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4. Erzähltextanalyse (Heft 03533 Methoden der Textanalyse, S. 59-77) 4.1 Stanzels Modell der Erzähltextanalyse 4.1.1 Auktoriale Erzählsituation: allwissender und ‚allmächtiger‘ Erzähler 4.1.2 Ich-Erzählsituation: Erzähler gehört zur Welt der erzählten Geschichte 4.1.3 Personale Erzählsituation: vorrangig Innenperspektive, Gedanken/Gefühle einer Figur. Technik der szenischen Darstellung und erlebte Rede 4.2 Jürgen H. Petersens Modell der Erzähltextanalyse 4.2.1 Erzählformen: 4.2.1 .1 Er-Erzählform (vgl. Chatman: ‚covert narrator‘) 4.2.1.2 Ich-Erzählform (vgl. Chatman ‚overt narrator‘) 4.2.2 Verhältnis der Erzählinstanz (im Folgenden abgekürzt mit ‚EI‘) zum Erzählten 4.2.2.1 Standort der EI relativ zum Geschehen (point of view): 4.2.2.1.1 Position: räumliches Verhältnis der EI zum Geschehen gegeben durch 4.2.2.1.2 Entfernung (nah/fern) und 4.2.2.1.3 Winkel (begrenzt bis ‚olympisch‘, d.h. unbegrenzter Überblick). 4.2.2.2 Perspektive der EI auf die Figuren 4.2.2.2.1 Innenansicht: Erzähler kann Gedanken und Gefühle der Figuren schildern: ‚ihm schien‘ bspw. 4.2.2.2.2 Außenansicht: EI hat keinen Einblick in das Bewusstsein der handelnden Figuren: ‚er weinte‘ statt ‚er war traurig‘ 4.2.2.3 Verhalten der EI 4.2.2.3.1 Auktorial: EI meldet sich mit Wertungen und Kommentaren zu Wort. Kennzeichen: Tempuswechsel, Leseranreden, Wertung des Erzählten. Vgl. Stanzel 4.2.2.3.2 Neutral: EI berichtet wie außenstehender Zuschauer, objektive Berichterstattung ohne ‚eigene‘ Meinung 4.2.2.3.3 Personal: Geschildert wird aus der Sicht einer Figur, dessen Eindrücke und Gefühle. Personales Erzählen integriert die Innensicht einer Figur z.B. in der ‚erlebten Rede‘ oder im ‚inneren Monolog‘ 4.2.2.4 Darbietungsweisen 4.2.2.4.1 Erlebte Rede: Eine Form der transponierten Rede. Man erfährt die Gedanken einer Person nur aus dem Zusammenhang einer Textstelle. Kennzeichen: 3. Person, Präteritum, Indikativ (meist ohne einleitendes verbum dicendi).

081212 Erzähltextanalyse Raster Genette

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4. Erzähltextanalyse

(Heft 03533 Methoden der Textanalyse, S. 59-77)

4.1 Stanzels Modell der Erzähltextanalyse

4.1.1 Auktoriale Erzählsituation: allwissender und ‚allmächtiger‘ Erzähler

4.1.2 Ich-Erzählsituation: Erzähler gehört zur Welt der erzählten Geschichte

4.1.3 Personale Erzählsituation: vorrangig Innenperspektive, Gedanken/Gefühle einer Figur. Technik der

szenischen Darstellung und erlebte Rede

4.2 Jürgen H. Petersens Modell der Erzähltextanalyse

4.2.1 Erzählformen:

4.2.1 .1 Er-Erzählform (vgl. Chatman: ‚covert narrator‘)

4.2.1.2 Ich-Erzählform (vgl. Chatman ‚overt narrator‘)

4.2.2 Verhältnis der Erzählinstanz (im Folgenden abgekürzt mit ‚EI‘) zum Erzählten

4.2.2.1 Standort der EI relativ zum Geschehen (point of view):

4.2.2.1.1 Position: räumliches Verhältnis der EI zum Geschehen gegeben durch

4.2.2.1.2 Entfernung (nah/fern) und

4.2.2.1.3 Winkel (begrenzt bis ‚olympisch‘, d.h. unbegrenzter Überblick).

4.2.2.2 Perspektive der EI auf die Figuren

4.2.2.2.1 Innenansicht: Erzähler kann Gedanken und Gefühle der Figuren schildern: ‚ihm schien‘ bspw.

4.2.2.2.2 Außenansicht: EI hat keinen Einblick in das Bewusstsein der handelnden Figuren: ‚er weinte‘ statt ‚er war

traurig‘

4.2.2.3 Verhalten der EI

4.2.2.3.1 Auktorial: EI meldet sich mit Wertungen und Kommentaren zu Wort. Kennzeichen: Tempuswechsel,

Leseranreden, Wertung des Erzählten. Vgl. Stanzel

4.2.2.3.2 Neutral: EI berichtet wie außenstehender Zuschauer, objektive Berichterstattung ohne ‚eigene‘ Meinung

4.2.2.3.3 Personal: Geschildert wird aus der Sicht einer Figur, dessen Eindrücke und Gefühle. Personales Erzählen

integriert die Innensicht einer Figur z.B. in der ‚erlebten Rede‘ oder im ‚inneren Monolog‘

4.2.2.4 Darbietungsweisen

4.2.2.4.1 Erlebte Rede: Eine Form der transponierten Rede. Man erfährt die Gedanken einer Person nur aus dem

Zusammenhang einer Textstelle. Kennzeichen: 3. Person, Präteritum, Indikativ (meist ohne einleitendes verbum

dicendi).

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4.2.2.4.2 Innerer Monolog: Man erfährt die Gedanken von der Figur direkt: Kennzeichen: 1. Person, Präsens,

Indikativ. Bsp.:

4.2.2.4.3 Stream of consciousness: Schidlerung des ‚Bewusstseinsstroms‘. Radikalisierung des inneren Monologs.

Bewusstseinsprozesse werden möglichst authentisch, d. h. mit allen Gedankensprüngen, Assoziationen etc. direkt

wiedergegeben. Kennzeichen: 1. Person Präsens, Indikativ

4.2.2.5 Zeitliche Struktur des Erzählens

4.2.2.5.1 Verhältnis von Erzählzeit zu erzählter Zeit. (Erzählzeit: Die Zeit, die das Erzählen der Geschichte in

Anspruch nimmt. Erzählte Zeit: Die Zeit, die die Dauer des erzählten Geschehens umfasst.)

4.2.2.5.1.1 Zeitraffung: Erzählzeit kleiner als erzählte Zeit

4.2.2.5.1.2 Sekundenstil/Szenisches Erzählen: Erzählzeit gleicht erzählter Zeit

4.2.2.5.1.3 Zeitlupe: Erzählzeit ist länger als das erzählte Geschehen

4.2.2.5.1.4 Handlungschronologie (histoire): die zeitliche Abfolge der erzählten Ereignisse

4.2.2.5.1.5 Erzählchronologie (discours): zeitliche Reihenfolge der Erzählelemente.

4.2.2.5.1.5.1 Rückblende (Analepse)

4.2.2.5.1.5.2 Vorausschau (Prolepse

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4. 3 Gérard Genettes Modell der Erzähltextanalyse

Grundlegende Unterscheidung zwischen

Geschichte (histoire) REINE ABFOLGE DER EREIGNISSE

Erzählung (discours) TEXT DER GESCHICHTE

Narration (récit) ERZÄHLINSTANZ

4.3.1 Zeit: Verhältnis von Erzählung und erzählter Geschichte

4.3.1.1 Ordnung: Wie ist die Reihenfolge des Erzählten im Verhältnis zur Reihenfolge der Handlungen?

Synchron (gleichzeitig mit dem Geschehen) oder

Achron (Erzählung weicht von Reihenfolge der Geschehnisse ab): Dann entweder

Analepse (Rückblende) oder Prolepse (Vorausschau)

4.3.1.2 Dauer: Verhältnis Erzählzeit-erzählte Zeit

4.3.1.2.1 Zeitdeckung/Szene

4.3.1.2.2 Zeitdehnung (Zeitlupeneffekt)

4.3.1.2.3 Zeitraffung

4.3.1.2.4 Zeitsprung/Aussparung (Ellipse)

4.3.1.2.5 Pause (Erzählung wird von Reflexion, Beschreibung, Kommentar u.ä. unterbrochen)

4.3.1.3 Frequenz: Anzahl der erzählten Geschehnisse im Verhältnis der Anzahl der jeweiligen Erzählungen

Singulative Erzählung: ein Ereignis der Geschichte wird in der Erzählung einmal erzählt Repetitive Erzählung: ein Ereignis der Geschichte wird in der Erzählung mehrfach erzählt Iterative Erzählung: ein mehrfaches Ereignis wird in der Erzählung einmal erzählt

4.3.2 Modus: Regulierung narrativer Information

4.3.2.1 Distanz: Wie wird der Leser über die Geschichte in der Erzählung informiert?

4.3.2.1.1 Distanziertes Erzählen: ‚telling‘ oder ‚narrativer Modus‘ (Kennzeichen: Zeitraffung,

überblicksartige Erzählweise)

4.3.2.1.2 Eng an den Ereignissen: ‚showing‘ oder ‚dramatischer Modus‘ (Kennzeichen: Text

liest sich fast wie ein Drama, Figurenrede wird unmittelbar wiedergegeben)

4.3.2.2 Fokalisierung: Aus welcher Sicht wird erzählt? Wer nimmt die Ereignisse wahr?

4.3.2.2.1 Nullfokalisierung: Erzähler weiß mehr als die Figuren, Übersicht über Ereignisse

4.3.2.2.2 interne Fokalisierung: Erzähler hat dasselbe Wissen, Mitsicht mit der Figur

4.3.2.2.3 externe Fokalisierung: Erzähler weiß weniger als Figuren, Außenperspektive

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4.3.3. Stimme: Verhältnis Narration zu Erzählung und Geschichte

4.3.3.1 Zeitpunkt des Erzählens: Welche zeitliche Position hat der Erzähler zu den Ereignissen?

4.3.3.1.1 späteres Erzählen: Ereignis fand statt, danach wird berichtet, Vergangenheit

4.3.3.1.2 gleichzeitiges Erzählen: Ereignis findet ‚während‘ des Erzählens statt, Präsens

4.3.3.1.3 früheres Erzählen: Ereignis wird erst noch eintreten Futur

4.3.3.2 Ebenen des Erzählens: Relation von Erzähltem (Diegese) und Erzählung

4.3.3.2.1 Extradiegetisch: Das Erzählen selbst ist außerhalb der Diegese

4.3.3.2.2 Intradiegetisch: In Erzählung wird eine Erzählung präsentiert

4.3.3.2.3 Metadiegetisch: Es wird erzählt, wie erzählt wird, dass erzählt wird

4.3.3.2.4 Metalepse: Ebenengrenzen werden überschritten (Bsp.: Figuren

sprechen Autor an)

4.3.3.3 Stellung der Erzählinstanz (EI): In welchem Maß ist die EI am Geschehen beteiligt oder involviert?

4.3.3.3.1 Homodiegetisch: EI kommt in der Erzählung selbst vor. Sie ist nicht nur

Erzähler, sondern auch (von sich selbst) erzählte

Figur. Sonderfall: autodiegetisch

4.3.3.3.2 Heterodiegetisch: Erzählfigur nicht als Erzähler greifbar, kommt nicht im

Figurenensemble vor, Er-Form.

4.3.3.3.4 Grade der Beteiligung des Erzählers am Geschehe (vgl. Martinez/Scheffel)

4.3.3.3.4.1 Kombinationen aus Beteiligung/Standort

4.3.3.3.4.1.1 extradiegetisch-heterodiegetisch: ein Erzähler, der eine Geschichte erzählt, in der er nicht vorkommt

4.3.3.3.4.1.2 extradiegetisch-homodiegetisch: ein Erzähler, der Figur einer Rahmenerzählung ist, erzählt eine

Geschichte, in der er nicht vorkommt

4.3.3.3.4.1.3 intradiegetisch-heterodiegetisch: ein Erzähler, der Figur einer Rahmenerzählung ist, erzählt eine

Geschichte, in der er selbst wiederum vorkommt

4.3.3.3.4.1.4 intradiegetisch-homodiegetisch: ein Erzähler, der Figur einer Rahmenerzählung ist, erzählt eine

Geschichte, in der er selbst wiederum vorkommt.