4
WAS ÖFFENTLICH-RECHTLICHER JOURNALISMUS LEISTEN KANN (UND SOLL) Anständig gemachter öffentlich-rechtlicher Journalismus kann so etwas wie ein Leuchtturm sein in einem unüberschaubaren Meer an Information- und Unterhaltung. Wir bemühen uns jeden Tag.Armin Wolf, ZIB 2 600 Minuten täglich, also 10 von 24 Stunden mehr als die Hälfte der Zeit, die wir nicht schlafen: So viel Zeit haben wir alle 2007 im Durchschnitt mit dem Konsum von Medien zugebracht; mit den 94 frei empfangbaren Fernsehprogrammen alleine über ASTRA, mit rund 2.500 deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften, knapp 95.000 neuen Büchern, mit Radio, MP3, CDs, DVDs, Videos, Videospielen und Computern und im endlosen Angebot des Internets, das mittlerweile zwei Drittel der Bevölkerung nützen. „Die schnelle Verarbeitung einer alles Menschenmaß sprengenden Informationsmasse“, meint der deut- sche Kommunikationswissenschafter Norbert Bolz, ist „das große Zivilisationsproblem“ unserer Zeit. In einer einzigen Ausgabe der Tageszeitung New York Times sei mehr Information enthalten als einem Men- schen des 17. Jahrhunderts in seinem gesamten Leben begegnet ist, hat der amerikanische Informati- onsexperte Richard Wurman schon vor knapp 20 Jahren behauptet. Aber was davon muss ich überhaupt wissen? Worauf kann ich mich verlassen? Welcher Quelle kann ich vertrauen? Die Antworten darauf werden umso wichtiger, je unüberschaubarer die Informationsflut wird, die täglich über uns hereinbricht. Zu bewältigen ist sie nur, indem man auswählt. Und genau das ist die zentrale Aufgabe von Journalismus auszuwählen und zu unterscheiden: Wichtiges von Unwichtigem, Wahres von Falschem, Sinn von Unsinn.

07i0010

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Zeit haben wir alle 2007 im Durchschnitt mit dem Konsum von Medien zugebracht; mit den 94 frei schen des 17. Jahrhunderts in seinem gesamten Leben begegnet ist, hat der amerikanische Informati- und Zeitschriften, knapp 95.000 neuen Büchern, mit Radio, MP3, CDs, DVDs, Videos, Videospielen und unüberschaubaren Meer an Information- und Unterhaltung. Wir bemühen uns jeden Tag.“ Armin Wolf, zentrale Aufgabe von Journalismus – auszuwählen und zu unterscheiden: Wichtiges von Unwichtigem,

Citation preview

Page 1: 07i0010

WAS ÖFFENTLICH-RECHTLICHER JOURNALISMUS LEISTEN KANN (UND SOLL)

„Anständig gemachter öffentlich-rechtlicher Journalismus kann so etwas wie ein Leuchtturm sein in einem

unüberschaubaren Meer an Information- und Unterhaltung. Wir bemühen uns jeden Tag.“ Armin Wolf,

ZIB 2

600 Minuten täglich, also 10 von 24 Stunden – mehr als die Hälfte der Zeit, die wir nicht schlafen: So viel

Zeit haben wir alle 2007 im Durchschnitt mit dem Konsum von Medien zugebracht; mit den 94 frei

empfangbaren Fernsehprogrammen alleine über ASTRA, mit rund 2.500 deutschsprachigen Zeitungen

und Zeitschriften, knapp 95.000 neuen Büchern, mit Radio, MP3, CDs, DVDs, Videos, Videospielen und

Computern und im endlosen Angebot des Internets, das mittlerweile zwei Drittel der Bevölkerung nützen.

„Die schnelle Verarbeitung einer alles Menschenmaß sprengenden Informationsmasse“, meint der deut-

sche Kommunikationswissenschafter Norbert Bolz, ist „das große Zivilisationsproblem“ unserer Zeit. In

einer einzigen Ausgabe der Tageszeitung New York Times sei mehr Information enthalten als einem Men-

schen des 17. Jahrhunderts in seinem gesamten Leben begegnet ist, hat der amerikanische Informati-

onsexperte Richard Wurman schon vor knapp 20 Jahren behauptet.

Aber was davon muss ich überhaupt wissen? Worauf kann ich mich verlassen? Welcher Quelle kann ich

vertrauen? Die Antworten darauf werden umso wichtiger, je unüberschaubarer die Informationsflut wird,

die täglich über uns hereinbricht. Zu bewältigen ist sie nur, indem man auswählt. Und genau das ist die

zentrale Aufgabe von Journalismus – auszuwählen und zu unterscheiden: Wichtiges von Unwichtigem,

Wahres von Falschem, Sinn von Unsinn.

Page 2: 07i0010

Nun firmiert ja ziemlich vieles unter „Journalismus“, und vieles davon wird genau dieser zentralen Aufga-

be ganz und gar nicht gerecht: Die meisten von uns wissen mehr über Paris Hilton als über den Mittleren

Osten. Wir konnten lesen, dass uns der Vertrag von Lissabon zwingen würde, die Todesstrafe in Öster-

reich einzuführen. Und manche Zeitung druckt ganz einfach jedes Gerücht und auch sein Gegenteil, um

später – und gar nicht zu Unrecht – zu behaupten, hier wäre es zuallererst und „topexklusiv“ gestanden.

Wie sehr häufig bei Trends in der Kommunikationsbranche zeigt ein Blick in die USA, wohin die Reise ge-

hen könnte. Dort konsumieren immer mehr Menschen nur mehr Medien, die ihrer politischen Ausrichtung

nahe stehen. Demokratiepolitisch ist diese Segmentierung nicht unbedenklich: Wenn jeden nur mehr jene

Meinungen interessieren, die er ohnehin schon hat – wie soll da ein gesellschaftlicher Diskurs entstehen?

Und noch etwas zeigt sich in den USA: Alle großen Medienunternehmen sparen, sparen und sparen. Die

großen Tageszeitungen kündigen dieses Jahr bis zu einem Viertel ihrer Journalisten, die Fernsehstationen

schließen ihre Auslandsbüros, Internet-Redakteure werden nur mehr nach den „Klicks“ bezahlt, die ihre

Stories bringen. Das große Sparen geht so weit, dass reiche Amerikaner mittlerweile gemeinnützige Stif-

tungen gründen, die Recherchen für große investigative Geschichten finanzieren (z.B.

www.propublica.org), weil professionelle Medienunternehmen sich das immer weniger leisten wollen.

Auch in Österreich werden die – ohnehin winzigen – Redaktionen immer kleiner, bekommen aber immer

mehr zu tun: Nicht mehr nur die Zeitung oder die Sendung müssen gefüllt werden, sondern auch der In-

ternet-Auftritt, der natürlich stets topaktuell und schneller als die Konkurrenz sein soll. Was bleibt: noch

weniger Zeit zu recherchieren, also Informationen zu sammeln, zu bewerten und der Wirklichkeit auf den

Grund zu gehen.

Page 3: 07i0010

Auch wenn es im Zeitalter allgegenwärtiger Digitalisierung, Ökonomisierung und Privatisierung altmodisch

klingt: öffentlich-rechtliche Medien waren vielleicht noch nie so wichtig wie heute. Weil ihre oberste Ma-

xime nicht die Profitmaximierung ist, die möglichst billige „Content“-Produktion für maximale Reichwei-

ten. Sondern eine wahrheitsgetreue, faire, unparteiische aber stets auch kritische und vor allem zuverläs-

sige Annäherung an die Wirklichkeit. Eben Nachrichten, auf die man sich verlassen kann.

„Wir wollen unser Publikum dabei unterstützen, qualifizierter am öffentlichen Diskurs teilzunehmen.“, so

hat das die große BBC einmal für sich definiert. „Und genau dafür sind wir da“.

Dafür braucht es einige Voraussetzungen:

Vor allem natürlich engagierte Journalisten mit Kompetenz, Urteilsvermögen und kritischer Distanz:

„Menschen mit Sendungsbewusstsein gehören in die Sendetechnik, nicht in die Redaktion“, hat Robert

Hochner einmal gesagt.

Es braucht auch Geld. Fernsehjournalismus ist teuer, weil mehr nötig ist als ein Redakteur, ein Telefon

und ein Computer, um eine Geschichte fertig zu stellen. Aber: „Die Öffentlich-Rechtlichen brauchen

Geld, um Programm zu machen. Die Privaten brauchen Programm, um Geld zu machen.“ (Gerd Ba-

cher)

Solange noch immer zwei Drittel der Menschen sagen, dass Fernsehen ihre wichtigste Informations-

quelle über Politik ist, braucht ein Unternehmen mit einem defacto-Monopol in der TV-Information

über Österreich jedenfalls inneren Pluralismus: den internen Wettbewerb von Redaktionen und Journa-

Page 4: 07i0010

listen um die wichtigsten Themen, die beste Recherche, die klügste Analyse und die spannendste Ges-

taltung.

Es braucht Selbstbewusstsein zur Abwehr von unzulässigen Interventionen und Demut vor der eigenen

Fehleranfälligkeit.

In erster Linie aber braucht es Publikum. Menschen, die diese Art von Journalismus auch sehen wollen.

Letztlich geht es öffentlich-rechtlichen Journalisten ja um so etwas Pathetisches wie Aufklärung. Aber

Aufklärung, die niemanden interessiert, wäre nicht mehr als intellektuelle Einsiedelei.

Anständig gemachter öffentlich-rechtlicher Journalismus kann so etwas wie ein Leuchtturm sein in einem

unüberschaubaren Meer an Information – und Unterhaltung. Es gelingt nicht immer. Aber wir bemühen

uns jeden Tag.

Armin Wolf