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MARKUS HEITZ - SCHATTEN- JÄGER WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

-SCHATTEN- JÄGER...der Universität des Saarlands, arbeitete lange Jahre als Jour-nalist und ist heute einer der erfolgreichsten deutschen Phan-tastik-Autoren. Seine Romane »Die

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MARKUS HEITZ

-SCHATTEN-JÄGER

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

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Das Buch

Eigentlich wollte sich Sparkplug bei Doktor E. R. nur eine neueHeadware implantieren lassen, doch als er aus der Narkose er-wacht, liegen der Straßendoc und seine hübsche Assistentin ineiner Blutlache am Boden. Rasch wird Sparkplug klar, dass manihm das Verbrechen anhängen will, und so taucht er in den Barrens von Seattle unter. Aber nicht nur Cops, sondern auchmächtige Konzerne sind ihm auf den Fersen. Um seine Un-schuld zu beweisen, macht sich Sparkplug auf die Suche nachden Mördern. Wer war der Doc in Wirklichkeit, und wer hatteein Interesse daran, ihn zu ermorden? Bald stellt sich heraus,dass E. R. Sparkplug den Prototyp einer neuen und revolutionä-ren Waffe in den Schädel eingebaut hat – und die Spur führt zueinem geheimen Konzernlabor in Deutschland …

»Schattenjäger« versammelt die drei faszinierenden Shadow-run-Romane »TAKC 3000«, »Gottes Engel« und »Aeternitas«von Bestseller-Autor Markus Heitz erstmals in einem Band.

Der Autor

Markus Heitz wurde 1971 in Homburg geboren, studierte ander Universität des Saarlands, arbeitete lange Jahre als Jour-nalist und ist heute einer der erfolgreichsten deutschen Phan-tastik-Autoren. Seine Romane »Die Zwerge«, »Der Krieg derZwerge« und »Die Rache der Zwerge« sowie der zuletzt er-schienene »Ritus« standen monatelang auf den Bestsellerlisten.

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E R S T E S B U C H

TAKC 3000

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I.

Seattle, Redmond Barrens, 21. 07. 2057 AD, 7.25 Uhr

»Wenn du diesmal nicht die Nuyen beisammen hast,reiße ich dir so viel Cyberdrek aus deinem dürren El-fenkörper, bis die Finanzen stimmen«, drohte DoktorE.R. und fuchtelte mit einem Laserskalpell vor demGesicht seines Kunden herum. Dann tauchte er nachlinks außerhalb des Gesichtsfelds des Metamenschenund kramte geräuschvoll in seinen medizinischen Werk-zeugen.

Sparkplug grinste und beobachtete den Straßendok-tor mit den grau melierten Haaren und der altmodi-schen Nickelbrille bei den Vorbereitungen.

»Da wirst du nicht viel Glück haben, Doc.« Er ließdie Beine rechts und links von der Liege baumeln, aufder er es sich bequem gemacht hatte. »Ich habe nichtviel von diesem Zeug in mir. Jedenfalls nichts Wertvol-les. Außerdem bekommst du bereits die alte Fahrzeug-steuereinrichtung.« Der Rigger atmete tief ein. »Ah, ichliebe den Geruch von Formaldehyd und Desinfektions-mitteln. Es hat so was …« Er zögerte kurz. »… Unwi-derstehliches.«

Der Straßendoktor hob die Augenbrauen. Die Brillerutschte ein wenig nach vorne und hing gefährlichwankend auf der Nasenspitze. »Unwiderstehlich? Junge,hast du einen Kabelbrand in deinem Encephalon ge-habt? Was, bitte schön, findest du daran unwidersteh-lich?« Mit einem Knopfdruck aktivierte er ein elek-tronisches Beatmungsgerät und startete die Selbstdia-gnose.

»Das Gefühl, kotzen zu müssen«, sagte der Elf la-chend und richtete sich auf. »Lieber rieche ich ranziges

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Motorenöl als das hier.« Er nahm ein metallisch fun-kelndes Werkzeug vom Stahltablett, das seitlich nebendem Tisch stand, und hielt es prüfend unter das Licht.»Was ist das denn?«

Der Mediziner fuhr herum, kniff die Augen zusam-men und schnappte danach. »Finger weg, Sparkplug!Das ist eine Klammer. Drek, jetzt kann ich sie wiedersterilisieren. Das nächste Mal bringe ich meinen Wagenin deine Garage, und dann krame die ganze Zeit ichdeinem Krempel herum, während du den Motor repa-rierst.« Er warf die Klammer achtlos in ein Becken mitgrünlicher Flüssigkeit. »Schauen wir mal, was der HerrHomo sapiens nobilis alles in seinem hübschen Meta-menschenkörper trägt. Du kannst den Oberkörperschon mal freimachen, wir fangen gleich an.«

Der Elf streifte sich die Jeansjacke, den Pullover und das kugelsichere T-Shirt ab, während er den Blickdurch den Raum schweifen ließ.

Die Praxis am Anfang der Redmond Barrens warwie immer penibel aufgeräumt. Keine Kabel hingenunordentlich herum, keine Blutspritzer klebten an denWänden, der Boden präsentierte sich im wahrstenSinne des Wortes klinisch rein. Sorgsam angeordnetlagen die chirurgischen Werkzeuge auf den Stahl-tabletts, Computeranschlüsse ragten griffbereit aus denHalterungen, und über allem hing dieser beruhigendeGlanz von Sauberkeit. Diese Gewissenhaftigkeit sprachfür Doc E.R., bei dem Sparkplug seit einem Jahr einguter Kunde war.

Hier könnte man glatt picknicken, dachte er.Sein Schieber hatte ihn auf den Mediziner aufmerk-

sam gemacht, der im Gegensatz zu den meisten ande-ren in den Barrens keinen Liefervertrag mit einer Kör-perbank oder einem Versuchslabor abschließen woll-te – das schien dem Rigger irgendwie vertrauenerwe-ckend. Außerdem war er noch nie in seiner ganzen

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Schattenläuferkarriere einem handwerklich so begab-ten Chirurgen begegnet, der dabei ganz auf Talentsoft-ware verzichtete. Das Einzige, was sich der Mann ge-gönnt hatte, waren ein paar Cyberaugen mit speziellenEinstellungen und Vergrößerungsoptionen, die Opera-tionen erleichterten, sowie eine Datenbuchse, über dieer alle Daten seiner Patienten während des Eingriffskontrollierte.

Sparkplug hatte den Mediziner schon häufig zuüberreden versucht, endlich die überflüssige Brille ab-zulegen, aber diese Gewohnheit wollte der gerüch-teumwitterte Mann nicht aufgeben. Angeblich, so er-zählte man sich auf der Straße, hatte sich Doc E.R. miteinem großen Tier aus der Kybernetikabteilung vonFuchi angelegt und auf seltsame Weise seine Approba-tion verloren.

Anfangs, das wusste der Rigger noch sehr gut,wirkte der kleine, schlaksige Mann etwas hilflos in denBarrens, aber er gewöhnte sich recht schnell an dasLeben zwischen allen Fronten, und seine Ausdrucks-weise klang inzwischen fast, als hätte er schon immerhier gelebt. Sein Ruf bei den anderen Schattenläufernwar erstklassig.

»Die Haare müssen noch ab, oder?« Der Elf kratztesich am Kopf und fuhr sich durch die ohnehin kur-zen Reste. »Dabei waren sie gerade so schön nachge-wachsen.«

Die Tür des OP öffnete sich, und Schwester Tiarakam herein.

»Aha, der verrückte Elf ist wieder da«, begrüßte sieihn. »Hätte ich das gewusst, wäre ich heute nachDowntown gefahren.« Die hoch gewachsene Arzthelfe-rin mit den tiefblauen Augen und den schwarzen Haa-ren lächelte. »Schön, dich zu sehen.«

»Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Tiara.« Erdeutete einen Handkuss an.

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»Du ziehst dir zu viel von diesem Rittertrid-Drekrein, den sie nachts senden«, grummelte Doc E.R. »Unddu, hör auf, den Typen zu verwöhnen, und mach ihmeine Glatze. Der Strom scheint gerade konstant zu sein,also die besten Voraussetzungen für den Eingriff.«

»Ich hoffe, du weißt, wie die Jungs dich auf derStraße nennen, oder?«, fragte der Rigger unschuldig,während Tiara ihm den Kopf einschäumte und dieHaarsträhnen mit dem Rasierer abschnitt.

Der Doc schloss Kabel der unterschiedlichsten Ge-räte zusammen und schaltete nach und nach Monitorehinzu, bis der ganze OP voller piepsender und pfeifen-der Bildschirme war.

»Ich vermute mal, Genie oder Virtuose. Oder viel-leicht sogar Halbgott?« Er stöpselte sich ein und check-te die Anzeigen.

»Nein – Doc Deb.« Sparkplug zog einen Stecker he-raus, worauf ein ohrenbetäubendes Heulen einsetzte.»Das ist die Abkürzung für Debrifilator.«

Die Schwester kicherte.»Sehr komisch.« Der Mediziner entfernte den An-

schluss, zog die Latexhandschuhe an und entnahmeine Kanüle aus der sterilen Verpackung.

Elegant und fast ohne spürbares Pieksen setzte erdem Elf die dicke Nadel in den Unterarm, befestigteden Infusionsschlauch und schloss einen Beutel mitklarer Flüssigkeit an das Kanülenende an.

»Ich werde es richtig genießen, wenn du gleich ein-schläfst. Und jetzt gib der Schwester deinen Credstab,damit sie mir die Kohle abbucht.«

»Vor der OP?« Sparkplug wollte aufbegehren. Tiaraentfernte die Rasierschaumreste und besprühte dieKopfhaut mit Desinfektionsmittel. »Fragg, das brennt!Was ist das? Salzsäure?« Der Rigger kramte den Stabaus der Tasche und reichte ihn der Arzthelferin.

»Keine Angst. Es ist nur ein Routineeingriff. Tja, mal

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sehen.« Der Doc schaute über Tiaras Schulter auf denelektronischen Prüfer. »Da sind 60000 Nuyen drauf,und für deine Steuereinrichtung gebe ich dir«, er wa-ckelte mit der Hand, »sagen wir 8000 Nuyen. Das neueSpielzeug kostet dich aber, inklusive Betreuung durchmich und Schwester Tiara, rund 100000 Nuyen. Dableibt eine beachtliche Differenz, Sparkplug.«

Der Elf seufzte. »Also gut. Mach mir einen Vor-schlag, Doc.«

Tiara befestigte Überwachungsdioden an seinem wei-ßen, dünnen Körper. Die Monitore zeigten kurz daraufseine Vitalwerte.

»Als dein Arzt muss ich dir sagen, dass mit derneuen Steuereinrichtung die Solidität deines Nerven-systems, praktisch der komplette Einklang von Körperund Geist gefährdet wird, wenn ich mir deine Implan-tatesammlung so ansehe.« E.R. hielt dem Rigger seineAkte unter die Nase. »Du hast ein Smartlink der Stufe2, Cyberaugen und eine Funkanlage, dass du bis nachAlaska telefonieren könntest. Was ich damit sagen will:Bei der nächsten Steuereinrichtung muss ich dir eini-ges aus dem Kopf reißen, sonst bist du zum letztenMal Auto gefahren, Chummer. Nur damit du dasweißt.« Er drückte den Rigger auf den OP-Tisch undzog eine Spritze auf. »Aber du hast Glück, ich machedemnächst ein verdammt gutes Geschäft mit einemSararimann. Ich werde dir einen Kredit einräumen, ob-wohl ich mir vorgenommen hatte, so etwas bei einemSchattenläufer nie wieder zu tun. Die meisten lebennicht lange genug, um mich zu bezahlen, aber bei dirmache ich der Freundschaft wegen eine Ausnahme.«Der Doc setzte die Spritze an den seitlichen Infusions-eingang und drückte die Flüssigkeit in den Kanal.»Und wegen des lebenslänglichen Chauffeurdienstes,den du mir zugestehen wirst.«

»Sagen wir, ein Jahr freie Fahrt und kostenloser

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Fahrzeugcheck bei meiner Lieblingsmechanikerin, ein-verstanden?«, feilschte Sparkplug schläfrig.

»Ich hoffe, Twing weiß das?« Der Doc grinste. »Ein-verstanden. Und nun süße Träume, Chummer.«

Der Elf sah noch Tiaras Lächeln. Dann driftete seinGeist davon.

Sparkplug erwachte langsam aus der Narkose, und dasGeräusch, das er trotz seiner benebelten Sinne hörte,ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren: Der Kardial-monitor, der seine Lebenszeichen kontrollierte, produ-zierte einen lang gezogenen Warnton.

»He, Doc«, rief der Elf schwach. Aus seiner linkenHand löste sich etwas und fiel klirrend zu Boden. »Ichglaube, ich sterbe gerade. Tu was!«

Sein Kopf schmerzte fürchterlich, und sein viel zuschneller Puls rauschte laut in seinen Gehörgängen.Die künstlichen Augen verweigerten jeden Dienst undlieferten nur Schwärze an das Gehirn.

Das Pfeifen, das seinen Tod verkündete, blieb.Den Tod hätte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Spark-

plug beschloss, ruhig liegen zu bleiben und auf Hilfezu warten, während er in Gedanken die Höhepunkteseines Lebens durchging.

Die Glanzlichter seines Daseins waren jedoch schnellvorübergezogen. Nach knapp dreißig Sekunden fühlteer sich nicht wesentlich anders, obwohl das Gerät immernoch Herzstillstand verkündete. Was ist das für ein Mist?

»Verdammt, Doc«, versuchte er sein Glück erneut.»Die Maschine ist im Eimer und geht mir tierisch aufdie Nerven. Ich bin nicht tot.«

Im Raum blieb alles still.Dem Rigger dämmerte allmählich, dass irgendetwas

nicht stimmte.Doc E.R. war ein Pedant, und wenn einem seiner Pa-

tienten das Ableben drohte, pflegte er nicht im Warte-

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raum zu sitzen und Kaffee zu trinken. Er wird am Endenicht doch einen Vertrag mit einer Körperbank abgeschlos-sen haben? Oder ist das vielleicht ein Wake-up-Joke des me-dizinischen Meisters?

»Ich habe keine Lust mehr«, nörgelte er nach einerWeile. »Ich bezahle eine Menge Creds für guten Ser-vice, und dazu gehört mit Sicherheit nicht dieser Dauer-test für Trommelfelle.«

Er sah immer noch nichts, und das dumpfe, schmerz-hafte Gefühl in seinem Kopf verstärkte sich. Offen-sichtlich ließ die Wirkung der schmerzhemmenden Mit-tel nach.

Dafür meldete sich kurzfristig die Narkose zurück,und der Elf versank in einen Halbschlaf, aus dem ernach einer unbestimmten Zeit erwachte, stürmisch be-grüßt von dem immer noch jaulenden Kardialmonitor.

Jetzt habe ich die Schnauze aber voll. Sparkplug tastetenach den Kabeln und riss daran.

Seitlich neben ihm knirschte es, dann kippte etwasdröhnend zu Boden. Das Pfeifen verstummte kläglich.Selber schuld.

Vorsichtig fuhr er mit den Händen die Liege entlangund stellte verwundert fest, dass er immer noch aufdem OP-Tisch lag.

Spätestens jetzt wusste der Rigger, dass etwas schiefgelaufen war. Normalerweise kam der Patient im Auf-wachraum zu sich.

Er konzentrierte sich auf die Geräusche der Umge-bung, aber es war alles still.

Prüfend sog er die Luft ein und glaubte den Hauchvon einem ihm unbekannten Aftershave zu riechen.Seit wann stinkt es im OP nach Rasierwasser? Er ver-suchte, sich so vorsichtig wie möglich aufzusetzen.

Der dumpfe Schmerz in seinem Schädel wurde zueinem heißen Lavastrom, der Magma durch alle Zellenseines Körpers jagte.

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Sparkplug schrie auf, sank zurück, verlor dabei dasGleichgewicht und fiel seitlich vom Tisch.

Zu seiner Überraschung landete er einigermaßenweich. Trotzdem blieb er einige Minuten benommenliegen, und er spürte, wie ihm Blut aus der Nase lief.

Allmählich registrierte er, dass er auf einem Men-schen aufgekommen war. Mit zitternden Händen tas-tete er den Liegenden ab.

»Doc! Drek, was machst du auf dem Boden? Ist allesin Ordnung? Wäre echt toll, wenn du mich untersu-chen würdest. Ich fühle mich wirklich schlecht.«

Warme, klebrige Feuchtigkeit breitete sich unter sei-nen Fingern aus, die aus dem Oberkörper des Medi-ziners zu kommen schien. Oh, glänzend.

Sparkplug suchte vergebens den Puls des Docs, griffdafür aber in eine klaffende Wunde am Hals. Links da-neben, knapp neben dem Kopf des Mannes, fand er diezertretene Nickelbrille und ein blutiges Skalpell.

Keuchend fuhr der Rigger zurück und zog sich un-ter Aufbietung all seiner Kräfte hoch. »Drek! Oh, ver-fraggter Drek! Ich hole Tiara, Doc. Vielleicht kann sienoch was tun. Verreck mir bloß nicht, hörst du?«

Blind taumelte er gegen ein Schränkchen und warfes um, klirrend verteilte sich der Inhalt über den Bo-den des OP.

»Keine Panik, keine Panik«, murmelte er und riefsich den Operationssaal ins Gedächtnis.

Langsam, seinem Zeitgefühl nach viel zu langsam,arbeitete er sich bis zur Tür vor, die halb offen stand.Am Boden lag ein Hindernis, über das der Elf stol-perte.

O nein. Bitte nicht. Als er sich bückte, wurden seineschlimmsten Vermutungen bestätigt. Tiara lag tot aufder Schwelle. Aus ihrem Körper lief aus DutzendenWunden Blut.

Frag, was hat das alles zu bedeuten? Sparkplug lehnte

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sich gegen den Rahmen und rutschte kraftlos auf dieFliesen, und wenn ihm schon nicht schwarz vor Augenwurde – die elektronischen Augen lieferten immernoch kein Bild von seiner Umgebung –, so spürte erdoch eine drohende Ohnmacht. Was nicht verwunder-lich nach dem Eingriff war.

Schniefend zog er das Blut aus seiner Nase hoch,metallisch schmeckend rann die Flüssigkeit seine Kehlehinab.

Er versuchte, das eingebaute Comlink zu aktivie-ren, doch von dort bekam er keine Meldung. Lediglichder Traumadämpfer sprang an und linderte den ge-waltigen Schmerz ein wenig, sodass das Denken ei-nigermaßen störungsfrei funktionierte. Die physischeSchwäche machte ihm jedoch gehörig zu schaffen.

›Na prima. Ich sehe nichts, ich kann keine Hilferufen, und ich bin drekschwach auf den Beinen.‹ Erwischte sich das Blut unter der Nase weg. ›Und außer-dem läuft mein Gehirn aus, wenn das so weitergeht.‹

Sparkplug atmete tief ein und aus, um seinen Kreis-lauf einigermaßen auf Touren zu bekommen.

Wenn ich mich richtig entsinne, hatte Doc E.R. nebendem Tresor mit den teuren Medikamenten einen Panikschal-ter anbringen lassen. Mit dem werde ich es versuchen.

Mühsam rappelte er sich auf, schwankte blind durchden OP und kam nach einigen Irrwegen und etlichenVerschnaufpausen tatsächlich bei dem tonnenschwerenStahlschrank an. Der seitlich angebrachte Plastikknopf,der den Alarm auslöste, war bereits versenkt worden.

In dem Moment hörte er draußen die ersten Sirenen.Ihr kommt wohl ein bisschen spät, Chummers. Er hockte

sich auf irgendetwas, das sein Gewicht aushielt, undließ die Geschehnisse Revue passieren.

Zu den Sirenen des DocWagons gesellte sich das hek-tische Jaulen von LoneStar. Schlagartig wurde Spark-plug wach.

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»Drek, die werden denken, ich hätte E.R. gegeekt«,fluchte er und erinnerte sich dunkel an den Gegen-stand, den er nach dem Aufwachen in der linken Handgehalten hatte.

In seinem Zustand nach dem Skalpell zu suchen warreine Verschwendung. Er wusste nicht einmal mehrgenau, wo er es verloren hatte. Neben dem Doc? Oderwar es neben Tiara?

Den Gedanken, dass er ihn und die Schwester tat-sächlich umgebracht hatte, ignorierte er. Mir will je-mand etwas anhängen, und darauf habe ich überhaupt keineLust.

Er wankte zur Tür, stakste über die Tote und tau-melte den Korridor entlang zum Hinterausgang, wo erseinen GMC Bulldog geparkt hatte.

Der Rigger verschwendete kostbare Sekunden, bis er endlich die zigarettenschachtelgroße Abdeckung ne-ben der Fahrertür entfernt und den richtigen Code indas Zahlenschloss eingegeben hatte. Die Sirenen undMotorengeräusche kamen immer näher.

Mit letzter Kraft warf er sich auf den Sitz und star-tete den Autopiloten.

»Nach Hause, Cynthia«, sagte er, »fahre die Pro-grammierung 01166 ab. Die Stars sind vermutlich hin-ter uns her.«

»Wie Ihr wünscht, Mylord«, bestätigte die weiblicheComputerstimme.

Der GMC setzte sich mit quietschenden Reifen in Be-wegung.

Der gepanzerte Wagen rammte ein Hindernis, dannklang es, als ob etwas gegen die hintere Tür hagelte.

Cynthia kurvte durch die Gassen, um die Polizistenabzuschütteln. Das Sirenengeheul wurde schwächer,und schwächer bis es schließlich ganz verstummte.

»Wir haben sie abgehängt, Mylord«, meldete derAutopilot, aber Sparkplug war ohnmächtig.

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Seattle, Redmond Barrens, 21. 07. 2057 AD, 23.25 Uhr

Jeroquee schwang sich seufzend aus dem verrostetenAres-Master. »Immer dieselbe Scheiße, Piers. Runter indie Kanalisation und wieder rauf, tagaus, tagein.«

Der grauhaarige Mann lachte und stieg ebenfalls ausdem Wagen. »Sei froh, dass du dort unten nicht saubermachen musst, Mädchen.«

Er klatschte einen Aufkleber gegen die Windschutz-scheibe. Deutlich sichtbar prangte die kleine Plaketteauf der Fahrerseite. Damit lieferte das Fahrzeug denNachweis, dass sein Besitzer der ansässigen Gang, den›Sparks‹, das entsprechende Standgeld gezahlt hatte.

Die hübsche, dunkelhaarige Frau mit den prächtigenLocken lächelte schwach und suchte die Absperrungs-vorrichtungen aus dem Master hervor, um sie hinaus-zureichen. Piers baute sie mit routinierten Bewegun-gen um den Kanaldeckel vor dem Fahrzeug auf.

Wie immer fühlten sich die beiden beobachtet, aberin den Barrens waren sie daran gewöhnt.

Das Ghetto der gescheiterten Existenzen, Anarchis-ten, Aufständischen und Verlorenen sang für die bei-den die übliche Melodie. Von irgendwo aus den Häu-serschluchten erklang das gedämpfte Knattern einereinsamen Uzi, der Wind trieb die lauten Töne vonHardrock heran. Eine Aufklärungsdrohne huschte übersie hinweg und verschwand im Dunkel einer Seiten-gasse.

Eine Motorrad-Gang rollte auf die beiden zu. Dieaufgemotzten Geländemaschinen röhrten stinkendeAbgase in die abendliche Luft und trugen ihren Teilzum Smog bei, der wie ein Schleier über Seattleschwebte.

Keiner der Ganger würdigte die beiden eines Bli-ckes. Sie waren dank der Plakette uninteressant.

Piers hatte seine Arbeit nach kurzer Zeit beendet

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und ging zum Heck des Wagens, wo seine Partnerinihre Waffen inspizierte.

Ein kleines Sammelsurium von Handfeuerwaffenlag vor ihr, sorgsam gepflegt und leicht mit einem Öl-tuch abgerieben.

Die Jäger wechselten ihre Klamotten gegen wasser-dichte, dunkle Spezialkleidung, ähnlich einem Neo-prenanzug. Darunter trugen sie lange Unterwäscheund kugelsichere Westen, die ihre Körper extrem über-proportioniert erscheinen ließen. Der Anzug verfügtezudem über eine Panzerung, die Schutz vor Klin-gen oder kleineren Projektilen bot. Lebenswichtig beiihrem Job.

»Jeff, glaubst du, wir finden heute ein paar von denLeichenfressern?« Klickend rasteten die letzten Zähnedes Reißverschlusses ineinander.

Ihr Mentor klopfte ihr beschwichtigend auf dieschmale Schulter. »Nur langsam, Mädchen. Eile istdort unten tödlich. Die Wesen kennen sich in den Ab-wasserkanälen bestens aus und spielen ein Spielchenmit dir, wenn sie merken, dass du ein verdammter An-fänger bist. Aber wir zwei machen bei ihrem kleinenZeitvertreib nicht mit, weil wir schlauer sind als alle,die sie schon erwischt haben.«

Jeroquee griff nach der Ingram und aktivierte probe-halber das eingebaute Smartlink. »Hattest du schonviele Kämpfe mit den Ghuls, Jeff?«

Seine verchromten Augen schienen belustigt aufzu-blitzen. »Mädchen, seit ich die Straßen vor zehn Jah-ren verlassen und das Läuferleben aufgegeben habe,schlage ich mich mit diesen Kreaturen herum. Aberdas ist einfacher, als sich mit Konzernen, Gangs oderLoneStar anzulegen. Ich betrachte mich als einen mo-dernen Kammerjäger. Aber warum du mit deinenzwanzig Jährchen hier mitmachst, verstehe ich beimbesten Willen nicht.«

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»Das ist ganz einfach«, antwortete Jeroquee, währendsie sich ein Kurzschwert auf den Rücken hing und den breiten Schultergurt mit Schrotpatronen voll stopfte.»Die Regierung bezahlt für jeden Kopf der Leichenfres-ser, wissenschaftlich auch manesphagus horridus genannt,jede Menge Creds. Ich finde, es ist eine aufregende undgute Arbeit, wenn es auch nicht gerade angenehmriecht.« Sie befestigte die Gasmaske und die Sauerstoff-maske an den Halterungen am Gürtel. »Seit ich voreinem halben Jahr zu dir gekommen bin, habe ich vielgelernt. Das Einzige, was ich konnte, war Schießen undLeute zusammenschlagen. Jetzt mache ich etwas völligLegales, um an die Nuyen zu kommen.«

Jeff Piers sah sie lange an. »Und was sagt deinFreund dazu?«

Sie zuckte mit den Achseln, mit einem Ruck korri-gierte sie die Einstellung des Klettverschlusses undrückte den Gurt mit der Munition zurecht. »Barry?Dem ist es scheißegal, solange ich nur Credsticks fürseine BTL-Chips mitbringe. Aber sonst ist er ein ein-wandfreier Typ.« Sie hob eine Hand, um eine Erwide-rung im Ansatz zu ersticken. »Und sag jetzt nicht wie-der, ich hätte einen Besseren verdient, okay? Ich findeihn dufte.«

Der ehemalige Straßensamurai lachte ungläubig auf,hob mit einer Hand den Kanaldeckel ab und legte ihnzur Seite. Dass er das Verhalten ihres Freundes zutiefstmissbilligte, behielt er lieber für sich. Der sollte seinenArsch selbst hierher bewegen und sich die Creds für Hirn-weichmacher besorgen.

Warme Dunstschwaden waberten aus der Öffnung,deren Geruch Übelkeit erregend war. Der Mann we-delte mit der Hand die Wolken zur Seite und rümpftedie Nase.

»Hast du ein Glück, Jeroquee. So wie es hier riecht,passen du und dein Freund heute Abend perfekt zu-

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sammen. Dann seid ihr beide ›dufte‹.« Er warf einenabschätzenden Blick nach oben. »Es wird bald Regengeben. Wir sollten uns beeilen.«

Er zog sich die Handschuhe über und begann mitdem Abstieg in die Schwärze der Seattler Kanalisation.

»Jeff! Auf den Friedhöfen hat es mir besser gefal-len!«, rief sie hinterher und kletterte die feuchten Ei-sensprossen hinab. »Wie ist das mit dem versproche-nen Urlaub? Kann ich mir den jetzt nehmen?«

»Jeroquee, halt den Mund!«, tönte es hohl von untenherauf.

Sie liefen seit einer Stunde in der Kanalisation umher,ohne einen einzigen Ghul zu Gesicht bekommen zuhaben.

Das Abwasser, das in einer zwei Meter breiten undanderthalb Meter tiefen Rinne entlangschoss, hatte allemöglichen Farben und Gerüche. Von der Decke tropfteKondenswasser herab, während aus Zuleitungen inder Wand hin und wieder ein Schwall verschmutztes,stinkendes Wasser herauslief und den schmalen stei-nernen Steg, auf dem sie balancierten, in eine Rutsch-bahn verwandelte.

Ratten huschten zwischen ihren Stiefeln entlang und verschwanden hektisch pfeifend in ihren Löchern,wenn sie sich einen Tritt einfingen.

Jeder normale Straßenbürger wäre hier wahrschein-lich den Ekeltod gestorben, doch Piers und Jeroqueestanden mittlerweile über diesen Dingen.

Es war das gewöhnliche Umfeld ihres Berufes, undwenn die Kanalisation nicht den Einsatzort darstellte,trieben sie sich in verlassenen Häusern oder auf Fried-höfen herum.

Aber heute schienen sie kein Glück zu haben.An einer etwas breiteren Stelle hielt Jeff an und

winkte Jeroquee zu sich.

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Umwelthinweis:Dieses Buch wurde auf chlor- und

säurefreiem Papier gedruckt.

Taschenbuchausgabe 6/06Redaktion: Ralf Oliver Dürr

Copyright © 2006 by Wizkids/Fantasy ProductionsCopyright © 2006 dieser Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, Münchenin der Verlagsgruppe Random House GmbH

www.heyne.dePrinted in Germany 2006

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, MünchenSatz: C. Schaber Datentechnik, Wels

Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN-10: 3-453-52207-9ISBN-13: 978-3-453-52207-7

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Markus Heitz

SchattenjägerShadowrun-Romane

Taschenbuch, Broschur, 1360 Seiten, 11,8 x 18,7 cmISBN: 978-3-453-52207-7

Heyne

Erscheinungstermin: Mai 2006

Vom Bestsellerautor von „Die Zwerge“, „Der Krieg der Zwerge“ und „Die Rache der Zwerge“:ein atemberaubendes Abenteuer im Europa der nahen Zukunft, das rasante SF-Action undmagische Elemente auf geniale Weise miteinander verbindet. „Schattenjäger“ versammelterstmals die „Shadowrun“-Romane „TAKC 3000“, „Gottes Engel“ und „Aeternitas“ in einemBand.