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1 chirurgische praxis 2018 Band 84 / 1 Ellenbogen – Luxation – Luxationsfraktur – Bewegungsfixateur – Instabilität chirurgische praxis 84, 1–14 (2018) Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG Die Behandlung der Ellenbogenluxation D. Pennig 1 , J. Wilke 1 , S. Heck 2 , J. Dargel 3 1 Klinik für Unfall- und Wiederherstellungs- chirurgie, Handchirurgie und Orthopädie, St. Vinzenz-Hospital Köln; 2 Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, HELIOS Spital Überlingen; 3 Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Köln Einleitung Das Ellenbogengelenk als Zentralgelenk der oberen Extremität erlaubt die Positionierung der Hand als Greiforgan. Eine Störung des Be- wegungsumfanges des Ellenbogens und/oder der Unterarmdrehung hat entsprechende Auswirkun- gen auf die Gebrauchsfähigkeit der oberen Glied- maße. Die komplex ausgebildete Anatomie des Ellenbogengelenkes mit ossären und ligamentä- ren Stabilisatoren macht dieses Gelenk anfällig für posttraumatische Funktionsstörungen. Hier- bei sind insbesondere die Bewegungseinschrän- kung, der Schmerz und die Kraftminderung zu erwähnen. Posttraumatisches Auftreten der Ar- throfibrose, einer inkongruenten Gelenkfläche mit posttraumatischer Arthrose, heterotope Os- sifikation, chronische Subluxation sowie Achs- fehlstellung und Pseudarthrosen werden in Zu- sammenhang mit der Therapie von Luxation und Luxationsfrakturen beschrieben. Die Sicherung der Gelenkstabilität in Verbindung mit einer frühzeitigen Mobilisierung des Ellenbogenge- lenkes zielt auf die Vermeidung der Arthrofibro- se hin und ergänzt die interne Osteosynthese bei zusätzlich vorhandener ligamentärer Insta- bilität. Die Behandlungsstrategien in der Ver- sorgung der akuten Ellenbogenluxation müssen basieren auf dem Verständnis der Anatomie, der Biomechanik und der sorgfältigen Analyse des Verletzungsmechanismus. Epidemiologie Bei Kindern und Jugendlichen ist die Ellenbo- genluxation die häufigste Verrenkung großer Gelenke, bei Erwachsenen rangiert sie nach der Schulterluxation auf Platz zwei. Somit wird der Unfallchirurg und Orthopäde im Alltag regelmä- ßig mit dieser Entität konfrontiert. Die Inzidenz beträgt 6–13/100.000 Einwohner [1, 2]. Begleitverletzungen bei Ellenbogenluxationen werden regelmäßig beobachtet. Radiuskopf- und -halsfrakturen treten in ca. 5–10 % der Fälle mit Kompression auf das radiohumerale Gelenk auf, Avulsionen des medialen und lateralen Epikon- dylus in ca. 12 % der Fälle und Koronoidfrakturen CME c m e. m g o -f ac h v e rl a g e .d e

05 cp84-1 Penning CME · dislozierten ( 2 mm) Fraktur, Typ II der dislozierten Fraktur, die einer sinn - vollen Osteosynthese zugänglich ist, Typ III einer Fraktur, die chirurgisch

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1chirurgische praxis 2018 Band 84 / 1

Ellenbogen – Luxation – Luxationsfraktur – Bewegungsfixateur – Instabilität

chirurgische praxis 84, 1–14 (2018) Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG

Die Behandlung der Ellenbogenluxation

D. Pennig1, J. Wilke1, S. Heck2, J. Dargel 3

1 Klinik für Unfall- und Wiederherstellungs-chirurgie, Handchirurgie und Orthopädie,

St. Vinzenz-Hospital Köln; 2 Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie,

Hand- und Wiederherstellungschirurgie, HELIOS Spital Überlingen;

3 Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Köln

� Einleitung

Das Ellenbogengelenk als Zentralgelenk der oberen Extremität erlaubt die Positionierung der Hand als Greiforgan. Eine Störung des Be-wegungsumfanges des Ellenbogens und/oder der Unterarmdrehung hat entsprechende Auswirkun-gen auf die Gebrauchsfähigkeit der oberen Glied-maße. Die komplex ausgebildete Anatomie des Ellenbogengelenkes mit ossären und ligamentä-ren Stabilisatoren macht dieses Gelenk anfällig für posttraumatische Funktionsstörungen. Hier-bei sind insbesondere die Bewegungseinschrän-kung, der Schmerz und die Kraftminderung zu erwähnen. Posttraumatisches Auftreten der Ar-throfibrose, einer inkongruenten Gelenkfläche mit posttraumatischer Arthrose, heterotope Os-sifikation, chronische Subluxation sowie Achs-fehlstellung und Pseudarthrosen werden in Zu-sammenhang mit der Therapie von Luxation und Luxationsfrakturen beschrieben. Die Sicherung der Gelenkstabilität in Verbindung mit einer frühzeitigen Mobilisierung des Ellenbogenge-lenkes zielt auf die Vermeidung der Arthrofibro-se hin und ergänzt die interne Osteosynthese bei zusätzlich vorhandener ligamentärer Insta-bilität. Die Behandlungsstrategien in der Ver-sorgung der akuten Ellenbogenluxation müssen basieren auf dem Verständnis der Anatomie, der Biomechanik und der sorgfältigen Analyse des Verletzungsmechanismus.

� Epidemiologie

Bei Kindern und Jugendlichen ist die Ellenbo-genluxation die häufigste Verrenkung großer Gelenke, bei Erwachsenen rangiert sie nach der Schulterluxation auf Platz zwei. Somit wird der Unfallchirurg und Orthopäde im Alltag regelmä-ßig mit dieser Entität konfrontiert. Die Inzidenz beträgt 6–13/100.000 Einwohner [1, 2].

Begleitverletzungen bei Ellenbogenluxationen werden regelmäßig beobachtet. Radiuskopf- und -halsfrakturen treten in ca. 5–10 % der Fälle mit Kompression auf das radiohumerale Gelenk auf, Avulsionen des medialen und lateralen Epikon-dylus in ca. 12 % der Fälle und Koronoidfrakturen

CMEcm

e.mgo -fachverlage

.de

2018 Band 84 / 1 chirurgische praxis 2

mären und sekundären Stabilisatoren. O’Driscoll hat dies in seinem Modell in Form einer Festung mit innerer und äußerer Verteidigungsmauer plastisch dargestellt (Abb. 1) [4].

Die spulenförmige Konfiguration der Trochlea und ihr Partner, die perfekt dazu passende firstartige Gelenkfläche des Olecranons, be-dingen eine starke knöcherne Führung. Das ulnohumerale Gelenk als primärer Stabilisator trägt dadurch nicht nur zur anterioren bzw. posterioren Stabilität, sondern auch zur Varus- respektive Valgus-Stabilität sowie zur Rotati-onsstabilität bei.

Kadaveruntersuchungen zeigten, dass das Hu-meroulnargelenk den stärksten Stabilisator des Ellenbogens unter Varusstress darstellt, mit 55 %

in 10 % der Luxationen. Ipsilaterale Verletzun-gen der angrenzenden Gelenke sind geeignet, verspätet diagnostiziert zu werden. Vor allem sind dies distale Radiusfrakturen, Kahnbeinfrak-turen, Frakturen des ulnaren Styloids, perilunäre Luxationen und Schulterverletzungen [3].

� Anatomie und Biomechanik

Das Ellenbogengelenk ist ein Drehscharnierge-lenk und stellt eines der stabilsten Gelenke des menschlichen Skeletts dar. Verantwortlich für diese Stabilität sind im Wesentlichen statische Stabilisatoren wie die knöcherne Gelenkführung im Humeroulnargelenk, die Kapsel-Band-Struk-turen sowie dynamische Stabilisatoren in Form der Muskulatur. Man unterscheidet zwischen pri-

Humero­ulnar­ gelenk

Humero­radial­gelenk

Exten­ sorenFlexoren

medialerKollateral­

band­ komplex

lateralerKollateral­

band­ komplex

Gelenkkapsel

Abb. 1 | Darstellung der primären und sekundären Stabilisatoren des Ellenbogengelenkes analog den »Verteidigungs-mauern« einer Burg. Die drei primären statischen Stabilisatoren der »äußeren« Mauer sind das Humeroulnargelenk, das anteriore mediale Kollateralband (AMCL) und das laterale Kollateralband mit vor allem seinem ulnaren Anteil (LUCL). Die sekundären Stabilisatoren werden durch den Radiuskopf und die gemeinsamen Ursprünge der Streck- und Beugesehnen des Unterarmes/Handgelenkes gebildet

chirurgische praxis 2018 Band 84 / 1 3

der Stabilität bei Varusstress in kompletter Stre-ckung und 75 % Stabilität bei 90° Beugung. Die restliche Stabilität wird durch die kapsuloliga-mentären Strukturen beigesteuert [5].

Ähnliche Experimente ergaben, dass die Re-sektion eines Viertels der Olecranonspitze die Valgusstabilität um 50 % verringert [6]. Die Va-russtabilität wird durch diese Maßnahme nicht beeinträchtigt, solange der Processus corono-ideus unversehrt bleibt.

Serielle Kadaversektionsstudien konnten nach-weisen, dass das anteriore Bündel des medialen Kollateralbandes zu ca. ¹∕³ bis ½ der Ellenbogen-stabilität bei Valgusbelastung beiträgt [5, 7, 8].

Wichtig ist die Tatsache, dass neben dem medi-alen Kollateralbandkomplex die übrigen Weich-teilgewebe und kapsulären Strukturen für bis zu 40 % der Stabilität bei Valgusstress und für ¹∕³ der Stabilität bei Varusstress in voller Streckung verantwortlich sind [5]. Diese Stabilität wird der anterioren Kapsel zugeschrieben.

Eine ausgedehntere Fraktur des Processus coro-noideus, eine Fraktur des medialen Epikondylus und eine Ruptur des anterioren Aspekts des medialen Kollateralbandkomplexes sind Verlet-zungen, die die Stabilität des Ellenbogens be-einträchtigen.

Der laterale Kollateralbandkomplex entspringt vom lateralen Epikondylus an einer Stelle ko-linear zum Rotationszentrum des Ellenbogens. Das radiale Seitenband, das Ligamentum anulare des Radiuskopfes, das laterale ulnare Seitenband (LUCL) und das akzessorische laterale Seiten-band bilden zusammen diesen Bandkomplex.

Zur posterolateralen Stabilität tragen die ulna-ren und anulären Insertionen des lateralen Kol-lateralbandkomplexes bei, das Ligamentum anu-lare selbst, die muskulotendinösen Strukturen einschließlich des M. supinator, ein Faszienband des M. ext. carpi ulnaris und der gemeinsame Extensorenursprung, verstärkt durch intermusku-läre Septen [9]. Die Spannung im lateralen Kol-lateralbandkomplex und der darüber liegenden

muskulären Strukturen trägt zur Erhaltung der Gelenkstellung von Radiuskopf und Capitulum und damit zur Stabilität bei.

Der Radiuskopf fungiert als sekundärer Stabilisa-tor des Ellenbogens und dient zur Kraftübertra-gung von der Hand zum Oberarm.

Das Maximum an Gelenkkontakt und Kraftüber-tragung findet in Pronations- und Extensions-stellung statt [10]. Bis zu 60 % der Kraft werden über die radiohumerale Säule übertragen, auch bei defekter Membrana interossea. In mehreren Kadaverstudien wurde gezeigt, dass bei Valgus-belastung und reseziertem Radiuskopf nahezu 30 % Stabilitätsverlust auftritt [5, 7, 11–13]. Der Erhalt der Artikulation zwischen Radius und distalem Humerus (laterale Säule) ist essentiell, wenn die Kollateralbänder verletzt werden. Die Resektion des Radiuskopfes bei rupturiertem me-dialem Kollateralband hat eine Instabilität mit Luxation zur Folge [14].

Die verlorene Stabilität kann nur zur Hälfte durch die Implantation einer Radiuskopfprothese wie-derhergestellt werden [7, 13, 15]. Der Einsatz von Silikonprothesen konnte den Stabilitätsver-lust nach Radiuskopfresektion in keinem Falle auch nur annährend verbessern, weshalb diese Implantate auch wegen der bekannten Silikon-synovialitis obsolet sind.

Die Lastverteilung bei gestrecktem Ellenbogen-gelenk verhält sich radial:ulnar = 3:2. Hieraus erwächst die Notwendigkeit der sicheren Sta-bilisierung der radialen und der ulnaren Säule (Abb. 1) [16].

Die das Ellenbogengelenk querenden Muskeln wie der M. triceps, der M. biceps, der M. brachia-lis und der M. anconaeus bilden die dynamischen Stabilisatoren.

Versagen die primären Stabilisatoren, kommt den sekundären Stabilisatoren Bedeutung zu. Bei einer Fraktur des Processus coronoideus mit Instabilität des medialen Kollateralbandes erlangt der Radiuskopf wesentliche Relevanz als sekundärer Stabilisator, eine Resektion un-

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einer posterolateralen Rotationssubluxation oder -luxation mündet. Dies kann dann klinisch mit dem lateralen Pivot-shift-Test reproduziert werden.

Nach O’Driscolls Modell läuft die Luxation kaska-denförmig ab. Die Weichteilverletzung schreitet von lateral nach medial fort. Zuerst reißt der ulnare Anteil des lateralen Kollateralbandes, was in einer posterolateralen Subluxation des Ellen-bogens resultiert. Mit fortschreitender Kraftein-wirkung wird die anteriore und posteriore Kapsel verletzt. Die Subluxation verstärkt sich hierdurch. Im weiteren Verlauf reißen alle Weichteilgewebe inklusive des posterioren Anteils des medialen Kollateralbandes, das für die Stabilität wichtige anteriore Band bleibt noch intakt. Zuletzt reißt der komplette mediale Kollateralbandkomplex inklusive des vorderen medialen Bandes. Dies führt zu deutlicher Varus- und Valgusinstabilität sowie zur Rotationsinstabilität.

ter diesen Umständen wirkt sich deletär auf die Stabilität des Ellenbogens aus.

� Pathoanatomie

O´Driscoll postuliert, bei Stürzen auf die ausge-streckte Hand und damit bei einem großen Teil der häufigsten dorsalen Ellenbogenluxation be-ginne die Pathologie mit einer posterolateralen Rotationsinstabilität des Ellenbogens [4]. Auf den Ellenbogen wirkt während des Abstützens eine axiale Kompressionskraft, gleichzeitig nä-hert sich der Körper dem Boden. Der Oberkörper rotiert nach innen, der Unterarm nach außen und übt eine Supinationsbewegung aus. Die Be-lastungsachse verlagert sich dabei nach lateral, womit ein Valgus entsteht. Die Kombination aus Valgus und Supination mit axialer Kompression während der Beugung ist der Mechanismus, der in

Abb. 2 | Veranschaulichung der stabilisierenden Komponenten des Ellenbogengelenkes in Form eines Ringes. Die Komplexität der Verletzung steigt mit der Anzahl der verletzten Strukturen

Anteriore SäuleKoronoidM. brachialisanteriore Kapsel

Posteriore SäuleOlecranonM. Tricepsposteriore Kapsel

Laterale SäuleRadiuskopfCapitulum

LCLC

Mediale SäuleMCLCKoronoidmed. Condylus

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des distalen Radioulnargelenkes sind alle not-wendigerweise gerissen.

Klassifikation der Begleitverletzungen

Frakturen des Processus coronoideus werden nach Regan & Morrey [19] eingeteilt in

• Frakturen der Koronoidspitze,• Frakturen mit weniger als 50 % der Höhe des

Koronoids,• Frakturen mit mehr als 50 % der Koronoid-

höhe.

Die häufigeren Frakturen der Koronoidspitze wer-den zu Unrecht als Avulsionsfrakturen bezeich-net, da an der Spitze weder Muskeln noch Kapsel inserieren, vielmehr handelt es sich um Abscher-fragmente, die bei der Subluxation oder Luxation beobachtet werden, in Analogie zur knöchernen Bankart-Läsion bei der traumatischen Schulter-luxation [4]. Die klinische Relevanz einer Koro-noidfraktur darf nicht auf deren isolierte Verlet-zung reduziert werden, sondern muss Anlass zu weiterer Diagnostik geben, da meist zusätzliche Kapsel-Band-Verletzungen vorliegen.

O’Driscoll hat eine detailliertere Klassifikation der Processus-coronoideus-Frakturen beschrieben. Sie soll bei der Identifikation jener Frakturen hel-fen, die das anteriomediale Kantenfragment des Koronoids und die ulnare Insertion des anterioren Bündels des ulnaren Seitenbandes betreffen [20].

Radiuskopffrakturen werden nach rein bildmor-phologischen Kriterien nach der Klassifikati-on nach Mason [21] in drei Typen eingeteilt. Johnson fügte dieser Klassifikation einen 4. Typ bei zusätzlich vorliegender Ellenbogenluxation hinzu. Hotchkiss hat diese Klassifikation be-handlungsorientiert modifiziert [4], wobei

Typ I einer undislozierten bzw. minimal dislozierten (2 mm) Fraktur,

Typ II der dislozierten Fraktur, die einer sinn-vollen Osteosynthese zugänglich ist,

Typ III einer Fraktur, die chirurgisch nicht re-konstruierbar ist und

Das von Ring und Jupiter erwähnte Modell der Verletzungsarten von Heim [17] lässt mehr Frei-heit in Bezug auf die zeitliche Abfolge der ver-letzten Strukturen zu. Die anatomischen Struk-turen bilden einen Ring mit vorderer, hinterer, medialer und lateraler Säule. Das Risiko für eine rezidivierende bzw. chronische Instabilität wird größer, je mehr Komponenten des Rings verletzt sind. Falls radiologisch der Nachweis einer Ver-letzung einer Komponente, wie z. B. einer Radi-uskopftrümmerfraktur, erbracht wurde, ist eine zweite Verletzung des Ringes, wie die Verletzung des medialen Kollateralbandes, wahrscheinlich (Abb. 2).

Die Kräfte, die bei der Luxationsbewegung auf das Gelenk einwirken, führen zu ligamentären Verletzungen, können aber auch substanzielle Kompressions- und Scherkräfte an der Gelenk-fläche produzieren. Deshalb sind Begleitverlet-zungen, wie am Radiuskopf bzw. -hals oder am Capitulum, häufig. Chondrale Verletzungen von Capitulum und Trochlea sind häufiger als bisher angenommen [18].

� Klassifikation

Die akute Ellenbogenluxation wird eingeteilt in hintere, vordere und divergierende Luxationen. Diese Einteilung bezieht sich auf die Stellung des Unterarms im Verhältnis zum distalen Oberarm.

Die häufigsten Luxationen sind die hinteren. Eine ggf. zusätzlich vorliegende Translation nach ulnar oder radial spielt dabei eine untergeord-nete Rolle.

Vordere Luxationen sind sehr selten und werden gewöhnlich bei jüngeren Patienten beobachtet. Der Verletzungsmechanismus ist hier noch nicht vollständig untersucht und verstanden. Bei Er-wachsenen ist bei vorderen Luxationen gewöhn-lich das Olecranon mitfrakturiert.

Die divergierende Luxation ist eine ebenfalls sel-tene Verletzung, meist in Verbindung mit einem Hochrasanztrauma. Die Membrana interossea, das Ligamentum anulare und die Gelenkkapsel

2018 Band 84 / 1 chirurgische praxis 6

Vor einer ggf. notwendigen Reposition sollten konventionelle Röntgenaufnahmen in zwei Ebe-nen erfolgen. Alleinige Übersichtsaufnahmen des gesamten Unter- bzw. Oberarms mit angren-zenden Gelenken auf einem Bild sind keinesfalls ausreichend und dienen nur der groben Über-sicht zur Frakturerkennung, subtilere Diagnostik ist ausschließlich mittels einer auf das Gelenk zentrierten Röntgenaufnahme möglich.

Die Röntgendiagnostik in zwei Ebenen ist post repositionem zu wiederholen, ggf. durch Spe-zialaufnahmen für den Radiuskopf und die Olecranon aufnahme zu ergänzen und immer nach dem gleichen Schema mit Überprüfung aller 4 Säulen des Ellenbogens zu betrachten, zu lesen und richtig zu interpretieren. Alternativ kann

Typ IV der Begleitverletzung bei Luxation ent-spricht.

� Diagnostik

Die Erhebung der Anamnese mit Angaben zum Verletzungsmechanismus sind wichtige Infor-mationen, die helfen, die auf das Gelenk ein-gewirkte Kraft einzuschätzen (Hochrasanz vs. Niedrigenergie-Trauma).

Die klinische Untersuchung sollte die Überprü-fung des Gefäß-Nerven-Status beinhalten und zum Ausschluss weiterer Verletzungen die an-grenzenden Gelenke miteinbeziehen.

ELLENBOGENTRAUMA

ELLENBOGENLUXATION UNREPONIERT FRAKTUR/STATTGEHABTE LUXATION?

ANAMNESE, Verletzungsmechanismus, Fremdbilder

KLINISCHE UNTERSUCHUNG neurovaskulärer Status, Hämatom, Begleitverletzungen

konventionelles RÖNTGEN, Spezialaufnahmen

DÜNNSCHICHT­CT frontale/sagittale Rekonstruktionen

Operation OperationUntersuchungin NARKOSE

OA­Gipsschiene 6d, dann Physiotherapie

Operationklinisch V. a. Instabilität,

CT ohne Nachweis

SUBLUXATION INSTABILITÄT

KURZNARKOSE Reposition

Stabilitätstestung Gipsanlage in 100° Flexion

FRAKTUR Radiuskopf, Koronoid,

Olecranon

»okkulte« LUXATIONSZEICHEN?

instabil stabil

stabil in­

stabil

Abb. 3 | Diagnose-Algorithmus

chirurgische praxis 2018 Band 84 / 1 7

� Verletzungsmuster und deren Therapie

Die differenzierte Therapie der Luxationsfraktu-ren am Ellenbogen richtet sich nach dem Fraktur-muster. Ziel ist die primär operative Versorgung mit ausreichender Gelenkstabilität, die eine frühfunktionelle Nachbehandlung gewährleistet.

Alleinige Verletzung kapsuloligamentärer Strukturen

Das Spektrum der Weichteilverletzungen kann von einer alleinigen Ruptur des lateralen oder medialen Kollateralbandkomplexes bis zu einem Riss aller kapsuloligamentären Strukturen des Ellenbogens reichen, und zwar bei »unkompli-zierten« Luxationen sowie bei Luxationen mit begleitender Fraktur [22]. Studien zur operati-ven Reparatur »scheinbar unkomplizierter« El-lenbogen-Luxationen haben ergeben, dass bei nahezu jedem Patienten alle kapsuloligamentä-ren Strukturen rupturieren [23, 24]. Zusätzlich waren die umgebenden Muskeln in unterschied-lichem Ausmaß mitbeteiligt [22, 23].

Die Reposition eines luxierten Ellenbogens sollte ausnahmslos in Kurznarkose erfolgen. Nach Re-position erfolgt die Stabilitätsprüfung, idealer-weise unter Bildwandlerkontrolle. Bei stabilem Gelenk erfolgt die 6-tägige Behandlung in einer Gipsschiene und nach erneuter Untersuchung und Stabilitätsprüfung nach diesem Zeitintervall die Freigabe und physiotherapeutische Beübung des Gelenkes.

Bei instabilem Gelenk erfolgt die Ruhigstellung in einer geeigneten Gipsschiene in 110° Beu-gung. Dieser Winkel ist notwendig, um eine Re-luxation im Gips zu verhindern.

Die Stabilitätsprüfung in Narkose nach Reposi-tion hat den Vorteil, dass zeitnah das weitere Procedere festgelegt und in gleicher Sitzung vorgenommen werden kann.

Persistierende Instabilitäten nach geschlossener Reposition können einerseits durch die vollstän-dige Verletzung aller Kapsel-Band-Strukturen

auch bei klarer Operationsindikation anstelle der Röntgenkontrolle nach Reposition die Computer-tomographie erfolgen.

Bei Ellenbogengelenken ohne klinisch und ra-diologisch deutlich sichtbare Fehlstellung ist be-sonderes Augenmerk auf die »okkulten« Zeichen (Tab. 1) einer Ellenbogenluxation zu richten. Die geringsten Anzeichen osteoligamentärer Ver-letzungen sind zu erkennen, im Zweifel ist von einer stattgehabten Luxation auszugehen und weiterführende Diagnostik mit Durchführung einer Dünnschicht-Computertomographie mit frontalen und sagittalen Rekonstruktionen oder eine MRT einzuleiten.

Die Erstuntersuchung ist ebenso wichtig wie se-quentielle Nachuntersuchungen zur Überprüfung der Gelenkstabilität, idealerweise vom gleichen erfahrenen Kliniker (Abb. 3).

»Okkulte« Zeichen der Ellenbogenluxation

• Fissur/Fraktur des Processus coronoideus analog zur knöchernen »Bankart-Läsion« der Schulter

• Versprengte Knochenteile (Radiuskopf/Koronoid/Capitulum)

• Projektion ossärer Fragmente auf den Gelenkspalt

• Knöcherne Defekte an Trochlea/Capitulum dorsal als »Hill-Sachs-Äquivalent« bei Schulterluxation

• »Drop sign« (Coonrad-Zeichen) – V-för-mige Abbildung der Gelenkfläche der proximalen Elle im Seitbild bei Rotations-instabilität

Tab. 1 | Hinweise für eine stattgehabte Luxation und Wegweiser für weiterführende Diagnostik

2018 Band 84 / 1 chirurgische praxis 8

Gelenkstabilität. Da Untersuchungen zeigten, dass sich rekonstruierte oder refixierte mediale Kollateralbänder bei fehlender Abstützung durch die radiale Säule erneut elongieren, legen die Autoren großen Wert auf die Rekonstruktion des Radiuskopfes, z. B. mit Feinfragmentschrauben [28], sowie den Einsatz eines Bewegungsfixa-teurs, zum einen, um die sichere Stabilisierung des Gelenkes und die Heilung der Bänder unter physiologischer Spannung zu gewährleisten, zum anderen, um die Osteosynthese des Radius-kopfes zu schützen und damit eine sichere früh-funktionelle Nachbehandlung zu erlauben. Eine alleinige Resektion des Radiuskopfes hat sich in Kombination mit Bandverletzungen nicht bewährt [14]. Besonders bei jungen Patienten sollte der Radiuskopferhalt oberste Priorität besitzen. Der Einsatz einer Radiuskopfprothese wird von den Autoren nicht präferiert und sollte allenfalls Patienten in fortgeschrittenem Alter oder bei Revisionssituationen unter strengster Indikationsstellung vorbehalten sein.

Verletzungen der Bänder, des Radiuskopfes und des Koronoids

Bei der aufgrund ungünstiger Langzeitergebnisse »terrible triad« genannten Verletzung [25] steigt das Risiko für eine erneute Luxation bzw. chroni-sche Luxationen und posttraumatische Arthrose. Diese Verletzung beinhaltet bei den meisten Pa-tienten die komplette kapsuloligamentäre Zer-reißung, kombiniert mit der ossären und artiku-lären Führung der lateralen und vorderen Säule.

In der Literatur sind unterschiedliche Empfeh-lungen bezüglich der Refixation des Processus coronoideus zu finden. Morrey postuliert 1997, dass das Gelenk stabil bleibt bis zu einer Frak-tur, die weniger als die Hälfte der Höhe des Ko-ronoids betrifft. Copf 1980, Meeder 1985 und Stankovic 1976 berichten, dass Fragmente, die größer als 1/6 der Koronoidhöhe sind, refixiert werden sollten.

Das Standardvorgehen gleicht dem der Radius-kopffrakturen mit Bandverletzungen. Unseren Erfahrungen zufolge ist bei akuten Verletzungen

oder durch die Interposition von Weichteilge-webe, wie rupturierter Bandkomplexe, oder durch chondrale bzw. osteochondrale Fragmente im Ge-lenkspalt bedingt sein [25], weshalb präoperativ regelmäßig eine Dünnschicht-Computertomogra-phie mit Rekonstruktionen erfolgt.

Die Beobachtung, dass das Ellenbogenge-lenk nach Luxation mit Zerreißung der Kap-sel-Band-Strukturen bei längerer Ruhigstellung zu einer hochgradigen und ungerichteten Ein-steifung neigt und damit durch hohe Selbsthei-lungskräfte des Kapsel-Band-Apparates die initiale Instabilität in ein zwar bewegungsein-geschränktes, aber stabiles Gelenk konvertiert, führte zur Annahme, dass die starke Selbsthei-lungstendenz der Bänder und der Kapsel durch kontinuierlich geführte Gelenkbewegungen in einem stabilen und beweglichen Gelenk resul-tiert. Zu diesem Zweck wurde der unilaterale Ellenbogenbewegungsfixateur entwickelt [26].

Sind keine osteochondralen Fragmente aus dem Gelenkspalt zu entfernen, erfolgt die Therapie der ligamentären Ellenbogeninstabilität ohne direkte operative Bandrekonstruktion. Durch die Anlage eines Bewegungsfixateurs und der Möglichkeit der unmittelbar postoperativen physiotherapeutischen Beübung wird das Ge-lenk stabilisiert und die Bänder können unter physiologischer Spannung ausheilen. Mit diesem Therapiekonzept werden nahezu ausnahmslos stabile Gelenke und gute funktionelle Ergebnis-se erzielt [27].

Verletzungen der Bänder und des Radiuskopfes

Die Präsentation einer Kompressionsfraktur des Radiuskopfes mit ggf. zusätzlicher Trümmerzone des Radiushalses sollte die Aufmerksamkeit des Untersuchers erhöhen und besonderes Augen-merk auf die Stabilität des medialen Kollateral-bandkomplexes richten, vor allem bei Vorliegen eines Hämatoms im Bereich des medialen El-lenbogens und Nachweis einer Bandinsuffizienz durch weiterführende Diagnostik. Ziel der Thera-pie ist die Wiederherstellung der ulnohumeralen

chirurgische praxis 2018 Band 84 / 1 9

sondern auch durch die Störung der statischen und dynamischen Stabilisierung durch die Tri-zepssehne.

Große breitbasige Koronoidfragmente sind bei diesen Frakturen die Regel und beinhalten nicht nur den Verlust der vorderen ossären Abstüt-zung, sondern auch den Wegfall der Stabilisie-rung durch Ablösung des Ansatzes des vorderen Bündels des medialen Kollateralbandkomple-xes. Die stabile anatomische Stabilisierung von Olecranon und Koronoid beinhaltet die Wieder-herstellung der Kontur, der Größenverhältnisse und der Tiefe des Humeroulnargelenkes.

Die Frakturen werden unterteilt in:

• anteriore Luxationsfrakturen, den sogenann-ten Transolecranonluxationsfrakturen [32] – hier luxiert der Unterarm nach Olecranon-fraktur nach ventral in Relation zur Trochlea

• posteriore Luxationsfrakturen mit Luxation des Unterarms nach posterior im Vergleich zur Trochlea.

Beiden gemeinsam ist die komplexe Zertrümme-rung der proximalen Elle regelmäßig mit breit-basigen Frakturen des Koronoids.

Die anteriore Luxationsfraktur wird oft als an-teriore Monteggiafraktur missinterpretiert, un-terscheidet sich aber von der Monteggiafraktur insofern, dass Radius und Ulna als Einheit nach ventral luxieren und das proximale Radioulnar-gelenk intakt bleibt.

Die Indikation zur Refixation des Koronoids ist wie erwähnt bei kleineren bis mittleren Frag-menten zurückhaltend zu stellen, insbesonde-re bei Luxations- bzw. Trümmerfrakturen der proximalen Elle (Abb. 4) hängt die Wieder-herstellung der Stabilität wesentlich von der Rekonstruktion der knöchernen anatomischen Strukturen des Humeroulnargelenkes ab. Eine breitbasige Fraktur des Processus coronoideus beeinträchtigt die Ellenbogen-Stabilität vor allem durch die Zerstörung der knöchernen Kongruenz und Integrität des Humeroulnarge-lenkes und führt zur Inkompetenz des ante-

und kleinem Koronoidfragment keine direkte Re-fixierung notwendig, sondern die Stabilisierung des Gelenkes mittels des Bewegungsfixateurs ausreichend und erfolgreich [29, 30].

Nach Anlage des Bewegungsfixateurs ist jeder Patient individuell intraoperativ auf die Reluxa-tionstendenz des Gelenkes hin unter Bildwand-lerkontrolle und Durchbewegen des Gelenkes zu untersuchen. Sollte ab einer gewissen Extensi-on der Ellenbogen reluxieren, wird der Fixateur mit einem Extensionslimiter – meist in 30–40° Beugestellung – ausgestattet, der meist für 3 Wochen postoperativ verbleibt. Nach 3 Wochen wird der Limiter abgenommen und erneut kli-nisch und radiologisch die Luxationstendenz bei Extension geprüft. Mit diesem Protokoll waren bisher alle Gelenke nach erwähntem Zeitraum stabil. Sollte sich intraoperativ zeigen, dass mit diesem Vorgehen keine adäquate Stabilisierung erfolgen kann und der Ellenbogen, vor allem bei breitbasigen Koronoidfrakturen, luxiert, erfolgt die offene Reposition und direkte Fixierung des Koronoids über einen ventromedialen Flexo-ren-Split-Zugang mit Feinfragmentschrauben oder einer Platte.

Eine indirekte Fixierung des Koronoids ist nicht zu empfehlen. Heim konnte 1998 bei 120 Fällen mit Ellenbogenluxationsfrakturen nachweisen, dass die indirekte Fixation des Koronoids nie perfekt war, die besten Resultate die Refixation partieller und auch kompletter Radiuskopffraktu-ren ergab, die Radiuskopfresektion in 75 % der Fälle zur Arthrose und zum Valgus führte und bei schweren Luxationsfrakturen mit Beteiligung von Koronoid, Olecranon und Radiuskopf die Ar-throserate deutlich erhöht war. Die Reparation komplexer Radiuskopffrakturen ergab zu 50 % sehr gute Ergebnisse [31].

Verletzungen der Bänder, des Radiuskopfes, des Koronoids und des Olecranons

Eine zusätzliche Olecranonfraktur erhöht die Komplexität der traumatischen Instabilität des Ellenbogens nicht nur durch die Zerstörung der knöchernen Führung im Humeroulnargelenk,

2018 Band 84 / 1 chirurgische praxis 10

� Komplikationen

Chronische Instabilität

Nicht beachtete Luxationszeichen oder als stabil fehleingeschätzte Gelenke nach stattgehabter Luxation können in rezidivierenden Luxationen oder persistierenden Instabilitäten münden. Die Rekonstruktion eines chronisch instabilen Ellen-bogengelenkes ist extrem aufwändig, vor allem wenn die Instabilität durch artikuläres Malalign-ment oder Verlust von Knochensubstanz bedingt ist. Die möglichst anatomische Wiederherstel-lung der akuten Verletzung und die Wiederher-stellung der Gelenkstabilität ist die beste Vor-aussetzung, die Funktionalität des Ellenbogens

rioren Bandes des medialen Kollateralbandes, das nahe der Koronoidbasis ansetzt [11], sowie den Ansatz des M. brachialis, der sowohl zur statischen als auch zur dynamischen Stabilität des Ellenbogens beiträgt [25]. Das Koronoid mit seiner »Bremsschuh-Funktion« ist Heim zufolge bei diesen Frakturen das Schlüsselfragment der Ulna und wird am besten unter direkter Sicht reponiert.

Bei verbleibender Bandinstabilität nach inter-ner Osteosynthese, alternativ zum Schutz einer fragilen Osteosynthesetechnik, erfolgt die ad-ditive Anlage eines Bewegungsfixateurs für 6 Wochen.

Abb. 4 | Operative Versorgung und klinisches Outcome nach rechtsseitiger Ellenbogenluxationsfraktur

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Intervention keine Rolle spielt [37]. Noblin konnte nachweisen, dass es keinen relevanten Unterschied bei der Entstehung der heterotopen Ossifikationen bei konservativ versus operativ behandelten Patienten gab und dass der Opera-tionszeitpunkt ebenfalls keine Rolle spielt.

Der Einsatz von NSAR, im Wesentlichen von In-dometacin 2 x 50 mg für 4 Wochen p.o., und die Bestrahlung haben sich als positiv bei der Prophylaxe zur Entstehung heterotoper Ossifi-kationen nach Hüft-Totalendoprothesenopera-tionen erwiesen, falls innerhalb von 5 Tagen postoperativ mit der Therapie begonnen wird [38, 39].

Es wurde lange Zeit empfohlen, die Resektion heterotoper Ossifikationen bis zur vollständigen Ausreifung hinauszuzögern, um Rezidive zu ver-meiden.

Gut abgegrenzte trabekuläre Strukturen in den Standardröntgenaufnahmen sind der beste Indi-kator, dass heterotope Ossifikationen ausgereift sind [40, 41], da die Serumspiegel der alka-lischen Phosphatase schon vor der Ausreifung absinken können und die Aktivität im Kno-chenszintigramm noch länger nach Ausreifung persistieren kann [42]. Die frühere Resektion des heterotopen Knochens ist von Vorteil, da dadurch die Entwicklung von Weichteilkon-trakturen und die Knorpeldegeneration weni-ger wahrscheinlich ist und damit der Zeitraum der Behinderung verkürzt werden kann [41]. Jupiter & Ring konnten 1998 zeigen, dass Re-zidive nach Resektion heterotopen Knochens bei posttraumatischen Synostosen des proxi-malen Radio ulnar gelenkes und Ankylosen des Ellenbogengelenkes selten sind [17]. Die pro-phylaktische Bestrahlung erwies sich als zusätz-lich günstiger Faktor bei frühzeitiger Resektion heterotoper Ossifikationen [43].

Arthrose

Die posttraumatische Arthrose ist häufiger nach komplexeren Luxationsfrakturen des El-lenbogens, was durch die höhere direkt auf die

zu erhalten. Die Protektion der rekonstruierten Strukturen mittels eines Bewegungsfixateurs wird empfohlen [33].

Ellenbogensteife

Der Verlust der Beweglichkeit nach unkompli-zierten und komplexen Ellenbogenverletzungen ist häufig. Eine mehr als zwei- bis dreiwöchige Immobilisierung einer Luxation oder Luxati-onsfraktur erhöht das Risiko eines steifen und schmerzhaften Ellenbogens [34, 35].

Das primäre Behandlungsziel ist die stabile Wie-derherstellung der knöchernen, ligamentären und artikulären Komponenten, sodass mit einer frühen Mobilisation innerhalb der ersten Woche nach Verletzung bzw. Operation begonnen wer-den kann.

Der Bewegungsfixateur erlaubt die konzentrische Reposition des Ellenbogens während der Mobili-sation [33, 36].

Wann immer kein Fixateur zur Verfügung steht oder wenn Kontraindikationen für die Anbrin-gung eines Fixateurs bestehen, sollte die Gips-ruhigstellung erfolgen, denn die Heilung hat Vorrang vor der Mobilisation, da die chronischen Ellenbogeninstabilitäten schwieriger als die El-lenbogensteifen zu behandeln sind.

Heterotope Ossifikationen

Ellenbogenluxationsfrakturen prädisponieren für heterotope Ossifikationen. Risikofaktoren für deren Entstehung sind Verletzungen des zentra-len Nervensystems, Verbrennungen, Geschlecht, Alter und wahrscheinlich genetische Ursachen.

Der Einfluss des Zeitpunktes einer operativen Intervention einer Luxationsfraktur des Ellenbo-gens wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Einige Autoren vertreten die Meinung, dass eine verspätete Operation die Entstehungshäufig-keit heterotoper Ossifikationen fördert, andere vertreten die Ansicht, dass der Zeitpunkt der

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Pennig D, Wilke J, Heck S, Dargel J:Dislocation of the elbow joint

Summary: Dislocations and fracture dislocations of the elbow may severely affect the function of the upper limb. Depending on the injury pattern the therapy may be complex. The extent of the injury is best evaluated using a standardized diagnostic and therapeutic algorithm to avoid misjudgment and underestimation of the complexity of the injury. The humeroulnar external fixator is a treatment modality for unstable dislocations and complex osteoligamentous elbow injuries with residual instability after internal fixation has been performed. Early functional therapy incorporating a motion capacity of humeroulnar external fixators is a key element of a favourable outcome.

Keywords: elbow – dislocation – fracture dislocation – humeroulnar motion fixator – instability

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� Fazit für die Praxis

Die anatomisch korrekte Ausrichtung des Ellen-bogengelenkes nach stattgehabter instabiler Luxation erlaubt die wenig invasive Therapie dieser Gelenkverletzung bei gleichzeitig mögli-cher Frühmobilisation. Die initiale Diagnostik, und hier insbesondere die Luxationsrichtung, bestimmen den weiteren Behandlungsverlauf. Die Unterschätzung des Schweregrades der liga-mentären Verletzung kann zu chronischer Insta-bilität oder aber der ungerichteten Stabilität in Form der Arthrofibrose führen. Letztere ist mit einem deutlichen Verlust der Gebrauchsfähigkeit der oberen Gliedmaße einhergehend.

� Zusammenfassung

Luxationen und Luxationsfrakturen des Ellenbo-gens können schwerwiegende Auswirkungen auf die Gebrauchsfähigkeit der oberen Extremität haben. In Abhängigkeit von dem Verletzungs-muster ist die technisch mitunter anspruchsvol-le Therapie einzuleiten. Die Verletzungsschwere lässt sich ausschließlich über standardisierte diagnostische und therapeutische Algorithmen bewerten, um eine Fehleinschätzung zu vermei-den. Der Bewegungsfixateur stellt eine Behand-lungsmodalität bei Luxationen und komplexen osteoligamentären Ellenbogenverletzungen mit verbleibender Instabilität nach Osteosynthese dar. Eine frühfunktionelle Nachbehandlung nach Anwendung des Bewegungsfixateurs ist wesent-lich für den Behandlungserfolg.

chirurgische praxis 2018 Band 84 / 1 13

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Interessenkonflikt: Die Autoren J. Wilke, S. Heck und J. Dargel erklären, dass bei der Erstel-lung des Beitrags keine Interessenkonflikte im Sinne der Empfehlungen des International Com-mittee of Medical Journal Editors bestanden. Der Autor D. Pennig hat Verbindungen zur Firma Orthofix SRL Italien aufgrund von Royalties für das Produkt Orthofix Fixateur Externe.

Prof. Dr. Dietmar PennigKlinik für Unfall- und Wiederherstellungs-chirurgie, Handchirurgie und Orthopädie

St. Vinzenz-HospitalMerheimer Straße 221–223

50733 Köln-Nippes

[email protected]

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