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Acht zehn hunde rtu nd e rfro ren Von Dr. Hubert Ruß Abb. I Nürnberg.Jeton auf die Brot- und Bierteuerung von J. T. Stettner, Messing versilbert, 34 mm. Vs.:O CIEB MIR BRODMICH H U NCERT. Sitzende Muttet mit 2 Kindern, im Abschnitt JETTON // Rs.:VERZACET NICHT - COTT LEBET NOCH. Hand aus Wolken hält Brotwaage, dazwischen Anker und Cetreidegarben, unterden Schalen: 1 lb 3 L- 12 . K.R., zwischen den Waagschalen: 1 MAAS BIER / I 1/z KR 44 NUMISMATIK:Das Jahr 1816 ging alsdas ,lahr ohne Sommeroin die Geschichte ein. Im Sammer 1816 gab esim Nordastender Vereinigten Staaten Nachf rostperioden, in Neu- england und in der Schweiz fiel Schnee bis zu 30 cm flöhe. In Mittel- europakam eszu schweren Unwet- tern, die den Rhein und andere Flüsse über die Ufer treten ließen. Auf niedrige Temperaturen und anhaltendeRegenfäl le folgten kata- strophale Missernten und eine Hungersnot.Am stärksten betroffen war dasGebiet nördlich der Alpen von Bayern über Württemberg und Baden bis in das Elsass, die Nord- schweiz und Vorarlberg.Zur Erinnerung an diese Krisenzeit entstanden I Bt 6/l Bl 7 in Süddeutschland Meclaillen, die als Hungertale r bekan nt wu rde n. Das Jahr, als das Vieh dasDachstroh fraß Den Menschen jener Epoche waren die Ursachen fur die'ü/etterka. priolen nicht bekannt, da es keine Informationen über die ursäch- liche Katastrophe im fernen Indonesien gab. Die'Wetterforschung steckte noch in den Kinderschuhen, erst zu Beginn des 20. Jahr- hunderts erkannte man die weltumspannenden Zusammenhänge. Eine auffällige Spur findet sich in den glutroten Sonnenuntergän- gen, deren Farbspiel Landschaftsmaler wie Caspar David Friedrich oder'William Turner derart beseisterte,dasssie diesesPhänomen It ei i., in zahlreichen Gemälden festhiel- ten (Abb. 2). Heute weiß man: Dds JaLv, als das Vieh das Dachstroh fraB, war die Folge einet der größten Vulkan- explosionen in der Menschheitsge- schichte. Der Mount Tambora auf der indonesischen lnsel Sumbawa hatte ein Jahr zuvor bei einer Erup tion seine Spitze weggesprengt.l Die Katastrophein Indonesien A1s der Gouverneur von Java, Thomas S.Raffles, amAbenddes 5. April 1815 das ferne Grollen vernahm, war der erste Gedanke, eine Kanonadel Doch das Donnern, das Raffles aufschreckte, stammte nicht aus Geschützrohren. Vielmehr drang es aus fast 800 km Entfernung an sein Ohr: Auf der damals zu Britisch-Java gehörenden Insel Sumbawa hatte der Ausbruch des Mount Tam. 2 DOraDegonnen. Am Abend des 10. April 1815 explodierte der Vulkan dann förm- lich in einer gewaltigen Eruption, die länger als eine Woche dauerte, und warf Magma, Gestein und Gas in unvorstellbarer Menge aus. Heute ist der Berg nur gut halb so hoch wie vor der Eruption (Abb. 3). Von Gouverneur Raffles stammt die einzige Sammlung von Augen zeugenberichten, darin schilderte der aufgrund seiner Nachbar- Abb.2 WilliamTurner, FlintCastle (1838)

€¦ · Created Date: 12/27/2015 10:16:18 AM

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  • Acht zehn h u nde rtu nd e rfro re nVon Dr. Hubert Ruß

    Abb. I Nürnberg. Jeton auf die Brot- und Bierteuerung von J. T. Stettner, Messing versilbert, 34 mm. Vs.: O CIEB MIR BROD MICH H U NCERT. Sitzende

    Muttet mit 2 Kindern, im Abschnitt JETTON // Rs.:VERZACET NICHT - COTT LEBET NOCH. Hand aus Wolken hält Brotwaage, dazwischen Anker

    und Cetreidegarben, unter den Schalen: 1 lb 3 L- 12 . K.R., zwischen den Waagschalen: 1 MAAS BIER / I 1/z KR

    44

    NUMISMATIK: Das Jahr 1816 gingals das ,lahr ohne Sommero in dieGeschichte ein. Im Sammer 1816gab es im Nordasten der VereinigtenStaaten N achf rostperioden, in Neu-england und in der Schweiz fielSchnee bis zu 30 cm flöhe. In Mittel-europa kam es zu schweren Unwet-tern, die den Rhein und andereFlüsse über die Ufer treten ließen.Auf niedrige Temperaturen undanhaltende Regenfäl le fol gten kata-strophale Missernten und eine Hungersnot. Am stärkstenbetroffen war das Gebiet nördlich der Alpen von Bayernüber Württemberg und Baden bis in das Elsass, die Nord-schweiz und Vorarlberg. Zur Erinnerung an diese Krisenzeitentstanden I Bt 6/l Bl 7 in Süddeutschland Meclaillen, die alsH u ngertale r bekan nt wu rde n.

    Das Jahr, als das Vieh das Dachstroh fraßDen Menschen jener Epoche waren die Ursachen fur die'ü/etterka.

    priolen nicht bekannt, da es keine Informationen über die ursäch-

    liche Katastrophe im fernen Indonesien gab. Die'Wetterforschung

    steckte noch in den Kinderschuhen, erst zu Beginn des 20. Jahr-

    hunderts erkannte man die weltumspannenden Zusammenhänge.

    Eine auffällige Spur findet sich in den glutroten Sonnenuntergän-

    gen, deren Farbspiel Landschaftsmaler wie Caspar David Friedrich

    oder'William Turner derart beseisterte, dass sie dieses Phänomen

    It ei i.,

    in zahlreichen Gemälden festhiel-

    ten (Abb. 2).

    Heute weiß man: Dds JaLv, als das

    Vieh das Dachstroh fraB, war die

    Folge einet der größten Vulkan-

    explosionen in der Menschheitsge-

    schichte. Der Mount Tambora auf

    der indonesischen lnsel Sumbawa

    hatte e in Jahr zuvor bei e iner Erup

    tion seine Spitze weggesprengt.l

    Die Katastrophe in IndonesienA1s der Gouverneur von Java, Thomas S. Raffles, am Abend des5. April 1815 das ferne Grollen vernahm, war der erste Gedanke,

    eine Kanonadel Doch das Donnern, das Raffles aufschreckte,

    stammte nicht aus Geschützrohren. Vielmehr drang es aus fast

    800 km Entfernung an sein Ohr: Auf der damals zu Britisch-Java

    gehörenden Insel Sumbawa hatte der Ausbruch des Mount Tam.2

    DOra Degonnen.

    Am Abend des 10. April 1815 explodierte der Vulkan dann förm-

    lich in einer gewaltigen Eruption, die länger als eine Woche

    dauerte, und warf Magma, Gestein und Gas in unvorstellbarer

    Menge aus. Heute ist der Berg nur gut halb so hoch wie vor der

    Eruption (Abb. 3).

    Von Gouverneur Raffles stammt die einzige Sammlung von Augen

    zeugenberichten, darin schilderte der aufgrund seiner Nachbar-

    Abb. 2 William Turner, Flint Castle (1838)

  • schaft zurn Vulkan direkt betroffene Radscha von Sanggar die

    Situation: Hohe Feuerstiulen stiegen drei Stunden l,ang aus dem Berg auf ,

    bis der dunkle AschenebeL sich mit der ncrtürLichen Dunkelheit uermische

    und das Ende der WeLt anTukündigen schien ... Der Berg selbst begann

    7u gLihen, als Ströme kochenden verflüssigten Gesteins 7u seinen FlankenI ' ^ - - r

    hinabliefen. '

    1825 beschrieb ein indigener Dichter das furchtbare

    Geschehen folgendermaßen: Der Berg erTitterte um uns llerum,

    aLs sturTflutartigWasser vermengt mit Asche uon Himmel fiel.. Kinder

    schrien und weinten, und auch ihre Mütter, in dem Glauben, die Wek sei

    in brennenJe Asche verwandek worJen.^

    Wie epochal der Ausbruch des Mor-rnt Tambora wirklich war,

    konnte erst im ausgehenden 20. Jahrhundert mit modernen Mess-

    methoden wie der Analyse grönländischer oder antarktischer Eis-

    bohrkerne nachgewiesen werden. So entstand das Portrtit der wohL

    gröfrten Natur' und Umwehkotastrophe der uergdngenen tausenJ Jahre.^

    Man schätzt, dass Gas uncl Asche bis in eine Höhe von 43 km in

    die Stratosphäre geschleuclert wurden, die Menge des in die Luft

    geworfenen Materials dürfte mehr als 100 krnl betragen haben.

    Zehntausende von Menschen kamen damals unmittelbar zu Tode.

    Ein Gil cler Ascl-renwolke wurde von Höhenwinden in cler Strato-

    :phäre über . len ganzen Erdbal l verre j l t (Abb. 4) . ;

    Die kältesten Jahre überhaupt: lBlO bis 1820Europa und Nordamerika bekamen die Auswirkungen cler Erup-

    tion zeitlich versetzt zu spüren. So verheerend die clirekten Scl-räden

    in fuien infolge von Tsunamis, Ascheregen sowie der in der Folge

    ausbrechenden Cholera-Epidemie waren, von globaler Auswirkung

    waren clie vom Mount Tämbora in die Stratosphäre geblasenen

    Schwefelgase. Diese verbanden sich mit der Feucl-rtigkeit und festen

    Schwebeteilchen zu geschätzten 200 Megatonnen Schwefel-Aero-

    sol.t Ar-rfgrund der Lage des Mount Tambora in der Nähe des

    Aquators zogen diese Aerosolwolken 1815 rund um den Globus.

    Allerdir-rgs kann die Eruption 1815 nicht alleine dafür verant.

    wortlich sein, dass das Jahrzehnt von 1810 bis 1820 zum weltweit

    kältesten cler letzten 500 Jahre wurde, wenige Jahre zuvor muss

    ein ähnlich bedeutsames Ereignis stattgefunclen haben.n

    In den folgenden zwei Jahren reflektierte der Ascheschleier einen

    Töil des Sonnenlichts. Besonders ausgeprägt war dies abends und

    morgens aufgrund des dann erheblich längeren Wegs der Sonnen-

    strahlen durch die Atmosphäre, was zu dem eingangs erwähnten

    Der Ausbruch des Mount Tambora in Zahlens[ 3 Jahre währte die durch den Ausbruch ausgelöste Kl ima-

    katastrophe mit Hungersnöten, Dauerregen und ausbleiben-den Sommern

    tr 20 cm große Bimsstein-Brocken wurden bei der Haupterup-tion empor geschleudert

    D 32 Jahre nach dem Ausbrruch gelang dem Schweizer Botani-ker Heinrich Zol l inger die Erstbesteigung

    A 43 km hoch wurden Cas und Asche in die Atmosphäre ge-schleudert

    tr 1 30 Tage regnete es 1 81 6 in Cenf, der Cenfer See überflu-tete die Stadt

    tr 560 km2 Land begruben die glühend heißen Magmaströmeunter sich

    ü 170.000 Hiroshima-Bomben besitzen eine ähnliche Spreng-kraft wie die Eruotion

    Ahb.5 Caspar David Friedrich,

    Ansicht eines Hafens Creifswalder Hafens, um l8l8/1820

    I

    Ahb. 3 Caldera des Mount Tambora Abb.4 Ceschätzte lntensität der Ascheniederschläge während der Eruption I I I 5

    Farbenspiel am Himmel führte (Abb. 5) .1

  • Das Jahr ohne Sommer\ü/ahrend sich die Bevölkerung in Nordamerika nach einem bitter-

    kalten Winter im Sommer erneut Schneefall und Eiseskälte aus-

    gesetzt sah, verdunkelten in Europa unauthörlich dunkle Regen-I l l

    wotKen oen f1lmmet.

    Der Sommer 1816 fiel einfach aus. Ein großer Teil des Jahresnie-

    derschlags ging genau in der kritischen Reifeperiode von Mai bis

    September nieder. Der Pflanzenwuchs wurde so behindert, dass

    fast keine Getreideart gedieh. Die wenigen Feldfrüchte, die wuch-

    sen, kamen nicht zur Reife, die Heuernte verschimmelte. Die'Winzer

    konnten Anfang November nur halbreife Trauben lesen.

    Das Jahr ohne Sommer ereignete sich zu einem Zeitpunkt, als der

    europäische Kontinent ein Vierteljahrhundert unter Kriegen und

    sozialen Umwälzungen gelitten hatte. Die Napoleonischen Kriege

    hatten weite Landstriche verwüstet, Zehntausende ehemaliger So1-

    daten waren - vor allem in Ftankreich - auf der Suche nach Arbeit

    und Bror. Und dieses Brot wurde nun knaop. ' '

    Der Hunger greift um sichAus Schweinfurt ist ein zeitgenössischer Bericht für das Hungerjahr

    1816/1817 überliefert' Es regnete besttindig, so dass die FeLdfrüchte

    nicht gediehen. Und der Main trat immer wieder über seine Ufer. Dazu

    richtete ein schwerer Hagelschl.ag fürchterLiche Vrheerungen unter den

    Feldfrnchten an. Das wenige Getreide, das eingebracht werden konnte,

    war minderwertig. Die KartoffeLn faulten bereits im Boden weg.

    Der'Winter kam und, brachte, was man uorausgesehen hatte, grofe Hun'

    gersnot. ALIer Orten drangen die Menschen ungestüm in die Wohnungen

    der Bäcker und baten um Brot. ... Die Not wurde noch schlimmer, da das

    FehLen uon Naluung auch den Viefutand immer kLeiner werden LieB. ...

    Die Getreidepreise stiegen duf dd; Funf'bß Sechsfache. Das BrotkornmehL

    wurde durch Beimischung von gemahl,enen QueckenwurzeLn gestreckt. Dd

    die Not immer gröBer wurde, Lief der Stadtrat Getreide aus RussLandkom'

    ^"n.t' Do, Brot hierqton wurde um 8 Kreuzer das Pfund taglich auf dem

    Rathaus an die arme BeuöLkerung verteiLt. Auch eine Suppenküche ftu die

    Hungernden musste eingerichtet werden.

    NatürLich stelLten sich auch die Wucherer ein, wel.che die Not der Armen

    zu ihrem Vorteil auszunutTen suchten. Sie Lauerten an den Markttagen

    frühmorgens s.'or den Stadttoren auf die Bauern, kauften ihnen die Lebens'

    mittel ab und uerkauften sie dann in der Stadt 7u Wucherpreisen an die

    Darbenden.

    So dauerte die Not bis in den Sommer 1817. EndLich aber brach ,die

    Sonne durch das Gewöl.ko. Das neue lahr brachte eine gute Ernte. ... Die

    Einbringung dieses Getreides gestakete sich zu einer denkwürdigen Feier.

    ... Eine MusikabteiLung oLerkündete und verschönte das frohe Ereignß.

    Zur Erinnerung an die schreckLiche Teuerung wurden Gedächtnismünzen

    geprrigt (ugl. Abb. 1). ... Sie Teigt auf der Vorderseire eine Mutrer, die welv

    mutsuol"l" auf ihre beiden hungernden Knder bLickt. Das eine liegt kraftLos

    auf ihrem Schofle, das andere umfasst das Knie der Mutter und hebt bit.

    tend die Handchen. Die Umsclwift Lautet: ,O gib mir Brot, mich hun-

    gert.o Die Kelwseite der Münze zeigt eine WoLke, an weLcher eine Waage

    hringt. In der einen Schale ist ein Laib Brot; darunter steht der Preis: 72

    IGonen. In der and.eren Schale steht das Gewicht. Zuischen beiden liegt

    ein Anker auf einer Weizengarbe aLs BiLd der Hoffnung. Die Umschrift

    aber mahnt: 'Der Mensch erkenne, dass Cotr lebtl".'a

    Abb.6 München. Medaille I Bl7 auf den Bittgang, von l. Daiser, Silber, 32 mm.Vs.: Bittprozession vor der Frauenkirche // Rs.: Auf Postament Büste des Hl.Ben n o zw i schen Cetrei degarben.

    Abb.7 München. Jeton auf die Brot- und Bierteuerung, von J. Daiser, Silber,33 mm.Vs.: O CIEB MIR BROD MICH HUNCERT. Frau beschenkthungerndeMutter mit 2 Kindern // Rs.: VERZACET NICHT - COTT LEBET NOCH. Handaus Wolken hält Brotwaage, dazwischen Anker und Cetreidegarben, unter denSchalen: 1 lb 3. L 12. KR, zwischen den Schalen: 1 MAAS BIER / 7 1/z K.

    Abb, 8 Erfurt. Medaille 1816/1817 auf die Teuerung. Zinn, 52 mm. Vs.: ÜberAhrenfeld schwebender Engel hält Spruchband: VERTRAU AUF COTT S:SEfCEN 8t: N:ÄUSEN // Rs.: lm Perlkreis: lm Febr. 1816 u 17. / war so eineschreckli: / grose Theurung / das in u: bei Erfurt ein / Malter Weitzen 1 10 pf /Korn 86 pf Cerste 68 / Hafer 28 pf eine Metze / Kartoffeln | 5 gr. 1 Ib / Brod 2gr.4 pf hat / gekostet.

    Abh.9 Coburg . Meda i l le 1816/1817 au f d ieTeuerung. Z inn .51 mm.Vs. :

    Foftuna mit Füllhorn und Schleier auf Clobus stehend. Oben bogig: Denke -

    Dulde - Hoffe, mittig: Nahr: Noth / u: wenig Brod - Cott gibß dop / pelt wie-

    der,imAbschnitt: 1816.- 1817 . // Rs.: lm Jahr / 1817 biszur Ende / kostete

    in Coburg / ein Simr Korn 20 Culden / Waitzen 20 1/2 * * / Cerste 18 * * /

    Hafer 8 * * / 1 Metz Kaftofl 6 Batz: / 1 lb Rindfleisch 3 * * / 1 lb Schweinfl. 3

    1 /5 r * / 1 lb Butter I */ WS.

  • D Ged ächtn ismünzen < zu r E ri nneru ngDas Hunger-Ereignis muss sich tief in das Gedächtnis der Bevöl-kerung eingegraben haben, denn in der Folge wurden v.a. in

    Nütnberg und München Jetons und kleine Medaillen geprägt, die

    als Mahnung an die Hungersnot erinnern sollten." Auch aus dem

    thüringischen Raum, aus Württemberg und der Schweiz sind

    solche nHungertalern bekannt. Es handelt sich meist um Prägun-

    gen und Güsse von primitivem Sti1, einfacher Machart und bil-

    ligem Material; oft wurde Zinn oder Messing verwendet, das

    anschließend versilbert wurde. In mehr oder weniger stereotyper

    Gestaltung zeigen sie Bilder der in Not geratenen Menschen und

    nennen die horrenden Preise für Grundnahrungsmittel wie

    Getreide und Bier. Sie mahnen die Bevolkerung (auch im Sinne

    der Obrigkeit), ruhig zu bleiben und auf Gott zu vertrauen, der

    die Seinen nicht im Stich lassen werde (vsl. Abb. 6-12).'"

    Das zweifellos eindrucksvollste numismatische Zeugnis der Notjah-

    re 1816/1817 ist ein von J. T. Stettner geschaffener Stecktaler; dieser

    gehört zu einer ganzen Reihe von Steck- und Schraubmedaillen, die

    der darauf spezialisierte Nürnberger Medailleur auf Ereignisse zwi-

    schen 1809 und 1819 anfertiste.

    Die Ausrichtung auf möglicherweise gehobene Ansprüche zeigt

    sich auch in einer Ausführung in Silber und darin, dass der Nürn-

    berger Kupferstecher Geotg Adam als Einlage ein achtteiliges dop-

    pelseitiges Faltband aus runden kolorierten Kupferstichen entwarf,

    mit entsprechenden Beschreibungen, die sich aufvier rraurige und

    vier freudige Ereignisse derJahre 1816 bzw. 1817 beziehen. Über

    den Kapselhalften wurden Übersichten über die Preise in Würt-

    temberg, München und Augsburg im Jahr 1817 eingeklebt.

    Lebenshaltung anno 1 Bl 6/1 BI 7Um die Belastung der Bevölkerung einschätzen zu können, ist ein

    Biick auf die Verdienstmöglichkeiten der Bevölkerung sowie auf die

    ,normalenn Lebensmittelpreise nötig. Dabei ist es schwierig, ein

    gleich bleibendes Vergleichsniveau zu finden, denn bereits ein

    geringer Ernteausfall führte in jenen Jahren zu kräftigen Preisstei-

    gerungen.

    Auf welchem Niveau befanden sich die Lebensmittelpreise vor dem

    Hungerjahr 1816? \ü/as verdienten einfache Tagelöhner und Hand.

    werker? Hinweise hierzu finden sich leider nur spärlich in den

    Quellen, die folgende Zusammenschau gibt einen Überblick,

    1816 änderte sich alles grundlegend. Bereits bevor man 1816 die

    Ernte in Franken einbrachte, war der durchschnittliche Getreide-

    preis für einen Scheffel Weizen von 15 fl,. auf 26 fl. hochgeschnellt,

    i817 kostete er 65 fl. Ein Scheffel, das waren etwa 170 kg Getreide,

    in etwa die Menge, die ein Erwachsener in Mitteleuropa im Jahr

    verspeiste.

    In Nürnberg war der Scheffel Getreide in schlechten Erntejahren

    vor 1816 im Schnitt bei 10 fl. gelegen, 1816 notierte er bei 35 fl.,

    1817 kurz vor der Ernte bei 43 fl. Für München nennt der Stett-

    ner'sche Taler 1817 einen Preis von 90 fl. für den Scheffel Weizen

    Abb, l0 Fulda. Medaille 1817 auf die Hungersnot, von J. Dempfer, Zinnguss.5l mm.Vs.: HERR! WENDAB DIE HUNCERSNOTH CIB UNS UNSERTAC-LICH BROD. Allegorie der Religion steht mit hohem Kreuz in der Linken undÖL und Palmzweig in der Rechten an einem Altar, darauf ein Brotlaib // Rs.:Cespaltener Wappenschild, darüber DER / CROSSEN / THEUERUNC / lN /FULDA-VOM IAHR / 1816. - 1817.Außen Umschr i f t : 1. M:CERSTEN 29 FL:1. M: HAFER 16 FL. l . MLTR KORN 34 f L. 1. M.WAITZEN 45 FL. . innen: l .MAS. KARTOFFEL, 1 FL 21 X

    Abb. ll aWüttemberg. Steckmedaille 1816/1817 auf die Hungersnot undden Erntesegen, Silber. 50 mm. Vs.: CROS IST DIE NOTH - O HERR ERBAR-ME DICH. Jammernde vierköpfige Familie unter einem Baum sitzend, imAbschni t t : 1816 U: 1817 / / Rs. : ERKENNE- DAS EIN COTT lST. Mann inbetender Haltung und Mädchen mit Kranz vor Erntelandschaft, darüberschwebt ein Engel mit Ahre, im Abschnitt: Thomas Stettner fec.

    und von 68 fl. fur den Scheffel Korn ßbb. 11).

    47

  • 1807 Schwabach 1 Metzen feines Mehl1 Metzen Mittelmehl1 Pfd. Kalbfleisch1 Pfd. SchweinefleischI Maß Sommerbierl MaßWeißbier

    181 1 Wunsiedel 1 Pfd. Rindfleisch181 5 Münchberg 1 Maß Bier 1815

    Abb. 1 3 Lebenshaltungskosten I 807- 1 I 1 5 in Auswahl

    Abb. 12 Württemberg. Medaille auf die Hungersnot 1816/1817, Zinn,47 mm.Vs.: lm Jahr I Bl7. / war die Theurung / im Königreich Würtem: / berg so grosdass / | . Schfl Dinkel.40. FI. / Cersten. 52. Fl. Haber. 24. FI. / l. Smi Erbsen. 7.Fl. l. Sri / Kartoff. 4. Fl. u. 1. / Brod. 1 8. Kr. Calt / l. M. O. // Rs. : * Des HerrnAuge siehet auf die Seine und ernährct Sie in der Theurung. Das von einemDreieck eingefasste, von Strahlen umgeben Auge Cottes.

    Die Teuerung wurde der Bevölkerung auch über Flugblätter vor

    Augen ge6.rhrt (Abb. 13/14/15).

    In Erlangen verdreifachten sich die Preise für Schwarzbrot schlagar-

    tig, die Maß Bier, damals ein wichtiges Grundnahrungsmittel, war

    mttT VzXr. plötzlich doppelt so teuer. Am wenigsten veränderten

    sich die Preise für kaum erschwinsliche Lebensmittel wie Fleisch.t8

    Die Preise für Brot als Grundnahrungsmittel gaben im 19. Jahr-

    hundert auch in guten Jahren nur wenig nach unten nach; die

    Bevölkerung konnte zwar in guten Zeiten mehr essen, aber selbst in

    schlechten Jahren konnte ein Minimum an Kalorien nicht unter-

    schritten werden. Heute würde man bei einem solchen Mangel die

    Brotpreise anheben, bis 1880 erfolgte dies im Königreich Bayern

    jedoch nicht, um Unruhen in der Bevölkerung zu vermeiden, viel-

    mehrwurden die Brote kleiner geformt, die Bevölkerung nannte sie

    ,Hungerbrötchenn. www. k u en ke r- n u m i sm at i k.d e

    Abbildungsnachweis;1 , 2, 3, 4 und 1 7: commons.wikimedia.org5, 7 und 9: Westfälische Auktionsgesellscha{t Arnsberg6: Künker Numasmatik AC8, 1 0 und

    ' l 1 : Auktionshaus Meister & Sonntag Stuttgart

    12: Klein, U.-Raff, A, Die Württembergischen Medail le von 1797 6is 1864Stuttgart 20031 3-1 6: Klose (2006), S. 96 ff.

    Hinweis: Die Abbildungen sind teilweise verkleiner bzw. vergrößert.

    'www.zeit.de/2j|4137lnaturkatastrophen erdbeben-vulkanausbruch-ausstellung- Bass, H.-H.: Hungerkrisen in Preussen während der ersten Hälfte des 1 9.Jahrhunderts. St. Katharinen1991, S . 126,177.

    'Cerste, R. D.: Alle redeten vom Wetter, in: Die Zeit 12/20'15, 5. April 2015(w.zeir.del2o15/12lvulkanausbruch{ambora-indonesien-klimawandel). Damals erober-ten die Royal Narry und englische Truppen die kopische Inselwelt und machten Niederlän-dischjava zu Britischjava, heute ein Teil des Staates Indonsien.

    'D'Arcy Wood, C.: Vulkanwinter 1 816. Die Welt im Schatten des Tambora. Darmstadt 2015,s . 2 9 .

    'D'Arcy Wood (201 5), S. 30.'Oelrich, C.: Das Jahr ohne Sommer. In: Münchner Merkur 1 1 ./1 2. April 201 5.'Cerste (wwwzeit.dd201 5/1 2/vulkanausbruch-tambora-indonesien-klimawandel). Auf dem bis)B< reichenden sog.Vulkanexplosivitäts-lndex wird dem MountTambora eine ,7u zugewiesen,der Mount St. Helens wurde 1 980 als '5( eingestuft. Vgl. D'Arcy Wood (201 5), S. 60.

    'DerVulkanologe Clive Oppenheimer von der Universität Cambridge vermutet, dass nur eineinziger Ausbruch in den letzten 2000 Jahren noch höhere Schichten der Atmosphäreereichthat-derdesTaupoaufNeuseeland,derimJahrlSl n.Chr.stattfand(Oppenheimer,C.: Eruptions that shook the world. Cambridge 201 1, S. 3 1 1 f0.

    u Eine höhere Konzentration von Schwefelverbindungen lässt sich in den grönländischen Eis-bohrkernen nur für einen Vulkanausbruch feststellen, der sich 1 258 ereignet haben muss,wo dies geschah, ist bisher nicht bekannt. Vgl. D'Arcy Wood (201 5), S. 57.

    'Die heftigen Auswirkungen der Eruption von 1 81 5 auf die globalen Wetterveränderungengingen zum Teil auf bereits instabi le Bedingungen zurück. Sechs Jahre zuvor muss in den Tro-pen eine weitere Eruption stattgefunden haben, deren Ort leider noch unbekannt ist. Sowurde in Eisbohrkernen ein starker Su lfatgehak i n den Schneefäl len der Jahre 1 B 1 0 und I 8 1 1nachgewiesen. Vgl. hierzu: Lingenhöhl, D.: Erste Augenzeugen des unbekannten Vulkanaus-bruchs, unter: ww.spektrum.de/newV1 309553 sowie D Arcy Wood (2015), S. 53.

    ' ' D Arcy Wood (2015), S. 53 ff - Cerste (201 5).

    " Vgl. hierzu ausführlich D'Arcy Wood (2015), S. 240-275.'' Die große Hungersnot führte dazu, dass man in der Eifel versuchte, Brot aus einem Teil Rog-

    gen oder Hafer und zwei Teilen Kartoffel zu backen. Staft Cemüse gab es Wiesenkräuter Eswird berichtet dass Bürger sogar Fleisch von verendeten Tieren aßen. Vgl. Siewers, U.:Preußisch Sibirien, unter: www. u I rich-siewers.de/41 0l 1 /41 226. html.

    'Der Osten und Nordosten Europas war seltsamerweise von den Wetterkapriolen weit-gehend verschont geblieben.

    'oCutermann: Ein Hungerjahr in Schweinfu4 Inr Enzinger, A. (Hg.): Bayernheft Nr. 21.Schweinfurt und Haßgau. München 1 930.

    r5 Diese Art von Erinnerungsgaben war im süddeutschen Raum bereits nach derTeuerung der)afue 1771/1772 üblich geworden.

    " Die Hungertaler nennen Maße und Cewichte in der damals üblichen Form, die regionalunterschiedlich waren. So galt in Fulda: 1 Metze = I 0,046 Liter, 1 Pfund = 467,8 g, 1 Mal-ter = 64 Metzen = 642,95 Liter In Württemberg galt: I Eimer = 283,927 Liter, 1 Scheffel =B Simta = 177,226 Litet, 1 Ptund = 467,727 g.

    " Klose, D.O.A.: Königlich bayerisches Celd. Zahlungsmittel und Finanzen im KönigreichBayern 1806-19 l8 . München (2006) ,5 .105 f f .

    "Vasold, M.: Das Jahr des großen Hungers. Die Agrarkrise von 1816/1817 im NürnbergerRaum: ln: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 6413 \2oo1), S.745-782, hier S. 756 ff.

    1O Xr.2B X r . 29 Xr.214 Xr.5 Xr.3 X r . 37 -"12 Xn3 1/2 Xr

    1812 Hof Tage löhner 24-40Xr .amfagje nach Tätigkeit

    1820 München Zimmermann 40 Xr. am TagMaurer 36 Xr. am TagTagelöhner 30 Xr. amTag

    1 820 Münchberg Tagelöhner 2 tl. (12O Xr.) pro Woche

    Abb. 14 Einkommensverhältnisse | 81 2- l820 in Autwahl

    o Celd und Maße in Bayern zu Beginn des 19. Jahrhundertso 1 Culden (fl.) = 60 Kreuzer (Xr.), I Kreuzer = 4 Pfennige ( ).o 1 Scheffel = 6 Metzen =222,357 Liter, 1 Metze = 37,05 Liter

    Abb.15 Celd und Maße in Bayern zu Beginn des 19. Jahrhunderts

    Abb. l6 Victualien Preise in dem Theuerungs )ahr I Bl 7, rechts unten dievollen Erntewagen von 1 81 7, aquarellierte Radierung von V. Zanna

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