zu koumlnnen Denn letztlich sind esauch in der bdquoOld Economyldquo exzellente und hoch innovative Wissens-unternehmen die ndash wie z B die Boumlhler Uddeholm-Gruppe zeigt ndash durchihr kontinuierliches Streben nach Produktinnovation nach Erneuerungvon Verfahren und nach Kosteneinsparungen in allen Bereichen als Spit-zenreiter einer nachhaltig wettbewerbsfaumlhigen Volkswirtschaft fungierenkoumlnnen

Das von Herrn Dr Pircher herausgegebene Buch bietet fuumlr das mittlereund auch fuumlr das Top-Management sowohl in Profit- als auch Non-Profit-Organisationen eine hochaktuelle praxisorientierte Darstellung des Sta-tus quo von Wissensmanagement und wissensorientierter Unterneh-mensfuumlhrung im deutschen Sprachraum Das Buch ist daher fuumlr alle Per-sonen die an Fragestellungen und Loumlsungsansaumltzen zu wissensorientier-tem Management interessiert sind eine hervorragende Untersuchunganhand konkreter Fallbeispiele aus unterschiedlichen Organisationen

Dr Claus J Raidl Praumlsident der Oesterreichischen Nationalbank

Inhaltsverzeichnis 11

Inhaltsverzeichnis

Uumlberblick 13

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

Um welches Wissen geht es 17

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden 23

Einfuumlhrung von Wissensmanagement Schritt fuumlr Schritt 33

Methoden und Instrumente des organisatorischen Wissens-managements 51

Weiterfuumlhrende Literatur 58

2 Persoumlnliches Wissen und persoumlnliches Wissensmanagement 60

Wahrnehmung Wissen Handlungsmoumlglichkeiten 61

Was bedeutet persoumlnliches Wissensmanagement 81

Wie kann persoumlnliches Wissensmanagement umgesetzt werden 82

Operative Zielsetzungen 85

Weiterfuumlhrende Literatur 96

3 Aumlnderungsmanagement in einem wissensintensiven KMU 99

4 Entwicklung und Umsetzung einer Wissensstrategie 105

5 Marketingwissen schneller finden und vernetzen 117

6 Implementierung von Yellow Pages als Ausgangspunkt fuumlr eine unternehmensweite Wissenstraumlgerkarte in der Raiffeisen Informatik 127

7 Durch Storytelling implizites Projektwissen heben und weitergeben 139

8 Strukturierter Transfer von Erfahrungswissen zur kontinuierlichen Organisationsentwicklung Methodik in Theorie und Praxis 150

9 Mehrwert schaffen durch interorganisationale Wissensgemeinschaften 161

12 Inhaltsverzeichnis

10 Wissensmanagement powered by bdquoWikildquo die bdquoWiki-Landschaftldquo der reinisch AG 172

11 Enterprise 30 Uumlber die Rolle semantischer Technologien und interoperabler Metadaten 180

12 Einfuumlhrung einer Wissensbilanz in einem Profit-Center eines produzierenden Unternehmens 200

13 Soziale Netzwerkanalyse in Organisationen ndash versteckte Risiken und Potenziale erkennen 213

14 Optimierung von Global Leadership durch die Analyse sozialer Netzwerke 233

15 Teamarbeit in einem IT-Unternehmen ndash die Bedeutung computergestuumltzter sozialer Netzwerke fuumlr Kooperations-leistungen 243

16 Innovationsmanagement 252

17 Warum Innovation von innen heraus entstehen muss 265

18 Unterstuumltzung von Wissensarbeit und Open Innovation mittels Web 20 am Beispiel der Ideenplattform Neurovation 282

19 Open Innovation ndash Nutzung internen und externen Wissens fuumlr den Innovationsprozess 289

20 Ethik-Management als Instrument der nachhaltigen Wertschoumlpfung 301

Die Autorinnen und Autoren 308

Quellenverzeichnis 315

Stichwortverzeichnis 330

Uumlberblick 13

Uumlberblick

Daten und Informationen koumlnnen als Impulse von auszligen dazu fuumlhrendass im Inneren Verarbeitungsprozesse ausgeloumlst werden Diese Prozesseermoumlglichen den Aufbau von Vernetzungen und von inneren StrukturenDiese Strukturen wiederum bilden die Grundlage fuumlr Handlungen undEntscheidungen Je adaumlquater Handlungen und Entscheidungen auf dieUmwelt abgestimmt werden und je differenzierter und komplexer dasVerhalten deshalb gestaltet werden kann umso houmlher ist dessen Erfolgs-aussicht

Dieser Prozess findet laufend im Menschen statt indem sich durch Stimulidie Neuronen im Gehirn vernetzen Daten oder Informationen an sich bil-den noch keine Grundlage fuumlr zielfuumlhrende Handlungen ndash sie werdennoch nicht gewusst Erst vernetzte neuronale Strukturen stellen Erwar-tungshaltungen der Umwelt gegenuumlber dar und wirken sich damit auf dasVerhalten aus

Ein aumlhnlicher Prozess laumluft auch in Organisationen ab Zahlreiche Datenwerden erfasst gefiltert interpretiert und mit bestehendem Wissen in derOrganisation vernetzt Man leitet daraus Handlungen ab und baut ver-netzte organisatorische Wissenstrukturen auf Dazu gehoumlren beispielsweisegeteilte Vorstellungen zu den Wuumlnschen der Kunden den Strategien derLieferanten oder den Technologieentwicklungen der naumlchsten JahreDiese organisatorischen Erwartungshaltungen sind nicht unabhaumlngig von

Bild A Das Zusammenspiel von Lernen und sozialer Interaktion

14 Uumlberblick

Menschen bestehen aber meist weiter auch wenn Einzelpersonen wech-seln

Komplexe Faumlhigkeiten wie Schreiben Lesen Radfahren oder die Benut-zung einer Software lernen wir meist durch Versuch und Irrtum Direktoder indirekt erfolgt Wissenserwerb aber auch immer in der Interaktionmit anderen Menschen wie beim Unterricht bei stillschweigendemNachahmen oder durch andere Hilfestellung (schriftliche AnleitungHandbuch Frequently Asked Questions etc) die wiederum ein einzel-ner bdquoisolierterldquo Mensch ohne sozial konstruiertes Vorwissen nicht erstel-len koumlnnte Beim Aufbau von Wissensstrukturen handelt es sich somit inder Regel um das Zusammenspiel von mentalen bzw neuronalen und so-zialen Vernetzungsprozessen (vgl Bild A)

In zeitlicher Abfolge ergibt sich sowohl auf individueller als auch auf or-ganisatorischer Ebene ein Ablauf aus individuellem Wissensaufbau undsozialen Kontakten und Netzwerken (vgl Bild B) Die gezielte und strategi-sche Foumlrderung dieses Zusammenspiels individueller und sozialer Wissens- undVernetzungsprozesse bildet ein Kernthema des vorliegenden Buches

Besitzt die Organisation die Offenheit und ermoumlglichenden Rahmenbe-dingungen die jene Vernetzungen zulassen und foumlrdern die notwendigwaumlren um die Fragen von morgen wahrzunehmen und Antworten darauf zuentwickeln Erkennt sich die Organisation als Teil eines groumlszligeren sozialenund kausalen Netzwerks Ermoumlglicht die Organisation Vernetzungen mitUmwelt und Gesellschaft

Bild C bietet einen Uumlberblick zu den Inhalten des Buches in der Form derMetapher eines Baumes (vgl Fokusmetapher Kapitel 2) Den Kernprozes-sen des Wissensmanagements werden entsprechende Kapitel des Buches

Bild B Die Entwicklung neuronaler und sozialer Strukturen

Uumlberblick 15

zugeordnet Diese Zuordnung erfolgt nur exemplarisch weil sich die Ka-pitel meist auf mehrere Kernprozesse beziehen

Entscheidend fuumlr die Entwicklung und Produktivitaumlt des individuellenund organisatorischen Wissens sind die Rahmenbedingungen die Wissens-arbeiter in Organisationen vorfinden Ist das organisatorische bdquoKlimaldquo ndash z Bbezuumlglich Kommunikations- und Fehlerkultur ndash adaumlquat fuumlr die Ziele derOrganisation Die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen wird in Kapitel1 im Uumlberblick dargestellt und dabei auf die weiteren Kapitel des Buchesverwiesen Die Entwicklung einer Wissensstrategie mit Ableitung vonMaszlignahmen sowie die Messung und Steuerung des organisatorischenWissenskapitals sind Schwerpunkte der Kapitel 3 4 und 12

Das persoumlnliche Wissen bildet die Basis und den bdquoHumusldquo fuumlr jede sinn-volle Handlung in Organisationen Kapitel 2 thematisiert spezifische Ei-genschaften Herausforderungen und Methoden des Managements despersoumlnlichen Wissens Eine weitere Grundlage fuumlr die Entwicklung orga-nisatorischen Wissens sind Werte Vertrauensbasis und Kooperationskul-tur in der Organisation sowie in der Interaktion mit den Stakeholdernwas ein zentrales Thema des in Kapitel 20 skizzierten Ethik-Managementsdarstellt

Der Wissenserwerb mit den Schwerpunkten Semantic Web und Integra-tion organisationsexterner Personengruppen wird in den Kapiteln 9 1118 und 19 mit praktischen Beispielen thematisiert

Bild C Inhaltsverzeichnis in Form der Fokusmetapher bdquoBaumldquo (vgl Kapitel 2)

16 Uumlberblick

Die Kapitel 6 7 8 10 11 und 12 beleuchten unter anderem die Identifika-tion des in der Organisation vorhandenen Wissens Dies erfolgte beispiels-weise durch ein Verzeichnis des Wissens der Mitarbeiter die Dokumenta-tion von Lessons Learned aus einem Projekt und den strukturierten Wis-senstransfer zwischen Mitarbeitern bei Wechsel und Verlassen des Unter-nehmens

Die Repraumlsentation von Wissen spielt in heutigen Organisationen meist alsdicker Ast eine bedeutende Rolle dabei dass groszlige Fruumlchte entwickeltund bis zur Ernte getragen werden koumlnnen Kapitel 5 illustriert die Foumlrde-rung der Wissensrepraumlsentation durch die Erarbeitung von bdquoSpielregelnldquoin der Form eines ICK-Handbuchs (Information-Communication-Knowledge) Kapitel 10 beschreibt ein Fallbeispiel zum Aufbau einerWiki-Landschaft

Fuumlr ein dichtes Blaumltterwerk aus handlungsrelevantem Wissen besitzenKommunikation und Transfer von Wissen eine entscheidende Funktion Siebilden die Schwerpunktthemen der Kapitel 5 6 7 8 und 9 Beispielsweisewird hier der Aufbau einer organisationsuumlbergreifenden Wissensgemein-schaft zur Unterstuumltzung der Wissenskommunikation und Kundenbin-dung dargestellt

Wie oben skizziert wurde uumlben die sozialen Kontakte und Netzwerke einenwesentlichen Einfluss auf die Bildung von individuellem und organisato-rischem Wissen aus Kapitel 13 14 und 15 widmen sich deshalb der Me-thode der sozialen Netzwerkanalyse und zeigen auf wie damit soziale orga-nisatorische Strukturen jenseits der offiziellen Organigramme analysiertinterpretiert und daraus Maszlignahmen abgeleitet werden koumlnnen

Junge frische Wissenstriebe und Fruumlchte die freudige Abnehmer findenentstehen nur wenn die Rahmenbedingungen in der Organisation Wis-sensentwicklung und Innovation foumlrdern Kapitel 16 17 18 und 19 widmensich diesen Themen unter verschiedenen Gesichtspunkten

Die Verschiebung der Perspektive vom Shareholder- zum Stakeholderan-satz verdeutlicht dass es fuumlr Organisationen immer bedeutsamer wirdein breiteres Umfeld wahrzunehmen und in die internen Prozesse einzubindenDie Kapitel 9 18 19 und 20 schlieszligen derartige Aspekte ndash unter anderemunter dem Stichwort bdquoOpen Innovationldquo ndash ein

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

1 Organisatorisches Wissensmanagement

Richard Pircher

bdquoComing together is a beginning keeping together is progress working together is successldquo

Henry Ford

Um welches Wissen geht es

Fuumlr die Beantwortung der Fragen braucht Frau Muumlller einerseits Datendie sie aus den eigenen Systemen und aus extern bezogenen Studien undAnalysen erhaumllt Diese Daten muumlssen analysiert werden um festzustellenob daraus glaubwuumlrdige Schluumlsse fuumlr den Umsatzeinbruch abgeleitet wer-den koumlnnen Die langjaumlhrige Praxiserfahrung gibt Frau Muumlller das Gefuumlhlungefaumlhr beurteilen zu koumlnnen welche Erklaumlrungen plausibel sind Auf-grund ihrer Erfahrungen und uumlberlegten Vorgangsweise genieszligt ihre Mei-nung bei den Kollegen und der Geschaumlftsfuumlhrerin einen hohen Stellen-wert

Umsatzeinbruch Warum und was tun

Frau Muumlller hat 17 Jahre Erfahrung als Vertriebsleiterin eines Handelsunterneh-mens fuumlr Spezialmetallwaren Die Abnehmer sind Hersteller unterschiedlicherBranchen und Handwerkerbetriebe In den letzten zwei Quartalen sind dieUmsaumltze erstmals seit der Taumltigkeit von Frau Muumlller eingebrochen In zwei Wo-chen findet ein Treffen des Fuumlhrungsteams statt um die Situation zu analysie-ren und erste Maszlignahmen abzuleiten Frau Muumlller sammelt in Vorbereitungfuumlr diesen Termin systematisch Daten und analysiert diese Sie hat rasch be-merkt dass sie viele Daten ausfiltern muss weil sie die vorhandene Mengenicht in der verfuumlgbaren Zeit bearbeiten koumlnnen wird Obwohl sie sich mitden restlichen Daten tagelang intensiv beschaumlftigt kann sie daraus keine ein-deutige Gegenstrategie ableiten Die Daten sprechen keine klare SpracheBeim Joggen am Wochenende kommt ihr ploumltzlich ein Gedanke Sie kann viel-leicht uumlber einen Bekannten bei einem Kundenunternehmen hilfreiche Infor-mationen bekommen Parallel wird sie versuchen weitere Brancheninformati-onen zu erhalten und mit Kollegen ihrer Abteilung eine Kreativrunde im Gruuml-nen veranstalten Vielleicht ergeben sich dabei neue Ideen fuumlr Ursachen undkonkrete Maszlignahmen

18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

20 1 Organisatorisches Wissensmanagement

bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 2: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

Richard Pircher (Hrsg)Wissensmanagement

WissenstransferWissensnetzwerke

Autoren

Benno Ackermann Dr Frank D BehrendMag Andreas BlumauerFranz Bojer Mag (FH) Gertraud DenscherGerhard DrexlerSimon DuumlckertDipl-Kffr (FH) Barbara EhniszligAnja FlickerThomas FundneiderDr Peter A GloorDr Gerit GoumltzenbruckerDr-Ing Josef Hofer-Alfeis Dr Bruno HribernikDr Anna Maria KoumlckProf Dr Michael Litschka

Angelica V MarteDr Angelika MittelmannMarc NitschkeProf Dr Markus F PeschlMag Tassilo PellegriniDr Richard PircherGerhard SchatzlDr Manfred della SchiavaDipl-Ing Maria Tagwerker-SturmDipl-Ing Alexandra ThannhaumluserDr Josef TuppingerDr Christoph H WechtDr Reinhard WillfortMichael WuumlrzelbergerMag Lukas Zenk

WissensmanagementWissenstransfer

WissensnetzwerkeKonzepte

MethodenErfahrungen

von Richard Pircher (Hrsg)

2 aktualisierte Auflage 2014

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uumlber httpdnbd-nbde abrufbar

Autoren und Verlag haben alle Texte in diesem Buch mit groszliger Sorgfalt erarbeitet Dennoch koumlnnen Fehler nicht ausgeschlossen werden Eine Haftung des Verlags oder der Autoren gleich aus welchem Rechtsgrund ist ausgeschlossen Die in diesem Buch wiedergegebenen Bezeichnungen koumlnnen Warenzeichen sein deren Benutzung durch Dritte fuumlr deren Zwecke die Rechte der Inhaber verletzen kann

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Danksagung 5

Danksagung

Mein Dank gilt den Autorinnen und Autoren dieses Bandes und all jenendie sein Zustandekommen direkt oder indirekt durch Gespraumlche und ihreArbeiten persoumlnlich unterstuumltzt haben unter anderen waren dies Dr Ange-lika Mittelmann Dr Reinhard Willfort Dr Manfred della Schiava ProfDr Stefan Guumlldenberg Prof Dr Klaus North Prof Dr Helmut WillkeProf Dr Ursula Schneider dagger Prof Dr Gerald Huumlther und Dr Don BeckWeiters danke ich all den Seminar- und LehrgangsteilnehmerInnen vondenen ich wohl ebenso viel lernen konnte wie sie von mir sowie weite-ren Personen mit denen ich zusammenarbeiten durfte und darf demTeam des Departments fuumlr Wissens- und Kommunikationsmanagementan der Donau-Universitaumlt Krems den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen des berufsbegleitenden Studiengangs Wissensmanagement an derDonau-Universitaumlt Krems sowie dem Team Bank- und Finanzwirtschaftan der Fachhochschule des bfi Wien

6 Geleitworte

Geleitworte

Wissen braucht Duumlnger Licht und Kommunikation

Das Zusammenspiel von Wissensmanagement Wissenstransfer und Wis-sennetzwerken zu orchestrieren ist eine der faszinierendsten Manage-mentaufgaben von heute Jene Unternehmen die besser als anderesicherstellen dass das aus praktischer Erfahrung entstandene Wissen fuumlrall jene im Unternehmen verfuumlgbar ist die es benoumltigen werden produk-tiver und erfolgreicher sein als andere Dieses Erfahrungswissen kannjedoch nur in Ausnahmefaumlllen wirtschaftlich rentabel schriftlich doku-mentiert und somit elektronisch zugreifbar gemacht werden in den meis-ten Faumlllen muumlssen wir akzeptieren dass dieses Wissen in den Koumlpfen derMitarbeiter steckt und nur uumlber diese Menschen zugaumlnglich ist

Moderne Dokumentenmanagementsysteme waumlren ausgereift genug umschriftlich dokumentiertes Wissen zugaumlnglich zu machen aber wir errei-che ich dass Mitarbeiter das Wissen in Ihren Koumlpfen effektiv austau-schen Die Erfahrung zeigt dass face-to-face also im persoumlnlichenGespraumlch dieses Wissen am ehesten ausgetauscht werden kann Wie abererreiche ich dass Mitarbeiter die global uumlber Standorte verteilt sind ihreErfahrungen teilen

Das ist der Grund warum soziale Netzwerke innerhalb von Unternehmenso an Bedeutung gewinnen Mitarbeiter werden durch ihre Aktivitaumlten imsozialen Netzwerk fuumlr jene sichtbar die das Wissen ebenso benoumltigen Ins-besondere die juumlngeren Mitarbeiter wachsen ja bereits als Digital Nativesim Internet mit sozialen Netzwerken auf Sie sind gewoumlhnt ihre Kommu-nikation auch fuumlr Unbekannte zu oumlffnen um durch Ihren Aktivitaumltsstrommit ihrer Kompetenz sichtbar und auffindbar zu werden Sie habengelernt dass sie dadurch fuumlr andere interessanter werden Sie haben auchgelernt wie man sein eigenes Netzwerke aufbaut und was passiert wennman zuviel Zeit oder zuwenig Zeit dafuumlr investiert

Die heutigen Web 20-Technologien im Enterprise 20 unterstuumltzenUnternehmen ihren Mitarbeitern ein Umfeld zu bieten in dem solchesoziale Netzwerke im Unternehmen entstehen koumlnnen Der zentrale Wis-sensmanager hat dann mehr die Rolle eines Gaumlrtners der ab und zu andie richtige Stelle etwas Duumlnger hinzufuumlgt und ab und zu ein paar ver-

Geleitworte 7

trocknete Blaumltter aus dem Wissensbaum des Unternehmens entfernt dieeigentliche Energie zum Aufbau des Wissensbaumes kommt ndash wie in derNatur ndash nicht vom Gaumlrtner sondern von dem gigantischen Wissens-Potenzial das in den Mitarbeitern schlummert Das Management hat diefeinsinnige Aufgabe die jungen frischen Zweiglein zur Sonne hinzuent-wickeln und zu tragenden Geschaumlftszweigen zu machen die dann auchdas Ernten von Fruumlchten ermoumlglicht Im Unternehmen nennt man dasdann Innovation

Diese in den letzten 10 Jahren aufgekommene und sich heute immerschneller verbreitende neue Form des Wissensmanagements ist sehr starkgekoppelt mit den Themen Cultural Change und Change Managementdie wiederum naumlher an Psychologie Soziologie und neuen Management-methoden liegen als beim klassischen Biblothekarswesen

Da Kulturwandel nicht einfach verordnet werden kann koumlnnen geschickteingesetzte Social Media Tools im Enterprise 20 als bdquoTraumlgersubstanzldquo fuumlreinen gezielten Kulturwandel in Unternehmen dienen wenn dieser Kul-turwandel sichtbar vom CEO unterstuumltzt und wirklich gewollt ist

Dieses Buch gibt einen sehr guten Uumlberblick uumlber das Wissensmanage-ment der 3 Generation und zeigt mit Praxisbeispielen aus fuumlhrendenUnternehmen wie Wissensmanagement heute erfolgreich umgesetztwerden kann Wer die Bedeutung des Managements von Wissen undInnovationen fuumlr die Zukunft von Unternehmen erkannt hat findet hiereine wertvolle Orientierungshilfe

Beim Lesen des Buches wuumlnsche ich Ihnen viele neue Erkenntnisse dieSie dann im eigenen Unternehmen umsetzen koumlnnen um das Potenzialdas in Ihren Mitarbeitern steckt voll zur Geltung kommen zu lassen

Univ-Doz Dipl-Ing Dr techn Michael Heiss Corporate Technology Siemens AG

Den Unternehmen fehlt die vierte organisatorische Dimension

Nichts ist so persoumlnlich und veraumlndert sich so dynamisch wie das Wisseneines Menschen Es gibt keine zwei Menschen die uumlber das gleiche Wis-sen verfuumlgen denn jeder von uns hat seine individuelle Erfahrungsbio-graphie

Diese Individualitaumlt von Wissen ist zugleich Reichtum und Hemmnis desZusammenlebens und -arbeitens Reichtum deswegen da die Vielfalt indi-

8 Geleitworte

vidueller Erfahrungen Quelle von Innovationen ist die aus der Vernet-zung des Wissens bei geeignetem bdquoInnovationsklimaldquo entstehen koumlnnen

Reichtum deswegen weil bei aller Individualitaumlt Wissen ein soziales Phauml-nomen ist das Wert aus der sozialen Interaktion der Reflektion und demkoordinierten gemeinsamen Handeln schoumlpft

Hemmnis deswegen weil Wissen auf der individuellen Interpretationvon Informationen aufbaut und damit nicht wie eine Tiefkuumlhlkost einge-lagert aufgetaut und verschoben werden kann Wissen im engeren Sinneist nicht transferierbar

Hemmnis auch deswegen weil Wissen und Nichtwissen mit Macht undOhnmacht mit Wollen und Duumlrfen mit Emotionen in sozialen Systemenuntrennbar verbunden sind

Nur wenn wir uns dessen bewusst sind wird es gelingen in Organisatio-nen realistische Erwartungen an das Management von Wissen zu stellenund geeignete Rahmenbedingungen zu gestalten die Wissen als individu-ellem und sozialem Phaumlnomen gerecht werden Dies erfordert jedochauch ein Uumlberdenken wie wir Organisationen aufbauen und Fuumlhrungleben

Im Allgemeinen konkurrieren und ergaumlnzen sich verschiedene Dimensio-nen der Aufbau- und Ablauforganisation Wissen ist in FachabteilungenProjekten und Geschaumlftsprozessen gebunden und wird dort meist nichtsystematisch aufbereitet geteilt und uumlber Grenzen von Organisationsein-heiten transferiert Aus vielen Gespraumlchen in Unternehmen scheint mirein tiefer liegender Grund fuumlr die Schwierigkeiten auf dem Weg zu einerwissensorientierten Unternehmensfuumlhrung ausschlaggebend Das Orga-nisationsverstaumlndnis Meine These lautet Unternehmen fehlt eine vierteorganisatorische Dimension ndash die Wissensorganisation ndash komplementaumlr zuhierarchischerfunktionaler Organisation (1 Dimension) Prozessorgani-sation (2 Dimension) und Projektorganisation (3Dimension) Alle dreigenannten Dimensionen sind schlecht geruumlstet Wissen mit einer uumlberdie kurzfristigen Geschaumlftsbeduumlrfnisse hinausgehenden Perspektive syste-matisch zu nutzen und zu generieren sowie Grenzen der Organisations-einheiten zu uumlberschreiten

Wir benoumltigen daher eine vierte komplementaumlre Dimension Die Wissen-sorganisation Sie schafft gemeinsame Kontexte ermoumlglicht fachuumlbergrei-fend Verstaumlndigung durch Bildung gemeinsamer Sprache foumlrdert diekompatible Problemloumlsungsfaumlhigkeit gestaltet Raum fuumlr Reflektion undInteraktionen von Menschen foumlrdert die physische und IT-Infrastruktursowie Medien zur Repraumlsentation und Kommunikation von Wissen unduumlbergreifende Lernprozesse

Geleitworte 9

Neben dem Organisationsverstaumlndnis muumlssen wir uns fragen ob unseraus der industriellen Produktion gepraumlgtes Fuumlhrungsverstaumlndnis in wis-sensintensiven Wertschoumlpfungsprozessen noch zielfuumlhrend ist Die Fuumlh-rung in Organisationen deren dominante Ressource Wissen ist kannvielmehr durch drei Kernsaumltze gekennzeichnet werden

Wissensorientierte Fuumlhrung ist in hohem Ausmaszlig Selbstfuumlhrung Jede Veraumln-derung in einer Organisation beginnt daher beim Erkennen und Veraumln-dern eigener mentaler Modelle

Wissensorientierte Fuumlhrung ist dezentrale Fuumlhrung Sie ist vielmehr eine aufallen Hierarchieebenen verteilte Fuumlhrung die sich an gemeinsamen Wert-vorstellungen orientiert

Wissensorientierte Fuumlhrung ist indirekte Fuumlhrung In Wissensorganisationenkann nicht mehr die inhaltliche Dimension der Strategie direkt gemanagtwerden sondern man muss sich auf den Strategieprozess und die Gestal-tung der kontextuellen Rahmenbedingungen konzentrieren um die best-moumlglichen Inhalte und damit auch die bestmoumlglichen Ergebnisse imSinne der strategischen Leistung erzielen zu koumlnnen

Durch Wissensmanagement bleiben Unternehmen auch in turbulentenZeiten zukunftsfaumlhig Dies macht das vorliegende Buch mit grundlegen-den Konzepten vielen Beispielen und Anregungen zur Entwicklung intel-ligenter Organisationen und Unternehmen deutlich Die Beitraumlge zeigendie Vielfalt der Moumlglichkeiten auf den Reichtum des Wissens in Organi-sationen und uumlber Organisationsgrenzen hinweg wertschoumlpfend nutzbarzu machen

Prof Dr Klaus North Hochschule RheinMain Autor von bdquoWissensorientierte Unternehmensfuumlhrungldquo und Ko-Autor von bdquoProduktive Wissensarbeit(er)ldquo

Eine nachhaltig wettbewerbsfaumlhige Volkswirtschaft braucht Wissensunternehmen

In den modernen Volkswirtschaften sind die Perspektiven gesellschaftli-cher und wirtschaftlicher Entwicklung eng mit der Wettbewerbs- undInnovationsfaumlhigkeit der einzelnen Unternehmen verknuumlpft Die Unter-nehmen liefern durch ihre Innovationskraft einen hohen Beitrag zumWohlstand und sichern damit ihre Stellung im globalen Umfeld DieKraft eines Unternehmens zur Innovation und auch zum Einsatz vonWissensmanagement ist heute ein maszliggeblicher Faktor fuumlr die Wettbe-

10 Geleitworte

werbsfaumlhigkeit einer Oumlkonomie Gerade fuumlr die stark industrialisiertenVolkswirtschaften kann der sich vollziehende Wandel zur Wissensgesell-schaft nur durch verstaumlrkte Bemuumlhungen im Bereich Wissensmanage-ment und durch dessen intensive Anwendung in allen betrieblichen Pro-zessen gelingen

Um die Wettbewerbsfaumlhigkeit der Unternehmen auch in Zukunft zugewaumlhrleisten und zu steigern sind wirtschaftspolitische Rahmenbedin-gungen zu schaffen die die Entstehung von Neuem beguumlnstigen und dieVerbreitung von Wissen nachhaltig foumlrdern Fuumlr die Unternehmen heiszligtdies die Chancen in einem solchen innovativen Umfeld gezielt wahr-zunehmen und eine wissensorientierte Kultur zu schaffen Diese frucht-bare Wissenskultur zeichnet sich auch durch die Bereitschaft aus sich mitfuumlhrenden Unternehmen zu messen und das Bestehende zu hinterfragenDies hilft Staumlrken und Schwaumlchen klar zu erkennen und erfolgreich inProzesse zu investieren um bei jeder unternehmerischen EntscheidungChancen und Risiken klar erkennen zu koumlnnen Denn letztlich sind esauch in der bdquoOld Economyldquo exzellente und hoch innovative Wissens-unternehmen die ndash wie z B die Boumlhler Uddeholm-Gruppe zeigt ndash durchihr kontinuierliches Streben nach Produktinnovation nach Erneuerungvon Verfahren und nach Kosteneinsparungen in allen Bereichen als Spit-zenreiter einer nachhaltig wettbewerbsfaumlhigen Volkswirtschaft fungierenkoumlnnen

Das von Herrn Dr Pircher herausgegebene Buch bietet fuumlr das mittlereund auch fuumlr das Top-Management sowohl in Profit- als auch Non-Profit-Organisationen eine hochaktuelle praxisorientierte Darstellung des Sta-tus quo von Wissensmanagement und wissensorientierter Unterneh-mensfuumlhrung im deutschen Sprachraum Das Buch ist daher fuumlr alle Per-sonen die an Fragestellungen und Loumlsungsansaumltzen zu wissensorientier-tem Management interessiert sind eine hervorragende Untersuchunganhand konkreter Fallbeispiele aus unterschiedlichen Organisationen

Dr Claus J Raidl Praumlsident der Oesterreichischen Nationalbank

Inhaltsverzeichnis 11

Inhaltsverzeichnis

Uumlberblick 13

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

Um welches Wissen geht es 17

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden 23

Einfuumlhrung von Wissensmanagement Schritt fuumlr Schritt 33

Methoden und Instrumente des organisatorischen Wissens-managements 51

Weiterfuumlhrende Literatur 58

2 Persoumlnliches Wissen und persoumlnliches Wissensmanagement 60

Wahrnehmung Wissen Handlungsmoumlglichkeiten 61

Was bedeutet persoumlnliches Wissensmanagement 81

Wie kann persoumlnliches Wissensmanagement umgesetzt werden 82

Operative Zielsetzungen 85

Weiterfuumlhrende Literatur 96

3 Aumlnderungsmanagement in einem wissensintensiven KMU 99

4 Entwicklung und Umsetzung einer Wissensstrategie 105

5 Marketingwissen schneller finden und vernetzen 117

6 Implementierung von Yellow Pages als Ausgangspunkt fuumlr eine unternehmensweite Wissenstraumlgerkarte in der Raiffeisen Informatik 127

7 Durch Storytelling implizites Projektwissen heben und weitergeben 139

8 Strukturierter Transfer von Erfahrungswissen zur kontinuierlichen Organisationsentwicklung Methodik in Theorie und Praxis 150

9 Mehrwert schaffen durch interorganisationale Wissensgemeinschaften 161

12 Inhaltsverzeichnis

10 Wissensmanagement powered by bdquoWikildquo die bdquoWiki-Landschaftldquo der reinisch AG 172

11 Enterprise 30 Uumlber die Rolle semantischer Technologien und interoperabler Metadaten 180

12 Einfuumlhrung einer Wissensbilanz in einem Profit-Center eines produzierenden Unternehmens 200

13 Soziale Netzwerkanalyse in Organisationen ndash versteckte Risiken und Potenziale erkennen 213

14 Optimierung von Global Leadership durch die Analyse sozialer Netzwerke 233

15 Teamarbeit in einem IT-Unternehmen ndash die Bedeutung computergestuumltzter sozialer Netzwerke fuumlr Kooperations-leistungen 243

16 Innovationsmanagement 252

17 Warum Innovation von innen heraus entstehen muss 265

18 Unterstuumltzung von Wissensarbeit und Open Innovation mittels Web 20 am Beispiel der Ideenplattform Neurovation 282

19 Open Innovation ndash Nutzung internen und externen Wissens fuumlr den Innovationsprozess 289

20 Ethik-Management als Instrument der nachhaltigen Wertschoumlpfung 301

Die Autorinnen und Autoren 308

Quellenverzeichnis 315

Stichwortverzeichnis 330

Uumlberblick 13

Uumlberblick

Daten und Informationen koumlnnen als Impulse von auszligen dazu fuumlhrendass im Inneren Verarbeitungsprozesse ausgeloumlst werden Diese Prozesseermoumlglichen den Aufbau von Vernetzungen und von inneren StrukturenDiese Strukturen wiederum bilden die Grundlage fuumlr Handlungen undEntscheidungen Je adaumlquater Handlungen und Entscheidungen auf dieUmwelt abgestimmt werden und je differenzierter und komplexer dasVerhalten deshalb gestaltet werden kann umso houmlher ist dessen Erfolgs-aussicht

Dieser Prozess findet laufend im Menschen statt indem sich durch Stimulidie Neuronen im Gehirn vernetzen Daten oder Informationen an sich bil-den noch keine Grundlage fuumlr zielfuumlhrende Handlungen ndash sie werdennoch nicht gewusst Erst vernetzte neuronale Strukturen stellen Erwar-tungshaltungen der Umwelt gegenuumlber dar und wirken sich damit auf dasVerhalten aus

Ein aumlhnlicher Prozess laumluft auch in Organisationen ab Zahlreiche Datenwerden erfasst gefiltert interpretiert und mit bestehendem Wissen in derOrganisation vernetzt Man leitet daraus Handlungen ab und baut ver-netzte organisatorische Wissenstrukturen auf Dazu gehoumlren beispielsweisegeteilte Vorstellungen zu den Wuumlnschen der Kunden den Strategien derLieferanten oder den Technologieentwicklungen der naumlchsten JahreDiese organisatorischen Erwartungshaltungen sind nicht unabhaumlngig von

Bild A Das Zusammenspiel von Lernen und sozialer Interaktion

14 Uumlberblick

Menschen bestehen aber meist weiter auch wenn Einzelpersonen wech-seln

Komplexe Faumlhigkeiten wie Schreiben Lesen Radfahren oder die Benut-zung einer Software lernen wir meist durch Versuch und Irrtum Direktoder indirekt erfolgt Wissenserwerb aber auch immer in der Interaktionmit anderen Menschen wie beim Unterricht bei stillschweigendemNachahmen oder durch andere Hilfestellung (schriftliche AnleitungHandbuch Frequently Asked Questions etc) die wiederum ein einzel-ner bdquoisolierterldquo Mensch ohne sozial konstruiertes Vorwissen nicht erstel-len koumlnnte Beim Aufbau von Wissensstrukturen handelt es sich somit inder Regel um das Zusammenspiel von mentalen bzw neuronalen und so-zialen Vernetzungsprozessen (vgl Bild A)

In zeitlicher Abfolge ergibt sich sowohl auf individueller als auch auf or-ganisatorischer Ebene ein Ablauf aus individuellem Wissensaufbau undsozialen Kontakten und Netzwerken (vgl Bild B) Die gezielte und strategi-sche Foumlrderung dieses Zusammenspiels individueller und sozialer Wissens- undVernetzungsprozesse bildet ein Kernthema des vorliegenden Buches

Besitzt die Organisation die Offenheit und ermoumlglichenden Rahmenbe-dingungen die jene Vernetzungen zulassen und foumlrdern die notwendigwaumlren um die Fragen von morgen wahrzunehmen und Antworten darauf zuentwickeln Erkennt sich die Organisation als Teil eines groumlszligeren sozialenund kausalen Netzwerks Ermoumlglicht die Organisation Vernetzungen mitUmwelt und Gesellschaft

Bild C bietet einen Uumlberblick zu den Inhalten des Buches in der Form derMetapher eines Baumes (vgl Fokusmetapher Kapitel 2) Den Kernprozes-sen des Wissensmanagements werden entsprechende Kapitel des Buches

Bild B Die Entwicklung neuronaler und sozialer Strukturen

Uumlberblick 15

zugeordnet Diese Zuordnung erfolgt nur exemplarisch weil sich die Ka-pitel meist auf mehrere Kernprozesse beziehen

Entscheidend fuumlr die Entwicklung und Produktivitaumlt des individuellenund organisatorischen Wissens sind die Rahmenbedingungen die Wissens-arbeiter in Organisationen vorfinden Ist das organisatorische bdquoKlimaldquo ndash z Bbezuumlglich Kommunikations- und Fehlerkultur ndash adaumlquat fuumlr die Ziele derOrganisation Die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen wird in Kapitel1 im Uumlberblick dargestellt und dabei auf die weiteren Kapitel des Buchesverwiesen Die Entwicklung einer Wissensstrategie mit Ableitung vonMaszlignahmen sowie die Messung und Steuerung des organisatorischenWissenskapitals sind Schwerpunkte der Kapitel 3 4 und 12

Das persoumlnliche Wissen bildet die Basis und den bdquoHumusldquo fuumlr jede sinn-volle Handlung in Organisationen Kapitel 2 thematisiert spezifische Ei-genschaften Herausforderungen und Methoden des Managements despersoumlnlichen Wissens Eine weitere Grundlage fuumlr die Entwicklung orga-nisatorischen Wissens sind Werte Vertrauensbasis und Kooperationskul-tur in der Organisation sowie in der Interaktion mit den Stakeholdernwas ein zentrales Thema des in Kapitel 20 skizzierten Ethik-Managementsdarstellt

Der Wissenserwerb mit den Schwerpunkten Semantic Web und Integra-tion organisationsexterner Personengruppen wird in den Kapiteln 9 1118 und 19 mit praktischen Beispielen thematisiert

Bild C Inhaltsverzeichnis in Form der Fokusmetapher bdquoBaumldquo (vgl Kapitel 2)

16 Uumlberblick

Die Kapitel 6 7 8 10 11 und 12 beleuchten unter anderem die Identifika-tion des in der Organisation vorhandenen Wissens Dies erfolgte beispiels-weise durch ein Verzeichnis des Wissens der Mitarbeiter die Dokumenta-tion von Lessons Learned aus einem Projekt und den strukturierten Wis-senstransfer zwischen Mitarbeitern bei Wechsel und Verlassen des Unter-nehmens

Die Repraumlsentation von Wissen spielt in heutigen Organisationen meist alsdicker Ast eine bedeutende Rolle dabei dass groszlige Fruumlchte entwickeltund bis zur Ernte getragen werden koumlnnen Kapitel 5 illustriert die Foumlrde-rung der Wissensrepraumlsentation durch die Erarbeitung von bdquoSpielregelnldquoin der Form eines ICK-Handbuchs (Information-Communication-Knowledge) Kapitel 10 beschreibt ein Fallbeispiel zum Aufbau einerWiki-Landschaft

Fuumlr ein dichtes Blaumltterwerk aus handlungsrelevantem Wissen besitzenKommunikation und Transfer von Wissen eine entscheidende Funktion Siebilden die Schwerpunktthemen der Kapitel 5 6 7 8 und 9 Beispielsweisewird hier der Aufbau einer organisationsuumlbergreifenden Wissensgemein-schaft zur Unterstuumltzung der Wissenskommunikation und Kundenbin-dung dargestellt

Wie oben skizziert wurde uumlben die sozialen Kontakte und Netzwerke einenwesentlichen Einfluss auf die Bildung von individuellem und organisato-rischem Wissen aus Kapitel 13 14 und 15 widmen sich deshalb der Me-thode der sozialen Netzwerkanalyse und zeigen auf wie damit soziale orga-nisatorische Strukturen jenseits der offiziellen Organigramme analysiertinterpretiert und daraus Maszlignahmen abgeleitet werden koumlnnen

Junge frische Wissenstriebe und Fruumlchte die freudige Abnehmer findenentstehen nur wenn die Rahmenbedingungen in der Organisation Wis-sensentwicklung und Innovation foumlrdern Kapitel 16 17 18 und 19 widmensich diesen Themen unter verschiedenen Gesichtspunkten

Die Verschiebung der Perspektive vom Shareholder- zum Stakeholderan-satz verdeutlicht dass es fuumlr Organisationen immer bedeutsamer wirdein breiteres Umfeld wahrzunehmen und in die internen Prozesse einzubindenDie Kapitel 9 18 19 und 20 schlieszligen derartige Aspekte ndash unter anderemunter dem Stichwort bdquoOpen Innovationldquo ndash ein

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

1 Organisatorisches Wissensmanagement

Richard Pircher

bdquoComing together is a beginning keeping together is progress working together is successldquo

Henry Ford

Um welches Wissen geht es

Fuumlr die Beantwortung der Fragen braucht Frau Muumlller einerseits Datendie sie aus den eigenen Systemen und aus extern bezogenen Studien undAnalysen erhaumllt Diese Daten muumlssen analysiert werden um festzustellenob daraus glaubwuumlrdige Schluumlsse fuumlr den Umsatzeinbruch abgeleitet wer-den koumlnnen Die langjaumlhrige Praxiserfahrung gibt Frau Muumlller das Gefuumlhlungefaumlhr beurteilen zu koumlnnen welche Erklaumlrungen plausibel sind Auf-grund ihrer Erfahrungen und uumlberlegten Vorgangsweise genieszligt ihre Mei-nung bei den Kollegen und der Geschaumlftsfuumlhrerin einen hohen Stellen-wert

Umsatzeinbruch Warum und was tun

Frau Muumlller hat 17 Jahre Erfahrung als Vertriebsleiterin eines Handelsunterneh-mens fuumlr Spezialmetallwaren Die Abnehmer sind Hersteller unterschiedlicherBranchen und Handwerkerbetriebe In den letzten zwei Quartalen sind dieUmsaumltze erstmals seit der Taumltigkeit von Frau Muumlller eingebrochen In zwei Wo-chen findet ein Treffen des Fuumlhrungsteams statt um die Situation zu analysie-ren und erste Maszlignahmen abzuleiten Frau Muumlller sammelt in Vorbereitungfuumlr diesen Termin systematisch Daten und analysiert diese Sie hat rasch be-merkt dass sie viele Daten ausfiltern muss weil sie die vorhandene Mengenicht in der verfuumlgbaren Zeit bearbeiten koumlnnen wird Obwohl sie sich mitden restlichen Daten tagelang intensiv beschaumlftigt kann sie daraus keine ein-deutige Gegenstrategie ableiten Die Daten sprechen keine klare SpracheBeim Joggen am Wochenende kommt ihr ploumltzlich ein Gedanke Sie kann viel-leicht uumlber einen Bekannten bei einem Kundenunternehmen hilfreiche Infor-mationen bekommen Parallel wird sie versuchen weitere Brancheninformati-onen zu erhalten und mit Kollegen ihrer Abteilung eine Kreativrunde im Gruuml-nen veranstalten Vielleicht ergeben sich dabei neue Ideen fuumlr Ursachen undkonkrete Maszlignahmen

18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

20 1 Organisatorisches Wissensmanagement

bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 3: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

Autoren

Benno Ackermann Dr Frank D BehrendMag Andreas BlumauerFranz Bojer Mag (FH) Gertraud DenscherGerhard DrexlerSimon DuumlckertDipl-Kffr (FH) Barbara EhniszligAnja FlickerThomas FundneiderDr Peter A GloorDr Gerit GoumltzenbruckerDr-Ing Josef Hofer-Alfeis Dr Bruno HribernikDr Anna Maria KoumlckProf Dr Michael Litschka

Angelica V MarteDr Angelika MittelmannMarc NitschkeProf Dr Markus F PeschlMag Tassilo PellegriniDr Richard PircherGerhard SchatzlDr Manfred della SchiavaDipl-Ing Maria Tagwerker-SturmDipl-Ing Alexandra ThannhaumluserDr Josef TuppingerDr Christoph H WechtDr Reinhard WillfortMichael WuumlrzelbergerMag Lukas Zenk

WissensmanagementWissenstransfer

WissensnetzwerkeKonzepte

MethodenErfahrungen

von Richard Pircher (Hrsg)

2 aktualisierte Auflage 2014

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uumlber httpdnbd-nbde abrufbar

Autoren und Verlag haben alle Texte in diesem Buch mit groszliger Sorgfalt erarbeitet Dennoch koumlnnen Fehler nicht ausgeschlossen werden Eine Haftung des Verlags oder der Autoren gleich aus welchem Rechtsgrund ist ausgeschlossen Die in diesem Buch wiedergegebenen Bezeichnungen koumlnnen Warenzeichen sein deren Benutzung durch Dritte fuumlr deren Zwecke die Rechte der Inhaber verletzen kann

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Das Werk einschlieszliglich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschuumltzt Jede Verwendung auszligerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulaumlssig und strafbar Das gilt insbesondere fuumlr Vervielfaumlltigungen Uumlbersetzungen Mikroverfilmungen Bearbeitungen sonstiger Art sowie fuumlr die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen Dies gilt auch fuumlr die Entnahme von einzelnen Abbildungen und bei auszugsweiser Verwendung von Texten

Printed in Germany

Danksagung 5

Danksagung

Mein Dank gilt den Autorinnen und Autoren dieses Bandes und all jenendie sein Zustandekommen direkt oder indirekt durch Gespraumlche und ihreArbeiten persoumlnlich unterstuumltzt haben unter anderen waren dies Dr Ange-lika Mittelmann Dr Reinhard Willfort Dr Manfred della Schiava ProfDr Stefan Guumlldenberg Prof Dr Klaus North Prof Dr Helmut WillkeProf Dr Ursula Schneider dagger Prof Dr Gerald Huumlther und Dr Don BeckWeiters danke ich all den Seminar- und LehrgangsteilnehmerInnen vondenen ich wohl ebenso viel lernen konnte wie sie von mir sowie weite-ren Personen mit denen ich zusammenarbeiten durfte und darf demTeam des Departments fuumlr Wissens- und Kommunikationsmanagementan der Donau-Universitaumlt Krems den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen des berufsbegleitenden Studiengangs Wissensmanagement an derDonau-Universitaumlt Krems sowie dem Team Bank- und Finanzwirtschaftan der Fachhochschule des bfi Wien

6 Geleitworte

Geleitworte

Wissen braucht Duumlnger Licht und Kommunikation

Das Zusammenspiel von Wissensmanagement Wissenstransfer und Wis-sennetzwerken zu orchestrieren ist eine der faszinierendsten Manage-mentaufgaben von heute Jene Unternehmen die besser als anderesicherstellen dass das aus praktischer Erfahrung entstandene Wissen fuumlrall jene im Unternehmen verfuumlgbar ist die es benoumltigen werden produk-tiver und erfolgreicher sein als andere Dieses Erfahrungswissen kannjedoch nur in Ausnahmefaumlllen wirtschaftlich rentabel schriftlich doku-mentiert und somit elektronisch zugreifbar gemacht werden in den meis-ten Faumlllen muumlssen wir akzeptieren dass dieses Wissen in den Koumlpfen derMitarbeiter steckt und nur uumlber diese Menschen zugaumlnglich ist

Moderne Dokumentenmanagementsysteme waumlren ausgereift genug umschriftlich dokumentiertes Wissen zugaumlnglich zu machen aber wir errei-che ich dass Mitarbeiter das Wissen in Ihren Koumlpfen effektiv austau-schen Die Erfahrung zeigt dass face-to-face also im persoumlnlichenGespraumlch dieses Wissen am ehesten ausgetauscht werden kann Wie abererreiche ich dass Mitarbeiter die global uumlber Standorte verteilt sind ihreErfahrungen teilen

Das ist der Grund warum soziale Netzwerke innerhalb von Unternehmenso an Bedeutung gewinnen Mitarbeiter werden durch ihre Aktivitaumlten imsozialen Netzwerk fuumlr jene sichtbar die das Wissen ebenso benoumltigen Ins-besondere die juumlngeren Mitarbeiter wachsen ja bereits als Digital Nativesim Internet mit sozialen Netzwerken auf Sie sind gewoumlhnt ihre Kommu-nikation auch fuumlr Unbekannte zu oumlffnen um durch Ihren Aktivitaumltsstrommit ihrer Kompetenz sichtbar und auffindbar zu werden Sie habengelernt dass sie dadurch fuumlr andere interessanter werden Sie haben auchgelernt wie man sein eigenes Netzwerke aufbaut und was passiert wennman zuviel Zeit oder zuwenig Zeit dafuumlr investiert

Die heutigen Web 20-Technologien im Enterprise 20 unterstuumltzenUnternehmen ihren Mitarbeitern ein Umfeld zu bieten in dem solchesoziale Netzwerke im Unternehmen entstehen koumlnnen Der zentrale Wis-sensmanager hat dann mehr die Rolle eines Gaumlrtners der ab und zu andie richtige Stelle etwas Duumlnger hinzufuumlgt und ab und zu ein paar ver-

Geleitworte 7

trocknete Blaumltter aus dem Wissensbaum des Unternehmens entfernt dieeigentliche Energie zum Aufbau des Wissensbaumes kommt ndash wie in derNatur ndash nicht vom Gaumlrtner sondern von dem gigantischen Wissens-Potenzial das in den Mitarbeitern schlummert Das Management hat diefeinsinnige Aufgabe die jungen frischen Zweiglein zur Sonne hinzuent-wickeln und zu tragenden Geschaumlftszweigen zu machen die dann auchdas Ernten von Fruumlchten ermoumlglicht Im Unternehmen nennt man dasdann Innovation

Diese in den letzten 10 Jahren aufgekommene und sich heute immerschneller verbreitende neue Form des Wissensmanagements ist sehr starkgekoppelt mit den Themen Cultural Change und Change Managementdie wiederum naumlher an Psychologie Soziologie und neuen Management-methoden liegen als beim klassischen Biblothekarswesen

Da Kulturwandel nicht einfach verordnet werden kann koumlnnen geschickteingesetzte Social Media Tools im Enterprise 20 als bdquoTraumlgersubstanzldquo fuumlreinen gezielten Kulturwandel in Unternehmen dienen wenn dieser Kul-turwandel sichtbar vom CEO unterstuumltzt und wirklich gewollt ist

Dieses Buch gibt einen sehr guten Uumlberblick uumlber das Wissensmanage-ment der 3 Generation und zeigt mit Praxisbeispielen aus fuumlhrendenUnternehmen wie Wissensmanagement heute erfolgreich umgesetztwerden kann Wer die Bedeutung des Managements von Wissen undInnovationen fuumlr die Zukunft von Unternehmen erkannt hat findet hiereine wertvolle Orientierungshilfe

Beim Lesen des Buches wuumlnsche ich Ihnen viele neue Erkenntnisse dieSie dann im eigenen Unternehmen umsetzen koumlnnen um das Potenzialdas in Ihren Mitarbeitern steckt voll zur Geltung kommen zu lassen

Univ-Doz Dipl-Ing Dr techn Michael Heiss Corporate Technology Siemens AG

Den Unternehmen fehlt die vierte organisatorische Dimension

Nichts ist so persoumlnlich und veraumlndert sich so dynamisch wie das Wisseneines Menschen Es gibt keine zwei Menschen die uumlber das gleiche Wis-sen verfuumlgen denn jeder von uns hat seine individuelle Erfahrungsbio-graphie

Diese Individualitaumlt von Wissen ist zugleich Reichtum und Hemmnis desZusammenlebens und -arbeitens Reichtum deswegen da die Vielfalt indi-

8 Geleitworte

vidueller Erfahrungen Quelle von Innovationen ist die aus der Vernet-zung des Wissens bei geeignetem bdquoInnovationsklimaldquo entstehen koumlnnen

Reichtum deswegen weil bei aller Individualitaumlt Wissen ein soziales Phauml-nomen ist das Wert aus der sozialen Interaktion der Reflektion und demkoordinierten gemeinsamen Handeln schoumlpft

Hemmnis deswegen weil Wissen auf der individuellen Interpretationvon Informationen aufbaut und damit nicht wie eine Tiefkuumlhlkost einge-lagert aufgetaut und verschoben werden kann Wissen im engeren Sinneist nicht transferierbar

Hemmnis auch deswegen weil Wissen und Nichtwissen mit Macht undOhnmacht mit Wollen und Duumlrfen mit Emotionen in sozialen Systemenuntrennbar verbunden sind

Nur wenn wir uns dessen bewusst sind wird es gelingen in Organisatio-nen realistische Erwartungen an das Management von Wissen zu stellenund geeignete Rahmenbedingungen zu gestalten die Wissen als individu-ellem und sozialem Phaumlnomen gerecht werden Dies erfordert jedochauch ein Uumlberdenken wie wir Organisationen aufbauen und Fuumlhrungleben

Im Allgemeinen konkurrieren und ergaumlnzen sich verschiedene Dimensio-nen der Aufbau- und Ablauforganisation Wissen ist in FachabteilungenProjekten und Geschaumlftsprozessen gebunden und wird dort meist nichtsystematisch aufbereitet geteilt und uumlber Grenzen von Organisationsein-heiten transferiert Aus vielen Gespraumlchen in Unternehmen scheint mirein tiefer liegender Grund fuumlr die Schwierigkeiten auf dem Weg zu einerwissensorientierten Unternehmensfuumlhrung ausschlaggebend Das Orga-nisationsverstaumlndnis Meine These lautet Unternehmen fehlt eine vierteorganisatorische Dimension ndash die Wissensorganisation ndash komplementaumlr zuhierarchischerfunktionaler Organisation (1 Dimension) Prozessorgani-sation (2 Dimension) und Projektorganisation (3Dimension) Alle dreigenannten Dimensionen sind schlecht geruumlstet Wissen mit einer uumlberdie kurzfristigen Geschaumlftsbeduumlrfnisse hinausgehenden Perspektive syste-matisch zu nutzen und zu generieren sowie Grenzen der Organisations-einheiten zu uumlberschreiten

Wir benoumltigen daher eine vierte komplementaumlre Dimension Die Wissen-sorganisation Sie schafft gemeinsame Kontexte ermoumlglicht fachuumlbergrei-fend Verstaumlndigung durch Bildung gemeinsamer Sprache foumlrdert diekompatible Problemloumlsungsfaumlhigkeit gestaltet Raum fuumlr Reflektion undInteraktionen von Menschen foumlrdert die physische und IT-Infrastruktursowie Medien zur Repraumlsentation und Kommunikation von Wissen unduumlbergreifende Lernprozesse

Geleitworte 9

Neben dem Organisationsverstaumlndnis muumlssen wir uns fragen ob unseraus der industriellen Produktion gepraumlgtes Fuumlhrungsverstaumlndnis in wis-sensintensiven Wertschoumlpfungsprozessen noch zielfuumlhrend ist Die Fuumlh-rung in Organisationen deren dominante Ressource Wissen ist kannvielmehr durch drei Kernsaumltze gekennzeichnet werden

Wissensorientierte Fuumlhrung ist in hohem Ausmaszlig Selbstfuumlhrung Jede Veraumln-derung in einer Organisation beginnt daher beim Erkennen und Veraumln-dern eigener mentaler Modelle

Wissensorientierte Fuumlhrung ist dezentrale Fuumlhrung Sie ist vielmehr eine aufallen Hierarchieebenen verteilte Fuumlhrung die sich an gemeinsamen Wert-vorstellungen orientiert

Wissensorientierte Fuumlhrung ist indirekte Fuumlhrung In Wissensorganisationenkann nicht mehr die inhaltliche Dimension der Strategie direkt gemanagtwerden sondern man muss sich auf den Strategieprozess und die Gestal-tung der kontextuellen Rahmenbedingungen konzentrieren um die best-moumlglichen Inhalte und damit auch die bestmoumlglichen Ergebnisse imSinne der strategischen Leistung erzielen zu koumlnnen

Durch Wissensmanagement bleiben Unternehmen auch in turbulentenZeiten zukunftsfaumlhig Dies macht das vorliegende Buch mit grundlegen-den Konzepten vielen Beispielen und Anregungen zur Entwicklung intel-ligenter Organisationen und Unternehmen deutlich Die Beitraumlge zeigendie Vielfalt der Moumlglichkeiten auf den Reichtum des Wissens in Organi-sationen und uumlber Organisationsgrenzen hinweg wertschoumlpfend nutzbarzu machen

Prof Dr Klaus North Hochschule RheinMain Autor von bdquoWissensorientierte Unternehmensfuumlhrungldquo und Ko-Autor von bdquoProduktive Wissensarbeit(er)ldquo

Eine nachhaltig wettbewerbsfaumlhige Volkswirtschaft braucht Wissensunternehmen

In den modernen Volkswirtschaften sind die Perspektiven gesellschaftli-cher und wirtschaftlicher Entwicklung eng mit der Wettbewerbs- undInnovationsfaumlhigkeit der einzelnen Unternehmen verknuumlpft Die Unter-nehmen liefern durch ihre Innovationskraft einen hohen Beitrag zumWohlstand und sichern damit ihre Stellung im globalen Umfeld DieKraft eines Unternehmens zur Innovation und auch zum Einsatz vonWissensmanagement ist heute ein maszliggeblicher Faktor fuumlr die Wettbe-

10 Geleitworte

werbsfaumlhigkeit einer Oumlkonomie Gerade fuumlr die stark industrialisiertenVolkswirtschaften kann der sich vollziehende Wandel zur Wissensgesell-schaft nur durch verstaumlrkte Bemuumlhungen im Bereich Wissensmanage-ment und durch dessen intensive Anwendung in allen betrieblichen Pro-zessen gelingen

Um die Wettbewerbsfaumlhigkeit der Unternehmen auch in Zukunft zugewaumlhrleisten und zu steigern sind wirtschaftspolitische Rahmenbedin-gungen zu schaffen die die Entstehung von Neuem beguumlnstigen und dieVerbreitung von Wissen nachhaltig foumlrdern Fuumlr die Unternehmen heiszligtdies die Chancen in einem solchen innovativen Umfeld gezielt wahr-zunehmen und eine wissensorientierte Kultur zu schaffen Diese frucht-bare Wissenskultur zeichnet sich auch durch die Bereitschaft aus sich mitfuumlhrenden Unternehmen zu messen und das Bestehende zu hinterfragenDies hilft Staumlrken und Schwaumlchen klar zu erkennen und erfolgreich inProzesse zu investieren um bei jeder unternehmerischen EntscheidungChancen und Risiken klar erkennen zu koumlnnen Denn letztlich sind esauch in der bdquoOld Economyldquo exzellente und hoch innovative Wissens-unternehmen die ndash wie z B die Boumlhler Uddeholm-Gruppe zeigt ndash durchihr kontinuierliches Streben nach Produktinnovation nach Erneuerungvon Verfahren und nach Kosteneinsparungen in allen Bereichen als Spit-zenreiter einer nachhaltig wettbewerbsfaumlhigen Volkswirtschaft fungierenkoumlnnen

Das von Herrn Dr Pircher herausgegebene Buch bietet fuumlr das mittlereund auch fuumlr das Top-Management sowohl in Profit- als auch Non-Profit-Organisationen eine hochaktuelle praxisorientierte Darstellung des Sta-tus quo von Wissensmanagement und wissensorientierter Unterneh-mensfuumlhrung im deutschen Sprachraum Das Buch ist daher fuumlr alle Per-sonen die an Fragestellungen und Loumlsungsansaumltzen zu wissensorientier-tem Management interessiert sind eine hervorragende Untersuchunganhand konkreter Fallbeispiele aus unterschiedlichen Organisationen

Dr Claus J Raidl Praumlsident der Oesterreichischen Nationalbank

Inhaltsverzeichnis 11

Inhaltsverzeichnis

Uumlberblick 13

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

Um welches Wissen geht es 17

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden 23

Einfuumlhrung von Wissensmanagement Schritt fuumlr Schritt 33

Methoden und Instrumente des organisatorischen Wissens-managements 51

Weiterfuumlhrende Literatur 58

2 Persoumlnliches Wissen und persoumlnliches Wissensmanagement 60

Wahrnehmung Wissen Handlungsmoumlglichkeiten 61

Was bedeutet persoumlnliches Wissensmanagement 81

Wie kann persoumlnliches Wissensmanagement umgesetzt werden 82

Operative Zielsetzungen 85

Weiterfuumlhrende Literatur 96

3 Aumlnderungsmanagement in einem wissensintensiven KMU 99

4 Entwicklung und Umsetzung einer Wissensstrategie 105

5 Marketingwissen schneller finden und vernetzen 117

6 Implementierung von Yellow Pages als Ausgangspunkt fuumlr eine unternehmensweite Wissenstraumlgerkarte in der Raiffeisen Informatik 127

7 Durch Storytelling implizites Projektwissen heben und weitergeben 139

8 Strukturierter Transfer von Erfahrungswissen zur kontinuierlichen Organisationsentwicklung Methodik in Theorie und Praxis 150

9 Mehrwert schaffen durch interorganisationale Wissensgemeinschaften 161

12 Inhaltsverzeichnis

10 Wissensmanagement powered by bdquoWikildquo die bdquoWiki-Landschaftldquo der reinisch AG 172

11 Enterprise 30 Uumlber die Rolle semantischer Technologien und interoperabler Metadaten 180

12 Einfuumlhrung einer Wissensbilanz in einem Profit-Center eines produzierenden Unternehmens 200

13 Soziale Netzwerkanalyse in Organisationen ndash versteckte Risiken und Potenziale erkennen 213

14 Optimierung von Global Leadership durch die Analyse sozialer Netzwerke 233

15 Teamarbeit in einem IT-Unternehmen ndash die Bedeutung computergestuumltzter sozialer Netzwerke fuumlr Kooperations-leistungen 243

16 Innovationsmanagement 252

17 Warum Innovation von innen heraus entstehen muss 265

18 Unterstuumltzung von Wissensarbeit und Open Innovation mittels Web 20 am Beispiel der Ideenplattform Neurovation 282

19 Open Innovation ndash Nutzung internen und externen Wissens fuumlr den Innovationsprozess 289

20 Ethik-Management als Instrument der nachhaltigen Wertschoumlpfung 301

Die Autorinnen und Autoren 308

Quellenverzeichnis 315

Stichwortverzeichnis 330

Uumlberblick 13

Uumlberblick

Daten und Informationen koumlnnen als Impulse von auszligen dazu fuumlhrendass im Inneren Verarbeitungsprozesse ausgeloumlst werden Diese Prozesseermoumlglichen den Aufbau von Vernetzungen und von inneren StrukturenDiese Strukturen wiederum bilden die Grundlage fuumlr Handlungen undEntscheidungen Je adaumlquater Handlungen und Entscheidungen auf dieUmwelt abgestimmt werden und je differenzierter und komplexer dasVerhalten deshalb gestaltet werden kann umso houmlher ist dessen Erfolgs-aussicht

Dieser Prozess findet laufend im Menschen statt indem sich durch Stimulidie Neuronen im Gehirn vernetzen Daten oder Informationen an sich bil-den noch keine Grundlage fuumlr zielfuumlhrende Handlungen ndash sie werdennoch nicht gewusst Erst vernetzte neuronale Strukturen stellen Erwar-tungshaltungen der Umwelt gegenuumlber dar und wirken sich damit auf dasVerhalten aus

Ein aumlhnlicher Prozess laumluft auch in Organisationen ab Zahlreiche Datenwerden erfasst gefiltert interpretiert und mit bestehendem Wissen in derOrganisation vernetzt Man leitet daraus Handlungen ab und baut ver-netzte organisatorische Wissenstrukturen auf Dazu gehoumlren beispielsweisegeteilte Vorstellungen zu den Wuumlnschen der Kunden den Strategien derLieferanten oder den Technologieentwicklungen der naumlchsten JahreDiese organisatorischen Erwartungshaltungen sind nicht unabhaumlngig von

Bild A Das Zusammenspiel von Lernen und sozialer Interaktion

14 Uumlberblick

Menschen bestehen aber meist weiter auch wenn Einzelpersonen wech-seln

Komplexe Faumlhigkeiten wie Schreiben Lesen Radfahren oder die Benut-zung einer Software lernen wir meist durch Versuch und Irrtum Direktoder indirekt erfolgt Wissenserwerb aber auch immer in der Interaktionmit anderen Menschen wie beim Unterricht bei stillschweigendemNachahmen oder durch andere Hilfestellung (schriftliche AnleitungHandbuch Frequently Asked Questions etc) die wiederum ein einzel-ner bdquoisolierterldquo Mensch ohne sozial konstruiertes Vorwissen nicht erstel-len koumlnnte Beim Aufbau von Wissensstrukturen handelt es sich somit inder Regel um das Zusammenspiel von mentalen bzw neuronalen und so-zialen Vernetzungsprozessen (vgl Bild A)

In zeitlicher Abfolge ergibt sich sowohl auf individueller als auch auf or-ganisatorischer Ebene ein Ablauf aus individuellem Wissensaufbau undsozialen Kontakten und Netzwerken (vgl Bild B) Die gezielte und strategi-sche Foumlrderung dieses Zusammenspiels individueller und sozialer Wissens- undVernetzungsprozesse bildet ein Kernthema des vorliegenden Buches

Besitzt die Organisation die Offenheit und ermoumlglichenden Rahmenbe-dingungen die jene Vernetzungen zulassen und foumlrdern die notwendigwaumlren um die Fragen von morgen wahrzunehmen und Antworten darauf zuentwickeln Erkennt sich die Organisation als Teil eines groumlszligeren sozialenund kausalen Netzwerks Ermoumlglicht die Organisation Vernetzungen mitUmwelt und Gesellschaft

Bild C bietet einen Uumlberblick zu den Inhalten des Buches in der Form derMetapher eines Baumes (vgl Fokusmetapher Kapitel 2) Den Kernprozes-sen des Wissensmanagements werden entsprechende Kapitel des Buches

Bild B Die Entwicklung neuronaler und sozialer Strukturen

Uumlberblick 15

zugeordnet Diese Zuordnung erfolgt nur exemplarisch weil sich die Ka-pitel meist auf mehrere Kernprozesse beziehen

Entscheidend fuumlr die Entwicklung und Produktivitaumlt des individuellenund organisatorischen Wissens sind die Rahmenbedingungen die Wissens-arbeiter in Organisationen vorfinden Ist das organisatorische bdquoKlimaldquo ndash z Bbezuumlglich Kommunikations- und Fehlerkultur ndash adaumlquat fuumlr die Ziele derOrganisation Die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen wird in Kapitel1 im Uumlberblick dargestellt und dabei auf die weiteren Kapitel des Buchesverwiesen Die Entwicklung einer Wissensstrategie mit Ableitung vonMaszlignahmen sowie die Messung und Steuerung des organisatorischenWissenskapitals sind Schwerpunkte der Kapitel 3 4 und 12

Das persoumlnliche Wissen bildet die Basis und den bdquoHumusldquo fuumlr jede sinn-volle Handlung in Organisationen Kapitel 2 thematisiert spezifische Ei-genschaften Herausforderungen und Methoden des Managements despersoumlnlichen Wissens Eine weitere Grundlage fuumlr die Entwicklung orga-nisatorischen Wissens sind Werte Vertrauensbasis und Kooperationskul-tur in der Organisation sowie in der Interaktion mit den Stakeholdernwas ein zentrales Thema des in Kapitel 20 skizzierten Ethik-Managementsdarstellt

Der Wissenserwerb mit den Schwerpunkten Semantic Web und Integra-tion organisationsexterner Personengruppen wird in den Kapiteln 9 1118 und 19 mit praktischen Beispielen thematisiert

Bild C Inhaltsverzeichnis in Form der Fokusmetapher bdquoBaumldquo (vgl Kapitel 2)

16 Uumlberblick

Die Kapitel 6 7 8 10 11 und 12 beleuchten unter anderem die Identifika-tion des in der Organisation vorhandenen Wissens Dies erfolgte beispiels-weise durch ein Verzeichnis des Wissens der Mitarbeiter die Dokumenta-tion von Lessons Learned aus einem Projekt und den strukturierten Wis-senstransfer zwischen Mitarbeitern bei Wechsel und Verlassen des Unter-nehmens

Die Repraumlsentation von Wissen spielt in heutigen Organisationen meist alsdicker Ast eine bedeutende Rolle dabei dass groszlige Fruumlchte entwickeltund bis zur Ernte getragen werden koumlnnen Kapitel 5 illustriert die Foumlrde-rung der Wissensrepraumlsentation durch die Erarbeitung von bdquoSpielregelnldquoin der Form eines ICK-Handbuchs (Information-Communication-Knowledge) Kapitel 10 beschreibt ein Fallbeispiel zum Aufbau einerWiki-Landschaft

Fuumlr ein dichtes Blaumltterwerk aus handlungsrelevantem Wissen besitzenKommunikation und Transfer von Wissen eine entscheidende Funktion Siebilden die Schwerpunktthemen der Kapitel 5 6 7 8 und 9 Beispielsweisewird hier der Aufbau einer organisationsuumlbergreifenden Wissensgemein-schaft zur Unterstuumltzung der Wissenskommunikation und Kundenbin-dung dargestellt

Wie oben skizziert wurde uumlben die sozialen Kontakte und Netzwerke einenwesentlichen Einfluss auf die Bildung von individuellem und organisato-rischem Wissen aus Kapitel 13 14 und 15 widmen sich deshalb der Me-thode der sozialen Netzwerkanalyse und zeigen auf wie damit soziale orga-nisatorische Strukturen jenseits der offiziellen Organigramme analysiertinterpretiert und daraus Maszlignahmen abgeleitet werden koumlnnen

Junge frische Wissenstriebe und Fruumlchte die freudige Abnehmer findenentstehen nur wenn die Rahmenbedingungen in der Organisation Wis-sensentwicklung und Innovation foumlrdern Kapitel 16 17 18 und 19 widmensich diesen Themen unter verschiedenen Gesichtspunkten

Die Verschiebung der Perspektive vom Shareholder- zum Stakeholderan-satz verdeutlicht dass es fuumlr Organisationen immer bedeutsamer wirdein breiteres Umfeld wahrzunehmen und in die internen Prozesse einzubindenDie Kapitel 9 18 19 und 20 schlieszligen derartige Aspekte ndash unter anderemunter dem Stichwort bdquoOpen Innovationldquo ndash ein

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

1 Organisatorisches Wissensmanagement

Richard Pircher

bdquoComing together is a beginning keeping together is progress working together is successldquo

Henry Ford

Um welches Wissen geht es

Fuumlr die Beantwortung der Fragen braucht Frau Muumlller einerseits Datendie sie aus den eigenen Systemen und aus extern bezogenen Studien undAnalysen erhaumllt Diese Daten muumlssen analysiert werden um festzustellenob daraus glaubwuumlrdige Schluumlsse fuumlr den Umsatzeinbruch abgeleitet wer-den koumlnnen Die langjaumlhrige Praxiserfahrung gibt Frau Muumlller das Gefuumlhlungefaumlhr beurteilen zu koumlnnen welche Erklaumlrungen plausibel sind Auf-grund ihrer Erfahrungen und uumlberlegten Vorgangsweise genieszligt ihre Mei-nung bei den Kollegen und der Geschaumlftsfuumlhrerin einen hohen Stellen-wert

Umsatzeinbruch Warum und was tun

Frau Muumlller hat 17 Jahre Erfahrung als Vertriebsleiterin eines Handelsunterneh-mens fuumlr Spezialmetallwaren Die Abnehmer sind Hersteller unterschiedlicherBranchen und Handwerkerbetriebe In den letzten zwei Quartalen sind dieUmsaumltze erstmals seit der Taumltigkeit von Frau Muumlller eingebrochen In zwei Wo-chen findet ein Treffen des Fuumlhrungsteams statt um die Situation zu analysie-ren und erste Maszlignahmen abzuleiten Frau Muumlller sammelt in Vorbereitungfuumlr diesen Termin systematisch Daten und analysiert diese Sie hat rasch be-merkt dass sie viele Daten ausfiltern muss weil sie die vorhandene Mengenicht in der verfuumlgbaren Zeit bearbeiten koumlnnen wird Obwohl sie sich mitden restlichen Daten tagelang intensiv beschaumlftigt kann sie daraus keine ein-deutige Gegenstrategie ableiten Die Daten sprechen keine klare SpracheBeim Joggen am Wochenende kommt ihr ploumltzlich ein Gedanke Sie kann viel-leicht uumlber einen Bekannten bei einem Kundenunternehmen hilfreiche Infor-mationen bekommen Parallel wird sie versuchen weitere Brancheninformati-onen zu erhalten und mit Kollegen ihrer Abteilung eine Kreativrunde im Gruuml-nen veranstalten Vielleicht ergeben sich dabei neue Ideen fuumlr Ursachen undkonkrete Maszlignahmen

18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

20 1 Organisatorisches Wissensmanagement

bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 4: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

WissensmanagementWissenstransfer

WissensnetzwerkeKonzepte

MethodenErfahrungen

von Richard Pircher (Hrsg)

2 aktualisierte Auflage 2014

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uumlber httpdnbd-nbde abrufbar

Autoren und Verlag haben alle Texte in diesem Buch mit groszliger Sorgfalt erarbeitet Dennoch koumlnnen Fehler nicht ausgeschlossen werden Eine Haftung des Verlags oder der Autoren gleich aus welchem Rechtsgrund ist ausgeschlossen Die in diesem Buch wiedergegebenen Bezeichnungen koumlnnen Warenzeichen sein deren Benutzung durch Dritte fuumlr deren Zwecke die Rechte der Inhaber verletzen kann

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Danksagung 5

Danksagung

Mein Dank gilt den Autorinnen und Autoren dieses Bandes und all jenendie sein Zustandekommen direkt oder indirekt durch Gespraumlche und ihreArbeiten persoumlnlich unterstuumltzt haben unter anderen waren dies Dr Ange-lika Mittelmann Dr Reinhard Willfort Dr Manfred della Schiava ProfDr Stefan Guumlldenberg Prof Dr Klaus North Prof Dr Helmut WillkeProf Dr Ursula Schneider dagger Prof Dr Gerald Huumlther und Dr Don BeckWeiters danke ich all den Seminar- und LehrgangsteilnehmerInnen vondenen ich wohl ebenso viel lernen konnte wie sie von mir sowie weite-ren Personen mit denen ich zusammenarbeiten durfte und darf demTeam des Departments fuumlr Wissens- und Kommunikationsmanagementan der Donau-Universitaumlt Krems den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen des berufsbegleitenden Studiengangs Wissensmanagement an derDonau-Universitaumlt Krems sowie dem Team Bank- und Finanzwirtschaftan der Fachhochschule des bfi Wien

6 Geleitworte

Geleitworte

Wissen braucht Duumlnger Licht und Kommunikation

Das Zusammenspiel von Wissensmanagement Wissenstransfer und Wis-sennetzwerken zu orchestrieren ist eine der faszinierendsten Manage-mentaufgaben von heute Jene Unternehmen die besser als anderesicherstellen dass das aus praktischer Erfahrung entstandene Wissen fuumlrall jene im Unternehmen verfuumlgbar ist die es benoumltigen werden produk-tiver und erfolgreicher sein als andere Dieses Erfahrungswissen kannjedoch nur in Ausnahmefaumlllen wirtschaftlich rentabel schriftlich doku-mentiert und somit elektronisch zugreifbar gemacht werden in den meis-ten Faumlllen muumlssen wir akzeptieren dass dieses Wissen in den Koumlpfen derMitarbeiter steckt und nur uumlber diese Menschen zugaumlnglich ist

Moderne Dokumentenmanagementsysteme waumlren ausgereift genug umschriftlich dokumentiertes Wissen zugaumlnglich zu machen aber wir errei-che ich dass Mitarbeiter das Wissen in Ihren Koumlpfen effektiv austau-schen Die Erfahrung zeigt dass face-to-face also im persoumlnlichenGespraumlch dieses Wissen am ehesten ausgetauscht werden kann Wie abererreiche ich dass Mitarbeiter die global uumlber Standorte verteilt sind ihreErfahrungen teilen

Das ist der Grund warum soziale Netzwerke innerhalb von Unternehmenso an Bedeutung gewinnen Mitarbeiter werden durch ihre Aktivitaumlten imsozialen Netzwerk fuumlr jene sichtbar die das Wissen ebenso benoumltigen Ins-besondere die juumlngeren Mitarbeiter wachsen ja bereits als Digital Nativesim Internet mit sozialen Netzwerken auf Sie sind gewoumlhnt ihre Kommu-nikation auch fuumlr Unbekannte zu oumlffnen um durch Ihren Aktivitaumltsstrommit ihrer Kompetenz sichtbar und auffindbar zu werden Sie habengelernt dass sie dadurch fuumlr andere interessanter werden Sie haben auchgelernt wie man sein eigenes Netzwerke aufbaut und was passiert wennman zuviel Zeit oder zuwenig Zeit dafuumlr investiert

Die heutigen Web 20-Technologien im Enterprise 20 unterstuumltzenUnternehmen ihren Mitarbeitern ein Umfeld zu bieten in dem solchesoziale Netzwerke im Unternehmen entstehen koumlnnen Der zentrale Wis-sensmanager hat dann mehr die Rolle eines Gaumlrtners der ab und zu andie richtige Stelle etwas Duumlnger hinzufuumlgt und ab und zu ein paar ver-

Geleitworte 7

trocknete Blaumltter aus dem Wissensbaum des Unternehmens entfernt dieeigentliche Energie zum Aufbau des Wissensbaumes kommt ndash wie in derNatur ndash nicht vom Gaumlrtner sondern von dem gigantischen Wissens-Potenzial das in den Mitarbeitern schlummert Das Management hat diefeinsinnige Aufgabe die jungen frischen Zweiglein zur Sonne hinzuent-wickeln und zu tragenden Geschaumlftszweigen zu machen die dann auchdas Ernten von Fruumlchten ermoumlglicht Im Unternehmen nennt man dasdann Innovation

Diese in den letzten 10 Jahren aufgekommene und sich heute immerschneller verbreitende neue Form des Wissensmanagements ist sehr starkgekoppelt mit den Themen Cultural Change und Change Managementdie wiederum naumlher an Psychologie Soziologie und neuen Management-methoden liegen als beim klassischen Biblothekarswesen

Da Kulturwandel nicht einfach verordnet werden kann koumlnnen geschickteingesetzte Social Media Tools im Enterprise 20 als bdquoTraumlgersubstanzldquo fuumlreinen gezielten Kulturwandel in Unternehmen dienen wenn dieser Kul-turwandel sichtbar vom CEO unterstuumltzt und wirklich gewollt ist

Dieses Buch gibt einen sehr guten Uumlberblick uumlber das Wissensmanage-ment der 3 Generation und zeigt mit Praxisbeispielen aus fuumlhrendenUnternehmen wie Wissensmanagement heute erfolgreich umgesetztwerden kann Wer die Bedeutung des Managements von Wissen undInnovationen fuumlr die Zukunft von Unternehmen erkannt hat findet hiereine wertvolle Orientierungshilfe

Beim Lesen des Buches wuumlnsche ich Ihnen viele neue Erkenntnisse dieSie dann im eigenen Unternehmen umsetzen koumlnnen um das Potenzialdas in Ihren Mitarbeitern steckt voll zur Geltung kommen zu lassen

Univ-Doz Dipl-Ing Dr techn Michael Heiss Corporate Technology Siemens AG

Den Unternehmen fehlt die vierte organisatorische Dimension

Nichts ist so persoumlnlich und veraumlndert sich so dynamisch wie das Wisseneines Menschen Es gibt keine zwei Menschen die uumlber das gleiche Wis-sen verfuumlgen denn jeder von uns hat seine individuelle Erfahrungsbio-graphie

Diese Individualitaumlt von Wissen ist zugleich Reichtum und Hemmnis desZusammenlebens und -arbeitens Reichtum deswegen da die Vielfalt indi-

8 Geleitworte

vidueller Erfahrungen Quelle von Innovationen ist die aus der Vernet-zung des Wissens bei geeignetem bdquoInnovationsklimaldquo entstehen koumlnnen

Reichtum deswegen weil bei aller Individualitaumlt Wissen ein soziales Phauml-nomen ist das Wert aus der sozialen Interaktion der Reflektion und demkoordinierten gemeinsamen Handeln schoumlpft

Hemmnis deswegen weil Wissen auf der individuellen Interpretationvon Informationen aufbaut und damit nicht wie eine Tiefkuumlhlkost einge-lagert aufgetaut und verschoben werden kann Wissen im engeren Sinneist nicht transferierbar

Hemmnis auch deswegen weil Wissen und Nichtwissen mit Macht undOhnmacht mit Wollen und Duumlrfen mit Emotionen in sozialen Systemenuntrennbar verbunden sind

Nur wenn wir uns dessen bewusst sind wird es gelingen in Organisatio-nen realistische Erwartungen an das Management von Wissen zu stellenund geeignete Rahmenbedingungen zu gestalten die Wissen als individu-ellem und sozialem Phaumlnomen gerecht werden Dies erfordert jedochauch ein Uumlberdenken wie wir Organisationen aufbauen und Fuumlhrungleben

Im Allgemeinen konkurrieren und ergaumlnzen sich verschiedene Dimensio-nen der Aufbau- und Ablauforganisation Wissen ist in FachabteilungenProjekten und Geschaumlftsprozessen gebunden und wird dort meist nichtsystematisch aufbereitet geteilt und uumlber Grenzen von Organisationsein-heiten transferiert Aus vielen Gespraumlchen in Unternehmen scheint mirein tiefer liegender Grund fuumlr die Schwierigkeiten auf dem Weg zu einerwissensorientierten Unternehmensfuumlhrung ausschlaggebend Das Orga-nisationsverstaumlndnis Meine These lautet Unternehmen fehlt eine vierteorganisatorische Dimension ndash die Wissensorganisation ndash komplementaumlr zuhierarchischerfunktionaler Organisation (1 Dimension) Prozessorgani-sation (2 Dimension) und Projektorganisation (3Dimension) Alle dreigenannten Dimensionen sind schlecht geruumlstet Wissen mit einer uumlberdie kurzfristigen Geschaumlftsbeduumlrfnisse hinausgehenden Perspektive syste-matisch zu nutzen und zu generieren sowie Grenzen der Organisations-einheiten zu uumlberschreiten

Wir benoumltigen daher eine vierte komplementaumlre Dimension Die Wissen-sorganisation Sie schafft gemeinsame Kontexte ermoumlglicht fachuumlbergrei-fend Verstaumlndigung durch Bildung gemeinsamer Sprache foumlrdert diekompatible Problemloumlsungsfaumlhigkeit gestaltet Raum fuumlr Reflektion undInteraktionen von Menschen foumlrdert die physische und IT-Infrastruktursowie Medien zur Repraumlsentation und Kommunikation von Wissen unduumlbergreifende Lernprozesse

Geleitworte 9

Neben dem Organisationsverstaumlndnis muumlssen wir uns fragen ob unseraus der industriellen Produktion gepraumlgtes Fuumlhrungsverstaumlndnis in wis-sensintensiven Wertschoumlpfungsprozessen noch zielfuumlhrend ist Die Fuumlh-rung in Organisationen deren dominante Ressource Wissen ist kannvielmehr durch drei Kernsaumltze gekennzeichnet werden

Wissensorientierte Fuumlhrung ist in hohem Ausmaszlig Selbstfuumlhrung Jede Veraumln-derung in einer Organisation beginnt daher beim Erkennen und Veraumln-dern eigener mentaler Modelle

Wissensorientierte Fuumlhrung ist dezentrale Fuumlhrung Sie ist vielmehr eine aufallen Hierarchieebenen verteilte Fuumlhrung die sich an gemeinsamen Wert-vorstellungen orientiert

Wissensorientierte Fuumlhrung ist indirekte Fuumlhrung In Wissensorganisationenkann nicht mehr die inhaltliche Dimension der Strategie direkt gemanagtwerden sondern man muss sich auf den Strategieprozess und die Gestal-tung der kontextuellen Rahmenbedingungen konzentrieren um die best-moumlglichen Inhalte und damit auch die bestmoumlglichen Ergebnisse imSinne der strategischen Leistung erzielen zu koumlnnen

Durch Wissensmanagement bleiben Unternehmen auch in turbulentenZeiten zukunftsfaumlhig Dies macht das vorliegende Buch mit grundlegen-den Konzepten vielen Beispielen und Anregungen zur Entwicklung intel-ligenter Organisationen und Unternehmen deutlich Die Beitraumlge zeigendie Vielfalt der Moumlglichkeiten auf den Reichtum des Wissens in Organi-sationen und uumlber Organisationsgrenzen hinweg wertschoumlpfend nutzbarzu machen

Prof Dr Klaus North Hochschule RheinMain Autor von bdquoWissensorientierte Unternehmensfuumlhrungldquo und Ko-Autor von bdquoProduktive Wissensarbeit(er)ldquo

Eine nachhaltig wettbewerbsfaumlhige Volkswirtschaft braucht Wissensunternehmen

In den modernen Volkswirtschaften sind die Perspektiven gesellschaftli-cher und wirtschaftlicher Entwicklung eng mit der Wettbewerbs- undInnovationsfaumlhigkeit der einzelnen Unternehmen verknuumlpft Die Unter-nehmen liefern durch ihre Innovationskraft einen hohen Beitrag zumWohlstand und sichern damit ihre Stellung im globalen Umfeld DieKraft eines Unternehmens zur Innovation und auch zum Einsatz vonWissensmanagement ist heute ein maszliggeblicher Faktor fuumlr die Wettbe-

10 Geleitworte

werbsfaumlhigkeit einer Oumlkonomie Gerade fuumlr die stark industrialisiertenVolkswirtschaften kann der sich vollziehende Wandel zur Wissensgesell-schaft nur durch verstaumlrkte Bemuumlhungen im Bereich Wissensmanage-ment und durch dessen intensive Anwendung in allen betrieblichen Pro-zessen gelingen

Um die Wettbewerbsfaumlhigkeit der Unternehmen auch in Zukunft zugewaumlhrleisten und zu steigern sind wirtschaftspolitische Rahmenbedin-gungen zu schaffen die die Entstehung von Neuem beguumlnstigen und dieVerbreitung von Wissen nachhaltig foumlrdern Fuumlr die Unternehmen heiszligtdies die Chancen in einem solchen innovativen Umfeld gezielt wahr-zunehmen und eine wissensorientierte Kultur zu schaffen Diese frucht-bare Wissenskultur zeichnet sich auch durch die Bereitschaft aus sich mitfuumlhrenden Unternehmen zu messen und das Bestehende zu hinterfragenDies hilft Staumlrken und Schwaumlchen klar zu erkennen und erfolgreich inProzesse zu investieren um bei jeder unternehmerischen EntscheidungChancen und Risiken klar erkennen zu koumlnnen Denn letztlich sind esauch in der bdquoOld Economyldquo exzellente und hoch innovative Wissens-unternehmen die ndash wie z B die Boumlhler Uddeholm-Gruppe zeigt ndash durchihr kontinuierliches Streben nach Produktinnovation nach Erneuerungvon Verfahren und nach Kosteneinsparungen in allen Bereichen als Spit-zenreiter einer nachhaltig wettbewerbsfaumlhigen Volkswirtschaft fungierenkoumlnnen

Das von Herrn Dr Pircher herausgegebene Buch bietet fuumlr das mittlereund auch fuumlr das Top-Management sowohl in Profit- als auch Non-Profit-Organisationen eine hochaktuelle praxisorientierte Darstellung des Sta-tus quo von Wissensmanagement und wissensorientierter Unterneh-mensfuumlhrung im deutschen Sprachraum Das Buch ist daher fuumlr alle Per-sonen die an Fragestellungen und Loumlsungsansaumltzen zu wissensorientier-tem Management interessiert sind eine hervorragende Untersuchunganhand konkreter Fallbeispiele aus unterschiedlichen Organisationen

Dr Claus J Raidl Praumlsident der Oesterreichischen Nationalbank

Inhaltsverzeichnis 11

Inhaltsverzeichnis

Uumlberblick 13

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

Um welches Wissen geht es 17

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden 23

Einfuumlhrung von Wissensmanagement Schritt fuumlr Schritt 33

Methoden und Instrumente des organisatorischen Wissens-managements 51

Weiterfuumlhrende Literatur 58

2 Persoumlnliches Wissen und persoumlnliches Wissensmanagement 60

Wahrnehmung Wissen Handlungsmoumlglichkeiten 61

Was bedeutet persoumlnliches Wissensmanagement 81

Wie kann persoumlnliches Wissensmanagement umgesetzt werden 82

Operative Zielsetzungen 85

Weiterfuumlhrende Literatur 96

3 Aumlnderungsmanagement in einem wissensintensiven KMU 99

4 Entwicklung und Umsetzung einer Wissensstrategie 105

5 Marketingwissen schneller finden und vernetzen 117

6 Implementierung von Yellow Pages als Ausgangspunkt fuumlr eine unternehmensweite Wissenstraumlgerkarte in der Raiffeisen Informatik 127

7 Durch Storytelling implizites Projektwissen heben und weitergeben 139

8 Strukturierter Transfer von Erfahrungswissen zur kontinuierlichen Organisationsentwicklung Methodik in Theorie und Praxis 150

9 Mehrwert schaffen durch interorganisationale Wissensgemeinschaften 161

12 Inhaltsverzeichnis

10 Wissensmanagement powered by bdquoWikildquo die bdquoWiki-Landschaftldquo der reinisch AG 172

11 Enterprise 30 Uumlber die Rolle semantischer Technologien und interoperabler Metadaten 180

12 Einfuumlhrung einer Wissensbilanz in einem Profit-Center eines produzierenden Unternehmens 200

13 Soziale Netzwerkanalyse in Organisationen ndash versteckte Risiken und Potenziale erkennen 213

14 Optimierung von Global Leadership durch die Analyse sozialer Netzwerke 233

15 Teamarbeit in einem IT-Unternehmen ndash die Bedeutung computergestuumltzter sozialer Netzwerke fuumlr Kooperations-leistungen 243

16 Innovationsmanagement 252

17 Warum Innovation von innen heraus entstehen muss 265

18 Unterstuumltzung von Wissensarbeit und Open Innovation mittels Web 20 am Beispiel der Ideenplattform Neurovation 282

19 Open Innovation ndash Nutzung internen und externen Wissens fuumlr den Innovationsprozess 289

20 Ethik-Management als Instrument der nachhaltigen Wertschoumlpfung 301

Die Autorinnen und Autoren 308

Quellenverzeichnis 315

Stichwortverzeichnis 330

Uumlberblick 13

Uumlberblick

Daten und Informationen koumlnnen als Impulse von auszligen dazu fuumlhrendass im Inneren Verarbeitungsprozesse ausgeloumlst werden Diese Prozesseermoumlglichen den Aufbau von Vernetzungen und von inneren StrukturenDiese Strukturen wiederum bilden die Grundlage fuumlr Handlungen undEntscheidungen Je adaumlquater Handlungen und Entscheidungen auf dieUmwelt abgestimmt werden und je differenzierter und komplexer dasVerhalten deshalb gestaltet werden kann umso houmlher ist dessen Erfolgs-aussicht

Dieser Prozess findet laufend im Menschen statt indem sich durch Stimulidie Neuronen im Gehirn vernetzen Daten oder Informationen an sich bil-den noch keine Grundlage fuumlr zielfuumlhrende Handlungen ndash sie werdennoch nicht gewusst Erst vernetzte neuronale Strukturen stellen Erwar-tungshaltungen der Umwelt gegenuumlber dar und wirken sich damit auf dasVerhalten aus

Ein aumlhnlicher Prozess laumluft auch in Organisationen ab Zahlreiche Datenwerden erfasst gefiltert interpretiert und mit bestehendem Wissen in derOrganisation vernetzt Man leitet daraus Handlungen ab und baut ver-netzte organisatorische Wissenstrukturen auf Dazu gehoumlren beispielsweisegeteilte Vorstellungen zu den Wuumlnschen der Kunden den Strategien derLieferanten oder den Technologieentwicklungen der naumlchsten JahreDiese organisatorischen Erwartungshaltungen sind nicht unabhaumlngig von

Bild A Das Zusammenspiel von Lernen und sozialer Interaktion

14 Uumlberblick

Menschen bestehen aber meist weiter auch wenn Einzelpersonen wech-seln

Komplexe Faumlhigkeiten wie Schreiben Lesen Radfahren oder die Benut-zung einer Software lernen wir meist durch Versuch und Irrtum Direktoder indirekt erfolgt Wissenserwerb aber auch immer in der Interaktionmit anderen Menschen wie beim Unterricht bei stillschweigendemNachahmen oder durch andere Hilfestellung (schriftliche AnleitungHandbuch Frequently Asked Questions etc) die wiederum ein einzel-ner bdquoisolierterldquo Mensch ohne sozial konstruiertes Vorwissen nicht erstel-len koumlnnte Beim Aufbau von Wissensstrukturen handelt es sich somit inder Regel um das Zusammenspiel von mentalen bzw neuronalen und so-zialen Vernetzungsprozessen (vgl Bild A)

In zeitlicher Abfolge ergibt sich sowohl auf individueller als auch auf or-ganisatorischer Ebene ein Ablauf aus individuellem Wissensaufbau undsozialen Kontakten und Netzwerken (vgl Bild B) Die gezielte und strategi-sche Foumlrderung dieses Zusammenspiels individueller und sozialer Wissens- undVernetzungsprozesse bildet ein Kernthema des vorliegenden Buches

Besitzt die Organisation die Offenheit und ermoumlglichenden Rahmenbe-dingungen die jene Vernetzungen zulassen und foumlrdern die notwendigwaumlren um die Fragen von morgen wahrzunehmen und Antworten darauf zuentwickeln Erkennt sich die Organisation als Teil eines groumlszligeren sozialenund kausalen Netzwerks Ermoumlglicht die Organisation Vernetzungen mitUmwelt und Gesellschaft

Bild C bietet einen Uumlberblick zu den Inhalten des Buches in der Form derMetapher eines Baumes (vgl Fokusmetapher Kapitel 2) Den Kernprozes-sen des Wissensmanagements werden entsprechende Kapitel des Buches

Bild B Die Entwicklung neuronaler und sozialer Strukturen

Uumlberblick 15

zugeordnet Diese Zuordnung erfolgt nur exemplarisch weil sich die Ka-pitel meist auf mehrere Kernprozesse beziehen

Entscheidend fuumlr die Entwicklung und Produktivitaumlt des individuellenund organisatorischen Wissens sind die Rahmenbedingungen die Wissens-arbeiter in Organisationen vorfinden Ist das organisatorische bdquoKlimaldquo ndash z Bbezuumlglich Kommunikations- und Fehlerkultur ndash adaumlquat fuumlr die Ziele derOrganisation Die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen wird in Kapitel1 im Uumlberblick dargestellt und dabei auf die weiteren Kapitel des Buchesverwiesen Die Entwicklung einer Wissensstrategie mit Ableitung vonMaszlignahmen sowie die Messung und Steuerung des organisatorischenWissenskapitals sind Schwerpunkte der Kapitel 3 4 und 12

Das persoumlnliche Wissen bildet die Basis und den bdquoHumusldquo fuumlr jede sinn-volle Handlung in Organisationen Kapitel 2 thematisiert spezifische Ei-genschaften Herausforderungen und Methoden des Managements despersoumlnlichen Wissens Eine weitere Grundlage fuumlr die Entwicklung orga-nisatorischen Wissens sind Werte Vertrauensbasis und Kooperationskul-tur in der Organisation sowie in der Interaktion mit den Stakeholdernwas ein zentrales Thema des in Kapitel 20 skizzierten Ethik-Managementsdarstellt

Der Wissenserwerb mit den Schwerpunkten Semantic Web und Integra-tion organisationsexterner Personengruppen wird in den Kapiteln 9 1118 und 19 mit praktischen Beispielen thematisiert

Bild C Inhaltsverzeichnis in Form der Fokusmetapher bdquoBaumldquo (vgl Kapitel 2)

16 Uumlberblick

Die Kapitel 6 7 8 10 11 und 12 beleuchten unter anderem die Identifika-tion des in der Organisation vorhandenen Wissens Dies erfolgte beispiels-weise durch ein Verzeichnis des Wissens der Mitarbeiter die Dokumenta-tion von Lessons Learned aus einem Projekt und den strukturierten Wis-senstransfer zwischen Mitarbeitern bei Wechsel und Verlassen des Unter-nehmens

Die Repraumlsentation von Wissen spielt in heutigen Organisationen meist alsdicker Ast eine bedeutende Rolle dabei dass groszlige Fruumlchte entwickeltund bis zur Ernte getragen werden koumlnnen Kapitel 5 illustriert die Foumlrde-rung der Wissensrepraumlsentation durch die Erarbeitung von bdquoSpielregelnldquoin der Form eines ICK-Handbuchs (Information-Communication-Knowledge) Kapitel 10 beschreibt ein Fallbeispiel zum Aufbau einerWiki-Landschaft

Fuumlr ein dichtes Blaumltterwerk aus handlungsrelevantem Wissen besitzenKommunikation und Transfer von Wissen eine entscheidende Funktion Siebilden die Schwerpunktthemen der Kapitel 5 6 7 8 und 9 Beispielsweisewird hier der Aufbau einer organisationsuumlbergreifenden Wissensgemein-schaft zur Unterstuumltzung der Wissenskommunikation und Kundenbin-dung dargestellt

Wie oben skizziert wurde uumlben die sozialen Kontakte und Netzwerke einenwesentlichen Einfluss auf die Bildung von individuellem und organisato-rischem Wissen aus Kapitel 13 14 und 15 widmen sich deshalb der Me-thode der sozialen Netzwerkanalyse und zeigen auf wie damit soziale orga-nisatorische Strukturen jenseits der offiziellen Organigramme analysiertinterpretiert und daraus Maszlignahmen abgeleitet werden koumlnnen

Junge frische Wissenstriebe und Fruumlchte die freudige Abnehmer findenentstehen nur wenn die Rahmenbedingungen in der Organisation Wis-sensentwicklung und Innovation foumlrdern Kapitel 16 17 18 und 19 widmensich diesen Themen unter verschiedenen Gesichtspunkten

Die Verschiebung der Perspektive vom Shareholder- zum Stakeholderan-satz verdeutlicht dass es fuumlr Organisationen immer bedeutsamer wirdein breiteres Umfeld wahrzunehmen und in die internen Prozesse einzubindenDie Kapitel 9 18 19 und 20 schlieszligen derartige Aspekte ndash unter anderemunter dem Stichwort bdquoOpen Innovationldquo ndash ein

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

1 Organisatorisches Wissensmanagement

Richard Pircher

bdquoComing together is a beginning keeping together is progress working together is successldquo

Henry Ford

Um welches Wissen geht es

Fuumlr die Beantwortung der Fragen braucht Frau Muumlller einerseits Datendie sie aus den eigenen Systemen und aus extern bezogenen Studien undAnalysen erhaumllt Diese Daten muumlssen analysiert werden um festzustellenob daraus glaubwuumlrdige Schluumlsse fuumlr den Umsatzeinbruch abgeleitet wer-den koumlnnen Die langjaumlhrige Praxiserfahrung gibt Frau Muumlller das Gefuumlhlungefaumlhr beurteilen zu koumlnnen welche Erklaumlrungen plausibel sind Auf-grund ihrer Erfahrungen und uumlberlegten Vorgangsweise genieszligt ihre Mei-nung bei den Kollegen und der Geschaumlftsfuumlhrerin einen hohen Stellen-wert

Umsatzeinbruch Warum und was tun

Frau Muumlller hat 17 Jahre Erfahrung als Vertriebsleiterin eines Handelsunterneh-mens fuumlr Spezialmetallwaren Die Abnehmer sind Hersteller unterschiedlicherBranchen und Handwerkerbetriebe In den letzten zwei Quartalen sind dieUmsaumltze erstmals seit der Taumltigkeit von Frau Muumlller eingebrochen In zwei Wo-chen findet ein Treffen des Fuumlhrungsteams statt um die Situation zu analysie-ren und erste Maszlignahmen abzuleiten Frau Muumlller sammelt in Vorbereitungfuumlr diesen Termin systematisch Daten und analysiert diese Sie hat rasch be-merkt dass sie viele Daten ausfiltern muss weil sie die vorhandene Mengenicht in der verfuumlgbaren Zeit bearbeiten koumlnnen wird Obwohl sie sich mitden restlichen Daten tagelang intensiv beschaumlftigt kann sie daraus keine ein-deutige Gegenstrategie ableiten Die Daten sprechen keine klare SpracheBeim Joggen am Wochenende kommt ihr ploumltzlich ein Gedanke Sie kann viel-leicht uumlber einen Bekannten bei einem Kundenunternehmen hilfreiche Infor-mationen bekommen Parallel wird sie versuchen weitere Brancheninformati-onen zu erhalten und mit Kollegen ihrer Abteilung eine Kreativrunde im Gruuml-nen veranstalten Vielleicht ergeben sich dabei neue Ideen fuumlr Ursachen undkonkrete Maszlignahmen

18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

20 1 Organisatorisches Wissensmanagement

bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uumlber httpdnbd-nbde abrufbar

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Danksagung 5

Danksagung

Mein Dank gilt den Autorinnen und Autoren dieses Bandes und all jenendie sein Zustandekommen direkt oder indirekt durch Gespraumlche und ihreArbeiten persoumlnlich unterstuumltzt haben unter anderen waren dies Dr Ange-lika Mittelmann Dr Reinhard Willfort Dr Manfred della Schiava ProfDr Stefan Guumlldenberg Prof Dr Klaus North Prof Dr Helmut WillkeProf Dr Ursula Schneider dagger Prof Dr Gerald Huumlther und Dr Don BeckWeiters danke ich all den Seminar- und LehrgangsteilnehmerInnen vondenen ich wohl ebenso viel lernen konnte wie sie von mir sowie weite-ren Personen mit denen ich zusammenarbeiten durfte und darf demTeam des Departments fuumlr Wissens- und Kommunikationsmanagementan der Donau-Universitaumlt Krems den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen des berufsbegleitenden Studiengangs Wissensmanagement an derDonau-Universitaumlt Krems sowie dem Team Bank- und Finanzwirtschaftan der Fachhochschule des bfi Wien

6 Geleitworte

Geleitworte

Wissen braucht Duumlnger Licht und Kommunikation

Das Zusammenspiel von Wissensmanagement Wissenstransfer und Wis-sennetzwerken zu orchestrieren ist eine der faszinierendsten Manage-mentaufgaben von heute Jene Unternehmen die besser als anderesicherstellen dass das aus praktischer Erfahrung entstandene Wissen fuumlrall jene im Unternehmen verfuumlgbar ist die es benoumltigen werden produk-tiver und erfolgreicher sein als andere Dieses Erfahrungswissen kannjedoch nur in Ausnahmefaumlllen wirtschaftlich rentabel schriftlich doku-mentiert und somit elektronisch zugreifbar gemacht werden in den meis-ten Faumlllen muumlssen wir akzeptieren dass dieses Wissen in den Koumlpfen derMitarbeiter steckt und nur uumlber diese Menschen zugaumlnglich ist

Moderne Dokumentenmanagementsysteme waumlren ausgereift genug umschriftlich dokumentiertes Wissen zugaumlnglich zu machen aber wir errei-che ich dass Mitarbeiter das Wissen in Ihren Koumlpfen effektiv austau-schen Die Erfahrung zeigt dass face-to-face also im persoumlnlichenGespraumlch dieses Wissen am ehesten ausgetauscht werden kann Wie abererreiche ich dass Mitarbeiter die global uumlber Standorte verteilt sind ihreErfahrungen teilen

Das ist der Grund warum soziale Netzwerke innerhalb von Unternehmenso an Bedeutung gewinnen Mitarbeiter werden durch ihre Aktivitaumlten imsozialen Netzwerk fuumlr jene sichtbar die das Wissen ebenso benoumltigen Ins-besondere die juumlngeren Mitarbeiter wachsen ja bereits als Digital Nativesim Internet mit sozialen Netzwerken auf Sie sind gewoumlhnt ihre Kommu-nikation auch fuumlr Unbekannte zu oumlffnen um durch Ihren Aktivitaumltsstrommit ihrer Kompetenz sichtbar und auffindbar zu werden Sie habengelernt dass sie dadurch fuumlr andere interessanter werden Sie haben auchgelernt wie man sein eigenes Netzwerke aufbaut und was passiert wennman zuviel Zeit oder zuwenig Zeit dafuumlr investiert

Die heutigen Web 20-Technologien im Enterprise 20 unterstuumltzenUnternehmen ihren Mitarbeitern ein Umfeld zu bieten in dem solchesoziale Netzwerke im Unternehmen entstehen koumlnnen Der zentrale Wis-sensmanager hat dann mehr die Rolle eines Gaumlrtners der ab und zu andie richtige Stelle etwas Duumlnger hinzufuumlgt und ab und zu ein paar ver-

Geleitworte 7

trocknete Blaumltter aus dem Wissensbaum des Unternehmens entfernt dieeigentliche Energie zum Aufbau des Wissensbaumes kommt ndash wie in derNatur ndash nicht vom Gaumlrtner sondern von dem gigantischen Wissens-Potenzial das in den Mitarbeitern schlummert Das Management hat diefeinsinnige Aufgabe die jungen frischen Zweiglein zur Sonne hinzuent-wickeln und zu tragenden Geschaumlftszweigen zu machen die dann auchdas Ernten von Fruumlchten ermoumlglicht Im Unternehmen nennt man dasdann Innovation

Diese in den letzten 10 Jahren aufgekommene und sich heute immerschneller verbreitende neue Form des Wissensmanagements ist sehr starkgekoppelt mit den Themen Cultural Change und Change Managementdie wiederum naumlher an Psychologie Soziologie und neuen Management-methoden liegen als beim klassischen Biblothekarswesen

Da Kulturwandel nicht einfach verordnet werden kann koumlnnen geschickteingesetzte Social Media Tools im Enterprise 20 als bdquoTraumlgersubstanzldquo fuumlreinen gezielten Kulturwandel in Unternehmen dienen wenn dieser Kul-turwandel sichtbar vom CEO unterstuumltzt und wirklich gewollt ist

Dieses Buch gibt einen sehr guten Uumlberblick uumlber das Wissensmanage-ment der 3 Generation und zeigt mit Praxisbeispielen aus fuumlhrendenUnternehmen wie Wissensmanagement heute erfolgreich umgesetztwerden kann Wer die Bedeutung des Managements von Wissen undInnovationen fuumlr die Zukunft von Unternehmen erkannt hat findet hiereine wertvolle Orientierungshilfe

Beim Lesen des Buches wuumlnsche ich Ihnen viele neue Erkenntnisse dieSie dann im eigenen Unternehmen umsetzen koumlnnen um das Potenzialdas in Ihren Mitarbeitern steckt voll zur Geltung kommen zu lassen

Univ-Doz Dipl-Ing Dr techn Michael Heiss Corporate Technology Siemens AG

Den Unternehmen fehlt die vierte organisatorische Dimension

Nichts ist so persoumlnlich und veraumlndert sich so dynamisch wie das Wisseneines Menschen Es gibt keine zwei Menschen die uumlber das gleiche Wis-sen verfuumlgen denn jeder von uns hat seine individuelle Erfahrungsbio-graphie

Diese Individualitaumlt von Wissen ist zugleich Reichtum und Hemmnis desZusammenlebens und -arbeitens Reichtum deswegen da die Vielfalt indi-

8 Geleitworte

vidueller Erfahrungen Quelle von Innovationen ist die aus der Vernet-zung des Wissens bei geeignetem bdquoInnovationsklimaldquo entstehen koumlnnen

Reichtum deswegen weil bei aller Individualitaumlt Wissen ein soziales Phauml-nomen ist das Wert aus der sozialen Interaktion der Reflektion und demkoordinierten gemeinsamen Handeln schoumlpft

Hemmnis deswegen weil Wissen auf der individuellen Interpretationvon Informationen aufbaut und damit nicht wie eine Tiefkuumlhlkost einge-lagert aufgetaut und verschoben werden kann Wissen im engeren Sinneist nicht transferierbar

Hemmnis auch deswegen weil Wissen und Nichtwissen mit Macht undOhnmacht mit Wollen und Duumlrfen mit Emotionen in sozialen Systemenuntrennbar verbunden sind

Nur wenn wir uns dessen bewusst sind wird es gelingen in Organisatio-nen realistische Erwartungen an das Management von Wissen zu stellenund geeignete Rahmenbedingungen zu gestalten die Wissen als individu-ellem und sozialem Phaumlnomen gerecht werden Dies erfordert jedochauch ein Uumlberdenken wie wir Organisationen aufbauen und Fuumlhrungleben

Im Allgemeinen konkurrieren und ergaumlnzen sich verschiedene Dimensio-nen der Aufbau- und Ablauforganisation Wissen ist in FachabteilungenProjekten und Geschaumlftsprozessen gebunden und wird dort meist nichtsystematisch aufbereitet geteilt und uumlber Grenzen von Organisationsein-heiten transferiert Aus vielen Gespraumlchen in Unternehmen scheint mirein tiefer liegender Grund fuumlr die Schwierigkeiten auf dem Weg zu einerwissensorientierten Unternehmensfuumlhrung ausschlaggebend Das Orga-nisationsverstaumlndnis Meine These lautet Unternehmen fehlt eine vierteorganisatorische Dimension ndash die Wissensorganisation ndash komplementaumlr zuhierarchischerfunktionaler Organisation (1 Dimension) Prozessorgani-sation (2 Dimension) und Projektorganisation (3Dimension) Alle dreigenannten Dimensionen sind schlecht geruumlstet Wissen mit einer uumlberdie kurzfristigen Geschaumlftsbeduumlrfnisse hinausgehenden Perspektive syste-matisch zu nutzen und zu generieren sowie Grenzen der Organisations-einheiten zu uumlberschreiten

Wir benoumltigen daher eine vierte komplementaumlre Dimension Die Wissen-sorganisation Sie schafft gemeinsame Kontexte ermoumlglicht fachuumlbergrei-fend Verstaumlndigung durch Bildung gemeinsamer Sprache foumlrdert diekompatible Problemloumlsungsfaumlhigkeit gestaltet Raum fuumlr Reflektion undInteraktionen von Menschen foumlrdert die physische und IT-Infrastruktursowie Medien zur Repraumlsentation und Kommunikation von Wissen unduumlbergreifende Lernprozesse

Geleitworte 9

Neben dem Organisationsverstaumlndnis muumlssen wir uns fragen ob unseraus der industriellen Produktion gepraumlgtes Fuumlhrungsverstaumlndnis in wis-sensintensiven Wertschoumlpfungsprozessen noch zielfuumlhrend ist Die Fuumlh-rung in Organisationen deren dominante Ressource Wissen ist kannvielmehr durch drei Kernsaumltze gekennzeichnet werden

Wissensorientierte Fuumlhrung ist in hohem Ausmaszlig Selbstfuumlhrung Jede Veraumln-derung in einer Organisation beginnt daher beim Erkennen und Veraumln-dern eigener mentaler Modelle

Wissensorientierte Fuumlhrung ist dezentrale Fuumlhrung Sie ist vielmehr eine aufallen Hierarchieebenen verteilte Fuumlhrung die sich an gemeinsamen Wert-vorstellungen orientiert

Wissensorientierte Fuumlhrung ist indirekte Fuumlhrung In Wissensorganisationenkann nicht mehr die inhaltliche Dimension der Strategie direkt gemanagtwerden sondern man muss sich auf den Strategieprozess und die Gestal-tung der kontextuellen Rahmenbedingungen konzentrieren um die best-moumlglichen Inhalte und damit auch die bestmoumlglichen Ergebnisse imSinne der strategischen Leistung erzielen zu koumlnnen

Durch Wissensmanagement bleiben Unternehmen auch in turbulentenZeiten zukunftsfaumlhig Dies macht das vorliegende Buch mit grundlegen-den Konzepten vielen Beispielen und Anregungen zur Entwicklung intel-ligenter Organisationen und Unternehmen deutlich Die Beitraumlge zeigendie Vielfalt der Moumlglichkeiten auf den Reichtum des Wissens in Organi-sationen und uumlber Organisationsgrenzen hinweg wertschoumlpfend nutzbarzu machen

Prof Dr Klaus North Hochschule RheinMain Autor von bdquoWissensorientierte Unternehmensfuumlhrungldquo und Ko-Autor von bdquoProduktive Wissensarbeit(er)ldquo

Eine nachhaltig wettbewerbsfaumlhige Volkswirtschaft braucht Wissensunternehmen

In den modernen Volkswirtschaften sind die Perspektiven gesellschaftli-cher und wirtschaftlicher Entwicklung eng mit der Wettbewerbs- undInnovationsfaumlhigkeit der einzelnen Unternehmen verknuumlpft Die Unter-nehmen liefern durch ihre Innovationskraft einen hohen Beitrag zumWohlstand und sichern damit ihre Stellung im globalen Umfeld DieKraft eines Unternehmens zur Innovation und auch zum Einsatz vonWissensmanagement ist heute ein maszliggeblicher Faktor fuumlr die Wettbe-

10 Geleitworte

werbsfaumlhigkeit einer Oumlkonomie Gerade fuumlr die stark industrialisiertenVolkswirtschaften kann der sich vollziehende Wandel zur Wissensgesell-schaft nur durch verstaumlrkte Bemuumlhungen im Bereich Wissensmanage-ment und durch dessen intensive Anwendung in allen betrieblichen Pro-zessen gelingen

Um die Wettbewerbsfaumlhigkeit der Unternehmen auch in Zukunft zugewaumlhrleisten und zu steigern sind wirtschaftspolitische Rahmenbedin-gungen zu schaffen die die Entstehung von Neuem beguumlnstigen und dieVerbreitung von Wissen nachhaltig foumlrdern Fuumlr die Unternehmen heiszligtdies die Chancen in einem solchen innovativen Umfeld gezielt wahr-zunehmen und eine wissensorientierte Kultur zu schaffen Diese frucht-bare Wissenskultur zeichnet sich auch durch die Bereitschaft aus sich mitfuumlhrenden Unternehmen zu messen und das Bestehende zu hinterfragenDies hilft Staumlrken und Schwaumlchen klar zu erkennen und erfolgreich inProzesse zu investieren um bei jeder unternehmerischen EntscheidungChancen und Risiken klar erkennen zu koumlnnen Denn letztlich sind esauch in der bdquoOld Economyldquo exzellente und hoch innovative Wissens-unternehmen die ndash wie z B die Boumlhler Uddeholm-Gruppe zeigt ndash durchihr kontinuierliches Streben nach Produktinnovation nach Erneuerungvon Verfahren und nach Kosteneinsparungen in allen Bereichen als Spit-zenreiter einer nachhaltig wettbewerbsfaumlhigen Volkswirtschaft fungierenkoumlnnen

Das von Herrn Dr Pircher herausgegebene Buch bietet fuumlr das mittlereund auch fuumlr das Top-Management sowohl in Profit- als auch Non-Profit-Organisationen eine hochaktuelle praxisorientierte Darstellung des Sta-tus quo von Wissensmanagement und wissensorientierter Unterneh-mensfuumlhrung im deutschen Sprachraum Das Buch ist daher fuumlr alle Per-sonen die an Fragestellungen und Loumlsungsansaumltzen zu wissensorientier-tem Management interessiert sind eine hervorragende Untersuchunganhand konkreter Fallbeispiele aus unterschiedlichen Organisationen

Dr Claus J Raidl Praumlsident der Oesterreichischen Nationalbank

Inhaltsverzeichnis 11

Inhaltsverzeichnis

Uumlberblick 13

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

Um welches Wissen geht es 17

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden 23

Einfuumlhrung von Wissensmanagement Schritt fuumlr Schritt 33

Methoden und Instrumente des organisatorischen Wissens-managements 51

Weiterfuumlhrende Literatur 58

2 Persoumlnliches Wissen und persoumlnliches Wissensmanagement 60

Wahrnehmung Wissen Handlungsmoumlglichkeiten 61

Was bedeutet persoumlnliches Wissensmanagement 81

Wie kann persoumlnliches Wissensmanagement umgesetzt werden 82

Operative Zielsetzungen 85

Weiterfuumlhrende Literatur 96

3 Aumlnderungsmanagement in einem wissensintensiven KMU 99

4 Entwicklung und Umsetzung einer Wissensstrategie 105

5 Marketingwissen schneller finden und vernetzen 117

6 Implementierung von Yellow Pages als Ausgangspunkt fuumlr eine unternehmensweite Wissenstraumlgerkarte in der Raiffeisen Informatik 127

7 Durch Storytelling implizites Projektwissen heben und weitergeben 139

8 Strukturierter Transfer von Erfahrungswissen zur kontinuierlichen Organisationsentwicklung Methodik in Theorie und Praxis 150

9 Mehrwert schaffen durch interorganisationale Wissensgemeinschaften 161

12 Inhaltsverzeichnis

10 Wissensmanagement powered by bdquoWikildquo die bdquoWiki-Landschaftldquo der reinisch AG 172

11 Enterprise 30 Uumlber die Rolle semantischer Technologien und interoperabler Metadaten 180

12 Einfuumlhrung einer Wissensbilanz in einem Profit-Center eines produzierenden Unternehmens 200

13 Soziale Netzwerkanalyse in Organisationen ndash versteckte Risiken und Potenziale erkennen 213

14 Optimierung von Global Leadership durch die Analyse sozialer Netzwerke 233

15 Teamarbeit in einem IT-Unternehmen ndash die Bedeutung computergestuumltzter sozialer Netzwerke fuumlr Kooperations-leistungen 243

16 Innovationsmanagement 252

17 Warum Innovation von innen heraus entstehen muss 265

18 Unterstuumltzung von Wissensarbeit und Open Innovation mittels Web 20 am Beispiel der Ideenplattform Neurovation 282

19 Open Innovation ndash Nutzung internen und externen Wissens fuumlr den Innovationsprozess 289

20 Ethik-Management als Instrument der nachhaltigen Wertschoumlpfung 301

Die Autorinnen und Autoren 308

Quellenverzeichnis 315

Stichwortverzeichnis 330

Uumlberblick 13

Uumlberblick

Daten und Informationen koumlnnen als Impulse von auszligen dazu fuumlhrendass im Inneren Verarbeitungsprozesse ausgeloumlst werden Diese Prozesseermoumlglichen den Aufbau von Vernetzungen und von inneren StrukturenDiese Strukturen wiederum bilden die Grundlage fuumlr Handlungen undEntscheidungen Je adaumlquater Handlungen und Entscheidungen auf dieUmwelt abgestimmt werden und je differenzierter und komplexer dasVerhalten deshalb gestaltet werden kann umso houmlher ist dessen Erfolgs-aussicht

Dieser Prozess findet laufend im Menschen statt indem sich durch Stimulidie Neuronen im Gehirn vernetzen Daten oder Informationen an sich bil-den noch keine Grundlage fuumlr zielfuumlhrende Handlungen ndash sie werdennoch nicht gewusst Erst vernetzte neuronale Strukturen stellen Erwar-tungshaltungen der Umwelt gegenuumlber dar und wirken sich damit auf dasVerhalten aus

Ein aumlhnlicher Prozess laumluft auch in Organisationen ab Zahlreiche Datenwerden erfasst gefiltert interpretiert und mit bestehendem Wissen in derOrganisation vernetzt Man leitet daraus Handlungen ab und baut ver-netzte organisatorische Wissenstrukturen auf Dazu gehoumlren beispielsweisegeteilte Vorstellungen zu den Wuumlnschen der Kunden den Strategien derLieferanten oder den Technologieentwicklungen der naumlchsten JahreDiese organisatorischen Erwartungshaltungen sind nicht unabhaumlngig von

Bild A Das Zusammenspiel von Lernen und sozialer Interaktion

14 Uumlberblick

Menschen bestehen aber meist weiter auch wenn Einzelpersonen wech-seln

Komplexe Faumlhigkeiten wie Schreiben Lesen Radfahren oder die Benut-zung einer Software lernen wir meist durch Versuch und Irrtum Direktoder indirekt erfolgt Wissenserwerb aber auch immer in der Interaktionmit anderen Menschen wie beim Unterricht bei stillschweigendemNachahmen oder durch andere Hilfestellung (schriftliche AnleitungHandbuch Frequently Asked Questions etc) die wiederum ein einzel-ner bdquoisolierterldquo Mensch ohne sozial konstruiertes Vorwissen nicht erstel-len koumlnnte Beim Aufbau von Wissensstrukturen handelt es sich somit inder Regel um das Zusammenspiel von mentalen bzw neuronalen und so-zialen Vernetzungsprozessen (vgl Bild A)

In zeitlicher Abfolge ergibt sich sowohl auf individueller als auch auf or-ganisatorischer Ebene ein Ablauf aus individuellem Wissensaufbau undsozialen Kontakten und Netzwerken (vgl Bild B) Die gezielte und strategi-sche Foumlrderung dieses Zusammenspiels individueller und sozialer Wissens- undVernetzungsprozesse bildet ein Kernthema des vorliegenden Buches

Besitzt die Organisation die Offenheit und ermoumlglichenden Rahmenbe-dingungen die jene Vernetzungen zulassen und foumlrdern die notwendigwaumlren um die Fragen von morgen wahrzunehmen und Antworten darauf zuentwickeln Erkennt sich die Organisation als Teil eines groumlszligeren sozialenund kausalen Netzwerks Ermoumlglicht die Organisation Vernetzungen mitUmwelt und Gesellschaft

Bild C bietet einen Uumlberblick zu den Inhalten des Buches in der Form derMetapher eines Baumes (vgl Fokusmetapher Kapitel 2) Den Kernprozes-sen des Wissensmanagements werden entsprechende Kapitel des Buches

Bild B Die Entwicklung neuronaler und sozialer Strukturen

Uumlberblick 15

zugeordnet Diese Zuordnung erfolgt nur exemplarisch weil sich die Ka-pitel meist auf mehrere Kernprozesse beziehen

Entscheidend fuumlr die Entwicklung und Produktivitaumlt des individuellenund organisatorischen Wissens sind die Rahmenbedingungen die Wissens-arbeiter in Organisationen vorfinden Ist das organisatorische bdquoKlimaldquo ndash z Bbezuumlglich Kommunikations- und Fehlerkultur ndash adaumlquat fuumlr die Ziele derOrganisation Die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen wird in Kapitel1 im Uumlberblick dargestellt und dabei auf die weiteren Kapitel des Buchesverwiesen Die Entwicklung einer Wissensstrategie mit Ableitung vonMaszlignahmen sowie die Messung und Steuerung des organisatorischenWissenskapitals sind Schwerpunkte der Kapitel 3 4 und 12

Das persoumlnliche Wissen bildet die Basis und den bdquoHumusldquo fuumlr jede sinn-volle Handlung in Organisationen Kapitel 2 thematisiert spezifische Ei-genschaften Herausforderungen und Methoden des Managements despersoumlnlichen Wissens Eine weitere Grundlage fuumlr die Entwicklung orga-nisatorischen Wissens sind Werte Vertrauensbasis und Kooperationskul-tur in der Organisation sowie in der Interaktion mit den Stakeholdernwas ein zentrales Thema des in Kapitel 20 skizzierten Ethik-Managementsdarstellt

Der Wissenserwerb mit den Schwerpunkten Semantic Web und Integra-tion organisationsexterner Personengruppen wird in den Kapiteln 9 1118 und 19 mit praktischen Beispielen thematisiert

Bild C Inhaltsverzeichnis in Form der Fokusmetapher bdquoBaumldquo (vgl Kapitel 2)

16 Uumlberblick

Die Kapitel 6 7 8 10 11 und 12 beleuchten unter anderem die Identifika-tion des in der Organisation vorhandenen Wissens Dies erfolgte beispiels-weise durch ein Verzeichnis des Wissens der Mitarbeiter die Dokumenta-tion von Lessons Learned aus einem Projekt und den strukturierten Wis-senstransfer zwischen Mitarbeitern bei Wechsel und Verlassen des Unter-nehmens

Die Repraumlsentation von Wissen spielt in heutigen Organisationen meist alsdicker Ast eine bedeutende Rolle dabei dass groszlige Fruumlchte entwickeltund bis zur Ernte getragen werden koumlnnen Kapitel 5 illustriert die Foumlrde-rung der Wissensrepraumlsentation durch die Erarbeitung von bdquoSpielregelnldquoin der Form eines ICK-Handbuchs (Information-Communication-Knowledge) Kapitel 10 beschreibt ein Fallbeispiel zum Aufbau einerWiki-Landschaft

Fuumlr ein dichtes Blaumltterwerk aus handlungsrelevantem Wissen besitzenKommunikation und Transfer von Wissen eine entscheidende Funktion Siebilden die Schwerpunktthemen der Kapitel 5 6 7 8 und 9 Beispielsweisewird hier der Aufbau einer organisationsuumlbergreifenden Wissensgemein-schaft zur Unterstuumltzung der Wissenskommunikation und Kundenbin-dung dargestellt

Wie oben skizziert wurde uumlben die sozialen Kontakte und Netzwerke einenwesentlichen Einfluss auf die Bildung von individuellem und organisato-rischem Wissen aus Kapitel 13 14 und 15 widmen sich deshalb der Me-thode der sozialen Netzwerkanalyse und zeigen auf wie damit soziale orga-nisatorische Strukturen jenseits der offiziellen Organigramme analysiertinterpretiert und daraus Maszlignahmen abgeleitet werden koumlnnen

Junge frische Wissenstriebe und Fruumlchte die freudige Abnehmer findenentstehen nur wenn die Rahmenbedingungen in der Organisation Wis-sensentwicklung und Innovation foumlrdern Kapitel 16 17 18 und 19 widmensich diesen Themen unter verschiedenen Gesichtspunkten

Die Verschiebung der Perspektive vom Shareholder- zum Stakeholderan-satz verdeutlicht dass es fuumlr Organisationen immer bedeutsamer wirdein breiteres Umfeld wahrzunehmen und in die internen Prozesse einzubindenDie Kapitel 9 18 19 und 20 schlieszligen derartige Aspekte ndash unter anderemunter dem Stichwort bdquoOpen Innovationldquo ndash ein

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

1 Organisatorisches Wissensmanagement

Richard Pircher

bdquoComing together is a beginning keeping together is progress working together is successldquo

Henry Ford

Um welches Wissen geht es

Fuumlr die Beantwortung der Fragen braucht Frau Muumlller einerseits Datendie sie aus den eigenen Systemen und aus extern bezogenen Studien undAnalysen erhaumllt Diese Daten muumlssen analysiert werden um festzustellenob daraus glaubwuumlrdige Schluumlsse fuumlr den Umsatzeinbruch abgeleitet wer-den koumlnnen Die langjaumlhrige Praxiserfahrung gibt Frau Muumlller das Gefuumlhlungefaumlhr beurteilen zu koumlnnen welche Erklaumlrungen plausibel sind Auf-grund ihrer Erfahrungen und uumlberlegten Vorgangsweise genieszligt ihre Mei-nung bei den Kollegen und der Geschaumlftsfuumlhrerin einen hohen Stellen-wert

Umsatzeinbruch Warum und was tun

Frau Muumlller hat 17 Jahre Erfahrung als Vertriebsleiterin eines Handelsunterneh-mens fuumlr Spezialmetallwaren Die Abnehmer sind Hersteller unterschiedlicherBranchen und Handwerkerbetriebe In den letzten zwei Quartalen sind dieUmsaumltze erstmals seit der Taumltigkeit von Frau Muumlller eingebrochen In zwei Wo-chen findet ein Treffen des Fuumlhrungsteams statt um die Situation zu analysie-ren und erste Maszlignahmen abzuleiten Frau Muumlller sammelt in Vorbereitungfuumlr diesen Termin systematisch Daten und analysiert diese Sie hat rasch be-merkt dass sie viele Daten ausfiltern muss weil sie die vorhandene Mengenicht in der verfuumlgbaren Zeit bearbeiten koumlnnen wird Obwohl sie sich mitden restlichen Daten tagelang intensiv beschaumlftigt kann sie daraus keine ein-deutige Gegenstrategie ableiten Die Daten sprechen keine klare SpracheBeim Joggen am Wochenende kommt ihr ploumltzlich ein Gedanke Sie kann viel-leicht uumlber einen Bekannten bei einem Kundenunternehmen hilfreiche Infor-mationen bekommen Parallel wird sie versuchen weitere Brancheninformati-onen zu erhalten und mit Kollegen ihrer Abteilung eine Kreativrunde im Gruuml-nen veranstalten Vielleicht ergeben sich dabei neue Ideen fuumlr Ursachen undkonkrete Maszlignahmen

18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

20 1 Organisatorisches Wissensmanagement

bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 6: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

Danksagung 5

Danksagung

Mein Dank gilt den Autorinnen und Autoren dieses Bandes und all jenendie sein Zustandekommen direkt oder indirekt durch Gespraumlche und ihreArbeiten persoumlnlich unterstuumltzt haben unter anderen waren dies Dr Ange-lika Mittelmann Dr Reinhard Willfort Dr Manfred della Schiava ProfDr Stefan Guumlldenberg Prof Dr Klaus North Prof Dr Helmut WillkeProf Dr Ursula Schneider dagger Prof Dr Gerald Huumlther und Dr Don BeckWeiters danke ich all den Seminar- und LehrgangsteilnehmerInnen vondenen ich wohl ebenso viel lernen konnte wie sie von mir sowie weite-ren Personen mit denen ich zusammenarbeiten durfte und darf demTeam des Departments fuumlr Wissens- und Kommunikationsmanagementan der Donau-Universitaumlt Krems den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen des berufsbegleitenden Studiengangs Wissensmanagement an derDonau-Universitaumlt Krems sowie dem Team Bank- und Finanzwirtschaftan der Fachhochschule des bfi Wien

6 Geleitworte

Geleitworte

Wissen braucht Duumlnger Licht und Kommunikation

Das Zusammenspiel von Wissensmanagement Wissenstransfer und Wis-sennetzwerken zu orchestrieren ist eine der faszinierendsten Manage-mentaufgaben von heute Jene Unternehmen die besser als anderesicherstellen dass das aus praktischer Erfahrung entstandene Wissen fuumlrall jene im Unternehmen verfuumlgbar ist die es benoumltigen werden produk-tiver und erfolgreicher sein als andere Dieses Erfahrungswissen kannjedoch nur in Ausnahmefaumlllen wirtschaftlich rentabel schriftlich doku-mentiert und somit elektronisch zugreifbar gemacht werden in den meis-ten Faumlllen muumlssen wir akzeptieren dass dieses Wissen in den Koumlpfen derMitarbeiter steckt und nur uumlber diese Menschen zugaumlnglich ist

Moderne Dokumentenmanagementsysteme waumlren ausgereift genug umschriftlich dokumentiertes Wissen zugaumlnglich zu machen aber wir errei-che ich dass Mitarbeiter das Wissen in Ihren Koumlpfen effektiv austau-schen Die Erfahrung zeigt dass face-to-face also im persoumlnlichenGespraumlch dieses Wissen am ehesten ausgetauscht werden kann Wie abererreiche ich dass Mitarbeiter die global uumlber Standorte verteilt sind ihreErfahrungen teilen

Das ist der Grund warum soziale Netzwerke innerhalb von Unternehmenso an Bedeutung gewinnen Mitarbeiter werden durch ihre Aktivitaumlten imsozialen Netzwerk fuumlr jene sichtbar die das Wissen ebenso benoumltigen Ins-besondere die juumlngeren Mitarbeiter wachsen ja bereits als Digital Nativesim Internet mit sozialen Netzwerken auf Sie sind gewoumlhnt ihre Kommu-nikation auch fuumlr Unbekannte zu oumlffnen um durch Ihren Aktivitaumltsstrommit ihrer Kompetenz sichtbar und auffindbar zu werden Sie habengelernt dass sie dadurch fuumlr andere interessanter werden Sie haben auchgelernt wie man sein eigenes Netzwerke aufbaut und was passiert wennman zuviel Zeit oder zuwenig Zeit dafuumlr investiert

Die heutigen Web 20-Technologien im Enterprise 20 unterstuumltzenUnternehmen ihren Mitarbeitern ein Umfeld zu bieten in dem solchesoziale Netzwerke im Unternehmen entstehen koumlnnen Der zentrale Wis-sensmanager hat dann mehr die Rolle eines Gaumlrtners der ab und zu andie richtige Stelle etwas Duumlnger hinzufuumlgt und ab und zu ein paar ver-

Geleitworte 7

trocknete Blaumltter aus dem Wissensbaum des Unternehmens entfernt dieeigentliche Energie zum Aufbau des Wissensbaumes kommt ndash wie in derNatur ndash nicht vom Gaumlrtner sondern von dem gigantischen Wissens-Potenzial das in den Mitarbeitern schlummert Das Management hat diefeinsinnige Aufgabe die jungen frischen Zweiglein zur Sonne hinzuent-wickeln und zu tragenden Geschaumlftszweigen zu machen die dann auchdas Ernten von Fruumlchten ermoumlglicht Im Unternehmen nennt man dasdann Innovation

Diese in den letzten 10 Jahren aufgekommene und sich heute immerschneller verbreitende neue Form des Wissensmanagements ist sehr starkgekoppelt mit den Themen Cultural Change und Change Managementdie wiederum naumlher an Psychologie Soziologie und neuen Management-methoden liegen als beim klassischen Biblothekarswesen

Da Kulturwandel nicht einfach verordnet werden kann koumlnnen geschickteingesetzte Social Media Tools im Enterprise 20 als bdquoTraumlgersubstanzldquo fuumlreinen gezielten Kulturwandel in Unternehmen dienen wenn dieser Kul-turwandel sichtbar vom CEO unterstuumltzt und wirklich gewollt ist

Dieses Buch gibt einen sehr guten Uumlberblick uumlber das Wissensmanage-ment der 3 Generation und zeigt mit Praxisbeispielen aus fuumlhrendenUnternehmen wie Wissensmanagement heute erfolgreich umgesetztwerden kann Wer die Bedeutung des Managements von Wissen undInnovationen fuumlr die Zukunft von Unternehmen erkannt hat findet hiereine wertvolle Orientierungshilfe

Beim Lesen des Buches wuumlnsche ich Ihnen viele neue Erkenntnisse dieSie dann im eigenen Unternehmen umsetzen koumlnnen um das Potenzialdas in Ihren Mitarbeitern steckt voll zur Geltung kommen zu lassen

Univ-Doz Dipl-Ing Dr techn Michael Heiss Corporate Technology Siemens AG

Den Unternehmen fehlt die vierte organisatorische Dimension

Nichts ist so persoumlnlich und veraumlndert sich so dynamisch wie das Wisseneines Menschen Es gibt keine zwei Menschen die uumlber das gleiche Wis-sen verfuumlgen denn jeder von uns hat seine individuelle Erfahrungsbio-graphie

Diese Individualitaumlt von Wissen ist zugleich Reichtum und Hemmnis desZusammenlebens und -arbeitens Reichtum deswegen da die Vielfalt indi-

8 Geleitworte

vidueller Erfahrungen Quelle von Innovationen ist die aus der Vernet-zung des Wissens bei geeignetem bdquoInnovationsklimaldquo entstehen koumlnnen

Reichtum deswegen weil bei aller Individualitaumlt Wissen ein soziales Phauml-nomen ist das Wert aus der sozialen Interaktion der Reflektion und demkoordinierten gemeinsamen Handeln schoumlpft

Hemmnis deswegen weil Wissen auf der individuellen Interpretationvon Informationen aufbaut und damit nicht wie eine Tiefkuumlhlkost einge-lagert aufgetaut und verschoben werden kann Wissen im engeren Sinneist nicht transferierbar

Hemmnis auch deswegen weil Wissen und Nichtwissen mit Macht undOhnmacht mit Wollen und Duumlrfen mit Emotionen in sozialen Systemenuntrennbar verbunden sind

Nur wenn wir uns dessen bewusst sind wird es gelingen in Organisatio-nen realistische Erwartungen an das Management von Wissen zu stellenund geeignete Rahmenbedingungen zu gestalten die Wissen als individu-ellem und sozialem Phaumlnomen gerecht werden Dies erfordert jedochauch ein Uumlberdenken wie wir Organisationen aufbauen und Fuumlhrungleben

Im Allgemeinen konkurrieren und ergaumlnzen sich verschiedene Dimensio-nen der Aufbau- und Ablauforganisation Wissen ist in FachabteilungenProjekten und Geschaumlftsprozessen gebunden und wird dort meist nichtsystematisch aufbereitet geteilt und uumlber Grenzen von Organisationsein-heiten transferiert Aus vielen Gespraumlchen in Unternehmen scheint mirein tiefer liegender Grund fuumlr die Schwierigkeiten auf dem Weg zu einerwissensorientierten Unternehmensfuumlhrung ausschlaggebend Das Orga-nisationsverstaumlndnis Meine These lautet Unternehmen fehlt eine vierteorganisatorische Dimension ndash die Wissensorganisation ndash komplementaumlr zuhierarchischerfunktionaler Organisation (1 Dimension) Prozessorgani-sation (2 Dimension) und Projektorganisation (3Dimension) Alle dreigenannten Dimensionen sind schlecht geruumlstet Wissen mit einer uumlberdie kurzfristigen Geschaumlftsbeduumlrfnisse hinausgehenden Perspektive syste-matisch zu nutzen und zu generieren sowie Grenzen der Organisations-einheiten zu uumlberschreiten

Wir benoumltigen daher eine vierte komplementaumlre Dimension Die Wissen-sorganisation Sie schafft gemeinsame Kontexte ermoumlglicht fachuumlbergrei-fend Verstaumlndigung durch Bildung gemeinsamer Sprache foumlrdert diekompatible Problemloumlsungsfaumlhigkeit gestaltet Raum fuumlr Reflektion undInteraktionen von Menschen foumlrdert die physische und IT-Infrastruktursowie Medien zur Repraumlsentation und Kommunikation von Wissen unduumlbergreifende Lernprozesse

Geleitworte 9

Neben dem Organisationsverstaumlndnis muumlssen wir uns fragen ob unseraus der industriellen Produktion gepraumlgtes Fuumlhrungsverstaumlndnis in wis-sensintensiven Wertschoumlpfungsprozessen noch zielfuumlhrend ist Die Fuumlh-rung in Organisationen deren dominante Ressource Wissen ist kannvielmehr durch drei Kernsaumltze gekennzeichnet werden

Wissensorientierte Fuumlhrung ist in hohem Ausmaszlig Selbstfuumlhrung Jede Veraumln-derung in einer Organisation beginnt daher beim Erkennen und Veraumln-dern eigener mentaler Modelle

Wissensorientierte Fuumlhrung ist dezentrale Fuumlhrung Sie ist vielmehr eine aufallen Hierarchieebenen verteilte Fuumlhrung die sich an gemeinsamen Wert-vorstellungen orientiert

Wissensorientierte Fuumlhrung ist indirekte Fuumlhrung In Wissensorganisationenkann nicht mehr die inhaltliche Dimension der Strategie direkt gemanagtwerden sondern man muss sich auf den Strategieprozess und die Gestal-tung der kontextuellen Rahmenbedingungen konzentrieren um die best-moumlglichen Inhalte und damit auch die bestmoumlglichen Ergebnisse imSinne der strategischen Leistung erzielen zu koumlnnen

Durch Wissensmanagement bleiben Unternehmen auch in turbulentenZeiten zukunftsfaumlhig Dies macht das vorliegende Buch mit grundlegen-den Konzepten vielen Beispielen und Anregungen zur Entwicklung intel-ligenter Organisationen und Unternehmen deutlich Die Beitraumlge zeigendie Vielfalt der Moumlglichkeiten auf den Reichtum des Wissens in Organi-sationen und uumlber Organisationsgrenzen hinweg wertschoumlpfend nutzbarzu machen

Prof Dr Klaus North Hochschule RheinMain Autor von bdquoWissensorientierte Unternehmensfuumlhrungldquo und Ko-Autor von bdquoProduktive Wissensarbeit(er)ldquo

Eine nachhaltig wettbewerbsfaumlhige Volkswirtschaft braucht Wissensunternehmen

In den modernen Volkswirtschaften sind die Perspektiven gesellschaftli-cher und wirtschaftlicher Entwicklung eng mit der Wettbewerbs- undInnovationsfaumlhigkeit der einzelnen Unternehmen verknuumlpft Die Unter-nehmen liefern durch ihre Innovationskraft einen hohen Beitrag zumWohlstand und sichern damit ihre Stellung im globalen Umfeld DieKraft eines Unternehmens zur Innovation und auch zum Einsatz vonWissensmanagement ist heute ein maszliggeblicher Faktor fuumlr die Wettbe-

10 Geleitworte

werbsfaumlhigkeit einer Oumlkonomie Gerade fuumlr die stark industrialisiertenVolkswirtschaften kann der sich vollziehende Wandel zur Wissensgesell-schaft nur durch verstaumlrkte Bemuumlhungen im Bereich Wissensmanage-ment und durch dessen intensive Anwendung in allen betrieblichen Pro-zessen gelingen

Um die Wettbewerbsfaumlhigkeit der Unternehmen auch in Zukunft zugewaumlhrleisten und zu steigern sind wirtschaftspolitische Rahmenbedin-gungen zu schaffen die die Entstehung von Neuem beguumlnstigen und dieVerbreitung von Wissen nachhaltig foumlrdern Fuumlr die Unternehmen heiszligtdies die Chancen in einem solchen innovativen Umfeld gezielt wahr-zunehmen und eine wissensorientierte Kultur zu schaffen Diese frucht-bare Wissenskultur zeichnet sich auch durch die Bereitschaft aus sich mitfuumlhrenden Unternehmen zu messen und das Bestehende zu hinterfragenDies hilft Staumlrken und Schwaumlchen klar zu erkennen und erfolgreich inProzesse zu investieren um bei jeder unternehmerischen EntscheidungChancen und Risiken klar erkennen zu koumlnnen Denn letztlich sind esauch in der bdquoOld Economyldquo exzellente und hoch innovative Wissens-unternehmen die ndash wie z B die Boumlhler Uddeholm-Gruppe zeigt ndash durchihr kontinuierliches Streben nach Produktinnovation nach Erneuerungvon Verfahren und nach Kosteneinsparungen in allen Bereichen als Spit-zenreiter einer nachhaltig wettbewerbsfaumlhigen Volkswirtschaft fungierenkoumlnnen

Das von Herrn Dr Pircher herausgegebene Buch bietet fuumlr das mittlereund auch fuumlr das Top-Management sowohl in Profit- als auch Non-Profit-Organisationen eine hochaktuelle praxisorientierte Darstellung des Sta-tus quo von Wissensmanagement und wissensorientierter Unterneh-mensfuumlhrung im deutschen Sprachraum Das Buch ist daher fuumlr alle Per-sonen die an Fragestellungen und Loumlsungsansaumltzen zu wissensorientier-tem Management interessiert sind eine hervorragende Untersuchunganhand konkreter Fallbeispiele aus unterschiedlichen Organisationen

Dr Claus J Raidl Praumlsident der Oesterreichischen Nationalbank

Inhaltsverzeichnis 11

Inhaltsverzeichnis

Uumlberblick 13

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

Um welches Wissen geht es 17

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden 23

Einfuumlhrung von Wissensmanagement Schritt fuumlr Schritt 33

Methoden und Instrumente des organisatorischen Wissens-managements 51

Weiterfuumlhrende Literatur 58

2 Persoumlnliches Wissen und persoumlnliches Wissensmanagement 60

Wahrnehmung Wissen Handlungsmoumlglichkeiten 61

Was bedeutet persoumlnliches Wissensmanagement 81

Wie kann persoumlnliches Wissensmanagement umgesetzt werden 82

Operative Zielsetzungen 85

Weiterfuumlhrende Literatur 96

3 Aumlnderungsmanagement in einem wissensintensiven KMU 99

4 Entwicklung und Umsetzung einer Wissensstrategie 105

5 Marketingwissen schneller finden und vernetzen 117

6 Implementierung von Yellow Pages als Ausgangspunkt fuumlr eine unternehmensweite Wissenstraumlgerkarte in der Raiffeisen Informatik 127

7 Durch Storytelling implizites Projektwissen heben und weitergeben 139

8 Strukturierter Transfer von Erfahrungswissen zur kontinuierlichen Organisationsentwicklung Methodik in Theorie und Praxis 150

9 Mehrwert schaffen durch interorganisationale Wissensgemeinschaften 161

12 Inhaltsverzeichnis

10 Wissensmanagement powered by bdquoWikildquo die bdquoWiki-Landschaftldquo der reinisch AG 172

11 Enterprise 30 Uumlber die Rolle semantischer Technologien und interoperabler Metadaten 180

12 Einfuumlhrung einer Wissensbilanz in einem Profit-Center eines produzierenden Unternehmens 200

13 Soziale Netzwerkanalyse in Organisationen ndash versteckte Risiken und Potenziale erkennen 213

14 Optimierung von Global Leadership durch die Analyse sozialer Netzwerke 233

15 Teamarbeit in einem IT-Unternehmen ndash die Bedeutung computergestuumltzter sozialer Netzwerke fuumlr Kooperations-leistungen 243

16 Innovationsmanagement 252

17 Warum Innovation von innen heraus entstehen muss 265

18 Unterstuumltzung von Wissensarbeit und Open Innovation mittels Web 20 am Beispiel der Ideenplattform Neurovation 282

19 Open Innovation ndash Nutzung internen und externen Wissens fuumlr den Innovationsprozess 289

20 Ethik-Management als Instrument der nachhaltigen Wertschoumlpfung 301

Die Autorinnen und Autoren 308

Quellenverzeichnis 315

Stichwortverzeichnis 330

Uumlberblick 13

Uumlberblick

Daten und Informationen koumlnnen als Impulse von auszligen dazu fuumlhrendass im Inneren Verarbeitungsprozesse ausgeloumlst werden Diese Prozesseermoumlglichen den Aufbau von Vernetzungen und von inneren StrukturenDiese Strukturen wiederum bilden die Grundlage fuumlr Handlungen undEntscheidungen Je adaumlquater Handlungen und Entscheidungen auf dieUmwelt abgestimmt werden und je differenzierter und komplexer dasVerhalten deshalb gestaltet werden kann umso houmlher ist dessen Erfolgs-aussicht

Dieser Prozess findet laufend im Menschen statt indem sich durch Stimulidie Neuronen im Gehirn vernetzen Daten oder Informationen an sich bil-den noch keine Grundlage fuumlr zielfuumlhrende Handlungen ndash sie werdennoch nicht gewusst Erst vernetzte neuronale Strukturen stellen Erwar-tungshaltungen der Umwelt gegenuumlber dar und wirken sich damit auf dasVerhalten aus

Ein aumlhnlicher Prozess laumluft auch in Organisationen ab Zahlreiche Datenwerden erfasst gefiltert interpretiert und mit bestehendem Wissen in derOrganisation vernetzt Man leitet daraus Handlungen ab und baut ver-netzte organisatorische Wissenstrukturen auf Dazu gehoumlren beispielsweisegeteilte Vorstellungen zu den Wuumlnschen der Kunden den Strategien derLieferanten oder den Technologieentwicklungen der naumlchsten JahreDiese organisatorischen Erwartungshaltungen sind nicht unabhaumlngig von

Bild A Das Zusammenspiel von Lernen und sozialer Interaktion

14 Uumlberblick

Menschen bestehen aber meist weiter auch wenn Einzelpersonen wech-seln

Komplexe Faumlhigkeiten wie Schreiben Lesen Radfahren oder die Benut-zung einer Software lernen wir meist durch Versuch und Irrtum Direktoder indirekt erfolgt Wissenserwerb aber auch immer in der Interaktionmit anderen Menschen wie beim Unterricht bei stillschweigendemNachahmen oder durch andere Hilfestellung (schriftliche AnleitungHandbuch Frequently Asked Questions etc) die wiederum ein einzel-ner bdquoisolierterldquo Mensch ohne sozial konstruiertes Vorwissen nicht erstel-len koumlnnte Beim Aufbau von Wissensstrukturen handelt es sich somit inder Regel um das Zusammenspiel von mentalen bzw neuronalen und so-zialen Vernetzungsprozessen (vgl Bild A)

In zeitlicher Abfolge ergibt sich sowohl auf individueller als auch auf or-ganisatorischer Ebene ein Ablauf aus individuellem Wissensaufbau undsozialen Kontakten und Netzwerken (vgl Bild B) Die gezielte und strategi-sche Foumlrderung dieses Zusammenspiels individueller und sozialer Wissens- undVernetzungsprozesse bildet ein Kernthema des vorliegenden Buches

Besitzt die Organisation die Offenheit und ermoumlglichenden Rahmenbe-dingungen die jene Vernetzungen zulassen und foumlrdern die notwendigwaumlren um die Fragen von morgen wahrzunehmen und Antworten darauf zuentwickeln Erkennt sich die Organisation als Teil eines groumlszligeren sozialenund kausalen Netzwerks Ermoumlglicht die Organisation Vernetzungen mitUmwelt und Gesellschaft

Bild C bietet einen Uumlberblick zu den Inhalten des Buches in der Form derMetapher eines Baumes (vgl Fokusmetapher Kapitel 2) Den Kernprozes-sen des Wissensmanagements werden entsprechende Kapitel des Buches

Bild B Die Entwicklung neuronaler und sozialer Strukturen

Uumlberblick 15

zugeordnet Diese Zuordnung erfolgt nur exemplarisch weil sich die Ka-pitel meist auf mehrere Kernprozesse beziehen

Entscheidend fuumlr die Entwicklung und Produktivitaumlt des individuellenund organisatorischen Wissens sind die Rahmenbedingungen die Wissens-arbeiter in Organisationen vorfinden Ist das organisatorische bdquoKlimaldquo ndash z Bbezuumlglich Kommunikations- und Fehlerkultur ndash adaumlquat fuumlr die Ziele derOrganisation Die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen wird in Kapitel1 im Uumlberblick dargestellt und dabei auf die weiteren Kapitel des Buchesverwiesen Die Entwicklung einer Wissensstrategie mit Ableitung vonMaszlignahmen sowie die Messung und Steuerung des organisatorischenWissenskapitals sind Schwerpunkte der Kapitel 3 4 und 12

Das persoumlnliche Wissen bildet die Basis und den bdquoHumusldquo fuumlr jede sinn-volle Handlung in Organisationen Kapitel 2 thematisiert spezifische Ei-genschaften Herausforderungen und Methoden des Managements despersoumlnlichen Wissens Eine weitere Grundlage fuumlr die Entwicklung orga-nisatorischen Wissens sind Werte Vertrauensbasis und Kooperationskul-tur in der Organisation sowie in der Interaktion mit den Stakeholdernwas ein zentrales Thema des in Kapitel 20 skizzierten Ethik-Managementsdarstellt

Der Wissenserwerb mit den Schwerpunkten Semantic Web und Integra-tion organisationsexterner Personengruppen wird in den Kapiteln 9 1118 und 19 mit praktischen Beispielen thematisiert

Bild C Inhaltsverzeichnis in Form der Fokusmetapher bdquoBaumldquo (vgl Kapitel 2)

16 Uumlberblick

Die Kapitel 6 7 8 10 11 und 12 beleuchten unter anderem die Identifika-tion des in der Organisation vorhandenen Wissens Dies erfolgte beispiels-weise durch ein Verzeichnis des Wissens der Mitarbeiter die Dokumenta-tion von Lessons Learned aus einem Projekt und den strukturierten Wis-senstransfer zwischen Mitarbeitern bei Wechsel und Verlassen des Unter-nehmens

Die Repraumlsentation von Wissen spielt in heutigen Organisationen meist alsdicker Ast eine bedeutende Rolle dabei dass groszlige Fruumlchte entwickeltund bis zur Ernte getragen werden koumlnnen Kapitel 5 illustriert die Foumlrde-rung der Wissensrepraumlsentation durch die Erarbeitung von bdquoSpielregelnldquoin der Form eines ICK-Handbuchs (Information-Communication-Knowledge) Kapitel 10 beschreibt ein Fallbeispiel zum Aufbau einerWiki-Landschaft

Fuumlr ein dichtes Blaumltterwerk aus handlungsrelevantem Wissen besitzenKommunikation und Transfer von Wissen eine entscheidende Funktion Siebilden die Schwerpunktthemen der Kapitel 5 6 7 8 und 9 Beispielsweisewird hier der Aufbau einer organisationsuumlbergreifenden Wissensgemein-schaft zur Unterstuumltzung der Wissenskommunikation und Kundenbin-dung dargestellt

Wie oben skizziert wurde uumlben die sozialen Kontakte und Netzwerke einenwesentlichen Einfluss auf die Bildung von individuellem und organisato-rischem Wissen aus Kapitel 13 14 und 15 widmen sich deshalb der Me-thode der sozialen Netzwerkanalyse und zeigen auf wie damit soziale orga-nisatorische Strukturen jenseits der offiziellen Organigramme analysiertinterpretiert und daraus Maszlignahmen abgeleitet werden koumlnnen

Junge frische Wissenstriebe und Fruumlchte die freudige Abnehmer findenentstehen nur wenn die Rahmenbedingungen in der Organisation Wis-sensentwicklung und Innovation foumlrdern Kapitel 16 17 18 und 19 widmensich diesen Themen unter verschiedenen Gesichtspunkten

Die Verschiebung der Perspektive vom Shareholder- zum Stakeholderan-satz verdeutlicht dass es fuumlr Organisationen immer bedeutsamer wirdein breiteres Umfeld wahrzunehmen und in die internen Prozesse einzubindenDie Kapitel 9 18 19 und 20 schlieszligen derartige Aspekte ndash unter anderemunter dem Stichwort bdquoOpen Innovationldquo ndash ein

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

1 Organisatorisches Wissensmanagement

Richard Pircher

bdquoComing together is a beginning keeping together is progress working together is successldquo

Henry Ford

Um welches Wissen geht es

Fuumlr die Beantwortung der Fragen braucht Frau Muumlller einerseits Datendie sie aus den eigenen Systemen und aus extern bezogenen Studien undAnalysen erhaumllt Diese Daten muumlssen analysiert werden um festzustellenob daraus glaubwuumlrdige Schluumlsse fuumlr den Umsatzeinbruch abgeleitet wer-den koumlnnen Die langjaumlhrige Praxiserfahrung gibt Frau Muumlller das Gefuumlhlungefaumlhr beurteilen zu koumlnnen welche Erklaumlrungen plausibel sind Auf-grund ihrer Erfahrungen und uumlberlegten Vorgangsweise genieszligt ihre Mei-nung bei den Kollegen und der Geschaumlftsfuumlhrerin einen hohen Stellen-wert

Umsatzeinbruch Warum und was tun

Frau Muumlller hat 17 Jahre Erfahrung als Vertriebsleiterin eines Handelsunterneh-mens fuumlr Spezialmetallwaren Die Abnehmer sind Hersteller unterschiedlicherBranchen und Handwerkerbetriebe In den letzten zwei Quartalen sind dieUmsaumltze erstmals seit der Taumltigkeit von Frau Muumlller eingebrochen In zwei Wo-chen findet ein Treffen des Fuumlhrungsteams statt um die Situation zu analysie-ren und erste Maszlignahmen abzuleiten Frau Muumlller sammelt in Vorbereitungfuumlr diesen Termin systematisch Daten und analysiert diese Sie hat rasch be-merkt dass sie viele Daten ausfiltern muss weil sie die vorhandene Mengenicht in der verfuumlgbaren Zeit bearbeiten koumlnnen wird Obwohl sie sich mitden restlichen Daten tagelang intensiv beschaumlftigt kann sie daraus keine ein-deutige Gegenstrategie ableiten Die Daten sprechen keine klare SpracheBeim Joggen am Wochenende kommt ihr ploumltzlich ein Gedanke Sie kann viel-leicht uumlber einen Bekannten bei einem Kundenunternehmen hilfreiche Infor-mationen bekommen Parallel wird sie versuchen weitere Brancheninformati-onen zu erhalten und mit Kollegen ihrer Abteilung eine Kreativrunde im Gruuml-nen veranstalten Vielleicht ergeben sich dabei neue Ideen fuumlr Ursachen undkonkrete Maszlignahmen

18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

20 1 Organisatorisches Wissensmanagement

bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 7: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

6 Geleitworte

Geleitworte

Wissen braucht Duumlnger Licht und Kommunikation

Das Zusammenspiel von Wissensmanagement Wissenstransfer und Wis-sennetzwerken zu orchestrieren ist eine der faszinierendsten Manage-mentaufgaben von heute Jene Unternehmen die besser als anderesicherstellen dass das aus praktischer Erfahrung entstandene Wissen fuumlrall jene im Unternehmen verfuumlgbar ist die es benoumltigen werden produk-tiver und erfolgreicher sein als andere Dieses Erfahrungswissen kannjedoch nur in Ausnahmefaumlllen wirtschaftlich rentabel schriftlich doku-mentiert und somit elektronisch zugreifbar gemacht werden in den meis-ten Faumlllen muumlssen wir akzeptieren dass dieses Wissen in den Koumlpfen derMitarbeiter steckt und nur uumlber diese Menschen zugaumlnglich ist

Moderne Dokumentenmanagementsysteme waumlren ausgereift genug umschriftlich dokumentiertes Wissen zugaumlnglich zu machen aber wir errei-che ich dass Mitarbeiter das Wissen in Ihren Koumlpfen effektiv austau-schen Die Erfahrung zeigt dass face-to-face also im persoumlnlichenGespraumlch dieses Wissen am ehesten ausgetauscht werden kann Wie abererreiche ich dass Mitarbeiter die global uumlber Standorte verteilt sind ihreErfahrungen teilen

Das ist der Grund warum soziale Netzwerke innerhalb von Unternehmenso an Bedeutung gewinnen Mitarbeiter werden durch ihre Aktivitaumlten imsozialen Netzwerk fuumlr jene sichtbar die das Wissen ebenso benoumltigen Ins-besondere die juumlngeren Mitarbeiter wachsen ja bereits als Digital Nativesim Internet mit sozialen Netzwerken auf Sie sind gewoumlhnt ihre Kommu-nikation auch fuumlr Unbekannte zu oumlffnen um durch Ihren Aktivitaumltsstrommit ihrer Kompetenz sichtbar und auffindbar zu werden Sie habengelernt dass sie dadurch fuumlr andere interessanter werden Sie haben auchgelernt wie man sein eigenes Netzwerke aufbaut und was passiert wennman zuviel Zeit oder zuwenig Zeit dafuumlr investiert

Die heutigen Web 20-Technologien im Enterprise 20 unterstuumltzenUnternehmen ihren Mitarbeitern ein Umfeld zu bieten in dem solchesoziale Netzwerke im Unternehmen entstehen koumlnnen Der zentrale Wis-sensmanager hat dann mehr die Rolle eines Gaumlrtners der ab und zu andie richtige Stelle etwas Duumlnger hinzufuumlgt und ab und zu ein paar ver-

Geleitworte 7

trocknete Blaumltter aus dem Wissensbaum des Unternehmens entfernt dieeigentliche Energie zum Aufbau des Wissensbaumes kommt ndash wie in derNatur ndash nicht vom Gaumlrtner sondern von dem gigantischen Wissens-Potenzial das in den Mitarbeitern schlummert Das Management hat diefeinsinnige Aufgabe die jungen frischen Zweiglein zur Sonne hinzuent-wickeln und zu tragenden Geschaumlftszweigen zu machen die dann auchdas Ernten von Fruumlchten ermoumlglicht Im Unternehmen nennt man dasdann Innovation

Diese in den letzten 10 Jahren aufgekommene und sich heute immerschneller verbreitende neue Form des Wissensmanagements ist sehr starkgekoppelt mit den Themen Cultural Change und Change Managementdie wiederum naumlher an Psychologie Soziologie und neuen Management-methoden liegen als beim klassischen Biblothekarswesen

Da Kulturwandel nicht einfach verordnet werden kann koumlnnen geschickteingesetzte Social Media Tools im Enterprise 20 als bdquoTraumlgersubstanzldquo fuumlreinen gezielten Kulturwandel in Unternehmen dienen wenn dieser Kul-turwandel sichtbar vom CEO unterstuumltzt und wirklich gewollt ist

Dieses Buch gibt einen sehr guten Uumlberblick uumlber das Wissensmanage-ment der 3 Generation und zeigt mit Praxisbeispielen aus fuumlhrendenUnternehmen wie Wissensmanagement heute erfolgreich umgesetztwerden kann Wer die Bedeutung des Managements von Wissen undInnovationen fuumlr die Zukunft von Unternehmen erkannt hat findet hiereine wertvolle Orientierungshilfe

Beim Lesen des Buches wuumlnsche ich Ihnen viele neue Erkenntnisse dieSie dann im eigenen Unternehmen umsetzen koumlnnen um das Potenzialdas in Ihren Mitarbeitern steckt voll zur Geltung kommen zu lassen

Univ-Doz Dipl-Ing Dr techn Michael Heiss Corporate Technology Siemens AG

Den Unternehmen fehlt die vierte organisatorische Dimension

Nichts ist so persoumlnlich und veraumlndert sich so dynamisch wie das Wisseneines Menschen Es gibt keine zwei Menschen die uumlber das gleiche Wis-sen verfuumlgen denn jeder von uns hat seine individuelle Erfahrungsbio-graphie

Diese Individualitaumlt von Wissen ist zugleich Reichtum und Hemmnis desZusammenlebens und -arbeitens Reichtum deswegen da die Vielfalt indi-

8 Geleitworte

vidueller Erfahrungen Quelle von Innovationen ist die aus der Vernet-zung des Wissens bei geeignetem bdquoInnovationsklimaldquo entstehen koumlnnen

Reichtum deswegen weil bei aller Individualitaumlt Wissen ein soziales Phauml-nomen ist das Wert aus der sozialen Interaktion der Reflektion und demkoordinierten gemeinsamen Handeln schoumlpft

Hemmnis deswegen weil Wissen auf der individuellen Interpretationvon Informationen aufbaut und damit nicht wie eine Tiefkuumlhlkost einge-lagert aufgetaut und verschoben werden kann Wissen im engeren Sinneist nicht transferierbar

Hemmnis auch deswegen weil Wissen und Nichtwissen mit Macht undOhnmacht mit Wollen und Duumlrfen mit Emotionen in sozialen Systemenuntrennbar verbunden sind

Nur wenn wir uns dessen bewusst sind wird es gelingen in Organisatio-nen realistische Erwartungen an das Management von Wissen zu stellenund geeignete Rahmenbedingungen zu gestalten die Wissen als individu-ellem und sozialem Phaumlnomen gerecht werden Dies erfordert jedochauch ein Uumlberdenken wie wir Organisationen aufbauen und Fuumlhrungleben

Im Allgemeinen konkurrieren und ergaumlnzen sich verschiedene Dimensio-nen der Aufbau- und Ablauforganisation Wissen ist in FachabteilungenProjekten und Geschaumlftsprozessen gebunden und wird dort meist nichtsystematisch aufbereitet geteilt und uumlber Grenzen von Organisationsein-heiten transferiert Aus vielen Gespraumlchen in Unternehmen scheint mirein tiefer liegender Grund fuumlr die Schwierigkeiten auf dem Weg zu einerwissensorientierten Unternehmensfuumlhrung ausschlaggebend Das Orga-nisationsverstaumlndnis Meine These lautet Unternehmen fehlt eine vierteorganisatorische Dimension ndash die Wissensorganisation ndash komplementaumlr zuhierarchischerfunktionaler Organisation (1 Dimension) Prozessorgani-sation (2 Dimension) und Projektorganisation (3Dimension) Alle dreigenannten Dimensionen sind schlecht geruumlstet Wissen mit einer uumlberdie kurzfristigen Geschaumlftsbeduumlrfnisse hinausgehenden Perspektive syste-matisch zu nutzen und zu generieren sowie Grenzen der Organisations-einheiten zu uumlberschreiten

Wir benoumltigen daher eine vierte komplementaumlre Dimension Die Wissen-sorganisation Sie schafft gemeinsame Kontexte ermoumlglicht fachuumlbergrei-fend Verstaumlndigung durch Bildung gemeinsamer Sprache foumlrdert diekompatible Problemloumlsungsfaumlhigkeit gestaltet Raum fuumlr Reflektion undInteraktionen von Menschen foumlrdert die physische und IT-Infrastruktursowie Medien zur Repraumlsentation und Kommunikation von Wissen unduumlbergreifende Lernprozesse

Geleitworte 9

Neben dem Organisationsverstaumlndnis muumlssen wir uns fragen ob unseraus der industriellen Produktion gepraumlgtes Fuumlhrungsverstaumlndnis in wis-sensintensiven Wertschoumlpfungsprozessen noch zielfuumlhrend ist Die Fuumlh-rung in Organisationen deren dominante Ressource Wissen ist kannvielmehr durch drei Kernsaumltze gekennzeichnet werden

Wissensorientierte Fuumlhrung ist in hohem Ausmaszlig Selbstfuumlhrung Jede Veraumln-derung in einer Organisation beginnt daher beim Erkennen und Veraumln-dern eigener mentaler Modelle

Wissensorientierte Fuumlhrung ist dezentrale Fuumlhrung Sie ist vielmehr eine aufallen Hierarchieebenen verteilte Fuumlhrung die sich an gemeinsamen Wert-vorstellungen orientiert

Wissensorientierte Fuumlhrung ist indirekte Fuumlhrung In Wissensorganisationenkann nicht mehr die inhaltliche Dimension der Strategie direkt gemanagtwerden sondern man muss sich auf den Strategieprozess und die Gestal-tung der kontextuellen Rahmenbedingungen konzentrieren um die best-moumlglichen Inhalte und damit auch die bestmoumlglichen Ergebnisse imSinne der strategischen Leistung erzielen zu koumlnnen

Durch Wissensmanagement bleiben Unternehmen auch in turbulentenZeiten zukunftsfaumlhig Dies macht das vorliegende Buch mit grundlegen-den Konzepten vielen Beispielen und Anregungen zur Entwicklung intel-ligenter Organisationen und Unternehmen deutlich Die Beitraumlge zeigendie Vielfalt der Moumlglichkeiten auf den Reichtum des Wissens in Organi-sationen und uumlber Organisationsgrenzen hinweg wertschoumlpfend nutzbarzu machen

Prof Dr Klaus North Hochschule RheinMain Autor von bdquoWissensorientierte Unternehmensfuumlhrungldquo und Ko-Autor von bdquoProduktive Wissensarbeit(er)ldquo

Eine nachhaltig wettbewerbsfaumlhige Volkswirtschaft braucht Wissensunternehmen

In den modernen Volkswirtschaften sind die Perspektiven gesellschaftli-cher und wirtschaftlicher Entwicklung eng mit der Wettbewerbs- undInnovationsfaumlhigkeit der einzelnen Unternehmen verknuumlpft Die Unter-nehmen liefern durch ihre Innovationskraft einen hohen Beitrag zumWohlstand und sichern damit ihre Stellung im globalen Umfeld DieKraft eines Unternehmens zur Innovation und auch zum Einsatz vonWissensmanagement ist heute ein maszliggeblicher Faktor fuumlr die Wettbe-

10 Geleitworte

werbsfaumlhigkeit einer Oumlkonomie Gerade fuumlr die stark industrialisiertenVolkswirtschaften kann der sich vollziehende Wandel zur Wissensgesell-schaft nur durch verstaumlrkte Bemuumlhungen im Bereich Wissensmanage-ment und durch dessen intensive Anwendung in allen betrieblichen Pro-zessen gelingen

Um die Wettbewerbsfaumlhigkeit der Unternehmen auch in Zukunft zugewaumlhrleisten und zu steigern sind wirtschaftspolitische Rahmenbedin-gungen zu schaffen die die Entstehung von Neuem beguumlnstigen und dieVerbreitung von Wissen nachhaltig foumlrdern Fuumlr die Unternehmen heiszligtdies die Chancen in einem solchen innovativen Umfeld gezielt wahr-zunehmen und eine wissensorientierte Kultur zu schaffen Diese frucht-bare Wissenskultur zeichnet sich auch durch die Bereitschaft aus sich mitfuumlhrenden Unternehmen zu messen und das Bestehende zu hinterfragenDies hilft Staumlrken und Schwaumlchen klar zu erkennen und erfolgreich inProzesse zu investieren um bei jeder unternehmerischen EntscheidungChancen und Risiken klar erkennen zu koumlnnen Denn letztlich sind esauch in der bdquoOld Economyldquo exzellente und hoch innovative Wissens-unternehmen die ndash wie z B die Boumlhler Uddeholm-Gruppe zeigt ndash durchihr kontinuierliches Streben nach Produktinnovation nach Erneuerungvon Verfahren und nach Kosteneinsparungen in allen Bereichen als Spit-zenreiter einer nachhaltig wettbewerbsfaumlhigen Volkswirtschaft fungierenkoumlnnen

Das von Herrn Dr Pircher herausgegebene Buch bietet fuumlr das mittlereund auch fuumlr das Top-Management sowohl in Profit- als auch Non-Profit-Organisationen eine hochaktuelle praxisorientierte Darstellung des Sta-tus quo von Wissensmanagement und wissensorientierter Unterneh-mensfuumlhrung im deutschen Sprachraum Das Buch ist daher fuumlr alle Per-sonen die an Fragestellungen und Loumlsungsansaumltzen zu wissensorientier-tem Management interessiert sind eine hervorragende Untersuchunganhand konkreter Fallbeispiele aus unterschiedlichen Organisationen

Dr Claus J Raidl Praumlsident der Oesterreichischen Nationalbank

Inhaltsverzeichnis 11

Inhaltsverzeichnis

Uumlberblick 13

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

Um welches Wissen geht es 17

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden 23

Einfuumlhrung von Wissensmanagement Schritt fuumlr Schritt 33

Methoden und Instrumente des organisatorischen Wissens-managements 51

Weiterfuumlhrende Literatur 58

2 Persoumlnliches Wissen und persoumlnliches Wissensmanagement 60

Wahrnehmung Wissen Handlungsmoumlglichkeiten 61

Was bedeutet persoumlnliches Wissensmanagement 81

Wie kann persoumlnliches Wissensmanagement umgesetzt werden 82

Operative Zielsetzungen 85

Weiterfuumlhrende Literatur 96

3 Aumlnderungsmanagement in einem wissensintensiven KMU 99

4 Entwicklung und Umsetzung einer Wissensstrategie 105

5 Marketingwissen schneller finden und vernetzen 117

6 Implementierung von Yellow Pages als Ausgangspunkt fuumlr eine unternehmensweite Wissenstraumlgerkarte in der Raiffeisen Informatik 127

7 Durch Storytelling implizites Projektwissen heben und weitergeben 139

8 Strukturierter Transfer von Erfahrungswissen zur kontinuierlichen Organisationsentwicklung Methodik in Theorie und Praxis 150

9 Mehrwert schaffen durch interorganisationale Wissensgemeinschaften 161

12 Inhaltsverzeichnis

10 Wissensmanagement powered by bdquoWikildquo die bdquoWiki-Landschaftldquo der reinisch AG 172

11 Enterprise 30 Uumlber die Rolle semantischer Technologien und interoperabler Metadaten 180

12 Einfuumlhrung einer Wissensbilanz in einem Profit-Center eines produzierenden Unternehmens 200

13 Soziale Netzwerkanalyse in Organisationen ndash versteckte Risiken und Potenziale erkennen 213

14 Optimierung von Global Leadership durch die Analyse sozialer Netzwerke 233

15 Teamarbeit in einem IT-Unternehmen ndash die Bedeutung computergestuumltzter sozialer Netzwerke fuumlr Kooperations-leistungen 243

16 Innovationsmanagement 252

17 Warum Innovation von innen heraus entstehen muss 265

18 Unterstuumltzung von Wissensarbeit und Open Innovation mittels Web 20 am Beispiel der Ideenplattform Neurovation 282

19 Open Innovation ndash Nutzung internen und externen Wissens fuumlr den Innovationsprozess 289

20 Ethik-Management als Instrument der nachhaltigen Wertschoumlpfung 301

Die Autorinnen und Autoren 308

Quellenverzeichnis 315

Stichwortverzeichnis 330

Uumlberblick 13

Uumlberblick

Daten und Informationen koumlnnen als Impulse von auszligen dazu fuumlhrendass im Inneren Verarbeitungsprozesse ausgeloumlst werden Diese Prozesseermoumlglichen den Aufbau von Vernetzungen und von inneren StrukturenDiese Strukturen wiederum bilden die Grundlage fuumlr Handlungen undEntscheidungen Je adaumlquater Handlungen und Entscheidungen auf dieUmwelt abgestimmt werden und je differenzierter und komplexer dasVerhalten deshalb gestaltet werden kann umso houmlher ist dessen Erfolgs-aussicht

Dieser Prozess findet laufend im Menschen statt indem sich durch Stimulidie Neuronen im Gehirn vernetzen Daten oder Informationen an sich bil-den noch keine Grundlage fuumlr zielfuumlhrende Handlungen ndash sie werdennoch nicht gewusst Erst vernetzte neuronale Strukturen stellen Erwar-tungshaltungen der Umwelt gegenuumlber dar und wirken sich damit auf dasVerhalten aus

Ein aumlhnlicher Prozess laumluft auch in Organisationen ab Zahlreiche Datenwerden erfasst gefiltert interpretiert und mit bestehendem Wissen in derOrganisation vernetzt Man leitet daraus Handlungen ab und baut ver-netzte organisatorische Wissenstrukturen auf Dazu gehoumlren beispielsweisegeteilte Vorstellungen zu den Wuumlnschen der Kunden den Strategien derLieferanten oder den Technologieentwicklungen der naumlchsten JahreDiese organisatorischen Erwartungshaltungen sind nicht unabhaumlngig von

Bild A Das Zusammenspiel von Lernen und sozialer Interaktion

14 Uumlberblick

Menschen bestehen aber meist weiter auch wenn Einzelpersonen wech-seln

Komplexe Faumlhigkeiten wie Schreiben Lesen Radfahren oder die Benut-zung einer Software lernen wir meist durch Versuch und Irrtum Direktoder indirekt erfolgt Wissenserwerb aber auch immer in der Interaktionmit anderen Menschen wie beim Unterricht bei stillschweigendemNachahmen oder durch andere Hilfestellung (schriftliche AnleitungHandbuch Frequently Asked Questions etc) die wiederum ein einzel-ner bdquoisolierterldquo Mensch ohne sozial konstruiertes Vorwissen nicht erstel-len koumlnnte Beim Aufbau von Wissensstrukturen handelt es sich somit inder Regel um das Zusammenspiel von mentalen bzw neuronalen und so-zialen Vernetzungsprozessen (vgl Bild A)

In zeitlicher Abfolge ergibt sich sowohl auf individueller als auch auf or-ganisatorischer Ebene ein Ablauf aus individuellem Wissensaufbau undsozialen Kontakten und Netzwerken (vgl Bild B) Die gezielte und strategi-sche Foumlrderung dieses Zusammenspiels individueller und sozialer Wissens- undVernetzungsprozesse bildet ein Kernthema des vorliegenden Buches

Besitzt die Organisation die Offenheit und ermoumlglichenden Rahmenbe-dingungen die jene Vernetzungen zulassen und foumlrdern die notwendigwaumlren um die Fragen von morgen wahrzunehmen und Antworten darauf zuentwickeln Erkennt sich die Organisation als Teil eines groumlszligeren sozialenund kausalen Netzwerks Ermoumlglicht die Organisation Vernetzungen mitUmwelt und Gesellschaft

Bild C bietet einen Uumlberblick zu den Inhalten des Buches in der Form derMetapher eines Baumes (vgl Fokusmetapher Kapitel 2) Den Kernprozes-sen des Wissensmanagements werden entsprechende Kapitel des Buches

Bild B Die Entwicklung neuronaler und sozialer Strukturen

Uumlberblick 15

zugeordnet Diese Zuordnung erfolgt nur exemplarisch weil sich die Ka-pitel meist auf mehrere Kernprozesse beziehen

Entscheidend fuumlr die Entwicklung und Produktivitaumlt des individuellenund organisatorischen Wissens sind die Rahmenbedingungen die Wissens-arbeiter in Organisationen vorfinden Ist das organisatorische bdquoKlimaldquo ndash z Bbezuumlglich Kommunikations- und Fehlerkultur ndash adaumlquat fuumlr die Ziele derOrganisation Die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen wird in Kapitel1 im Uumlberblick dargestellt und dabei auf die weiteren Kapitel des Buchesverwiesen Die Entwicklung einer Wissensstrategie mit Ableitung vonMaszlignahmen sowie die Messung und Steuerung des organisatorischenWissenskapitals sind Schwerpunkte der Kapitel 3 4 und 12

Das persoumlnliche Wissen bildet die Basis und den bdquoHumusldquo fuumlr jede sinn-volle Handlung in Organisationen Kapitel 2 thematisiert spezifische Ei-genschaften Herausforderungen und Methoden des Managements despersoumlnlichen Wissens Eine weitere Grundlage fuumlr die Entwicklung orga-nisatorischen Wissens sind Werte Vertrauensbasis und Kooperationskul-tur in der Organisation sowie in der Interaktion mit den Stakeholdernwas ein zentrales Thema des in Kapitel 20 skizzierten Ethik-Managementsdarstellt

Der Wissenserwerb mit den Schwerpunkten Semantic Web und Integra-tion organisationsexterner Personengruppen wird in den Kapiteln 9 1118 und 19 mit praktischen Beispielen thematisiert

Bild C Inhaltsverzeichnis in Form der Fokusmetapher bdquoBaumldquo (vgl Kapitel 2)

16 Uumlberblick

Die Kapitel 6 7 8 10 11 und 12 beleuchten unter anderem die Identifika-tion des in der Organisation vorhandenen Wissens Dies erfolgte beispiels-weise durch ein Verzeichnis des Wissens der Mitarbeiter die Dokumenta-tion von Lessons Learned aus einem Projekt und den strukturierten Wis-senstransfer zwischen Mitarbeitern bei Wechsel und Verlassen des Unter-nehmens

Die Repraumlsentation von Wissen spielt in heutigen Organisationen meist alsdicker Ast eine bedeutende Rolle dabei dass groszlige Fruumlchte entwickeltund bis zur Ernte getragen werden koumlnnen Kapitel 5 illustriert die Foumlrde-rung der Wissensrepraumlsentation durch die Erarbeitung von bdquoSpielregelnldquoin der Form eines ICK-Handbuchs (Information-Communication-Knowledge) Kapitel 10 beschreibt ein Fallbeispiel zum Aufbau einerWiki-Landschaft

Fuumlr ein dichtes Blaumltterwerk aus handlungsrelevantem Wissen besitzenKommunikation und Transfer von Wissen eine entscheidende Funktion Siebilden die Schwerpunktthemen der Kapitel 5 6 7 8 und 9 Beispielsweisewird hier der Aufbau einer organisationsuumlbergreifenden Wissensgemein-schaft zur Unterstuumltzung der Wissenskommunikation und Kundenbin-dung dargestellt

Wie oben skizziert wurde uumlben die sozialen Kontakte und Netzwerke einenwesentlichen Einfluss auf die Bildung von individuellem und organisato-rischem Wissen aus Kapitel 13 14 und 15 widmen sich deshalb der Me-thode der sozialen Netzwerkanalyse und zeigen auf wie damit soziale orga-nisatorische Strukturen jenseits der offiziellen Organigramme analysiertinterpretiert und daraus Maszlignahmen abgeleitet werden koumlnnen

Junge frische Wissenstriebe und Fruumlchte die freudige Abnehmer findenentstehen nur wenn die Rahmenbedingungen in der Organisation Wis-sensentwicklung und Innovation foumlrdern Kapitel 16 17 18 und 19 widmensich diesen Themen unter verschiedenen Gesichtspunkten

Die Verschiebung der Perspektive vom Shareholder- zum Stakeholderan-satz verdeutlicht dass es fuumlr Organisationen immer bedeutsamer wirdein breiteres Umfeld wahrzunehmen und in die internen Prozesse einzubindenDie Kapitel 9 18 19 und 20 schlieszligen derartige Aspekte ndash unter anderemunter dem Stichwort bdquoOpen Innovationldquo ndash ein

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

1 Organisatorisches Wissensmanagement

Richard Pircher

bdquoComing together is a beginning keeping together is progress working together is successldquo

Henry Ford

Um welches Wissen geht es

Fuumlr die Beantwortung der Fragen braucht Frau Muumlller einerseits Datendie sie aus den eigenen Systemen und aus extern bezogenen Studien undAnalysen erhaumllt Diese Daten muumlssen analysiert werden um festzustellenob daraus glaubwuumlrdige Schluumlsse fuumlr den Umsatzeinbruch abgeleitet wer-den koumlnnen Die langjaumlhrige Praxiserfahrung gibt Frau Muumlller das Gefuumlhlungefaumlhr beurteilen zu koumlnnen welche Erklaumlrungen plausibel sind Auf-grund ihrer Erfahrungen und uumlberlegten Vorgangsweise genieszligt ihre Mei-nung bei den Kollegen und der Geschaumlftsfuumlhrerin einen hohen Stellen-wert

Umsatzeinbruch Warum und was tun

Frau Muumlller hat 17 Jahre Erfahrung als Vertriebsleiterin eines Handelsunterneh-mens fuumlr Spezialmetallwaren Die Abnehmer sind Hersteller unterschiedlicherBranchen und Handwerkerbetriebe In den letzten zwei Quartalen sind dieUmsaumltze erstmals seit der Taumltigkeit von Frau Muumlller eingebrochen In zwei Wo-chen findet ein Treffen des Fuumlhrungsteams statt um die Situation zu analysie-ren und erste Maszlignahmen abzuleiten Frau Muumlller sammelt in Vorbereitungfuumlr diesen Termin systematisch Daten und analysiert diese Sie hat rasch be-merkt dass sie viele Daten ausfiltern muss weil sie die vorhandene Mengenicht in der verfuumlgbaren Zeit bearbeiten koumlnnen wird Obwohl sie sich mitden restlichen Daten tagelang intensiv beschaumlftigt kann sie daraus keine ein-deutige Gegenstrategie ableiten Die Daten sprechen keine klare SpracheBeim Joggen am Wochenende kommt ihr ploumltzlich ein Gedanke Sie kann viel-leicht uumlber einen Bekannten bei einem Kundenunternehmen hilfreiche Infor-mationen bekommen Parallel wird sie versuchen weitere Brancheninformati-onen zu erhalten und mit Kollegen ihrer Abteilung eine Kreativrunde im Gruuml-nen veranstalten Vielleicht ergeben sich dabei neue Ideen fuumlr Ursachen undkonkrete Maszlignahmen

18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

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vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

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bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

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Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

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Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

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Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

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tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 8: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

Geleitworte 7

trocknete Blaumltter aus dem Wissensbaum des Unternehmens entfernt dieeigentliche Energie zum Aufbau des Wissensbaumes kommt ndash wie in derNatur ndash nicht vom Gaumlrtner sondern von dem gigantischen Wissens-Potenzial das in den Mitarbeitern schlummert Das Management hat diefeinsinnige Aufgabe die jungen frischen Zweiglein zur Sonne hinzuent-wickeln und zu tragenden Geschaumlftszweigen zu machen die dann auchdas Ernten von Fruumlchten ermoumlglicht Im Unternehmen nennt man dasdann Innovation

Diese in den letzten 10 Jahren aufgekommene und sich heute immerschneller verbreitende neue Form des Wissensmanagements ist sehr starkgekoppelt mit den Themen Cultural Change und Change Managementdie wiederum naumlher an Psychologie Soziologie und neuen Management-methoden liegen als beim klassischen Biblothekarswesen

Da Kulturwandel nicht einfach verordnet werden kann koumlnnen geschickteingesetzte Social Media Tools im Enterprise 20 als bdquoTraumlgersubstanzldquo fuumlreinen gezielten Kulturwandel in Unternehmen dienen wenn dieser Kul-turwandel sichtbar vom CEO unterstuumltzt und wirklich gewollt ist

Dieses Buch gibt einen sehr guten Uumlberblick uumlber das Wissensmanage-ment der 3 Generation und zeigt mit Praxisbeispielen aus fuumlhrendenUnternehmen wie Wissensmanagement heute erfolgreich umgesetztwerden kann Wer die Bedeutung des Managements von Wissen undInnovationen fuumlr die Zukunft von Unternehmen erkannt hat findet hiereine wertvolle Orientierungshilfe

Beim Lesen des Buches wuumlnsche ich Ihnen viele neue Erkenntnisse dieSie dann im eigenen Unternehmen umsetzen koumlnnen um das Potenzialdas in Ihren Mitarbeitern steckt voll zur Geltung kommen zu lassen

Univ-Doz Dipl-Ing Dr techn Michael Heiss Corporate Technology Siemens AG

Den Unternehmen fehlt die vierte organisatorische Dimension

Nichts ist so persoumlnlich und veraumlndert sich so dynamisch wie das Wisseneines Menschen Es gibt keine zwei Menschen die uumlber das gleiche Wis-sen verfuumlgen denn jeder von uns hat seine individuelle Erfahrungsbio-graphie

Diese Individualitaumlt von Wissen ist zugleich Reichtum und Hemmnis desZusammenlebens und -arbeitens Reichtum deswegen da die Vielfalt indi-

8 Geleitworte

vidueller Erfahrungen Quelle von Innovationen ist die aus der Vernet-zung des Wissens bei geeignetem bdquoInnovationsklimaldquo entstehen koumlnnen

Reichtum deswegen weil bei aller Individualitaumlt Wissen ein soziales Phauml-nomen ist das Wert aus der sozialen Interaktion der Reflektion und demkoordinierten gemeinsamen Handeln schoumlpft

Hemmnis deswegen weil Wissen auf der individuellen Interpretationvon Informationen aufbaut und damit nicht wie eine Tiefkuumlhlkost einge-lagert aufgetaut und verschoben werden kann Wissen im engeren Sinneist nicht transferierbar

Hemmnis auch deswegen weil Wissen und Nichtwissen mit Macht undOhnmacht mit Wollen und Duumlrfen mit Emotionen in sozialen Systemenuntrennbar verbunden sind

Nur wenn wir uns dessen bewusst sind wird es gelingen in Organisatio-nen realistische Erwartungen an das Management von Wissen zu stellenund geeignete Rahmenbedingungen zu gestalten die Wissen als individu-ellem und sozialem Phaumlnomen gerecht werden Dies erfordert jedochauch ein Uumlberdenken wie wir Organisationen aufbauen und Fuumlhrungleben

Im Allgemeinen konkurrieren und ergaumlnzen sich verschiedene Dimensio-nen der Aufbau- und Ablauforganisation Wissen ist in FachabteilungenProjekten und Geschaumlftsprozessen gebunden und wird dort meist nichtsystematisch aufbereitet geteilt und uumlber Grenzen von Organisationsein-heiten transferiert Aus vielen Gespraumlchen in Unternehmen scheint mirein tiefer liegender Grund fuumlr die Schwierigkeiten auf dem Weg zu einerwissensorientierten Unternehmensfuumlhrung ausschlaggebend Das Orga-nisationsverstaumlndnis Meine These lautet Unternehmen fehlt eine vierteorganisatorische Dimension ndash die Wissensorganisation ndash komplementaumlr zuhierarchischerfunktionaler Organisation (1 Dimension) Prozessorgani-sation (2 Dimension) und Projektorganisation (3Dimension) Alle dreigenannten Dimensionen sind schlecht geruumlstet Wissen mit einer uumlberdie kurzfristigen Geschaumlftsbeduumlrfnisse hinausgehenden Perspektive syste-matisch zu nutzen und zu generieren sowie Grenzen der Organisations-einheiten zu uumlberschreiten

Wir benoumltigen daher eine vierte komplementaumlre Dimension Die Wissen-sorganisation Sie schafft gemeinsame Kontexte ermoumlglicht fachuumlbergrei-fend Verstaumlndigung durch Bildung gemeinsamer Sprache foumlrdert diekompatible Problemloumlsungsfaumlhigkeit gestaltet Raum fuumlr Reflektion undInteraktionen von Menschen foumlrdert die physische und IT-Infrastruktursowie Medien zur Repraumlsentation und Kommunikation von Wissen unduumlbergreifende Lernprozesse

Geleitworte 9

Neben dem Organisationsverstaumlndnis muumlssen wir uns fragen ob unseraus der industriellen Produktion gepraumlgtes Fuumlhrungsverstaumlndnis in wis-sensintensiven Wertschoumlpfungsprozessen noch zielfuumlhrend ist Die Fuumlh-rung in Organisationen deren dominante Ressource Wissen ist kannvielmehr durch drei Kernsaumltze gekennzeichnet werden

Wissensorientierte Fuumlhrung ist in hohem Ausmaszlig Selbstfuumlhrung Jede Veraumln-derung in einer Organisation beginnt daher beim Erkennen und Veraumln-dern eigener mentaler Modelle

Wissensorientierte Fuumlhrung ist dezentrale Fuumlhrung Sie ist vielmehr eine aufallen Hierarchieebenen verteilte Fuumlhrung die sich an gemeinsamen Wert-vorstellungen orientiert

Wissensorientierte Fuumlhrung ist indirekte Fuumlhrung In Wissensorganisationenkann nicht mehr die inhaltliche Dimension der Strategie direkt gemanagtwerden sondern man muss sich auf den Strategieprozess und die Gestal-tung der kontextuellen Rahmenbedingungen konzentrieren um die best-moumlglichen Inhalte und damit auch die bestmoumlglichen Ergebnisse imSinne der strategischen Leistung erzielen zu koumlnnen

Durch Wissensmanagement bleiben Unternehmen auch in turbulentenZeiten zukunftsfaumlhig Dies macht das vorliegende Buch mit grundlegen-den Konzepten vielen Beispielen und Anregungen zur Entwicklung intel-ligenter Organisationen und Unternehmen deutlich Die Beitraumlge zeigendie Vielfalt der Moumlglichkeiten auf den Reichtum des Wissens in Organi-sationen und uumlber Organisationsgrenzen hinweg wertschoumlpfend nutzbarzu machen

Prof Dr Klaus North Hochschule RheinMain Autor von bdquoWissensorientierte Unternehmensfuumlhrungldquo und Ko-Autor von bdquoProduktive Wissensarbeit(er)ldquo

Eine nachhaltig wettbewerbsfaumlhige Volkswirtschaft braucht Wissensunternehmen

In den modernen Volkswirtschaften sind die Perspektiven gesellschaftli-cher und wirtschaftlicher Entwicklung eng mit der Wettbewerbs- undInnovationsfaumlhigkeit der einzelnen Unternehmen verknuumlpft Die Unter-nehmen liefern durch ihre Innovationskraft einen hohen Beitrag zumWohlstand und sichern damit ihre Stellung im globalen Umfeld DieKraft eines Unternehmens zur Innovation und auch zum Einsatz vonWissensmanagement ist heute ein maszliggeblicher Faktor fuumlr die Wettbe-

10 Geleitworte

werbsfaumlhigkeit einer Oumlkonomie Gerade fuumlr die stark industrialisiertenVolkswirtschaften kann der sich vollziehende Wandel zur Wissensgesell-schaft nur durch verstaumlrkte Bemuumlhungen im Bereich Wissensmanage-ment und durch dessen intensive Anwendung in allen betrieblichen Pro-zessen gelingen

Um die Wettbewerbsfaumlhigkeit der Unternehmen auch in Zukunft zugewaumlhrleisten und zu steigern sind wirtschaftspolitische Rahmenbedin-gungen zu schaffen die die Entstehung von Neuem beguumlnstigen und dieVerbreitung von Wissen nachhaltig foumlrdern Fuumlr die Unternehmen heiszligtdies die Chancen in einem solchen innovativen Umfeld gezielt wahr-zunehmen und eine wissensorientierte Kultur zu schaffen Diese frucht-bare Wissenskultur zeichnet sich auch durch die Bereitschaft aus sich mitfuumlhrenden Unternehmen zu messen und das Bestehende zu hinterfragenDies hilft Staumlrken und Schwaumlchen klar zu erkennen und erfolgreich inProzesse zu investieren um bei jeder unternehmerischen EntscheidungChancen und Risiken klar erkennen zu koumlnnen Denn letztlich sind esauch in der bdquoOld Economyldquo exzellente und hoch innovative Wissens-unternehmen die ndash wie z B die Boumlhler Uddeholm-Gruppe zeigt ndash durchihr kontinuierliches Streben nach Produktinnovation nach Erneuerungvon Verfahren und nach Kosteneinsparungen in allen Bereichen als Spit-zenreiter einer nachhaltig wettbewerbsfaumlhigen Volkswirtschaft fungierenkoumlnnen

Das von Herrn Dr Pircher herausgegebene Buch bietet fuumlr das mittlereund auch fuumlr das Top-Management sowohl in Profit- als auch Non-Profit-Organisationen eine hochaktuelle praxisorientierte Darstellung des Sta-tus quo von Wissensmanagement und wissensorientierter Unterneh-mensfuumlhrung im deutschen Sprachraum Das Buch ist daher fuumlr alle Per-sonen die an Fragestellungen und Loumlsungsansaumltzen zu wissensorientier-tem Management interessiert sind eine hervorragende Untersuchunganhand konkreter Fallbeispiele aus unterschiedlichen Organisationen

Dr Claus J Raidl Praumlsident der Oesterreichischen Nationalbank

Inhaltsverzeichnis 11

Inhaltsverzeichnis

Uumlberblick 13

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

Um welches Wissen geht es 17

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden 23

Einfuumlhrung von Wissensmanagement Schritt fuumlr Schritt 33

Methoden und Instrumente des organisatorischen Wissens-managements 51

Weiterfuumlhrende Literatur 58

2 Persoumlnliches Wissen und persoumlnliches Wissensmanagement 60

Wahrnehmung Wissen Handlungsmoumlglichkeiten 61

Was bedeutet persoumlnliches Wissensmanagement 81

Wie kann persoumlnliches Wissensmanagement umgesetzt werden 82

Operative Zielsetzungen 85

Weiterfuumlhrende Literatur 96

3 Aumlnderungsmanagement in einem wissensintensiven KMU 99

4 Entwicklung und Umsetzung einer Wissensstrategie 105

5 Marketingwissen schneller finden und vernetzen 117

6 Implementierung von Yellow Pages als Ausgangspunkt fuumlr eine unternehmensweite Wissenstraumlgerkarte in der Raiffeisen Informatik 127

7 Durch Storytelling implizites Projektwissen heben und weitergeben 139

8 Strukturierter Transfer von Erfahrungswissen zur kontinuierlichen Organisationsentwicklung Methodik in Theorie und Praxis 150

9 Mehrwert schaffen durch interorganisationale Wissensgemeinschaften 161

12 Inhaltsverzeichnis

10 Wissensmanagement powered by bdquoWikildquo die bdquoWiki-Landschaftldquo der reinisch AG 172

11 Enterprise 30 Uumlber die Rolle semantischer Technologien und interoperabler Metadaten 180

12 Einfuumlhrung einer Wissensbilanz in einem Profit-Center eines produzierenden Unternehmens 200

13 Soziale Netzwerkanalyse in Organisationen ndash versteckte Risiken und Potenziale erkennen 213

14 Optimierung von Global Leadership durch die Analyse sozialer Netzwerke 233

15 Teamarbeit in einem IT-Unternehmen ndash die Bedeutung computergestuumltzter sozialer Netzwerke fuumlr Kooperations-leistungen 243

16 Innovationsmanagement 252

17 Warum Innovation von innen heraus entstehen muss 265

18 Unterstuumltzung von Wissensarbeit und Open Innovation mittels Web 20 am Beispiel der Ideenplattform Neurovation 282

19 Open Innovation ndash Nutzung internen und externen Wissens fuumlr den Innovationsprozess 289

20 Ethik-Management als Instrument der nachhaltigen Wertschoumlpfung 301

Die Autorinnen und Autoren 308

Quellenverzeichnis 315

Stichwortverzeichnis 330

Uumlberblick 13

Uumlberblick

Daten und Informationen koumlnnen als Impulse von auszligen dazu fuumlhrendass im Inneren Verarbeitungsprozesse ausgeloumlst werden Diese Prozesseermoumlglichen den Aufbau von Vernetzungen und von inneren StrukturenDiese Strukturen wiederum bilden die Grundlage fuumlr Handlungen undEntscheidungen Je adaumlquater Handlungen und Entscheidungen auf dieUmwelt abgestimmt werden und je differenzierter und komplexer dasVerhalten deshalb gestaltet werden kann umso houmlher ist dessen Erfolgs-aussicht

Dieser Prozess findet laufend im Menschen statt indem sich durch Stimulidie Neuronen im Gehirn vernetzen Daten oder Informationen an sich bil-den noch keine Grundlage fuumlr zielfuumlhrende Handlungen ndash sie werdennoch nicht gewusst Erst vernetzte neuronale Strukturen stellen Erwar-tungshaltungen der Umwelt gegenuumlber dar und wirken sich damit auf dasVerhalten aus

Ein aumlhnlicher Prozess laumluft auch in Organisationen ab Zahlreiche Datenwerden erfasst gefiltert interpretiert und mit bestehendem Wissen in derOrganisation vernetzt Man leitet daraus Handlungen ab und baut ver-netzte organisatorische Wissenstrukturen auf Dazu gehoumlren beispielsweisegeteilte Vorstellungen zu den Wuumlnschen der Kunden den Strategien derLieferanten oder den Technologieentwicklungen der naumlchsten JahreDiese organisatorischen Erwartungshaltungen sind nicht unabhaumlngig von

Bild A Das Zusammenspiel von Lernen und sozialer Interaktion

14 Uumlberblick

Menschen bestehen aber meist weiter auch wenn Einzelpersonen wech-seln

Komplexe Faumlhigkeiten wie Schreiben Lesen Radfahren oder die Benut-zung einer Software lernen wir meist durch Versuch und Irrtum Direktoder indirekt erfolgt Wissenserwerb aber auch immer in der Interaktionmit anderen Menschen wie beim Unterricht bei stillschweigendemNachahmen oder durch andere Hilfestellung (schriftliche AnleitungHandbuch Frequently Asked Questions etc) die wiederum ein einzel-ner bdquoisolierterldquo Mensch ohne sozial konstruiertes Vorwissen nicht erstel-len koumlnnte Beim Aufbau von Wissensstrukturen handelt es sich somit inder Regel um das Zusammenspiel von mentalen bzw neuronalen und so-zialen Vernetzungsprozessen (vgl Bild A)

In zeitlicher Abfolge ergibt sich sowohl auf individueller als auch auf or-ganisatorischer Ebene ein Ablauf aus individuellem Wissensaufbau undsozialen Kontakten und Netzwerken (vgl Bild B) Die gezielte und strategi-sche Foumlrderung dieses Zusammenspiels individueller und sozialer Wissens- undVernetzungsprozesse bildet ein Kernthema des vorliegenden Buches

Besitzt die Organisation die Offenheit und ermoumlglichenden Rahmenbe-dingungen die jene Vernetzungen zulassen und foumlrdern die notwendigwaumlren um die Fragen von morgen wahrzunehmen und Antworten darauf zuentwickeln Erkennt sich die Organisation als Teil eines groumlszligeren sozialenund kausalen Netzwerks Ermoumlglicht die Organisation Vernetzungen mitUmwelt und Gesellschaft

Bild C bietet einen Uumlberblick zu den Inhalten des Buches in der Form derMetapher eines Baumes (vgl Fokusmetapher Kapitel 2) Den Kernprozes-sen des Wissensmanagements werden entsprechende Kapitel des Buches

Bild B Die Entwicklung neuronaler und sozialer Strukturen

Uumlberblick 15

zugeordnet Diese Zuordnung erfolgt nur exemplarisch weil sich die Ka-pitel meist auf mehrere Kernprozesse beziehen

Entscheidend fuumlr die Entwicklung und Produktivitaumlt des individuellenund organisatorischen Wissens sind die Rahmenbedingungen die Wissens-arbeiter in Organisationen vorfinden Ist das organisatorische bdquoKlimaldquo ndash z Bbezuumlglich Kommunikations- und Fehlerkultur ndash adaumlquat fuumlr die Ziele derOrganisation Die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen wird in Kapitel1 im Uumlberblick dargestellt und dabei auf die weiteren Kapitel des Buchesverwiesen Die Entwicklung einer Wissensstrategie mit Ableitung vonMaszlignahmen sowie die Messung und Steuerung des organisatorischenWissenskapitals sind Schwerpunkte der Kapitel 3 4 und 12

Das persoumlnliche Wissen bildet die Basis und den bdquoHumusldquo fuumlr jede sinn-volle Handlung in Organisationen Kapitel 2 thematisiert spezifische Ei-genschaften Herausforderungen und Methoden des Managements despersoumlnlichen Wissens Eine weitere Grundlage fuumlr die Entwicklung orga-nisatorischen Wissens sind Werte Vertrauensbasis und Kooperationskul-tur in der Organisation sowie in der Interaktion mit den Stakeholdernwas ein zentrales Thema des in Kapitel 20 skizzierten Ethik-Managementsdarstellt

Der Wissenserwerb mit den Schwerpunkten Semantic Web und Integra-tion organisationsexterner Personengruppen wird in den Kapiteln 9 1118 und 19 mit praktischen Beispielen thematisiert

Bild C Inhaltsverzeichnis in Form der Fokusmetapher bdquoBaumldquo (vgl Kapitel 2)

16 Uumlberblick

Die Kapitel 6 7 8 10 11 und 12 beleuchten unter anderem die Identifika-tion des in der Organisation vorhandenen Wissens Dies erfolgte beispiels-weise durch ein Verzeichnis des Wissens der Mitarbeiter die Dokumenta-tion von Lessons Learned aus einem Projekt und den strukturierten Wis-senstransfer zwischen Mitarbeitern bei Wechsel und Verlassen des Unter-nehmens

Die Repraumlsentation von Wissen spielt in heutigen Organisationen meist alsdicker Ast eine bedeutende Rolle dabei dass groszlige Fruumlchte entwickeltund bis zur Ernte getragen werden koumlnnen Kapitel 5 illustriert die Foumlrde-rung der Wissensrepraumlsentation durch die Erarbeitung von bdquoSpielregelnldquoin der Form eines ICK-Handbuchs (Information-Communication-Knowledge) Kapitel 10 beschreibt ein Fallbeispiel zum Aufbau einerWiki-Landschaft

Fuumlr ein dichtes Blaumltterwerk aus handlungsrelevantem Wissen besitzenKommunikation und Transfer von Wissen eine entscheidende Funktion Siebilden die Schwerpunktthemen der Kapitel 5 6 7 8 und 9 Beispielsweisewird hier der Aufbau einer organisationsuumlbergreifenden Wissensgemein-schaft zur Unterstuumltzung der Wissenskommunikation und Kundenbin-dung dargestellt

Wie oben skizziert wurde uumlben die sozialen Kontakte und Netzwerke einenwesentlichen Einfluss auf die Bildung von individuellem und organisato-rischem Wissen aus Kapitel 13 14 und 15 widmen sich deshalb der Me-thode der sozialen Netzwerkanalyse und zeigen auf wie damit soziale orga-nisatorische Strukturen jenseits der offiziellen Organigramme analysiertinterpretiert und daraus Maszlignahmen abgeleitet werden koumlnnen

Junge frische Wissenstriebe und Fruumlchte die freudige Abnehmer findenentstehen nur wenn die Rahmenbedingungen in der Organisation Wis-sensentwicklung und Innovation foumlrdern Kapitel 16 17 18 und 19 widmensich diesen Themen unter verschiedenen Gesichtspunkten

Die Verschiebung der Perspektive vom Shareholder- zum Stakeholderan-satz verdeutlicht dass es fuumlr Organisationen immer bedeutsamer wirdein breiteres Umfeld wahrzunehmen und in die internen Prozesse einzubindenDie Kapitel 9 18 19 und 20 schlieszligen derartige Aspekte ndash unter anderemunter dem Stichwort bdquoOpen Innovationldquo ndash ein

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

1 Organisatorisches Wissensmanagement

Richard Pircher

bdquoComing together is a beginning keeping together is progress working together is successldquo

Henry Ford

Um welches Wissen geht es

Fuumlr die Beantwortung der Fragen braucht Frau Muumlller einerseits Datendie sie aus den eigenen Systemen und aus extern bezogenen Studien undAnalysen erhaumllt Diese Daten muumlssen analysiert werden um festzustellenob daraus glaubwuumlrdige Schluumlsse fuumlr den Umsatzeinbruch abgeleitet wer-den koumlnnen Die langjaumlhrige Praxiserfahrung gibt Frau Muumlller das Gefuumlhlungefaumlhr beurteilen zu koumlnnen welche Erklaumlrungen plausibel sind Auf-grund ihrer Erfahrungen und uumlberlegten Vorgangsweise genieszligt ihre Mei-nung bei den Kollegen und der Geschaumlftsfuumlhrerin einen hohen Stellen-wert

Umsatzeinbruch Warum und was tun

Frau Muumlller hat 17 Jahre Erfahrung als Vertriebsleiterin eines Handelsunterneh-mens fuumlr Spezialmetallwaren Die Abnehmer sind Hersteller unterschiedlicherBranchen und Handwerkerbetriebe In den letzten zwei Quartalen sind dieUmsaumltze erstmals seit der Taumltigkeit von Frau Muumlller eingebrochen In zwei Wo-chen findet ein Treffen des Fuumlhrungsteams statt um die Situation zu analysie-ren und erste Maszlignahmen abzuleiten Frau Muumlller sammelt in Vorbereitungfuumlr diesen Termin systematisch Daten und analysiert diese Sie hat rasch be-merkt dass sie viele Daten ausfiltern muss weil sie die vorhandene Mengenicht in der verfuumlgbaren Zeit bearbeiten koumlnnen wird Obwohl sie sich mitden restlichen Daten tagelang intensiv beschaumlftigt kann sie daraus keine ein-deutige Gegenstrategie ableiten Die Daten sprechen keine klare SpracheBeim Joggen am Wochenende kommt ihr ploumltzlich ein Gedanke Sie kann viel-leicht uumlber einen Bekannten bei einem Kundenunternehmen hilfreiche Infor-mationen bekommen Parallel wird sie versuchen weitere Brancheninformati-onen zu erhalten und mit Kollegen ihrer Abteilung eine Kreativrunde im Gruuml-nen veranstalten Vielleicht ergeben sich dabei neue Ideen fuumlr Ursachen undkonkrete Maszlignahmen

18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

20 1 Organisatorisches Wissensmanagement

bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 9: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

8 Geleitworte

vidueller Erfahrungen Quelle von Innovationen ist die aus der Vernet-zung des Wissens bei geeignetem bdquoInnovationsklimaldquo entstehen koumlnnen

Reichtum deswegen weil bei aller Individualitaumlt Wissen ein soziales Phauml-nomen ist das Wert aus der sozialen Interaktion der Reflektion und demkoordinierten gemeinsamen Handeln schoumlpft

Hemmnis deswegen weil Wissen auf der individuellen Interpretationvon Informationen aufbaut und damit nicht wie eine Tiefkuumlhlkost einge-lagert aufgetaut und verschoben werden kann Wissen im engeren Sinneist nicht transferierbar

Hemmnis auch deswegen weil Wissen und Nichtwissen mit Macht undOhnmacht mit Wollen und Duumlrfen mit Emotionen in sozialen Systemenuntrennbar verbunden sind

Nur wenn wir uns dessen bewusst sind wird es gelingen in Organisatio-nen realistische Erwartungen an das Management von Wissen zu stellenund geeignete Rahmenbedingungen zu gestalten die Wissen als individu-ellem und sozialem Phaumlnomen gerecht werden Dies erfordert jedochauch ein Uumlberdenken wie wir Organisationen aufbauen und Fuumlhrungleben

Im Allgemeinen konkurrieren und ergaumlnzen sich verschiedene Dimensio-nen der Aufbau- und Ablauforganisation Wissen ist in FachabteilungenProjekten und Geschaumlftsprozessen gebunden und wird dort meist nichtsystematisch aufbereitet geteilt und uumlber Grenzen von Organisationsein-heiten transferiert Aus vielen Gespraumlchen in Unternehmen scheint mirein tiefer liegender Grund fuumlr die Schwierigkeiten auf dem Weg zu einerwissensorientierten Unternehmensfuumlhrung ausschlaggebend Das Orga-nisationsverstaumlndnis Meine These lautet Unternehmen fehlt eine vierteorganisatorische Dimension ndash die Wissensorganisation ndash komplementaumlr zuhierarchischerfunktionaler Organisation (1 Dimension) Prozessorgani-sation (2 Dimension) und Projektorganisation (3Dimension) Alle dreigenannten Dimensionen sind schlecht geruumlstet Wissen mit einer uumlberdie kurzfristigen Geschaumlftsbeduumlrfnisse hinausgehenden Perspektive syste-matisch zu nutzen und zu generieren sowie Grenzen der Organisations-einheiten zu uumlberschreiten

Wir benoumltigen daher eine vierte komplementaumlre Dimension Die Wissen-sorganisation Sie schafft gemeinsame Kontexte ermoumlglicht fachuumlbergrei-fend Verstaumlndigung durch Bildung gemeinsamer Sprache foumlrdert diekompatible Problemloumlsungsfaumlhigkeit gestaltet Raum fuumlr Reflektion undInteraktionen von Menschen foumlrdert die physische und IT-Infrastruktursowie Medien zur Repraumlsentation und Kommunikation von Wissen unduumlbergreifende Lernprozesse

Geleitworte 9

Neben dem Organisationsverstaumlndnis muumlssen wir uns fragen ob unseraus der industriellen Produktion gepraumlgtes Fuumlhrungsverstaumlndnis in wis-sensintensiven Wertschoumlpfungsprozessen noch zielfuumlhrend ist Die Fuumlh-rung in Organisationen deren dominante Ressource Wissen ist kannvielmehr durch drei Kernsaumltze gekennzeichnet werden

Wissensorientierte Fuumlhrung ist in hohem Ausmaszlig Selbstfuumlhrung Jede Veraumln-derung in einer Organisation beginnt daher beim Erkennen und Veraumln-dern eigener mentaler Modelle

Wissensorientierte Fuumlhrung ist dezentrale Fuumlhrung Sie ist vielmehr eine aufallen Hierarchieebenen verteilte Fuumlhrung die sich an gemeinsamen Wert-vorstellungen orientiert

Wissensorientierte Fuumlhrung ist indirekte Fuumlhrung In Wissensorganisationenkann nicht mehr die inhaltliche Dimension der Strategie direkt gemanagtwerden sondern man muss sich auf den Strategieprozess und die Gestal-tung der kontextuellen Rahmenbedingungen konzentrieren um die best-moumlglichen Inhalte und damit auch die bestmoumlglichen Ergebnisse imSinne der strategischen Leistung erzielen zu koumlnnen

Durch Wissensmanagement bleiben Unternehmen auch in turbulentenZeiten zukunftsfaumlhig Dies macht das vorliegende Buch mit grundlegen-den Konzepten vielen Beispielen und Anregungen zur Entwicklung intel-ligenter Organisationen und Unternehmen deutlich Die Beitraumlge zeigendie Vielfalt der Moumlglichkeiten auf den Reichtum des Wissens in Organi-sationen und uumlber Organisationsgrenzen hinweg wertschoumlpfend nutzbarzu machen

Prof Dr Klaus North Hochschule RheinMain Autor von bdquoWissensorientierte Unternehmensfuumlhrungldquo und Ko-Autor von bdquoProduktive Wissensarbeit(er)ldquo

Eine nachhaltig wettbewerbsfaumlhige Volkswirtschaft braucht Wissensunternehmen

In den modernen Volkswirtschaften sind die Perspektiven gesellschaftli-cher und wirtschaftlicher Entwicklung eng mit der Wettbewerbs- undInnovationsfaumlhigkeit der einzelnen Unternehmen verknuumlpft Die Unter-nehmen liefern durch ihre Innovationskraft einen hohen Beitrag zumWohlstand und sichern damit ihre Stellung im globalen Umfeld DieKraft eines Unternehmens zur Innovation und auch zum Einsatz vonWissensmanagement ist heute ein maszliggeblicher Faktor fuumlr die Wettbe-

10 Geleitworte

werbsfaumlhigkeit einer Oumlkonomie Gerade fuumlr die stark industrialisiertenVolkswirtschaften kann der sich vollziehende Wandel zur Wissensgesell-schaft nur durch verstaumlrkte Bemuumlhungen im Bereich Wissensmanage-ment und durch dessen intensive Anwendung in allen betrieblichen Pro-zessen gelingen

Um die Wettbewerbsfaumlhigkeit der Unternehmen auch in Zukunft zugewaumlhrleisten und zu steigern sind wirtschaftspolitische Rahmenbedin-gungen zu schaffen die die Entstehung von Neuem beguumlnstigen und dieVerbreitung von Wissen nachhaltig foumlrdern Fuumlr die Unternehmen heiszligtdies die Chancen in einem solchen innovativen Umfeld gezielt wahr-zunehmen und eine wissensorientierte Kultur zu schaffen Diese frucht-bare Wissenskultur zeichnet sich auch durch die Bereitschaft aus sich mitfuumlhrenden Unternehmen zu messen und das Bestehende zu hinterfragenDies hilft Staumlrken und Schwaumlchen klar zu erkennen und erfolgreich inProzesse zu investieren um bei jeder unternehmerischen EntscheidungChancen und Risiken klar erkennen zu koumlnnen Denn letztlich sind esauch in der bdquoOld Economyldquo exzellente und hoch innovative Wissens-unternehmen die ndash wie z B die Boumlhler Uddeholm-Gruppe zeigt ndash durchihr kontinuierliches Streben nach Produktinnovation nach Erneuerungvon Verfahren und nach Kosteneinsparungen in allen Bereichen als Spit-zenreiter einer nachhaltig wettbewerbsfaumlhigen Volkswirtschaft fungierenkoumlnnen

Das von Herrn Dr Pircher herausgegebene Buch bietet fuumlr das mittlereund auch fuumlr das Top-Management sowohl in Profit- als auch Non-Profit-Organisationen eine hochaktuelle praxisorientierte Darstellung des Sta-tus quo von Wissensmanagement und wissensorientierter Unterneh-mensfuumlhrung im deutschen Sprachraum Das Buch ist daher fuumlr alle Per-sonen die an Fragestellungen und Loumlsungsansaumltzen zu wissensorientier-tem Management interessiert sind eine hervorragende Untersuchunganhand konkreter Fallbeispiele aus unterschiedlichen Organisationen

Dr Claus J Raidl Praumlsident der Oesterreichischen Nationalbank

Inhaltsverzeichnis 11

Inhaltsverzeichnis

Uumlberblick 13

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

Um welches Wissen geht es 17

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden 23

Einfuumlhrung von Wissensmanagement Schritt fuumlr Schritt 33

Methoden und Instrumente des organisatorischen Wissens-managements 51

Weiterfuumlhrende Literatur 58

2 Persoumlnliches Wissen und persoumlnliches Wissensmanagement 60

Wahrnehmung Wissen Handlungsmoumlglichkeiten 61

Was bedeutet persoumlnliches Wissensmanagement 81

Wie kann persoumlnliches Wissensmanagement umgesetzt werden 82

Operative Zielsetzungen 85

Weiterfuumlhrende Literatur 96

3 Aumlnderungsmanagement in einem wissensintensiven KMU 99

4 Entwicklung und Umsetzung einer Wissensstrategie 105

5 Marketingwissen schneller finden und vernetzen 117

6 Implementierung von Yellow Pages als Ausgangspunkt fuumlr eine unternehmensweite Wissenstraumlgerkarte in der Raiffeisen Informatik 127

7 Durch Storytelling implizites Projektwissen heben und weitergeben 139

8 Strukturierter Transfer von Erfahrungswissen zur kontinuierlichen Organisationsentwicklung Methodik in Theorie und Praxis 150

9 Mehrwert schaffen durch interorganisationale Wissensgemeinschaften 161

12 Inhaltsverzeichnis

10 Wissensmanagement powered by bdquoWikildquo die bdquoWiki-Landschaftldquo der reinisch AG 172

11 Enterprise 30 Uumlber die Rolle semantischer Technologien und interoperabler Metadaten 180

12 Einfuumlhrung einer Wissensbilanz in einem Profit-Center eines produzierenden Unternehmens 200

13 Soziale Netzwerkanalyse in Organisationen ndash versteckte Risiken und Potenziale erkennen 213

14 Optimierung von Global Leadership durch die Analyse sozialer Netzwerke 233

15 Teamarbeit in einem IT-Unternehmen ndash die Bedeutung computergestuumltzter sozialer Netzwerke fuumlr Kooperations-leistungen 243

16 Innovationsmanagement 252

17 Warum Innovation von innen heraus entstehen muss 265

18 Unterstuumltzung von Wissensarbeit und Open Innovation mittels Web 20 am Beispiel der Ideenplattform Neurovation 282

19 Open Innovation ndash Nutzung internen und externen Wissens fuumlr den Innovationsprozess 289

20 Ethik-Management als Instrument der nachhaltigen Wertschoumlpfung 301

Die Autorinnen und Autoren 308

Quellenverzeichnis 315

Stichwortverzeichnis 330

Uumlberblick 13

Uumlberblick

Daten und Informationen koumlnnen als Impulse von auszligen dazu fuumlhrendass im Inneren Verarbeitungsprozesse ausgeloumlst werden Diese Prozesseermoumlglichen den Aufbau von Vernetzungen und von inneren StrukturenDiese Strukturen wiederum bilden die Grundlage fuumlr Handlungen undEntscheidungen Je adaumlquater Handlungen und Entscheidungen auf dieUmwelt abgestimmt werden und je differenzierter und komplexer dasVerhalten deshalb gestaltet werden kann umso houmlher ist dessen Erfolgs-aussicht

Dieser Prozess findet laufend im Menschen statt indem sich durch Stimulidie Neuronen im Gehirn vernetzen Daten oder Informationen an sich bil-den noch keine Grundlage fuumlr zielfuumlhrende Handlungen ndash sie werdennoch nicht gewusst Erst vernetzte neuronale Strukturen stellen Erwar-tungshaltungen der Umwelt gegenuumlber dar und wirken sich damit auf dasVerhalten aus

Ein aumlhnlicher Prozess laumluft auch in Organisationen ab Zahlreiche Datenwerden erfasst gefiltert interpretiert und mit bestehendem Wissen in derOrganisation vernetzt Man leitet daraus Handlungen ab und baut ver-netzte organisatorische Wissenstrukturen auf Dazu gehoumlren beispielsweisegeteilte Vorstellungen zu den Wuumlnschen der Kunden den Strategien derLieferanten oder den Technologieentwicklungen der naumlchsten JahreDiese organisatorischen Erwartungshaltungen sind nicht unabhaumlngig von

Bild A Das Zusammenspiel von Lernen und sozialer Interaktion

14 Uumlberblick

Menschen bestehen aber meist weiter auch wenn Einzelpersonen wech-seln

Komplexe Faumlhigkeiten wie Schreiben Lesen Radfahren oder die Benut-zung einer Software lernen wir meist durch Versuch und Irrtum Direktoder indirekt erfolgt Wissenserwerb aber auch immer in der Interaktionmit anderen Menschen wie beim Unterricht bei stillschweigendemNachahmen oder durch andere Hilfestellung (schriftliche AnleitungHandbuch Frequently Asked Questions etc) die wiederum ein einzel-ner bdquoisolierterldquo Mensch ohne sozial konstruiertes Vorwissen nicht erstel-len koumlnnte Beim Aufbau von Wissensstrukturen handelt es sich somit inder Regel um das Zusammenspiel von mentalen bzw neuronalen und so-zialen Vernetzungsprozessen (vgl Bild A)

In zeitlicher Abfolge ergibt sich sowohl auf individueller als auch auf or-ganisatorischer Ebene ein Ablauf aus individuellem Wissensaufbau undsozialen Kontakten und Netzwerken (vgl Bild B) Die gezielte und strategi-sche Foumlrderung dieses Zusammenspiels individueller und sozialer Wissens- undVernetzungsprozesse bildet ein Kernthema des vorliegenden Buches

Besitzt die Organisation die Offenheit und ermoumlglichenden Rahmenbe-dingungen die jene Vernetzungen zulassen und foumlrdern die notwendigwaumlren um die Fragen von morgen wahrzunehmen und Antworten darauf zuentwickeln Erkennt sich die Organisation als Teil eines groumlszligeren sozialenund kausalen Netzwerks Ermoumlglicht die Organisation Vernetzungen mitUmwelt und Gesellschaft

Bild C bietet einen Uumlberblick zu den Inhalten des Buches in der Form derMetapher eines Baumes (vgl Fokusmetapher Kapitel 2) Den Kernprozes-sen des Wissensmanagements werden entsprechende Kapitel des Buches

Bild B Die Entwicklung neuronaler und sozialer Strukturen

Uumlberblick 15

zugeordnet Diese Zuordnung erfolgt nur exemplarisch weil sich die Ka-pitel meist auf mehrere Kernprozesse beziehen

Entscheidend fuumlr die Entwicklung und Produktivitaumlt des individuellenund organisatorischen Wissens sind die Rahmenbedingungen die Wissens-arbeiter in Organisationen vorfinden Ist das organisatorische bdquoKlimaldquo ndash z Bbezuumlglich Kommunikations- und Fehlerkultur ndash adaumlquat fuumlr die Ziele derOrganisation Die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen wird in Kapitel1 im Uumlberblick dargestellt und dabei auf die weiteren Kapitel des Buchesverwiesen Die Entwicklung einer Wissensstrategie mit Ableitung vonMaszlignahmen sowie die Messung und Steuerung des organisatorischenWissenskapitals sind Schwerpunkte der Kapitel 3 4 und 12

Das persoumlnliche Wissen bildet die Basis und den bdquoHumusldquo fuumlr jede sinn-volle Handlung in Organisationen Kapitel 2 thematisiert spezifische Ei-genschaften Herausforderungen und Methoden des Managements despersoumlnlichen Wissens Eine weitere Grundlage fuumlr die Entwicklung orga-nisatorischen Wissens sind Werte Vertrauensbasis und Kooperationskul-tur in der Organisation sowie in der Interaktion mit den Stakeholdernwas ein zentrales Thema des in Kapitel 20 skizzierten Ethik-Managementsdarstellt

Der Wissenserwerb mit den Schwerpunkten Semantic Web und Integra-tion organisationsexterner Personengruppen wird in den Kapiteln 9 1118 und 19 mit praktischen Beispielen thematisiert

Bild C Inhaltsverzeichnis in Form der Fokusmetapher bdquoBaumldquo (vgl Kapitel 2)

16 Uumlberblick

Die Kapitel 6 7 8 10 11 und 12 beleuchten unter anderem die Identifika-tion des in der Organisation vorhandenen Wissens Dies erfolgte beispiels-weise durch ein Verzeichnis des Wissens der Mitarbeiter die Dokumenta-tion von Lessons Learned aus einem Projekt und den strukturierten Wis-senstransfer zwischen Mitarbeitern bei Wechsel und Verlassen des Unter-nehmens

Die Repraumlsentation von Wissen spielt in heutigen Organisationen meist alsdicker Ast eine bedeutende Rolle dabei dass groszlige Fruumlchte entwickeltund bis zur Ernte getragen werden koumlnnen Kapitel 5 illustriert die Foumlrde-rung der Wissensrepraumlsentation durch die Erarbeitung von bdquoSpielregelnldquoin der Form eines ICK-Handbuchs (Information-Communication-Knowledge) Kapitel 10 beschreibt ein Fallbeispiel zum Aufbau einerWiki-Landschaft

Fuumlr ein dichtes Blaumltterwerk aus handlungsrelevantem Wissen besitzenKommunikation und Transfer von Wissen eine entscheidende Funktion Siebilden die Schwerpunktthemen der Kapitel 5 6 7 8 und 9 Beispielsweisewird hier der Aufbau einer organisationsuumlbergreifenden Wissensgemein-schaft zur Unterstuumltzung der Wissenskommunikation und Kundenbin-dung dargestellt

Wie oben skizziert wurde uumlben die sozialen Kontakte und Netzwerke einenwesentlichen Einfluss auf die Bildung von individuellem und organisato-rischem Wissen aus Kapitel 13 14 und 15 widmen sich deshalb der Me-thode der sozialen Netzwerkanalyse und zeigen auf wie damit soziale orga-nisatorische Strukturen jenseits der offiziellen Organigramme analysiertinterpretiert und daraus Maszlignahmen abgeleitet werden koumlnnen

Junge frische Wissenstriebe und Fruumlchte die freudige Abnehmer findenentstehen nur wenn die Rahmenbedingungen in der Organisation Wis-sensentwicklung und Innovation foumlrdern Kapitel 16 17 18 und 19 widmensich diesen Themen unter verschiedenen Gesichtspunkten

Die Verschiebung der Perspektive vom Shareholder- zum Stakeholderan-satz verdeutlicht dass es fuumlr Organisationen immer bedeutsamer wirdein breiteres Umfeld wahrzunehmen und in die internen Prozesse einzubindenDie Kapitel 9 18 19 und 20 schlieszligen derartige Aspekte ndash unter anderemunter dem Stichwort bdquoOpen Innovationldquo ndash ein

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

1 Organisatorisches Wissensmanagement

Richard Pircher

bdquoComing together is a beginning keeping together is progress working together is successldquo

Henry Ford

Um welches Wissen geht es

Fuumlr die Beantwortung der Fragen braucht Frau Muumlller einerseits Datendie sie aus den eigenen Systemen und aus extern bezogenen Studien undAnalysen erhaumllt Diese Daten muumlssen analysiert werden um festzustellenob daraus glaubwuumlrdige Schluumlsse fuumlr den Umsatzeinbruch abgeleitet wer-den koumlnnen Die langjaumlhrige Praxiserfahrung gibt Frau Muumlller das Gefuumlhlungefaumlhr beurteilen zu koumlnnen welche Erklaumlrungen plausibel sind Auf-grund ihrer Erfahrungen und uumlberlegten Vorgangsweise genieszligt ihre Mei-nung bei den Kollegen und der Geschaumlftsfuumlhrerin einen hohen Stellen-wert

Umsatzeinbruch Warum und was tun

Frau Muumlller hat 17 Jahre Erfahrung als Vertriebsleiterin eines Handelsunterneh-mens fuumlr Spezialmetallwaren Die Abnehmer sind Hersteller unterschiedlicherBranchen und Handwerkerbetriebe In den letzten zwei Quartalen sind dieUmsaumltze erstmals seit der Taumltigkeit von Frau Muumlller eingebrochen In zwei Wo-chen findet ein Treffen des Fuumlhrungsteams statt um die Situation zu analysie-ren und erste Maszlignahmen abzuleiten Frau Muumlller sammelt in Vorbereitungfuumlr diesen Termin systematisch Daten und analysiert diese Sie hat rasch be-merkt dass sie viele Daten ausfiltern muss weil sie die vorhandene Mengenicht in der verfuumlgbaren Zeit bearbeiten koumlnnen wird Obwohl sie sich mitden restlichen Daten tagelang intensiv beschaumlftigt kann sie daraus keine ein-deutige Gegenstrategie ableiten Die Daten sprechen keine klare SpracheBeim Joggen am Wochenende kommt ihr ploumltzlich ein Gedanke Sie kann viel-leicht uumlber einen Bekannten bei einem Kundenunternehmen hilfreiche Infor-mationen bekommen Parallel wird sie versuchen weitere Brancheninformati-onen zu erhalten und mit Kollegen ihrer Abteilung eine Kreativrunde im Gruuml-nen veranstalten Vielleicht ergeben sich dabei neue Ideen fuumlr Ursachen undkonkrete Maszlignahmen

18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

20 1 Organisatorisches Wissensmanagement

bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 10: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

Geleitworte 9

Neben dem Organisationsverstaumlndnis muumlssen wir uns fragen ob unseraus der industriellen Produktion gepraumlgtes Fuumlhrungsverstaumlndnis in wis-sensintensiven Wertschoumlpfungsprozessen noch zielfuumlhrend ist Die Fuumlh-rung in Organisationen deren dominante Ressource Wissen ist kannvielmehr durch drei Kernsaumltze gekennzeichnet werden

Wissensorientierte Fuumlhrung ist in hohem Ausmaszlig Selbstfuumlhrung Jede Veraumln-derung in einer Organisation beginnt daher beim Erkennen und Veraumln-dern eigener mentaler Modelle

Wissensorientierte Fuumlhrung ist dezentrale Fuumlhrung Sie ist vielmehr eine aufallen Hierarchieebenen verteilte Fuumlhrung die sich an gemeinsamen Wert-vorstellungen orientiert

Wissensorientierte Fuumlhrung ist indirekte Fuumlhrung In Wissensorganisationenkann nicht mehr die inhaltliche Dimension der Strategie direkt gemanagtwerden sondern man muss sich auf den Strategieprozess und die Gestal-tung der kontextuellen Rahmenbedingungen konzentrieren um die best-moumlglichen Inhalte und damit auch die bestmoumlglichen Ergebnisse imSinne der strategischen Leistung erzielen zu koumlnnen

Durch Wissensmanagement bleiben Unternehmen auch in turbulentenZeiten zukunftsfaumlhig Dies macht das vorliegende Buch mit grundlegen-den Konzepten vielen Beispielen und Anregungen zur Entwicklung intel-ligenter Organisationen und Unternehmen deutlich Die Beitraumlge zeigendie Vielfalt der Moumlglichkeiten auf den Reichtum des Wissens in Organi-sationen und uumlber Organisationsgrenzen hinweg wertschoumlpfend nutzbarzu machen

Prof Dr Klaus North Hochschule RheinMain Autor von bdquoWissensorientierte Unternehmensfuumlhrungldquo und Ko-Autor von bdquoProduktive Wissensarbeit(er)ldquo

Eine nachhaltig wettbewerbsfaumlhige Volkswirtschaft braucht Wissensunternehmen

In den modernen Volkswirtschaften sind die Perspektiven gesellschaftli-cher und wirtschaftlicher Entwicklung eng mit der Wettbewerbs- undInnovationsfaumlhigkeit der einzelnen Unternehmen verknuumlpft Die Unter-nehmen liefern durch ihre Innovationskraft einen hohen Beitrag zumWohlstand und sichern damit ihre Stellung im globalen Umfeld DieKraft eines Unternehmens zur Innovation und auch zum Einsatz vonWissensmanagement ist heute ein maszliggeblicher Faktor fuumlr die Wettbe-

10 Geleitworte

werbsfaumlhigkeit einer Oumlkonomie Gerade fuumlr die stark industrialisiertenVolkswirtschaften kann der sich vollziehende Wandel zur Wissensgesell-schaft nur durch verstaumlrkte Bemuumlhungen im Bereich Wissensmanage-ment und durch dessen intensive Anwendung in allen betrieblichen Pro-zessen gelingen

Um die Wettbewerbsfaumlhigkeit der Unternehmen auch in Zukunft zugewaumlhrleisten und zu steigern sind wirtschaftspolitische Rahmenbedin-gungen zu schaffen die die Entstehung von Neuem beguumlnstigen und dieVerbreitung von Wissen nachhaltig foumlrdern Fuumlr die Unternehmen heiszligtdies die Chancen in einem solchen innovativen Umfeld gezielt wahr-zunehmen und eine wissensorientierte Kultur zu schaffen Diese frucht-bare Wissenskultur zeichnet sich auch durch die Bereitschaft aus sich mitfuumlhrenden Unternehmen zu messen und das Bestehende zu hinterfragenDies hilft Staumlrken und Schwaumlchen klar zu erkennen und erfolgreich inProzesse zu investieren um bei jeder unternehmerischen EntscheidungChancen und Risiken klar erkennen zu koumlnnen Denn letztlich sind esauch in der bdquoOld Economyldquo exzellente und hoch innovative Wissens-unternehmen die ndash wie z B die Boumlhler Uddeholm-Gruppe zeigt ndash durchihr kontinuierliches Streben nach Produktinnovation nach Erneuerungvon Verfahren und nach Kosteneinsparungen in allen Bereichen als Spit-zenreiter einer nachhaltig wettbewerbsfaumlhigen Volkswirtschaft fungierenkoumlnnen

Das von Herrn Dr Pircher herausgegebene Buch bietet fuumlr das mittlereund auch fuumlr das Top-Management sowohl in Profit- als auch Non-Profit-Organisationen eine hochaktuelle praxisorientierte Darstellung des Sta-tus quo von Wissensmanagement und wissensorientierter Unterneh-mensfuumlhrung im deutschen Sprachraum Das Buch ist daher fuumlr alle Per-sonen die an Fragestellungen und Loumlsungsansaumltzen zu wissensorientier-tem Management interessiert sind eine hervorragende Untersuchunganhand konkreter Fallbeispiele aus unterschiedlichen Organisationen

Dr Claus J Raidl Praumlsident der Oesterreichischen Nationalbank

Inhaltsverzeichnis 11

Inhaltsverzeichnis

Uumlberblick 13

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

Um welches Wissen geht es 17

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden 23

Einfuumlhrung von Wissensmanagement Schritt fuumlr Schritt 33

Methoden und Instrumente des organisatorischen Wissens-managements 51

Weiterfuumlhrende Literatur 58

2 Persoumlnliches Wissen und persoumlnliches Wissensmanagement 60

Wahrnehmung Wissen Handlungsmoumlglichkeiten 61

Was bedeutet persoumlnliches Wissensmanagement 81

Wie kann persoumlnliches Wissensmanagement umgesetzt werden 82

Operative Zielsetzungen 85

Weiterfuumlhrende Literatur 96

3 Aumlnderungsmanagement in einem wissensintensiven KMU 99

4 Entwicklung und Umsetzung einer Wissensstrategie 105

5 Marketingwissen schneller finden und vernetzen 117

6 Implementierung von Yellow Pages als Ausgangspunkt fuumlr eine unternehmensweite Wissenstraumlgerkarte in der Raiffeisen Informatik 127

7 Durch Storytelling implizites Projektwissen heben und weitergeben 139

8 Strukturierter Transfer von Erfahrungswissen zur kontinuierlichen Organisationsentwicklung Methodik in Theorie und Praxis 150

9 Mehrwert schaffen durch interorganisationale Wissensgemeinschaften 161

12 Inhaltsverzeichnis

10 Wissensmanagement powered by bdquoWikildquo die bdquoWiki-Landschaftldquo der reinisch AG 172

11 Enterprise 30 Uumlber die Rolle semantischer Technologien und interoperabler Metadaten 180

12 Einfuumlhrung einer Wissensbilanz in einem Profit-Center eines produzierenden Unternehmens 200

13 Soziale Netzwerkanalyse in Organisationen ndash versteckte Risiken und Potenziale erkennen 213

14 Optimierung von Global Leadership durch die Analyse sozialer Netzwerke 233

15 Teamarbeit in einem IT-Unternehmen ndash die Bedeutung computergestuumltzter sozialer Netzwerke fuumlr Kooperations-leistungen 243

16 Innovationsmanagement 252

17 Warum Innovation von innen heraus entstehen muss 265

18 Unterstuumltzung von Wissensarbeit und Open Innovation mittels Web 20 am Beispiel der Ideenplattform Neurovation 282

19 Open Innovation ndash Nutzung internen und externen Wissens fuumlr den Innovationsprozess 289

20 Ethik-Management als Instrument der nachhaltigen Wertschoumlpfung 301

Die Autorinnen und Autoren 308

Quellenverzeichnis 315

Stichwortverzeichnis 330

Uumlberblick 13

Uumlberblick

Daten und Informationen koumlnnen als Impulse von auszligen dazu fuumlhrendass im Inneren Verarbeitungsprozesse ausgeloumlst werden Diese Prozesseermoumlglichen den Aufbau von Vernetzungen und von inneren StrukturenDiese Strukturen wiederum bilden die Grundlage fuumlr Handlungen undEntscheidungen Je adaumlquater Handlungen und Entscheidungen auf dieUmwelt abgestimmt werden und je differenzierter und komplexer dasVerhalten deshalb gestaltet werden kann umso houmlher ist dessen Erfolgs-aussicht

Dieser Prozess findet laufend im Menschen statt indem sich durch Stimulidie Neuronen im Gehirn vernetzen Daten oder Informationen an sich bil-den noch keine Grundlage fuumlr zielfuumlhrende Handlungen ndash sie werdennoch nicht gewusst Erst vernetzte neuronale Strukturen stellen Erwar-tungshaltungen der Umwelt gegenuumlber dar und wirken sich damit auf dasVerhalten aus

Ein aumlhnlicher Prozess laumluft auch in Organisationen ab Zahlreiche Datenwerden erfasst gefiltert interpretiert und mit bestehendem Wissen in derOrganisation vernetzt Man leitet daraus Handlungen ab und baut ver-netzte organisatorische Wissenstrukturen auf Dazu gehoumlren beispielsweisegeteilte Vorstellungen zu den Wuumlnschen der Kunden den Strategien derLieferanten oder den Technologieentwicklungen der naumlchsten JahreDiese organisatorischen Erwartungshaltungen sind nicht unabhaumlngig von

Bild A Das Zusammenspiel von Lernen und sozialer Interaktion

14 Uumlberblick

Menschen bestehen aber meist weiter auch wenn Einzelpersonen wech-seln

Komplexe Faumlhigkeiten wie Schreiben Lesen Radfahren oder die Benut-zung einer Software lernen wir meist durch Versuch und Irrtum Direktoder indirekt erfolgt Wissenserwerb aber auch immer in der Interaktionmit anderen Menschen wie beim Unterricht bei stillschweigendemNachahmen oder durch andere Hilfestellung (schriftliche AnleitungHandbuch Frequently Asked Questions etc) die wiederum ein einzel-ner bdquoisolierterldquo Mensch ohne sozial konstruiertes Vorwissen nicht erstel-len koumlnnte Beim Aufbau von Wissensstrukturen handelt es sich somit inder Regel um das Zusammenspiel von mentalen bzw neuronalen und so-zialen Vernetzungsprozessen (vgl Bild A)

In zeitlicher Abfolge ergibt sich sowohl auf individueller als auch auf or-ganisatorischer Ebene ein Ablauf aus individuellem Wissensaufbau undsozialen Kontakten und Netzwerken (vgl Bild B) Die gezielte und strategi-sche Foumlrderung dieses Zusammenspiels individueller und sozialer Wissens- undVernetzungsprozesse bildet ein Kernthema des vorliegenden Buches

Besitzt die Organisation die Offenheit und ermoumlglichenden Rahmenbe-dingungen die jene Vernetzungen zulassen und foumlrdern die notwendigwaumlren um die Fragen von morgen wahrzunehmen und Antworten darauf zuentwickeln Erkennt sich die Organisation als Teil eines groumlszligeren sozialenund kausalen Netzwerks Ermoumlglicht die Organisation Vernetzungen mitUmwelt und Gesellschaft

Bild C bietet einen Uumlberblick zu den Inhalten des Buches in der Form derMetapher eines Baumes (vgl Fokusmetapher Kapitel 2) Den Kernprozes-sen des Wissensmanagements werden entsprechende Kapitel des Buches

Bild B Die Entwicklung neuronaler und sozialer Strukturen

Uumlberblick 15

zugeordnet Diese Zuordnung erfolgt nur exemplarisch weil sich die Ka-pitel meist auf mehrere Kernprozesse beziehen

Entscheidend fuumlr die Entwicklung und Produktivitaumlt des individuellenund organisatorischen Wissens sind die Rahmenbedingungen die Wissens-arbeiter in Organisationen vorfinden Ist das organisatorische bdquoKlimaldquo ndash z Bbezuumlglich Kommunikations- und Fehlerkultur ndash adaumlquat fuumlr die Ziele derOrganisation Die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen wird in Kapitel1 im Uumlberblick dargestellt und dabei auf die weiteren Kapitel des Buchesverwiesen Die Entwicklung einer Wissensstrategie mit Ableitung vonMaszlignahmen sowie die Messung und Steuerung des organisatorischenWissenskapitals sind Schwerpunkte der Kapitel 3 4 und 12

Das persoumlnliche Wissen bildet die Basis und den bdquoHumusldquo fuumlr jede sinn-volle Handlung in Organisationen Kapitel 2 thematisiert spezifische Ei-genschaften Herausforderungen und Methoden des Managements despersoumlnlichen Wissens Eine weitere Grundlage fuumlr die Entwicklung orga-nisatorischen Wissens sind Werte Vertrauensbasis und Kooperationskul-tur in der Organisation sowie in der Interaktion mit den Stakeholdernwas ein zentrales Thema des in Kapitel 20 skizzierten Ethik-Managementsdarstellt

Der Wissenserwerb mit den Schwerpunkten Semantic Web und Integra-tion organisationsexterner Personengruppen wird in den Kapiteln 9 1118 und 19 mit praktischen Beispielen thematisiert

Bild C Inhaltsverzeichnis in Form der Fokusmetapher bdquoBaumldquo (vgl Kapitel 2)

16 Uumlberblick

Die Kapitel 6 7 8 10 11 und 12 beleuchten unter anderem die Identifika-tion des in der Organisation vorhandenen Wissens Dies erfolgte beispiels-weise durch ein Verzeichnis des Wissens der Mitarbeiter die Dokumenta-tion von Lessons Learned aus einem Projekt und den strukturierten Wis-senstransfer zwischen Mitarbeitern bei Wechsel und Verlassen des Unter-nehmens

Die Repraumlsentation von Wissen spielt in heutigen Organisationen meist alsdicker Ast eine bedeutende Rolle dabei dass groszlige Fruumlchte entwickeltund bis zur Ernte getragen werden koumlnnen Kapitel 5 illustriert die Foumlrde-rung der Wissensrepraumlsentation durch die Erarbeitung von bdquoSpielregelnldquoin der Form eines ICK-Handbuchs (Information-Communication-Knowledge) Kapitel 10 beschreibt ein Fallbeispiel zum Aufbau einerWiki-Landschaft

Fuumlr ein dichtes Blaumltterwerk aus handlungsrelevantem Wissen besitzenKommunikation und Transfer von Wissen eine entscheidende Funktion Siebilden die Schwerpunktthemen der Kapitel 5 6 7 8 und 9 Beispielsweisewird hier der Aufbau einer organisationsuumlbergreifenden Wissensgemein-schaft zur Unterstuumltzung der Wissenskommunikation und Kundenbin-dung dargestellt

Wie oben skizziert wurde uumlben die sozialen Kontakte und Netzwerke einenwesentlichen Einfluss auf die Bildung von individuellem und organisato-rischem Wissen aus Kapitel 13 14 und 15 widmen sich deshalb der Me-thode der sozialen Netzwerkanalyse und zeigen auf wie damit soziale orga-nisatorische Strukturen jenseits der offiziellen Organigramme analysiertinterpretiert und daraus Maszlignahmen abgeleitet werden koumlnnen

Junge frische Wissenstriebe und Fruumlchte die freudige Abnehmer findenentstehen nur wenn die Rahmenbedingungen in der Organisation Wis-sensentwicklung und Innovation foumlrdern Kapitel 16 17 18 und 19 widmensich diesen Themen unter verschiedenen Gesichtspunkten

Die Verschiebung der Perspektive vom Shareholder- zum Stakeholderan-satz verdeutlicht dass es fuumlr Organisationen immer bedeutsamer wirdein breiteres Umfeld wahrzunehmen und in die internen Prozesse einzubindenDie Kapitel 9 18 19 und 20 schlieszligen derartige Aspekte ndash unter anderemunter dem Stichwort bdquoOpen Innovationldquo ndash ein

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

1 Organisatorisches Wissensmanagement

Richard Pircher

bdquoComing together is a beginning keeping together is progress working together is successldquo

Henry Ford

Um welches Wissen geht es

Fuumlr die Beantwortung der Fragen braucht Frau Muumlller einerseits Datendie sie aus den eigenen Systemen und aus extern bezogenen Studien undAnalysen erhaumllt Diese Daten muumlssen analysiert werden um festzustellenob daraus glaubwuumlrdige Schluumlsse fuumlr den Umsatzeinbruch abgeleitet wer-den koumlnnen Die langjaumlhrige Praxiserfahrung gibt Frau Muumlller das Gefuumlhlungefaumlhr beurteilen zu koumlnnen welche Erklaumlrungen plausibel sind Auf-grund ihrer Erfahrungen und uumlberlegten Vorgangsweise genieszligt ihre Mei-nung bei den Kollegen und der Geschaumlftsfuumlhrerin einen hohen Stellen-wert

Umsatzeinbruch Warum und was tun

Frau Muumlller hat 17 Jahre Erfahrung als Vertriebsleiterin eines Handelsunterneh-mens fuumlr Spezialmetallwaren Die Abnehmer sind Hersteller unterschiedlicherBranchen und Handwerkerbetriebe In den letzten zwei Quartalen sind dieUmsaumltze erstmals seit der Taumltigkeit von Frau Muumlller eingebrochen In zwei Wo-chen findet ein Treffen des Fuumlhrungsteams statt um die Situation zu analysie-ren und erste Maszlignahmen abzuleiten Frau Muumlller sammelt in Vorbereitungfuumlr diesen Termin systematisch Daten und analysiert diese Sie hat rasch be-merkt dass sie viele Daten ausfiltern muss weil sie die vorhandene Mengenicht in der verfuumlgbaren Zeit bearbeiten koumlnnen wird Obwohl sie sich mitden restlichen Daten tagelang intensiv beschaumlftigt kann sie daraus keine ein-deutige Gegenstrategie ableiten Die Daten sprechen keine klare SpracheBeim Joggen am Wochenende kommt ihr ploumltzlich ein Gedanke Sie kann viel-leicht uumlber einen Bekannten bei einem Kundenunternehmen hilfreiche Infor-mationen bekommen Parallel wird sie versuchen weitere Brancheninformati-onen zu erhalten und mit Kollegen ihrer Abteilung eine Kreativrunde im Gruuml-nen veranstalten Vielleicht ergeben sich dabei neue Ideen fuumlr Ursachen undkonkrete Maszlignahmen

18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

20 1 Organisatorisches Wissensmanagement

bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 11: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

10 Geleitworte

werbsfaumlhigkeit einer Oumlkonomie Gerade fuumlr die stark industrialisiertenVolkswirtschaften kann der sich vollziehende Wandel zur Wissensgesell-schaft nur durch verstaumlrkte Bemuumlhungen im Bereich Wissensmanage-ment und durch dessen intensive Anwendung in allen betrieblichen Pro-zessen gelingen

Um die Wettbewerbsfaumlhigkeit der Unternehmen auch in Zukunft zugewaumlhrleisten und zu steigern sind wirtschaftspolitische Rahmenbedin-gungen zu schaffen die die Entstehung von Neuem beguumlnstigen und dieVerbreitung von Wissen nachhaltig foumlrdern Fuumlr die Unternehmen heiszligtdies die Chancen in einem solchen innovativen Umfeld gezielt wahr-zunehmen und eine wissensorientierte Kultur zu schaffen Diese frucht-bare Wissenskultur zeichnet sich auch durch die Bereitschaft aus sich mitfuumlhrenden Unternehmen zu messen und das Bestehende zu hinterfragenDies hilft Staumlrken und Schwaumlchen klar zu erkennen und erfolgreich inProzesse zu investieren um bei jeder unternehmerischen EntscheidungChancen und Risiken klar erkennen zu koumlnnen Denn letztlich sind esauch in der bdquoOld Economyldquo exzellente und hoch innovative Wissens-unternehmen die ndash wie z B die Boumlhler Uddeholm-Gruppe zeigt ndash durchihr kontinuierliches Streben nach Produktinnovation nach Erneuerungvon Verfahren und nach Kosteneinsparungen in allen Bereichen als Spit-zenreiter einer nachhaltig wettbewerbsfaumlhigen Volkswirtschaft fungierenkoumlnnen

Das von Herrn Dr Pircher herausgegebene Buch bietet fuumlr das mittlereund auch fuumlr das Top-Management sowohl in Profit- als auch Non-Profit-Organisationen eine hochaktuelle praxisorientierte Darstellung des Sta-tus quo von Wissensmanagement und wissensorientierter Unterneh-mensfuumlhrung im deutschen Sprachraum Das Buch ist daher fuumlr alle Per-sonen die an Fragestellungen und Loumlsungsansaumltzen zu wissensorientier-tem Management interessiert sind eine hervorragende Untersuchunganhand konkreter Fallbeispiele aus unterschiedlichen Organisationen

Dr Claus J Raidl Praumlsident der Oesterreichischen Nationalbank

Inhaltsverzeichnis 11

Inhaltsverzeichnis

Uumlberblick 13

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

Um welches Wissen geht es 17

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden 23

Einfuumlhrung von Wissensmanagement Schritt fuumlr Schritt 33

Methoden und Instrumente des organisatorischen Wissens-managements 51

Weiterfuumlhrende Literatur 58

2 Persoumlnliches Wissen und persoumlnliches Wissensmanagement 60

Wahrnehmung Wissen Handlungsmoumlglichkeiten 61

Was bedeutet persoumlnliches Wissensmanagement 81

Wie kann persoumlnliches Wissensmanagement umgesetzt werden 82

Operative Zielsetzungen 85

Weiterfuumlhrende Literatur 96

3 Aumlnderungsmanagement in einem wissensintensiven KMU 99

4 Entwicklung und Umsetzung einer Wissensstrategie 105

5 Marketingwissen schneller finden und vernetzen 117

6 Implementierung von Yellow Pages als Ausgangspunkt fuumlr eine unternehmensweite Wissenstraumlgerkarte in der Raiffeisen Informatik 127

7 Durch Storytelling implizites Projektwissen heben und weitergeben 139

8 Strukturierter Transfer von Erfahrungswissen zur kontinuierlichen Organisationsentwicklung Methodik in Theorie und Praxis 150

9 Mehrwert schaffen durch interorganisationale Wissensgemeinschaften 161

12 Inhaltsverzeichnis

10 Wissensmanagement powered by bdquoWikildquo die bdquoWiki-Landschaftldquo der reinisch AG 172

11 Enterprise 30 Uumlber die Rolle semantischer Technologien und interoperabler Metadaten 180

12 Einfuumlhrung einer Wissensbilanz in einem Profit-Center eines produzierenden Unternehmens 200

13 Soziale Netzwerkanalyse in Organisationen ndash versteckte Risiken und Potenziale erkennen 213

14 Optimierung von Global Leadership durch die Analyse sozialer Netzwerke 233

15 Teamarbeit in einem IT-Unternehmen ndash die Bedeutung computergestuumltzter sozialer Netzwerke fuumlr Kooperations-leistungen 243

16 Innovationsmanagement 252

17 Warum Innovation von innen heraus entstehen muss 265

18 Unterstuumltzung von Wissensarbeit und Open Innovation mittels Web 20 am Beispiel der Ideenplattform Neurovation 282

19 Open Innovation ndash Nutzung internen und externen Wissens fuumlr den Innovationsprozess 289

20 Ethik-Management als Instrument der nachhaltigen Wertschoumlpfung 301

Die Autorinnen und Autoren 308

Quellenverzeichnis 315

Stichwortverzeichnis 330

Uumlberblick 13

Uumlberblick

Daten und Informationen koumlnnen als Impulse von auszligen dazu fuumlhrendass im Inneren Verarbeitungsprozesse ausgeloumlst werden Diese Prozesseermoumlglichen den Aufbau von Vernetzungen und von inneren StrukturenDiese Strukturen wiederum bilden die Grundlage fuumlr Handlungen undEntscheidungen Je adaumlquater Handlungen und Entscheidungen auf dieUmwelt abgestimmt werden und je differenzierter und komplexer dasVerhalten deshalb gestaltet werden kann umso houmlher ist dessen Erfolgs-aussicht

Dieser Prozess findet laufend im Menschen statt indem sich durch Stimulidie Neuronen im Gehirn vernetzen Daten oder Informationen an sich bil-den noch keine Grundlage fuumlr zielfuumlhrende Handlungen ndash sie werdennoch nicht gewusst Erst vernetzte neuronale Strukturen stellen Erwar-tungshaltungen der Umwelt gegenuumlber dar und wirken sich damit auf dasVerhalten aus

Ein aumlhnlicher Prozess laumluft auch in Organisationen ab Zahlreiche Datenwerden erfasst gefiltert interpretiert und mit bestehendem Wissen in derOrganisation vernetzt Man leitet daraus Handlungen ab und baut ver-netzte organisatorische Wissenstrukturen auf Dazu gehoumlren beispielsweisegeteilte Vorstellungen zu den Wuumlnschen der Kunden den Strategien derLieferanten oder den Technologieentwicklungen der naumlchsten JahreDiese organisatorischen Erwartungshaltungen sind nicht unabhaumlngig von

Bild A Das Zusammenspiel von Lernen und sozialer Interaktion

14 Uumlberblick

Menschen bestehen aber meist weiter auch wenn Einzelpersonen wech-seln

Komplexe Faumlhigkeiten wie Schreiben Lesen Radfahren oder die Benut-zung einer Software lernen wir meist durch Versuch und Irrtum Direktoder indirekt erfolgt Wissenserwerb aber auch immer in der Interaktionmit anderen Menschen wie beim Unterricht bei stillschweigendemNachahmen oder durch andere Hilfestellung (schriftliche AnleitungHandbuch Frequently Asked Questions etc) die wiederum ein einzel-ner bdquoisolierterldquo Mensch ohne sozial konstruiertes Vorwissen nicht erstel-len koumlnnte Beim Aufbau von Wissensstrukturen handelt es sich somit inder Regel um das Zusammenspiel von mentalen bzw neuronalen und so-zialen Vernetzungsprozessen (vgl Bild A)

In zeitlicher Abfolge ergibt sich sowohl auf individueller als auch auf or-ganisatorischer Ebene ein Ablauf aus individuellem Wissensaufbau undsozialen Kontakten und Netzwerken (vgl Bild B) Die gezielte und strategi-sche Foumlrderung dieses Zusammenspiels individueller und sozialer Wissens- undVernetzungsprozesse bildet ein Kernthema des vorliegenden Buches

Besitzt die Organisation die Offenheit und ermoumlglichenden Rahmenbe-dingungen die jene Vernetzungen zulassen und foumlrdern die notwendigwaumlren um die Fragen von morgen wahrzunehmen und Antworten darauf zuentwickeln Erkennt sich die Organisation als Teil eines groumlszligeren sozialenund kausalen Netzwerks Ermoumlglicht die Organisation Vernetzungen mitUmwelt und Gesellschaft

Bild C bietet einen Uumlberblick zu den Inhalten des Buches in der Form derMetapher eines Baumes (vgl Fokusmetapher Kapitel 2) Den Kernprozes-sen des Wissensmanagements werden entsprechende Kapitel des Buches

Bild B Die Entwicklung neuronaler und sozialer Strukturen

Uumlberblick 15

zugeordnet Diese Zuordnung erfolgt nur exemplarisch weil sich die Ka-pitel meist auf mehrere Kernprozesse beziehen

Entscheidend fuumlr die Entwicklung und Produktivitaumlt des individuellenund organisatorischen Wissens sind die Rahmenbedingungen die Wissens-arbeiter in Organisationen vorfinden Ist das organisatorische bdquoKlimaldquo ndash z Bbezuumlglich Kommunikations- und Fehlerkultur ndash adaumlquat fuumlr die Ziele derOrganisation Die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen wird in Kapitel1 im Uumlberblick dargestellt und dabei auf die weiteren Kapitel des Buchesverwiesen Die Entwicklung einer Wissensstrategie mit Ableitung vonMaszlignahmen sowie die Messung und Steuerung des organisatorischenWissenskapitals sind Schwerpunkte der Kapitel 3 4 und 12

Das persoumlnliche Wissen bildet die Basis und den bdquoHumusldquo fuumlr jede sinn-volle Handlung in Organisationen Kapitel 2 thematisiert spezifische Ei-genschaften Herausforderungen und Methoden des Managements despersoumlnlichen Wissens Eine weitere Grundlage fuumlr die Entwicklung orga-nisatorischen Wissens sind Werte Vertrauensbasis und Kooperationskul-tur in der Organisation sowie in der Interaktion mit den Stakeholdernwas ein zentrales Thema des in Kapitel 20 skizzierten Ethik-Managementsdarstellt

Der Wissenserwerb mit den Schwerpunkten Semantic Web und Integra-tion organisationsexterner Personengruppen wird in den Kapiteln 9 1118 und 19 mit praktischen Beispielen thematisiert

Bild C Inhaltsverzeichnis in Form der Fokusmetapher bdquoBaumldquo (vgl Kapitel 2)

16 Uumlberblick

Die Kapitel 6 7 8 10 11 und 12 beleuchten unter anderem die Identifika-tion des in der Organisation vorhandenen Wissens Dies erfolgte beispiels-weise durch ein Verzeichnis des Wissens der Mitarbeiter die Dokumenta-tion von Lessons Learned aus einem Projekt und den strukturierten Wis-senstransfer zwischen Mitarbeitern bei Wechsel und Verlassen des Unter-nehmens

Die Repraumlsentation von Wissen spielt in heutigen Organisationen meist alsdicker Ast eine bedeutende Rolle dabei dass groszlige Fruumlchte entwickeltund bis zur Ernte getragen werden koumlnnen Kapitel 5 illustriert die Foumlrde-rung der Wissensrepraumlsentation durch die Erarbeitung von bdquoSpielregelnldquoin der Form eines ICK-Handbuchs (Information-Communication-Knowledge) Kapitel 10 beschreibt ein Fallbeispiel zum Aufbau einerWiki-Landschaft

Fuumlr ein dichtes Blaumltterwerk aus handlungsrelevantem Wissen besitzenKommunikation und Transfer von Wissen eine entscheidende Funktion Siebilden die Schwerpunktthemen der Kapitel 5 6 7 8 und 9 Beispielsweisewird hier der Aufbau einer organisationsuumlbergreifenden Wissensgemein-schaft zur Unterstuumltzung der Wissenskommunikation und Kundenbin-dung dargestellt

Wie oben skizziert wurde uumlben die sozialen Kontakte und Netzwerke einenwesentlichen Einfluss auf die Bildung von individuellem und organisato-rischem Wissen aus Kapitel 13 14 und 15 widmen sich deshalb der Me-thode der sozialen Netzwerkanalyse und zeigen auf wie damit soziale orga-nisatorische Strukturen jenseits der offiziellen Organigramme analysiertinterpretiert und daraus Maszlignahmen abgeleitet werden koumlnnen

Junge frische Wissenstriebe und Fruumlchte die freudige Abnehmer findenentstehen nur wenn die Rahmenbedingungen in der Organisation Wis-sensentwicklung und Innovation foumlrdern Kapitel 16 17 18 und 19 widmensich diesen Themen unter verschiedenen Gesichtspunkten

Die Verschiebung der Perspektive vom Shareholder- zum Stakeholderan-satz verdeutlicht dass es fuumlr Organisationen immer bedeutsamer wirdein breiteres Umfeld wahrzunehmen und in die internen Prozesse einzubindenDie Kapitel 9 18 19 und 20 schlieszligen derartige Aspekte ndash unter anderemunter dem Stichwort bdquoOpen Innovationldquo ndash ein

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

1 Organisatorisches Wissensmanagement

Richard Pircher

bdquoComing together is a beginning keeping together is progress working together is successldquo

Henry Ford

Um welches Wissen geht es

Fuumlr die Beantwortung der Fragen braucht Frau Muumlller einerseits Datendie sie aus den eigenen Systemen und aus extern bezogenen Studien undAnalysen erhaumllt Diese Daten muumlssen analysiert werden um festzustellenob daraus glaubwuumlrdige Schluumlsse fuumlr den Umsatzeinbruch abgeleitet wer-den koumlnnen Die langjaumlhrige Praxiserfahrung gibt Frau Muumlller das Gefuumlhlungefaumlhr beurteilen zu koumlnnen welche Erklaumlrungen plausibel sind Auf-grund ihrer Erfahrungen und uumlberlegten Vorgangsweise genieszligt ihre Mei-nung bei den Kollegen und der Geschaumlftsfuumlhrerin einen hohen Stellen-wert

Umsatzeinbruch Warum und was tun

Frau Muumlller hat 17 Jahre Erfahrung als Vertriebsleiterin eines Handelsunterneh-mens fuumlr Spezialmetallwaren Die Abnehmer sind Hersteller unterschiedlicherBranchen und Handwerkerbetriebe In den letzten zwei Quartalen sind dieUmsaumltze erstmals seit der Taumltigkeit von Frau Muumlller eingebrochen In zwei Wo-chen findet ein Treffen des Fuumlhrungsteams statt um die Situation zu analysie-ren und erste Maszlignahmen abzuleiten Frau Muumlller sammelt in Vorbereitungfuumlr diesen Termin systematisch Daten und analysiert diese Sie hat rasch be-merkt dass sie viele Daten ausfiltern muss weil sie die vorhandene Mengenicht in der verfuumlgbaren Zeit bearbeiten koumlnnen wird Obwohl sie sich mitden restlichen Daten tagelang intensiv beschaumlftigt kann sie daraus keine ein-deutige Gegenstrategie ableiten Die Daten sprechen keine klare SpracheBeim Joggen am Wochenende kommt ihr ploumltzlich ein Gedanke Sie kann viel-leicht uumlber einen Bekannten bei einem Kundenunternehmen hilfreiche Infor-mationen bekommen Parallel wird sie versuchen weitere Brancheninformati-onen zu erhalten und mit Kollegen ihrer Abteilung eine Kreativrunde im Gruuml-nen veranstalten Vielleicht ergeben sich dabei neue Ideen fuumlr Ursachen undkonkrete Maszlignahmen

18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

20 1 Organisatorisches Wissensmanagement

bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 12: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

Inhaltsverzeichnis 11

Inhaltsverzeichnis

Uumlberblick 13

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

Um welches Wissen geht es 17

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden 23

Einfuumlhrung von Wissensmanagement Schritt fuumlr Schritt 33

Methoden und Instrumente des organisatorischen Wissens-managements 51

Weiterfuumlhrende Literatur 58

2 Persoumlnliches Wissen und persoumlnliches Wissensmanagement 60

Wahrnehmung Wissen Handlungsmoumlglichkeiten 61

Was bedeutet persoumlnliches Wissensmanagement 81

Wie kann persoumlnliches Wissensmanagement umgesetzt werden 82

Operative Zielsetzungen 85

Weiterfuumlhrende Literatur 96

3 Aumlnderungsmanagement in einem wissensintensiven KMU 99

4 Entwicklung und Umsetzung einer Wissensstrategie 105

5 Marketingwissen schneller finden und vernetzen 117

6 Implementierung von Yellow Pages als Ausgangspunkt fuumlr eine unternehmensweite Wissenstraumlgerkarte in der Raiffeisen Informatik 127

7 Durch Storytelling implizites Projektwissen heben und weitergeben 139

8 Strukturierter Transfer von Erfahrungswissen zur kontinuierlichen Organisationsentwicklung Methodik in Theorie und Praxis 150

9 Mehrwert schaffen durch interorganisationale Wissensgemeinschaften 161

12 Inhaltsverzeichnis

10 Wissensmanagement powered by bdquoWikildquo die bdquoWiki-Landschaftldquo der reinisch AG 172

11 Enterprise 30 Uumlber die Rolle semantischer Technologien und interoperabler Metadaten 180

12 Einfuumlhrung einer Wissensbilanz in einem Profit-Center eines produzierenden Unternehmens 200

13 Soziale Netzwerkanalyse in Organisationen ndash versteckte Risiken und Potenziale erkennen 213

14 Optimierung von Global Leadership durch die Analyse sozialer Netzwerke 233

15 Teamarbeit in einem IT-Unternehmen ndash die Bedeutung computergestuumltzter sozialer Netzwerke fuumlr Kooperations-leistungen 243

16 Innovationsmanagement 252

17 Warum Innovation von innen heraus entstehen muss 265

18 Unterstuumltzung von Wissensarbeit und Open Innovation mittels Web 20 am Beispiel der Ideenplattform Neurovation 282

19 Open Innovation ndash Nutzung internen und externen Wissens fuumlr den Innovationsprozess 289

20 Ethik-Management als Instrument der nachhaltigen Wertschoumlpfung 301

Die Autorinnen und Autoren 308

Quellenverzeichnis 315

Stichwortverzeichnis 330

Uumlberblick 13

Uumlberblick

Daten und Informationen koumlnnen als Impulse von auszligen dazu fuumlhrendass im Inneren Verarbeitungsprozesse ausgeloumlst werden Diese Prozesseermoumlglichen den Aufbau von Vernetzungen und von inneren StrukturenDiese Strukturen wiederum bilden die Grundlage fuumlr Handlungen undEntscheidungen Je adaumlquater Handlungen und Entscheidungen auf dieUmwelt abgestimmt werden und je differenzierter und komplexer dasVerhalten deshalb gestaltet werden kann umso houmlher ist dessen Erfolgs-aussicht

Dieser Prozess findet laufend im Menschen statt indem sich durch Stimulidie Neuronen im Gehirn vernetzen Daten oder Informationen an sich bil-den noch keine Grundlage fuumlr zielfuumlhrende Handlungen ndash sie werdennoch nicht gewusst Erst vernetzte neuronale Strukturen stellen Erwar-tungshaltungen der Umwelt gegenuumlber dar und wirken sich damit auf dasVerhalten aus

Ein aumlhnlicher Prozess laumluft auch in Organisationen ab Zahlreiche Datenwerden erfasst gefiltert interpretiert und mit bestehendem Wissen in derOrganisation vernetzt Man leitet daraus Handlungen ab und baut ver-netzte organisatorische Wissenstrukturen auf Dazu gehoumlren beispielsweisegeteilte Vorstellungen zu den Wuumlnschen der Kunden den Strategien derLieferanten oder den Technologieentwicklungen der naumlchsten JahreDiese organisatorischen Erwartungshaltungen sind nicht unabhaumlngig von

Bild A Das Zusammenspiel von Lernen und sozialer Interaktion

14 Uumlberblick

Menschen bestehen aber meist weiter auch wenn Einzelpersonen wech-seln

Komplexe Faumlhigkeiten wie Schreiben Lesen Radfahren oder die Benut-zung einer Software lernen wir meist durch Versuch und Irrtum Direktoder indirekt erfolgt Wissenserwerb aber auch immer in der Interaktionmit anderen Menschen wie beim Unterricht bei stillschweigendemNachahmen oder durch andere Hilfestellung (schriftliche AnleitungHandbuch Frequently Asked Questions etc) die wiederum ein einzel-ner bdquoisolierterldquo Mensch ohne sozial konstruiertes Vorwissen nicht erstel-len koumlnnte Beim Aufbau von Wissensstrukturen handelt es sich somit inder Regel um das Zusammenspiel von mentalen bzw neuronalen und so-zialen Vernetzungsprozessen (vgl Bild A)

In zeitlicher Abfolge ergibt sich sowohl auf individueller als auch auf or-ganisatorischer Ebene ein Ablauf aus individuellem Wissensaufbau undsozialen Kontakten und Netzwerken (vgl Bild B) Die gezielte und strategi-sche Foumlrderung dieses Zusammenspiels individueller und sozialer Wissens- undVernetzungsprozesse bildet ein Kernthema des vorliegenden Buches

Besitzt die Organisation die Offenheit und ermoumlglichenden Rahmenbe-dingungen die jene Vernetzungen zulassen und foumlrdern die notwendigwaumlren um die Fragen von morgen wahrzunehmen und Antworten darauf zuentwickeln Erkennt sich die Organisation als Teil eines groumlszligeren sozialenund kausalen Netzwerks Ermoumlglicht die Organisation Vernetzungen mitUmwelt und Gesellschaft

Bild C bietet einen Uumlberblick zu den Inhalten des Buches in der Form derMetapher eines Baumes (vgl Fokusmetapher Kapitel 2) Den Kernprozes-sen des Wissensmanagements werden entsprechende Kapitel des Buches

Bild B Die Entwicklung neuronaler und sozialer Strukturen

Uumlberblick 15

zugeordnet Diese Zuordnung erfolgt nur exemplarisch weil sich die Ka-pitel meist auf mehrere Kernprozesse beziehen

Entscheidend fuumlr die Entwicklung und Produktivitaumlt des individuellenund organisatorischen Wissens sind die Rahmenbedingungen die Wissens-arbeiter in Organisationen vorfinden Ist das organisatorische bdquoKlimaldquo ndash z Bbezuumlglich Kommunikations- und Fehlerkultur ndash adaumlquat fuumlr die Ziele derOrganisation Die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen wird in Kapitel1 im Uumlberblick dargestellt und dabei auf die weiteren Kapitel des Buchesverwiesen Die Entwicklung einer Wissensstrategie mit Ableitung vonMaszlignahmen sowie die Messung und Steuerung des organisatorischenWissenskapitals sind Schwerpunkte der Kapitel 3 4 und 12

Das persoumlnliche Wissen bildet die Basis und den bdquoHumusldquo fuumlr jede sinn-volle Handlung in Organisationen Kapitel 2 thematisiert spezifische Ei-genschaften Herausforderungen und Methoden des Managements despersoumlnlichen Wissens Eine weitere Grundlage fuumlr die Entwicklung orga-nisatorischen Wissens sind Werte Vertrauensbasis und Kooperationskul-tur in der Organisation sowie in der Interaktion mit den Stakeholdernwas ein zentrales Thema des in Kapitel 20 skizzierten Ethik-Managementsdarstellt

Der Wissenserwerb mit den Schwerpunkten Semantic Web und Integra-tion organisationsexterner Personengruppen wird in den Kapiteln 9 1118 und 19 mit praktischen Beispielen thematisiert

Bild C Inhaltsverzeichnis in Form der Fokusmetapher bdquoBaumldquo (vgl Kapitel 2)

16 Uumlberblick

Die Kapitel 6 7 8 10 11 und 12 beleuchten unter anderem die Identifika-tion des in der Organisation vorhandenen Wissens Dies erfolgte beispiels-weise durch ein Verzeichnis des Wissens der Mitarbeiter die Dokumenta-tion von Lessons Learned aus einem Projekt und den strukturierten Wis-senstransfer zwischen Mitarbeitern bei Wechsel und Verlassen des Unter-nehmens

Die Repraumlsentation von Wissen spielt in heutigen Organisationen meist alsdicker Ast eine bedeutende Rolle dabei dass groszlige Fruumlchte entwickeltund bis zur Ernte getragen werden koumlnnen Kapitel 5 illustriert die Foumlrde-rung der Wissensrepraumlsentation durch die Erarbeitung von bdquoSpielregelnldquoin der Form eines ICK-Handbuchs (Information-Communication-Knowledge) Kapitel 10 beschreibt ein Fallbeispiel zum Aufbau einerWiki-Landschaft

Fuumlr ein dichtes Blaumltterwerk aus handlungsrelevantem Wissen besitzenKommunikation und Transfer von Wissen eine entscheidende Funktion Siebilden die Schwerpunktthemen der Kapitel 5 6 7 8 und 9 Beispielsweisewird hier der Aufbau einer organisationsuumlbergreifenden Wissensgemein-schaft zur Unterstuumltzung der Wissenskommunikation und Kundenbin-dung dargestellt

Wie oben skizziert wurde uumlben die sozialen Kontakte und Netzwerke einenwesentlichen Einfluss auf die Bildung von individuellem und organisato-rischem Wissen aus Kapitel 13 14 und 15 widmen sich deshalb der Me-thode der sozialen Netzwerkanalyse und zeigen auf wie damit soziale orga-nisatorische Strukturen jenseits der offiziellen Organigramme analysiertinterpretiert und daraus Maszlignahmen abgeleitet werden koumlnnen

Junge frische Wissenstriebe und Fruumlchte die freudige Abnehmer findenentstehen nur wenn die Rahmenbedingungen in der Organisation Wis-sensentwicklung und Innovation foumlrdern Kapitel 16 17 18 und 19 widmensich diesen Themen unter verschiedenen Gesichtspunkten

Die Verschiebung der Perspektive vom Shareholder- zum Stakeholderan-satz verdeutlicht dass es fuumlr Organisationen immer bedeutsamer wirdein breiteres Umfeld wahrzunehmen und in die internen Prozesse einzubindenDie Kapitel 9 18 19 und 20 schlieszligen derartige Aspekte ndash unter anderemunter dem Stichwort bdquoOpen Innovationldquo ndash ein

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

1 Organisatorisches Wissensmanagement

Richard Pircher

bdquoComing together is a beginning keeping together is progress working together is successldquo

Henry Ford

Um welches Wissen geht es

Fuumlr die Beantwortung der Fragen braucht Frau Muumlller einerseits Datendie sie aus den eigenen Systemen und aus extern bezogenen Studien undAnalysen erhaumllt Diese Daten muumlssen analysiert werden um festzustellenob daraus glaubwuumlrdige Schluumlsse fuumlr den Umsatzeinbruch abgeleitet wer-den koumlnnen Die langjaumlhrige Praxiserfahrung gibt Frau Muumlller das Gefuumlhlungefaumlhr beurteilen zu koumlnnen welche Erklaumlrungen plausibel sind Auf-grund ihrer Erfahrungen und uumlberlegten Vorgangsweise genieszligt ihre Mei-nung bei den Kollegen und der Geschaumlftsfuumlhrerin einen hohen Stellen-wert

Umsatzeinbruch Warum und was tun

Frau Muumlller hat 17 Jahre Erfahrung als Vertriebsleiterin eines Handelsunterneh-mens fuumlr Spezialmetallwaren Die Abnehmer sind Hersteller unterschiedlicherBranchen und Handwerkerbetriebe In den letzten zwei Quartalen sind dieUmsaumltze erstmals seit der Taumltigkeit von Frau Muumlller eingebrochen In zwei Wo-chen findet ein Treffen des Fuumlhrungsteams statt um die Situation zu analysie-ren und erste Maszlignahmen abzuleiten Frau Muumlller sammelt in Vorbereitungfuumlr diesen Termin systematisch Daten und analysiert diese Sie hat rasch be-merkt dass sie viele Daten ausfiltern muss weil sie die vorhandene Mengenicht in der verfuumlgbaren Zeit bearbeiten koumlnnen wird Obwohl sie sich mitden restlichen Daten tagelang intensiv beschaumlftigt kann sie daraus keine ein-deutige Gegenstrategie ableiten Die Daten sprechen keine klare SpracheBeim Joggen am Wochenende kommt ihr ploumltzlich ein Gedanke Sie kann viel-leicht uumlber einen Bekannten bei einem Kundenunternehmen hilfreiche Infor-mationen bekommen Parallel wird sie versuchen weitere Brancheninformati-onen zu erhalten und mit Kollegen ihrer Abteilung eine Kreativrunde im Gruuml-nen veranstalten Vielleicht ergeben sich dabei neue Ideen fuumlr Ursachen undkonkrete Maszlignahmen

18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

20 1 Organisatorisches Wissensmanagement

bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 13: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

12 Inhaltsverzeichnis

10 Wissensmanagement powered by bdquoWikildquo die bdquoWiki-Landschaftldquo der reinisch AG 172

11 Enterprise 30 Uumlber die Rolle semantischer Technologien und interoperabler Metadaten 180

12 Einfuumlhrung einer Wissensbilanz in einem Profit-Center eines produzierenden Unternehmens 200

13 Soziale Netzwerkanalyse in Organisationen ndash versteckte Risiken und Potenziale erkennen 213

14 Optimierung von Global Leadership durch die Analyse sozialer Netzwerke 233

15 Teamarbeit in einem IT-Unternehmen ndash die Bedeutung computergestuumltzter sozialer Netzwerke fuumlr Kooperations-leistungen 243

16 Innovationsmanagement 252

17 Warum Innovation von innen heraus entstehen muss 265

18 Unterstuumltzung von Wissensarbeit und Open Innovation mittels Web 20 am Beispiel der Ideenplattform Neurovation 282

19 Open Innovation ndash Nutzung internen und externen Wissens fuumlr den Innovationsprozess 289

20 Ethik-Management als Instrument der nachhaltigen Wertschoumlpfung 301

Die Autorinnen und Autoren 308

Quellenverzeichnis 315

Stichwortverzeichnis 330

Uumlberblick 13

Uumlberblick

Daten und Informationen koumlnnen als Impulse von auszligen dazu fuumlhrendass im Inneren Verarbeitungsprozesse ausgeloumlst werden Diese Prozesseermoumlglichen den Aufbau von Vernetzungen und von inneren StrukturenDiese Strukturen wiederum bilden die Grundlage fuumlr Handlungen undEntscheidungen Je adaumlquater Handlungen und Entscheidungen auf dieUmwelt abgestimmt werden und je differenzierter und komplexer dasVerhalten deshalb gestaltet werden kann umso houmlher ist dessen Erfolgs-aussicht

Dieser Prozess findet laufend im Menschen statt indem sich durch Stimulidie Neuronen im Gehirn vernetzen Daten oder Informationen an sich bil-den noch keine Grundlage fuumlr zielfuumlhrende Handlungen ndash sie werdennoch nicht gewusst Erst vernetzte neuronale Strukturen stellen Erwar-tungshaltungen der Umwelt gegenuumlber dar und wirken sich damit auf dasVerhalten aus

Ein aumlhnlicher Prozess laumluft auch in Organisationen ab Zahlreiche Datenwerden erfasst gefiltert interpretiert und mit bestehendem Wissen in derOrganisation vernetzt Man leitet daraus Handlungen ab und baut ver-netzte organisatorische Wissenstrukturen auf Dazu gehoumlren beispielsweisegeteilte Vorstellungen zu den Wuumlnschen der Kunden den Strategien derLieferanten oder den Technologieentwicklungen der naumlchsten JahreDiese organisatorischen Erwartungshaltungen sind nicht unabhaumlngig von

Bild A Das Zusammenspiel von Lernen und sozialer Interaktion

14 Uumlberblick

Menschen bestehen aber meist weiter auch wenn Einzelpersonen wech-seln

Komplexe Faumlhigkeiten wie Schreiben Lesen Radfahren oder die Benut-zung einer Software lernen wir meist durch Versuch und Irrtum Direktoder indirekt erfolgt Wissenserwerb aber auch immer in der Interaktionmit anderen Menschen wie beim Unterricht bei stillschweigendemNachahmen oder durch andere Hilfestellung (schriftliche AnleitungHandbuch Frequently Asked Questions etc) die wiederum ein einzel-ner bdquoisolierterldquo Mensch ohne sozial konstruiertes Vorwissen nicht erstel-len koumlnnte Beim Aufbau von Wissensstrukturen handelt es sich somit inder Regel um das Zusammenspiel von mentalen bzw neuronalen und so-zialen Vernetzungsprozessen (vgl Bild A)

In zeitlicher Abfolge ergibt sich sowohl auf individueller als auch auf or-ganisatorischer Ebene ein Ablauf aus individuellem Wissensaufbau undsozialen Kontakten und Netzwerken (vgl Bild B) Die gezielte und strategi-sche Foumlrderung dieses Zusammenspiels individueller und sozialer Wissens- undVernetzungsprozesse bildet ein Kernthema des vorliegenden Buches

Besitzt die Organisation die Offenheit und ermoumlglichenden Rahmenbe-dingungen die jene Vernetzungen zulassen und foumlrdern die notwendigwaumlren um die Fragen von morgen wahrzunehmen und Antworten darauf zuentwickeln Erkennt sich die Organisation als Teil eines groumlszligeren sozialenund kausalen Netzwerks Ermoumlglicht die Organisation Vernetzungen mitUmwelt und Gesellschaft

Bild C bietet einen Uumlberblick zu den Inhalten des Buches in der Form derMetapher eines Baumes (vgl Fokusmetapher Kapitel 2) Den Kernprozes-sen des Wissensmanagements werden entsprechende Kapitel des Buches

Bild B Die Entwicklung neuronaler und sozialer Strukturen

Uumlberblick 15

zugeordnet Diese Zuordnung erfolgt nur exemplarisch weil sich die Ka-pitel meist auf mehrere Kernprozesse beziehen

Entscheidend fuumlr die Entwicklung und Produktivitaumlt des individuellenund organisatorischen Wissens sind die Rahmenbedingungen die Wissens-arbeiter in Organisationen vorfinden Ist das organisatorische bdquoKlimaldquo ndash z Bbezuumlglich Kommunikations- und Fehlerkultur ndash adaumlquat fuumlr die Ziele derOrganisation Die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen wird in Kapitel1 im Uumlberblick dargestellt und dabei auf die weiteren Kapitel des Buchesverwiesen Die Entwicklung einer Wissensstrategie mit Ableitung vonMaszlignahmen sowie die Messung und Steuerung des organisatorischenWissenskapitals sind Schwerpunkte der Kapitel 3 4 und 12

Das persoumlnliche Wissen bildet die Basis und den bdquoHumusldquo fuumlr jede sinn-volle Handlung in Organisationen Kapitel 2 thematisiert spezifische Ei-genschaften Herausforderungen und Methoden des Managements despersoumlnlichen Wissens Eine weitere Grundlage fuumlr die Entwicklung orga-nisatorischen Wissens sind Werte Vertrauensbasis und Kooperationskul-tur in der Organisation sowie in der Interaktion mit den Stakeholdernwas ein zentrales Thema des in Kapitel 20 skizzierten Ethik-Managementsdarstellt

Der Wissenserwerb mit den Schwerpunkten Semantic Web und Integra-tion organisationsexterner Personengruppen wird in den Kapiteln 9 1118 und 19 mit praktischen Beispielen thematisiert

Bild C Inhaltsverzeichnis in Form der Fokusmetapher bdquoBaumldquo (vgl Kapitel 2)

16 Uumlberblick

Die Kapitel 6 7 8 10 11 und 12 beleuchten unter anderem die Identifika-tion des in der Organisation vorhandenen Wissens Dies erfolgte beispiels-weise durch ein Verzeichnis des Wissens der Mitarbeiter die Dokumenta-tion von Lessons Learned aus einem Projekt und den strukturierten Wis-senstransfer zwischen Mitarbeitern bei Wechsel und Verlassen des Unter-nehmens

Die Repraumlsentation von Wissen spielt in heutigen Organisationen meist alsdicker Ast eine bedeutende Rolle dabei dass groszlige Fruumlchte entwickeltund bis zur Ernte getragen werden koumlnnen Kapitel 5 illustriert die Foumlrde-rung der Wissensrepraumlsentation durch die Erarbeitung von bdquoSpielregelnldquoin der Form eines ICK-Handbuchs (Information-Communication-Knowledge) Kapitel 10 beschreibt ein Fallbeispiel zum Aufbau einerWiki-Landschaft

Fuumlr ein dichtes Blaumltterwerk aus handlungsrelevantem Wissen besitzenKommunikation und Transfer von Wissen eine entscheidende Funktion Siebilden die Schwerpunktthemen der Kapitel 5 6 7 8 und 9 Beispielsweisewird hier der Aufbau einer organisationsuumlbergreifenden Wissensgemein-schaft zur Unterstuumltzung der Wissenskommunikation und Kundenbin-dung dargestellt

Wie oben skizziert wurde uumlben die sozialen Kontakte und Netzwerke einenwesentlichen Einfluss auf die Bildung von individuellem und organisato-rischem Wissen aus Kapitel 13 14 und 15 widmen sich deshalb der Me-thode der sozialen Netzwerkanalyse und zeigen auf wie damit soziale orga-nisatorische Strukturen jenseits der offiziellen Organigramme analysiertinterpretiert und daraus Maszlignahmen abgeleitet werden koumlnnen

Junge frische Wissenstriebe und Fruumlchte die freudige Abnehmer findenentstehen nur wenn die Rahmenbedingungen in der Organisation Wis-sensentwicklung und Innovation foumlrdern Kapitel 16 17 18 und 19 widmensich diesen Themen unter verschiedenen Gesichtspunkten

Die Verschiebung der Perspektive vom Shareholder- zum Stakeholderan-satz verdeutlicht dass es fuumlr Organisationen immer bedeutsamer wirdein breiteres Umfeld wahrzunehmen und in die internen Prozesse einzubindenDie Kapitel 9 18 19 und 20 schlieszligen derartige Aspekte ndash unter anderemunter dem Stichwort bdquoOpen Innovationldquo ndash ein

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

1 Organisatorisches Wissensmanagement

Richard Pircher

bdquoComing together is a beginning keeping together is progress working together is successldquo

Henry Ford

Um welches Wissen geht es

Fuumlr die Beantwortung der Fragen braucht Frau Muumlller einerseits Datendie sie aus den eigenen Systemen und aus extern bezogenen Studien undAnalysen erhaumllt Diese Daten muumlssen analysiert werden um festzustellenob daraus glaubwuumlrdige Schluumlsse fuumlr den Umsatzeinbruch abgeleitet wer-den koumlnnen Die langjaumlhrige Praxiserfahrung gibt Frau Muumlller das Gefuumlhlungefaumlhr beurteilen zu koumlnnen welche Erklaumlrungen plausibel sind Auf-grund ihrer Erfahrungen und uumlberlegten Vorgangsweise genieszligt ihre Mei-nung bei den Kollegen und der Geschaumlftsfuumlhrerin einen hohen Stellen-wert

Umsatzeinbruch Warum und was tun

Frau Muumlller hat 17 Jahre Erfahrung als Vertriebsleiterin eines Handelsunterneh-mens fuumlr Spezialmetallwaren Die Abnehmer sind Hersteller unterschiedlicherBranchen und Handwerkerbetriebe In den letzten zwei Quartalen sind dieUmsaumltze erstmals seit der Taumltigkeit von Frau Muumlller eingebrochen In zwei Wo-chen findet ein Treffen des Fuumlhrungsteams statt um die Situation zu analysie-ren und erste Maszlignahmen abzuleiten Frau Muumlller sammelt in Vorbereitungfuumlr diesen Termin systematisch Daten und analysiert diese Sie hat rasch be-merkt dass sie viele Daten ausfiltern muss weil sie die vorhandene Mengenicht in der verfuumlgbaren Zeit bearbeiten koumlnnen wird Obwohl sie sich mitden restlichen Daten tagelang intensiv beschaumlftigt kann sie daraus keine ein-deutige Gegenstrategie ableiten Die Daten sprechen keine klare SpracheBeim Joggen am Wochenende kommt ihr ploumltzlich ein Gedanke Sie kann viel-leicht uumlber einen Bekannten bei einem Kundenunternehmen hilfreiche Infor-mationen bekommen Parallel wird sie versuchen weitere Brancheninformati-onen zu erhalten und mit Kollegen ihrer Abteilung eine Kreativrunde im Gruuml-nen veranstalten Vielleicht ergeben sich dabei neue Ideen fuumlr Ursachen undkonkrete Maszlignahmen

18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

20 1 Organisatorisches Wissensmanagement

bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 14: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

Uumlberblick 13

Uumlberblick

Daten und Informationen koumlnnen als Impulse von auszligen dazu fuumlhrendass im Inneren Verarbeitungsprozesse ausgeloumlst werden Diese Prozesseermoumlglichen den Aufbau von Vernetzungen und von inneren StrukturenDiese Strukturen wiederum bilden die Grundlage fuumlr Handlungen undEntscheidungen Je adaumlquater Handlungen und Entscheidungen auf dieUmwelt abgestimmt werden und je differenzierter und komplexer dasVerhalten deshalb gestaltet werden kann umso houmlher ist dessen Erfolgs-aussicht

Dieser Prozess findet laufend im Menschen statt indem sich durch Stimulidie Neuronen im Gehirn vernetzen Daten oder Informationen an sich bil-den noch keine Grundlage fuumlr zielfuumlhrende Handlungen ndash sie werdennoch nicht gewusst Erst vernetzte neuronale Strukturen stellen Erwar-tungshaltungen der Umwelt gegenuumlber dar und wirken sich damit auf dasVerhalten aus

Ein aumlhnlicher Prozess laumluft auch in Organisationen ab Zahlreiche Datenwerden erfasst gefiltert interpretiert und mit bestehendem Wissen in derOrganisation vernetzt Man leitet daraus Handlungen ab und baut ver-netzte organisatorische Wissenstrukturen auf Dazu gehoumlren beispielsweisegeteilte Vorstellungen zu den Wuumlnschen der Kunden den Strategien derLieferanten oder den Technologieentwicklungen der naumlchsten JahreDiese organisatorischen Erwartungshaltungen sind nicht unabhaumlngig von

Bild A Das Zusammenspiel von Lernen und sozialer Interaktion

14 Uumlberblick

Menschen bestehen aber meist weiter auch wenn Einzelpersonen wech-seln

Komplexe Faumlhigkeiten wie Schreiben Lesen Radfahren oder die Benut-zung einer Software lernen wir meist durch Versuch und Irrtum Direktoder indirekt erfolgt Wissenserwerb aber auch immer in der Interaktionmit anderen Menschen wie beim Unterricht bei stillschweigendemNachahmen oder durch andere Hilfestellung (schriftliche AnleitungHandbuch Frequently Asked Questions etc) die wiederum ein einzel-ner bdquoisolierterldquo Mensch ohne sozial konstruiertes Vorwissen nicht erstel-len koumlnnte Beim Aufbau von Wissensstrukturen handelt es sich somit inder Regel um das Zusammenspiel von mentalen bzw neuronalen und so-zialen Vernetzungsprozessen (vgl Bild A)

In zeitlicher Abfolge ergibt sich sowohl auf individueller als auch auf or-ganisatorischer Ebene ein Ablauf aus individuellem Wissensaufbau undsozialen Kontakten und Netzwerken (vgl Bild B) Die gezielte und strategi-sche Foumlrderung dieses Zusammenspiels individueller und sozialer Wissens- undVernetzungsprozesse bildet ein Kernthema des vorliegenden Buches

Besitzt die Organisation die Offenheit und ermoumlglichenden Rahmenbe-dingungen die jene Vernetzungen zulassen und foumlrdern die notwendigwaumlren um die Fragen von morgen wahrzunehmen und Antworten darauf zuentwickeln Erkennt sich die Organisation als Teil eines groumlszligeren sozialenund kausalen Netzwerks Ermoumlglicht die Organisation Vernetzungen mitUmwelt und Gesellschaft

Bild C bietet einen Uumlberblick zu den Inhalten des Buches in der Form derMetapher eines Baumes (vgl Fokusmetapher Kapitel 2) Den Kernprozes-sen des Wissensmanagements werden entsprechende Kapitel des Buches

Bild B Die Entwicklung neuronaler und sozialer Strukturen

Uumlberblick 15

zugeordnet Diese Zuordnung erfolgt nur exemplarisch weil sich die Ka-pitel meist auf mehrere Kernprozesse beziehen

Entscheidend fuumlr die Entwicklung und Produktivitaumlt des individuellenund organisatorischen Wissens sind die Rahmenbedingungen die Wissens-arbeiter in Organisationen vorfinden Ist das organisatorische bdquoKlimaldquo ndash z Bbezuumlglich Kommunikations- und Fehlerkultur ndash adaumlquat fuumlr die Ziele derOrganisation Die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen wird in Kapitel1 im Uumlberblick dargestellt und dabei auf die weiteren Kapitel des Buchesverwiesen Die Entwicklung einer Wissensstrategie mit Ableitung vonMaszlignahmen sowie die Messung und Steuerung des organisatorischenWissenskapitals sind Schwerpunkte der Kapitel 3 4 und 12

Das persoumlnliche Wissen bildet die Basis und den bdquoHumusldquo fuumlr jede sinn-volle Handlung in Organisationen Kapitel 2 thematisiert spezifische Ei-genschaften Herausforderungen und Methoden des Managements despersoumlnlichen Wissens Eine weitere Grundlage fuumlr die Entwicklung orga-nisatorischen Wissens sind Werte Vertrauensbasis und Kooperationskul-tur in der Organisation sowie in der Interaktion mit den Stakeholdernwas ein zentrales Thema des in Kapitel 20 skizzierten Ethik-Managementsdarstellt

Der Wissenserwerb mit den Schwerpunkten Semantic Web und Integra-tion organisationsexterner Personengruppen wird in den Kapiteln 9 1118 und 19 mit praktischen Beispielen thematisiert

Bild C Inhaltsverzeichnis in Form der Fokusmetapher bdquoBaumldquo (vgl Kapitel 2)

16 Uumlberblick

Die Kapitel 6 7 8 10 11 und 12 beleuchten unter anderem die Identifika-tion des in der Organisation vorhandenen Wissens Dies erfolgte beispiels-weise durch ein Verzeichnis des Wissens der Mitarbeiter die Dokumenta-tion von Lessons Learned aus einem Projekt und den strukturierten Wis-senstransfer zwischen Mitarbeitern bei Wechsel und Verlassen des Unter-nehmens

Die Repraumlsentation von Wissen spielt in heutigen Organisationen meist alsdicker Ast eine bedeutende Rolle dabei dass groszlige Fruumlchte entwickeltund bis zur Ernte getragen werden koumlnnen Kapitel 5 illustriert die Foumlrde-rung der Wissensrepraumlsentation durch die Erarbeitung von bdquoSpielregelnldquoin der Form eines ICK-Handbuchs (Information-Communication-Knowledge) Kapitel 10 beschreibt ein Fallbeispiel zum Aufbau einerWiki-Landschaft

Fuumlr ein dichtes Blaumltterwerk aus handlungsrelevantem Wissen besitzenKommunikation und Transfer von Wissen eine entscheidende Funktion Siebilden die Schwerpunktthemen der Kapitel 5 6 7 8 und 9 Beispielsweisewird hier der Aufbau einer organisationsuumlbergreifenden Wissensgemein-schaft zur Unterstuumltzung der Wissenskommunikation und Kundenbin-dung dargestellt

Wie oben skizziert wurde uumlben die sozialen Kontakte und Netzwerke einenwesentlichen Einfluss auf die Bildung von individuellem und organisato-rischem Wissen aus Kapitel 13 14 und 15 widmen sich deshalb der Me-thode der sozialen Netzwerkanalyse und zeigen auf wie damit soziale orga-nisatorische Strukturen jenseits der offiziellen Organigramme analysiertinterpretiert und daraus Maszlignahmen abgeleitet werden koumlnnen

Junge frische Wissenstriebe und Fruumlchte die freudige Abnehmer findenentstehen nur wenn die Rahmenbedingungen in der Organisation Wis-sensentwicklung und Innovation foumlrdern Kapitel 16 17 18 und 19 widmensich diesen Themen unter verschiedenen Gesichtspunkten

Die Verschiebung der Perspektive vom Shareholder- zum Stakeholderan-satz verdeutlicht dass es fuumlr Organisationen immer bedeutsamer wirdein breiteres Umfeld wahrzunehmen und in die internen Prozesse einzubindenDie Kapitel 9 18 19 und 20 schlieszligen derartige Aspekte ndash unter anderemunter dem Stichwort bdquoOpen Innovationldquo ndash ein

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

1 Organisatorisches Wissensmanagement

Richard Pircher

bdquoComing together is a beginning keeping together is progress working together is successldquo

Henry Ford

Um welches Wissen geht es

Fuumlr die Beantwortung der Fragen braucht Frau Muumlller einerseits Datendie sie aus den eigenen Systemen und aus extern bezogenen Studien undAnalysen erhaumllt Diese Daten muumlssen analysiert werden um festzustellenob daraus glaubwuumlrdige Schluumlsse fuumlr den Umsatzeinbruch abgeleitet wer-den koumlnnen Die langjaumlhrige Praxiserfahrung gibt Frau Muumlller das Gefuumlhlungefaumlhr beurteilen zu koumlnnen welche Erklaumlrungen plausibel sind Auf-grund ihrer Erfahrungen und uumlberlegten Vorgangsweise genieszligt ihre Mei-nung bei den Kollegen und der Geschaumlftsfuumlhrerin einen hohen Stellen-wert

Umsatzeinbruch Warum und was tun

Frau Muumlller hat 17 Jahre Erfahrung als Vertriebsleiterin eines Handelsunterneh-mens fuumlr Spezialmetallwaren Die Abnehmer sind Hersteller unterschiedlicherBranchen und Handwerkerbetriebe In den letzten zwei Quartalen sind dieUmsaumltze erstmals seit der Taumltigkeit von Frau Muumlller eingebrochen In zwei Wo-chen findet ein Treffen des Fuumlhrungsteams statt um die Situation zu analysie-ren und erste Maszlignahmen abzuleiten Frau Muumlller sammelt in Vorbereitungfuumlr diesen Termin systematisch Daten und analysiert diese Sie hat rasch be-merkt dass sie viele Daten ausfiltern muss weil sie die vorhandene Mengenicht in der verfuumlgbaren Zeit bearbeiten koumlnnen wird Obwohl sie sich mitden restlichen Daten tagelang intensiv beschaumlftigt kann sie daraus keine ein-deutige Gegenstrategie ableiten Die Daten sprechen keine klare SpracheBeim Joggen am Wochenende kommt ihr ploumltzlich ein Gedanke Sie kann viel-leicht uumlber einen Bekannten bei einem Kundenunternehmen hilfreiche Infor-mationen bekommen Parallel wird sie versuchen weitere Brancheninformati-onen zu erhalten und mit Kollegen ihrer Abteilung eine Kreativrunde im Gruuml-nen veranstalten Vielleicht ergeben sich dabei neue Ideen fuumlr Ursachen undkonkrete Maszlignahmen

18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

20 1 Organisatorisches Wissensmanagement

bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 15: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

14 Uumlberblick

Menschen bestehen aber meist weiter auch wenn Einzelpersonen wech-seln

Komplexe Faumlhigkeiten wie Schreiben Lesen Radfahren oder die Benut-zung einer Software lernen wir meist durch Versuch und Irrtum Direktoder indirekt erfolgt Wissenserwerb aber auch immer in der Interaktionmit anderen Menschen wie beim Unterricht bei stillschweigendemNachahmen oder durch andere Hilfestellung (schriftliche AnleitungHandbuch Frequently Asked Questions etc) die wiederum ein einzel-ner bdquoisolierterldquo Mensch ohne sozial konstruiertes Vorwissen nicht erstel-len koumlnnte Beim Aufbau von Wissensstrukturen handelt es sich somit inder Regel um das Zusammenspiel von mentalen bzw neuronalen und so-zialen Vernetzungsprozessen (vgl Bild A)

In zeitlicher Abfolge ergibt sich sowohl auf individueller als auch auf or-ganisatorischer Ebene ein Ablauf aus individuellem Wissensaufbau undsozialen Kontakten und Netzwerken (vgl Bild B) Die gezielte und strategi-sche Foumlrderung dieses Zusammenspiels individueller und sozialer Wissens- undVernetzungsprozesse bildet ein Kernthema des vorliegenden Buches

Besitzt die Organisation die Offenheit und ermoumlglichenden Rahmenbe-dingungen die jene Vernetzungen zulassen und foumlrdern die notwendigwaumlren um die Fragen von morgen wahrzunehmen und Antworten darauf zuentwickeln Erkennt sich die Organisation als Teil eines groumlszligeren sozialenund kausalen Netzwerks Ermoumlglicht die Organisation Vernetzungen mitUmwelt und Gesellschaft

Bild C bietet einen Uumlberblick zu den Inhalten des Buches in der Form derMetapher eines Baumes (vgl Fokusmetapher Kapitel 2) Den Kernprozes-sen des Wissensmanagements werden entsprechende Kapitel des Buches

Bild B Die Entwicklung neuronaler und sozialer Strukturen

Uumlberblick 15

zugeordnet Diese Zuordnung erfolgt nur exemplarisch weil sich die Ka-pitel meist auf mehrere Kernprozesse beziehen

Entscheidend fuumlr die Entwicklung und Produktivitaumlt des individuellenund organisatorischen Wissens sind die Rahmenbedingungen die Wissens-arbeiter in Organisationen vorfinden Ist das organisatorische bdquoKlimaldquo ndash z Bbezuumlglich Kommunikations- und Fehlerkultur ndash adaumlquat fuumlr die Ziele derOrganisation Die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen wird in Kapitel1 im Uumlberblick dargestellt und dabei auf die weiteren Kapitel des Buchesverwiesen Die Entwicklung einer Wissensstrategie mit Ableitung vonMaszlignahmen sowie die Messung und Steuerung des organisatorischenWissenskapitals sind Schwerpunkte der Kapitel 3 4 und 12

Das persoumlnliche Wissen bildet die Basis und den bdquoHumusldquo fuumlr jede sinn-volle Handlung in Organisationen Kapitel 2 thematisiert spezifische Ei-genschaften Herausforderungen und Methoden des Managements despersoumlnlichen Wissens Eine weitere Grundlage fuumlr die Entwicklung orga-nisatorischen Wissens sind Werte Vertrauensbasis und Kooperationskul-tur in der Organisation sowie in der Interaktion mit den Stakeholdernwas ein zentrales Thema des in Kapitel 20 skizzierten Ethik-Managementsdarstellt

Der Wissenserwerb mit den Schwerpunkten Semantic Web und Integra-tion organisationsexterner Personengruppen wird in den Kapiteln 9 1118 und 19 mit praktischen Beispielen thematisiert

Bild C Inhaltsverzeichnis in Form der Fokusmetapher bdquoBaumldquo (vgl Kapitel 2)

16 Uumlberblick

Die Kapitel 6 7 8 10 11 und 12 beleuchten unter anderem die Identifika-tion des in der Organisation vorhandenen Wissens Dies erfolgte beispiels-weise durch ein Verzeichnis des Wissens der Mitarbeiter die Dokumenta-tion von Lessons Learned aus einem Projekt und den strukturierten Wis-senstransfer zwischen Mitarbeitern bei Wechsel und Verlassen des Unter-nehmens

Die Repraumlsentation von Wissen spielt in heutigen Organisationen meist alsdicker Ast eine bedeutende Rolle dabei dass groszlige Fruumlchte entwickeltund bis zur Ernte getragen werden koumlnnen Kapitel 5 illustriert die Foumlrde-rung der Wissensrepraumlsentation durch die Erarbeitung von bdquoSpielregelnldquoin der Form eines ICK-Handbuchs (Information-Communication-Knowledge) Kapitel 10 beschreibt ein Fallbeispiel zum Aufbau einerWiki-Landschaft

Fuumlr ein dichtes Blaumltterwerk aus handlungsrelevantem Wissen besitzenKommunikation und Transfer von Wissen eine entscheidende Funktion Siebilden die Schwerpunktthemen der Kapitel 5 6 7 8 und 9 Beispielsweisewird hier der Aufbau einer organisationsuumlbergreifenden Wissensgemein-schaft zur Unterstuumltzung der Wissenskommunikation und Kundenbin-dung dargestellt

Wie oben skizziert wurde uumlben die sozialen Kontakte und Netzwerke einenwesentlichen Einfluss auf die Bildung von individuellem und organisato-rischem Wissen aus Kapitel 13 14 und 15 widmen sich deshalb der Me-thode der sozialen Netzwerkanalyse und zeigen auf wie damit soziale orga-nisatorische Strukturen jenseits der offiziellen Organigramme analysiertinterpretiert und daraus Maszlignahmen abgeleitet werden koumlnnen

Junge frische Wissenstriebe und Fruumlchte die freudige Abnehmer findenentstehen nur wenn die Rahmenbedingungen in der Organisation Wis-sensentwicklung und Innovation foumlrdern Kapitel 16 17 18 und 19 widmensich diesen Themen unter verschiedenen Gesichtspunkten

Die Verschiebung der Perspektive vom Shareholder- zum Stakeholderan-satz verdeutlicht dass es fuumlr Organisationen immer bedeutsamer wirdein breiteres Umfeld wahrzunehmen und in die internen Prozesse einzubindenDie Kapitel 9 18 19 und 20 schlieszligen derartige Aspekte ndash unter anderemunter dem Stichwort bdquoOpen Innovationldquo ndash ein

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

1 Organisatorisches Wissensmanagement

Richard Pircher

bdquoComing together is a beginning keeping together is progress working together is successldquo

Henry Ford

Um welches Wissen geht es

Fuumlr die Beantwortung der Fragen braucht Frau Muumlller einerseits Datendie sie aus den eigenen Systemen und aus extern bezogenen Studien undAnalysen erhaumllt Diese Daten muumlssen analysiert werden um festzustellenob daraus glaubwuumlrdige Schluumlsse fuumlr den Umsatzeinbruch abgeleitet wer-den koumlnnen Die langjaumlhrige Praxiserfahrung gibt Frau Muumlller das Gefuumlhlungefaumlhr beurteilen zu koumlnnen welche Erklaumlrungen plausibel sind Auf-grund ihrer Erfahrungen und uumlberlegten Vorgangsweise genieszligt ihre Mei-nung bei den Kollegen und der Geschaumlftsfuumlhrerin einen hohen Stellen-wert

Umsatzeinbruch Warum und was tun

Frau Muumlller hat 17 Jahre Erfahrung als Vertriebsleiterin eines Handelsunterneh-mens fuumlr Spezialmetallwaren Die Abnehmer sind Hersteller unterschiedlicherBranchen und Handwerkerbetriebe In den letzten zwei Quartalen sind dieUmsaumltze erstmals seit der Taumltigkeit von Frau Muumlller eingebrochen In zwei Wo-chen findet ein Treffen des Fuumlhrungsteams statt um die Situation zu analysie-ren und erste Maszlignahmen abzuleiten Frau Muumlller sammelt in Vorbereitungfuumlr diesen Termin systematisch Daten und analysiert diese Sie hat rasch be-merkt dass sie viele Daten ausfiltern muss weil sie die vorhandene Mengenicht in der verfuumlgbaren Zeit bearbeiten koumlnnen wird Obwohl sie sich mitden restlichen Daten tagelang intensiv beschaumlftigt kann sie daraus keine ein-deutige Gegenstrategie ableiten Die Daten sprechen keine klare SpracheBeim Joggen am Wochenende kommt ihr ploumltzlich ein Gedanke Sie kann viel-leicht uumlber einen Bekannten bei einem Kundenunternehmen hilfreiche Infor-mationen bekommen Parallel wird sie versuchen weitere Brancheninformati-onen zu erhalten und mit Kollegen ihrer Abteilung eine Kreativrunde im Gruuml-nen veranstalten Vielleicht ergeben sich dabei neue Ideen fuumlr Ursachen undkonkrete Maszlignahmen

18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

20 1 Organisatorisches Wissensmanagement

bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

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Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 16: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

Uumlberblick 15

zugeordnet Diese Zuordnung erfolgt nur exemplarisch weil sich die Ka-pitel meist auf mehrere Kernprozesse beziehen

Entscheidend fuumlr die Entwicklung und Produktivitaumlt des individuellenund organisatorischen Wissens sind die Rahmenbedingungen die Wissens-arbeiter in Organisationen vorfinden Ist das organisatorische bdquoKlimaldquo ndash z Bbezuumlglich Kommunikations- und Fehlerkultur ndash adaumlquat fuumlr die Ziele derOrganisation Die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen wird in Kapitel1 im Uumlberblick dargestellt und dabei auf die weiteren Kapitel des Buchesverwiesen Die Entwicklung einer Wissensstrategie mit Ableitung vonMaszlignahmen sowie die Messung und Steuerung des organisatorischenWissenskapitals sind Schwerpunkte der Kapitel 3 4 und 12

Das persoumlnliche Wissen bildet die Basis und den bdquoHumusldquo fuumlr jede sinn-volle Handlung in Organisationen Kapitel 2 thematisiert spezifische Ei-genschaften Herausforderungen und Methoden des Managements despersoumlnlichen Wissens Eine weitere Grundlage fuumlr die Entwicklung orga-nisatorischen Wissens sind Werte Vertrauensbasis und Kooperationskul-tur in der Organisation sowie in der Interaktion mit den Stakeholdernwas ein zentrales Thema des in Kapitel 20 skizzierten Ethik-Managementsdarstellt

Der Wissenserwerb mit den Schwerpunkten Semantic Web und Integra-tion organisationsexterner Personengruppen wird in den Kapiteln 9 1118 und 19 mit praktischen Beispielen thematisiert

Bild C Inhaltsverzeichnis in Form der Fokusmetapher bdquoBaumldquo (vgl Kapitel 2)

16 Uumlberblick

Die Kapitel 6 7 8 10 11 und 12 beleuchten unter anderem die Identifika-tion des in der Organisation vorhandenen Wissens Dies erfolgte beispiels-weise durch ein Verzeichnis des Wissens der Mitarbeiter die Dokumenta-tion von Lessons Learned aus einem Projekt und den strukturierten Wis-senstransfer zwischen Mitarbeitern bei Wechsel und Verlassen des Unter-nehmens

Die Repraumlsentation von Wissen spielt in heutigen Organisationen meist alsdicker Ast eine bedeutende Rolle dabei dass groszlige Fruumlchte entwickeltund bis zur Ernte getragen werden koumlnnen Kapitel 5 illustriert die Foumlrde-rung der Wissensrepraumlsentation durch die Erarbeitung von bdquoSpielregelnldquoin der Form eines ICK-Handbuchs (Information-Communication-Knowledge) Kapitel 10 beschreibt ein Fallbeispiel zum Aufbau einerWiki-Landschaft

Fuumlr ein dichtes Blaumltterwerk aus handlungsrelevantem Wissen besitzenKommunikation und Transfer von Wissen eine entscheidende Funktion Siebilden die Schwerpunktthemen der Kapitel 5 6 7 8 und 9 Beispielsweisewird hier der Aufbau einer organisationsuumlbergreifenden Wissensgemein-schaft zur Unterstuumltzung der Wissenskommunikation und Kundenbin-dung dargestellt

Wie oben skizziert wurde uumlben die sozialen Kontakte und Netzwerke einenwesentlichen Einfluss auf die Bildung von individuellem und organisato-rischem Wissen aus Kapitel 13 14 und 15 widmen sich deshalb der Me-thode der sozialen Netzwerkanalyse und zeigen auf wie damit soziale orga-nisatorische Strukturen jenseits der offiziellen Organigramme analysiertinterpretiert und daraus Maszlignahmen abgeleitet werden koumlnnen

Junge frische Wissenstriebe und Fruumlchte die freudige Abnehmer findenentstehen nur wenn die Rahmenbedingungen in der Organisation Wis-sensentwicklung und Innovation foumlrdern Kapitel 16 17 18 und 19 widmensich diesen Themen unter verschiedenen Gesichtspunkten

Die Verschiebung der Perspektive vom Shareholder- zum Stakeholderan-satz verdeutlicht dass es fuumlr Organisationen immer bedeutsamer wirdein breiteres Umfeld wahrzunehmen und in die internen Prozesse einzubindenDie Kapitel 9 18 19 und 20 schlieszligen derartige Aspekte ndash unter anderemunter dem Stichwort bdquoOpen Innovationldquo ndash ein

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

1 Organisatorisches Wissensmanagement

Richard Pircher

bdquoComing together is a beginning keeping together is progress working together is successldquo

Henry Ford

Um welches Wissen geht es

Fuumlr die Beantwortung der Fragen braucht Frau Muumlller einerseits Datendie sie aus den eigenen Systemen und aus extern bezogenen Studien undAnalysen erhaumllt Diese Daten muumlssen analysiert werden um festzustellenob daraus glaubwuumlrdige Schluumlsse fuumlr den Umsatzeinbruch abgeleitet wer-den koumlnnen Die langjaumlhrige Praxiserfahrung gibt Frau Muumlller das Gefuumlhlungefaumlhr beurteilen zu koumlnnen welche Erklaumlrungen plausibel sind Auf-grund ihrer Erfahrungen und uumlberlegten Vorgangsweise genieszligt ihre Mei-nung bei den Kollegen und der Geschaumlftsfuumlhrerin einen hohen Stellen-wert

Umsatzeinbruch Warum und was tun

Frau Muumlller hat 17 Jahre Erfahrung als Vertriebsleiterin eines Handelsunterneh-mens fuumlr Spezialmetallwaren Die Abnehmer sind Hersteller unterschiedlicherBranchen und Handwerkerbetriebe In den letzten zwei Quartalen sind dieUmsaumltze erstmals seit der Taumltigkeit von Frau Muumlller eingebrochen In zwei Wo-chen findet ein Treffen des Fuumlhrungsteams statt um die Situation zu analysie-ren und erste Maszlignahmen abzuleiten Frau Muumlller sammelt in Vorbereitungfuumlr diesen Termin systematisch Daten und analysiert diese Sie hat rasch be-merkt dass sie viele Daten ausfiltern muss weil sie die vorhandene Mengenicht in der verfuumlgbaren Zeit bearbeiten koumlnnen wird Obwohl sie sich mitden restlichen Daten tagelang intensiv beschaumlftigt kann sie daraus keine ein-deutige Gegenstrategie ableiten Die Daten sprechen keine klare SpracheBeim Joggen am Wochenende kommt ihr ploumltzlich ein Gedanke Sie kann viel-leicht uumlber einen Bekannten bei einem Kundenunternehmen hilfreiche Infor-mationen bekommen Parallel wird sie versuchen weitere Brancheninformati-onen zu erhalten und mit Kollegen ihrer Abteilung eine Kreativrunde im Gruuml-nen veranstalten Vielleicht ergeben sich dabei neue Ideen fuumlr Ursachen undkonkrete Maszlignahmen

18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

20 1 Organisatorisches Wissensmanagement

bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 17: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

16 Uumlberblick

Die Kapitel 6 7 8 10 11 und 12 beleuchten unter anderem die Identifika-tion des in der Organisation vorhandenen Wissens Dies erfolgte beispiels-weise durch ein Verzeichnis des Wissens der Mitarbeiter die Dokumenta-tion von Lessons Learned aus einem Projekt und den strukturierten Wis-senstransfer zwischen Mitarbeitern bei Wechsel und Verlassen des Unter-nehmens

Die Repraumlsentation von Wissen spielt in heutigen Organisationen meist alsdicker Ast eine bedeutende Rolle dabei dass groszlige Fruumlchte entwickeltund bis zur Ernte getragen werden koumlnnen Kapitel 5 illustriert die Foumlrde-rung der Wissensrepraumlsentation durch die Erarbeitung von bdquoSpielregelnldquoin der Form eines ICK-Handbuchs (Information-Communication-Knowledge) Kapitel 10 beschreibt ein Fallbeispiel zum Aufbau einerWiki-Landschaft

Fuumlr ein dichtes Blaumltterwerk aus handlungsrelevantem Wissen besitzenKommunikation und Transfer von Wissen eine entscheidende Funktion Siebilden die Schwerpunktthemen der Kapitel 5 6 7 8 und 9 Beispielsweisewird hier der Aufbau einer organisationsuumlbergreifenden Wissensgemein-schaft zur Unterstuumltzung der Wissenskommunikation und Kundenbin-dung dargestellt

Wie oben skizziert wurde uumlben die sozialen Kontakte und Netzwerke einenwesentlichen Einfluss auf die Bildung von individuellem und organisato-rischem Wissen aus Kapitel 13 14 und 15 widmen sich deshalb der Me-thode der sozialen Netzwerkanalyse und zeigen auf wie damit soziale orga-nisatorische Strukturen jenseits der offiziellen Organigramme analysiertinterpretiert und daraus Maszlignahmen abgeleitet werden koumlnnen

Junge frische Wissenstriebe und Fruumlchte die freudige Abnehmer findenentstehen nur wenn die Rahmenbedingungen in der Organisation Wis-sensentwicklung und Innovation foumlrdern Kapitel 16 17 18 und 19 widmensich diesen Themen unter verschiedenen Gesichtspunkten

Die Verschiebung der Perspektive vom Shareholder- zum Stakeholderan-satz verdeutlicht dass es fuumlr Organisationen immer bedeutsamer wirdein breiteres Umfeld wahrzunehmen und in die internen Prozesse einzubindenDie Kapitel 9 18 19 und 20 schlieszligen derartige Aspekte ndash unter anderemunter dem Stichwort bdquoOpen Innovationldquo ndash ein

1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

1 Organisatorisches Wissensmanagement

Richard Pircher

bdquoComing together is a beginning keeping together is progress working together is successldquo

Henry Ford

Um welches Wissen geht es

Fuumlr die Beantwortung der Fragen braucht Frau Muumlller einerseits Datendie sie aus den eigenen Systemen und aus extern bezogenen Studien undAnalysen erhaumllt Diese Daten muumlssen analysiert werden um festzustellenob daraus glaubwuumlrdige Schluumlsse fuumlr den Umsatzeinbruch abgeleitet wer-den koumlnnen Die langjaumlhrige Praxiserfahrung gibt Frau Muumlller das Gefuumlhlungefaumlhr beurteilen zu koumlnnen welche Erklaumlrungen plausibel sind Auf-grund ihrer Erfahrungen und uumlberlegten Vorgangsweise genieszligt ihre Mei-nung bei den Kollegen und der Geschaumlftsfuumlhrerin einen hohen Stellen-wert

Umsatzeinbruch Warum und was tun

Frau Muumlller hat 17 Jahre Erfahrung als Vertriebsleiterin eines Handelsunterneh-mens fuumlr Spezialmetallwaren Die Abnehmer sind Hersteller unterschiedlicherBranchen und Handwerkerbetriebe In den letzten zwei Quartalen sind dieUmsaumltze erstmals seit der Taumltigkeit von Frau Muumlller eingebrochen In zwei Wo-chen findet ein Treffen des Fuumlhrungsteams statt um die Situation zu analysie-ren und erste Maszlignahmen abzuleiten Frau Muumlller sammelt in Vorbereitungfuumlr diesen Termin systematisch Daten und analysiert diese Sie hat rasch be-merkt dass sie viele Daten ausfiltern muss weil sie die vorhandene Mengenicht in der verfuumlgbaren Zeit bearbeiten koumlnnen wird Obwohl sie sich mitden restlichen Daten tagelang intensiv beschaumlftigt kann sie daraus keine ein-deutige Gegenstrategie ableiten Die Daten sprechen keine klare SpracheBeim Joggen am Wochenende kommt ihr ploumltzlich ein Gedanke Sie kann viel-leicht uumlber einen Bekannten bei einem Kundenunternehmen hilfreiche Infor-mationen bekommen Parallel wird sie versuchen weitere Brancheninformati-onen zu erhalten und mit Kollegen ihrer Abteilung eine Kreativrunde im Gruuml-nen veranstalten Vielleicht ergeben sich dabei neue Ideen fuumlr Ursachen undkonkrete Maszlignahmen

18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

20 1 Organisatorisches Wissensmanagement

bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

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1 Organisatorisches Wissensmanagement 17

1 Organisatorisches Wissensmanagement

Richard Pircher

bdquoComing together is a beginning keeping together is progress working together is successldquo

Henry Ford

Um welches Wissen geht es

Fuumlr die Beantwortung der Fragen braucht Frau Muumlller einerseits Datendie sie aus den eigenen Systemen und aus extern bezogenen Studien undAnalysen erhaumllt Diese Daten muumlssen analysiert werden um festzustellenob daraus glaubwuumlrdige Schluumlsse fuumlr den Umsatzeinbruch abgeleitet wer-den koumlnnen Die langjaumlhrige Praxiserfahrung gibt Frau Muumlller das Gefuumlhlungefaumlhr beurteilen zu koumlnnen welche Erklaumlrungen plausibel sind Auf-grund ihrer Erfahrungen und uumlberlegten Vorgangsweise genieszligt ihre Mei-nung bei den Kollegen und der Geschaumlftsfuumlhrerin einen hohen Stellen-wert

Umsatzeinbruch Warum und was tun

Frau Muumlller hat 17 Jahre Erfahrung als Vertriebsleiterin eines Handelsunterneh-mens fuumlr Spezialmetallwaren Die Abnehmer sind Hersteller unterschiedlicherBranchen und Handwerkerbetriebe In den letzten zwei Quartalen sind dieUmsaumltze erstmals seit der Taumltigkeit von Frau Muumlller eingebrochen In zwei Wo-chen findet ein Treffen des Fuumlhrungsteams statt um die Situation zu analysie-ren und erste Maszlignahmen abzuleiten Frau Muumlller sammelt in Vorbereitungfuumlr diesen Termin systematisch Daten und analysiert diese Sie hat rasch be-merkt dass sie viele Daten ausfiltern muss weil sie die vorhandene Mengenicht in der verfuumlgbaren Zeit bearbeiten koumlnnen wird Obwohl sie sich mitden restlichen Daten tagelang intensiv beschaumlftigt kann sie daraus keine ein-deutige Gegenstrategie ableiten Die Daten sprechen keine klare SpracheBeim Joggen am Wochenende kommt ihr ploumltzlich ein Gedanke Sie kann viel-leicht uumlber einen Bekannten bei einem Kundenunternehmen hilfreiche Infor-mationen bekommen Parallel wird sie versuchen weitere Brancheninformati-onen zu erhalten und mit Kollegen ihrer Abteilung eine Kreativrunde im Gruuml-nen veranstalten Vielleicht ergeben sich dabei neue Ideen fuumlr Ursachen undkonkrete Maszlignahmen

18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

20 1 Organisatorisches Wissensmanagement

bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

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ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

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18 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Welches Wissen und welche Kompetenzen setzen Sie selbst tagtaumlglich ein umIhre Ziele zu erreichen Wenn Sie sich einige Minuten daruumlber Gedankenund schriftliche Notizen machen stoszligen Sie vermutlich auf sehr unter-schiedliche Arten von Wissen und Kompetenzen Haumlufig werden Bei-spiele genannt wie diese Fachwissen Faktenwissen Kenntnis und An-wendung von Methoden wie Projektmanagement oder Qualitaumltsmanage-ment Praxiserfahrungen Kommunikationsfaumlhigkeit Sozialkompeten-zen Wissen uumlber die ndash zum Teil informelle ndash Organisation Fuumlhrungskom-petenzen Intuition persoumlnliche Kontakte und Netzwerke Selbstrefle-xion etc

Diese Aufzaumlhlung schlieszligt ein breites Spektrum von Wissensarten einweshalb erst einmal eingegrenzt werden soll was hier unter Wissen ver-standen wird Wissen ist eine Erwartungshaltung die Personen in individuel-lem oder organisatorischem Kontext einsetzen um Wahrnehmungen bewusstoder unbewusst zu interpretieren und Handlungen zu setzen Wenn wir einbestimmtes Ziel verfolgen und in Bezug darauf konkrete Handlungen set-zen dann haben wir die Erwartungshaltung damit dem Ziel naumlher zukommen Wissen ist nach diesem Verstaumlndnis an Menschen gebunden inunterschiedlichem Grade subjektiv ungewiss und wird zunehmend zumGegenstand der Uumlberpruumlfung ndash durch einen selbst oder durch andere wiebeispielsweise den Mitbewerb (vgl Maier 2007 S 76 Willke 2004) Ob-jektives Wissen ist eine Illusion oder wie es Karl Popper auf den Punktbrachte bdquoWir wissen nichts wir ratenldquo (Siehe Kapitel 2) bdquoWir raten mitSystemldquo koumlnnte man ergaumlnzen und Wissensmanagement hat zum Zieldieses System kontinuierlich zu verbessern Der Begriff Wissen wie er hierverwendet wird soll synonym auch das Koumlnnen und die Kompetenz ein-schlieszligen Dadurch denken wir beim Wissen auch den Anwendungsbezugdie erforderliche persoumlnliche Motivation zur Anwendung und diezielfuumlhrende Handlungsfaumlhigkeit derjenigen die uumlber das Wissen verfuumlgenmit (vgl North 2005 S 32 ff)

Wissen ist an Menschen gebunden und unsicher

Je dynamischer das Umfeld und je komplexer sich die behandelten The-men gestalten umso wichtiger wird es fuumlr die Organisation (unabhaumlngigdavon ob gewinnorientiert oder nicht) dass sie sich ihre sukzessiv aufge-bauten Erwartungshaltungen ndash und damit ihr Wissen ndash bewusst macht aufdie organisatorischen Ziele hin ausrichtet systematisch weiter entwickeltund somit Wissensmanagement betreibt (vgl Willke 2004)

Die Vielschichtigkeit von Wissen kann durch eine Metapher beschriebenwerden Wasser das so wie Wissen fast allgegenwaumlrtig und lebensnotwen-dig ist kommt in den drei Aggregatszustaumlnden fluumlssig fest und gasfoumlrmig

1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

20 1 Organisatorisches Wissensmanagement

bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

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ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

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1 Organisatorisches Wissensmanagement 19

vor (Bild 11) Wissen kann ebenso wie Eis in gut greifbarer Form verpacktsein beispielsweise in Protokollen Dokumentationen dem Intranet etcIn dieser Form ist es uumlberwiegend sprachlich expliziert haumlufig auch doku-mentiert idealerweise leicht auffindbar kann aber haumlufig nicht direkt an-gewandt werden Vor der Anwendung ist meist zu erfassen wie konkretdie Situation bzw der Kontext fuumlr die Anwendung beschaffen ist Es kannhaumlufig vom jeweiligen Rezipienten nicht sofort verstanden werden (vglReinmann-Rothmeier 2001) In der Situation von Frau Muumlller waumlren dieDaten und Studien eine Form von Wissenseis das erst gefiltert analysiertund interpretiert werden muss um aus diesen Daten und Informationenfuumlr die jeweilige Fragestellung handlungsleitendes und kontextspezifi-sches Wissen abzuleiten und aufzubauen In dieser Form stellt es nur po-tentielles Wissen dar weil es erst bewertet und vernetzt werden muss umsinnvoll angewandt werden zu koumlnnen

Wissen kann auch in fluumlssiger bzw anwendungsorientierter Form vorliegenDieses Wissen wird haumlufig verwendet entsteht aus der Erfahrung in Se-minaren etc ist uumlberwiegend gut kommunizierbar z B wenn jemandeingeschult werden soll und liegt teilweise in dokumentierter Form vorWie Wasser ist es zwar greifbar rinnt aber schnell zwischen den Fingerndavon Wieviel haben Sie beispielsweise genau im letzten Seminar gelerntund wie laumlsst sich dieser Nutzen in Relation zu den Kosten setzen Ob-wohl dieses Wissen nicht oder nur ansatzweise quantifizierbar ist stellt esdas Ruumlckgrat der organisatorischen Ablaumlufe dar weil ohne dieses Wissenkeine Handlungen moumlglich waumlren

Dampffoumlrmiges Wissen ist uumlberwiegend unbewusst und kaum zu kommu-nizieren bzw stillschweigend (vgl auch Roehl 1998 Roehl 2002 Guumllden-bergHelting 2004) Diese Form von Wissen macht meist den Status vonSchluumlsselpersonen aus und ermoumlglicht Houmlchstleistungen auf individuellerund organisatorischer Ebene Frau Muumlller weiszlig nicht genau warum sie

Bild 11 Verschiedene bdquoAggregatzustaumlndeldquo von Wissen (vgl Reinmann-Rothmeier 2001)

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bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 21: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

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bei den Kollegen und in der Branche beliebt und anerkannt ist nie mitRivalitaumlten zu kaumlmpfen hat aber sich trotzdem relativ haumlufig durchsetzenkann Das Ergebnis zaumlhlt

Eisfoumlrmiges Wissen wird haumlufig bdquoabgepacktldquo Es laumlsst sich in Erfahrungs-berichten Debriefingprotokollen etc bdquoeinfangenldquo Fluumlssiges oder gardampffoumlrmiges Wissen sind allerdings schwer oder gar nicht greif- unddokumentierbar Sie werden primaumlr durch ihre Wirkungen sichtbar undbesitzen nicht die Eigenschaften eines isolierbaren Paketes Wie das in ei-nem Seminar oder Workshop erworbene Wissen das in der Arbeit ange-wandt und durch die Praxis vertieft und angereichert wird veraumlndert sichdieses komplexe und vernetzte Wissen prozesshaft

Wesentlich fuumlr das Verstaumlndnis des Mehrwerts von Wissensmanagementist die Unterscheidung zwischen Daten Information und Wissen Datenwerden hier als kodierte Beobachtungen verstanden An Daten an sich be-steht meist kein Mangel je mehr Datenquellen (Personen Messinstru-mente Computer etc) vorhanden sind umso mehr Daten sind verfuumlg-bar Daten sind beobachtungsrelativ d h je nachdem wie und wo sie er-fasst wurden unterscheiden sie sich Die Herausforderung liegt tendenzi-ell nicht in der zu geringen sondern in der zu groszligen Menge an Datender Beschaffung der bdquorichtigenldquo Daten und der bdquorichtigenldquo Filterung AlsInformationen werden die fuumlr die jeweilige Person oder Organisation rele-vanten Daten bezeichnet Wissen entsteht durch die Integration von In-formationen in den persoumlnlichen Erfahrungskontext und dem Vorwissenalso durch den Prozess des individuellen und organisatorischen LernensbdquoWissen ist die Veredelung von Information durch Praxis Jedes Wissensetzt Praxis vorausldquo (Willke 2004 S 28) Blaumlttern Sie beispielsweise durcheine Zeitung so haben Sie viele Daten vor sich Einen Artikel der Ihr In-teresse erweckt beginnen Sie zu lesen Dieser Artikel hat fuumlr Sie persoumln-lich Relevanz und wird zur Information Durch den Prozess des Interpre-tierens der Information und der Ableitung von Konsequenzen entstehtWissen Das dokumentierte oder kodifizierte Wissen liegt in der Form vonWissenseis als Daten und Informationen vor Es muss erst wieder durchMenschen verarbeitet bzw erlernt werden um handlungsrelevant zusein Fuumlr die Praxis erscheint es nicht als relevant genau zu identifizierenwo im Einzelfall das Wissen beginnt und wo es endet Wesentlich ist esaber Daten und Informationen nicht mit Wissen gleich zu setzen So groszlig dievorhandenen Datenbestaumlnde oder erlernte Fakten auch immer sein mouml-gen entscheidend ist ob daraus zielfuumlhrende und produktive Erwartungshal-tungen Handlungen und Entscheidungen abgeleitet werden

Weder Daten und Informationen noch explizierbares oder nicht expli-zierbares Wissen sind objektiv Sie stellen Beobachtungen subjektive

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Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

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Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

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(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 22: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 21

Schwerpunktsetzungen und Erwartungshaltungen dar Individuen odersoziale Systeme wie Organisationen konstruieren aufgrund ihrer spezifi-schen Geschichte und Art die Erfahrungen zu verarbeiten Erwartungshal-tungen bzw Theorien und Vorstellungen vom richtigen Handeln die auch alsmentale Modelle bezeichnet werden koumlnnen (vgl Kapitel 2 und Senge2006) bdquoReineldquo Daten muumlssen erst in einen Kontext gebettet und interpre-tiert werden um Sinn zu machen Daten und Informationen werden nichtgewusst Selbst wissenschaftlich bdquogesichertesldquo und guumlltiges Wissen ist nurbis dato nicht widerlegt oder falsifiziert worden Falls das geschiehtwurde trotz der Reduktion des Wissens ein Wissensfortschritt erreicht

Was koumlnnen wir nur gemeinsam

Eine weitere fuumlr das Wissensmanagement bedeutsame Differenzierungvon Wissensarten kann durch ein einfaches Gedankenexperiment illu-striert werden Eine Gruppe von rund zwanzig Personen die sich nichtkennen versammelt sich in einem Raum und man stellt ihnen die FragebdquoWer weiszlig mit Sicherheit wer im Raum als naumlchste oder naumlchster Ge-burtstag hatldquo Uumlblicherweise wird niemand in der Lage sein die Frage zubeantworten Es kennt natuumlrlich jeder das eigene Geburtsdatum weshalbdas erforderliche Wissen um die Frage zu beantworten im Raum vorhan-den ist Es kann individuelles Wissen genannt werden weil es nur in denEinzelpersonen vorhanden ist Um die Frage mit Sicherheit beantwortenzu koumlnnen muss dieses individuelle Wissen von der Gruppe organisiertwerden beispielsweise durch eine Liste auf der sich alle mit Geburtsda-tum eintragen und die dann chronologisch geordnet wird Um komple-xere Aufgaben zu erfuumlllen ist es somit notwendig dass sich Menschen or-ganisieren und das individuelle Wissen koordiniert einsetzen Wir koumln-nen von organisatorischem Wissen sprechen wenn eine Gruppe von Men-schen ein kollektives Verhalten zeigt das auf ein gemeinsames Ziel hinausgerichtet und nachhaltig ist Dessen Aufbau erfordert Zeit und die er-reichte Faumlhigkeit ist immer durch die spezifische Geschichte der Organi-sation charakterisiert Es gibt sowohl wenig intelligente Organisationenmit intelligenten Wissensarbeitern als auch intelligente Organisationenmit verhaumlltnismaumlszligig geringer Abhaumlngigkeit von der Kompetenz und In-novationskraft ihrer Mitarbeiter Die Organisation entwickelt Eigenschaf-ten die nicht einfach die Summe oder der Mittelwert der Eigenschaftenihrer Mitglieder sind sondern sie entwickelt sogenannte emergente organi-satorische Faumlhigkeiten eine Corporate Identity ein spezifisches organisato-risches bdquoKlimaldquo eine einzigartige Organisationskultur Diese Collective In-telligence existiert nicht ohne Menschen ist aber teilweise unabhaumlngigvon bestimmten Personen (vgl Willke 2004 Willke 1994 WeickRoberts1993)

22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

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tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

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ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

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22 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wenn wir die oben genannten Differenzierungen kombinieren ergibtsich eine Matrix wie in Tabelle 11 die Beispiele fuumlr die verschiedenenWissensformen bzw -repraumlsentationen enthaumllt

Frau Muumlller bildet sich aufgrund der analysierten Daten und ihres lang-jaumlhrigen Erfahrungswissens eine Meinung bezuumlglich der Ursachen fuumlr denUmsatzruumlckgang Diese Meinung bringt sie in der Sitzung mit der Ge-schaumlftsfuumlhrung ein Mit dem von ihr entwickelten mentalen Modell setztsie sich in der Sitzung zwar nicht vollstaumlndig aber doch weitgehenddurch und es werden ein vom Fuumlhrungsteam geteiltes mentales Modellerarbeitet und entsprechende Entscheidungen getroffen Die Reaktionbzw das Feedback des Marktes auf die geaumlnderte Strategie wird mit Zeit-verzoumlgerung sichtbar werden Obwohl es sich in der Regel um multikau-sale Zusammenhaumlnge handelt wird man versuchen aus dem Feedbackdes Marktes Schluumlsse zu ziehen und neues Wissen zu generieren das vor-erst individuell sein wird (vgl Bild 12)

Tabelle 11 Beispiele fuumlr Wissensformen und -repraumlsentationen

Wissensformen Eigenschaften Beispiele ndash individuell

Beispiele ndash organisatorisch

bdquoEisldquo Daten- und Infor-

mationswissen

Beobachtungsab-haumlngig tlw doku-mentiert kommu-nizierbar statisch objekthaft isolier-bar meist ist Transferwissen fuumlr die Anwendung notwendig

Faktenwissen per-soumlnliche Notizen Mitschriften Adressbuch per-soumlnlicher Kalender

Explizite geteilte Annahmen Pro-zessdokumenta-tion Checkliste Handbuch Pro-jekt- und Erfahrungs-datenbank

bdquoWasserldquo handlungsorien-

tiertes und explizierbares

Wissen

Tlw dokumentier- und kommunizier-bar eingebettet in individuelle Erfah-rungskontexte Handlungsbezug

Fachwissen zum Teil explizierbares Erfahrungswissen z B aus Kunden-kontakten oder der Zusammenarbeit mit Kollegen

Informelle Routi-nen kollektive Erfahrungen (z B in Projekten) ungeschriebene Gesetze (soweit explizierbar)

bdquoDampfldquo stillschweigendes implizites Wissen

Kaum kommuni-zier- und doku-mentierbar hand-lungsbezogen hochgradig pro-zesshaft vernetzt sehr begehrt nur durch Anwen-dung sicht- und bewertbar

Nicht explizierba-res haumlufig unbe-wusstes Erfah-rungswissen sozi-ale Faumlhigkeiten Intuitionen Gespuumlr

Geteilte Routinen (z B eingespielte Teams) Werte Mythen kollektive Erfahrungen ein-geschliffene Ver-haltensweisen kollektive Tabus

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 24: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 23

(Wie) Kann Wissen gemanagt werden

bdquoDer Wissensmanagement-Hype ist gegangen der Bedarf an KonzeptenMethoden und Werkzeugen zum Umgang mit Wissen ist gebliebenldquo(ReinmannEppler 2008) Wurde fruumlher in der ersten und zweiten Gene-ration des Wissensmanagements noch angenommen mit der Anschaf-fung eines Tools waumlre Wissensmanagement bdquovorhandenldquo so duumlrfte mitt-lerweile klarer sein dass gefrorenes Wissen noch lange keine bessere Zie-lerreichung der Handlungen und Entscheidungen garantiert Aus der Un-terscheidung zwischen Daten und handlungsrelevantem Wissen ergibtsich der Mehrwert des Blickes mit der bdquoWissensbrilleldquo auf OrganisationenDie richtigen Daten sind notwendig aber nicht ausreichend um darausauch die richtigen Schluumlsse zu ziehen Heute haben zahlreiche Unterneh-men aus den Erfahrungen gelernt und ihre individuelle Interpretation ei-nes Wissensmanagements der dritten Generation umgesetzt weil sich gezeigthat dass es die Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstuumltzt (vgl North2007 Know Network 2008) Eine zentrale Eigenschaft von Wissensarbei-tern liegt darin dass sie zu einem groszligen Anteil selbstorganisiert ent-scheiden koumlnnen (sollten) was sie wie machen und wie sie die Arbeits-schritte koordinieren weil sie das selbst am besten beurteilen koumlnnen (vglSchuumltt 2003 GuumlldenbergHelting 2004)

Ein Basismodell des Wissensmanagements (vgl Bild 13) unterscheidet zweiTeilsysteme in Organisationen naumlmlich das soziale und das dokumenta-risch-technische Die Menschen im sozialen Teilsystem besitzen Wissen in

Bild 12 Individuelle und organisatorische mentale Modelle (vgl Kim 1993)

24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

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24 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Wissensgebieten die sich teilweise uumlberlappen Dieses Wissen ist dieGrundlage fuumlr Handlungen die Ablaumlufe und Prozesse in der Organisationdie Mehrwert und Produktivitaumlt schaffen Durch die wissensbasierten Ak-tivitaumlten werden Erfahrungen mit Lernpotenzial gesammelt Die Men-schen koumlnnen daraus bewusst oder unbewusst lernen und neue oder ver-aumlnderte Erwartungshaltungen neues Wissen aufbauen Im Ablaufprozesswerden Protokolle Beschluumlsse Erkenntnisse etc dokumentiert und ge-hen in dieser Form in das dokumentarische und technische Teilsystemein Um Nutzen zu stiften muumlssen diese Dokumentationen von Men-schen abgerufen und zu Wissen verarbeitet werden Dann koumlnnen siewiederum die Grundlage von (veraumlnderten) Handlungen darstellen

Relevanz besitzen die Dokumentation und das Wissen nur dann fuumlr dieOrganisation wenn sie etwas zur Zielerreichung beitragen Die Daten ansich bilden keinen Mehrwert Gelernt werden kann auch ohne Dokumen-tation aber auch das geschieht nicht immer von selbst Die jeweils einzig-artige Organisationskultur beeinflusst durch sowohl die Art und Weiseder Zielvorgabe und Erreichungskontrolle als auch die Ablaumlufe im sozia-len und im dokumentarisch-technischen Teilsystem

Bild 13 Basismodell Wissensmanagement (vgl Wissensmanagement Forum 2007)

Soziales Teilsystem

Dokumentarisches und technisches Teilsystem

Handlungsebene

Datenebene Wissensebene Wissensgebiet

Kommunikation Interaktion

Dokumentation

Information

Anwenden Lernen

Zielebene

Ergebnisse Feedback

Vorgaben

Kulturebene

Bewertung von Ergebnissen (z B KPIs Befragungen Good Practices Zeitgewinn Kompetenzgewinn Wissensbilanz)

Zieldefinition

Grad und Formen der Kooperation

(Nicht) akzeptierte Verhaltensweisen Vorbild Fuumlhrungskraumlfte

Tabus

Ungeschriebene Gesetze Mythen Stil der Hierarchie

Wirkungen der Raumlumlichkeiten in Bezug auf Kommunikation

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 26: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 25

Auf dem Weg zu einer produktiven Wissenskultur mit Mitdenkern

Was halten Sie von der folgenden Fuszligballmannschaft (Covey 2006 zitnach NorthGuumlldenberg 2007)

bull Maximal vier von elf Spielern wissen welches Tor ihr eigenes ist

bull Nur zwei von elf Spielern ist das uumlberhaupt wichtig

bull Lediglich zwei von elf Spielern kennen ihre Position genau und wissen genau was sie tun sollen etc

Diese surreale Anhaumlufung von Spielern entsteht wenn man die Ergeb-nisse einer Befragung von 23000 Arbeitnehmern in den USA auf denFuszligball uumlbertraumlgt

bull Nur 37 der Befragten gaben an genau zu verstehen was ihr Unter-nehmen zu erreichen versucht und weshalb

bull Nur 20 waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens begeistert

bull Lediglich 20 der Mitarbeiter sagten ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet

bull Nur 15 hatten das Gefuumlhl dass ihr Unternehmen es ihnen ruumlckhalt-los ermoumlglicht Schluumlsselziele umzusetzen

bull Lediglich 15 hatten das Gefuumlhl dass in ihrer Umgebung viel Ver-trauen herrscht

bull Nur 17 waren der Ansicht dass ihr Unternehmen eine offene Kom-munikation foumlrdert bei der auch abweichende Meinungen geachtet werden und die zu neuen besseren Ideen fuumlhrt

bull Bloszlig 20 hatten uneingeschraumlnktes Vertrauen zu der Organisation fuumlr die sie arbeiten

bull Nur 13 hatten sehr kooperative von groszligem Vertrauen gepraumlgte Arbeitsbeziehungen zu anderen Gruppen oder Abteilungen

Wie kann es trotz Managements zu einem so ungeordneten Haufen kom-men Direktiven Anweisungen und Kontrolle sind notwendig um eineOrganisation zu steuern Andererseits erleben Fuumlhrungskraumlfte immer wie-der dass sich durch bdquoBefehl und Kontrolleldquo zwar viel tut aber haumlufignichts Grundlegendes in die Richtung hin veraumlndert auf die sie hin zie-len Es wird nur soweit das Angeordnete auch wirklich getan soweit eskontrolliert werden kann und tatsaumlchlich kontrolliert wird Viel Energieflieszligt sowohl in die Kontrolle als auch in die Suche nach Luumlcken um Be-fehle zu umgehen Der Tanker wird immer schwerer steuerbar obwohlder Kapitaumln unablaumlssig Befehle von der Bruumlcke auf das Deck ruft

26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

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26 1 Organisatorisches Wissensmanagement

Je houmlher der Anteil der Wissensarbeit ist umso groumlszligere Bedeutung besit-zen Leistungsfaktoren wie Eigenmotivation Eigeninteresse und Kreativitaumlt fuumlrdie Produktivitaumlt Das bdquoAbsitzenldquo von Arbeitszeitldquo oder der Output proStunde ist immer weniger eine brauchbare Maszliggroumlszlige fuumlr Leistung EineIdee beim Joggen am Wochenende kann Wochen an entlohnter Arbeits-zeit ersetzen oder ersparen Daruumlber hinaus fallen hierarchische Fuumlh-rungsfunktion und inhaltliche Kompetenz immer staumlrker auseinander Eswuumlrde die Aufnahmekapazitaumlt einer Fuumlhrungskraft uumlbersteigen muumlsstesie alles wissen was die Mitarbeiter wissen Deshalb sind Management byObjectives und Selbststeuerung der Wissensarbeiter haumlufig effizienter und ef-fektiver als detaillierte Direktiven von oben nach unten Ein produktivesZusammenspiel von Fuumlhrungs- und Fachkompetenz stellt somit eine derwichtigsten Rahmenbedingungen fuumlr Wissensarbeit dar (vgl Willke 2004NorthGuumlldenberg 2007)

Vertrauen Kreativitaumlt und effektive Wissensarbeit koumlnnen nicht befohlenoder durch den bdquoAbwurfldquo eines lange in den obersten Etagen ausgebruumlte-ten Projektes oder Tools bdquorealisiertldquo werden wie es mit einem Fokus aufInformationstechnologie in der zweiten Generation des Wissensmanage-ments die Strategie war Bei einem derartigen Projekt duumlrfte es diemenschlichste Reaktion sein schnell in Deckung zu gehen zu warten bisder Staub sich gelegt hat den Einschlagskrater zu meiden und nach Moumlg-lichkeit so zu tun als ob nichts geschehen waumlre

Innere Werte oder Erwartungshaltungen wie Vertrauen und Kooperation benoumlti-gen Zeit und ein foumlrderliches Umfeld um sich entwickeln zu koumlnnen und ha-ben damit immer eine einzigartige Geschichte Das gilt fuumlr die zwischen-menschliche wie fuumlr die organisatorische Ebene Die sogenannte reziprokeKooperation oder ihr Gegenteil reziprokes Misstrauen entwickeln sich ausder persoumlnlichen Erfahrung Wenn jemand Hilfeanfragen wiederholt ab-lehnt wird diese Person als nicht kooperativ bekannt werden und zwarauch bei vielen derjenigen Kollegen die an diese Person noch nie eineAnfrage gerichtet haben oder sie gar nicht kennen Wird grundsaumltzlichkaum geholfen ist die bdquoJeder-fuumlr-sich-und-gegen-alleldquo-Organisationskul-tur so gut wie etabliert

Organisationen sind nicht nur mathematisch und technisch erfassbare son-dern auch soziale Systeme Mechanistisch-deterministisches Mitarbeiter-management fuumlhrt zu Arbeitskraumlften die nur das unbedingt Notwendigetun aber nicht zu Mitdenkern Wissensarbeiter besitzen selbst die wich-tigste Produktionsressource naumlmlich ihr Wissen das sie bei inadaumlquaterFuumlhrung der Organisation vorenthalten koumlnnen oder einer anderen Orga-nisation anbieten koumlnnen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 27

bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

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bdquoDie Gedanken sind freildquo

Wissensarbeit zeichnet sich haumlufig durch eine spezifische Kombinationvon Eigenschaften wie den folgenden aus geringer Routineanteil Kom-plexitaumlt (eine Vielzahl an sich aumlndernden Faktoren wirkt auf dieTaumltigkeitsinhalte ein) Daten bzw Informationen sind sowohl Input alsauch Output die Arbeitsobjekte sind immateriell es werden Werkzeugezur Information und Kommunikation eingesetzt und der Arbeitsinhaltbesteht in der Veredelung von Daten bzw Informationen durch Wissen(vgl NorthGuumlldenberg 2007) Je houmlher der Anteil an Wissensarbeit beider Taumltigkeit ist umso mehr stoumlszligt bdquoaltesldquo industrielles Management nachdem Muster bdquoBefehl und Kontrolleldquo an seine Grenzen und sollte durch in-direkte Kontextsteuerung ausgeglichen werden (vgl Reinmann-Roth-meier 2001 GuumlldenbergHelting 2004)

Eine Idee oder ein Verbesserungsvorschlag kann unterdruumlckt geheim ge-halten oder Opfer von Selbstzensur werden ohne dass die Fuumlhrung diegeringste Moumlglichkeit zur Sanktion hat Um Wissen zu unterdruumlckenbraucht es nicht einmal boumlsen Willen Eine demotivierende und nicht an-regende Kommunikations- und Organisationskultur (einschuumlchterndeHierarchie Statussymbole sehr formale Kommunikation unangenehmesRaumklima etc) reichen aus um neues Wissen gleich vor dem Aufkei-men abzutoumlten Von auszligen kann nicht festgestellt werden ob eine Wis-sensarbeiterin mit ihrer aktuellen Leistung 50 80 oder 120 ihresnachhaltig einsetzbaren Potenzials ausschoumlpft

Ist sich eine Fuumlhrungskraft dieser Eigenschaften von Wissensarbeit nichtbewusst besteht die Gefahr der Kontrollillusion also dem Irrtum ein sozia-les System koumlnnte gelenkt werden wie eine Maschine durch das Drehenan Stellschrauben Menschen verhalten sich aufgrund von inneren bdquoRe-zeptenldquo Werten Uumlberzeugungen bzw mentalen Modellen doch diesesind nicht direkt beobacht- und veraumlnderbar (vgl Kapitel 2 Willke 2004Reinmann-Rothmeier 2001 NorthGuumlldenberg 2008 Romhardt 2002)Und bdquodie Gedanken sind freildquo

Wie kann Wissensarbeit gemanagt werden

Die Konsequenz aus der Erkenntnis der direkten Unsteuerbarkeit von so-zialen Systemen kann lauten dass Management neben der in gewissemMaszlig notwendigen Steuerung durch Vorgaben und Kontrolle als indirekteSteuerung verstanden werden kann (vgl Bild 14) Das vorher angedeutetebdquoewige Katz-und-Maus-Spielldquo zwischen oben und unten bei dem nichtklar ist wer Katze und wer Maus ist kann akzeptiert und bewusst gespieltwerden Es wissen ja eigentlich alle dass der Kaiser keine Kleider traumlgtWarum also nicht gleich akzeptieren dass alle Beteiligten ndash Kaiser wie Un-

28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

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ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

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28 1 Organisatorisches Wissensmanagement

tertanen ndash individuelle innere oft unbewusste Regeln und Werte besit-zen auf die sie ihr Verhalten bauen und die von auszligen nicht direkt veraumln-derbar sind (vgl Kapitel 2)

Management bedeutet in diesem Sinne dass durch Interventionen das Um-feld die Rahmenbedingungen gestaltet werden um indirekt das Verhalten indie angestrebte Richtung zu beeinflussen Insbesondere Wissensarbeit ge-lingt dann wenn sie uumlberwiegend gerne ausgeuumlbt wird Es wird weder ausder Sicht des Managements noch aus jener der Mitarbeiter jemals alles sosein wie man es sich wuumlnscht Allerdings koumlnnen sich Organisationenbezuumlglich des einander entgegengebrachten Vertrauens und der gegensei-tigen Kooperation (vgl Willke 2004 S 25 Romhardt 2002) veraumlndern

Die Konsequenz fuumlr viele (Wissens)manager aus den oben zusammenge-fassten Befunden kann mit einer Metapher beschrieben werden Das Ma-nagen von Wissensarbeit(ern) aumlhnelt der Gaumlrtnerei Einerseits geht es darumdafuumlr zu sorgen dass Samen keimen koumlnnen durch passende Mengen anWasser Licht Erde Duumlnger etc Auf die Triebe muss dann gewartet wer-den man kann sie nicht draumlngen schneller zu wachsen noch kann manden Ort wo was und wie etwas waumlchst exakt vorplanen Um dennoch zueinem Garten entsprechend der eigenen Vorstellungen bzw strategischenZiele zu kommen kann und muss lenkend eingegriffen werden Baumlumebekommen einen Schnitt auf Wegen wird Stoumlrendes entfernt etc

Welches und wo neues Wissen entstehen wird ist nicht vorherzusehen dennsonst waumlre es nicht neu Versucht man diese Freiraumlume im Sinne der exak-

Bild 14 Darstellung der Vor- und Nachteile von direktiver Steuerung durch Anordnung und Kontrolle und Kontextsteuerung anhand der Fokusmetapher der Waage (vgl Kapitel 2)

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ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter

Page 30: cover - ebooks-fachzeitungen-de.ciando.com · Team des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, den Mitwirkenden und TeilnehmerIn-nen

1 Organisatorisches Wissensmanagement 29

ten Planung einzuengen kann es sein dass sich im Garten kein Lebenentwickelt die Samen nicht aufkeimen oder woanders hingeweht werdenund dort aufbluumlhen Dabei stellt es ein zentrales Ziel dar ein soziales Netz-werk mit kooperativer Wissenskultur zu entwickeln wo bdquoNuumltzlingeldquo nichtbehindert sondern gefoumlrdert werden und wo Kooperation im Sinne derOrganisationsziele einen anerkannten und geteilten Wert bildet (vgl Ka-pitel 10 Reinmann-Rothmeier 2001 Vollmar 2007) Der zentrale Grund-satz des Wissensmanagements der dritten Generation kann deshalb lau-ten dass Wissen nicht deterministisch gemanagt aber ein Umfeld geschaffenwerden kann in dem es gedeiht (vgl Schuumltt 2003) Vertraute man in denbeiden vorangegangenen Generationen der 90er-Jahre noch der Kontroll-illusion und der technischen Machbarkeit durch Tools so keimte spaumlterdie Erkenntnis von einem Wissensmanagement als KontextsteuerungEine entsprechende Definition lautet

Organisatorisches Wissensmanagement gestaltet fuumlr die Mitarbeiter Rah-menbedingungen die die Wahrscheinlichkeit erhoumlhen sollen dass dasWissen identifiziert erworben repraumlsentiert kommuniziert und entwi-ckelt wird um die organisatorischen Ziele effizienter und effektiver errei-chen zu koumlnnen

Unter Rahmenbedingungen verstehen wir verschiedene Interventionsberei-che auf die unten noch eingegangen werden wird Der Begriff Wissen er-streckt sich hier sowohl uumlber die individuellen und organisatorischen alsauch uumlber seine festen fluumlssigen und dampffoumlrmigen Formen Von Wahr-scheinlichkeit muss deshalb gesprochen werden weil Erwartungshaltun-gen und damit auch Wissen Innovation und Motivation nicht mechanis-tisch gesteuert werden koumlnnen Das Ergebnis der Interventionen ist alsoim Vorhinein nicht bekannt (vgl Kapitel 2) Wissensmanagement mussletztlich einen Beitrag zur Erreichung der organisatorischen Ziele leisten umnachhaltig sein zu koumlnnen Es kann sowohl das Input-Output-Verhaumlltnis(Effizienz) als auch der Weg zur Erreichung der organisatorischen Zieleals auch die Definition der Ziele (Effektivitaumlt) durch Wissensmanagementunterstuumltzt werden

Was soll Wissensmanagement foumlrdern

Als Kernprozesse des Wissensmanagements koumlnnen definiert werden

bull Wissensidentifikation Es wird versucht vorhandenes Wissen aller Agg-regatzustaumlnde zu erkennen und transparent zu machen

bull Wissenserwerb Wissen wird extern und intern zugaumlnglich gemacht und durch Mitarbeiter erarbeitet

bull Wissensrepraumlsentation Fluumlssiges oder dampffoumlrmiges Wissen wird gefro-ren also in Form von DatenInformationen erfasst und damit leichter