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1 1. Einleitung Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als erfolgreicher Comiczeichner sondern auch als kreativer und produktiver Autor, als „Deutschlands größte[r] Merchandiser“ 1 . Während seine (gewagten) Comics, wie zum Beispiel Das kleine Arschlochund Adolf, die Nazisau, mit ihrem pejorativen Sprachgebrauch vor allem für erwachsene Leser gemeint sind, kann man seine Prosa nicht immer eindeutig kategorisieren. Seine Romane werden vor allem der Phantastik zugeordnet 2 , können in Büchergeschäften aber oftmals auch in den Regalen der Kinder- und Jugendliteratur (KJL) gefunden werden. Moers scheint zudem auch von einigen Literaturwissenschaftlern als Kinder- und Jugendbuch-Literator perzipiert zu werden. Ihn selber interessiert es allerdings nicht wirklich, wie seine Werke aufgefasst werden 3 . Er ist sehr öffentlichkeitsscheu, und wird mitunter sogar als der Deutsche Thomas Pynchon 4 beschrieben. Trotz seiner zurückgezogenen Art kann der Mönchengladbacher sich aber dennoch, oder gerade deswegen, eines großen Anhangs erfreuen. Auf der Frankfurter Buchmesse in 2011 erschienen große und kleine Leser, alte wie auch junge Interessierte, an dem Stand des Knaus-Verlages, um endlich den mutmaßlichen Übersetzer der Werke des zamonischen Nationalautors Hildegunst von Mythenmetz zu sehen. Den Grund für die breite Leser- Zielgruppe, kann man in der Konstruktion der Romane selbst sehen 5 . Auf inhaltlicher und formaler, bzw. paratextueller, Ebene weisen viele der Moersschen Romane auf mehrere Zielgruppen hin. Bezüglich DSdTB konnte ich z.B. in meiner Bachelor-Arbeit bereits feststellen, dass „[d]urch die Symbiose von formalen Aspekten, die eher ältere Leser anziehen (wie Schriftgröße, Fußnoten und Fremdwörter) mit Aspekten, die uns an Jugend- oder Kinderbücher erinnern (z.B. Illustrationen, farbenfrohe[r] Umschlag) […] ein Stück Gesamtkunst [entsteht], dass ein Publikum aller Alters- und 1 Weidermann, Folker: „Walter Moers: „Im Jenseits werde ich streng bestraft““. FAZ Nr.16 2003, S.22 2 Bei Amazon.de finden wir Seine Romane unter folgenden Kategorien: „Fantasy-Romane“, „Populäre Belletristik“, „Zeitgenössische Fantasy-Romane“ und „Romane für Kinder und Jugendliche“ Verfügbar: http://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_noss_1?__mk_de_DE=%C5M%C5Z%D5%D1&url=search- alias%3Daps&field-keywords=walter+moers&x=0&y=0 (besucht 01.04.2012) 3 Beispiel! 4 Philipp, Claus: „Interview mit einem Unsichtbaren: Walter Moers“. Der Standard.at Verfügbar: http://derstandard.at/1785787 (besucht 01.04.2012) 5 Siehe dazu auch: Blondeel, Kim: „Multiple Adressiertheit in Walter Moers’ Die Stadt der Träumenden Bücher“. Bachelorpaper 2011. Gent: Universität Gent

1. Einleitung · 2012. 12. 5. · 1 1. Einleitung Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als

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Page 1: 1. Einleitung · 2012. 12. 5. · 1 1. Einleitung Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als

1

1. Einleitung

Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers

inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als erfolgreicher Comiczeichner sondern auch

als kreativer und produktiver Autor, als „Deutschlands größte[r] Merchandiser“1

.

Während seine (gewagten) Comics, wie zum Beispiel „Das kleine Arschloch“ und

„Adolf, die Nazisau“, mit ihrem pejorativen Sprachgebrauch vor allem für erwachsene

Leser gemeint sind, kann man seine Prosa nicht immer eindeutig kategorisieren. Seine

Romane werden vor allem der Phantastik zugeordnet2, können in Büchergeschäften aber

oftmals auch in den Regalen der Kinder- und Jugendliteratur (KJL) gefunden werden.

Moers scheint zudem auch von einigen Literaturwissenschaftlern als Kinder- und

Jugendbuch-Literator perzipiert zu werden. Ihn selber interessiert es allerdings nicht

wirklich, wie seine Werke aufgefasst werden3. Er ist sehr öffentlichkeitsscheu, und wird

mitunter sogar als der Deutsche Thomas Pynchon4

beschrieben. Trotz seiner

zurückgezogenen Art kann der Mönchengladbacher sich aber dennoch, oder gerade

deswegen, eines großen Anhangs erfreuen. Auf der Frankfurter Buchmesse in 2011

erschienen große und kleine Leser, alte wie auch junge Interessierte, an dem Stand des

Knaus-Verlages, um endlich den mutmaßlichen Übersetzer der Werke des zamonischen

Nationalautors Hildegunst von Mythenmetz zu sehen. Den Grund für die breite Leser-

Zielgruppe, kann man in der Konstruktion der Romane selbst sehen5. Auf inhaltlicher

und formaler, bzw. paratextueller, Ebene weisen viele der Moersschen Romane auf

mehrere Zielgruppen hin. Bezüglich DSdTB konnte ich z.B. in meiner Bachelor-Arbeit

bereits feststellen, dass „[d]urch die Symbiose von formalen Aspekten, die eher ältere

Leser anziehen (wie Schriftgröße, Fußnoten und Fremdwörter) mit Aspekten, die uns an

Jugend- oder Kinderbücher erinnern (z.B. Illustrationen, farbenfrohe[r] Umschlag) […]

ein Stück Gesamtkunst [entsteht], dass ein Publikum aller Alters- und

1 Weidermann, Folker: „Walter Moers: „Im Jenseits werde ich streng bestraft““. FAZ Nr.16 2003, S.22

2 Bei Amazon.de finden wir Seine Romane unter folgenden Kategorien: „Fantasy-Romane“, „Populäre

Belletristik“, „Zeitgenössische Fantasy-Romane“ und „Romane für Kinder und Jugendliche“ Verfügbar:

http://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_noss_1?__mk_de_DE=%C5M%C5Z%D5%D1&url=search-

alias%3Daps&field-keywords=walter+moers&x=0&y=0 (besucht 01.04.2012) 3 Beispiel!

4 Philipp, Claus: „Interview mit einem Unsichtbaren: Walter Moers“. Der Standard.at Verfügbar:

http://derstandard.at/1785787 (besucht 01.04.2012) 5 Siehe dazu auch: Blondeel, Kim: „Multiple Adressiertheit in Walter Moers’ Die Stadt der Träumenden

Bücher“. Bachelorpaper 2011. Gent: Universität Gent

Page 2: 1. Einleitung · 2012. 12. 5. · 1 1. Einleitung Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als

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Interessengruppen verführen kann.“6 Auch inhaltlich vereinen die Moers-Romane viele

verschiedene Eigenschaften die jeweils für erwachsene, erfahrene, junge oder

unerfahrene Leser interessant, bzw. anziehend sein können.

Im Anschluss an meine Bachelor-Arbeit, „Multiple Adressiertheit in Walter

Moers‘ Die Stadt der Träumenden Bücher“ in 2011, wende ich mich nun den weiteren

Moers-Romanen zu. In diesen sieben Romanen Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär (ab

jetzt abgekürzt mit Käpt’n Blaubär), Ensel und Krete. Ein Zamonisches Märchen

(E&K), Wilde Reise durch die Nacht (WR), Rumo & Die Wunder im Dunkeln (Rumo),

Die Stadt der Träumenden Bücher (DSdTB), Der Schrecksenmeister (DS) und Das

Labyrinth der Träumenden Bücher (DLdTB) werde ich zunächst auf die Phantastik

eingehen um einen literarischen und gattungsspezifischeren Kontext zu kreieren. In dem

nächsten Kapitel bezüglich der Metafiktion bespreche ich zunächst die Theorie dieses

Konzeptes. Danach gehe ich auf die language of fiction und die Typographie ein. Des

weiteren werde ein großes und ausführliches Kapitel der Autorschaft in den Moersschen

Romanen widmen. Danach werden ich zusätzlich noch weitere metafiktionale Aspekte,

wie die Parodie und das Konzept vom Buch im Buch, auf ihre Anwesenheit hin

untersuchen. Außerdem perzipiere ich auch den Bildungs- und Entwicklungsromans in

DSdTB und DLdTB als ein metafiktionales Element.

Der Zweck dieser Magisterarbeit ist nun also, um festzustellen, ob die

Moersschen Werke tatsächlich metafiktionale Komponente enthalten und wenn ja, wie

diese sich äußern. Metafiktion wird grundsätzlich als ein Fiktionalitätssignal aufgefasst.

Eine meiner Untersuchungsfragen wird demnach sein, ob das auch in Moers‘ Werken

der Fall ist. Die Frage nach dem Titel meiner Magisterarbeit ‚Holzzeit‘ habe ich an

dieser Stelle bewusst unbeantwortet gelassen. Sie wird jedoch zu Ende meiner

Magisterarbeit eine Antwort erhalten.

6 Blondeel, Kim: “Multiple Adressiertheit in Walter Moers’ Die Stadt der Träumenden Bücher“, S.13

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3

2. Die Phantastik

Wie ich in der Einführung bereits erwähnt habe, weisen die Moersschen Romane einen

starken Zusammenhang mit der Phantastik auf. Das Feststellen vereinzelter

phantastischer Elemente in den sieben Romanen von Walter Moers ist deswegen

nützlich, weil Literaturwissenschaftler die Phantastik und die Metafiktion oftmals

miteinander in Verbindung7 bringen. In meiner Magisterarbeit werden daher häufig

Brunnen genutzt, die mit beiden Phänomenen zu tun haben. Zu allererst muss jedoch

eine Beziehung zwischen der Phantastik und den Moersschen Romanen hergestellt

werden. In seinem Werk The Fantastic. A Structural Approach to a Literary Genre

beschreibt Tzvetan Todorov die Merkmale der Phantastik. Hierin heißt es:

In a world which is indeed our world, the one we know [Hervorhebungen von

K.B.], a world without devils, sylphides, or vampires, there occurs an event which

cannot be explained by the laws of this same familiar world. The person who

experiences the event must opt for one of two possible solutions: either he is a

victim of an illusion of the senses, of a product of the imagination – and the laws

of the world then remain what they are; or else the event has indeed taken place, it

is an integral part of reality – but then this reality is controlled by laws unknown

to us.8

Wichtig ist, meiner Meinung nach und im Anschluss an dieses Zitat, dass das

phantastische Element vom Leser auch als ein solches perzipiert werden muss, um

überhaupt eine Wirkung zu haben. Der Leser vergleicht das Gelesene schließlich mit

der eigenen Welt und den eigenen Erfahrungen. Die meisten Leser werden zwar davon

ausgehen, dass Tote nicht auferstehen können und dass es Greife oder andere

mythologische Figuren nicht gibt. Es erscheint mir an dieser Stelle jedoch wichtig zu

erwähnen, dass dieser phantastische Effekt mit der Perzeption des Lesers

zusammenhängt. In Todorovs Zitat wird außerdem deutlich, dass die phantastischen

Elemente einer Erzählung in einem glaubwürdigen, realistischen Kontext, also unserer

eigenen Welt, auftreten müssen. Und genau dies sehen wir auch in den Moersschen

Romanen. In Käpt’n Blaubär z.B. treffen wir zwar zuerst auf phantastische Aspekte,

7 Vgl. u.a. Johnson, Carroll B.: „Phantom Pre-texts and Fictional Authors: Sidi Hamid Benengeli, Don

Quijote and the Metafictional Conventions of Chilvaric Romances”. In: Cervantes: Bulletin of the

Cervantes Society of America, 27 (Frühling 2007), S.179-199; Klimek, Sonja: Paradoxes Erzählen. Die

Metalepse in der phantastischen Literatur. Paderborn: mentis Verlag 2010; Parker, Allene M.: “Drawing

Borges: A Two-Part Invention on the Labyrinths of Jorge Luis Borges and M.C. Escher”. In: Rocky

Mountain Review of Language and Literature, Vol.55, Nr.2 (2001), S.11-23 8 Todorov, Tzvetan: The Fantastic. A Structural Approach to a Literary Genre. Ithaca, New York:

Cornell University Press 1975, S.25

Page 4: 1. Einleitung · 2012. 12. 5. · 1 1. Einleitung Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als

4

wie Tratschwellen9, Klabautergeister

10, Zwergpiraten

11, die Gourmetica Insularis

12 und

den Tyrannowalfisch Rex13

. Diese werden doch mit realistischen Elementen verbunden,

wie Ozeanen, Schiffen und Wellen, Sand, Bergen und bekannten Kontinenten. Auf

Seite 108 des Romans lesen wir:

So setzte sich Planquadrat um Planquadrat mein Weltbild zusammen. Wir

überflogen Afrika und die Antarktis, das Erzgebirge und Borneo, Tasmanien und

den Himalaya, Sibirien und Katmandu, Helgoland und das Tal des Todes, den

Grand Canyon und die Osterinseln und schließlich auch die Kontinente Nafklathu,

Urien und Yhôll, die es heute nicht mehr gibt. Ja, die Erde setzte sich für mich

zusammen wie ein riesiges Mosaik, in dem bald nur noch ein großer Stein fehlte:

Zamonien.14

In diesem Zitat erzählt Blaubär uns davon, wie er seine Welt, die Erde erkundet. Diese

enthält gewisse Übereinstimmungen mit unserer, z.B. Afrika, die Antarktis und den

Grand Canyon. Außerdem erklärt Blaubär, dass es vereinzelte der genannten

Kontinente, die dem Leser unbekannt sein dürften, wie Urien und Yhôll, heutzutage

allerdings nicht mehr gibt. Dies kann in gewissem Sinne als eine realistische

Rechtfertigung und Eingliederung eines phantastischen Elements gesehen werden.

Etwas allgemeiner aber dennoch zutreffend scheint auch Frank Zipfels Aussage

bezüglich fiktiver Welten zu sein. Er meint nämlich, dass

[f]iktive Geschichten […] nie ganz und gar unwirklich [sind]. Die Welt einer

fiktiven Geschichte, die so genannte fiktive Welt, basiert immer (wenn auch in

unterschiedlichem Maße) auf der Welt unserer Wirklichkeitskonzeption. Der

Zusammenhang von fiktiver und realer Welt kann durch das so genannte

›Realitätsprinzip‹ erläutert werden. Das Realitätsprinzip besagt, kurz gefasst, dass

seine fiktive Welt so nah wie möglich an der realen Welt konstruiert wird.15

Etwas Ähnliches sehen wir auch in Käpt’n Blaubär und den anderen sechs Romanen.

Moers gliedert den Kontinent Zamonien in unsere Welt ein und kreiert somit einen

realistischen Bezugspunkt für die phantastischen Ereignisse. Fast alle Moersschen

9 Käpt’n Blaubär, S.54

10 Käpt’n Blaubär, S.35

11 Käpt’n Blaubär, S.14

12 Käpt’n Blaubär, S.89

13 Käpt’n Blaubär, S.65

14 Käpt’n Blaubär, S.108

15 Zipfel: „ Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität?“ In: Winko,

Simone et al.(Hrsg.): Grenzen der Literatur. Zu Begriff und Phänomen des Literarischen. Berlin, New

York: Walter de Gruyter 2009, S.290

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Erzählungen16

spielen sich übrigens auf Zamonien ab, wodurch sich diese letzte

Aussage auch auf die anderen Romane übertragen lässt. Bezüglich des Zitats von Zipfel

soll an dieser Stelle noch erwähnt werden, dass ich die Aussage bezüglich der ‚fiktiven

Welt‘ wörtlich genommen habe, obwohl Zipfel selbst damit womöglich die nicht-

topographische fiktive Welt innerhalb des Romans gemeint haben könnte. Andere

Beispiele für ‚konkrete‘ fiktive Welten wären z.B. J.J.R. Tolkiens ‚Middle Earth‘ in The

Lord of the Rings und auch Jonathan Swifts ‚Lilliput‘ in Gulliver’s Travels. Mit der

fiktiven Welt als nicht-materialistisches, mentales Konstrukt meint Zipfel, meiner

Meinung nach, also die Figuren und die Konstruktion einer Erzählung. Die fiktive Welt

von Franz Kafkas Die Verwandlung wäre in diesem Fall eine Zusammenstellung von

Gregor Samsa, seiner Familie, den Gesprächen zwischen den unterschiedlichen Figuren,

seinem Zimmer und der Wohnung, dem Zug, den er verpasst und sogar auch, was vom

Fokalisator zwar nicht genannt wird, was aber dennoch im Schatten der Erzählung für

den impliziten Leser anwesend ist, z.B. andere, unbekannte Straßen und Menschen.

Eines der wichtigsten Merkmale des phantastischen Romans ist also, dass es einen

Bezug zu unserer eigenen Realität geben muss. Schließlich kann dem Leser etwas nur

als ‚eigenartig‘ bzw. anders erscheinen, wenn er auch Vergleichsmaterial hat.

Todorov zufolge handelt es sich bei der Phantastik zusätzlich um ein Gefühl der

Unsicherheit bezüglich der vereinzelten, unerklärlichen Ereignisse und Elemente in der

Erzählung. „Either the devil is an illusion, an imaginary being; or else he really exists,

precisely like other living beings – with this reservation, that we encounter him

infrequently.”17

Der Leser soll, Todorov zufolge, in einem Zustand des Zweifels

gehalten werden, da der Roman sonst entweder in das Genre des Übernatürlichen (the

uncanny18

) oder in das Genre des Wunderbaren (the marvelous19

) abgleitet. „The

fantastic is that hesitation experienced by a person who knows only the laws of nature,

confronting an apparently supernatural event.”20

Eine der Bedingungen der Phantastik

ist demnach auch “the reader’s hesitation“21

. Es handelt sich hierbei also nicht

unbedingt um das Zögern des Protagonisten selbst, der die Ereignisse erleiden muss,

16

Eine Ausnahme ist hierbei WR. Auch hier wird jedoch eine eigene Welt kreiert, die unserer sogar noch

ähnlicher ist, als die, die in den Zamonien-Romanen beschrieben wird. 17

Todorov: The Fantastic, S.25 18

Todorov: The Fantastic, S.41 19

Todorov: The Fantastic, S.41 20

Todorov: The Fantastic, S.25 21

Todorov: The Fantastic, S.31

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sondern um das Zögern des Rezipienten in unserer Welt, das Zögern des Lesers. Dieses

Zögern kann zwar auch durch den Protagonisten im Erzähltext repräsentiert werden22

,

das ist jedoch keine Voraussetzung für das phantastische Genre. In diesem Sinne

erinnert Todorovs Bedingung sicherlich auch an die willing suspension of disbelief, die

eine wichtige Voraussetzung für das ‚Sich-Einleben‘ des Lesers ist. Dieser muss sich

nämlich dazu bereit erklären, gewisse unerklärliche Aspekte einer Erzählung einfach für

wahr anzunehmen, bzw. seinen Unglauben wenigstens bis zu einem gewissen Punkt

auszustellen. Denn „unless one participates sympathetically in the ground rules of a

narrative world, no occurrence in that world can make sense – or even nonsense.”23

Der

Begriff willing suspension of disbelief stammt ursprünglich von S.T. Coleridge. In

seinem Werk Biographia Literaria bespricht dieser seine Pläne bezüglich der

Lyrical Ballads; in which it was agreed, that my endeavours should be directed to

persons and characters supernatural [Hervorhebungen von K.B.], or at least

romantic; yet so as to transfer from our inward nature a human interest and a

semblance of truth sufficient to procure for these shadows of imagination that

willing suspension of disbelief for the moment, which constitutes poetic faith.24

Auch Coleridge verbindet den Aufschub des Unglaubens folglich mit übernatürlichen,

phantastischen Geschehnissen. Diese müssen jedoch genügend Ähnlichkeit mit der

Wahrheit, sprich unserer Wirklichkeit, aufweisen um die willing suspension of disbelief

rechtfertigen zu können. Bei Coleridge finden wir demnach schon einen der

Kerngedanken der Phantastik. Außerdem schließt sich dieser Kommentar auch bei der,

von mir zuerst genannten Eigenschaft der Phantastik an, nämlich, dass es immer einen

realen Bezugspunkt geben sollte. Todorov meint ferner: „the text must oblige the reader

to consider the world of the characters as a world of living persons and to hesitate

between a natural and a supernatural explanation of the events described.”25

In den

Moers-Romanen wird diese Vorstellung der Welt ‚lebender Personen‘ insbesondere

dadurch vereinfacht, dass Moers bzw. Hildegunst uns Zamonien von Anfang an als

etwas geschlossenes Ganzes präsentiert. So finden wir bereits auf der Rückseite des

Umschlags seines ersten Romans eine Karte von „Zamonien und seine[r] näheren

22

Todorov: The Fantastic, S.33 23

Rabkin, Eric S.: The Fantastic in Literature. Princeton New Jersey, Princeton University Press, 1976;

S.4 24

Coleridge, Samuel Taylor.: Biographia Literaria; or Biographical Sketches of My Literary Life and

Opinions. (Chapter XIV) Verfügbar: http://www.gutenberg.org/cache/epub/6081/pg6081.html. Besucht

19.05.2012 25

Todorov: The Fantastic, S.33

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Umgebung (in leicht vereinfachter Darstellung)“26

Dieselbe und ähnliche Karten finden

wir übrigens auch in E&K, DSdTB, Rumo und DLdTB. Hierauf werden alle

Mythenmetzschen und Blaubärschen Aussagen bezüglich des Kontinents und seiner

Anordnung bestätigt. Außerdem wird die topographische Verlässlichkeit zusätzlich

durch die Anwesenheit des Nachtigallerschen Lexikons27

bestärkt. In der unteren,

rechten Ecke der Karte lesen wir nämlich: „Diese Karte wurde hergestellt unter

Zuhilfenahme vom Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen und

Phänomene Zamoniens und Umgebung von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller“28

. Lexika und

Landkarten sind auch bekannte Objekte unserer Wirklichkeit und gelten als faktisch und

zuverlässig. Der Leser kann seine willing suspension of disbelief also dadurch

rechtfertigen, dass alle Ereignisse sich auf dem Kontinent Zamonien, den wir selber

nicht erreichen können, abspielen. Diese Rechtfertigung könnte, meiner Meinung nach,

dann folgendermaßen aussehen: „Vielleicht gelten auf diesem Kontinent andere

Naturgesetze und Regeln, und gehören Lindwürmer, Eydeten, Buntbären und

Fhernhachen dort zum täglichen Leben. Ich werde es niemals mit Sicherheit sagen

können, da ich Zamonien nie erreichen kann.“ Der Autor bietet dem Leser demnach

einen einfachen Weg in die willing suspension of disbelief an.

Eine weitere Bedingung der Phantastik ist, Todorov zufolge, dass es beim Leser

zu einer bestimmten Lesehaltung kommen muss. „[T]he reader must adopt a certain

attitude with regard to the text: he will reject allegorical as well as “poetic”

interpretations.”29

Dem Leser werden die Ereignisse so präsentiert, wie sie sind. Sie

haben keinerlei allegorische Bedeutung, und es ist auch nicht Sinn der Sache die Wörter

unabhängig voneinander zu interpretieren. Sie sind nur die einzelnen Teile des Satzes,

die das Ganze begründen.30

Allgemeiner kann man also behaupten: „Not all fictions and

not all literal meanings are linked to the fantastic; but the fantastic is always linked to

both fiction and literal meaning.”31

Schauen wir uns in dieser Hinsicht einmal folgendes

Zitat aus WR an:

26

Käpt’n Blaubär, Rückseite Umschlag; siehe Abbildung 1 27

Siehe dazu auch „Das Buch im Buch“ 28

Ebd. 29

Todorov: The Fantastic, S.33 30

Todorov: The Fantastic, S.32 31

Todorov: The Fantastic, S.75

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Sie ritten noch lange durch das Tal der Ungeheuer, vorbei an trostlosen Trümmern

und durch dürres Unkraut, über zahllose Skelette von Menschen und Tieren,

durch knisterndes und fiepsendes Gewimmel von Insekten, die die Herrschaft

über das Gestein zu übernehmen schienen. Aber sie begegneten keiner weiteren

Monstrosität, bis auf zwei doppelköpfigen Riesenschnecken, die sie am nächsten

Morgen am Talausgang im Frühnebel friedlich grasen sahen.32

Dem Leser ist von Anfang an klar, dass es sich bei WR um eine fiktive Erzählung

handelt. Die Phantastik sollte zudem als ein ‚literal‘ Genre verstanden werden. Mit dem

Zitat wird also nicht auf einen metaphorischen oder allegorischen Hintergrundgedanken

verwiesen, z.B. dass der Protagonist an einem schwierigen Punkt in seinem Leben

angekommen ist, wo ihn Tod (Trümmer, Skelette, Unkraut) und unterdrückende Angst

(Gewimmel von Insekten, Herrschaft des Gesteins) umgeben, wonach es jedoch zu

einem Neuanfang (Morgen, Talausgang, Frühnebel, friedlich), zu einem Auferstehen,

einer Widergeburt kommt. Außerdem sollte der Leser sich auch nicht den individuellen

Wörtern zuwenden und ihnen eine bestimmte Wichtigkeit oder Bedeutung zuschreiben,

z.B. dass wir in dem Wort „fiepsendes“ eine Onomatopoesie finden können. Mit diesem

Satz ist also einfach gemeint, was da auch steht: ein Junge reitet auf einem Pferd durch

eine pfade, einsame und gefährliche Landschaft, begegnet keiner weiteren Monstrosität

und erreicht letztendlich den Ausgang des Tals.

Todorov konstatiert noch eine weitere Eigenschaft der Phantastik: „The

represented („dramatized“) narrator is […] quite suitable to the fantastic. He is

preferable to the simple character, who can easily lie [...]. But he is also preferable to

the non-represented narrator [...].” 33

Letzterer würde die Erzählung sehr einfach in das

Genre des Wunderbaren (the marvelous) versetzen, da der Leser an keinem Moment die

Aussagen dieses Erzählers in Frage stellen könnte oder würde34

. Wie ich bereits

erwähnt habe, ist Zweifel bezüglich der Wahrheit des Erzählten jedoch gerade eine der

wichtigsten Voraussetzungen für die Phantastik.35

Außerdem scheint es, Todorovs

Ansicht nach, wichtig zu sein, dass der Leser sich mit der erzählenden Figur, dem

‚Ich‘36

der Erzählung, identifizieren kann.37

„Further, in order to facilitate the

32

WR, S.111 33

Todorov: The Fantastic, S.83 34

Todorov: The Fantastic, S.83 35

Todorov: The Fantastic, S.83 36

Siehe dazu auch den autobiographischen Pakt von Lejeune und das referentielle ‚Ich‘ von Käte

Hamburger in „Hildegunst von Mythenmetz als Autor & Figur“. 37

Todorov: The Fantastic, S.83

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identification, the narrator will be an “average man”, in whom (almost) every reader can

recognize himself. Thus we enter as directly as possible into the universe of the

fantastic.”38

Auch in den Moers-Romanen haben wir es sozusagen mit „Durchschnitts-

Männern“39

zu tun. Hildegunst von Mythenmetz, der Protagonist in DSdTB und DLdTB,

wird zwar teilweise als literarisches Genie40

vorgestellt. Ansonsten erkennen wir ihn

jedoch als eine nicht gegen Irrtümer gefeite, übergewichtige Figur, die genau wie der

Leser, Fehler macht und Liebe, Enttäuschungen, Angst, Freundschaft und Verlust

kennenlernt. Auch Käpt’n Blaubär lässt sich leicht mit diesem Bild des ‚fehlbaren‘

Protagonisten identifizieren. Er reist durch die Welt, um seinen Weg, seine Wurzeln und

ein Zuhause zu finden. Er hat mehrere schlecht bezahlte Jobs, wird das Opfer eines

Schwindlers, dem Stollentroll, und verliebt sich. In E&K, dem ‚zamonischen Märchen‘,

treffen wir, im Gegensatz zu dem Märchen aus unserer Wirklichkeit Hänsel und Gretel,

auf zwei Kinder, die sich durch Ungehorsam selbst den Teufel auf dem Hals laden. In

DS lesen wir einen Teil des Lebens der Kratze, Echo, dessen größte Schwäche seine

Zutraulichkeit und Fresssucht zu sein scheint. Er versucht aus einem, für ihn sehr

ungünstigen, Vertrag rauszukommen und während der Erzählung lässt seine Freundin,

die Schreckse, das Leben. Auch Echo ist fehlbar. Gustave Doré, der Protagonist in WR,

ist ein zwölfjähriger Kapitän, der nach einem Schiffsunglück, die Wahl hat zu sterben,

oder, durch das Lösen von sechs Aufgaben, am Leben zu bleiben. Während der sechs

Aufgaben wird er oftmals mit sich selbst und seinen Schwächen konfrontiert. Er verliebt

sich, trotz Warnung, unsterblich in eine betrügerische Jungfrau, er fällt auf den Betrug

einiger Waldbewohner herein und scheint an manchen Momenten den Mut zu verlieren.

Rumo erscheint uns anfangs zwar als ein Anti-Held, entwickelt sich jedoch zunehmend

zu einem eher prototypischen Helden. Deswegen erfüllt Rumo meiner Meinung nach am

wenigsten das Merkmal des average man. Der Roman weist allerdings viele andere

38

Todorov: The Fantastic, S.84 39

Interessant ist hierbei, dass es in allen Moers-Romanen kein einziges Mal einen weiblichen

Protagonisten gibt und nur in DS treffen wir auf eine, sich selbst opferende, Heldin nämlich Inazuela

Anazazi. Die Wolpertingerin Rala in Rumo kann zwar anfangs als Heldin gelten, sie rettet Rumos Leben,

ist in gewissem Sinne auch eine Heldin durch ihr Verhalten in der ‚Eisernen Jungfrau‘. Sie wird jedoch zu

Ende des Romans von Rumo, dem Protagonisten gerettet. Rala kann in diesem Sinne zwar als eine starke

weibliche Figur gesehen werden. Sie ist jedoch kein Protagonist. 40

Siehe „Hildegunst von Mythenmetz als Autor & Figur“

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10

phantastische Elemente41

auf, wodurch er also dennoch zu der Phantastik gezählt

werden kann. Die meisten Charaktere der Moersschen Erzählungen haben also gewisse

Schwächen, die in den Romanen auch jeweils in den Vordergrund gerückt werden. Die

Helden sind außerdem nie ‚absolute‘ Helden. So fällt es dem Leser leichter, sich mit

ihnen zu identifizieren, wodurch auch die willing suspension of disbelief bestärkt wird.

Denn schließlich ist es einfacher etwas zu glauben, oder gerade nicht zu glauben, wenn

man sich mit der Hauptfigur identifizieren kann.

Die Phantastik scheint, Todorov zufolge, auch drei bestimmte Funktionen42

zu

haben. Sie verursacht erstens einen bestimmten Effekt beim Leser: Angst,

Neugierigkeit, etc. Zweitens ist die Phantastik auch dem narratologischen Verlauf und

dem Spannungsaufbau, behilflich. „[T]he presence of fantastic elements permits a

particularly dense organization of the plot.”43

Drittens hat die Phantastik eine scheinbar

tautologische Funktion: “it permits the description of a fantastic universe, one that has

no reality outside language; the description and what is described are not of a different

nature.”44

Das phantastische Moerssche Universum existiert also nur in seiner

Deskription.

Zusammenfassend können wir demnach konstatieren, dass ein phantastischer

Roman oftmals folgende unterschiedlichen Merkmale inkorporiert: die phantastischen

Elemente und Geschehnisse stehen in einem realistischen bzw. erkennbaren Kontext.

Auf diese Weise hat der Leser einen realistischen Bezugspunkt. Außerdem soll es sich

bei der dargestellten Welt um eine Welt ‚lebender Personen‘ handeln, was in den

Moers-Romanen gut durch die Zusammenstellung von Zamonien, mit all seinen

Kreaturen und Gebieten, widergegeben wird. Zudem sollte es bei dem Leser ein

gewisses Zweifeln bezüglich des Realitätsgehalts der Geschehnisse geben, was zwar

auch vom Protagonisten innerhalb des Romans repräsentiert werden kann. Dieses letzte

ist allerdings keine Voraussetzung. Den Aufschub des Unglaubens habe ich zusätzlich

mit der willing suspension of disbelief verbunden. Der Leser muss sich auf die

potentiale Realität der Ereignisse einlassen, damit er sich in die Geschichte

41

Spielt sich ab auf dem Kontinent Zamonien, integriert phantastische Geschehnisse und

Objekte/Subjekte, wie ein sprechendes Schwert, sollte nicht „allegorical“ oder „poetic“ (siehe weiter)

gelesen werden, narrated (‚dramatized‘) author. 42

Todorov: The Fantastic, S.92 43

Todorov: The Fantastic, S.92 44

Todorov: The Fantastic, S.92

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hineinversetzen kann. Es ist außerdem wichtig, dass der Leser die phantastische

Erzählung nicht auf eine ‚poetische‘ oder sogar allegorische Weise liest. Ein Satz ist

hier nur eine Zusammenstellung von Wörtern und sollte so interpretiert werden, wie er

geschrieben steht. Auch die konkrete Autorschaft scheint wichtig zu sein. Der ideale

Autor für eine phantastische Erzählung ist Todorov zufolge der represented

(‚dramatized‘) narrator, also ein erzählender Autor, der auch in der Erzählung

vorkommt. Auf diese Weise kann der Leser sich leichter mit ihm identifizieren und

können seine Aussagen angezweifelt werden. Zudem sollte dieser Autor nicht unfehlbar

sein. Ein Leser wird sich letztendlich einfacher mit einem average man identifizieren

können, als mit einem absoluten Helden. Funktionstechnisch scheint die Phantastik

insbesondere der narratologischen Organisation zu Densität zu verhelfen. Die

phantastischen Elemente können auch beim Leser bestimmte Gefühle, wie Neugierde

oder Angst hervorrufen. Außerdem gibt es Todorov zufolge eine tautologische

Funktion. Die Beschreibung und das Beschriebene sind keine unterschiedlichen

Gegebenheiten.

Gerade diese letzte Funktion bietet sich als Stichwort für das nächste Kapitel an.

Schließlich handelt die Metafiktion gerade von einem ‚Sich-Bewusstwerden‘ des

literarischen Zustands bzw. der literarischen, deskriptiven Einschränkung eines

Romans. Der Leser erkennt, anhand unterschiedlicher literarischer Konventionen, dass

der Text wirklich nur ein Text ist und dass es sich um eine Beschreibung einer ‚fiktiven

Welt‘ handelt.

3. Metafiktion

Patricia Waugh zufolge ist Metafiktion “a term given to fictional writing which self-

consciously and systematically draws attention to its status as an artefact in order to

pose questions about the relationship between fiction and reality.”45

Linda Hutcheon

meint, es sei „fiction about fiction – that is, fiction that includes within itself a

commentary on its own narrative and/or linguistic identity”46

Dadurch dass

metafiktionale Literatur selbst-kritisch ist, werden nicht nur „the fundamental structures

45

Waugh, Patricia: Metafiction. The Theory and Practice of Self-Conscious Fiction. London und New

York: Methuen 1984, S.2 46

Hutcheon, Linda: Narcissistic Narrative. The Metafictional Paradox. Waterloo, Ontario, Canada:

Wilfrid Laurier University Press 1980, S.1

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of narrative fiction“47

untersucht, sondern wird zusätzlich die Fiktionalität der Welt

außerhalb des literarischen, fiktiven Texts erkundet.48

Wenn man sich mit Metafiktion

befasst, untersucht man somit auch dasjenige was dafür sorgt, dass der Roman seine

Identität erhält.49

Wie kommen dieses ‚Selbst-Bewusstsein‘ und die ‚Selbst-

Reflexivität‘ nun aber zustande, und wie, wenn überhaupt, äußern sie sich in Moers‘

Werken? Um diese Fragen zu beantworten ist es zunächst unvermeidlich die

unterschiedlichen Elemente der Metafiktion anzudeuten. Dafür werde ich Patricia

Waughs Werk Metafiction. The Theory and Practice of Self-Conscious Fiction

verwenden. Um eine vielseitige Übersicht der Metafiktion in Moers‘ Werken zu geben,

werde ich mich jedoch auch anderen literarischen Theoretikern, wie Bachtin, Hutcheon

und McHale, zuwenden.

Bei Metafiktion geht es vor allem darum, dass die (ver)alte(te)n und/oder neuen

Konventionen des Romans sichtbar gemacht werden und dass ‚selbst-bewusst‘ und

‚selbst-kritisch‘ mit ihnen umgegangen wird. Diese Konventionen können formaler,

stilistischer, genrespezifischer oder linguistischer Art sein. Durch das Bloßstellen der

Aspekte des Romans kann es beim Leser zu einem Erkennen von z.B. bestimmten

literarischen und/oder linguistischen Techniken kommen. Manche Konventionen

werden jedoch auch gegeneinander ausgespielt, was den Romanen einen

oppositionellen Charakter verleiht und was ich insbesondere in den Kapiteln bezüglich

Sprache, Typographie und Parodie zeigen werde. Gleichzeitig ist jedoch auch das

Gefühl einer Entfremdung beim Leser nicht auszuschließen, da viele bekannte

literarische Aspekte nun auf andere Art und Weise dargestellt oder genutzt werden.

Hierdurch erhält der Leser zugleich auch eine aktive(re) Rolle. Hutcheon konstatiert

diesbezüglich: “What narcissistic narrative does do in flaunting, in baring its fictional

and linguistic systems to the reader’s view, is to transform the process of making, of

poiesis, into part of the shared pleasure of reading.”50

Der Rezipient scheint also mehr

in die Rolle desjenigen zu schlüpfen, der über das Bloßstellen der Konventionen, den

literarischen Prozess bzw. das literarische Skelet erkennt, dieser Eigenschaft jedoch

positiv gegenübersteht. Nicht mehr nur der schiere Inhalt der Erzählung scheint

47

Waugh: Metafiction, S.2 48

Waugh: Metafiction, S.2 49

Waugh: Metafiction, S.5 50

Hutcheon: Narcissistic Narrative, S.20

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interessant zu sein. Inzwischen interessiert der Leser sich auch für den kreativen und

organisatorischen Prozess, der dem Werk zugrunde liegt.

Literaturwissenschaftler Michael Bachtin sieht die oppositionelle Eigenschaft der

Konventionen jedoch als eine inhärente Eigenschaft des Romans an sich. Da Moers

seine Texte auch mit dem Label „Roman“ versehen hat (mit Ausnahme von E&K),

können Bachtins Definitionen helfen, um Moers‘ Werke besser zu verstehen und zu

deuten.

[...] “novel” is the name Bakhtin gives to whatever force is at work within a given

literary system to reveal the limits, the artificial constraints of that system.

Literary systems are comprised of canons, and “novelization” is fundamentally

anticanonical. It will not permit generic monologue. Always it will insist on the

dialogue between what a given system will admit as literature and those texts that

are otherwise excluded from such a definition of literature. What is more

conventionally thought of as the novel is simply the most complex and distilled

expression of this impulse.51

Für Bachtin ist der Roman also bereits ein, wie er es nennt, “supergenre“52

, das ständig

die Grenzen des literarischen Systems abtastet, aufsucht und bloßlegt und die

literarischen Oppositionen letztendlich nutzt um etwas Neues zu kreieren, dass sich von

den ‚alten‘ Konventionen absetzt bzw. sie zumindest in Frage stellt. Es geht um ein

Wechselspiel zwischen dieser Literatur, die auch als solche gesehen wird, sprich:

‚kanonisierte‘ oder ‚hohe‘ Literatur, und diesen Texten, die eigentlich nicht als Literatur

angesehen werden, sondern sprichwörtlich ‚aus dem Boot fallen‘ und eher zur

‚populären‘ Literatur gehören. Durch das Spiel der Oppositionen ergibt sich dann dieses

supergenre, das sich ständig neu erfindet und den ‚stilisierten‘ Genres, wie der Epik,

welche Bachtin als literarisch und stilistisch ‚abgeschlossen‘ und daher als eher statisch

perzipiert, somit immer einen bedeutenden Schritt voraus bleibt. Durch die ständige

Variabilität kann es demnach auch keinen wirklichen Kanon des Romans geben.

Schließlich kann man dem Roman keine Sorte Text eindeutig zuordnen, wenn er sich

selbst ständig in Frage stellt und sich kontinuierlich verändert. Der Roman ist, wie

Bachtin sagt, anticanonical. Bachtin meint außerdem auch: “The novel is the only

developing genre and therefore it reflects more deeply, more essentially, more

sensitively and rapidly, reality itself in the process of its unfolding.”53

Dadurch dass der

51

Bakhtin, M.M.: The Dialogic Imagination. Four Essays. Austin: University of Texas Press 2006, S.xxxi 52

Bakhtin: The Dialogic Imagination, S.xxix 53

Bakhtin, M.M.: “Epic and Novel”. In: The Dialogic Imagination, S.7

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Roman sich ständig neu erfindet, projiziert er demnach auch unsere veränderliche

Wirklichkeit. Diese Entwicklungen innerhalb des Romans, die also von unserer

Wirklichkeit und den Veränderungen innerhalb unserer Wirklichkeit hervorgerufen

werden, können allerdings nur stattfinden, wenn es auch diese gewisse Selbstreflexivität

und ‚Selbst-Evaluation‘ im Text selbst bzw. durch den Autor im Text und bezüglich des

Textes gibt. Auch Patricia Waugh erkennt den Einfluss, den unsere Realität auf die

Entwicklungen des Romans hat:

Metafiction, then, does not abandon ‘the real world’ for the narcissistic pleasures

of the imagination. What it does is to re-examine the conventions of realism in

order to discover – through its own self-reflection [Hervorhebungen von K.B] –

a fictional form that is culturally relevant and comprehensible to

contemporary readers. In showing us how literary fiction creates its imaginary

worlds, metafiction helps us to understand how the reality we live day by day is

similarly constructed, similarly ‘written’.54

Der metafiktionale Roman ‚wächst‘ also durch seine Selbst-Reflexivität; er konstruiert

den Gebrauch der literarischen Konventionen anhand der Realität und passt sich somit

kontinuierlich an diese an. Auf diese Weise bleibt er „culturally relevant and

comprehensible to contemporary readers“. Der Roman bleibt aktuell und der Leser wird

direkt angesprochen. Die heutigen Literaturwissenschaftler sehen diesen Aspekt sogar

schon als eine feste Komponente; so sagen Fontis Jannidis et al.: „Der Autor ist im

Alltag unserer Kultur die wichtigste Größe, um literarische Äußerungen so in Kontexte

einzubetten, dass sie verstehbar sind und handlungsrelevant werden können.“55

Demnach ist der Autor dafür verantwortlich, dass seine literarischen Äußerungen

‚culturally relevant and comprehensible to contemporary readers‘ bleiben. Waugh

unterstellt in ihrem Zitat zusätzlich eine bilaterale Beziehung zwischen Realität und

Roman. Der Leser wird, durch das Lesen metafiktionaler Werke, damit konfrontiert,

dass auch seine Realität, wie er oder sie diese auch erfährt, auf ähnliche Art und Weise

„constructed“, bzw. „written“ sein könnte.

Sind self-reflection und self-consciousness nun aber Eigenschaften des Romans an

sich, oder spezifische Eigenschaften metafiktionaler Werke? Oder sind alle Romane

vielleicht metafiktional? Waugh zufolge kann Metafiktion nicht als Sub-Genre des

Romans gesehen werden, sondern „as a tendency within the novel which operates

54

Waugh: Metafiction, S.18 55

Jannidis, Fotis et al. (Hrsg.) : “Einleitung. Autor und Interpretation” In: Texte zur Theorie der

Autorschaft. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. 2000, S.7

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through exaggeration of the tensions and oppositions inherent in all novels: of frame

and frame-break, of technique and counter-technique, of construction and

deconstruction of illusion.”56

Somit kann Metafiktion als eine Tendenz, bzw. ein Aspekt

des Romans gesehen werden, der mehrere stilistische, formale und auch semantische

Elemente in sich vereint, diese aber auch gegeneinander ausspielt. Dieser Aspekt muss

jedoch nicht unbedingt in jedem Roman anwesend sein. Bachtins und Waughs

Betrachtungen können zwar an einander gekoppelt werden. Der Unterschied zwischen

beiden Auffassungen liegt vor allem darin, dass Waugh meint, Metafiktion sei dieser

Aspekt, der die Spannungen und Oppositionen deutlich zeigt und hervorbringt, wodurch

der Leser auf diese literarischen Techniken aufmerksam gemacht wird, während

derselbe Aspekt bei Bachtin dem Roman inhärent ist, und also nicht unbedingt der

Metafiktion angehört. Chronologisch gesehen ist Waughs Werk Metafiction (1985)

allerdings erst nach Bachtins The Dialogic Imagination (1975) entstanden. Waugh kann

diese Eigenschaft, die Bachtin zufolge dem Roman inhärent ist, demnach

hervorgehoben und mit der Denomination ‚Metafiction‘ versehen haben.

3.1.Die verschiedenen Aspekte der Metafiktion

In diesem Kapitel werde ich nun etwas näher auf die verschiedenen Elemente der

Metafiktion eingehen. Zunächst wende ich mich der language of fiction und der

Typographie zu. In einem verhältnismäßig großen Kapitel werde ich dann auf die drei

Autorinstanzen in den sieben Romanen eingehen. Schließlich werde ich mich auch noch

mit dem Bildungs- und Entwicklungsroman, dem Buch im Buch und der Parodie

befassen.

3.1.1. Language of Fiction

Zwischen Waugh und Bachtin scheint es, wie bereits erwähnt, einige deutliche

Parallelen zu geben. Auch Waugh war sich dieser Verbindung offensichtlich bewusst.

Als einer der metafiktionalen Aspekte in ihrem Werk wird nämlich auch the language

of fiction behandelt bzw. der Fakt, dass es nicht ‚die‘ language of fiction gibt, was sie

selbst auch mit Bachtins Werk verbindet:

56

Waugh: Metafiction, S.14

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Metafiction flaunts and exaggerates and thus exposes the foundations of this

instability: the fact that novels are constructed through a continuous assimilation

of everyday historical forms of communication. There is no one privileged

‘language of fiction’. There are languages of memoirs, journals, diaries,

histories, conversational registers, legal records, journalism, documentary. [Hervorhebung von K.B.] These languages compete for privilege. They question

and relativize each other to such an extent that the ‘language of fiction’ is always,

if often covertly, self-conscious.

Mikhail Bakhtin has referred to this process of relativization as the ‘dialogic’

potential of the novel. Metafiction simply makes this potential explicit and in so

doing foregrounds the essential mode of all fictional language.57

Waugh meint also, dass metafiktionale Romane, außer an die inhaltlichen

Veränderungen der Realität, sich auch ständig an die ‚tagtäglichen historischen Formen

der Kommunikation‘ anzupassen versuchen und diese letztendlich integrieren und

miteinander kombinieren. Folglich scheinen sie einander dadurch zu ‚relativieren‘,

wodurch die ‚Sprache der Fiktion‘ self-conscious wird. Dieses Relativieren vergleicht

sie mit Bachtins „dialogic potential of the novel“. Waugh meint, dass Metafiktion

gerade der Aspekt des Romans ist, der dieses Potential explizit macht und somit ‚the

essential mode of all fictional language‘ hervortreten lässt. Eine Frage, die ich hier in

den Raum stellen möchte, ist, ob es nicht schon durch die bloße dialogic method zu

einem gewissen Hervorheben kommt? Wird etwas nicht schon sichtbar, dadurch dass es

in einer Opposition zu etwas anderem auftritt bzw. dadurch dass etwas anders

angewandt wird als zuvor, wie es bei der dialogic method von Bachtin der Fall ist?

Bei Moers tritt die Dialogizität der fiktionalen Sprache in allen Romanen auf. Er

kombiniert oftmals umgangssprachliche Elemente mit Fremdwörtern oder introduziert

Begriffe, die zu einem bestimmten Fachgebiet gehören. So erfährt Hildegunst von

Mythenmetz, der Protagonist (und mutmaßliche Autor58

) in DLdTB:

„Das ist eine olfaktorische [Hervorhebungen von K.B.] Aroma-Orgel zur

Erschaffung eines riechbaren Bühnenbildes“, erläuterte [die Schreckse Inazea

Anazazi] wispernd. „Das gibt es nur in Buchhaim. Nur in diesem Theater! Sie

fügt der Inszenierung neben der Musik noch die Dimension des Geruchs hinzu.59

Für viele erwachsene und/oder geschulte Leser würden diese beiden Wörter,

„olfaktorische“ und „Inszenierung“ vielleicht für keine erheblichen Probleme sorgen,

aber manche jüngere wie auch ungeübte Leser müssten diese eventuell doch

57

Waugh: Metafiction, S.5 58

Siehe Kapitel „Hildegunst von Mythenmetz als Autor & Figur” 59

DLdTB, S.234

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nachschlagen. Fachjargon wird hier also in einen normalen Dialog inkorporiert.

Außerdem sehen wir in etlichen Dialogen in Moers‘ Werken, dass manche Wörter im

Nominalstil verwendet werden, im obigen Beispiel z.B. „Erschaffung“, was auf einen

‚professionelleren‘ Sprachgebrauch hinweist. Dazu sagt Hans Eggers, dass man „einen

[…] klaren, verbalen Stil im heutigen Schriftdeutsch fast als Ausnahme betrachtet. Sehr

viel weiter verbreitet [sei] der Nominalstil.“60

Außerdem meint er, dass „[m]öglichst

viel Informationen in möglichst wenig Worten, […] deutlich im Bestreben des heutigen

schriftsprachlichen Stils [, dem Nominalstil], [liegt]. “61

Ihm zufolge „fordert [dieser

Stil] vom Leser ein hohes Maß an Aufnahmebereitschaft, und intellektueller

Mitarbeit.“62

Der Nominalstil scheint in der gesprochenen Sprache also eine geringere

Rolle zu spielen und gehört eher der professionelleren Schriftsprache an. Dass eine

Figur mithilfe des Nominalstils kommuniziert, ist also sicherlich als ein Abweichen von

der ‚normalen‘, gesprochenen Sprache zu betrachten. Moers setzt demnach

Fremdwörter, schriftsprachlichen Stil und einen ‚professionellen‘ Jargon ein. Er verleiht

bestimmten Stellen im Roman auf diese Weise ein gewisses ‚Fachsimpeln‘. Wie in

Waughs Zitat bezüglich der language of fiction63

bereits gesagt wurde, ist es gerade das

Integrieren von Fach- und Fremdwörtern, das den Romanen ihren ambivalenten,

oppositionellen Charakter verleiht. Durch den Gebrauch von z.B. unterschiedlichen

Registern kann der Roman sich, auf linguistischer, sozialer und kultureller Ebene

kontinuierlich an die Realität anpassen. In seinem Werk Postmodernist Fiction

beschreibt Brian McHale den Gebrauch von u.a. Fremdwörtern oder schwierigen

Wörtern auch als lexical exhibitionism:

Lexical exhibitionism involves introducing words which are by their very nature

highly conspicuous, self-foregrounding as it were: rare, pedantic, archaic,

neologistic, technical, foreign words [Hervorhebung von K.B.]. Words, in short,

which many readers will need to look up, and which they may not be able to find

outside of OED64

– or even inside it, for that matter.65

60

Eggers, Hans: Die deutsche Sprache im 20. Jahrhundert. München: R.Piper & Co Verlag 1973, S.45 61

Eggers: Die deutsche Sprache im 20. Jahrhundert, S.47 62

Ebd. 63

“There are languages of memoirs, journals, diaries, histories, conversational registers, legal records,

journalism, documentary. These languages compete for privilege. They question and relativize each other

to such an extent that the ‘language of fiction’ is always, if often covertly, self-conscious.” [Waugh:

Metafiction, S.5] 64

OED ist eine Abkürzung für das „Oxford English Dictionary“, das Pendant vom deutschen Brockhaus. 65

McHale, Brian: Postmodernist Fiction. London und New York: Routledge 1999, S.151

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Kann der Autor, ob es nun Moers, Mythenmetz oder Blaubär ist, als ein lexikalischer

Exhibitionist perzipiert werden? Und was ist die Funktion dieses lexical exhibitionism?

Eine naheliegende Antwort auf diese letzte Frage könnte sein, dass der echte oder

mutmaßliche Autor, oder eventuell sogar der ‚Übersetzer‘, mit seiner Kenntnis prahlen

möchte, dass er also dem Leser deutlich machen will, dass er weiß, wovon er spricht.

Diese Interpretation erscheint auch deshalb plausibel, da der Leser in etlichen

Erklärungen, wie zum Beispiel in den Nachtigallerschen Fußnoten, persönlich

angesprochen wird und ihm darin ein Begriff oder ein Ereignis erklärt wird. In E&K

finden wir bereits auf der ersten Seite der Erzählung eine Fußnote mit einer Erklärung

aus dem Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen und Phänomene

Zamoniens und Umgebung: „Buntbären, die: Zamonische Sonderform aus der Familie

landbewohnender Allesfresser mit dichter Fellbehaarung (Ursidae) [Hervorhebung von

K.B.]; kräftige, bis zu zwei Meter große Säugetiere mit Sprachbegabung.“66

Diese

Fußnote scheint hier vor allem dem Leser gegenüber eine erklärende Funktion zu

haben67

. Auch der Gebrauch des Lateinischen Wortes „Ursidae“ ist auffällig. Hiermit

integriert Moers nämlich eine realitätsgetreue Denomination68

, womit in der

Naturkunde die Gruppe der Bären markiert wird.

Eine Folge dieser Interpretation der Prahlerei vonseiten des Autors, Erzählers oder

Übersetzers, wäre nun folglich hauptsächlich mit der Frage nach der Glaubwürdigkeit

zu verbinden. Die Frage nach der Funktion bleibt jedoch: Will er vielleicht mittels

dieser ‚Kenntnis-Demonstration‘ den Leser davon überzeugen, dass er ein intelligenter

und vertrauenswürdiger Mensch ist und somit den Prozess des So-Tun-Als-Obs

bestärken? Den Begriff ‚So-Tun-als-ab‘ benutze ich in meiner Arbeit übrigens Analog

zu dem make-believe-Konzept, was „so viel bedeutet wie das spielerische Sich-

Einlassen des Lesers auf die fiktionale Erzählung, das darin besteht, die Erzählung für

die Zeit der Lektüre in einer gewissen Hinsicht für wahr zu halten. […] [Der Leser soll]

66

E&K, S.17 67

Man könnte an diesem Punkt einwenden, dass das Lexikon in Käpt’n Blaubär eher dem Blaubär selbst

gilt, anstatt dem Leser. Meiner Meinung nach dient das Lexikon hier (E&K) vor allem dem Leser,

während es in Käpt’n Blaubär dem Leser wie auch Käpt’n Blaubär selbst gilt. 68

Z.B. “Spectacled bears, also called Andean bears, are among the smallest members of the family

Ursidae.” Verfügbar: http://animals.nationalgeographic.com/animals/mammals/spectacled-

bear/?source=A-to-Z (besucht 03.04.2012)

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während der Lektüre für sich selbst so tun, als ob er die Erzählung glaubt.“69

Man kann

hier auch einen starken Zusammenhang mit der willing suspension of disbelief

bemerken, ein Begriff, den ich bereits im Kapitel der Phantastik introduziert habe.

Tatsächlich werden beide Begriffe oftmals als Synonyme von einander verwendet.

Beide haben schließlich mit einem mehr oder weniger bewussten Aufschub des

Unglaubens zu tun. In meiner Magisterarbeit werde ich hauptsächlich den Begriff des

So-Tun-Als-Obs verwenden.

Eine andere Deutung des lexical exhibitionism wäre, dass der ‚professionelle‘

Sprachgebrauch mit dem individuellen Charakter70

des ‚Erklärers’ innerhalb der

Erzählung selbst verbunden werden kann. Während die vorige Interpretation also

hauptsächlich damit zu tun hatte, wie der Autor, real oder nicht, perzipiert wird und sich

somit eher in der Rahmenerzählung situiert, geht es in dieser Interpretation um einen

‚intratextuellen‘ Aspekt. Insbesondere bei Prof. Dr. Abdul Nachtigaller wäre die

‚lexikal exhibitionistische‘ Eigenschaft dann sehr auffällig. Bei ihm wird das

Fachsimpeln außerdem solchermaßen mit umgangssprachlichen Elementen verbunden,

dass er vereinzelt als brillanter aber dennoch verrückter Professor interpretiert werden

kann.

Tja, und bei der Beimischung dieser letzten Zutat ist mir aus Versehen noch ein

Irrlicht in die Rezeptur [Hervorhebungen von K.B.] gefallen, eine

Friedhofsmotte, die kurz vorher vom Blitz getroffen worden war. Das hat alles

versaut. Das Zamomin war fast perfekt, aber es hatte einen Dachschaden.71

Der Sprachgebrauch kann also durchaus Einfluss auf unsere Interpretation und unseren

Eindruck der Figur haben. Hier würde die Bestärkung oder der Verlust der

Glaubwürdigkeit sich also eher auf eine Figur in der Erzählung projizieren. Bezüglich

anderer Figuren können wir feststellen, dass das Fachsimpeln zwar oftmals zu einer

Bestärkung der Glaubwürdigkeit führt. Diese kann, durch weitere Charakterzüge

derselben Figur, jedoch auch wieder zerstört werden. So ist der zwölfjährige Gustave

Doré in Moers‘ Roman Wilde Reise durch die Nacht z.B. auf einer Quest: er muss sechs

Aufgaben erfüllen, um dem (anthropomorphisierten) Tode zu entrinnen. Zu Beginn

69

Zipfel, Frank: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität. Analysen zur Fiktion in der Literatur und zum

Fiktionsbegriff in der Literaturwissenschaft. Berlin: Erich Schmidt Verlag 2001, S.217 70

Obwohl es sich hier selbstverständlich nicht um eine reale Person ‚aus Fleisch und Blut‘ handelt,

verwende ich trotzdem das Wort ‚Charakter‘. Damit meine ich das Konstrukt verschiedener Charakter-

Elemente, die der jeweiligen dramatis personae vom Autor zugeschrieben werden. 71

Käpt’n Blaubär, S.646

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unterstützt der Tod Gustave scheinbar auf seinem Weg. Letztendlich entpuppen alle

Helfer, die der Tod geschickt hatte, sich allerdings wirklich als „Diener des Todes“72

,

wodurch Gustave von einem Übel ins Nächste gerät. Einer dieser mutmaßlichen Helfer

ist das sprechende Pferd Pancho Sansa. Auch er ist in gewisser Weise eine ‚Erklärer‘-

Figur. Da er Gustave zuvor jedoch schon einmal im Stich gelassen hat, erweckt er auf

den Leser und auch auf Gustave selbst nicht den Anschein einer vertrauenswürdigen

Figur.

„Eine im Hochgebirge nicht seltene Sinnestäuschung“, erklärte Pancho. „Die oft

frappierende Turmähnlichkeit der Berge, gepaart mit den getrübten

Sichtverhältnissen und den Einwirkungen der dünnen Luft auf die optische

Wahrnehmung und die Belastbarkeit des Gehirns führen oft zu

Sinnestäuschungen, die…“ „Ach, halt die Klappe!“ rief Gustave und gab dem

Gaul die Sporen […]. Die altklugen Bemerkungen von Pancho fingen langsam an,

ihm auf die Nerven zu gehen.73

Moers kombiniert dieses Fachsimpeln, was stark an die Nachtigallerschen Erklärungen

erinnert, mit einer verräterischen bzw. unzuverlässigen Figur. Die tatsächliche

Intelligenz und das Wissen des sprechenden Pferdes werden dadurch besudelt; Panchos

Intelligenz macht letztendlich nichts mehr aus und wirkt sogar als Wichtigtuerei.

Bedeutend scheint in Moers‘ Romanen vor allem zu sein, was genau mit diesem Wissen

geschieht, wie es angewandt und übertragen wird74

.

Positiver wirkt ein formeller Sprachgebrauch übrigens bei diesen Figuren, die im

Verlauf der Erzählung als Vertrauensperson gelten und auch ihr Standing wahren. So

wird uns z.B. Danzelot von Silbendrechsler durch die Zusammenstellung seines

Wortschatzes „als ein[…] gebildete[r], ältere[r] aber etwas zerstreute[r] Mann“75

vorgestellt. Bei ihm wird der Gebrauch von Fremdwörtern und Fachsprache mit

umgangssprachlichen Elementen verknüpft, was uns zu Waughs Zitat bezüglich der

language(s) of fiction zurückführt, und was Bachtin „multi-languaged consciousness“76

nennt. Durch den Kontrast zwischen Fachbegriffen oder Fremdwörtern und dialogischer

Alltagssprache, werden die schwierigeren Wörter automatisch hervorgehoben. Es

kommt zu einer Verstörung des Leseflusses. Der Leser muss innehalten, sich kurz einer

Definition, Beschreibung oder eines Beispiels entsinnen, eventuell sogar die Bedeutung

72

WR, S.93, 107 73

WR, S.114 74

Siehe diesbezüglich auch die Bedeutung des Lexikons in dem Kapitel „Das Buch im Buch“ 75

Blondeel: “Multiple Adressiertheit“, S.24 76

Bachtin: The Dialogic Imagination, S.11

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eines Wortes nachschlagen, und damit entsteht womöglich sogar eine Unterbrechung im

Aufbau und der Erhaltung des So-Tun-Als-Obs. McHale zufolge verhindert dies aber

nicht unbedingt „the reconstruction of a world“77

, sondern hindert den „reconstruction

process“78

eher, „making it more difficult and thus more conspicuous, more

perceptible.“79

Er beschreibt die Verwendung unerwarteter Register und Jargons als

foregrounding. Dieses foregrounding

refers to features of the text which in some sense ‚stand out‘ from their

surroundings. [...] [I]n any text some sounds, words, phrases and/or clauses may

be so different from what surrounds them, or from some perceived ‚norm‘ in the

language generally, that they are set into relief by this difference and made

prominent as a result. Furthermore, the foregrounded features of a text are often

seen as both memorable and highly interpretable.80

Bestimmte Wörter, Phrasen oder Laute werden also gerade durch ihre Deviation

hervorgehoben. Der Leser hält beim Lese inne und analysiert die ihm unbekannte

linguistische Konstruktion. Dieses Zitat kann man leicht mit dem metafiktionalen, self-

conscious Roman verknüpfen kann: der metafiktionale Roman geht bewusst mit

Registern und Sprache um. Gleichzeitig wird der Leser, durch den Gebrauch

unterschiedlicher und auffälliger Jargons und Register, daran erinnert, dass es sich um

ein künstlerisches Artefakt handelt, denn Ausdrücke wie „pekuniär“81

, „Katatonie“82

oder „opulent“83

gehören meist nicht zum tagtäglichen Vokabular.

McHale spricht in seinem Zitat bezüglich des lexical exhibitionism aber auch von

„neologistic words“, also von ‚neu-geformten‘ Wörtern. In den Moersschen Romanen

sind diese auffällig zahlreich. Bei Moers scheinen solche Neologismen, die sich bei ihm

übrigens auch bis hin zur Phraseologie erstrecken, mehrere Funktionen zu haben. Eine

dieser Funktionen hat, meiner Meinung nach, mit dem So-Tun-als-ob-Konzept zu tun.

Der Schöpfer der fiktiven, phantastischen Welt im Roman muss konsequent sein, wenn

es darum geht, die beabsichtigte Illusion der Erzählung zu erhalten. In einer

phantastischen Welt gelten oft andere Regeln als in unserer Wirklichkeit und dazu

gehören demnach auch Elemente, die wir als solche nicht kennen. Es ist also logisch,

77

McHale: Postmodern Fiction, S.151 78

McHale: Postmodern Fiction, S.151 79

McHale: Postmodern Fiction, S.151 80

Jeffries, Lesley & McIntyre, Dan: Stylistics. Cambridge: Cambridge University Press 2010, S.31 81

DSdTB, S.16 82

Käpt’n Blaubär, S.258 83

DS, S.158

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dass man für ‚neue‘ Dinge auch neue Wörter braucht. Moers’ Neologismen84

bleiben

trotzdem relativ deutlich, da Moers oftmals Komposita bestehender Wörter konstruiert,

die uns doch mindestens teilweise ein Indiz darüber geben, um was es sich handelt. So

erfahren wir in DLdTB etwas über Mythenmetz‘ Notizloses Notieren85

, was er auch

Mythenmetzsche Mentalmalerei86

nennt. Schon durch die Zusammenstellung Mental-

und Malerei, wird eigentlich deutlich was gemeint ist: jemand ‚malt‘ ein mentales Bild,

bzw. rekonstruiert das, was er oder sie sieht, vor seinem mentalen Auge und speichert

es. Außer dieses, relativ bildlichen, Kompositums, wird dem Leser der Begriff

zusätzlich im Text noch erklärt. Falls die Bedeutung einer phantastisch konnotierten

Phrase dann eventuell doch noch undeutlich sein sollte, sorgt Moers mithilfe des

Lexikons oder eines ‚Übersetzerkommentars‘ für mehr Deutlichkeit. So schreibt

Hildegunst in einer seiner Mythenmetzschen Abschweifungen in E&K: „Wissen Sie, was

Kritiker mir mal können? Sie können mir mal die Schere spülen!*“87

was prompt von

einer Erklärung in der Fußnote gefolgt wird:

Du kannst mir mal die Schere spülen ist einer der gebräuchlichsten und zugleich

drastischsten Kraftausdrücken von Zamonien. Die in den atlantischen

Fellkämmereien beschäftigten Scherenspüler (sie waren damit beschäftigt, die

läuseverseuchten Yetihaare aus Kämmen und Scheren zu spülen) galten lange Zeit

als der niedrigste Berufsstand Zamoniens. Jemand als Scherenspüler zu

bezeichnen oder ihn aufzufordern, einem die Schere zu spülen, war eine grobe

Beleidigung. (Der Übersetzter)88

Moers gliedert hier also seine ‚neologistische Phraseologie‘ in einen phantastischen

Kontext ein. Dadurch dass solche ‚neuen‘ Phraseologien und Wörter dem Leser vor

dem Leseprozess unbekannt sind, kommt es beim Lesen automatisch zu einem

foregrounding. Auch pejorative Wortwahl kann zu foregrounding führen. Wörter wie

„Lektürememmen“89

, „Heulsusen“90

oder das eher euphemistisch-beleidigende

„Kamillenteetrinker“91

gehören schließlich nicht zum normativen Sprachgebrauch und

machen eher auf sich aufmerksam.

84

Als Neologismen können hier auch die Anagramme in Moers‘ Romanen erwähnt werden. 85

DLdTB, S.46 86

DLdTB, S.46 87

E&K, S.89 88

E&K, S.89 89

DLdTB, S.11 90

DSdTB, S.9 91

DSdTB, S.9

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Neben der Funktion der Erhaltung und Bestärkung des So-Tun-Als-Obs, können

Neologismen oder andere spezifische und abweichende Wortwahl also auch als

metafiktionales, linguistisches Hervorheben gesehen werden. Die hervorgehobenen

Begriffe und Ausdrücke machen den Leser darauf aufmerksam, dass es sich bei der

Erzählung um ein artistisches, kulturelles Artefakt handelt, aber auch, dass die eigene

Realität genauso konstruiert oder geschrieben92

sein könnte, wie der Roman, den er oder

sie gerade liest. In dieser Hinsicht verbinde ich foregrounding also auch mit der

Metafiktion.

Bezüglich McHale und seinem Werk Postmodern Fiction möchte ich an dieser

Stelle und mittels eines kurzen Exkurses noch erwähnen, dass ich die Verbindung

zwischen Postmodernismus und Metafiktion natürlich nicht einfach so herstelle. Birgit

Neumann und Ansgar Nünning nennen Metafiktion „a hallmark of postmodernism“93

,

ein Siegel bzw. Stempel des Postmodernismus, und Linda Hutcheon äußert sich

folgendermaßen: „What we tend to call postmodernism in literature today is usually

characterized by intense self-reflexivity and overtly parodic intertextuality. In fiction

this means that it is usually metafiction that is equated with the postmodern.”94

Ihr

zufolge sollte man jedoch auch „an equally self-conscious dimension of history“95

zu

der Definition der Postmoderne hinzufügen. “The term postmodernism, when used in

fiction, should, by analogy, best be reserved to describe fiction that is at once

metafictional and historical in its echoes of the texts and contexts of the past.”96

Hutcheon meint also die Metafiktion sei einer der zwei Aspekte der Postmoderne. Ihrer

Ansicht nach, können Metafiktion und Postmoderne einander also zwar nicht

gleichgestellt werden. Sie sind jedoch eng mit einander verbunden. Peter Hunt zufolge

ist

[m]etafiction […] a mode of writing which has recently flourished within a

broader cultural movement referred to as postmodernism [...] with which it shares

some common features: narrative fragmentation and discontinuity, disorder and

92

“metafiction helps us to understand how the reality we live day by day is similarly constructed,

similarly ‘written’” [Waugh: Metafiction, S.18] 93

Neumann, Brigit & Nünning, Ansgar: Metanarration and Metafiction. Verfügbar: http://hup.sub.uni-

hamburg.de/lhn/index.php/Metanarration_and_Metafiction (besucht 03.05.2012) 94

Hutcheon, Linda: Historiographic Metafiction: Parody and the Intertextuality of History. S.3

Verfügbar: https://tspace.library.utoronto.ca/bitstream/1807/10252/1/TSpace0167.pdf (besucht

03.05.2012) 95

Hutcheon: Historiographic Metafiction, S.3 96

Hutcheon: Historiographic Metafiction, S.3

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chaos, code mixing and absurdity of the kind which appears in the picture books

of John Burningham [and] Chris Van Allsburg [...] and the novels of William

Mayne and Terry Pratchett.97

Obwohl es also gewisse Unterschiede zwischen dem Postmodernismus und der

Metafiktion gibt, sind sich alle Literaturwissenschaftler darüber einig, dass beide in

einem engen Verhältnis zueinander stehen. In meiner Magisterarbeit, und bezüglich

McHales Werk, sehe ich Metafiktion demnach, wie es auch Linda Hutcheon vorschlägt,

als einen der Hauptaspekte des Postmodernismus. Dadurch scheint mir auch der

Gebrauch des Werkes Postmodern Fiction bezüglich der Metafiktion in Walter Moers‘

Zamonien-Romanen gerechtfertigt zu sein.

Zusammenfassend zu diesem Kapitel kann ich konstatieren, dass der

Sprachgebrauch in Moers‘ Romanen eine große Bedeutung hat. Einerseits wirken

bestimmte Wörter als Katalysatoren für die Lese-Erfahrung und das Eintauchen in die

Erzählung, andererseits weisen sie auch auf den Konstrukt-Charakter des Romans hin.

In allen Fällen sorgen sie jedoch dafür, dass der Leser, ob es nun ein schwieriges oder

neologistisches ist, sich des Wortes bewusst wird. Das Wort tritt sozusagen aus seinem

semantischen Kontext hervor und erhält für einen kurzen Moment einen anderen,

höheren Status. Gleichzeitig verstärkt das Wort aber auch seinen semantischen Kontext.

Es liegt also in der phantastischen Erzählung eingebettet, obwohl es sich durch spezielle

Eigenschaften, wie Jargon, Register oder Neologismus, auszeichnet und so von anderen

‚normalen‘ Wörtern unterscheidet. Der metafiktionale Aspekt der Wortwahl ist in

Moers‘ Romanen deutlich vorhanden und zeichnet sich vor allem durch eine starke

Dialogizität zwischen den unterschiedlichen Registern, Jargons und Denominationen

aus verschiedenen Fachbereichen aus. Es gibt demnach nicht nur die eine language of

fiction, sondern eher eine Konstellation unterschiedlicher languages of fiction oder eine

Dialogizität zwischen den verschiedenen languages of fiction.

3.1.2. Typografie

Auch die Typographie kann als metafiktionaler Aspekt gesehen werden. Qua Funktion

und Effekt gibt es hier sogar viele Ähnlichkeiten mit der language of fiction. Durch

Veränderungen in der Typographie, z.B. Schriftgröße oder Schrifttyp, wird der Leser

97

Hunt, Peter: Understanding Children’s Literature: Key Essays from International Companion

Encyclopedia of Children’s Literature. Taylor & Francis e-Library 2002, S.141

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ein aktiver Leser. Er oder sie erkennt die formalen Veränderungen, die bei Moers meist

zur Veranschaulichung eines akustischen Ereignisses oder zur Darstellung eines

paratextuellen Elementes oder eines anderen literarischen Mediums dienen. Die

vergleichsweise minimalistischsten typographischen Besonderheiten finden wir in

Wilde Reise durch die Nacht, einem Roman, der, als einziger, nicht auf dem Kontinent

Zamonien spielt. Es gibt zwar gewisse inhaltliche Parallelen zwischen WR und den

anderen Moersschen Romanen, wie den Greif98

und andere intertextuelle Elemente, die

in vielen Moers-Romanen wiederholt vorkommen. Dennoch scheint es sich hier um

eine eigene, phantastische, Welt zu handeln. Eine abweichende Typografie gibt es in

WR vor allem dann, wenn eine Figur etwas ruft, wenn die Lautstärke also erhöht ist. In

diesem Falle sind die Buchstaben des Wortes fett gedruckt: „»Was soll das heißen? Du

bist doch das Schrecklichste Aller Ungeheuer, oder?« Gustave dachte nicht daran,

seine Stimme zu senken“99

; oder bei einer Betonung, ohne dass dabei unbedingt die

Stimme erhoben wird: „Du hast ein Teleskop und beobachtest die Sterne – Esomitrona:

dein richtiger Name ist Astronomie!“100

Waugh meint dazu: „[...] the typographic

arrangements on the page visually imitate the content of the story.”101

Es wird, in

unserem Fall, also visuell dargestellt, was der fiktionale Gegenspieler des Sprechers

hört. So sehen wir deutlich, welche Wörter in ‚gesprochener‘ Sprache im Roman betont

wären, wenn wir sie auch akustisch wahrnehmen könnten. Außerdem kann der Autor

auf diese Art und Weise selbst auf wichtige Stellen in der Erzählung hinweisen. Bei

dem zuletzt genannten Zitat aus WR fällt dem Leser insbesondere das Wort

‚Astronomie‘ auf. In der Erzählung ist Gustave gerade bei seiner dritten der sechs

Aufgaben angelangt. Er muss die Namen von sechs Riesen erraten. Es stellt sich heraus,

dass die Namen, die er ihnen anfangs ablistet, nur Anagramme von ihren wirklichen

Namen sind. Durch Kombinationsgabe und List kann der junge Gustave letztendlich

alle Namen richtig deduzieren. Der Leser kann diesen Prozess des ‚Namen-Ratens‘mit

verfolgen. Dadurch, dass Moers die Lösungen durch Fettschrift betont, sieht auch der

Leser was es mit den Anagrammen auf sich hat. Typographie ist demnach eine

98

„[…] Willkommen in Atlantis, der Stadt mit Zukunft! Siehst du den Greif dort oben auf dem

Minarett?“ in Käpt’n Blaubär, S.448; „Er ritt auf einem Geschöpf, welches zum Teil ein Löwe, zum Teil

ein Pferd und zum Teil ein Adler zu sein schien. »Um deiner Frage zuvorzukommen«, sagte das

Geschöpf, »ich bin ein Greif […].«“ In WR, S.26 99

WR, S.144 100

WR, S.120 101

Waugh: Metafiction, S.97

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Möglichkeit um den Leser auf etwas innerhalb der Erzählung hinzuweisen. Zudem

meint Waugh folgendes: “Elaborate introductions to the novel, footnotes, marginalia,

letters to publishers – inclusion of the physical ‘scaffolding’ of the text

[Hervorhebung von K.B.]– these again are reminders of the text’s linguistic

condition.”102

Der Leser konstatiert dass es sich um ein Artefakt handelt, ein

künstlerisches Konstrukt. Er wird damit konfrontiert, dass der Text kreiert ist.

Letztendlich kann Typographie niemals wirklich den Platz einer akustischen Erfahrung

übernehmen.

Noch deutlicher sehen wir die abweichende Typographie allerdings in den

anderen Moers-Romanen. In Rumo liest Haifischmade Smeik „Das Nebelheimer

Leuchtturmtagebuch von Doktor Oztafan Kolibril“ 103. Um die handgeschriebene Schrift des

Doktors zu imitieren, wird ein anderer Schrifttyp104

verwendet. Es handelt sich um ein

anderes literarisches Artefakt, nämlich um ein Tagebuch105

. Waugh zufolge ist dies also

“[a] reminder[...] of the text’s linguistic condition.”106

Dadurch dass andere mediale

Elemente integriert werden, erkennt der Leser den Konstrukt-Charakter des Textes. In

einem folgenden Roman, Käpt’n Blaubär, wird der Protagonist über achtzehn Seiten

(S.233-251) hinweg von einer „Waldspinnenhexe“ verfolgt. Die Distanz, die der

Blaubär durch das Geräusch „Bromm!“ der „meterlangen Beine [,die die

Waldspinnenhexe] wie Holzpfähle in den Boden rammte“107

, einschätzen kann, wird im

Roman durch Schriftgröße und Fettdruck symbolisiert. Anfangs, wenn der Abstand,

zwischen Blaubär und Spinne groß ist, wird dies mit einer Schriftgröße 12

widergegeben. Je näher Jäger und Opfer sich allerdings kommen, je größer die Gefahr

also wird, desto größer wird auch die Schrift. Zuletzt beschlagnahmt das

„BROMM!“108

sogar eine ganze Seite. Hier symbolisiert Schrift abermals Akustik. Da

Text natürlich kein Geräusch hervorbringen kann, muss der Autor auf diese Art und

Weise auf eine erhöhte Lautstärke hinweisen. Der Leser spürt in diesem Moment die

‚Grenzen der Sprache‘ im Roman und wird so an die linguistic condition des Textes

102

Waugh: Metafiction, S.97 103

Rumo, S.265-283 104

Der ursprüngliche Schriftzug ist nicht in der Word-Liste der Schrifttypen vorhanden. Nach Vergleich

ähnelt der Schrifttyp des Tagebuches dem Pristina-Schrifttyp meiner Meinung nach jedoch am meisten. 105

Siehe dazu auch „Das Buch im Buch“ 106

Waugh: Metafiction, S.97 107

Käpt’n Blaubär, S.232 108

Käpt’n Blaubär, S.251

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erinnert. Auch bei McHale ist die Rede von veränderten typografischen Elementen. Ihm

zufolge wird “irregular spacing of typography on the pages of [a] text [genutzt] to

represent or simulate geographical space in an oblique and distorted way.”109

Auch

diese Aussage lässt sich leicht mit unserem Zitat aus Käpt’n Blaubär verbinden. Am

Ende des „Marathonrennen[s] vom Großen Wald“110

bzw. der Verfolgungsjagd

zwischen Waldspinnenhexe und Blaubär auf Seite 251 ist der Schriftzug des

BROMM!‘s nämlich vertikal anstatt horizontal gedruckt und füllt zudem die ganze

Seite, was für eine direkte körperliche Nähe der Waldspinnenhexe stehen könnte: sie hat

sich buchstäblich vor Blaubär ‚aufgebaut‘, bzw. aufgerichtet, wie auch das Wort selbst

es getan hat. Hier ist die Vorstellung des Wortes also eine Widergabe der Akustik und

der Optik innerhalb der Erzählung. In Metafiction zitiert Waugh zu diesem Thema auch

B.S. Johnson. In seinem Albert Angelo wird behauptet:

a page is an area on which I place my signs I consider to communicate most

clearly what I have to convey... therefore I employ within the pocket of my

publisher and the patience of my printer, typographical techniques beyond the

arbitrary and constricting limits of the conventional novel. To dismiss such

techniques as gimmicks or to refuse to take them seriously is crassly to miss the

point.111

Johnson macht es hier sehr deutlich, dass seine typografischen Besonderheiten alles

andere als eine ‚Spielerei‘ oder Gimmicks sind. Ihm zufolge gehören sie zur Botschaft

die der Sender bzw. der Urheber des Textes dem Empfänger bzw. dem Leser,

übermitteln möchte. Die Botschaft wäre in diesem Falle dann auch mehr als nur der

Erzähltext an sich. Es wäre vielmehr die subjektive Lese-Erfahrung, der Eindruck den

der Leser von dem Gesamtwerk, also inklusive Paratext, Erzähltext, etc. bis hin zur

Größe des Buches, hätte.

Seine Kulmination findet die typografische Deviation allerdings nicht nur bei dem

‚Wettlauf‘ zwischen dem Blaubär und der Waldspinnenhexe, sondern auch noch an

einer anderen Textstelle. Es handelt sich um ein Gespräch, dass sich zwischen drei

Parteien innerhalb Blaubärs Gehirn abspielt:

Lass den Jungen in Ruhe!“ Das war das Lexikon. Nein, das war Professor

Nachtigaller persönlich. „Nachtigaller, bist du das?“ Die Stimme des

Zamomins klang plötzlich verängstigt. „Und ob ich das bin. Habe ich dich

109

McHale: Postmodernist Fiction, S.51 110

Käpt’n Blaubär, S.241 111

Johnson, B.S.: Albert Angelo. London.1964, p.176 In: Waugh: Metafiction, S.7

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endlich ausfindig gemacht! Wo seid ihr, mein Junge? Ich kann ja leider

nichts sehen.“ „Auf der Moloch! Wir müßen uns eigentlich nördlich von Atlantis

befinden!“ „Halt deinen Mund!“ „Sieh an, ich hätte nicht gedacht, daß du

dich auf der Moloch verkriechst. Eigentlich naheliegend. Immer noch die

alten Träume von der Weltherrschaft?!“ „Ich träume nicht, Nachtigaller,

ich denke! Und ich verkrieche mich nicht wie du in einem

Höhlenlabyrinth! Ich bin das Zamomin! Wage dich nicht in meine Nähe,

Nachtigaller! Ich müßte dich sonst zerstören!“ 112

Hier steht jeder Schriftzug also für eine bestimmte Stimme im Gespräch. Auf diese

Weise kann der Leser Prof. Nachtigaller, Blaubär und das Zamomin voneinander

unterscheiden. Dieselben individuellen Schriftzüge werden übrigens auch für andere

Gespräche derselben Person genutzt, und haben demnach in gewissem Sinne auch eine

Identifizierungsfunktion. In dem oben genannten Beispiel wird auf diese Weise jedoch

nicht nur die individuelle Klangfarbe der einzelnen Stimmen angedeutet, sondern auch

die Geschwindigkeit der Reaktionen. Durch das schnelle Aufeinanderfolgen der

unterschiedlichen Schrifttypen bekommt der Leser den Eindruck eines schnellen,

abwechslungsreichen Streitgesprächs.

Außerdem äußert sich Hildegunst auch persönlich zu der Typographie und ihrem

Effekt auf die Interpretation des Lesers. So meint er in DLdTB: „Fraktur ist in der

Typographie sozusagen das, was das Fachwerk in der Architektur darstellt. Beide

signalisieren eine gewisse Altertümlichkeit, aber auch solides Handwerk und zeitlose

Haltbarkeit. Fraktur ist vertrauenerweckend.“113

Aus diesem Zitat können wir schließen,

dass Hildegunst, und demnach auch Moers, bestimmten Schrifttypen eine spezifische

(emotionale, subjektive) Funktion zuschreibt. Hier stellt sich dann letztendlich auch die

Frage, welchen Einfluss Moers‘ Schrifttypen auf die Lese-Erfahrung seiner eigenen

Romane habe sollte. Wenn der Fraktur-Font ‚vertrauenerweckend‘ ist, was bedeuten

dann ‚Comic Sans MS‘, ‚Iskoola Pota‘ oder ‚Pristina‘? Meiner Meinung nach hat der

Eindruck, den ein Schrifttyp dem Rezipienten gibt, hauptsächlich mit seinem

historischen und praktischen Kontext und/oder Hintergrund zu tun. Außerdem scheint

auch die optische Ausführung bzw. das Eckige oder Runde des Schrifttypen

112

Käpt’n Blaubär, S.643 113

DLdTB, S.67 [Für Beispiele dieses typographischen Typs siehe auch

http://www.library.yale.edu/cataloging/music/fraktur.htm besucht 07.05.2012. Interessant ist außerdem

auch Martin Conrads‘ Artikel ”Typography Today: Current Trends in Type Design.” [Verfügbar

http://www.goethe.de/kue/des/prj/des/dth/en6750772.htm besucht 07.05.2012], wo über das Comeback

alter Schrifttypen berichtet wird.]

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mitzuspielen. Dadurch dass dieser Schrifttyp altertümlich erscheint und eine bestimmte

optische Komplexität hat, erhält er eine gewisse Seriosität und wird darum als

‚vertrauenerweckend‘ erfahren. Der Leser erhält den Eindruck eines ‚glaubwürdigen‘

Schrifttyps. Meiner Meinung nach stehen typographische Typen wie Comic Sans MS

dann eher für etwas Jüngeres, Moderneres. Es handelt sich optisch gesehen um einen

‚runderen‘ Schrifttyp, der weniger seriös, sondern eher einfach und verspielt wirkt.

Diese eher subjektive Eigenschaft der Typographie scheint für mich allerdings kein

wirkliches metafiktionales Merkmal an sich zu sein. Die abweichende Typographie

wird in dem Streitgespräch zwischen dem Zamomin, Nachtigaller und Blaubär meines

Erachtens vom Leser automatisch mit einer anderen Stimme oder einem anderen

Medium assoziiert. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Leser sich bezüglich dieses

Aspekts der Typographie unbedingt der linguistic condition des Textes bewusst werden

muss. Der Gebrauch unterschiedlicher Schrifttypen für unterschiedliche Stimmen

scheint sich in der gegenwärtigen Literatur, und sicherlich in der KJL, schon längst

eingebürgert zu haben und erweckt darum nicht mehr unbedingt den Eindruck einer

‚Deviation‘. In dieser Hinsicht können wir davon ausgehen, dass Metafiktion auch von

einem gewissen ‚Neuheitsgrad‘ abhängig ist, denn nur das Neue ist auch ‚anders‘ und

auffällig. Wenn der Leser sich an eine bestimmte literarische Konvention gewöhnt hat,

erscheint sie ihm nach einer Zeit als veraltet und ist sie weniger auffällig. Linda

Hutcheon sagt dazu: „metafiction has two major focuses: the first is on its linguistic and

narrative structures, and the second is on the role of the reader.”114

Um zu funktionieren

benötigt der metafiktionale Roman also nicht nur literarische und linguistische

Techniken, sondern auch die Mitarbeit des Lesers, denn dieser interpretiert, erkennt und

bewertet. Der Autor kann mit seiner typographischen Deviation also zwar einen

metafiktionalen, sprich ‚selbst-bewussten‘ Effekt beäugen. Das bedeutet jedoch nicht,

dass der Leser das auch immer so interpretiert. Falls eine metafiktionale Komponente

also nicht als solche gedeutet wird, verliert sie, meines Erachtens, ihren Effekt. Etwas

Ähnliches habe ich übrigens auch schon bezüglich der Phantastik angedeutet. Der

Effekt der Phantastik kann auch nur als solcher erfahren werden, wenn ein Leser die

114

Hutcheon: Narcissistic Narrative, S.6

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abweichenden Elemente, wie Gespenster oder fliegende Inseln115

, auch als solche

perzipiert.

Die typografischen Techniken haben offensichtlich eine bestimmte Funktion: sie

deuten, in metafiktionalem Sinne, die Grenzen der linguistic condition des Textes an,

und symbolisieren dadurch gleichzeitig ein anderes Medium oder eine andere

Sinneserfahrung, wie Akustik, Optik oder Geschwindigkeit, um den Leser in das

Geschehen mit einzubeziehen. Der Leser wird so Teil der Erzählung und erfährt die

Ereignisse, z.B. eine spannende Verfolgungsjagd, eventuell sogar verstärkt. Außer dass

deutlich wird, dass es sich um ein Artefakt handelt, was beim Rezipienten also für einen

Bruch in der Illusion der Erzählung sorgen könnte, wäre es auch möglich zu

schlussfolgern, dass die typografischen Techniken das ‚Einleben‘, Miterleben und So-

Tun-Als-Ob gerade vereinfachen und/oder verstärken. Meiner Ansicht nach, könnten

vor allem in DSdTB und DLdTB sogar beide Optionen gelten: der Leser merkt anhand

der Typographie, dass es sich um ein literarisches Artefakt handelt. Gleichzeitig

bestärkt dies jedoch auch die Illusion von Hildegunst als Autor116

der Erzählung. Auch

in E&K können beide Deutungen der Typographie gelten. In WR, Rumo, DS und Käpt’n

Blaubär scheint mir die Funktion der Typographie jedoch eher ‚rezipientgebunden‘ zu

sein. Ein Leser A wird die typographischen Variationen vielleicht als metafiktionalen

Aspekt, und in diesem Sinne als Fiktionsbruch deuten, während Leser B dies eher als

eine Bestärkung der Illusion perzipieren bzw. eventuell sogar unbewusst erleben wird.

Die Funktion der Typographie scheint in diesen Fällen also in the eye of the beholder zu

liegen. Außerdem habe ich konstatiert, dass eine ursprünglich metafiktionale

Komponente ihren Effekt verfehlen kann, falls dieselbe literarische Eigenschaft schon

solchermaßen eingebürgert ist, dass sie vom Leser nicht mehr bewusst als Deviation

interpretiert wird, sondern eher eine automatische Deutung erhält. In diesem Fall hätten

wir es also nicht mit einem typographischen foregrounding zu tun. Die literarische

Konvention erhält dann vielmehr eine ‚Standard-Deutung‘, in unserem Beispiel also,

dass unterschiedliche Schrifttypen für unterschiedliche Stimmen stehen. Der

metafiktionale Effekt, dass der Leser merkt, dass er es mit einem literarischen Artefakt

zu tun hat, würde hier dann, meines Erachtens, verfallen.

115

Käpt’n Blaubär, S.633 116

Siehe “Hildegunst von Mythenmetz als Autor und Figur“

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Abschließend zum Thema Typographie würde ich an dieser Stelle gerne

erwähnen, dass ich mich auch in meiner Bachelor-Arbeit bereits mit der Typographie

und der „Kombination Zeichengröße, Zeilenabstand und Illustration“117

auseinandergesetzt habe, hier jedoch hinsichtlich der multiplen Adressiertheit in

DSdTB. In meiner Arbeit konnte ich konkludieren, dass „Moers und sein Verlag […]

unterschiedliche[…] [formale] Aspekte, die in der Bücherwelt oft verschiedenen

Altersgruppen zugeordnet sind, zu einem Ganzen [kombinieren].“118

Durch die

Verknüpfung typographischer Variationen mit detaillierten Illustrationen, die mitunter

an Graphic Novels erinnern, schafft Moers es, ein breites Publikum zu erreichen. Der

Erzähltext bleibt visuell abwechslungsreich und ‚locker‘, und somit anziehend für

jüngere oder unerfahrene Leser119

, ist jedoch, durch die detaillierten Zeichnungen und

den sehr intertextuellen Inhalt120

, auch für den geübten und/oder älteren Leser reizvoll.

Anhand der Typographie kann der Autor, auf fast unsichtbare Art und Weise, denn

häufig werden typographische Deviationen einfach angenommen aber nicht weiter

beachtet oder analysiert, den Leser auf etwas hinweisen, ihn also gewissermaßen

steuern. Die Interpretation der typographischen Deviation scheint jedoch auch mit dem

Inhalt zusammen zu hängen. Während wir in DSdTB, DLdTB und E&K von einem

Illusionsbruch und einer Illusionsbekräftigung reden können, gilt in WR, Rumo, DS und

Käpt’n Blaubär nur eine der beiden Optionen, welche außerdem gleichzeitig auch

rezipient- bzw. interpretationsgebunden ist.

3.1.3. Der Autor

Bei dem ersten Kontakt zwischen Buch und Leser, sehen wir vor allem den Namen

‚Walter Moers‘ auf dem Umschlag. Dieser Name gilt als Erkennungszeichen für die

Zamonien-Romane und den Typ Text um den es sich handelt. Dazu meint Carlos

Bergeron: „En micro-texte qu'il est, le titre, en introduisant une seconde organisation

textuelle (le co-texte), établit dès le départ un rapport dialectique entre deux contextes:

celui du micro-texte (le discours intitulant) et celui du "co-texte" (la narration en tant

117

Blondeel: “Multiple Adressiertheit“, S.8 118

Blondeel: “Multiple Adressiertheit“, S.9 119

Obwohl natürlich auch erwachsene und/oder erfahrene Leser von einem lockeren Erzählstil und

Layout genießen können. 120

Vgl. Altgeld, Martin: Intertextualität und Intermedialität in Walter Moers‘ »Wilde Reise durch die

Nacht« und »Die Stadt der Träumenden Bücher«. Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin 2008

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que telle).“121

Der Titel kann demnach als Introduktion des Erzähltextes gesehen

werden. Es kommt zu einem ‚dialektischen Zusammenhang‘ zwischen Titel und

Erzähltext. Auf diese Weise können auch die Erwartungen des Lesers bezüglich des

Titels auf den Erzähltext übertragen werden. Man geht beim Rezipieren des Titels nun

davon aus, dass Moers der Urheber der Texte ist. Auf dem Titelblatt in DSdTB, DLdTB,

E&K und DS finden wir allerdings zusätzlich noch einen anderen Namen. So lesen wir

in Moers‘ ersten Roman Käpt’n Blaubär:

Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär. Die halben Lebenserinnerungen eines

Seebären; mit zahlreichen Illustrationen und unter Benutzung des „Lexikons der

erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und

Umgebung“ von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller.122

Der Text ist allem Anschein nach die (Auto)Biographie eines ‚Seebären‘. Käpt’n

Blaubär berichtet uns hierin von seinen „13 ½ Leben“. Es ist von „Lebenserinnerungen“

die Rede, und wenn man bis zu den Seiten 6 und 7 blättert, wird dieses Gefühl sogar

noch verstärkt: in einem „Vorwort“ spricht Käpt’n Blaubär den Leser direkt an. Diese

Leser-Anrede kann einerseits natürlich als eine literarische Technik gelten, um den

Leser in die Erzählung zu ziehen, also quasi als Introduktion für die phantastischen

Ereignisse, die noch folgen werden. Das Vorwort wäre dann eher eine Übersicht der

phantastischen Regeln und Vereinbarungen, an die der ‚Modell-Leser‘ („der in der Lage

ist, an der Aktualisierung des Textes so mitzuwirken, wie es sich der Autor gedacht hat,

und sich in seiner Interpretation fortzubewegen, wie jener seiner Züge bei der

Hervorbringung des Werkes gesetzt hat“ 123

), sich zu halten hat, um sich ganz und gar in

den Text einleben zu können. Andererseits kann man hier aber auch von einem

Einrahmen der Erzählung im Sinne der „Übersetzerfiktion“ ausgehen, worauf ich im

folgenden Kapitel etwas mehr eingehen werde.

Beim nächsten Moers-Roman, Ensel und Krete. Ein Märchen aus Zamonien, wird

die Autorschaft noch rätselhafter. Auf Seite 3, dem Titelblatt, finden wir nämlich

folgendes:

Ensel und Krete. Ein Märchen aus Zamonien von Hildegunst von Mythenmetz.

Aus dem Zamonischen übertragen, illustriert und mit einer halben Biographie des

121

Bergeron, Carlos : Le Titre Comme Unité Rhétorique de la Narration. Université de Québec: Mai 1993

Verfügbar : http://constellation.uqac.ca/1358/1/1480909.pdf (besucht 03.05.2012) 122

Käpt’n Blaubär, S.3 123

Eco, Umberto: Lector in fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten. 3. Auflage.

München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1998, S.67

Page 33: 1. Einleitung · 2012. 12. 5. · 1 1. Einleitung Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als

33

Dichters versehen von Walter Moers. Mit Erläuterungen aus dem Lexikon der

erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und

Umgebung von Professor Dr. Abdul Nachtigaller.

Der Erzähltext scheint auf den ersten Blick also nicht von Moers selber, sondern von

einem Hildegunst von Mythenmetz124

zu sein. Außerdem ist das Buch mit einer

Abbildung125

und einer „halben Biographie des Dichters“ versehen. In E&K wird Moers

also lediglich als Übersetzer genannt. Auch hier handelt es sich demnach um eine

‚Übersetzerfiktion‘, die bereits in den Paratexten etabliert wird.

In Moers‘ chronologisch dritten Buch Wilde Reise durch die Nacht, fungiert er

selbst wieder als Autor der Erzählung. Wie ich an einer vorherigen Stelle bereits

festgestellt habe, gehört dieses Buch jedoch ‚geographisch‘ gesehen nicht zu den

restlichen Romanen. Der Kontinent Zamonien spielt in WR also keine Rolle. Es scheint

vor allem um die phantastischen Erfahrungen von Gustave Doré auf uns bekannten

Kontinenten, in uns bekannten Gefilden, in Kombination mit phantastischen Elementen

zu gehen. Hier haben wir es demnach mit einer fiktionalen Erzählung aus der

Moersschen Feder zu tun.

An dieser Stelle würde ich mittels einer kurzen Abschweifung auch gerne auf die

starke Intertextualität in WR verweisen, die in Martin Altgelds Intertextualität und

Intermedialität in Walter Moers‘ »Wilde Reise durch die Nacht« und »Die Stadt der

Träumenden Bücher« ausführlicher besprochen wird. Altgeld zufolge legt Moers in

diesem Roman nämlich den „Schwerpunkt deutlich auf die sogenannte hohe Literatur

[…]. Analog zu den in die „Wilde Reise“ integrierten Illustrationen Dorés macht Moers

deren ursprünglich angestammten Quelltexten auch zu den hauptsächlichen Prätexten

des Werkes.“126

Moers scheint sich in WR also nicht nur einem der bekanntesten

Illustratoren des 19. Jahrhunderts, Gustave Doré, zugewandt zu haben. Er integriert

auch „in regem Maße Bestandteile jener hochkarätigen Werke der Weltliteratur […], die

die für „Wilde Reise durch die Nacht“ verwendeten Doré-Zeichnungen ursprünglich

illustrierten.“127

Als Prätexte nennt Altgeld u.a. S.T. Coleridges „The Rime of the

Ancient Mariner“, Dante Alighieris La Comedia, Edgar Allen Poes „The Raven“ und

124

Siehe „Hildegunst von Mythenmetz als Autor & Figur“ 125

E&K, S.5 126

Altgeld, Martin: Intertextualität und Intermedialität, S.14 127

Altgeld, Martin: Intertextualität und Intermedialität, S.15

Page 34: 1. Einleitung · 2012. 12. 5. · 1 1. Einleitung Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als

34

Cervantes‘ El ingenioso hidalgo don Quixote de la Mancha128

. Vor allem auf diese

letzte Werk wird sogar inhaltlich verwiesen. So enthält der Name des Pferdes Pancho

Sansa einen direkten Verweis auf Sancho Panza, ‘Don Quichotes’ rechte Hand. Zu

Ende der Erzählung werden einige Prätexte sogar wortwörtlich erwähnt: „[Gustave]

suchte mit den nackten Füßen nach seinen Pantoffeln und trat dabei auf seine

Gutenachtlektüre, die rund ums Bett verstreut lag: Cervantes‘ Don Quichote, ein Band

Ariost, Dantes Inferno und andere Bücher zusammen mit Schulheften […].“129

An

dieser Stelle kann man sich auch Fragen stellen bezüglich der Funktion dieser

Integration vereinzelter Werke der ‚höheren‘ Literatur. Diese Frage werde ich in meiner

Magisterarbeit jedoch nicht behandeln. Sie soll an dieser Stelle als Ausblick für

zukünftige Studien gelten.

Der nächste Zamonien-Roman ist Rumo & Die Wunder im Dunkeln. Hier

behauptet sich Moers wiederum als Autor. Hildegunst von Mythenmetz selbst, wird im

Erzähltext allerdings auch erwähnt: „[Aksel von den Quellen sagte, die Prinz-Kaltbluth-

Romane seien] das Spannendste, Abenteuerlichste und Genialste, was jemals in

zamonischer Literatur geschrieben worden war, dagegen könnte man das Gesamtwerk

von Hildegunst von Mythenmetz getrost »in der Pfanne braten«.“130

Auch in Käpt’n

Blaubär ist übrigens, wenn auch relativ selten, schon die Rede von Hildegunst. So wird

er im Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen und Phänomene

Zamoniens und Umgebung erwähnt: „»Finsterbergmade, die« (Gedicht):

achtundsiebzigstrophiges Gedicht des Dichters Hildegunst von Mythenmetz, gilt als

Höhepunkt der zamonischen Rarlebewesen-Dichtung.“131

Hier wird Hildegunst also

bereits als talentierter und in Zamonien sehr bekannter Autor introduziert. Käpt’n

Blaubär gibt uns jedoch noch weitere Informationen bezüglich Hildegunst von

Mythenmetz:

Im Kolodrom, einem Riesentheater mit 34 Bühnen, gab es eine

Marathonaufführung von „Der Baßrüttler des Voltigorken“, einem

experimentellen Bühnenstück von Hildegunst von Mythenmetz; ein Stück, das

240 Stunden dauerte und ein Ensemble von über 3000 Schauspielern

beschäftigte.132

128

Vgl. Altgeld, Martin: Intertextualität und Intermedialität, S.16-48 129

WR, S.212 130

Rumo, S.241 131

Käpt’n Blaubär, S.192 132

Käpt’n Blaubär, S.508

Page 35: 1. Einleitung · 2012. 12. 5. · 1 1. Einleitung Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als

35

Hildegunst scheint nicht nur ein zamonischer Dichter, sondern auch Prosa-Autor von

mindestens einem (größenwahnsinnigen) Bühnenstück zu sein. In Käpt’n Blaubär wird

die Figur von Mythenmetz offensichtlich bereits aufgebaut und dem Leser vermittelt,

sodass dieser dessen Namen in E&K zu Anfang eventuell schon erkennt und akzeptiert.

Der gute Eindruck, den uns Käpt’n Blaubär bis jetzt von Hildegunst gegeben hat, wird

in einem weiteren Zitat wieder zerstört.

Eine weitere wichtige Trainingsmethode ist das Lesen großer, mittlerer und

kleiner Literatur. Schriftsteller sind, abgesehen von Politikern, die besten

Lügner, von ihnen kann man am meisten lernen [Hervorhebung von K.B.].

[…] Ich las das Gesamtwerk von Hildegunst von Mythenmetz in zweihundert

Bänden, sämtliche Romane, Novellen, Kurzgeschichten, Bühnenstücke, Notizen,

Briefe, Reden und experimentelle Lautgedichte, die er jemals geschrieben hatte,

einschließlich seiner zwölfbändigen Autobiographie.133

Käpt’n Blaubär bezichtigt die Schriftsteller des Lügens. Bereits hier, und also schon

bevor Hildegunst uns überhaupt als Autor eines für uns bestimmten Romans, wie

DSdTB, DS oder DLdTB, vorgestellt wird, gibt es eine deutliche Verbindung zwischen

Hildegunst und seiner Glaubwürdigkeit als Autor. Gleichzeitig könnte man diese

Aussage, dass Schriftsteller ‚die besten Lügner‘ sind, jedoch auch mit Moers und

Käpt’n Blaubär selbst verknüpfen. Das Bild der Autorschaft unterliegt also im ersten

Buch bereits heftigen Spekulationen und Fragen nach der Glaubwürdigkeit. Auf Seite

544 in Käpt’n Blaubär wird später zusätzlich noch erwähnt: „[…] Hildegunst von

Mythenmetz […] war Balsam für die Nerven.“, was zwar nicht unbedingt unsere Frage

nach der Glaubwürdigkeit dieser Figur Hildegunst von Mythenmetz beantwortet, jedoch

sicherlich zur Einschätzung der ‚Popularität‘ und des sozialen Standings dieses

zamonischen Schriftstellers beiträgt. In Zamonien gilt Hildegunst von Mythenmetz als

Nationalautor, als der zamonische Goethe.

Nach diesem kurzen Exkurs bezüglich der Figur ‚Hildegunst von Mythenmetz‘ in

Käpt’n Blaubär und Rumo, wende ich mich nun wieder der Autor-Instanz in den

anderen Werken zu. Die Stadt der Träumenden Bücher ist das folgende Buch in der

Moers-Reihe. Das Titelblatt berichtet folgendes: „Die Stadt der Träumenden Bücher.

Ein Roman aus Zamonien von Hildegunst von Mythenmetz. Aus dem Zamonischen

übertragen und illustriert von Walter Moers.“134

Auch hier ist Hildegunst von

133

Käpt’n Blaubär, S.534 134

DSdTB, S.3

Page 36: 1. Einleitung · 2012. 12. 5. · 1 1. Einleitung Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als

36

Mythenmetz der mutmaßliche geistige Schöpfer der Erzählung. Moers erscheint als

Illustrator und Übersetzer. In vereinzelten Fußnoten äußert er sich mittels A.d.Ü.,

„Anmerkung des Übersetzers“, auch persönlich, jedoch immer nur in seiner Rolle als

Übersetzer. Inhaltlich können DSdTB und auch der spätere Roman DLdTB übrigens als

Bildungs- und Entwicklungsromane gesehen werden, die die Geschehnisse im Leben

von Hildegunst nachvollziehen. Darauf werde ich jedoch im Kapitel „Die Stadt der

Träumenden Bücher & Das Labyrinth der Träumenden Bücher als Bildungs- und

Entwicklungsromane“ mehr eingehen.

In Der Schrecksenmeister, dem nächsten Roman, wird die Autorschaft noch

komplizierter: „Der Schrecksenmeister. Ein kulinarisches Märchen aus Zamonien von

Gofid Letterkerl. Neu erzählt von Hildegunst von Mythenmetz. Aus dem Zamonischen

übersetzt und illustriert von Walter Moers.“ 135

Moers‘ Position bezüglich der

Erzählung hat sich, verglichen mit DSdTB, nun in der Hinsicht verändert, dass er noch

weiter von der geistigen Schöpfung seines Textes entfernt zu sein scheint.

Ursprünglicher Schöpfer ist hier scheinbar Gofid Letterkerl136

. Hildegunst hat

Letterkerls Märchen nur neu erzählt und es in einen Roman transformiert. Moers ist

abermals Übersetzer und Illustrator, und, wie sich später herausstellen soll, auch

‚Bearbeiter‘ der Moers-Bearbeitung. Wir haben es also mit einer „zweifache[n]

Vermittlung der ursprünglichen Geschichte“137

zu tun.

Das Labyrinth der Träumenden Bücher, das neueste Buch in der Zamonien-Reihe

ist eine Fortsetzung von DSdTB, und demnach logischerweise abermals eine Kreation

von Hildegunst von Mythenmetz: „Das Labyrinth der Träumenden Bücher. Ein Roman

aus Zamonien von Hildegunst von Mythenmetz. Aus dem Zamonischen übertragen und

illustriert von Walter Moers.“138

Die Autorschaft der Moers-Romane im Allgemeinen, und der Zamonien-Romane

im Besonderen, scheint also ein komplizierter Aspekt zu sein. Eine Sache, die wir mit

Sicherheit behaupten können, ist, dass Moers sehr bewusst mit den Konzepten ‚Autor‘

und ‚geistiges Eigentum‘ umgeht. Er erzwingt auf diese Weise eigentlich fast schon,

135

DS, S.3 136

Gofid Letterkerl ist ein Anagramm von Gottfried Keller. 137

Irsigler, Ingo: „»Ein Meister des Versteckspiels«. Schriftstellerische Inszenierung bei Walter Moers“

In: Lembke, Gerrit (Hg.): Walter Moers‘ Zamonien-Romane. Vermessung eines fiktionalen Kontinents.

Göttingen: V&R Unipress 2011, S.62 138

DLdTB, S.3

Page 37: 1. Einleitung · 2012. 12. 5. · 1 1. Einleitung Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als

37

dass der Modell-Leser die Autor-Instanz und –Identität in Frage stellt. Wir können hier

auch sicherlich von einem metafiktionalen Zug sprechen. Waugh meint nämlich, dass:

[b]y breaking the conventions that separate authors from implied authors from

narrators from implied readers from readers, the novel reminds us [...] that

‘authors’ do not simply ‘invent’ novels. ‘Authors’ work through linguistic, artistic

and cultural conventions. They are themselves ‘invented’ by readers who are

‘authors’ working through linguistic, artistic and cultural conventions, and so

on.139

Moers bricht in vielen seiner Romane deutlich die ‚Regeln‘ bezüglich der Autorschaft.

Er lässt Hildegunst von Mythenmetz oder Blaubär seinen Platz einnehmen und nimmt

dadurch selber immer mehr Abstand von seinem geistigen Eigentum. Auf diese Weise

merkt der aufmerksame Leser, dass eine Erzählung nicht nur eine ‚phantastische

Erfindung‘ ist, sondern, dass der ‚Autor‘ sich bestimmter Konventionen bedient, um

einen Text zustande zu bringen, dass der Text also konstruiert ist. Auch inhaltlich wird

dieses ‚selbst-bewusste‘ Umgehen mit Text und Autorschaft deutlich gemacht. So lesen

wir z.B. in WR: „Der Tod fächerte seine Knochenfinger über sein bloßes Gebiß. »Ach

du meine Güte, jetzt habe ich eines der großen Geheimnisse des Universums verraten!

Na, macht nichts – du wirst ja wohl kein Buch mehr darüber schreiben, wie?«“140

Diese

Aussprache lesen wir natürlich gerade in einem Buch, dass offensichtlich auch

geschrieben wurde. An dieser Stelle wird der Leser sich sicherlich von der linguistic

condition des Textes bewusst. Ein anderes Beispiel für die ‚selbst-bewusste‘

Autorschaft wäre außerdem Hildegunst selbst. In ihm sehen wir einen Schriftsteller, der

seine Texte deutlich anhand literarischer Konventionen komponiert. So lässt er E&K

zwar schon auf Seite 200 negativ enden. Wenn man aber weiter blättert, liest man

folgende Mythenmetzsche Abschweifung:

He, Sie lesen ja immer noch! Was wollen Sie denn von mir? Was soll ich

machen? Etwa mit dem größten Tabu der zamonischen Literaturgeschichte

brechen? Nur in den Groschenromanen der Prinzen Kaltbluth triumphiert am

Ende das Gute über das Böse, aber diese Schwarten zählen ja auch nicht zur

akademisch anerkannten zamonischen Dichtkunst.141

Außer dass Mythenmetz es durch seine Abschweifungen und seinen direkten Eingriff in

den Erzählfluss peinlich deutlich macht, dass es sich um ein linguistisches Konstrukt

139

Waugh: Metafiction, S.134 140

WR, S.19 141

E&K, S.202

Page 38: 1. Einleitung · 2012. 12. 5. · 1 1. Einleitung Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als

38

handelt, bemerkt er in dem Zitat selbst sogar noch, dass er sich mit diesem negativen

Ende an bestimmte zamonische literarische Konventionen hält, die vorgeben, dass ein

zamonisches Märchen schlecht zu enden hat. Hier wird der Leser also damit

konfrontiert, dass Schriftsteller, abhängig von Genre und Zeitgeist, sich bestimmter

literarischer ‚Schablonen‘ bedienen. Abermals sehen wir hierin de Konstrukt-Charakter

den Moers auf diese Weise eigentlich sogar parodiert142

und kritisiert. Mythenmetz

meint nämlich in derselben Abschweifung:

Mal gesetzt den Fall, ich würde der Geschichte einen glücklichen Ausgang geben

– würde deswegen gleich das heilige Haus der zamonischen Literaturgeschichte

einstürzen. Würde sich mein Arbeitszimmer mit Magensäften füllen? […] Es

wäre, das ist sicher, eine unerhörte, eine revolutionäre Tat, neben der sogar die

Mythenmetzsche Abschweifung verblassen würde. Und sie könnte mit

zahlreichen Literaturpreisen, Ehrendoktorwürden und nicht zuletzt hohen

Auflagen belohnt werden. Soll ich es wagen?143

In diesem Zitat spielt Hildegunst deutlich mit den zamonischen Literaturkonventionen

seiner Zeit. Er wird si letztendlich brechen, indem er das zamonische Märchen gut

ausgehen lässt. Man könnte fast sagen, Hildegunst würde sich bei sich selbst und seinen

Lesern für seine Wahl verantworten. Der Leser kann seinen Denkprozess bezüglich des

Romans mit verfolgen und erkennt, dass auch viele Märchen unserer Kindheit sich

meist an bestimmte vorgegebene Formen halten, was u.a. Vladimir Propp in seiner

strukturalistischen Literaturstudie Morphologie des Märchens144

schon nachgewiesen

hat. Wenn ein Schriftsteller nun von der gewohnten Form abweicht, kann ihm das

entweder Renommee oder Hohn einbringen. Auch das bringt Hildegunst/Moers in den

Abschweifungen also deutlich nach vorne.

Wenn wir nun wieder zurückgreifen auf Waughs letztes Zitat, lesen wir

außerdem, dass ‚Autoren‘ ihr zufolge selbst auch als eine ‚Erfindung‘ gesehen werden

können. Sie werden vom Leser rekonstruiert, der dafür selbst dieselben linguistischen,

artistischen und kulturellen Konventionen benutzt, wie der ‚Autor‘ während des

Entstehungsprozesses des Romans. Ingo Irsingler bemerkt zusätzlich, dass die „Texte

von Walter Moers ein ›modernes‹ Modell aus[stellen], das den Autor als »selegierende

und arrangierende editoriale Instanz« begreift, der für seine übersetzende »Tätigkeit«

142

Siehe „Die Parodie“ 143

E&K, S.204 144

Obwohl es sich in dieser Studie vorwiegend um Russische Märchen handelt, werden hierin auch die

Märchen der Gebrüder Grimm erwähnt. Vgl. Propp, Vladimir: Morphologie des Märchens. München:

Hanser Verlag 1972

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39

[…] »den Anspruch auf Autorschaft reklamiert«.“145

Er meint aber auch, dass „die

Moers-Texte […] noch eine weitere Dimension eines modernistischen Autorbildes

auf[weisen]: Gezeichnet wird ein Bild des Schriftstellers, der seinen Besitzanspruch an

das eigene Werk aufgibt, und mit dieser »Befreiung des Textes von de Fesseln der

väterlichen Autorität […] sein Recht über den Leser« verliert.“146

Irsingler zufolge

verliert Moers somit seine Ansprüche auf den Text. Meiner Meinung nach sollte Moers‘

Position bezüglich seiner Romane jedoch etwas nuanciert werden, was ich nun in den

folgenden Kapitel „Moers als Autor“, „Käpt’n Blaubär als Autor“ und „Hildegunst von

Mythenmetz als Autor & Figur“ tun werde.

3.1.3.1.Walter Moers als Autor

Wenn wir Moers‘ Spiel mitspielen, scheint er selber lediglich Rumo & Die Wunder im

Dunkeln und Wilde Reise durch die Nacht geschrieben zu haben. Die Frage nach der

Autorschaft von Käpt’n Blaubär werde ich im nächsten Kapitel beantworten. Bei den

anderen Romanen haben wir es mit einer literarischen Technik zu tun, die ich hier

‚Übersetzerfiktion‘ nennen möchte. Meiner Meinung nach handelt es sich streng

genommen nicht um eine ‚Herausgeberfiktion‘. Uwe Wirth zufolge geht es bei der

Herausgeberfiktion nämlich um folgendes:

Der Herausgeber gibt den von ihm gefundenen, gesammelten und gerahmten

Schriftstücken seinen Namen und wird durch diesen editorialen Akt zu einem

Quasi-Autor. Der Herausgeber als Autor hat also die Funktion, Geschriebenes zu

adoptieren und unter seinem Namen zu publizieren.147

Außerdem meint Wirth, „daß der Herausgeberrahmen dazu dient, Texte zu adoptieren,

die zwar einen Schreiber haben, aber keinen Autor. Dergestalt wird durch den

Herausgeberdiskurs eine sekundäre Autorschaft etabliert.“148

Bei Moers handelt es sich

jedoch gerade um das Gegenteil: er selbst nimmt Abstand von seinem geistigen

Eigentum und schreibt den kreativen Ursprung der Erzählungen jemandem anders zu.

145

Wirth, Uwe: Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion. Editoriale Rahmung im

Roman um 1800: Wieland, Goethe, Brentano, Jean Paul und E.T.A. Hoffmann. München 2008, S.428.

Zitiert in: Irsingler, Ingo: „»Ein Meister des Versteckspiels«. Schriftstellerische Inszenierung bei Walter

Moers“ In: Lembke, Gerrit (Hg.): Walter Moers‘ Zamonien-Romane. Vermessung eines fiktionalen

Kontinents. Göttingen: V&R Unipress 2011, S.67 146

Ebd. 147

Wirth, Uwe: Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion. Editoriale Rahmung im

Roman um 1800: Wieland, Goethe, Brentano, Jean Paul und E.T.A. Hoffmann. München: Wilhelm Fink

Verlag 2008, S.43 148

Wirth, Uwe: Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion. S.43-44

Page 40: 1. Einleitung · 2012. 12. 5. · 1 1. Einleitung Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als

40

Es wäre also eine quasi-Adoption in umgekehrtem Sinne: Hildegunst von Mythenmetz

adoptiert Moers‘ Texte, wobei keiner der Texte als ‚verwaist‘ gelten kann, wie es in der

Herausgeberfiktion der Fall ist. In dem Vor- und/oder Nachwort von Käpt’n Blaubär,

DSdTB, DLdTB, E&K und DS treffen wir zudem nicht auf einen „fingierten

Herausgeber“149

, sondern auf einen fiktiven Autor. Der Authentifizierungsanspruch geht

hier demnach nicht von einem fiktiven Herausgeber, sondern von einem fiktiven

Übersetzer aus, nämlich Walter Moers. Dieser ‚garantiert‘, mittels seiner Übersetzung,

den Wahrheitsgehalt der ursprünglichen Erzählung.150

In diesem Sinne könnten die

paratextuellen Elemente in DSdTB, wie z.B. das Titelblatt, übrigens bereits als Ansatz

eines ‚Fiktionspakts‘ gelten, da Moers schon an dieser Stelle als Übersetzer und

Hildegunst als Autor etabliert werden.

Dadurch, dass Moers sich selbst zum Übersetzer ausruft, nimmt er intellektuellen

Abstand von seinen eigenen Werken. Er tritt in diesen Texten buchstäblich am Rande

der Erzählung auf, nämlich in den Fußnoten. So erläutert er in Der Schrecksenmeister

z.B. lediglich die Bedeutung eines Wortes: „Krötenspinne, die: sehr unangenehme

zamonische Arachnoidensorte151

, die genauso aussieht, wie sie heißt. A.d.Ü.“152

Er

übernimmt in diesem Zitat die Funktion des Lexikons, wird zum Erklärer und

‚Fachsimpler‘. Auch in DLdTB schlüpft er in die Rolle des Übersetzers:

„Holzzeit, die: Altes Buchhaimer Brauchtum, bei dem zu vorgerückter

Abendstunde Holz an die Kamine gelegt und aus Büchern vorgelesen wurde.

Wurde zeitweilig von Bücherhandlungen zur Promotion von Büchern genutzt,

siehe Die Stadt der Träumenden Bücher, S.109 ff., A.d.Ü.“153

Moers ist in diesem Falle also nicht nur Erklärer. Er verknüpft in seiner ‚Anmerkung

des Übersetzers‘ sogar den aktuellen Text mit einem der Vorherigen. So entstehen

Verbindungen zwischen den Zamonien-Romanen, obwohl „alle [s]eine Bücher […] so

angelegt [sind], dass man sie [auch] unabhängig voneinander lesen kann.“154

Das

Statement im Buch, er sei nur Übersetzer, geht Moers aber anscheinend nicht weit

149

Lahn, Silke & Meister, Jan Christoph: Einführung in die Erzähltextanalyse. Stuttgart, Weimar: Verlag

J.B. Metzler 2008, S.88 150

Vgl. Lahn & Meister: Einführung in die Erzähltextanalyse, S.88 151

Hier treffen wir abermals auf lexical exhibitionism. Arachnoid bezieht sich auf Arachnid: Spinnentiere.

Siehe auch: http://www.americanarachnology.org/gallery_entrance.html (besucht 06.04.2012) 152

DS, S.26 153

DLdTB, S.293 154

Flor, Henrik (Literaturtest), Blank, Gisela (buecher.de): „Walter Moers im buecher.de-Interview“

Verfügbar: http://www.buecher.de/fr/autoren/interview/walter_moers/index.html

Page 41: 1. Einleitung · 2012. 12. 5. · 1 1. Einleitung Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als

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genug. Er treibt das Konzept der Übersetzerfiktion bis an die Spitze, wenn er in

Interviews meint, er habe in Der Schrecksenmeister im Vergleich zum

Mythenmetzschen Original „[s]chlicht 700 Seiten Mythenmetzsche Abschweifungen

[weggelassen] […] [und es sei] dadurch ein erheblich besseres Buch geworden. In der

Originalfassung [sei] es eigentlich unlesbar.“155

Sogar in seinen Interviews, die er

übrigens nur per Mail gibt, lässt er die Übersetzerfiktion also gelten. Seine Aussagen

zeigen jedoch auch, dass er letztendlich doch nicht nur übersetzt, sondern, wie

Hildegunst es auch bei Letterkerls ursprünglicher Novelle getan hat, selbst in den Text

eingegriffen hat. So verkündet Hildegunst im Nachwort von DS:

„Ich habe mir erlaubt, Echo, das Krätzchen in ein etwas zeitgemäßeres

Neuzamonisch zu übertragen, um die Novelle wieder ins kollektive Bewusstsein

zu rufen und ihr hoffentlich zu frischer Popularität zu verhelfen. […] Ich habe mir

außerdem erlaubt, das Märchen geringfügig zu bearbeiten und mit einem neuen

Titel zu versehen.“156

Mythenmetz ist in diesem Szenario selbst auch ‚Übersetzer‘. Dadurch, dass er den

ursprünglichen Letterkerl-Text jedoch auch bearbeitet, ist „[d]er Schriftsteller als

Übersetzer […] in diesem Selbstverständnis Handwerker und kreativer Schöpfer

zugleich.“157

Hildegunst tut dies, weil er „die Novelle wieder ins kollektive Bewusstsein

[…] rufen und ihr hoffentlich zu frischer Popularität […] verhelfen“158

will. Moers

macht, ihm selbst zufolge, fast dasselbe. Dadurch, dass er die Mythenmetz-Bearbeitung

selbst bearbeitet und z.B. um 700 Seiten kürzt, „muss[…] [er] also, um den Klassiker in

eine moderne Form zu überführen, kreativ tätig werden.“159

Er macht sich demnach, wie

Mythenmetz, zum „Handwerker und kreativem Schöpfer“. Irsingler weist an dieser

Stelle außerdem auch auf die tatsächliche intertextuelle Verbindung zwischen Der

Schrecksenmeister und Gottfried Keller160

hin.

Das im Paratext erklärte Ziel, dem Klassiker Letterkerl zu einer Renaissance zu

verhelfen, lässt sich demnach auf Gottfried Keller übertragen. Und tatsächlich

155

Flor & Blank: „Walter Moers im buecher.de-Interview“ 156

DS, S.380 157

Irsingler, Ingo: „»Ein Meister des Versteckspiels«. Schriftstellerische Inszenierung bei Walter Moers“

In: Lembke, Gerrit (Hg.): Walter Moers‘ Zamonien-Romane. Vermessung eines fiktionalen Kontinents.

Göttingen: V&R Unipress 2011, S.64 158

DS, S.380 159

Irsingler, Ingo: „»Ein Meister des Versteckspiels«. Schriftstellerische Inszenierung bei Walter Moers“

In: Lembke, Gerrit (Hg.): Walter Moers‘ Zamonien-Romane. Vermessung eines fiktionalen Kontinents.

Göttingen: V&R Unipress 2011, S.64 160

‚Gofid Letterkerl‘, der Name des Autors der ursprünglichen Novelle, ist ein Anagramm für Gottfried

Keller.

Page 42: 1. Einleitung · 2012. 12. 5. · 1 1. Einleitung Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als

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bestätigt sich dieser rezeptionslenkende Hinweis im Akt der Lektüre, erweist sich

Der Schrecksenmeister dem Leser als Palimpsest von Gottfried Kellers Spiegel,

das Kätzchen (1856).161

Moers nimmt doppelten Abstand von seinem literarischen Gut, indem er als Übersetzer

der Übersetzung von der ursprünglichen Novelle von Gofid Letterkerl fungiert. Er ist

gleichzeitig jedoch involviert, da es sich auch um eine ‚Bearbeitung einer Bearbeitung‘

handelt. Außerdem verbindet die Intertextualität mit Gottfried Keller Moers zusätzlich

mit Der Schrecksenmeister. Im Falle von DS können wir also nicht nur davon reden,

dass Moers sich schöpferisch und kreativ trennt von seinem geistigen Gut, sondern dass

es sich gleichzeitig auch um einen Annäherungsversuch aus dem Hintergrund handelt.

Wenn wir diese Beobachtungen bezüglich des ‚wirklichen‘ und ‚fiktionalen‘

Autors in Moers‘ Werken nun verknüpfen mit der Literaturwissenschaft, gibt es

zunächst deutliche Parallelen mit u.a. Roland Barthes. Wir merken, wie bereits gesagt,

dass Moers sich als Autor teilweise selbst verleugnet und auf sein geistiges Eigentum

verzichtet, eine Auffassung, die sich leicht mit dem berühmten „Tod des Autors“

verknüpfen lässt. In Texte zur Theorie der Autorschaft finden wir dazu folgendes:

Einerseits sind für Barthes literarische Texte immer und notwendig autorlos – das

Literarische wird geradezu mit der Loslösung von seinem Urheber identifiziert.

Andererseits erscheint die Neuzeit als eine Epoche, in welcher der Autor zum

unvermeidlichen Bezugspunkt im Umgang mit literarischen Texten wurde, und

unsere Gegenwart als Schwellenperiode, in welcher der ältere, autorlose Text

zurückkehrt.162

Moers macht buchstäblich das, was Barthes theoretisch darlegt: er löst sich von seinem

Text, wird mutmaßlicher Übersetzer und eliminiert so (fast) alle Beziehungen mit

seinem geistigen Eigentum. Der Text wäre in dieser Hinsicht also tatsächlich „autorlos“

zu nennen. Im selben Zitat lesen wir auch, dass der ältere, autorlose Text in unsere

Gegenwart zurückkehrt, also Teil unserer Gegenwarts-Literatur ist bzw. wird. Die

Zamonien-Romane können als ein Beispiel davon gelten. Waughs Metafiktion schließt

sich hinsichtlich des Autors übrigens auch an Barthes‘ Auffassung an:

Metafictional novels [...] thus reject the traditional figure of the author as a

transcendental imagination fabricating, through an ultimately monologic

161

Irsingler, Ingo: „»Ein Meister des Versteckspiels«. Schriftstellerische Inszenierung bei Walter Moers“

In: Lembke, Gerrit (Hg.): Walter Moers‘ Zamonien-Romane. Vermessung eines fiktionalen Kontinents.

Göttingen: V&R Unipress 2011, S.64-65 162

Jannidis, Fotis et al. (Hrsg.): „Einleitung. Roland Barthes: Der Tod des Autors“ In: Texte zur Theorie

der Autorschaft. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. 2000, S.182

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discourse, structures of order which will replace the forgotten material text of the

world. They show not only that the ‘author’ is a concept produced through

previous and existing literary and social texts but that what is generally taken to

be ‘reality’ is also constructed and mediated in similar fashion. ‘Reality’ is to this

extent ‘fictional’ and can be understood through an appropriate ‘reading’

process.163

Metafiktionale Romane scheinen sich demnach auch von dem romantischen Bild des

allwissenden und alles-kontrollierenden Autors loszusagen. Den Autor als Genie, wie

wir ihn in der „Sturm-und-Drang“-Epoche finden, gibt es für Waugh in der Metafiktion

als solchen also nicht. “[Authors] are themselves ‘invented’ by readers who are

‘authors’ working through linguistic, artistic and cultural conventions, and so on.”164

Das Moerssche ‚Sich-selbst-außer-Acht-lassen‘ kann demnach als metafiktionale

Komponente gedeutet werden. Durch die ‚Abwesenheit‘ des Autors wird der Leser

sozusagen auf die abweichende Autorschaft aufmerksam gemacht. Das schließt sich bei

Barthes‘ „Tod des Autors“ an, der den Autor „zum kompilatorischen ‚Schreiber‘

[scripteur] vorgegebenen Sprachmaterials reduziert […].“165

Dadurch, dass Moers sich

bewusst aus der Öffentlichkeit fernhält, kann man übrigens auch keine biographischen

Parallelen zwischen Autor und Werk konstatieren. Moers meint zwar, er könne sich

„mit der Rolle des Lindwurms am besten identifizieren“166

, Fakt ist aber, dass es noch

nicht mal Fotos von dem heutigen Walter Moers gibt, geschweige denn eine

Autobiographie. Er hat sich, bezüglich DSdTB, DLdTB, DS und E&K und sogar

bezüglich der Öffentlichkeit auktorial scheinbar selber ausradiert. Barthes meint dazu:

„Als Nachfolger des Autors birgt der Schreiber keine Passionen, Stimmungen, Gefühle

oder Eindrücke mehr in sich, sondern dieses riesige Wörterbuch, dem er eine Schrift

entnimmt, die keinen Aufenthalt kennt.“ 167

Auf diese Weise löst sich der Text vom

Autor bzw. löst der Autor sich vom Text und kann es so zu unabhängigen und immer

neuen Interpretationen kommen. Barthes zufolge „wird [ein Text] eingedämmt, mit

einer endgültigen Bedeutung versehen, wird die Schrift angehalten“168

, „sobald ein Text

163

Waugh: Metafiction, S.16 164

Waugh: Metafiction, S.134 165

Jannidis, Fotis et al. (Hrsg.): „Einleitung. Roland Barthes: Der Tod des Autors“ In: Texte zur Theorie

der Autorschaft. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. 2000, S.181 166

Philipp, Claus: „Interview mit einem Unsichtbaren: Walter Moers“ 167

Barthes, Roland: „Der Tod des Autors“ In: Jannidis, Fotis et al. (Hrsg.): Texte zur Theorie der

Autorschaft. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. 2000, S.190-191 168

Barthes: „Der Tod des Autors“, S.191

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einen Autor zugewiesen bekommt“169

. Daher verbindet Barthes die „Herrschaft des

Autors“ auch mit der „Herrschaft des Kritikers“170

: „[i]st erst der Autor gefunden, dann

ist auch der Text ‚erklärt‘, und der Kritiker hat gewonnen.“171

Ähnlich wie bei Barthes,

finden wir auch bei Moers eine gewisse Aversion gegen Kritiker. So sagt er in seinem

Interview mit der FAZ, er habe vom „deutschen Literaturbetrieb […] schon wenig

gehalten, als [er] noch reiner Konsument war, von einer Kritikerkultur, wie wir sie

haben, noch weniger. Nur bei uns [in Deutschland] ist es möglich, daß gewisse Kritiker

über eine höhere Popularität verfügen als die meisten Schriftsteller.“172

Diese

Abneigung projiziert Moers auch auf seine fiktionalen Autoren. So bemerkt Hildegunst

von Mythenmetz in einer seiner Mythenmetzschen Abschweifungen: „Wollen Sie gar

nichts lernen, bleiben Sie eben dämlich oder werden Literaturkritiker.“173

Und einige

Seiten weiter beschreibt Hildegunst Kritiker sogar folgenderweise:

Sie sind meist gescheiterte Schriftsteller, die einen mißglückten Roman oder

stapelweise abgelehnte Gedichte in der Schublade liegen haben und sich dafür an

ihren erfolgreichen Kollegen rächen wollen. Verbitterte, griesgrämige Gesellen,

die keine Mahlzeit genießen können, weil sie dabei ständig nach dem Haar in der

Suppe suchen. Schleimfressende, nach Stinktierchensekret riechende

Kanalisationsbewohner. Ja, Laptantidel Latuda – Dich meine ich!174

Moers macht außerdem Barthes‘ Punkt, bezüglich der Dynamik Autor-Kritiker, sehr

deutlich. In folgendem Zitat aus DSdTB irrt der junge Hildegunst durch Buchhaim und

trifft in der Giftigen Gasse auf denselben Laptantidel Latuda, der sein Erzfeind werden

wird. Nach dieser „schicksalhaften Begegnung […] [wird dieser] ihn nämlich mit

vernichtenden Kritiken hartnäckig [verfolgen], sowie Mythenmetz [anfängt], zu

veröffentlichen.“175

Laptantidel Latuda verurteilt Mythenmetz‘ Werke ab diesem Punkt

genauso wie er Mythenmetz selbst verurteilt. Latuda äußert sich folgenderweise:

„Mythenmetz, hm, […] Noch nichts veröffentlicht, hm, das würde ich sonst wissen.

Habe einen wachen Blick auf die Zamonische Gegenwartsliteratur. Aber da du von der

Lindwurmfeste stammst, wird das schon noch kommen. Ihr verdammten Echsen könnt

169

Barthes: „Der Tod des Autors“, S.191 170

Barthes: „Der Tod des Autors“, S.191 171

Barthes: „Der Tod des Autors“, S.191 172

Weidermann, Folker: „Walter Moers: „Im Jenseits werde ich streng bestraft““. FAZ Nr.16 2003, S.22 173

E&K, S.88 174

E&K, S.89-90 175

DSdTB, S.89 (Fußnote)

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doch alle die Tinte nicht halten.“176

Und während Mythenmetz sich entfernt ruft Latuda

ihm noch hinterher: „Laptantidel Latuda! […] Du brauchst dir meinen Namen nicht

aufzuschreiben. Du wirst auch so noch von mir hören.“177

Latuda wird Mythenmetz‘

Werke also mit Mythenmetz selbst identifizieren, der Autor ist gefunden und somit hat

der Kritiker gewonnen.

Zwischenzeitlich zusammenfassend zu Moers bemerken wir, dass er auf der einen

Seite als Autor fiktionaler Erzählungen auftritt, wie in WR und Rumo, andererseits seine

direkte schöpferische Verbundenheit zu den Texten leugnet. Gleichzeitig behält er

jedoch trotzdem einen gewissen Einfluss auf die Erzählungen durch sein Statut als

‚Übersetzer/Bearbeiter‘, wie in Der Schrecksenmeister, DSdTB und DLdTB178

. In

DSdTB bemerkt er im ‚Nachwort des Übersetzers‘:

Nachdem ich mit Ensel und Krete zum ersten Mal ein Buch des zamonischen

Schriftstellers Hildegunst von Mythenmetz ins Deutsche übertragen hatte, wurde

ich immer wieder gefragt, welches seiner Werke ich als nächstes übersetzen

würde. […] Schließlich habe ich mich für ein chronologisches Vorgehen

entschieden. Reiseerinnerungen eines sentimentalen Dinosauriers179

, war das

erste Buch von Mythenmetz, das in Zamonien in gedruckter Form erschien, aber

es umfaßt in der Erstausgabe über zehntausend Seiten, verteilt auf 25 Bände […].

Daher entschloß ich mich, die beiden ersten Kapitel aus diesem Buch zu nehmen

und sie unter dem Titel Die Stadt der Träumenden Bücher zusammenzufassen. Ich

hoffe man wird mir diese editorische Freizügigkeit verzeihen […].180

Hier übernimmt er also die Verantwortung für einige Anpassungen in DSdTB, jedoch

nicht für E&K, dort bleibt er lediglich Übersetzer. Moers könnte demnach zunächst als

fleischgewordene Reinkarnation von Barthes‘ ‚totem Autor‘ gesehen werden; sein

Eingreifen in DS, und sein Auftreten in den Fußnoten und Vor- und Nachwörtern in

anderen Erzählungen, widersprechen diesem Bild jedoch. Ilana Shiloh sagt in ihrem

Artikel “Writing about Writing: the Figure of the Writer in Contemporary Fiction and

Film”: „Metafictional writing apparently demonstrates this erosion of the authorial

176

DSdTB, S.89 177

DSdTB, S.89 178

In seinem Nachwort meint er zu diesem Buch nämlich auch, er habe „massive[…] Kürzungen”

vornehmen müssen “wie fast immer bei Mythenmetz‘ oft absurd umfangreichen Prosatexten“; [DLdTB,

S.429] 179

Hier sehe ich auch eine parodistische Anspielung auf Laurence Sternes A Sentimental Journey

Through Italy and France. 180

DSdTB, S.478

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status, but in reality the opposite is the case.”181

Obwohl Moers natürlich nicht als

‚göttlicher Schöpfer‘ auftritt und letztendlich teilweise nur über die Übersetzerfiktion

auf den Leser einwirkt, bedeutet das nicht, dass er in seinen Texten nicht doch

anwesend ist. Schließlich gibt er selbst zu erkennen, er könne sich mit dem Lindwurm

Hildegunst von Mythenmetz am besten identifizieren: „Wir sind beide Schriftsteller

[…]. Wir sind beide Hypochonder und neigen zur Selbstbeobachtung, bis hin zum

Narzissmus.“182

Dieses Zitat könnte man natürlich einfach als metafiktionale

Aussprache deuten, denn schließlich handelt die Metafiktion gerade von der

Selbstbeobachtung und Hutcheon zufolge auch vom Narzissmus, womit sie in ihrem

Werk „the figurative adjective chosen here to designate this textual self-awareness“183

meint. Die Aussage Moers‘ gibt jedoch auch Grund zur Annahme, dass Hildegunst

tatsächlich zumindest ansatzweise als Moers‘ phantastisches alter ego gesehen werden

kann. Die Selbst-Reflexivität, die sich bei Hildegunst und Moers literarisch äußert, was

an sich schon als ein metafiktionales Element gedeutet werden kann, verbindet beide

Autoren, fiktiv und real, und demonstriert Moers‘ Anwesenheit im Text. Bei Waugh

lesen wir: “Very often the Real Author steps into the fictional world, crosses the

ontological divide. Instead of integrating the ‘fictional’ with the ‘real’ as in traditional

omniscient narrative, he or she splits them apart by commenting not on the content of

the story but on the act of narration itself, on the construction of the story.”184

Gerade

durch die Übersetzerfiktion demonstriert Moers demnach seine Anwesenheit. “The

more the author appears, the less he or she exists. The more the author flaunts his or her

presence in the novel, the more noticeable is his or her absence outside it.”185

Für

Hildegunst wäre dieses Zitat natürlich zutreffend, für Moers gilt das Gegenteil. Gerade

weil er innerhalb der Erzählung nicht als Autor auftritt, wird seine Existenz außerhalb

der Erzählung, als realer Autor, bestätigt.

Diese literarischen Konventionen bezüglich der Autor-Instanz könnten, außer eine

metafiktionale Komponente, natürlich auch schlicht und einfach ein Verkaufstrick sein.

181

Shiloh, Ilana: “Writing about Writing: the Figure of the Writer in Contemporary Fiction and Film”.S.4

Verfügbar:

http://clb.academia.edu/IlanaShiloh/Papers/620935/Writing_About_Writing_The_Figure_of_the_Writer_

in_Contemporary_Fiction_and_Film (besucht 11.04.2012) 182

Kulturjournal NDR: „Auf der Suche nach dem Phantom: Walter Moers“ Verfügbar:

http://www.youtube.com/watch?v=-k--zodf5SA&feature=relmfu (11.04.2012 besucht) 183

Hutcheon: Narcissistic Narrative, S.1 184

Waugh: Metafiction, S.131 185

Waugh: Metafiction, S.134

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Sie könnte aber auch durch Moers‘ Wunsch nach Anonymität hervorgerufen sein. So

sagt er in einem Interview mit Falter in 2003:

Ich mag einfach keinen Rummel und es ist mir unangenehm, wenn sich die

allgemeine Aufmerksamkeit auf mich richtet. Ich habe früh bemerkt, dass das

irgendwann mal mein Schicksal werden wird, wenn ich die Veröffentlichung von

Fotos nicht radikal unterbinde. Ich bin davon überzeugt, dass mich manch ein

Prominenter um meine Nichtprominenz beneidet. Wenn man einen Prominenten

fragt, was denn das Schönste an seiner Prominenz wäre, kommt immer wieder

dieser Mythos vom "besten Platz im Restaurant". Als ob es den gäbe!186

Durch seine Zurückgezogenheit wird er oftmals mit anderen Schriftstellern, wie

Thomas Pynchon187

, verglichen. Moers selbst sagt er fände „eher Patrick Süßkind

vorbildlich. Der [habe] gezeigt, dass eine künstlerische Existenz ohne den ganzen

öffentlichen Affenzirkus möglich [sei]. Er [Moers] [wolle] ja nicht den Dr. Mabuse

markieren sondern nur privat [s]eine Ruhe haben.“188

Seine persönliche Meinung

bezüglich der Kritiker wird abermals auf die Figur Hildegunst von Mythenmetz

projiziert. In DLdTB lesen wir, dass Hildegunst am liebsten unerkannt in Buchhaim

umhergehen möchte. Dafür hüllt er sich in einen Reisemantel mit Kapuze und probiert

inkognito zu bleiben. Auch er scheint eine gewisse Aversion gegen das falsche

Präsentieren seiner eigenen Person zu haben. In dem Geschäft eines Puppenbauers

entdeckt er eine Puppe seiner selbst, was zu einer heftigen Diskussion mit dem

Puppenbauer führt, da die Puppe Mythenmetz nach nicht repräsentativ ist. Hildegunst

lässt sich schließlich folgendermaßen aus: „Was ich wünsche? […] Ich wünsche mir

erst mal eine Erklärung für das da! Wer hat diese Mythenmetzpuppe gebaut? […] [D]as

Ausbeuten von dichterischer Popularität ist wohl erlaubt, wenn ich mir das Angebot hier

so ansehe?“189

Hier sehen wir also abermals eine Übereinstimmung zwischen

Mythenmetz und Moers.

Zusammenfassend zu diesem Kapitel möchte ich behaupten, dass Moers zwar

anfangs auktorial abwesend erscheint. Durch die vielen Übereinstimmung zwischen

Hildegunst von Mythenmetz und ihm selbst, und auch durch sein übersetzendes und

editorisches Eingreifen behält er jedoch einen gewissen Einfluss auf den Leser.

Mythenmetz erhält zwar augenscheinlich die Rolle des Autors, während Moers in de

186

Nüchtern, Klaus. Mein Zielpublikum bin ich. Originaltext: Falter 17/03 vom 23.04.2003, Verfügbar:

http://www.falter.at/print/F2003_17_2.php 187

Philipp: „Interview mit einem Unsichtbaren“ 188

Philipp: „Interview mit einem Unsichtbaren“ 189

DLdTB, S.192

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Hintergrund tritt. Moers kann jedoch bei einer gründlichen Lektüre als der

Marionettenspieler hinter den Zamonien-Romanen entdeckt und perzipiert werden.

Ironisch ist hierbei insbesondere der Gegensatz zwischen Hildegunst von Mythenmetz

und Walter Moers. Ersterer könnte sich nicht deutlicher als Autor in den Vordergrund

drängeln, während Letzterer sich nicht mehr hinter seinem mutmaßlichen alter ego

verstecken könnte.

3.1.3.2.Käpt’n Blaubär als Autor

„Ein Blaubär hat siebenundzwanzig Leben. Dreizehneinhalb davon werde ich in diesem

Buch preisgeben, über die anderen werde ich schweigen. Ein Bär muß seine dunklen

Seiten haben, das macht ihn attraktiv und mysteriös.“190

Dies ist der Anfang des

Vorwortes in Käpt’n Blaubär, und genau das bietet dem Leser auch direkt den ersten

Eindruck der Erzählung. Das Vorwort fungiert also als Einstiegsmöglichkeit für den

Modell-Leser. Bezüglich des Vorwortes meint auch Wirth:

Das Vorwort gibt Leseanweisungen, indem es über die Ordnung und die

Disposition, die sich im Haupttext beobachten lassen, Vorbericht erstattet.

Zugleich erfüllt das Vorwort aufgrund seines Instruktionscharakters aber auch

selbst eine dispositive Steuerungsfunktion. Der Instruktionscharakter des

Vorworts rührt daher, daß es eine Lektüreanweisung darstellt, die dem Leser

einen interpretativen Zugang zum Werk eröffnen soll. Das Minimalziel ist, daß

das Vorwort überhaupt „eine Lektüre bewirkt“, das Maximalziel ist, daß „ein

guter Verlauf der Lektüre“191

ermöglicht wird.192

Das Vorwort kann hier also an den ‚Fiktionspakt‘ gekoppelt werden. Der Leser lässt

sich auf die Regeln des Urhebers des Vorwortes ein und wird so, unter der

Voraussetzung, dass das So-Tun-als-ob-Spiel anhält, zum Modell-Leser. Elemente, wie

die Unterschrift von Käpt’n Blaubär zu Ende des Vorwortes oder das Personalpronomen

‚Ich‘, übernehmen hierin eine zusätzliche Authentifizierungsfunktion.

Wie ich im Kapitel 3.1.3. bereits erwähnt habe, wird Käpt’n Blaubär schon auf

der Titelseite als Biographie vorgestellt.193

Im Vorwort wird dies noch expliziter

gemacht: Blaubär scheint selbst der Urheber der Biographie zu sein, wodurch wir es mit

190

Käpt’n Blaubär, S.6 191

Genette, Gérard: Paratexte, S.191 Zitiert in Wirth, Uwe: Die Geburt des Autors aus dem Geist der

Herausgeberfiktion, S.88 192

Wirth: Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, S.88 193

„Die halben Lebenserinnerungen eines Seebären […].“ Käpt’n Blaubär, S.3

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einer einem autobiographischen Roman zu tun hätten. Martina Wagner-Egelhaaf

zufolge verschweigen „Autobiographien […] Erinnerungen, manipulieren sie,

[Autobiographien] ergänzen und erfinden.“ 194

Dies gilt offensichtlich auch für Käpt’n

Blaubär, schließlich erkennen wir den Protagonist als einen sehr subjektiven

Fokalisator, der uns von seinen Erfahrungen bis zu seinem 13½. Leben berichtet.

Wagner-Egelhaaf meint, dass „[d]ie immer wieder erzählten Stationen des kulturellen

autobiographischen Gedächtnisses – Vorfahren, Geburt, Elternhaus, Lesen lernen,

Krankheit, erste Verirrungen, erste Liebe, etc. – […] einigermaßen stereotyp“ 195

sind in

autobiographischen Texten. Einen ähnlichen Lebensverlauf finden wir in Käpt’n

Blaubär. Auch Philippe Lejeune hat sich mit dem autobiographischen Erzählen befasst.

Er definiert es folgendermaßen: „Récit rétrospectif en prose qu’une personne réelle

[Hervorhebung von K.B.] fait de sa propre existence, lorsqu’elle met l’accent sur sa vie

individuelle, en particulier sur l’histoire de sa personnalité.“196

Solang wir also davon

ausgehen, dass es diesen Blaubär wirklich gibt, haben wir es offenkundig mit einem

autobiographischen Roman zu tun, und das ist wahrscheinlich auch der Eindruck, den

Moers erwecken möchte. Aber spätestens bei der Auflistung einiger phantastischer

Stichwörter im Vorwort, wie „Ein Riese ohne Kopf. Ein Kopf ohne Riese.

Wüstengimpel. Eine gefangene Fata Morgana. Schlafwandelnde Yetis. Ein ewiger

Tornado. Rikschadämonen. Vampire mit schlechten Absichten. Ein Prinz aus einer

anderen Dimension.“197

wird deutlich, dass es sich keinesfalls um einen ‚realen‘

autobiographischen Roman handeln kann. Auch Lejeunes Anforderung einer „personne

réelle“ wird nicht nachgekommen. Es scheint gerechtfertigt zu sein, anzunehmen, dass

es sprechende, blaue Bären nicht gibt. Und da wir es hier mit einem phantastischen

Roman zu tun haben, kann der Blaubär auch nicht als eine Metapher von etwas anderem

gesehen werden, da phantastische Romane ‚literal‘ gelesen werden sollten.

194

Wagner-Egelhaaf, Martina: „Zum Stand und zu den Perspektiven der Autobiographieforschung in der

Literaturwissenschaft“. In: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und

Lebensverlaufanalysen, 23 (2010), H.2, S.192 195

Wagner-Egelhaaf: „Zum Stand und zu den Perspektiven der Autobiographieforschung in der

Literaturwissenschaft“, S.193 196

Lejeune, Philippe: Le pacte autobiographique. Paris 1975. Zitiert in: Zipfel, Frank: „Autofiktion.

Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität?“ In: Winko, Simone et al.(Hrsg.):

Grenzen der Literatur. Zu Begriff und Phänomen des Literarischen. Berlin, New York: Walter de Gruyter

2009 197

Käpt’n Blaubär, S.6

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50

Eine folgende Möglichkeit bezüglich der (auto)biographischen Darstellung wäre

dann im Konzept der ‚Autofiktion‘ zu suchen. Hierbei können Wagner-Egelhaaf

zufolge zwei Modelle unterschieden werden: im ersten Modell „treten […]

lebensweltliche Figuren, die durchaus auch ihre ‚richtigen‘ Namen behalten, in

fiktionalen Texten auf“, während im anderen Modell „bewusst und gezielt fiktionale

Elemente in autobiographische Erzählungen integriert“198

werden. Käpt’n Blaubär wäre

also, wenn überhaupt nur in dem zweiten Modell zu situieren. Auch Marie Darrieussecq

hat sich bezüglich der Autofiktion geäußert:

Wichtig ist Darrieusecq in ihrer Definition [der Autofiktion], dass der

autofiktionale Text sich sowohl als referentiell wie auch fiktional zu erkennen gibt

[…] bzw. dass dem Leser sowohl der autobiographische Pakt, wie auch der

Fiktionspakt angeboten werden, ohne dass er die Möglichkeit an die Hand

bekommt, den Text ganz oder teilweise nach einem der beiden Pakte aufzulösen

[…].199

Hieraus folgt, dass die Autofiktion es dem Leser ermöglicht, weder den

autobiografischen noch den Fiktionspakt fallen zu lassen. Das wichtigste ist hierbei,

dass dem Leser „die Unsicherheit darüber, was fiktiv und was wirklich ist“200

nicht

genommen wird. Der autofiktionale Text muss immer mit ‚Ambiguität‘ behaftet sein.

Für Frank Zipfel besteht

„das vom autofiktionalen Text inszenierte Spiel [allerdings] darin […], dass der

Leser von einem Pakt zum andern wechselt und dies mehrmals im Laufe der

Lektüre. […] Damit bleibt die Unterschiedlichkeit der beiden Pakte gewahrt, man

könnte sogar sagen, dass der Leser gerade durch das Hin und Her zwischen dem

einen und dem anderen auf die Spezifik der beiden Pakte aufmerksam gemacht

wird.201

Bei Zipfel geht es also ebenfalls um eine Ambiguität. Das Zweifeln zwischen

autobiographischem oder Fiktionspakt erhält bei ihm jedoch zusätzlich eine gewisse

Dynamik. Der Leser soll zwischen dem einen und dem anderen Pakt wechseln und nicht

beide gleichzeitig berücksichtigen, wie es Darrieussecq vorschlägt. Wenn wir nun

198

Wagner-Egelhaaf, Martina: „Zum Stand und zu den Perspektiven der Autobiographieforschung in der

Literaturwissenschaft“, S.197 199

Darrieussecq, Marie: „Autofiction, un genre pas sérieux“, In: Poétique 27 (1996)S. 369 f., zitiert in :

Zipfel, Frank: « Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität?“ In:

Winko, Simone et al.(Hrsg.): Grenzen der Literatur. Zu Begriff und Phänomen des Literarischen. Berlin,

New York: Walter de Gruyter 2009, S.305 200

Ebd. 201

Zipfel, Frank: « Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität?“ In:

Winko, Simone et al.(Hrsg.): Grenzen der Literatur. Zu Begriff und Phänomen des Literarischen. Berlin,

New York: Walter de Gruyter 2009, S.306

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davon ausgehen, dass es sich bei Käpt’n Blaubär um eines der beiden Modelle von

Wagner-Egelhaaf handelt, müsste der Leser folglich hin und her gerissen werden

zwischen dem Glauben, es handele sich um eine Biographie, und dem Eindruck, es sei

eine fiktionale Erzählung. Auch hier muss jedoch Rücksicht genommen werden auf die

phantastischen Elemente im Vorwort und dem Rest der Erzählung. So meint

Darrieusecq nämlich, dass „[e]ine Erzählung, die ins Unwahrscheinliche oder gar

Phantastische gleitet, […] keine Autofiktion mehr [ist].“202

Ab dem Moment, wo wir

also auf ein phantastisches Element treffen, muss auch das Konzept der Autofiktion

beiseitegeschoben werden.

Käpt’n Blaubär kann demnach nur als quasi- bzw. pseudo-autobiografisch

gesehen werden, und obwohl die Glaubwürdigkeit der Ereignisse in der fiktionalen

Erzählung durch die Selbstreflexivität des Blaubären erhöht wird, werden dem Leser

damit nicht die Zweifel über die Fiktionalität der Begebenheiten genommen. So

beteuert der Blaubär z.B. „daß [es] nicht [s]einer Natur entspricht“203

zu lügen und gibt

er sogar zu, dass manche Ereignisse sehr unglaubwürdig erscheinen:

Ich weiß, daß ich mich der Gefahr aussetze, an dieser Stelle auch noch den letzten

wohlmeinenden Leser zu verlieren, aber ich bin nun mal der Wahrheit verpflichtet

und kann nichts anderes berichten: Ich plumpste genau aus demselben

Dimensionsloch wieder heraus, in das ich hineingefallen war.204

Außerdem bietet er uns auf Seite 632 sogar eine Alternative für die These der

versunkenen Stadt Atlantis an: „Atlantis schwebte am Himmel, vielleicht fünf

Kilometer über der Küstenlinie. Die ganze Stadt hatte sich vom Boden erhoben, ein

riesiger schraubenförmiger Pflock, ein Raumschiff aus Lehm mit einer Stadt

obendrauf.“205

Zuletzt kann man Käpt’n Blaubär jedoch nicht anders als eine fiktionale

Erzählung lesen, was Moers somit indirekt zu so etwas wie einem ‚Pseudo-Ghostwriter‘

machen würde. Anders als bei DSdTB, DS, E&K und DLdTB wird bei Käpt’n Blaubär

auf Umschlag und Titelblatt auch nur Walter Moers als Autor erwähnt, und versucht

202

Darrieussecq, Marie: „Autofiction, un genre pas sérieux“, In: Poétique 27 (1996)S. 378., zitiert in :

Zipfel, Frank: « Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität?“ In:

Winko, Simone et al.(Hrsg.): Grenzen der Literatur. Zu Begriff und Phänomen des Literarischen. Berlin,

New York: Walter de Gruyter 2009, S.305 203

Käpt’n Blaubär, S.6 204

Käpt’n Blaubär, S.267 205

Käpt’n Blaubär, S.632

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Moers also nicht, um die Illusion vom ‚Blaubär als Autor‘ zu konstruieren, wie er es mit

Hildegunst tut.

3.1.3.3.Hildegunst von Mythenmetz als Autor

Die interessanteste Manifestation einer abweichenden Autorschaft stellen wir jedoch bei

Hildegunst von Mythenmetz fest. Er wird beim Leser als mutmaßlicher Autor von

E&K, DSdTB und DLdTB introduziert und seine Autorschaft wird bereits auf den

Titelseiten dieser drei Romane etabliert. Außerdem scheint er bei DS auch als

„Handwerker und kreative[r] Schöpfer“206

zu gelten. Wirth zufolge dient

[d]er Name des Autors auf dem Titelblatt […] nur noch in zweiter Linie der

Bezeichnung der Person, an erster Stelle steht die Kennzeichnung der Person in

ihrer Funktion als Autor – eine Funktion, die durch einen Zuschreibungsakt

vollzogen wird und eine juristisch-performative Rahmung des Diskurses

vornimmt.207

Demnach übernimmt Hildegunst die Funktion des Autors und wird Moers zum

Übersetzer degradiert. Hildegunsts Name dient dann an zweiter Stelle der

„Kennzeichnung der Person“, was in unserem Falle allerdings eine fiktive Person wäre.

Wir haben in einem vorigen Kapitel bereits festgestellt, dass wir es in manchen der

Moers-Romane mit einer Übersetzerfiktion zu tun haben: Hildegunst fungiert als

fiktiver Autor, während Moers nur mutmaßlicher Übersetzer ist. Wirth scheint in seiner,

von mir oben genannten, Auslegung demnach keine Rücksicht darauf genommen zu

haben, dass Paratexte bereits einen Fiktionspakt mit dem Leser eingehen oder

zumindest vorbereiten können. Gérard Genette zufolge gehört der Name des Autors,

fiktiv oder nicht, zu den Paratexten bzw. Epitexten, was „elements as the title or the

preface and sometimes elements inserted into the interstices of the text, such as chapter

titles or certain notes”208

sind. Deshalb meint Genette auch, „the name of the author is

[...] a constituent element of the contract and has an effect that blends with the effect of

other elements, such as the presence or absence of a genre indication[...]”209

. Somit

kann der Autorname als Teil, und, in unserem Fall, bereits als erster Ansatz, des

206

Irsingler: „»Ein Meister des Versteckspiels«. Schriftstellerische Inszenierung bei Walter Moers“, S.64 207

Wirth: Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, S.37 208

Genette, Gérard: Paratexts: Thresholds of Interpretation. Cambridge: Cambridge University Press

1997, S.5 209

Genette: Paratexts: Thresholds of Interpretation, S.41

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Fiktionalitätspakts fungieren. Er hat also einen Einfluss auf die Rezeption und

Interpretation des Textes. In seinem Essay “Who is the Narrator?” bemerkt Richard

Walsh, dass “[b]y conceiving of a fictional narrative as issuing from a fictional narrator,

the reader has cancelled out its fictionality, negotiated a mode of complicity with

representation, and found a rationale for suspension of disbelief.”210

Auch Walsh spricht

hier also von einem gewissen Fiktionalitätspakt: der Leser lässt sich auf die Fiktionalität

des Autors ein, klammert diese dann aus und kann so die willing suspension of disbelief

verantworten: der Modell-Leser wird zum Komplize. Die Fiktionalität des Autors kann

bei Hildegunst von Mythenmetz im Grunde auch schon an seinem Nachnamen erkannt

werden: ‚Mythenmetz‘ scheint ein Kompositum von ‚Mythen‘ und ‚metzen‘ zu sein,

was abermals auf eine Kombination von ‚Handwerker und kreative[m] Schöpfer‘

hinweist. Mit ‚Mythos‘ wird meist eine fiktionale Narration gemeint, während ‚metzen‘

mit handwerklichen Tätigkeiten und ‚Konstruieren‘ zu tun hat. Außerdem kann auch

der Vorname als eine bewusste Komposition interpretiert werden. ‚Hildegunst‘ erinnert

an ‚Hildegunde‘ aus der mittelhochdeutschen (13. Jahrhundert) Heldensage Walther

und Hildegunde211

. Hierbei wäre dann insbesondere die Vermännlichung des

weiblichen Vornamens zu bemerken. Zudem scheint es, genau wie beim Nachnamen,

eine Referenz auf einen mythologischen Ursprung zu geben. Hildegunsts ‚mythische‘

Aura möchte ich an dieser Stelle mit dem Genie-Gedanken verbinden, auf den ich

jedoch später näher eingehen werde.

Den Fiktionalitätspakt könnte man nun zusätzlich mit dem autobiographischen

Pakt von Lejeune verbinden. In einem vorigen Kapitel212

habe ich bereits von dem

autobiographischen ‚Erzählen‘ berichtet. Bei dem autobiographischen Pakt213

geht es

jedoch um folgendes:

Dem Leser muss deutlich gemacht werden, dass die Person von der berichtet wird,

keine andere ist als der Autor selbst. Es gibt nach Lejeune zwei Möglichkeiten für

den Autor, den autobiographischen Pakt herzustellen bzw. anzubieten: 1) durch

die Namensidentität von Autor, Erzähler und Figur; 2) durch paratextuelle

Angaben, z.B. durch eine Gattungsbezeichung oder durch entsprechende

Bekundungen im Paratext (Vorwort, Klappentext,…). Das Angebot des

210

Walsh, Richard: “Who is the Narrator?”. In: Poetics Today, Vol.18, Nr.4 (Winter, 1997), S.496 211

Universität Bamberg: Ältere deutsche Literaturwissenschaft. Verfügbar: http://www.uni-

bamberg.de/germanistik/aedl/leistungen/kundrie/kundrie/literarhistorisches/gattungen/ besucht

22.05.2012 212

Siehe „Käpt’n Blaubär als Autor“ 213

Meiner Meinung nach handelt es sich hier um zwei unterschiedliche Phänomene.

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autobiographischen Paktes ist nach Lejeune deshalb notwendig, weil die Referenz

des selbstreflexiven Personalpronomens ›Ich‹ im Schrifttext explizit etabliert

werden muss.214

Dieser Auslegung nach wird in DSdTB und DLdTB ein autobiographischer Pakt

hergestellt. Dazu werden, mir zufolge, sogar beide der von Lejeunes vorgeschlagenen

Möglichkeiten kombiniert. Bezüglich der ersten Möglichkeit treffen wir tatsächlich auf

eine Namensidentität zwischen „Autor, Erzähler und Figur“: Hildegunst fungiert in

DSdTB und DLdTB, der Titelseite zufolge, als Autor. Schon im Vorwort finden wir das

Personalpronomen ‚Ich‘, was auf einen persönlichen Erzähler hinweist. In DSdTB nennt

Hildegunst seinen eigenen Namen innerhalb der Erzählung allerdings erst auf Seite 47:

„Der Eydeet reichte mir ein dürres Bündel von Fingern, das ich behutsam schüttelte.

»Hildegunst von Mythenmetz«.“215

Bis zu diesem Punkt wird die Übereinstimmung

zwischen ‚Hildegunst als Autor‘, ‚Hildegunst als Erzähler‘ und ‚Hildegunst als Figur‘

also unterstellt und nur von dem Personalpronomen ‚Ich‘ und einer Abbildung von

Hildegunst von Mythenmetz216

unterstützt. In DLdTB enttarnt Hildegunst sich jedoch

bereits auf Seite 10: „So – nun wären wir unter uns, meine tapferen Freunde! Endlich!

Denn wer jetzt noch dieses Buch in Händen hält, in dessen Adern fließt Blut von

meinem Blut. Ich bin es, Hildegunst von Mythenmetz, euer treuer Freund und

Wegbegleiter, ich heiße euch willkommen!“217

Damit wäre an dieser Stelle etabliert,

dass Hildegunst in DSdTB und DLdTB auch als Erzähler fungiert. Innerhalb der beiden

Erzähltexte, DSdTB und DLdTB, entpuppt er sich zusätzlich auch noch als Protagonist

und Figur der Erzählung. Damit wäre den Anforderungen der ersten Möglichkeit von

Lejeunes autobiographischen Pakt Genüge getan.

Die zweite Lejeunsche Möglichkeit bezieht sich vor allem auf die Paratexte und

Vor- und Nachwörter. Wie bereits erwähnt, wird Hildegunst schon auf dem Titelblatt in

DSdTB als Autor etabliert und auch die Abbildung von dem jungen Lindwurm kann als

paratextuelle Bestätigung des autobiographischen Paktes gelten. Im Vorwort wird die

Leserschaft selektiert und vorgewarnt, worin wir auch bereits auf das vielsagende ‚Ich‘

stoßen. Das Nachwort ist dann zwar von dem Übersetzer Moers geschrieben, bestätigt

214

Lejeune, Philippe: Le pacte autobiographique, S.4, zitiert in: Zipfel, Frank: « Autofiktion. Zwischen

den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität?“ In: Winko, Simone et al.(Hrsg.): Grenzen der

Literatur. Zu Begriff und Phänomen des Literarischen. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2009, S.287 215

DSdTB, S.47 216

Siehe Abbildung 2 217

DLdTB, S.10

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inhaltlich jedoch Mythenmetz‘ Funktion als Autor. Moers stellt hierin nämlich folgende

Frage „Wie aber soll es weitergehen, frage ich mich nun, welches Werk von

Mythenmetz soll ich als nächstes übersetzen?“218

Er weist hier also deutlich auf

Mythenmetz als Autor der Erzählung hin und postuliert sich selber als Übersetzer.

Die Referenz auf das ‚Ich‘ innerhalb der Erzählung wird also tatsächlich durch

eine Kombination der beiden, von Lejeune genannten, Optionen hergestellt. Damit ist

natürlich nicht gemeint, dass Moers‘ Romane nun nicht mehr als fiktiv anzusehen

wären. Meiner Meinung nach kommt es eher zu einer Kombination von

autobiographischem und Fiktionalitätspakt. Dadurch kann Moers die Illusion eines

anderen, ihn vertretenden Autors herstellen und diese Illusion dem Leser gegenüber

veantworten. Der Leser muss sich zuvor jedoch auf dieses So-Tun-Als-Ob einlassen.

Auch Käte Hamburger äußert sich in ihrem Werk Die Logik der Dichtung zum

‚Ich‘ in der Ich-Erzählung. Ihr zufolge gehört es „zum Wesen jeder Ich-Erzählung, daß

sie sich selbst als Nicht-Fiktion, nämlich als historisches Dokument setzt. Dies aber tut

sie auf Grund ihrer Eigenschaft als Ich-Erzählung.“219

Hamburger sieht in den Ich-

Erzählungen also einen Versuch das Fiktive real erscheinen zu lassen. In ihren Augen

ist das

Ich der Ich-Erzählung […] ein echtes Aussagesubjekt. […] [Es] will kein

lyrisches Ich sein, sondern ein historisches […]. Es erzählt Selbsterlebtes, aber

nicht mit der Tendenz, dies als nur subjektiv Wahres, als sein Erlebnisfeld im

prägnanten Sinne dieses Phänomens darzustellen, sondern es ist wie jedes

historische Ich auf die objektive Wahrheit des Erzählten ausgerichtet.220

Das ‚Ich‘ der Erzählung profiliert sich als objektiver Erzähler der Begebenheiten seines

Lebens, eine Eigenschaft, die wir nicht nur bei DSdTB und DLdTB, sondern eigentlich

auch in Käpt’n Blaubär finden. Ohne diese Eigenschaft des ‚Ichs‘ könnte es keinen

Authentifizierungsanspruch geben, und würde das ganze Spiel der Übersetzerfiktion

und der phantastischen Erlebnisse des Blaubärs in sich zusammenfallen. Das ‚Ich‘ ist

demnach deutlich ein Teil der So-Tun-als-ob-Absicht. Hamburger zufolge sorgt dieser

Gebrauch des Ichs für eine „fingierte Wirklichkeitsaussage“221

, wobei der Begriff des

218

DSdTB, S.478 219

Hamburger, Käte: Die Logik der Dichtung. Stuttgart: Ernst Klett Verlag (zweite stark veränderte

Auflage) 1968, S.246 220

Hamburger: Die Logik der Dichtung, S.247 221

Ebd.

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Fingierten „ein Vorgegebenes, Uneigentliches, Imitiertes, Unechtes“222

bedeutet,

während mit dem Fiktiven „dagegen die Seinsweise dessen, was nicht wirklich ist“223

,

gemeint ist. Ein wichtiger Aspekt ist hier auch, daß „die in einer Ich-Erzählung

auftretenden Personen stets nur in einer Beziehung zum Ich-Erzähler gesehen

werden.“224

Sie werden also nur ‚erzählt‘, wenn sie auch in irgendeinem Verhältnis zu

der Ich-Figur stehen, wenn sie z.B. mit Hildegunst reden, oder gar zufällig in derselben

Straße laufen. Dies bestärkt den Eindruck, dass uns etwas aus der Ich-Perspektive

erzählt wird: wir sehen, was Hildegunst sieht und durch die typographischen

Deviationen, die ich in einem vorhergehenden Kapitel bereits erwähnt habe, ‚hören‘ wir

nun auch, was Hildegunst hört. Der Gebrauch des referentiellen Ichs in der Erzählung

ist also eine literarische Technik um die Glaubwürdigkeit der Illusion zu verstärken. Die

Fiktionalität der Moersschen Erzählungen kann Frank Zipfel zufolge dennoch nie

angezweifelt werden. Dieser meint nämlich:

Zum einen gibt es in Geschichten, die in fiktiven Orten angesiedelt sind oder in

fiktiven Zeiträumen spielen, immer auch fiktive Ereignisträger. Ereignisträger, die

sich an fiktiven Orten oder in fiktiver Zeit bewegen, müssen letztendlich selber

fiktiv sein. Zum anderen können Geschichten auch nur dadurch fiktiv sein, dass in

ihnen fiktive Ereignisträger vorkommen, wenn die fiktiven Geschichten vor

sowohl zeitlich wie örtlich realem Hintergrund spielen.225

In Käpt’n Blaubär, DS, E&K, WR, Rumo, DSdTB und DLdTB ist die Erzählung deutlich

an einem einen fiktiven Ort, nämlich Zamonien angesiedelt. Zipfel zufolge kann es sich

bei den Protagonisten Käpt’n Blaubär, Hildegunst von Mythenmetz, Rumo und Echo,

dem Krätzchen226

demnach nur um fiktive Ereignisträger handeln. Um seinen Leser

dazu zu bringen, das So-Tun-als-ob-Spiel mitzuspielen, muss Moers sich also

bestimmter literarischer Techniken bedienen. Der Lejeunsche autobiographische Pakt

und das referentielle Ich scheinen zwei dieser Techniken zu sein.

Der autobiographische Pakt nach Lejeune lässt sich, meiner Ansicht nach, auch

mit François Delpechs Auffassung bezüglich des phantom pre-text verbinden, welche in

Carroll B. Johnsons Essay „Phantom Pre-texts and Fictional Authors: Sidi Hamid

222

Ebd. 223

Ebd. 224

Hamburger: Die Logik der Dichtung, S.249 225

Zipfel, Frank: „ Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität?“ In:

Winko, Simone et al.(Hrsg.): Grenzen der Literatur. Zu Begriff und Phänomen des Literarischen. Berlin,

New York: Walter de Gruyter 2009, S.291 226

Hier kann zusätzlich auch der Schrecksenmeister Eißpin als Protagonist und Ereignisträger erwähnt

werden.

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Benengeli, Don Quijote and the Metafictional Conventions of Chilvaric Romances“

ausführlich besprochen wird. In diesem Essay heißt es:

[…] François Delpech situates the relation between the text we read and the

phantom pre-text within the general context of what he calls “the motif of the

book hidden and discovered”, a literary device whose purpose is to offer

authenticity and prestige on the work that is in fact offered to the reader. Delpech

argues that whether or not the phantom pre-text exists in fact is irrelevant; that

what matters is the space of real or fictional intertextuality that is opened up, the

effects of perspectivism and distancing that are achieved, and the manipulation of

the reader’s point of reference. The shadowy presence of the phantom pre-text has

a powerful effect on the reader’s relation to the text she reads.227

In unserem Fall wäre Hildegunst von Mythenmetz‘ zamonischer Text, also das

‚ursprüngliche Original‘, der phantom pre-text. Delpech zufolge stellt der Modell-Leser

nun zwischen diesem phantom pre-text und dem Erzähltext, den er oder sie liest, eine

Verbindung her. Ob es den ursprünglichen Text tatsächlich gibt, oder jemals gegeben

hat, macht im Endeffekt nichts aus. Johnson zufolge ist Hildegunst von Mythenmetz’

Originaltext “a virtual text, in the sense that it only exists in translation”228

. Der Modell-

Leser ‚sucht‘ in gewissem Sinne eine reale oder fiktionale Intertextualität zwischen dem

Erzähltext und dem phantom pre-text. Anhand des phantom pre-text wird der Erzähltext

authentifiziert. Er hat also eine Authentifizierungsfunktion. Der autobiographische Pakt

von Lejeune übernimmt übrigens in gewisser Weiser dieselbe Funktion, denn auch hier

geht es um die Authentifizierung des Erzählten. Dass der Leser versucht den phantom

pre-text zu rekonstruieren, impliziert auch, dass er oder sie sich der linguistic condition

des Textes bewusst ist. Carroll Johnson meint:

As we know, the job of every reader of narrative is to reconstruct the story (what

is presumed to happen) on the basis of the discourse (the text we read). At the

metafictional level the reader’s job is the same: to reconstruct the virtual or

phantom pre-text on the basis of the actual text.229

Auf einer metafiktionalen Ebene versucht der Modell-Leser also zum ursprünglichen,

wenn auch fiktiven, Text, zurück zu kehren, was bei E&K, DSdTB, DLdTB die

zamonischen Versionen von Hildegunst von Mythenmetz wären. So lesen wir z.B. auf

Seite zwei von E&K: „Hier [im Nordwesten des Kontinents Zamonien, im Großen

227

Johnson, Carroll B.: „Phantom Pre-texts and Fictional Authors: Sidi Hamid Benengeli, Don Quijote

and the Metafictional Conventions of Chilvaric Romances”. In: Cervantes: Bulletin of the Cervantes

Society of America, 27 (Frühling 2007), S.182 228

Johnson: „Phantom Pre-texts and Fictional Authors”, S.192 229

Johnson: „Phantom Pre-texts and Fictional Authors”, S.183

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Wald] spielt das Märchen von Ensel und Krete, aufgeschrieben vom zamonischen

Großdichter Hildegunst von Mythenmetz, und von Walter Moers kongenial aus dem

Zamonischen ins Deutsche übersetzt und illustriert.“230

Auf der Titelseite wird demnach

schon über den mutmaßlichen Ursprung der Erzählung berichtet. Der metafiktionale

Leser hat nun die Aufgabe diesen virtual text zu rekonstruieren. Diese Rekonstruktion

wird dann vom Leser intertextuell mit dem eigentlichen Erzähltext verbunden. In

DSdTB berichtet der Übersetzer im Nachwort:

Nachdem ich mit Ensel und Krete zum ersten Mal ein Buch des zamonischen

Schriftstellers Hildegunst von Mythenmetz ins Deutsche übertragen hatte, wurde

ich immer wieder gefragt, welches seiner Werke ich als nächstes übersetzen

würde. […] Schließlich habe ich mich für ein chronologisches Vorgehen

entschieden. Reiseerinnerungen eines sentimentalen Dinosauriers, war das erste

Buch von Mythenmetz, das in Zamonien in gedruckter Form erschien, aber es

umfaßt in der Erstausgabe über zehntausend Seiten, verteilt auf 25 Bände […].231

Der Modell-Leser wird den Erzähltext also mit dessen fiktiver Herkunft verbinden, was

in unserem Fall der zamonische Text von Hildegunst von Mythenmetz,

Reiseerinnerungen eines sentimentalen Dinosauriers, wäre. Metafiktionalität hat gerade

mit dieser (Re-)Konstruktion zu tun. Auch Waugh meint, “[m]etafiction may concern

itself [...] with particular conventions of the novel, to display the process of their

construction”232

. Genau das wird in den Zamonien-Romanen auch demonstriert. Moers

macht Andeutungen darüber, woher der Text kommt, wie dieses Zamonien genau

aussieht, von wem der Text ursprünglich geschrieben wurde und wie Moers selbst ihn

letztendlich ‚editorial‘ verändert hat233

. Es gibt Verweise auf den ‚Entstehungsprozess‘

des Romans und das erinnert den Leser abermals daran, dass es sich um ein Artefakt,

ein literarisches Konstrukt handelt, das von einem Autor zusammengestellt und mithilfe

vieler Konventionen komponiert wurde. Gleichzeitig kann die Beschreibung des

Entstehungsprozesses und die Erwähnung des phantom pre-text, Reiseerinnerungen

eines sentimentalen Dinosauriers, jedoch auch eine Authentifizierungsfunktion

übernehmen. Denn schließlich wird auf diese Weise indirekt Hildegunsts Position als

Autor bekräftigt. Wie bereits erwähnt, verursacht das vor allem bei DS eine besondere

Autorschaft, denn hier ist nicht Hildegunst sondern Gofid Letterkerl der Schöpfer des

230

E&K, S.2 231

DSdTB, S.478 232

Waugh: Metafiction, S.4 233

Siehe „Walter Moers als Autor“

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‚ursprünglichen‘ Textes. Wenn man nun der, im Vor- und Nachwort dargelegten Spur

in die Fiktionalität folgen würde, würde Letterkerls Novelle, Echo, das Krätzchen, als

phantom pre-text gelten, zu dem der Modell-Leser, über Moers‘ und Mythenmetz‘

Übersetzung, finden müsste. Wenn wir allerdings von der realen intertextuellen

Verbindung mit Gottfried Kellers Spiegel, das Kätzchen (1856) ausgehen, wäre dieser

reale Text auch als phantom pre-text zu betrachten. DS hätte also eine reale

intertextuelle Verbindung mit Spiegel, das Kätzchen von Gottfried Keller, und eine

fiktionale mit Echo, das Krätzchen von Gofid Letterkerl.

Soweit habe ich festgestellt, dass die Figur Hildegunst von Mythenmetz und seine

Texte mit dem autobiographischen Pakt wie auch mit dem metafiktionalen phantom

pre-text verbunden werden können. Zusätzlich ist jedoch auch seine Tätigkeit als

Kommentator in seinen Erzähltexten auffällig. Mit der Mythenmetzschen Abschweifung,

die zum ersten Mal in E&K eingeführt wird, unterbricht Hildegunst den Lese- und

Erzählstrom und mischt sich in die Erzählung ein. Damit gibt

[d]er Erzähler […] seine gespielte Rolle als berichtender Zeuge auf und legt

stattdessen offen, dass er nur erfindet, was er soeben erzählt [hat]. In solchen […]

Erzählweisen sieht Genette dieselbe Grundstruktur wie im (seit der Antike

bekannten) rhetorischen Tropus »metalepsis«, nämlich die Umkehrung von

Ursache (d.h. etwas existiert) und Wirkung (d.h. jemand kann darüber

berichten).234

Hildegunst wird somit Teil der Erzählung und greift als fiktionaler Autor in seine eigene

Fiktion ein. Gérard Genette zufolge, haben wir es demnach mit einer Metalepse bzw.

einer „métalepse narrative“ zu tun, welche er folgenderweise definiert: „»toute intrusion

du narrateur ou du narrataire extradiégétique dans l’univers diégétique (ou de

personnages diégétiques dans un univers métadiégétique235

, etc.) ou inversement,« unter

Verletzung der »frontière mouvant mais sacré entre deux mondes : celui où l’on

raconte, celui que l’on raconte.« “236

Es handelt sich also um eine „regelwidrige

Verletzung der Ebenenhierarchie oder [um] eine Grenzüberschreitung zwischen den

verschiedenen Welten in Erzähltexten […] – etwa zwischen den Ebenen der Erzählung

234

Klimek, Sonja: Paradoxes Erzählen. Die Metalepse in der phantastischen Literatur. S.20 235

Der Prefix « méta- » wird heute häufig durch „hypo-“ ersetzt. Vgl. dazu Bal, Mieke: Narratologie.

Essai sur la signification narrative dans quatre romans modernes. Paris 1977 236

Genette, Gérard: Discours du récit. In : ders. : Figures III. Paris 1972. S.67-282. Hier S.244f. Zitiert in:

Klimek: Paradoxes Erzählen, S.18

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und der erzählten Handlung.“237

Der Erzähler unterbricht die Fiktionalität und der Leser

wird daran erinnert, dass der Erzähler uns etwas berichtet, was er selbst konstruiert hat,

dass es sich also um ein literarisches Medium handelt. Es erinnert den Leser „in

amüsanter Form an die Konstruiertheit der erzählten Geschichte“238

. Hier können wir,

auf den ersten Blick, sicherlich von einer metafiktionalen Komponente reden. Im

Grunde genommen können hier auch so gut wie alle Mythenmetzschen Abschweifungen

als Beispiel gelten. So berichtet Hildegunst in E&K nämlich sogar selbst auch

Sie haben es vielleicht noch nicht bemerkt, aber Sie sind schon mittendrin in einer

von mir entwickelten und vollkommen neuartigen schriftstellerischen Technik,

die ich die Mythenmetzsche Abschweifung nennen möchte. Diese Technik

ermöglicht es dem Autor, an beliebigen Stellen seines Werkes einzugreifen,

um, je nach Laune, zu kommentieren, zu belehren, kurzum: abzuschweifen. [Hervorhebung von K.B.] Ich weiß, daß Ihnen das jetzt nicht gefällt, aber es geht

nicht darum was Ihnen gefällt. Es geht darum, was mir gefällt.239

Hildegunst verknüpft seine Abschweifungen also deutlich mit dem Konzept der

Metalepse. Er selbst nennt es ‚in sein Werk eingreifen‘, was eine grenzüberschreitende

Aktion impliziert und zusätzlich als metafiktionale Komponente gesehen werden kann.

So meint Waugh nämlich:

One method of showing the function of literary conventions, of revealing their

provisional nature, is to show what happens when they malfunction. Parody and

inversion are two strategies which operate in this way as frame-breaks. The

alternation of frame and frame-break (or the construction of an illusion through

the imperceptibility of the frame and the shattering of illusion through the

constant exposure of the frame) provides the essential deconstructive method of

metafiction.240

Vor allem ihre Aussage bezüglich ‚alternation of frame and frame-break‘ scheint mir

hier exemplarisch zu sein. Die Mythenmetzschen Abschweifungen sind nämlich gerade

ein solcher frame-break, da der Autor in diesem Moment in das Geschehen eingreift.

Das Exponieren des Erzählrahmens durch das Eingreifen des Erzählers/Autors ist in

seiner Essenz genau das, worum es in der Metafiktion geht: die literarischen

Konventionen, der Skelettbau der Erzählung, wird zur Schau gestellt, wodurch es zu

einer Konfrontation mit der Konstuiertheit derselben Erzählung kommt.

237

Lahn & Meister: Einführung in die Erzähltextanalyse, S.90 238

Lahn & Meister: Einführung in die Erzähltextanalyse, S.91 239

E&K, S.40 240

Waugh: Metafiction, S.31

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Inzwischen haben Literaturwissenschaftler allerdings Einwände bezüglich der

Metalepse als pures „Fiktionalitätssignal“241

. So meint Sonja Klimek, dass „[n]ur solche

Metalepsen, die die Ebene des ‚discours‘ [‚wie‘ wird etwas erzählt] tangieren, […]

[auch] die ästhetische Illusion des Lesers [stören]. Metalepsen auf der Ebene der

‚histoire‘ [‚was‘ wird erzählt] können dagegen unter der Bedingung, dass der Leser sich

auf eine wunderbar-phantastische Geschichte einlässt, die Illusion einer kohärenten

Anderswelt sogar noch verstärken.“242

Ihr zufolge muss die Metalepse also nicht

unbedingt die Funktion des kurzweiligen Illusionsbruches erfüllen, sondern kann sie das

So-Tun-als-ob-Konzept noch verstärken, vorausgesetzt es handelt sich um eine

Metalepse auf der Ebene der histoire. Weiter meint Klimek auch, dass

[a]nders als in der experimentellen Literatur Brechts, der ›nouveaux romanciers‹

und der ›Metafictionists‹ […] Metalepsen in der phantastischen Erzählliteratur

dagegen meist nicht in den Dienst einer Ästhetik des Illusionsbruchs gestellt

[werden]. Gerade in der zeitgenössischen Phantastik dienen die gleichen

Verfahren und Motive im Gegenteil oft dazu, das Wunderbare zu plausibilisieren

und so die Illusion einer kohärenten, wenn auch offenkundig fiktiven Geschichte

zu stabilisieren.243

Diese Aussage können wir vor allem mit Hildegunst als fiktivem Autor und mit der

Übersetzerfiktion verbinden. Hildegunsts Eingreifen in den Erzähltext in E&K bestätigt,

Klimek zufolge, seine Rolle als Autor. Auch Käte Hamburger ist der Meinung, dass

„die fingierende Einmischung des Erzählers als Verfasserperson, zu meist

humoristischen Zwecken, das Fiktionsphänomen [nicht] beeinträchtigt.“244

Die Illusion

des fiktionalen Autors bleibt demnach erhalten, denn eigentlich ist auch Hildegunst

selbst ein Teil des Erzählten, ein Teil der histoire: Hildegunst von Mythenmetz ist in

Wirklichkeit nicht der Erzähler, er ‚wird‘ erzählt. Dadurch, dass Walter Moers selbst

nicht in die Texte eingreift, sondern nur am Rande, in Übersetzerkommentaren oder

Nachwörtern zu Wort kommt, wird die Ebene des discours nicht ‚tangiert‘. Wenn

Hildegunst sich, wie im folgenden Zitat, plötzlich zu Wort meldet, um zu erklären, wie

seine Werke zustande kommen, bestätigt das also gleichzeitig auch seine Verbundenheit

mit dem phantom pre-text. Auch im nächsten Zitat aus E&K haben wir es mit einer

„métalepse de l’auteur“ auf der Ebene der histoire zu tun: der Erzähler steigt zwar in die

241

Lahn & Meister: Einführung in die Erzähltextanalyse, S.91 242

Klimek: Paradoxes Erzählen, S.49 243

Klimek: Paradoxes Erzählen, S.48 244

Hamburger: Die Logik der Dichtung, S.248

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Welt seiner Fiktion hinab245

, er wird aber selber auch erzählt. So elaboriert er in diesem

Zitat wie seine Texte und Theaterstücke zustande kommen. Übrigens postuliert

Hildegunst sich in demselben Zitat in gewisser Weise auch als ‚göttlicher Schöpfer‘, ein

Konzept, was in DSdTB, DLdTB und E&K mehrmals zur Äußerung kommt, und was

ich auf Seite 64 dieser Magisterarbeit in einem Exkurs mehr erläutern werde.

So kann ich Szenen erproben und an Dialogen feilen, indem ich mit veränderter

Stimme die jeweiligen Texte spreche und die Strippen ziehe. Mit kleinem

Donnerblech und Funkenschläger kann ich ein Gewitter erzeugen, mit

verborgenen Wunderkerzen und Weihrauch einen Fabrikbrand oder einen

Vulkanausbruch.246

Hildegunst beschreibt in diesem Exzerpt, wie er eventuelle Textstellen seiner Erzählung

in seinem Büro, auf einer kleinen Bühne mit Marionetten etc., nachahmt. Auf diese

Weise kann er ermitteln, welche Variante seiner Idee am besten in das literarische

Ganze passt. Zusätzlich möchte ich hier noch ein weiteres Zitat erwähnen, das abermals

verdeutlicht, dass es sich bei der Metalepse zwar um eine metafiktionale Komponente

handelt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Erzählung, die Illusion des fiktiven Autors

dadurch eine Bruch erleidet. In diesem Zitat treffen wir wiederum auf eine

Mythenmetzsche Abschweifung. Hierin introduziert Hildegunst gleichzeitig auch eine

weitere selbst erfundene, literarische Technik, die er anschließend sogar erläutert.

Sie werden es wahrscheinlich schon längst bemerkt haben: es handelt sich nicht

um einen Waldgnom, sondern um einen Stollentroll. Warum nenne ich ihn dann

im Text die ganze Zeit Gnom und nicht Troll? Nein, das ist nicht unseriös,

sondern eine ganz legitime, übrigens ebenfalls von mir erfundene Technik, die ich

die Mythenmetzsche Ungewißheitsschürung nenne. Der Leser wird auf

nervenzerfetzende Weise im Ungewissen gehalten: Ist er’s, oder ist er’s nicht?

Erst mit dem stollentypischen ‚Kähähä!‘ wurde die kaum erträgliche Spannung

aufgehoben und der Leser aus dem Schwitzkasten der Mythenmetzschen

Ungewißheitsschürung entlassen.247

In diesem Zitat legt Hildegunst deutlich dar, wie diese Stelle der Erzählung aufgebaut

ist. Damit entblößt er zwar die literarischen Techniken, was beim Rezipient zu einem

Illusionsbruch führen könnte. Gleichzeitig beweist er damit jedoch auch seine

Könnerschaft bezüglich der Literatur und seine Verbundenheit mit dem Text an sich,

was gerade illusionsverstärkend wirkt. Die Illusion, der der Leser sich zu stellen bzw.

zu unterwerfen hat, ist also nicht diese der Hildegunst-Erzählung, das zamonische

245

Klimek: Paradoxes Erzählen, S.140 246

E&K, S.48 247

E&K, S.69

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Märchen Ensel und Krete, sondern diese, die von Moers kreiert wurde. Diese Illusion

wäre folgendermaßen zu perzipieren: ‚Hildegunst ist der Autor der ursprünglichen

Romane und ich, Moers, bin nur Übersetzer.‘ In Wirklichkeit ist Walter Moers natürlich

der Autor der Erzählung und ist Hildegunst eine Erfindung. Wäre nicht Moers, sondern

Hildegunst der wirkliche Autor der Erzählung gewesen, dann wäre Hildegunst somit in

seiner Funktion als Autor nicht mehr Teil des Erzählten und hätten wir es mit einer

Metalepse auf der Ebene des discours zu tun, was Klimek zufolge wohl zu einem

Illusionsbruch führt. Übrigens können dieselben Mythenmetzschen Abschweifungen in

E&K auch als metanarrative Elemente gesehen werden. Neumann und Nünning

definieren Metanarration nämlich folgenderweise: „metanarration refers to the

narrator’s reflections on the act or process of narration“248

und auf genau das treffen wir

auch in Hildegunsts Äußerungen in E&K. So lesen wir beispielsweise:

Ich bin’s wieder, Mythenmetz – jetzt möchten Sie sicher wissen, warum ich nur

noch »Brummli« schreibe, statt mit der Handlung fortzufahren, stimmt’s? Ich sage

Ihnen warum: Darum! Künstlerische Freiheit! Schiere Willkür! Avantgarde! […]

Ich kann soviel »Brummli« schreiben, wie es mir paßt, und Sie müssen es lesen,

wenn Sie wissen wollen wie es weitergeht: [an dieser Stelle wird das Wort

»Brummli« noch zigmal wiederholt] So, jetzt verstehen Sie vielleicht besser, wie

so ein totalitäres System funktioniert. Obwohl die Mehrheit der Leser dem Fluß

der Geschichte zu folgen wünscht, schaltet sich eine übergeordnete, nicht durch

freie Wahl legitimierte Macht ein [Hervorhebung von K.B.] und verordnet, daß

es nur noch »Brummli« zu lesen gibt. 249

Hildegunst beschreibt in diesem Zitat also genau wieso er was tut. Die Erklärungen sind

zwar nicht immer literarisch-technisch. Sie weisen jedoch deutlich auf die

unterschwelligen Motive des fiktiven Autors Hildegunst von Mythenmetz bei der Wahl

verschiedener literarischen Techniken hin, und können demnach als metanarrativ

angesehen werden. Klimek zufolge kommt es in metafiktionalen Romane also nicht

immer unbedingt zu Illusionsbrüchen. Die Metalepse kann auch für eine Bestärkung des

So-Tun-Als-Obs sorgen. Sie spricht diese Problematik, dass ‚Metafiktionisten‘ und

‚Postmodernisten‘ meinen eine Metalepse würde immer zu einem Illusionsbruch führen,

sogar an. Klimek meint: „Wie Wolf und McHale, so sieht auch Waugh (1993) alle

logikwidrigen ‚Ebenenwechsel‘ als Illusionsbrüche an, ohne dabei zu berücksichtigen,

dass die phantastischen Texte von der Leser-Wahrnehmung her einen solchen ‚Bruch‘

248

Neumann, Brigit & Nünning, Ansgar: Metanarration and Metafiction. Verfügbar: http://hup.sub.uni-

hamburg.de/lhn/index.php/Metanarration_and_Metafiction (besucht 03.05.2012) 249

E&K, S.61f.

Page 64: 1. Einleitung · 2012. 12. 5. · 1 1. Einleitung Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als

64

gar nicht in sich tragen – also auch gar nicht mehr illusionsstörend wirken.“250

Klimek

äußert sich zu Recht kritisch bezüglich Waughs Resultaten, da in deren Untersuchung

„nur realistische und metafiktionale Romane berücksichtigt“251

werden, und auf die

Fantasy-Literatur gar nicht eingegangen wird. Die Metalepse kann zwar zu den

metafiktionalen Konventionen gezählt werden. Damit ist jedoch nicht bewiesen, dass

sie in unterschiedlichen Genres und Typen von Romanen immer dieselbe Funktion hat.

Schließlich wird, Klimek zufolge, vom Leser ein Illusionsbruch nicht immer auch als

solcher perzipiert. Mythenmetzsche Abschweifungen wie: „Bitte denken Sie in Zukunft

mal ein bißchen über die gesellschaftliche Situation nach, bevor Sie sich wieder von

weltfremden Märchen einlullen lassen“252

weisen den Leser zwar darauf hin, dass er es

mit einem Artefakt zu tun hat. Da Hildegunst an sich eine fiktive Figur ist, wird seine

Rolle als Autor durch sein Eingreifen jedoch vor allem bestätigt, anstatt korrumpiert.

In dem zuletzt genannten Zitat aus E&K behauptet Hildegunst sich übrigens auch

als ‚übergeordnete, nicht durch freie Wahl legitimierte Macht‘, worauf ich nun in einem

Exkurs gerne näher eingehen würde. Diese Aussage ruft einem nämlich prompt den

Gedanken von dem Autor als der ‚sich selbst vergöttlichende Schöpfer‘ ins Gedächtnis,

was ein zentrales Konzept der Stürmer und Dränger war. „Der Geniekult der Stürmer

und Dränger hob den Dichter über das gewöhnliche Menschenmaß hinaus. Kunst war

nicht länger erlernbar (»Schädlicher als Beyspiele sind dem Genius Principen« -

Goethe), der Künstler schöpft aus dem ihm eigenen Genie.“253

Hier wird also bereits

deutlich, dass die Stürmer und Dränger das Genie als etwas Erhabenes sehen. Das Genie

hat eine Gabe, die man nicht erlernen kann. „Der Ausdruck ‚Genie‘, der zu einer

Kennzeichnung der gesamten bürgerlichen Oppositionsbewegung wird, bedeutet nichts

anderes, als die sich von allen Einengungen befreiende, gegen allen Zwang

rebellierende Individualität.“254

Das Genie will sich also von den sozial-

gesellschaftlichen und literarischen Konventionen absetzen. Es

250

Klimek: Paradoxes Erzählen, S.62 251

Klimek: Paradoxes Erzählen, S.62 252

E&K, S.52 253

Beutin, Wolfgang et al.: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Siebte

Auflage. Stuttgart. Weimar: J.B. Metzler Verlag 2008, S.158 254

Veeser, Caroline: „Der Genie-Gedanke in der deutschen Literatur des Sturm und Drang und der

Romantik und seine Verwirklichung in Robert Schneiders Schlafes Bruder und Christa Wolfs Der

Schatten eines Traumes. Diplomarbeit. http://www.grin.com: GRIN Verlag 2006, S.38

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65

konzipiert sich […] als naturgegebene ‚schöpferische Kraft‘, die sich durch

Spontaneität, Intensität und Originalität seiner Empfindungen auszeichnet. Damit

steht es in enger Verbindung zum weltanschaulichen Zentralbegriff des Sturm und

Drang: zur Natur. Der die Natur ‚nachahmende‘ Künstler ist keiner, der Natur

wiederholt (‚natura naturata‘), sondern der analog zur Natur produziert (‚natura

naturans‘).255

Dass Mythenmetz die Natur nicht nachahmt, sondern selbst produziert bzw. als

Inspiration nutzt, merken wir vor allem an seinen metanarrativen und metaleptischen

Kommentaren in E&K. So erfahren wir z.B.

Will ich eine Schlachtszene beschreiben, brauche ich nur einen Tropfen meines

eigenen Blutes unter das Okular zu legen: Das Gemetzel, das Blutkörperchen,

Bakterien und Antikörper darin veranstalten, läßt die legendäre Schlacht im

Nurnenwald zu einer harmlosen Schlägerei verkümmern. Für ein Gebirge genügt

mir ein Brotkrümel, will ich eine Unterseewelt voller vorzeitlicher Ungeheuer

beschreiben, reicht eine Pipette voll Wasser.256

Hildegunst sieht die natürlichen Ereignisse und Elemente als Hilfe bei seinen eigenen

literarischen Beschreibungen. In den Zamonien-Romanen kommt der Genie-Gedanke

also insbesondere durch Hildegunst von Mythenmetz, aber auch durch das ‚Orm‘ zur

Äußerung. Übrigens finden wir dieselbe Idee der natura naturans auch bei Immanuel

Kant, in Kritik der Urteilskraft: „Genie ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst

die Regel gibt. Da das Talent, als angeborenes produktives Vermögen des Künstlers,

selbst zur Natur gehört, so könnte man sich auch so ausdrücken: Genie ist die

angeborene Gemütslage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die Regel

gibt.“257

Auch auf dem Kontinent Zamonien scheint ‚Genie‘ angeboren bzw. doch

zumindest ‚Arten-abhängig‘ zu sein. Hildegunst gehört der Art der Lindwürmer an und

er ist „wie alle Bewohner der Lindwurmfeste, ein literarisch begabter

[Hervorhebungen von K.B.], aufrecht gehender Nachfahre derjenigen zamonischen

Dinosaurier, die aus dem Loch Loch stammen. […] [F]ast alle der in der Feste

lebenden Saurier [sind] praktizierende Literaten mit einer angeborenen Neigung

zu handwerklicher Gründlichkeit.“258

Die Gruppe der Lindwürmer scheint also ein

angeborenes literarisch-handwerkliches Talent in sich zu tragen, was ich an dieser Stelle

nicht nur mit dem Genie-Gedanken verknüpfen möchte, sondern was auch an eine

255

Information bezüglich einer Literaturvorlesung an der Universität Duisburg & Essen. Verfügbar

http://www.uni-due.de/einladung/Vorlesungen/literaturge/sturmdrang.htm (17.04.2012 besucht) 256

E&K, S.50 257

Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. Hamburg: Meiner Verlag 2009, S.193 258

E&K, S.232

Page 66: 1. Einleitung · 2012. 12. 5. · 1 1. Einleitung Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als

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vorherige Bemerkung bezüglich Hildegunst als ‚Handwerker und kreativem Schöpfer‘

erinnert. Die angeborene künstlerische Gabe, also quasi die ‚Veranlagung‘ des Genies,

findet seine ‚zamonische‘ Übersetzung auch in dem Konzept des ‚Orms‘, was

Hildegunst als eine der sieben Grundtugenden des Dichters anführt.

Orm, das ist die Kraft, die einen die ganze Nacht wie im Fieber schreiben, einen

tagelang an einem einzigen Satz feilen, einen das Lektorat eines

dreißigtausendseitigen Romans lebend überstehen läßt. Orm, das sind die

unsichtbaren Dämonen, die um den Dichter tanzen und ihn auf seine Arbeit

bannen. Orm, das ist der Rausch und das Brennen.259

Das Orm ist also „eine Art mysteriöse Kraft, die manche Dichter in Augenblicken

höchster Inspiration durchströmen soll.“260

Auch Hildegunst möchte natürlich ‚Zugang

zum Orm‘ erlangen. Dafür geht er beim Schattenkönig, dem Homunkoloss261

, dem

schrecklichen Herrscher des unterirdischen Labyrinths von Buchhaim, in die Lehre262

.

Dank dem Homunkoloss kann Hildegunst am Ende von DSdTB schließlich auch das

Orm erreichen.

„Jeder kann schreiben“, sagte [Homunkoloss]. „Es gibt welche, die können ein

bißchen besser schreiben als die anderen – die nennt man Schriftsteller. Dann gibt

es welche, die besser schreiben können als die Schriftsteller. Die nennt man

Dichter. Und dann gibt es noch Dichter, die besser schreiben können als andere

Dichter. Für die hat man noch keinen Namen gefunden. Es sind diejenigen, die

einen Zugang zum Orm haben. […] Die kreative Dichte des Orms ist

unermeßlich. Es ist ein Quell der Inspiration, der nie versiegt – wenn man weiß,

wie man dorthin gelangt“263

Die Veranlagung formt also die Basis, ist jedoch keine Garantie für Erfolg, denn wie

der Schattenkönig weiter berichtet kann das Orm nur ‚gelesen’ und genutzt werden,

wenn man das ‚Alphabet der Sterne‘ beherrscht. „Es ist ein Alphabet, aber es ist auch

ein Rhythmus. Eine Musik. Ein Gefühl.“264

Es ist „nicht vermittelbar“265

. Jemand wie

Perla La Gadeon266

„hatte das Alphabet […] schon im Blut, als er geboren wurde. Der

259

E&K, S.42-43 260

DSdTB, S.20 261

Hier möchte ich auf die frappante Intertextualität mit Goethes‘ Homunculus (Faust, zweiter Teil,

zweiter Akt) hinweisen. Vgl. von Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Eine Tragödie. München: C.H. Beck

Verlag 2005, S.209ff. 262

Dieses ‚in die Lehre gehen‘, erinnert, insbesondere bezüglich DSdTB, aber auch bezüglich DLdTB, an

den Bildungsroman, worauf ich im nächsten Kapitel mehr eingehen werde. 263

DSdTB, S.393 264

DSdTB, S.393 265

DSdTB, S.394 266

Anagramm für Edgar Allan Poe.

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war so begnadet, daß er daran gestorben ist.“267

Das Orm kann also nur begriffen bzw.

richtig angewandt und gelenkt werden, wenn man auch Einblick in das Alphabet der

Sterne hat, welches jedoch nicht vermittelt werden kann. Das Orm, in Kombination mit

dem Alphabet der Sterne, kann also als ein Äquivalent für die Naturgabe und den Fleiß

des Künstlers unserer Wirklichkeit gelten. Anschließend an die Definition des Genies

bei den Stürmern und Drängern und der Beschreibung des Orms in Kombination mit

dem Alphabet der Sterne, kann man demnach konstatieren, dass Moers mit Hildegunst

den Prototypen eines Genies reproduziert hat. Ironisch in dieser Hinsicht ist jedoch,

dass Hildegunst zwar alles tut, um sich von den Regeln und der Allgemeinheit

abzusetzen und den literarischen Rebellen zu spielen, so lässt er z.B. erstmals in der

zamonischen Literaturgeschichte eine Erzählung positiv enden oder greift er über die

Mythenmetzschen Abschweifungen direkt in die Erzählung ein, womit er den Lesefluss

verstört. Gleichzeitig hält er sich dennoch wohl an gewisse Regeln, wie seine

Aufzählung der sieben Grundtugenden eines Dichters beweist. Die erste Tugend, die er

erwähnt, ist Furcht. Mythenmetz erläutert: „Nur der Furchtsame ist zu Großem befähigt,

der Furchtlose kennt keinen Antrieb und verliert sich im Müßiggang.“268

. Über die

nächste Tugend, ‚Mut’, lesen wir folgendes: „Man braucht Mut um den Fährnissen der

literarischen Unternehmung standzuhalten, als da sind: Schreibhemmung, unsensible

Lektoren, zahlungsunwillige Verleger, gehässige Kritiker, niedrige Verkaufszahlen,

ausbleibende Preise usw.“269

. Auch ‚Vorstellungskraft‘ scheint für einen Künstler eine

Voraussetzung zu sein: „Es gibt genügend zamonische Schriftsteller, die sehr gut ohne

diese Tugend durchkommen, man erkennt sie daran, daß ihre Werke vorwiegend um sie

selbst kreisen oder von aktuellen Ereignissen handeln.“270

Bei dieser Eigenschaft

können wir bezüglich Hildegunst übrigens von Selbstironie reden, schließlich handelt

DSdTB und DLdTB ausschließlich von seinen eigenen Erlebnissen. Auch in E&K fällt,

durch seine Mythenmetzschen Abschweifungen, wessen Denomination er sogar nach

sich selbst benannt hat, stark auf, dass er gerne im Mittelpunkt steht. Die vierte Tugend,

das Orm, habe ich weiter oben bereits dargelegt. Die nächsten Tugenden auf

Hildegunsts Liste sind ‚Verzweiflung‘ („Der Humus, der Torf, der Kompost der

267

DSdTB, S.394 268

E&K, S.42 269

Ebd. [Hier dürfte einem übrigens auch die erneute Kritik am heutigen Literaturbetrieb auffallen.] 270

Ebd.

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68

Literatur […]. Zweifel an der Arbeit, an den Kollegen, am eigenen Verstand, an der

Welt, am Literaturbetrieb, an allem.“271

) und Verlogenheit: „Ja, sehen wir der Sache

ruhig ins Gesicht: Alle gute Literatur lügt. Beziehungsweise: Gute Literatur lügt gut,

schlechte Literatur lügt schlecht – aber die Unwahrheit sagen beide.“272

Auch mit dieser

letztgenannten Grundtugend macht Hildegunst eine interessante Aussage. In Käpt’n

Blaubär, dem ersten Zamonien-Roman, wurde nämlich bereits erwähnt, dass

„Schriftsteller […], abgesehen von Politikern, die besten Lügner [sind]“273

. Durch

solche Zitate wird meiner Ansicht nach insinuiert, dass es sich bei Hildegunsts phantom

pre-text womöglich um ‚zamonische‘ Fiktion handeln könnte, was somit die

Glaubwürdigkeit von DSdTB und DLdTB als ‚authentische‘, zamonische biographische

Romane untergraben würde. Die siebte und letzte Tugend, ‚Gesetzlosigkeit‘, weist

wiederum direkte Parallelen mit dem Genie-Gedanken der Stürmer und Dränger auf.

Hildegunst meint hierin nämlich:

[…] [D]er Dichter gehorcht keinen Gesetzen, nicht einmal denen der Natur. Frei

von allen Fesseln muß sein Schreiben sein, damit seine Dichtung fliegen kann.

Gesellschaftliche Gesetze sind ebenfalls verpönt, besonders die von Anstand und

Sitte. Und auch moralischen Gesetzen darf sich der Dichter nicht unterwerfen,

damit er gewissenlos das Werk seiner Vorgänger plündern kann –

Leichenfledderer sind wir alle.274

Hildegunst sieht den Dichter, und somit auch sich selbst, anscheinend als eine Art

literarischen Rebellen, der sich von nichts und niemandem beeinflussen lassen sollte,

auch nicht von der Natur. Der Dichter erhält seine Gabe, sein Talent, zwar von der

Natur, darf sich von ihr jedoch nicht einschränken lassen.

Das Konzept des Mythenmetzschen Dichters in den Zamonien-Romanen könnte

zusätzlich an dieses des ‚unverstandenen, unangepassten Künstler‘ gekuppelt werden,

was auch schon von dem Satz „Frei von allen Fesseln muß sein Schreiben sein, damit

271

E&K, S.43 272

Ebd. 273

Käpt’n Blaubär, S.534 274

E&K, S.43 [In diesem Zitat ist übrigens auch der letzte Satz („Und auch moralischen Gesetzen darf

sich der Dichter nicht unterwerfen, damit er gewissenlos das Werk seiner Vorgänger plündern kann –

Leichenfledderer sind wir alle.“) sehr auffällig. Er erinnert nämlich an das Konzept der Intertextualität

und insbesondere an das Modell der Intertextualität, das Renate Lachmann ‚Transformation‘ nennt. Sie

meint damit „eine über Distanz, Souveränität und zugleich usurpierende Gesten sich vollziehende

Aneignung des fremden Textes, die diesen verbirgt, verschleiert, mit ihm spielt, durch komplizierte

Verfahren unkenntlich macht, respektlos umpolt, viele Texte mischt, eine Tendenz zur Esoterik, Kryptik,

Ludismus und Synkretismus zeigt.“ [Lachmann, Renate: Gedächtnis und Literatur. Intertextualität in der

russischen Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1990, S.39]]

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seine Dichtung fliegen kann“ im vorigen Zitat angedeutet wurde. Insbesondere das

‚Fliegen der Dichtung‘ weist einen intertextuellen Bezug zu Baudelaires Gedicht

„L’Albatros“ aus seinem berühmten Werk Fleurs du mal auf. Darin heißt es nämlich:

Le Poète est semblable au prince des nuées

Qui hante la tempête et se rit de l'archer;

Exilé sur le sol au milieu des huées,

Ses ailes de géant l'empêchent de marcher.275

Hildegunst ist der geniale, unverstandene Schriftsteller bzw. literarische Künstler, der

durch das Orm und das Alphabet der Sterne ‚höhere Gefilde‘ erreichen kann.

Gleichzeitig zieht der Reichtum, die Arroganz und die eigene Sterblichkeit276

ihn jedoch

auch wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. In DSdTB verlässt der junge

Hildegunst die Lindwurmfeste und versucht alles hinter sich zu lassen. Er begibt sich

auf ein Abenteuer, das ihn in die Katakomben von Buchhaim führen wird. Während der

ganzen Erzählung scheint er als Fremdkörper in seiner Umgebung zu fungieren. Auf der

Lindwurmfeste, seinem Zuhause, hat er noch nichts veröffentlich und kann sich

demnach noch keinen ‚praktizierenden‘ Literaten nennen. In Buchhaim erscheint er

allein schon durch seine Naivität und Provinzialität sozial-gesellschaftlich unangepasst.

Er scheint die Rolle des künstlerischen Außenseiters gut auszufüllen. In der Fortsetzung

von DSdTB, DLdTB, erfahren wir außerdem, dass er sich, nach einigen großen

literarischen Erfolgen, schließlich gänzlich von der Außenwelt verabschiedet hat und zu

der Lindwurmfeste zurückkehrt.

Es war eine Flucht vor dieser ins Monströse gewachsene Popularität, vor meinem

bizarren Erfolg und meinen verrückten Verehrern, als ich mich entschloss, nach

langen Jahren der ruhelosen Wanderschaft und etlichen Abenteuern für eine Weile

auf die Lindwurmfest zurückzukehren, um mich dort ein wenig auf meinen

275

Baudelaire, Charles : „ L’Albatros“ aus Fleurs du mal. Verfügbar : http://fleursdumal.org/poem/200.

14.05.2012 besucht 276

Siehe zum Thema ‚Sterblichkeit‘ auch die Zeichnung auf Seiten 156 und 157 in DLdTB. Hierauf sehen

wir Hildegunsts Freund Kibitzer, der von einigen memento mori-Gegenständen umringt wird, z.B. die

Sanduhr, die Taschenuhr, der Totenkopf, die verloschene Kerze und der ‚Sensenmann‘. Gleichzeitig kann

diese Abbildung übrigens auch als eine Parodie auf die Kunst perzipiert werden, wo, vor allem während

des Mittelalters, oftmals ähnliche memento mori-Objekte genutzt wurden um den Gedanken der

Sterblichkeit anzudeuten. Oftmals waren diese jedoch gut versteckt und nur vereinzelt, also nicht in

diesem Maße wie in unserer Zeichnung, anwesend. Der Gedanken der Sterblichkeit wird hier scheinbar

mit dem humanistischen Ideal der Ausbildung und der intellektuellen Selbstverwirklichung aus der

Renaissance kombiniert, da Kibitzer von Büchern umringt ist. Meiner Ansicht nach, wird hierdurch vor

allem Kibitzers Gelehrtheit angedeutet. Die memento mori weisen auf seinen zukünftigen Tod hin.

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Lorbeeren auszuruhen. […] Auch darum – Sehen wir der Sache ins Gesicht,

meine geliebten Freunde -, der Öffentlichkeit und meinen Artgenossen auf der

Feste eine Rückkehr zu meinen Wurzeln vorzutäuschen [Hervorhebung von

K.B.]: Auf dem Zenit seiner Karriere kehrt der verlorene Sohn heim, um unter

bescheidensten Verhältnissen demütig sein titanisches Werk fortzusetzen, im

beengten Häuschen seines über alles geliebten Dichtpaten. Nichts war weiter von

der Wahrheit entfernt. Niemand in ganz Zamonien hatte zu dieser Zeit weniger

Bodenhaftung als ich. Und niemand lebte dekadenter und zielloser in den Tag

hinein, ohne sich um seine kulturelle Aufgabe und dichterische Disziplin zu

scheren.277

Moers hat hier deutlich einige humoristische Anspielungen bezüglich der

Zurückgezogenheit, die meist mit dem exzentrischen, genialen und armen Künstler

verbunden wird, integriert. Hildegunst von Mythenmetz kann in Moers‘ Romanen

demnach als unangepasstes Genie gelten, dass jedoch auch mit der eigenen

literarischen, auktorialen Glaubwürdigkeit spielt, was seine Zuverlässigkeit als Erzähler

zur Debatte stellt. Ist er ein Lügner, wie ‚alle Schriftsteller‘, was in Käpt’n Blaubär

behauptet wird und was Hildegunst sogar als eine der sieben Grundtugenden eines

Dichters andeutet? Und perzipieren wir seine phantom pre-texts dadurch automatisch

als Fiktion? Die Figur Hildegunst von Mythenmetz bleibt, meiner Ansicht nach,

während des Verlaufs von DSdTB und DLdTB, weiterhin das Fleisch gewordene Genie,

der literarische Rebell, der sich von den literarischen Konventionen absetzen will, der

die Mythenmetzsche Abschweifung und die Mythenmetzsche Ungewißheitsschürung

introduziert und persönlich in die Erzählung eingreift, was seine Rolle als Autor auf der

Ebene der histoire bestätigt. Gleichzeitig stellt er jedoch auch seine eigene

Glaubwürdigkeit und in diesem Sinne auch sich selbst als reale Entität in Frage. Die

Autorschaft in den Zamonien-Romanen ist demnach komplizierter als sie auf den ersten

Blick erscheinen mag. Auffällig ist allerdings auch der parodistische Ansatz, den Moers

wählt, um Hildegunst als das ‚unverstandene, sich selbst exilierende‘ Genie

darzustellen. Die Parodie als metafiktionale Komponente werde ich in einem eigenen

Kapitel ausführlicher besprechen.

Zuletzt möchte ich noch auf eine Besonderheit der Figur Hildegunst von

Mythenmetz hinweisen, nämlich seine Verselbstständigung in der Öffentlichkeit.

Hiermit geht Moers bezüglich der Übersetzerfiktion noch einen Schritt weiter. Wie ich

in dem Kapitel „Walter Moers als Autor“ etabliert habe, nimmt Moers einen ständig

277

DLdTB, S.15

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größer werdenden auktorialen Abstand von seinem geistigen Eigentum, indem er

Hildegunst zum Autor von DSdTB, DLdTB und E&K befördert. Bei DS wird dieser

Abstand sogar weiter vergrößert, da der ‚ursprüngliche‘ Text mutmaßlich von Gofid

Letterkerl kreiert, und dann von Hildegunst übersetzt und bearbeitet wurde. Dieser

Mythenmetzsche Roman wurde anschließend von Moers selbst nochmals bearbeitet und

übersetzt. Die Illusion der ‚realen‘ Mythenmetzschen Autorschaft findet seine

Kulmination jedoch darin, dass Hildegunst sozusagen aus der Fiktion heraus und in die

Öffentlichkeit hinein tritt. Es kommt zu einem Aufeinandertreffen zwischen Fiktion und

Realität. In „Drachengespräche“278

, einem Interview mit dem ZDF, stellt Hildegunst

von Mythenmetz sich ‚live‘ der Öffentlichkeit. „Er behauptet[…] [darin], er sei durch

ein Dimensionsloch in unsere Welt und Zeit gereist und er stehe für Interviews zur

Verfügung.“279

Wie ich in dem letzten Exkurs bezüglich der Figur Hildegunst von

Mythenmetz bereits festgestellt habe, bleiben manche Fragen im Zusammenhang mit

seiner Glaubwürdigkeit als Autor und Figur offen und auch im Interview wird folgendes

behauptet: „[…] Mythenmetz ist bekannt dafür, dass er ein Meister darin ist, seine

Lebensumstände zu verschleiern, falsche Spuren zu legen und die richtigen zu

verwischen.“280

Was hat diese Konstatierung nun aber, wenn überhaupt, mit Metafiktion

zu tun? Wie ich bereits festgestellt habe, ist Metafiktion Fiktion über Fiktion. Der

Skelettbau der Narration wird bloßgelegt, wodurch der Leser mit dem Rahmen, dem

Konstrukt der Erzählung konfrontiert wird. Dadurch erleidet die Illusion entweder einen

Bruch, man wird sich der linguistic condition bewusst, oder die Illusion wird auf einer

histoire-Ebene, wie bei den Mythenmetzschen Abschweifungen, sogar bestärkt.

Bezüglich Hildegunst von Mythenmetz habe ich bereits ermittelt, dass seine Rolle als

mutmaßlicher Autor von DSdTB, DLdTB und E&K durch metafiktionale Elemente eher

bestärkt als untergraben wird. Er profiliert sich nämlich gerade durch sein Eingreifen in

die Erzählung als ‚wirklicher‘ Autor. Meiner Ansicht nach schließt sich das ‚In die

Öffentlichkeit treten‘, wie er es in dem Interview tut, diesem illusionsbestärkendem

Konzept an und liegt also mit dem Effekt der histoire-Metalepse in einer Linie.

278

Zeilmann, Achim: „Drachengespräche Hildegunst von Mythenmetz“ (Teil 1 von 2). ZDF „aspekte“.

Drehbuch: Walter Moers. Deutschland 2007. Verfügbar

http://www.youtube.com/watch?v=E3JwEVYcGBk besucht 14.05.2012 279

Zeilmann: „Drachengespräche“ (Teil 1 von 2), (1’44 min) 280

Zeilmann: „Drachengespräche“ (Teil 1 von 2)

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Zusammenfassend zu diesem Kapitel möchte ich demnach behaupten, dass das

Konzept des fiktionalen Autors in Kombination mit der Übersetzerfiktion, dem

autobiographischen Pakt, dem phantom pre-text und der Metalepse nicht nur dafür

sorgt, dass der Modell-Leser, im metafiktionalen Sinne, den Erzähltext als Artefakt

erkennt. Gerade durch dieses Bloßlegen des narratologischen Gerüsts kann das So-Tun-

Als-Ob beim Leser auch unterstützt werden, da Hildegunsts Rolle als Autor gerade

hierdurch bestätigt und also bestärkt wird. Durch diese Feststellung kann man sich nun

auch Fragen stellen bezüglich des Effekts der Metafiktion innerhalb der

unterschiedlichen Genres. Ist die Funktion bzw. der Effekt der Metafiktion abhängig

vom Genre? Kann Metafiktion nun auch als Bestätigung einer Fiktion anstatt einer

Untergrabung angewandt werden? Da die Effekte einer literarischen Technik ein sehr

subjektives Unterfangen sind, kann ich hier nur die unterschiedlichen Möglichkeiten

widergeben, und den letztendlichen Effekt natürlich nicht einfach bestimmen. Es liegt

dennoch nahe, dass, wie Klimek meint, die Metalepse auf der Ebene der histoire eher

illusionsbestärkend als illusionsuntergrabend wirkt und dass Moers alles daran tut,

Hildegunst als Autor der Erzählung zu etablieren. Verschiedene literarische Aspekte,

wie der autobiographische Pakt von Lejeune, das referentielle Ich, der phantom pre-text,

Mythenmetzsche Abschweifungen und sogar Hildegunsts Gleichnis mit dem Genie der

Stürmer und Dränger, sorgen letztendlich dafür, dass der Leser das Skelett der

Erzählung zwar erkennt. Dieses Bloßlegen der Strukturen verursacht, meines Erachtens,

jedoch vorwiegend das Bestärken der Illusion von ‚Hildegunst von Mythenmetz als

Autor‘.

3.1.4. Die Stadt der Träumenden Bücher & Das Labyrinth der Träumenden

Bücher als ‚Bildungs- und Entwicklungsromane‘

In dem vorigen Kapitel habe ich bereits erwähnt, dass DSdTB und DLdTB gewisse

Komponenten eines Bildungs- und Entwicklungsromans281

aufweisen. Ortrud Gutjahr

zufolge wird in diesen die

281

Kontje behauptet nämlich, dass eine eindeutige Definition des Konzepts ‚Bildungs- und

Entwicklungsroman‘ nicht möglich ist. In anderen literaturgeschichtlichen Werken, wird hauptsächlich

die Denomination ‚Bildungs- und Entwicklungsroman‘ hantiert. Sie erscheint mir selbst auch weniger

einschränkend.

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Entwicklungsgeschichte eines jugendlichen Protagonisten bis ins

Erwachsenenalter hinein als Weg der Selbstfindung und zugleich sozialen

Integration [erzählt]. Der Bildungsgang gleicht dabei einem Reifungsprozess, bei

dem natürliche Anlagen in einem gesellschaftlichen Umfeld über Konflikt- und

Krisenerfahrungen zur Ausbildung gelangen. […] Nach den Kinder- und

Jugendjahren unter spezifisch häuslichen Bedingungen und

Erziehungsforderungen folgen Jahre der Welterkundung, in denen es durch

Wanderschaft oder Reisen zur Begegnung mit bisher unbekannten

soziokulturellen Kontexten kommt.282

Zwischen Gutjahrs Definition und dem Verlauf von DSdTB und DLdTB gibt es klare

Parallelen. So berichtet uns Hildegunst zu Beginn von DSdTB: „Jede Reise hat ihren

Anlaß, und meiner hat mit Überdruß und jugendlichem Leichtsinn zu tun, mit dem

Wunsch, aus den gewohnten Verhältnissen auszubrechen und das Leben und die Welt

kennenzulernen.“283

Der junge Lindwurm will sich nach dem Tode seines Dichtpatens,

der ihn bis jetzt literarische geschult hatte, von seinen jugendlichen und häuslichen

Fesseln befreien. Er begibt sich dafür auf den Weg nach Buchhaim, wo er auf neue

Freunde trifft, wo er aber auch vielen Gefahren trotzen muss. Bei Das Labyrinth der

Träumenden Bücher scheint es sich, Hildegunst selbst zufolge, anfangs nicht unbedingt

um einen Bildungsroman zu handeln. In dem folgenden Zitat verweist er allerdings

darauf, dass DSdTB tatsächlich als ein Bildungs- und Entwicklungsroman gesehen

werden kann.

Es gab Dutzende von triftigeren Gründen für meine Reise! Überdruss, Reiselust,

Langeweile, Höhenkoller, Übergewicht, und außer Bequemlichkeit gab es kein

einziges Argument dafür, zur Lindwurmfeste zurückzukehren. Dies war nicht die

kopflose Flucht eines Jünglings ins Ungewisse, so wie damals [Hervorhebungen von K.B.]. Beim Orm, ich war immerhin Hildegunst von

Mythenmetz! Ein gestandener Schriftsteller mit solider Karriere, und ich hatte das

Ziel meiner Reise schon einmal ausgiebig erkundet. […] Dies hier war doch nur

ein Spaziergang, eine biographische Fußnote. Eine Forschungsreise. Kleine

Recherche. Luftveränderung. Ein Spaß. Und diesmal würde ich den

jugendlichen Übermut durch Erfahrung und Reife ersetzen. Auf keinen Fall

blauäugig in jede ausgelegte Falle tappen, wie der Grünschnabel von vor

zweihundert Jahren.284

DLdTB kann nichts desto trotz als eine Beschreibung eines Lebensweges gesehen

werden, auf dem Hildegunst erst auf Freundschaft und bestimmte ‚soziokulturelle

Kontexte‘ trifft, so kommt es z.B. zu einem Wiedersehen mit Kibitzer und Inazea

282

Gutjahr, Ortrud: Einführung in den Bildungsroman. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft

2007, S.8 283

DSdTB, S.11 284

DLdTB, S.31-32

Page 74: 1. Einleitung · 2012. 12. 5. · 1 1. Einleitung Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als

74

Anazazi, und freundet er sich in einem Qualmoir285

mit Ovidios von Versschleifer an.

Auch das neue Buchhaim an sich, mit dem Puppetismus, den begehbaren Katakomben

und allen Kreaturen, die sich inzwischen in der Stadt eingefunden haben, kann man

leicht in diesen Begriff des ‚soziokulturellen Kontextes‘ von Gutjahr eingliedern.

DLdTB endet schließlich mit einem deutlichen cliffhanger: Hildegunst befindet sich

abermals einsam, verraten und verlassen in der Dunkelheit der Katakomben. Da Moers

den Roman “aus Gründen seines Umfangs und seiner Komplexität in zwei Bücher

aufteilen“286

musste, kann man eventuell davon ausgehen, dass der zweite Teil die

letztendliche ‚Selbstfindung‘ und ‚soziale Integration‘ von Mythenmetz enthalten

wird287

.

Außerdem scheint auch Hildegunsts ‚intellektueller Wachstum‘ mit dem

Bildungs- und Entwicklungsroman zusammen zu hängen. In dem Zitat von Gutjahr

wurde bereits erwähnt, dass der Bildungsgang dem Reifungsprozess gleichgestellt

werden kann. Bei Lahn & Meister ist zusätzlich die Rede von der „Kindheit und Jugend

des Helden [,die] einen Läuterungsprozess vor[bereiten], der dem Protagonisten

schließlich kritische Selbstkenntnis und damit den Übergang in das reife

Erwachsenenalter ermöglicht.“288

In meiner Bachelorarbeit habe ich bezüglich

desselben Phänomens bereits erläutert, dass Hildegunst

„[d]iesen „Läuterungsprozess“ […] sicherlich beim Schattenkönig, zuvor jedoch

schon bei den Buchlingen [findet], wo er sich selbst einen „Buchlehrling“289

nennt

[Er entdeckt den Läuterungsprozess jedoch auch schon] früher […] bei seinem

Dichtpaten, Danzelot von Silbendrechsler, der ihn literarisch schult und ihm damit

wichtiges Wissen mit auf den Weg gibt.“290

Der Bildungs- und Entwicklungsroman kann jedoch zusätzlich auch als eine

metafiktionale Komponente gesehen werden, was Todd Kontje in seinem Werk Private

Lives in the Public Sphere: The Geman Bildungsroman as Metafiction bereits etabliert

hat. Hierin stellt er fest, dass „most protagonists of these texts [...] avid readers

[Hervorhebungen von K.B.] [sind]. [...] Moreover, most of these characters engage in

some form of artistic production themselves, whether it be as writers, actors, or painters.

285

DLdTB, S.85ff 286

DLdTB, S.429 287

Wobei Todd Kontje sagt, dass Bildungsromane keineswegs immer so enden müssen. Vgl. Kontje:

Private Lives in the Public Sphere, S.12ff 288

Lahn & Meister: Einführung in die Erzähltextanalyse, S.222f 289

DSdTB, S.276 290

Blondeel: „Multiple Adressiertheit“, S.30

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75

Direct commentary on the contemporary cultural scene often plays an important role

in these texts as well [...].”291

Übrigens kann diese Aussage auch mit Waughs Zitat auf

Seite 14 dieser Magisterarbeit verknüpft werden. Sie meint nämlich, dass es sich bei

dem metafiktionalen Roman um „a fictional form that is culturally relevant and

comprehensible to contemporary readers“292

handelt. Der metafiktionale Roman ist

aktuell und selbst-kritisch. Kontjes Aussage trifft deutlich auch für Hildegunst zu.

Tatsächlich scheint das Lesen und das literarische Leben auf der Lindwurmfeste sogar

zur Tagesordnung zu gehören, denn

[w]enn ein junger Lindwurmfestebewohner ins lesereife Alter eintritt, bekommt er

von seinen Eltern einen sogenannten Dichtpaten zugeordnet. Das ist meist eine

Person aus der Verwandtschaft oder dem engeren Freundeskreis, welche von

diesem Augenblick an für die schriftstellerische Erziehung des jungen

Dinosauriers verantwortlich ist. Der Dichtpate bringt dem Zögling Lesen und

Schreiben bei, führt ihn an die zamonische Dichtkunst heran, gibt

Lektüreempfehlungen und lehrt ihn das Schriftstellerhandwerk. Er hört ihm

Gedichte ab und bereichert seinen Wortschatz - und so weiter und so fort, lauter

Maßnahmen also, die für die künstlerische Entwicklung seines Patenkindes

nützlich sind.293

Hildegunst von Mythenmetz ist außerdem damit beschäftigt selbst irgendwann ein

erfolgreicher Schriftsteller zu werden. Dafür geht er auf die Suche nach dem Urheber

eines genialen Manuskripts über das horror vacui, die Angst vor dem leeren Blatt.

Dieses mutmaßlich literarische Genie soll „den leeren Platz [s]eines [verstorbenen]

Dichtpaten ersetzen und [s]ein Lehrmeister werden“294

. Mit seinen eigenen literarischen

Neigungen konfrontiert Hildegunst den Leser jedoch auch mit dessen ‚lesender‘

Tätigkeit. Der ‚avid reader‘ innerhalb des Erzähltextes spiegelt sozusagen das Lesen

vom Leser wider. Hierdurch wird der Leser sich von seiner eigenen Tätigkeit bewusst.

Es handelt sich bei dem Bildungs- und Entwicklungsroman in dieser Form also auch um

self-conscious fiction, und einen metafiktionalen Roman. Auch Aussagen, die sich bei

Kontjes Zitat bezüglich der ‚contemporary cultural scene‘ anschließen, gibt es zuhauf.

So finden wir z.B. eine sehr ausführliche Auflistung der Läden, Handwerke und

Techniken, die sich in Buchhaim mit Büchern und Literatur befassen. Das folgende

Zitat soll als kleiner Einblick in diesen Teil gelten. „In Buchhaim existierten über

291

Kontje: Private Lives in the Public Sphere, S.5-6 292

Waugh: Metafiction, S.18 293

DSdTB, S.12 294

DSdTB, S.30

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sechshundert Verlage, fünfundfünfzig Druckereien, ein Dutzend Papiermühlen und eine

ständig wachsende Anzahl von Werkstätten, die sich mit der Herstellung von bleiernen

Druckbuchstaben und Druckerschwärze beschäftigte.“295

Die Stadt Buchhaim wird

demnach deutlich mit dem Literaturbetrieb und der Literatur an sich identifiziert. So

meint auch Hildegunst:

Endlich blieb ich an einer Kreuzung stehen, drehte mich noch einmal um die

eigene Achse und zählte dabei die Buchläden, die sich in den abgehenden Straßen

befanden: es waren einundsechzig. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Hier

schienen Leben und Literatur identisch zu sein, alles kreiste um das gedruckte

Wort.296

Hildegunst informiert uns außerdem noch über andere kulturelle Ereignisse, z.B. das

Trompaunenkonzert297

und die Katakomben von Buchhaim298

. Die contemporary

cultural scene, die in unserem Falle an die Literatur und den Literaturbetrieb an sich

gelinkt wird, wird in DSdTB also stark hervorgehoben und weist den Leser auch auf

dessen eigene kulturelle Umgebung hin.

In DLdTB, der Fortsetzung von DSdTB, ist Hildegunst bereits ein etablierter

Schriftsteller. Er meint: „[Ich war] zu jener Zeit, als diese Geschichte begann, schon der

größte Dichter Zamoniens […].“299

Aussagen bezüglich der contemporary cultural

scene finden wir u.a. in den Kommentaren bezüglich des Puppetismus300

. An sich ist es

natürlich nicht verwunderlich, dass wir in beiden Romane auf Bücher und

buchbezogene Handwerke treffen, schließlich zielen die Titel (Die Stadt der

Träumenden Bücher, Das Labyrinth der Träumenden Bücher) ja eindeutig darauf ab.

Wichtig ist allerdings, dass die contemporary cultural scene oftmals mit einer kritischen

Aussage bezüglich des Verschwindens der Bücher oder der Entfremdung ihrer

eigentlichen Funktion verbunden wird. Am Ende dieses Kapitels gehe ich deswegen

auch näher auf diese Problematik ein.

Zurückkehrend zu DLdTB fällt auf, dass sich in Buchhaim nun anscheinend sogar

verschiedene Leute bzw. Kreaturen anhand der Literatur definieren, oder besser, von ihr

und durch sie definiert werden. Der ‚Biblionismus’ bestimmt die ‚literarische Identität‘

295

DSdTB, S.31 296

DSdTB, S.41 297

DSdTB, S. 119 298

Vgl. DSdTB, S.43 299

DLdTB, S.13 300

Vgl. DLdTB, S.197ff.

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der Einwohner und Besucher Buchhaims. „Der Biblionismus ist der Begriff, der alle

buchnahen wissenschaftlichen Disziplinen, Berufe und sozialen Phänomene – und noch

einiges mehr – in sich vereint. Stell dir das ganze alltägliche Leben rund ums Buch

einfach mal in eine große Tüte gerollt vor, dann hast du den Biblionismus.“301

Ovidios

von Versschleifer, ein Artgenosse der Lindwurmfeste, klärt Hildegunst diesbezüglich

weiter auf.

[…] Da sind Gnömchen. Mumen. Halbhünen. Rübenzähler. Froschlinge.

Nattifftoffen. Grüntaler. Moorkerle. Midgardzwerge. […] Wie soll man da den

Überblick bewahren? Ich sag’s dir: durch Biblionismus. Denn was uns alle hier

vereint, ist unser enges Verhältnis zum Buch. Es ist wie bei einem gedruckten

Satz: Er besteht aus lauter verschieden aussehenden Buchstaben, die scheinbar

willkürlich durcheinander stehen. Aber trotzdem kann man ihn lesen! Und er

ergibt einen Sinn. Man kann sogar darüber lachen, wenn er komisch ist. So

funktioniert Buchhaim. Das ist Biblionismus. […] Der Biblionismus ist keine

Religion und auch kein Verein oder eine Partei. Es ist auch keine wirklich exakte

Wissenschaft mit festen Regeln. Er ist der Geist des modernen Buchhaims.302

Ovidios kann die verschiedenen Personen in seiner Umgebung anhand ihres Aussehens

und ihrem Verhalten in verschiedene ‚biblionistische‘ Kategorien einteilen. So sagt er:

„[I]n diesem Raum befinden sich… öh… ein Bibliophrener… zwei Biblioten… ein

Biblioklast… ein Bibliopath… ein Bibliophober… nein, zwei! Drei Biblionekromaten,

die sind ja nicht zu übersehen… und, äh… ach ja, ein Biblioskop. Und der

unvermeidliche Biblioverse, da hinten an der Theke!“303

Ihm zufolge sind Biblioklasten

von „der Vorstellung besessen, Bücher zerstören zu müssen. Der Typ [zwei Tische

weiter] geht garantiert gleich auf sein Kämmerchen, macht eine gute Flasche Wein auf,

wirft die Bücher in die Badewanne und kippt dann Salzsäure drüber. Das ist das Größte

für ihn.“304

„Bibliomaten sind mechanische Leser […], die überhaupt keinen

Unterschied darin machen, was sie lesen.“305

Die Einwohner von Buchhaim und auch

die Touristen, die Buchhaim besuchen, können demnach anhand ihrer literarischen

Neigungen kategorisiert werden. Diese Auffassung möchte ich an dieser Stelle auch mit

dem Konzept der Enzyklopädik306

verbinden und insbesondere mit der „artistische[n]

301

DLdTB, S.110 302

DLdTB, S.110 303

DLdTB, S.112 304

DLdTB, S.113 305

DLdTB, S.114 306

Siehe für eine ausführliche Erläuterung der Enzyklopädik in DSdTB: Blondeel: “Multiple

Adressiertheit“

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Enzyklopädik“307

, die vor allem im barocken Roman ihren Höhepunkt erreichte308

.

Hierbei handelt es sich um eine „Konfiguration von Enzyklopädien und Literatur, in

deren Verlauf Literatur enzyklopädisiert, Gestalten, Formen oder Funktionen von

Enzyklopädie annimmt, Enzyklopädie wiederum literarisiert, Gestalten, Formen und

Funktionen von Literatur enthält.“309

Dieses ‚biblionistische‘ Kategorisieren sorgt

dafür, dass Kultur, Verhalten und Identität in Buchhaim quasi identisch werden. Leute

können anhand ihrer biblionistischen Identität beschrieben und verstanden werden. Auf

diese Art und Weise erläutert Moers auch deutlich die contemporary cultural scene des

neuen Buchhaims, nämlich eine, die Kultur, Literatur und das tagtägliche Leben in sich

vereint, sie jedoch, in gewisser Weise, gleichzeitig auch auf diese drei Elemente

reduziert. Die biblionistischen Ausführungen erinnern in dieser Hinsicht auch an die

Redewendung: „Sage mir, was du liest und ich sage dir, was du bist.“310

Hildegunst bzw. Moers reflektiert also, wie bereits erwähnt, innerhalb des Textes

ausführlich und teilweise kritisch über die contemporary cultural scene. Im neuen

Buchhaim werden versteinerte Bücher nun inzwischen als Baumaterial angewandt.

Hildegunst sieht „Bücher als Mauer- und Dachziegel, zu stützenden Säulen gestapelt

und zu Treppen verarbeitet, für Fensterbänke vermauert und sogar als Pflastersteine

eingesetzt.“311

Die Literatur ist in diesem Falle also allgegenwärtig und bietet den

Bewohnern und Besuchern sozusagen ein ‚buchstäbliches Zuhause‘. Gleichzeitig kann

diese Neuigkeit allerdings auch als eine Kritik an dem Gebrauch von Büchern gesehen

werden. Durch Vernachlässigung und Vergessen haben die Bücher ihre ursprüngliche

Funktion, ‚gelesen‘ zu werden, verloren und werden sie schließlich sogar von dieser

entfremdet. Die Bücher werden in ein anderes Medium transponiert, die Architektur.

Auf diese Weise verlieren sie ihre ursprüngliche Bedeutung. Auch Aussagen bezüglich

Literaturkritiker und dem Literaturbetrieb im Allgemeinen können als eine kritische

Reflektion bezüglich der gegenwärtigen Entwicklungen in der literarischen Welt gelten.

In DLdTB fängt das Visuelle, das Theater, langsam an die ‚gelesene‘ Literatur zu

ersetzen. Der Puppetismus profiliert sich als eine eigene, neue und vielleicht sogar

307

Kilcher, Andreas B: mathesis und poiesis. Die Enzyklopädik der Literatur 1600-2000. München:

Wilhelm Fink Verlag 2003, S.12 308

Vgl. Blondeel: „Multiple Adressiertheit“ 309

Kilcher: mathesis und poiesis, S.12 310

de La Gorçe, Pierre : Rede à l'assemblée de la Société bibliographique, 7. Mai 1920 Verfügbar

http://www.quotez.net/german/sein.htm (besucht 22.05.2012) 311

DLdTB, S.45

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zugänglicherer Kunstgattung, die die ‚gelesene‘ Literatur von ihrem Thron stößt. Eine

ähnliche Entwicklung sehen wir auch in unserer Wirklichkeit. In dem Zeitalter des e-

books, des Internets, der 3D-Filme und dem Virtuellen im Allgemeinen, fällt es einem

demnach leicht, Moers‘ Texte als eine Kritik auf das ‚Verschwinden‘ von Büchern und

ihren Funktionen zu sehen. In DSdTB wird zu Beginn sogar auf diese ‚Entfremdung‘

hingewiesen.

Und da waren sie, die Träumenden Bücher. So nannte man in dieser Stadt die

antiquarischen Bestände, weil sie aus der Sicht des Händlers nicht mehr richtig

lebendig und noch nicht richtig tot waren, sondern sich in einem Zwischenzustand

befanden, der dem Schlafen ähnelte. Ihre eigentliche Existenz hatten sie hinter

sich, den Zerfall vor sich, und so dämmerten sie vor sich hin, zu Millionen und

Abermillionen in all den Regalen und Kisten, in den Kellern und Katakomben von

Buchhaim. Nur wenn ein Buch von suchender Hand ergriffen und aufgeschlagen,

wenn es erworben und davongetragen wurde, dann konnte es zu neuem Leben

erwachen. Und das war es, wovon all diese Bücher träumten.312

Der eigentliche Wille eines Buches scheint also zu sein, gelesen zu werden. Ansonsten

‚dämmern‘ sie nur vor sich hin, und erfüllen ihren eigentlichen Zweck nicht. In DLdTB

entdeckt Hildegunst sogar den Höhepunkt der Entfremdung:

Gibt es tatsächlich Bücher, die man auf Anhieb nicht also solche erkennt? […] Ich

sah Objekte, die auf den ersten Blick an alles Mögliche erinnerten – an

Pyramiden, an Würste oder Zieharmonikas, nur nicht an Bücher […]! Aber dann

bemerkte ich, dass all diese seltsamen Dinge aus Leder und Papier bestanden,

bedruckte Seiten hatte und mit Büchertiteln und Lesebändchen versehen waren.

[…] Jetzt entdeckte ich auch winzigste Büchlein, die in kleine Glasflaschen oder

Streichholzschachteln passten.313

Nachdem Hildegunst nun also festgestellt, dass es sich dennoch um Bücher handelt,

spricht er den Verkäufer darauf an.

„Das sind alles Bücher?“ fragte ich dämlich und bereute es gleich wieder. „Eben

nicht!“, schnaufte der [dürre bärtige Druide in der Leinenkutte]. „Gewöhnliche

Bücher bekommt man überall! Das sind Unbücher!“314

Der Inhalt des Buches scheint nicht mehr genug zu sein. Inzwischen verkauft man sogar

Bücher in Wurstform, die man „auch scheibchenweise erwerben“315

kann. Das Buch hat

also nicht nur seine ursprüngliche Kodex-Form verloren. Der Inhalt scheint auch gar

keine Rolle mehr zu spielen, sondern sich sogar an der äußerlichen Form zu orientieren.

312

DSdTB, S.33 313

DLdTB, S.54 314

DLdTB, S.55 315

Ebd.

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Der Verkäufer meint nämlich: „Kommen Sie doch rein! Ich zeige Ihnen die

Pyramidenromane von Humidius von Quakenstamm! Sie spielen alle in einer

dreieckigen Dimension.“316

Diesen Teil des Textes sehe ich insbesondere als eine Kritik

an der Reizüberflutung unserer Zeit. Verlage versuchen immer mehr, anhand der

Umschläge, ihre Ware ins Auge springen zu lassen. Viele Konsumenten kaufen Bücher,

weil ihnen der Umschlag gefällt. Das Buch wird in gewissem Sinne ‚verkleidet‘. Auch

Beispiele wie das Trompaunenkonzert und die Aromaorgel sind Grund zur Annahme,

dass Moers die ‚Reizüberflutung‘ unserer Zeit thematisiert und kritisiert. Das Kritisieren

kultureller Aspekte kann mit Kontjes Aussage bezüglich der metafiktionalen

contemporary cultural scene verbunden werden, denn schließlich denkt der Leser so

eventuell auch über den eigenen kulturellen Kontext nach. Todd Kontje meint auch

noch: „In addition to reflecting on the world around them, the novels also turn inward to

reflect upon themselves."317

In gewisser Weise kann man die Kritik am Literaturbetrieb,

wie auch die Kommentare bezüglich der ‚lügenden Schriftsteller‘ als selbst-reflexive

Eigenschaft des Romans sehen. Schließlich sind Walter Moers und Hildegunst von

Mythenmetz selbst auch Schriftsteller und gehören sie außerdem deutlich dem

Literaturbetrieb an: auch Moers nutzt bestimmte Vermarktungsstrategien, wie

Badewannenstöpsel, Schreibblöcke, Radiergummis und sogar Musicals, um eine

größere Leser- bzw. Hörerschaar anzusprechen. In DSdTB sehen wir deutlich, dass

Hildegunst über seine eigene Position als Schriftsteller innerhalb dieser

Vermarktungsfabrik nachdenkt. Wenn er z.B. auf eine schlecht modellierte

Repräsentation seiner selbst in Form einer Puppe trifft318

oder versucht inkognito durch

die Straßen von Buchhaim zu gehen, während sein Name von ‚lebenden Zeitungen‘

durch den Dreck gezogen wird319

, wird dem Leser schmerzhaft deutlich, wie sehr die

Vermarktung das Ansehen eines Autors und somit eines Werkes beeinflusst.

In diesem Sinne sind DSdTB und DLdTB sicherlich als selbst-reflexive,

metafiktionale Bildungs- und Entwicklungsromane zu perzipieren. Der Protagonist ist

selbst ein begeisterter Leser, der über die eigene Position im gegenwärtigen

literarischen Umfeld nachdenkt. Dadurch wird der Leser an seine eigene lesende

316

Ebd. 317

Kontje: Private Lives in the Public Sphere, S.6 318

Vgl. DLdTB, S.190ff. 319

Vgl. DLdTB, S.194f

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Tätigkeit erinnert. Die kritischen Bemerkungen bezüglich der contemporary cultural

scene führen dem Leser gleichzeitig auch die eigene Abhängigkeit von Gestaltung von

Umschlägen und Reklame vor Augen. In DSdTB und DLdTB übt Moers auf diese Weise

auch Kritik an dem Literaturbetrieb an sich, was u.a. durch Hildegunsts abfällige

Aussagen bezüglich der schlecht modellierten Puppen und Kritikern wie Laptantidel

Latuda, deutlich gemacht wird.

3.1.5. Das Buch im Buch

Mit diesem Konzept ist in Anne Siebecks Werk Das Buch im Buch. Ein Motiv der

phantastischen Literatur „der Verweis auf bzw. das Erwähnen von Büchern in der

fiktionalen Literatur gemeint.“320

Sie unterscheidet dabei zwischen „der Erwähnung von

bzw. dem Verweis auf tatsächliche Bücher und fiktive Bücher“321

, konzentriert sich in

ihrer Arbeit jedoch ausschließlich auf die Kategorie der fiktiven Bücher. Auch wenn der

Begriff Metafiktion in ihrem Werk nie explizit erwähnt wird, scheint Siebeck jedoch

gerade dieses Konzept anzudeuten. Sie meint nämlich:

Durch die Verdopplung der Lektüre im Buch [Der Held ist selbst auch Leser. Das

Geschriebene kehrt in sich selbst zurück.322

] wird das Buch „auf komplexe Weise

zum Spiegel, nicht der Welt, sondern des Lesens selbst.“323

, doch erst dadurch

kann der Weltbezug thematisiert werden. Dabei wird die perspektivische

Brechung, „als welche der Leser Realität im Buch erfährt“324

vergegenwärtigt:

„Das Buch im Buch, dort wo es Teil der Handlung ist, bringt genau diese für alle

Lektüre grundlegende perspektivistische Brechung ins Bewusstsein.“325

.326

Durch diese ‚perspektivistische Brechung‘ und die Konfrontation mit der ‚doppelten

Lektüre‘ wird dem Leser abermals die linguistic condition vergegenwärtigt: der Held ist

ein Leser, der seine eigene Geschichte liest327

, und genau das erinnert den Rezipienten

daran, dass auch er ‚nur‘ Leser ist und dass es sich hier um ein literarisches bzw.

320

Siebeck, Anne: Das Buch im Buch. Ein Motiv der phantastischen Literatur. Marburg: Tectum Verlag

2009, S.17 321

Siebeck: Das Buch im Buch, S.17 322

Wuthenow, Ralph-Rainer: Im Buch die Bücher oder Der Held als Leser. Frankfurt am Main:

Europäische Verlagsanstalt 1980, S.174. Zitiert in: Siebeck, Anne: Das Buch im Buch, S.16 323

Japp, Uwe: „Das Buch im Buch. Eine Figur des literarischen Hermetismus.“ In: Neue Rundschau

1975, 4, S.651-670. Zitiert in: Siebeck: Das Buch im Buch, S.16 324

Ebd. 325

Ebd. 326

Siebeck: Das Buch im Buch, S.16f. 327

Der Held ist selbst auch Leser. Mit dieser Aussage möchte ich an dieser Stelle daher auch

zurückverweisen auf das Kapitel Die Stadt der Träumenden Bücher und Das Labyrinth der Träumenden

Bücher als Bildungs- und Entwicklungsromane.

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linguistisches Artefakt handelt. Siebeck zufolge, ist das ‚Buch im Buch‘ ein starkes

Gegendstandsmotiv, da

die Buchgläubigkeit […] in der langen Tradition des Buches als Leitmedium

[begründet liegt]. Die Schriftkultur wird als den oralen Überlieferungstraditionen

überlegen wahrgenommen, Bücher dokumentieren, sie enthalten Fakten und

Wissen. […] Ein Buch hat stets die Aura des Seriösen, des Glaubwürdigen, des

Wissens und der Wahrheit. Unabhängig davon, wie das Motiv eingesetzt wird,

spielt der Autor stets mit dieser semiotischen Bedeutung des Zeichens Buch.328

Das Buch im Buch macht einen Text demnach glaubwürdiger, etwas was wir auch bei

dem bereits erwähnten phantom pre-text erkennen können, der ebenfalls eine deutliche

Authentifizierungsfunktion übernimmt, gleichzeitig aber auch an die metafiktionale

linguistic condition erinnert. Siebeck unterscheidet bei dem Buchmotiv fünf Varianten

und fügt zudem den Grenzfall ‚Dummy-Bücher‘ hinzu, „fiktive Bücher, deren Inhalt

von keinerlei Bedeutung für die Handlung ist, bzw. die inhaltsleer sind“329

. Ihr zufolge

können Nachschlagewerke, Zauberbücher, ultimative Bücher, Tagebücher und

Chroniken als Buchmotiv rezipiert werden.330

Siebeck geht in einem eigenen Kapitel

auch spezifisch auf Walter Moers‘ Zamonien-Romane ein, wobei sie sich hauptsächlich

Nachtigallers Lexikon zuwendet, jedoch auch das Leuchtturmtagebuch aus Rumo und

Buchmotive aus DSdTB erwähnt. Ihrer Meinung nach spielt jedoch insbesondere das

Lexikon eine zentrale Rolle331

. Als erste Variante des Buch-im-Buch-Motivs soll hier,

wie bei Siebeck, demnach Nachtigallers Lexikon gelten. Bei diesem handelt es sich

nach eigener Aussage um ein Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder,

Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und Umgebung. Siebeck definiert das

‚Nachschlagewerk‘, als etwas, das

viele Informationen in systematischer Aufbereitung [Hervorhebungen von K.B.]

[vereint] (z.B. nach Alphabet oder Themen ordnet), um seinem Benutzer einen

schnellen Zugriff auf Informationen zu ermöglichen. […] Es suggeriert

Objektivität und ist in der Regel in sachlichem, gegebenenfalls

wissenschaftlichem Stil geschrieben. Das Nachschlagewerk ist ein

Gebrauchsutensil, kein ästhetischer Gegenstand. Es zielt auf

Informationsvermittlung ab, seine Aufmachung ist daher möglichst

praktikabel und übersichtlich gestaltet.332

328

Siebeck: Das Buch im Buch, S.17f 329

Siebeck: Das Buch im Buch, S.22 330

Siebeck: Das Buch im Buch, S.20ff 331

Siebeck: Das Buch im Buch, S.79 332

Siebeck: Das Buch im Buch, S.20

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Das Lexikon übernimmt in den Zamonien-Romanen eine deutliche und außerdem

‚phantastische‘ Authentifizierungsfunktion. Anhand der Erläuterungen innerhalb des

Textes oder am Rande, anhand der Fußnoten, erhält der Leser mehr Informationen über

phantastische Elemente und Begebenheiten. Bezüglich der Fußnoten in DSdTB habe ich

in meiner Bachelor-Arbeit konstatiert, dass „[d]ie Erklärungen der zamonischen

Begriffe in DSdTB […] nicht nur zur ‚zamonischen Bildung‘ des Lesers gedacht [sind],

sondern [auch] die naturalisierenden Absichten des […] Autors [bekräftigen] […].“333

Dazu meint Siebeck zusätzlich: „In Ensel und Krete werden teilweise dieselben Artikel

eingefügt wie [in Käpt‘n] Blaubär. Durch die Querverweise und das wiederholte

Zitieren derselben Auszüge wirkt das Lexikon stringent und plausibel, der erzielte

Wiedererkennungseffekt erhöht die Authentizität des fiktiven Nachschlagewerks.“334

Wie ich bereits im Kapitel der Phantastik erläutert habe, bestärken die Landkarten und

das Lexikon die Glaubwürdigkeit der Aussagen von Hildegunst und Blaubär.

Gleichzeitig handelt es sich jedoch, meiner Meinung nach, auch um eine metafiktionale

Komponente. Die Konfrontation mit einem anderen literarischen Artefakt, macht den

Leser darauf aufmerksam, dass er einen Text liest und dass die Deskription des

Kontinents und der Figuren für immer eine Deskription bleiben wird. Ein Zitat von

Patricia Waugh, das ich bereits im Kapitel der Typographie erwähnt habe, trifft auch

hier zu: “Elaborate introductions to the novel, footnotes, marginalia, letters to

publishers [Hervorhebung von K.B.]– – inclusion of the physical ‘scaffolding’ of the

text these again are reminders of the text’s linguistic condition.”335

Ab dem Moment,

wo wir also auf ein anderes Medium336

treffen, werden wir an die linguistic condition

erinnert.

Auf Siebecks Definition des Nachschlagewerkes appliziert, scheint das

Nachtigallersche Lexikon jedoch auch einige ironische Noten zu enthalten. Zum ersten

ist das Lexikon nicht wirklich objektiv zu nennen. Insbesondere in Käpt’n Blaubär

erscheint das Lexikon uns und dem Protagonisten eher als subjektive

Informationsquelle. So erfährt der Leser bezüglich der Zwergpiraten: „Trotz oder

333

Blondeel: “Multiple Adressiertheit”, S.39 334

Siebeck: Das Buch im Buch, S.80 335

Waugh: Metafiction, S.97 336

Meiner Meinung nach kann es sich dabei auch um ein nicht-geschriebenes Medium handeln. In diesem

Sinne wäre es sicherlich auch interessant, um die Intermedialität auf ihre Metafiktionalität hin zu

untersuchen.

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vielleicht gerade wegen ihrer eigentlichen Harmlosigkeit führen sich Zwergpiraten sehr

blutrünstig und rauhbeinig auf. Sie schwingen gerne großmäulige [Hervorhebungen

von K.B.] Reden, die bevorzugt von erfolgreichen Kaperfahrten und fetter Prise

handeln.“337

Außer dass deutlich wird, dass es sich nicht um eine unvoreingenommene

und pur objektive Erläuterung handelt, wird mit diesem selben Zitat auch etabliert, dass

wir es hier nicht unbedingt mit einen ‚sachlichen‘ oder ‚wissenschaftlichen‘ Stil zu tun

haben, da Wörter wie ‚großmäulig‘ und ‚fette Prise‘ normalerweise nicht in einer

Definition eines Nachschlagewerkes vorkommen338

. Nachtigallers Lexikon zielt jedoch

wohl merkbar auf die phantastische Informationsvermittlung ab, und es handelt sich

sicherlich auch um ein Gebrauchsutensil. Prof. Dr. Nachtigaller ‚infiziert‘ Blaubär sogar

mit dem Wissen des Lexikons, wonach Blaubär das Lexikon gewissermaßen in seinem

Kopf mit sich herumträgt. Blaubär bemerkt dazu: „Nachtigaller hatte mir sein

Standardwerk über Zamonien, das sein gesammeltes Wissen über diesen Kontinent und

seine Umgebung enthielt sozusagen telepathisch auf die Festplatte meines Hirns

gebrannt.“339

Der Professor gibt seinen Nachtschülern also „bei der

Abschiedsumarmung […] die Enzyklopädie mit auf den Weg“340

. Den wichtigsten

Voraussetzungen eines Nachschlagewerkes, Zuverlässigkeit und Vollständigkeit der

Informationen, wird jedoch nicht immer nachgekommen. So gerät Blaubär häufig

gerade dadurch in die Probleme, weil das Lexikon ihm nur halbe Informationen

verschafft. Als Blaubär z.B. in der Süßen Wüste auf eine Tornadohaltestelle des Ewigen

Tornados trifft, erklärt ihm das Lexikon zwar, was es mit diesen Haltestellen und dem

Tornado auf sich hat. Es unterbreitet ihm jedoch erst dann die zusätzliche und relativ

wichtige Bemerkung, man solle einen Tornado keineswegs besteigen341

, wenn es schon

zu spät ist. Siebeck bemerkt:

Die Unberechenbarkeit des Lexikons sorgt für komische Effekte und

Spannungsaufbau. Das Buch im Buch kann den Protagonisten in die eine oder

andere Richtung lenken, der Autor schafft somit eine leitende und informative

Instanz. […] Der komische Effekt gipfelt darin, dass der Protagonist

ironischerweise erst am Ende seiner Abenteuer […] feststellt, dass es eine

337

Käpt’n Blaubär, S.19 338

Siehe dazu auch „Language of Fiction“ 339

Käpt’n Blaubär, S.172 340

Siebeck: Das Buch im Buch, S.81 341

Käpt’n Blaubär, S.342-344

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Bedienungsanleitung für das Lexikon zum gezielten Abruf von Informationen

gegeben hätte, nach der er nur hätte fragen müssen.342

Diese Unzuverlässigkeit könnte man übrigens abermals als versteckte Kritik vonseiten

Moers konzipieren. Vielleicht will er auf diese Weise das blinden Vertrauen der

Menschen in Sachbücher zur Sprache bringen und kritisieren. Schließlich ist nicht alles

was in Büchern steht auch unbedingt wahr. Die Artikel des Lexikons werden von

Blaubär übrigens auch kommentiert und reflektiert343

, was man als eine metafiktionale

Komponente deuten könnte. Schließlich ist dieses Kommentieren und Reflektieren

nichts anderes als ein Deutungsprozess, etwas was der Leser selbst auch mit dem

Erzähltext tut. Blaubär meint nach einer weiteren zweifelhaften Information des

Lexikons:

Das war einer der Ratschläge von der Sorte wie der, man sollte ganz stillhalten,

wenn ein Tyrannowalfisch Rex auf einen zuschwimmt oder ein wütendes Phorinth

mit gesenktem Horn Anlauf nimmt. Mir fiel es sehr schwer, dieser Empfehlung

das nötige Vertrauen entgegenzubringen.344

Soll Blaubär dem Lexikon glauben und sollten wir Blaubärs Äußerungen Glauben

schenken? Der Leser wird sich hier, meiner Meinung nach, von der eigenen, auktorialen

bzw. narratologischen Abhängigkeit bewusst. Dieses Bewusstwerden vom Leser kommt

sicherlich auch dadurch zustande, dass Blaubär selbst nicht als der meist zuverlässige

Erzähler gelten kann. Gleichzeitig bedeutet es zudem, dass der Leser über die eigene

Position nachdenkt, und sich seines Status als Leser bewusst wird: er hat keinerlei

Einfluss auf den Verlauf der Erzählung.

Am deutlichsten scheint im Bezug auf das Lexikon als Buch im Buch jedoch die

Kritik am puren Buchwissen zu sein. Siebeck meint auch:

Bücher können die weltliche Erfahrung nicht ersetzen. Das eigentliche Lernen,

aus dem schließlich Wissen hervorgehen kann, findet erst durch die Verbindung

von Theorie und Praxis statt, welche in Moers‘ Roman in dem durchgehenden

Muster der Kopplung von Situationen und Informationen dargestellt wird.345

Bei Blaubär sehen wir deutlich, dass man mit Buchwissen allein zwar auf dem guten

Weg ist, aber dass man auch wissen muss, wie man dieses Wissen anzuwenden hat.

342

Siebeck: Das Buch im Buch, S.82 343

Siebeck: Das Buch im Buch, S.82 344

Käpt’n Blaubär, S.492 345

Siebeck: Das Buch im Buch, S.85; Diese Feststellung erinnert übrigens auch an die Aussage des

Schattenkönigs, man müsse „Therio und Praxis“ kombinieren, um das Orm zu erreichen. [Vgl. DSdTB,

S.400]

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Nachdem Blaubär während der ganzen Erzählung Probleme mit dem Gebrauch des

Lexikon hatte, erfährt er am Ende, dass es eine Gebrauchsanweisung gibt. Er hätte also

nur die richtigen Fragen stellen müssen. „Intelligent ist, wer die richtigen Fragen stellt,

nicht, wer alle Antworten kennt.“346

Auch in DSdTB treffen wir auf Varianten des Buchmotivs, die hier sogar

auffällig zahlreich. Zwei davon sind das geheimnisvolle Manuskript, was der Anstoß ist

für Hildegunsts Reise nach Buchhaim, und das giftige Buch, das dafür sorgt, dass

Hildegunst betäubt und verraten in die Katakomben von Buchhaim verschleppt werden

kann. Das geniale Manuskript über das horror vacui „initiiert […] die Handlung“347

.

Außerdem ist der „Schlüsselsatz [des Manuskript-] Textes, Hier fängt die Geschichte an

[Kursivierungen von K.B.], […] auch der Anfangssatz von [DSdTB]. Zusammen mit

seiner Abwandlung als Schlussformel (Denn hier hört die Geschichte auf) rahmt er die

Geschichte ein.“348

Im Bezug auf die Metafiktion ist hier nicht nur das andere Medium,

das geniale Manuskript, innerhalb des eigentlichen Erzähltextes bemerkenswert,

wodurch der Leser, wie bei dem Lexikon auf die linguistic condition hingewiesen wird.

Der Anfangs- und der Schlusssatz des Manuskripts und des Romans spielen auch

inhaltlich eine große metafiktionale Rolle. Durch diese beiden Sätze verweist der Autor

nämlich schon auf die Fiktionalität der Erzählung. Er nennt DSdTB eine ‚Geschichte‘.

Hiermit wird die Konstruiertheit des Erzähltextes angedeutet, und wird der Rezipient

sich seiner Rolle als Leser bewusst. In DLdTB finden wir übrigens eine Variante

desselben Satzes. Auf der ersten Seite des Erzähltextes lesen wir: „Hier geht die

Geschichte weiter. Sie erzählt, wie ich nach Buchhaim zurückkehrte und zum zweiten

Mal hinabstieg in die Katakomben der Bücherstadt.“349

Auf der letzten Seite des

Erzähltextes von DLdTB wird der ursprüngliche Satz noch einmal wiederholt: „Hier

fängt die Geschichte an.“350

und sogar Walter Moers bemerkt in seinem Nachwort ganz

am Ende: „[W]ie bereits von Mythenmetz verheißen: Die wirkliche Geschichte fängt

hier in der Tat erst an. Alles Bisherige war nur Ouvertüre.“351

Mithilfe der

unterschiedlichen Variationen wird ständig auf eine selbe Tatsache verwiesen: es

346

Siebeck: Das Buch im Buch, S.85 347

Siebeck: Das Buch im Buch, S.89 348

Ebd. 349

DLdTB, S.9 350

DLdTB, S.427 351

DLdTB, S.430

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handelt sich um eine Geschichte und nicht um eine (Auto)Biographie oder eine

‚historische Widergabe der Ereignisse‘. Diesen Anfangs- und Schlusssatz können wir

demnach deutlich mit self-conscious und self-reflexive fiction und also mit der

Metafiktion verbinden.

Das giftige Buch, das zweite Buchmotiv, das von Siebeck bezüglich DSdTB

erwähnt wird, übernimmt eine andere Rolle auf dem Gebiet der Metafiktion. Siebeck

verbindet dieses Konzept insbesondere mit den giftigen Büchern in Umberto Ecos Der

Name der Rose und in Tausendundeine Nacht und zielt damit auf die enttäuschten oder

erfüllten Erwartungen352

des Lesers ab. Gleichzeitig verweisen diese intertextuellen

Referenzen jedoch auch auf den literarischen und linguistischen Charakter des

Zamonien-Romans. Bachtin meint, dass „[die] einzige Macht [des „Schreibers“ darin]

besteht […], die Schriften zu vermischen und sie miteinander zu konfrontieren, ohne

sich jemals auf eine einzige davon zu stützen.“353

Der Leser wird mithilfe der

Intertextualität abermals darauf hingewiesen, dass ein Text nur eine Komposition, eine

Zusammenstellung vereinzelter Komponenten ist. Die Intertextualität kann demnach

auch mit der Metafiktion verbunden werden, worauf ich zwar gerne mehr eingehen

würde, was jedoch die Grenzen meiner Magisterarbeit weit überschreiten würde. Die

Konstatierung einer Verbindung zwischen der Metafiktion und der Intertextualität sollte

an dieser Stelle demnach als Aufruf zu bzw. Ausblick auf weitere(n) Studien zu diesem

Thema gesehen werden. Es ist deutlich, dass die Intertextualität den Leser, der diese

intertextuellen Verweise auch als solche erkennt, eigentlich fast daran erinnern muss,

dass er es hier mit einem Artefakt, einer Komposition zu tun hat. Wie ich, bezüglich

anderen Aspekten auch schon erwähnt habe, wird hierzu jedoch auch die Mitarbeit des

Lesers unterstellt. Außer in den Zamonien-Romanen, finden wir diese metafiktionale

Intertextualität übrigens auch in WR, einem Roman, den ich bei der Besprechung des

Buchmotivs bis jetzt außer Acht gelassen habe, da das Konzept von Buch im Buch hier

nicht so nachdrücklich anwesend ist, wie in DLdTB, DSdTB und Käpt’n Blaubär. Wie

ich bereits erwähnt habe, werden hier zwar unterschiedliche reale Autoren und ihre

Werke genannt, wie Dante, Ariost und Cervantes. Da Siebeck sich jedoch

ausschließlich mit Verweisen auf fiktive Bücher befasst, wird WR in ihrem Werk nicht

352

Siebeck: Das Buch im Buch, S.91 353

Barthes: „Der Tod des Autors“ In: Jannidis, Fotis et al. (Hrsg.): Texte zur Theorie der Autorschaft.

Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. 2000, S.190

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analysiert. Die intertextuellen Verweise scheinen mir hier, bezüglich der Metafiktion,

dennoch erwähnenswert.

Als letztes Buchmotiv erwähnt Siebeck das Leuchtturmtagebuch von Dr.

Kolibril aus Rumo, was bereits im Kapitel der Typographie erwähnt wurde. „Die Zitate

aus dem Buch sind durch eine eigene Schriftart, die mit geschwungenen Buchstaben

eine Handschrift imitieren soll, vom restlichen Text abgehoben.“354

Inhaltlich erweist

sich dieses Tagebuch jedoch auch als metafiktional, denn

[m]it dem letzten Eintrag355

ändert sich die Adressierung des Tagebuches. Der

eigentliche dokumentierende und selbstreflexive Charakter dieser Buchform wird

durchbrochen und ein fremder Leser direkt angesprochen. Der inhaltliche Zweck

des Buchs wird nun ersichtlich: Der Text soll den Leser im Buch in seiner

gegenwärtigen Lesesituation warnen, indem die drohende Gefahr des Ortes

verdeutlicht wird, an dem sein Leser sich befindet.356

Der Leser des Tagebuches ist in diesem Fall jedoch nicht nur die Figur Smeik, der sich

über das Verschwinden des Doktors wundert, sondern auch der Modell-Leser des

Moersschen Erzähltextes. Meiner Meinung nach ist nicht nur das Einführen eines

anderen Mediums hier metafiktional zu nennen, sondern auch das direkte Ansprechen

des Lesers des Tagebuchs357

. Der Modell-Leser und Smeik werden sich ihres eigenen

Status bewusst, sie lesen die Erinnerungen einer anderen Person. Außerdem finden wir

auch hier intertextuelle Verweise auf Tagebücher als bekanntes Strukturelement. „Das

Buch im Buch als Tagebuch ist ein romantisches Strukturelement, wie es etwa als

Erzähleinlage in Goethes Wahlverwandtschaften oder Defoes Robinson Crusoe

auftritt.“358

Siebeck zufolge „pflegt [Moers] in seinen Zamonien-Romanen eine spielerische,

zunehmend intensive Auseinandersetzung mit Literatur, der Rolle des Autors und dem

Literaturbetrieb.“359

Das sehen wir unter anderem durch die unterschiedlichen

Autorinstanzen und die vielen komisch-kritischen Aussagen bezüglich der

354

Siebeck: Das Buch im Buch, S.92 355

„Sollten diese Aufzeichnungen von jemandem gefunden werden, der kein Nebelheimer ist, dann

mögen sie als Warnung dienen: Du, der du diese Aufzeichnungen gerade liest – flieh! Flieh, solange du

noch kannst! Es klopft an der Tür. Sie sind gekommen. Sie sind gekommen, um mich zu holen.“ [Rumo,

S.283] 356

Siebeck: Das Buch im Buch, S.94 357

Das direkte Ansprechen des Lesers erinnert in diesem Sinne auch an die „aufsteigende Metalepse“.

[Vgl. dazu Klimek: Paradoxes Erzählen, S.164ff] 358

Siebeck: Das Buch im Buch, S.95 359

Siebeck: Das Buch im Buch, S.95

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Literaturkritiker und dem Literaturbetrieb. Aber auch das Konzept Buch im Buch weist

auf einen selbst-bewussten und selbstreflexiven Umgang mit Literatur und ihren

Funktionen hin. Die Moers-Romane sind in dieser Hinsicht also sicherlich metafiktional

zu nennen. Das Buchmotiv beweist, dass, im Sinne der Intermedialität, auf andere

literarische Medien hingewiesen wird. Inhaltlich sind diese Buchmotive jedoch auch

nochmal mit anderen Aspekten, wie der Intertextualität, der Typographie oder anderen

Fiktionalitätssignalen verbunden, die deutlich auf einen metafiktionalen Charakter

hinweisen.

3.1.6. Die Parodie

Metafiktion scheint, wie bereits erwähnt, nicht so sehr ein Genre an sich zu sein,

sondern eine Eigenschaft bzw. eine Form des Romans, wodurch stilistische,

linguistische oder formale Konventionen hervorgehoben und in Frage gestellt werden.

„Metafiction [...] offers both innovation and familiarity through the individual

reworking and undermining of familiar conventions.”360

Der Modell-Leser wird

hierdurch ein aktiver Leser. Er erkennt dieses selbst-bewusste Umgehen mit

literarischen Aspekten, wird mit der Variabilität des Romans konfrontiert und reflektiert

anschließend womöglich selbst auch über die Realität-als-Konstrukt.361

Der

metafiktionale Roman ‚parodisiert‘ jedoch auch die stilistischen oder kanonisierten

Genres. Bachtin meint: “Parodic stylization of canonized genres and styles occupy an

essential place in the novel.” Über die Parodie werden die alten, aber anders

gebrauchten, Konventionen hervorgehoben. Hierzu mein Waugh:

The well-worn conventions of realism or of popular fiction are used to establish a

common language which are then extended by parodic undermining and often

amalgamated with cultural forms from outside the mainstream literary

tradition [Hervorhebung von K.B.], including journalese, television influences such

as soap opera, cinematic devices and the effects of such genres as space opera.362

Waugh zufolge werden die Konventionen also durch die Parodie untergraben und

oftmals kombiniert mit kulturellen Formen, die von außerhalb der literarischen

Tradition kommen. Ein gutes Beispiel der Integration eines neuen, modernen Mediums,

ist das ‚filmische Schreiben‘ in DSdTB, was ich bereits in meiner Bachelorarbeit

360

Waugh: Metafiction, S.12 361

Bachtin: The Dialogic Imagination, S.6 362

Waugh: Metafiction, S.64

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erwähnt habe. Hierbei werden Eigenschaften des Films in einen Roman inkorporiert, ein

Aspekt, den wir auch der Intermedialität zuordnen können. In „Multiple Adressiertheit“

bemerkte ich bereits, dass Moers sich bei der Beschreibung der fallenden

Bücherschränke363

und der „Bahn der Rostigen Gnome“364

in den Katakomben in

DSdTB „Altgeld zufolge […] von einer filmischen Vorlage des ersten Teils [und des

Teils „Und der Tempel des Todes“] der bekannten Trilogie der „Indiana Jones“-

Filme365

[hat] inspirieren lassen.“366

Zusätzlich, berichtet Altgeld, gibt es bei Moers dieselben „Intensitätswechsel der

Rasanz […] – von langsam bis rasend - , wie sie bei „Indiana Jones zu sehen

sind.“367

Altgeld zufolge haben wir es hier mit einer „nahtlosen Einfügung von

Fremdmaterial“368

zu tun.

Auch das Integrieren von Tagebüchern, abwechslungsreichen Dialogen, die an den

Comicstil erinnern, und abweichende Typographie im Allgemeinen, kann als

intermedialer Einschub kultureller Formen ‚from outside the mainstream literary

tradition‘ gesehen werden. Insbesondere Moers‘ Zeichnungen, die wir in großem Maße

in allen Moersschen Romanen finden, weisen auf Intermedialität369

und ein bewusstes

Umgehen mit anderen Medienformen hin. Diese Zeichnungen kann man übrigens auch

„mit der Graphic Novel [verbinden] […].“370

Waugh zufolge kommt es in metafiktionalen Romanen jedoch auch zu einem

‚parodic undermining’ alter Konventionen. Diese werden zur Schau gestellt und in ihre

Strukturen zerlegt, wodurch sie für den Leser sichtbar gemacht werden. Dass Moers

DSdTB aus verschiedenen Genres371

und Konventionen zusammengestellt hat, habe ich

in meiner Bachelorarbeit bereits nachgewiesen. Darin nenne ich unter anderem die

Queste, die Schauer- und Gruselliteratur bzw. die Gothic Novel und die Biographie372

.

363

DSdTB, S.177 364

DSdTB, S.300 365

Altgeld: Intertextualität und Intermedialität, S.80 366

Blondeel: “Multiple Adressiertheit”, S.35f 367

Altgeld: Intertextualität und Intermedialität, S.80 368

Altgeld: Intertextualität und Intermedialität, S.81 369

Siehe für weitere Aspekte der Intermedialität in DSdTB: Blondeel: „Multiple Adressiertheit“, S.32-36.

Für eine ausführliche Beschreibung der Intermedialität an sich und in DSdTB und WR verweise ich

zusätzlich auf folgende Werke: Rajewsky, Irino O.: Intermedialität. Tübingen und Basel: A. Francke

Verlag 2002; Altgeld, Jan-Martin: Intertextualität und Intermedialität in Walter Moers‘ «Wilde Reise

durch die Nacht» und «Die Stadt der träumenden Bücher», Wissenschaftlicher Verlag Berlin, 2008 370

Blondeel: „Multiple Adressiertheit”, S.10 371

Blondeel: „Multiple Adressiertheit“, S.25-32 372

In dieser Hinsicht würde ich gerne eine kleine Korrektur in „Multiple Adressiertheit“ vornehmen. Hier

wäre wahrscheinlich der ‚(auto)biographische Roman‘ ein besseres Konzept gewesen, als die Biographie.

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Ein sehr gutes Beispiel von einem parodistischen Untergraben in DSdTB ist ein Zitat,

das ich auch schon in „Multiple Adressiertheit“ erwähnt habe.

Es gibt etliche Werke der Zamonischen Schauerliteratur, in denen ein Held in eine

ähnliche Situation gerät. Eine Situation, in der man als Leser am liebsten das

Buch anschreien möchte: »Geh nicht! Geh da bloß nicht rein, du Idiot! Das

ist eine Falle!« Aber dann lässt man das Buch sinken, lehnt sich zurück und

denkt »He – wieso eigentlich nicht? Soll er doch reingehen! [Hervorhebungen

von K.B.] Da drinnen lauert bestimmt eine hundertbeinige Riesenspinne, die ihn

in einen Kokon einwickeln will oder so was – das wird bestimmt lustig. Das ist

schließlich der Held der Zamonischen Schauerliteratur, der muss das aushalten

können.« Und er geht natürlich rein, der Held der Zamonischen Schauerliteratur,

gegen jede Vernunft, und prompt wird er von einer riesigen hundertbeinigen

Spinne in einen Kokon eingewickelt oder so was. Aber nicht mit mir! Ich würde

nicht hineingehen. Ich war gebrannt und fallengeprüft durch schmerzliche

Erfahrung, ich war kein stupider Held, der zur Befriedigung niedriger

Unterhaltungsbedürfnisse sein Leben riskierte! Nein, ich würde nicht

wirklich hineingehen – ich würde nur ein biβchen hineingehen. Denn was

konnte daran schon verkehrt sein? Ein paar Schritte nur, sich mal kurz

umschauen, dabei immer schön die Tür im Auge behalten. Ich würde mir ein Bild

machen, und wenn irgendwas nicht geheuer wäre, sofort wieder umkehren.373

Hier werden also deutlich die Konventionen des typischen Schauerromans parodisiert.

Hildegunst denkt über seine eigene Situation und die möglichen Erwartungen des

Lesers eines Schauerromans nach. Insbesondere die Aussagen über den Leser zu

Anfang des Zitats weisen auf eine metafiktionale und ‚parodisierende‘ Komponente hin.

Zum ersten spielt der Autor hier mit dem typischen Schauerroman, indem er die

Strukturen bzw. den Spannungsaufbau dieses Genres bloßlegt. Dadurch kann es

einerseits zu einem Spannungsverlust kommen, da der Leser über die Situation und die

möglichen Folgen schon vorher aufgeklärt wird. Andererseits kann der Aufschub des

eigentlichen Betretens von Schloss Schattenhall auch dazu führen, dass die Spannung

widerhergestellt wird. Zum Zweiten wird so jedoch auch ein komischer Effekt kreiert,

da der Protagonist, sogar nach einer ausführlichen Analyse der eigenen Situation, sich

dennoch dazu entschließt das geheimnisvolle Schloss Schattenhall zu betreten. Auch

Hutcheons Bemerkung bezüglich der Parodie scheint in dieser Hinsicht erwähnenswert

zu sein. Sie meint nämlich: “By reminding the reader of the book’s identity as artifice,

the text parodies his expectations, his desire for verisimilitude, and forces him to an

awareness of his own role in creating the universe of fiction.” 374

Das Gleiche sehen wir

373

DSdTB, S.324f 374

Hutcheon: Narcissistic Narrative, S.139

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auch in dem zuletzt genannten Moers-Zitat: durch das Hervorheben der literarischen

Techniken ‚parodisieren‘ Hildegunsts Aussagen die Erwartungen des Lesers, wodurch

dieser sich von seiner eigenen Rolle bewusst wird. Hutcheon meint außerdem:

Parody is [...] an exploration of difference and similarity; in metafiction it invites

a more literary reading, a recognition of literary codes. But it is wrong to see the

end of this process as mockery, a ridicule, or mere destruction. Metafiction

parodies and imitates as a way to a new form which is just as serious and valid, as

a synthesis, as the form it dialectically attempts to surpass.375

Hierin sehen wir auch deutliche Parallelen mit Bachtins dialogic method. Der Roman

verändert sich kontinuierlich, indem er einzelne Aspekte von anderen Genres oder sogar

extra-literarischen Medien inkorporiert und zu etwas Neuem zusammenfügt. Außerdem

erinnert der Satz ‚in metafiction it invites a more literary reading’ auch an die

Bedingung der Phantastik376

, phantastische Texte seien ‚wortwörtlich‘ zu verstehen und

man solle sie nicht ‚poetic‘ oder ‚allegorical‘ lesen. Hutcheon sieht in der Parodie auch

einen Weg zu einer neuen (Roman)Form, welche genau so ernst genommen werden

sollte, wie diese Formen, die sie integriert und parodisiert.

In Narcissistic Narrative lesen wir bezüglich der Parodie außerdem auch:

Another operation is at work in metafictional parody, however, and this the

formalists called “defamiliarization”. The laying bare of literary devices in

metafiction brings to the reader’s attention those formal elements of which,

through over-familiarization, he has become unaware. 377

Durch die Parodie werden bestimmte literarische Konventionen ans Licht gebracht, es

kommt zu einer ‚defamiliarization‘. Bekannte, ältere literarische Konventionen werden

von ihrer ursprünglichen Funktion entfremdet und zur Schau gestellt. Eingebürgerte

literarische Techniken sind weniger auffällig und werden nicht mehr als deutliche

Konventionen perzipiert. Eine ähnliche Bemerkung habe ich übrigens auch schon im

Kapitel „Typographie“, bezüglich dem Gespräch zwischen dem Zamomin, Blaubär und

Nachtigaller, gemacht378

, wo ich schlussfolgerte, dass der metafiktionale Blick bzw. der

metafiktionale Effekt rezipientgebunden ist. Wenn zwei Leser während ihres gesamten

Lebens immer unterschiedliche Literaturgenres gelesen haben, wird Leser A

wahrscheinlich mit anderen Aspekten der Literatur ‚zu viel‘ vertraut sein (over-

375

Hutcheon: Narcissistic Narrative, S.25 376

Siehe Kapitel “Die Phantastik“ 377

Hutcheon: Narcissistic Narrative, S.24 378

Siehe S.27ff dieser Magisterarbeit.

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familiarization), als Leser B, und umgekehrt. Folglich würden Leser A auch andere

Deviationen bezüglich Genre oder Typographie auffallen, als Leser B. Ähnlich wie bei

der Intertextualität wird die Interpretation und die Auffälligkeit eines metafiktionalen

Aspekts, meiner Meinung nach, mit dadurch bestimmt, was der Modell-Leser in seinem

Leben zuvor schon gelesen hat. Bei Barthes lesen wir diesbezüglich:

Ein Text ist aus vielfältigen Schriften zusammengesetzt, die verschiedenen

Kulturen entstammen und miteinander in Dialog treten, sich parodieren, einander

in Frage stellen. Es gibt aber einen Ort, an dem diese Vielfalt zusammentrifft, und

dieser Ort ist nicht der Autor […], sondern der Leser.379

Die Interpretation und somit auch der parodistische Effekt finden ihre Bestimmung also

erst beim Modell-Leser während des Leseprozesses. Auch hier lässt sich demnach ein

starker Zusammenhang zwischen Metafiktion und Intertextualität feststellen. Eine

Frage, die man sich stellen könnte, wäre nun: Ist alle Intertextualität auch Metafiktion

bzw. ist alle Metafiktion auch Intertextualität? Um diese Frage zu beantworten, müsste

man ihr eine eigene Studie widmen. Es scheint mir jedoch plausibel, vorsichtig zu

behaupten, dass wenigstens alle erkannte Intertextualität gleichzeitig auch als

metafiktionale Komponente perzipiert werden kann. Ab dem Moment, wo man nämlich

eine intertextuelle Parallele zieht zwischen dem Text, den man gerade liest, und einem

älteren Text, aus dem die implizite oder explizite Referenz stammt, ist man sich

eigentlich auch davon bewusst, dass man etwas liest, dass es sich um ein literarisches

Artefakt handelt, welches vom Autor zusammengestellt wurde, und dass man selber

auch eine schöpfende bzw. interpretierende Funktion hat.

Ein weiteres Beispiel aus der Moersschen Feder ist Ensel und Krete. Ein Märchen

aus Zamonien. Schon auf der Umschlagseite ist die Parodie offensichtlich: Es handelt

sich um eine ‚Bearbeitung‘ von dem uns bekannten Märchen der Gebrüder Grimm

Hänsel und Gretel, oder das denkt man zumindest zu Anfang des Romans. In einer

Mythenmetzschen Abschweifung parodisiert der Autor bzw. Hildegunst von

Mythenmetz in gewissem Sinne nämlich die expliziten Erwartungen des Lesers.

Nun, bis zu dieser Stelle wird Ihnen dieses zamonische Märchen bekannt

vorgekommen sein, nicht wahr? Oder zumindest das gleichnamige Kinderlied:

Ensel und Krete, die gingen in den Wald… Nur die leicht modernisierte Fassung,

die Sache mit dem Buntbärenwald, hat Sie bei der Stange gehalten, stimmt’s? Tja,

379

Barthes: „Der Tod des Autors“ In: Jannidis, Fotis et al. (Hrsg.): Texte zur Theorie der Autorschaft.

Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. 2000, S.192

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das war ein kleiner professioneller Trick, um Sie dazu zu veranlassen, bis hierhin

durchzuhalten – wenn Sie diesen Satz lesen, sind Sie drauf reingefallen.380

Mit diesem (metaleptischen) Kommentar deutet Hildegunst nicht nur an, dass er die

Erwartungen des Modell-Lesers, der mit ‚unserem‘ Hänsel und Gretel vertraut ist,

parodisiert. Auf der Ebene der histoire enttäuscht bzw. parodisiert Hildegunst,

theoretisch gesehen, auch die Erwartungen des ‚zamonischen‘ Lesers, der das

zamonische Märchen Ensel und Krete kennt. Der Leser, ob zamonisch oder real, wird

sich hier deutlich seiner Position als Rezipient und ‚Opfer‘ der literarischen Techniken

bewusst. Gleichzeitig könnte man dieses Reduzieren zum puren „Konsument“381

jedoch

auch als einen Widerspruch zu Bachtins Auffassung des aktiven Lesers, des Lesers als

Schöpfer, auffassen. Hildegunst will dem Leser in seinen metanarrativen Kommentaren

nämlich in gewisser Hinsicht deutlich machen, dass er selbst derjenige ist, der den

Verlauf der Erzählung und somit auch die ‚Reaktionen‘ des Lesers steuert.

Ein weiteres Beispiel der Parodie in den Moersschen Romanen ist WR. Wie ich

bereits erwähnt habe, handelt diese Erzählung von dem jungen Gustave Doré, der sechs

Aufgaben lösen muss, um dem Tod zu entrinnen. Während er nun versucht diese

Aufgaben zu bewältigen, bekommt er Gehilfen zur Verfügung gestellt. Ich habe zuvor

jedoch bereits konstatiert, dass alle diese Gehilfen sich letztendlich als ‚Diener des

Todes‘ entpuppen. An sich kann dies schon als (tragische) Parodie gelten, wenn man

WR mit einem Abenteuerroman oder eine Queste verbindet. In diesen Erzählungen trifft

der Held nämlich fast ausschließlich auf ‚gute‘ Gehilfen, während die schlechten bzw.

hinterhältigen schon von Anfang an mit schlechten Eigenschaften markiert werden.

Auch hier spielt der Autor also in gewisser Weise mit den Erwartungen und Hoffnungen

des Lesers.

Dieses Enttäuschen bzw. Parodisieren der Erwartungen, oder besser, das

Überraschen mit abweichenden und, im metafiktionalen Sinne, teilweise

durchschaubaren Erzählstrategien, scheint sich wie ein roter Faden durch Moers‘ Werke

zu ziehen. Wir finden es in Form des unzuverlässigen Lexikons in Käpt’n Blaubär,

beim übergewichtigen Anti-Helden Hildegunst von Mythenmetz, bei den ‚schlechten‘

Gehilfen in WR, bei der Märchen-Farce in E&K und auch in den anderen Romanen. Die

Parodie ist allgegenwärtig und bestimmt in gewisser Weise auch den humoristischen,

380

E&K, S.40 381

E&K, S.40

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selbst-reflexiven Ton der Romane. Durch das Bloßlegen und Parodisieren bestimmter

veralteter, literarischer Konventionen, konstatiert der Leser, dass es sich um ein

literarisches Artefakt handelt und dass die Welt, die er rezipiert niemals etwas mehr sein

wird als eine Deskription. Die Parodie kann sich dadurch sehr einfach in einem Genre

wie der Phantastik zurechtfinden, denn schließlich zielen beide auch eine wortwörtliche,

und keine allegorische oder poetische Lektüre des Textes ab. Diese Parallele könnte

übrigens auch einer der Gründe dafür sein, wieso es so viele Quellen gibt bezüglich der

Kombination Phantastik-Metafiktion gibt.

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4. Fazit

In dem Kapitel bezüglich der Phantastik habe ich zuerst nachgewiesen, dass die

Moersschen Romane viele der phantastischen Merkmale in sich tragen. Zwei der

wichtigsten Aspekte waren hierbei, dass der Leser sich bewusst auf die Fiktionalität der

Erzählung einlassen und dass es zudem einen realistischen Bezugspunkt geben muss.

Die phantastischen Ereignisse müssen also in einem realistischen Rahmen stattfinden,

um die willing suspension of disbelief verantworten zu können. Außerdem helfen der

narrated (‚dramatized‘) narrator und der average man-Protagonist dem Leser jeweils,

um in einem Zustand des Zweifels bezüglich des Realitätsgehalts der phantastischen

Ereignisse zu bleiben, und um sich besser mit dem Protagonisten identifizieren zu

können. Auch phantastische Elemente wie die Karte von Zamonien und das Lexikon der

erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und

Umgebung von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller haben sich als eine Unterstützung für das

So-Tun-Als-Ob erwiesen. Bei der Phantastik geht es also vor allem darum, dass

phantastische mit realistischen Elementen kombiniert werden. Außerdem sollte ein

phantastischer Roman nicht auf allegorische oder poetische Weise gelesen werden. In

der Phantastik geht es gerade um ‚übernatürliche‘ Geschehnisse, die auch als solche

interpretiert werden sollten.

Auch die Metafiktion scheint ein deutlicher Bestandteil der Moersschen Romane

zu sein. In den sieben phantastischen Romanen tritt die Metafiktion zwar nicht immer in

derselben Form auf. Sie ist jedoch zweifellos in jedem der sieben anwesend. In dem

Kapitel „Language of Fiction“ habe ich konstatiert, dass der Leser durch die Opposition

unterschiedlicher Register und Jargons, auf bestimmte Wörter aufmerksam gemacht

wird. Diese werden hervorgehoben und dem Leser durch ihre Deviation vor Augen

geführt. Der Leser wird in diesem Moment mit der linguistic condition konfrontiert. Er

merkt, dass die Erzählung nur ein literarische Konstrukt ist. Außerdem scheint hier auch

die Phantastik eine deutliche Rolle zu spielen. Das foregrounding wird nämlich auch

von neologistischen, pejorativen oder fremdsprachlichen Wörtern verursacht. Zu den

Neologismen zählen auch die phantastischen Komposita, die Moers sehr häufig

verwendet, um einen zamonischen Aspekt zu beschreiben. In diesem Sinne kann der

Sprachgebrauch also auch als Katalysator für die phantastische Leseerfahrung auftreten

und eher als illusionsverstärkend als illusionsbrechend gelten.

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Bei der Typographie wurde deutlich, dass Metafiktion sich auch in den

abweichenden Schriftzügen verstecken kann. Allerdings scheint der metafiktionale

Aspekt hier auch leserabhängig zu sein. Ab dem Moment, wo sich eine Konvention

häufig genug profiliert hat, verliert sie ihren Neuheitsgrad und wird sie nicht mehr

unbedingt als metafiktional, sondern eher als ,normal‘ perzipiert. Der Leser muss den

metafiktionalen Prozess also vervollständigen, damit dieser sich ausreichend profilieren

kann.

Als nächstes bin ich auch die Autorschaft bei Walter Moers, Käpt’n Blaubär und

Hildegunst von Mythenmetz eingegangen. Die beiden erste erwiesen sich bereits als

interessant. Moers‘ Position schien anfangs die eines ‚toten Autors‘ zu sein, was sich

auch der Auffassung der metafictionists anschloss. Gerade dadurch, dass Moers in den

Hintergrund verschwindet, wird der Leser auf die abweichende Autorschaft

aufmerksam gemacht. Es stellte sich zusätzlich heraus, dass Moers über die

Übersetzerfiktion indirekt dennoch Zugriff und Einfluss auf seine Texte hatte. Wie Ilana

Shiloh382

in ihrem Zitat schon feststellte, scheinen metafiktionale Texte oftmals das

Abbröckeln der Autoschaft zu demonstrieren. In Wirklichkeit haben wir es jedoch mit

dem Gegenteil zu tun. Käpt’n Blaubär erwies sich in dem nächsten Kapitel dann, nach

Ablehnung des autobiographischen Romans, dem autobiographischen Erzählen und der

Autofiktion als fiktiver pseudo-biographischer Roman.

Die frappanteste Manifestation einer metafiktionalen Komponente habe ich

insbesondere bei der Autorschaft von Hildegunst von Mythenmetz konstatieren können.

In dem entsprechenden Kapitel habe ich gezeigt, dass die Metafiktion hier zwar

offensichtlich durch die Mythenmetzschen Abschweifung, eine Metalepse auf der Ebene

der histoire, auftritt. Diese Komponente kann hier jedoch nicht nur als ein

Fiktionalitätssignal, als ein Hinweis auf die linguistic condition, interpretiert werden.

Kombiniert mit dem Fiktionalitätspakt, dem autobiographischen Pakt von Lejeune und

dem referentiellen Ich von Käte Hamburger, wird die Fiktion von Hildegunst als

tatsächlichem Autor sogar noch bestärkt. Hildegunsts Position wird zusätzlich durch

mehrere Referenzen in dem selben oder in anderen Moersschen Texten und durch seine

Vorstellung als literarisches und rebellisches Genie im Sinne der Stürmer und Dränger

bestärkt. Hildegunsts literarische und auktoriale Position ist jedoch auch deswegen

382

Siehe S.45 dieser Magisterarbeit.

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interessant, weil sie uns auf einen ironischen Aspekt bezüglich der Zuweisung der

Autorschaft aufmerksam macht. Die Romane stehen dem Konzept der Autorschaft

anscheinend eher kritisch bzw. ironisch gegenüber und scheinen eine deutliche

Zuweisung anscheinend vermeiden zu wollen. Moers degradiert sich zum Illustrator und

Übersetzer und ernennt jemanden anders zum mutmaßlichen Schöpfer seiner Werke.

Außerdem ist Moers öffentlichkeitsscheu und er äußert sich in Interviews, die er nur per

Mail gibt, oftmals abfällig bezüglich der Kritikerkultur und dem Literaturbetrieb im

Allgemeinen. Auch die pejorativen Aussagen innerhalb der Erzähltexte über Laptantidel

Latuda, die Mythenmetzpuppe und die Unbücher weisen auf eine eher negative und

sicherlich kritische Moerssche Wahrnehmung des Literaturbetriebs hin. Er scheint mit

seiner auktorialen Abwesenheit ein Statement bezüglich der Position des Autors, der

Literatur und des Literaturbetriebs machen zu wollen. Gleichzeitig postuliert er jedoch

Hildegunst von Mythenmetz: genial, leicht pedantisch, auffällig, extravertiert und

bestimmend. Je mehr Moers sich in den Hintergrund zieht, desto stärker wird auch

Mythenmetz. Mythenmetz scheint in dieser Hinsicht alles zu sein, was Moers nicht ist.

Erwähnenswert ist auch der phantom pre-text, der genau wie der autobiographische

Pakt und das referentielle Ich eine Authentifizierungsfunktion übernimmt. Der Leser

versucht, mithilfe kleiner Indizien des Autors, den ursprünglichen Text zu

rekonstruieren. Als Leser wird man sich hierbei demnach abermals davon bewusst, dass

der Erzähltext eine Komposition unterschiedlicher Teile darstellt, was man leicht mit

der Intertextualität verknüpfen kann. Die Intertextualität weist, meiner Meinung nach,

einen starken Bezug zur Metafiktion auf. Eine Studie bezüglich der Verbindung

zwischen der Metafiktion und der Intertextualität scheint mir deswegen sicherlich

gerechtfertigt zu sein und soll an dieser Stelle als Ausblick gelten. Leider hätte eine

Integration der Intertextualität den Rahmen meiner, bereits sehr ausgebreiteten,

Magisterarbeit gesprengt, wodurch ich sie außer Acht lassen musste. Dieses

‚Ignorieren‘ hat jedoch keineswegs damit zu tun, dass ich die Intertextualität hier nicht

relevant achte, sondern, wie bereits erwähnt, mit ordinärem Platz- und Zeitmangel.

Die Autorschaft in den Moers-Romanen scheint also alles andere als evident zu

sein. Die wichtigste Konstatierung ist, meiner Meinung nach, dass eine metafiktionale

Komponente zwar häufig vom Autor also eine solche intendiert sein kann, dass aber die

Interpretation und die Sichtweise des Lesers diese Absicht auch wieder zerstören kann.

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Außerdem ist auffällig, dass z.B. die Metalepse, die insbesondere und logischerweise

der Metafiktion zugerechnet wird, in einem phantastischen Roman bzw. in einer

bestimmten Ausführung ihren metafiktionalen Effekt, den Illusionsbruch, verliert und

im Gegenteil sogar illusionsbestärkend wirkt. Hier befindet sich also abermals eine

Möglichkeit für weiterführende Untersuchungen. Erhält die Metafiktion nur in

bestimmten phantastischen Romanen eine andere Funktion? Gibt es noch andere Genres

in denen die Metafiktion eher illusionsbestärkend als illusionszerstörend wirken kann?

In einem weiteren Kapitel bin ich spezifisch auf DSdTB und DLdTB eingegangen

und habe ich diese mit dem Entwicklungs- und Bildungsroman verbunden. Wie Todd

Kontje bereits nachgewiesen hatte, kann nämlich auch diese Romanform als

metafiktional angesehen werden. Ich konnte konstatieren, dass insbesondere DSdTB der

Definition eines Bildungs- en Entwicklungsromans entspricht, dass jedoch auch DLdTB

viele der Eigenschaften enthält. Metafiktional war insbesondere, dass Hildegunst selbst

auch ein avid reader war, wodurch der Leser an seine eigene Position als Rezipient

erinnert wurde. Außerdem enthalten beide Romane viele kritische und selbstreflexive

Bemerkungen bezüglich der contemporary cultural scene. Anhand unterschiedlicher

Kommentare über z.B. Bücher als Baumaterial oder die von sich selbst entfremdeten

Unbücher, weist Moers uns deutlich auf die eigene kulturelle Situation und das

Verschwinden von Büchern und Literatur hin. Zudem wird auch die Reizüberflutung

thematisiert. Moers geht also selbst-reflexiv mit der Perzeption der Kultur und ihrer

Anwendung um, wodurch der Leser auch mit dem eigenen kulturellen Kontext

konfrontiert wird.

Das Konzept vom Buch im Buch wurde bei Siebeck zwar nicht mit der

Metafiktionalität verbunden. Meiner Meinung gibt das Integrieren von anderen Texten

und Medien jedoch gerade wieder, dass der Text an sich ein Konstrukt ist, eine

Zusammenstellung von unterschiedlichen literarischen und linguistischen

Komponenten. In dieser Hinsicht, habe ich das Buch im Buch demnach auch mit der

Intertextualität verknüpft. Eines der ‚Bücher im Buch‘ ist das Lexikon von Prof. Dr.

Abdul Nachtigaller, über welches Blaubär häufig reflektiert und kommentiert. Er geht

also selbst-bewusst und selbst-reflexiv mit diesem Medium um. Das Lexikon beinhaltet

jedoch auch eine Warnung, nicht zu viel auf Bücher zu vertrauen und Theorie immer

mit Praxis zu kombinieren. Das geniale Manuskript wies mit seinem Anfangs- und

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Schlusssatz, der auch innerhalb des Erzähltextes wiederholt und manchmal leicht

abgewandelt wird, auf die linguistische Konstruktion der Erzählung hin. Vor allem das

Wort ‚Geschichte‘, war hier ausschlaggebend. Das giftige Buch wies vor allem durch

seine Intertextualität einen starken Bezug zu der Metafiktion auf, während das

Leuchtturmtagebuch durch seine abweichende Typographie und sein vom Rest

abweichendes Medium metafiktional zu nennen ist. Das Buch im Buch wird meist mit

einer abweichenden Typographie konkretisiert, wodurch dem Leser deutlich gemacht

wird, dass es sich um ein anderes Medium handelt. In diesem Sinne wäre also auch die

Intermedialität mit Metafiktion zu verknüpfen. Ab dem Moment, wo wir auf ein anders

Medium stoßen, werden wir eigentlich schon an die Grenzen der Sprache und des

Mediums Buch erinnert. Dieser Zusammenhang soll hier also als Ausblick gelten.

Zuletzt bin ich auf den Aspekt der Parodie eingegangen, den ich jedoch auch

schon einige Mal während meiner Darlegungen in den vorherigen Kapiteln erwähnt

hatte. Wie bei der language of fiction geht es hier abermals um die Opposition von alten

und neuen literarischen Konventionen. Mit der Parodie werden veraltete Techniken

untergraben und sorgen diese so für einen komischen Effekt. Die Parodie integriert, wie

die language of fiction jedoch auch aktuellere Medien und stellt sie den älteren

gegenüber. Wir haben es hier mit einer metafiktionalen Komponente zu tun, da

Parodisierung für ein Hervorheben der unterliegenden Strukturen sorgt. Wie in einer

Mythenmetzschen Abschweifung werden die literarischen Strategien entblößt. Aber auch

hier gilt, wie bei der Topographie, dass der Leser diese metafiktionalen Aspekte auch

als solche perzipieren muss. Ansonsten verlieren sie ihren Effekt.

Zusammenfassend möchte ich demnach behaupten, dass die sieben Moers-

Romane sicherlich phantastisch und metafiktional zu nennen sind. Die Metafiktion

äußert sich allerdings nicht immer so, wie man es vielleicht erwartet, und funktioniert

zeitweise sogar als Fiktionalitätsverstärker und nicht als Fiktionalitätssignal. In diesem

Sinne wäre eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen den unterschiedlichen

Genres und der Metafiktion sicherlich empfehlenswert. Das ‚Erkennen‘ der Metafiktion

scheint stark mit dem Leser zusammen zu hängen. Diesem fallen vereinzelte Aspekte

entweder auf, oder nicht. Der Rezipient hat also eine zunehmend aktivere Rolle.

Bezüglich der Metafiktion habe ich im entsprechenden Kapitel außerdem bereits

erwähnt, dass der heutige Leser sich mehr und mehr für den Entstehungsprozess eines

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Romans interessiert und nicht mehr nur für den Inhalt. Die Metafiktion ermöglicht es

dem Leser, meines Erachtens, um den linguistischen und literarischen Skelettbau zu

erkennen, ohne dass der Roman auf ihn reduziert wird. Romane sind zwar interessante

Kompositionen. Sie sollten aber dennoch nicht nur analysiert, sondern auch ‚erfahren‘

werden. Die Bedingungen der Phantastik, kombiniert mit den Aspekten der Metafiktion,

sorgen meiner Meinung nach dafür. Die sieben phantastischen Romane sind gerade

durch dieser starke Kombination ein Spiel voll Humor, Geist, Intelligenz, Reflexion und

Selbst-Bewusstsein und verdienen es demnach, um auf diese Weise gelesen zu werden.

Abschließend zu meiner Magisterarbeit, möchte ich nun gerne noch kurz etwas zu

dem Titel meiner Magisterarbeit sagen. Der Begriff Holzzeit beschreibt eigentlich eine

gewisse Aktivität383

in Buchhaim. Ich habe ihn jedoch von seiner ursprünglichen

Bedeutung entfremdet und dementsprechend meine eigene Interpretation appliziert. Mit

dem Begriff Holzzeit verweise ich auf den materiellen Ursprung des Buches und somit

auf die metafiktionale Perzeption, dass Bücher letztendlich nur eine Komposition

unterschiedlicher Konventionen sind. ‚Holzzeit‘ bedeutet für mich: Zeit für Holz, Zeit

sich mit Holz befassen. Holz markiert das Ursprungsmaterial des Blattes und somit auch

des Buches. Wenn wir die ursprüngliche Moerssche Bedeutung jedoch so belassen, wie

sie ist, kann sie auch als Zeichen einer gemütlichen Lektüre vor einem Kamin

interpretiert werden. Dadurch dass ich den Begriff aus seiner ursprünglicher Bedeutung

gehoben und neu eingefüllt habe, kann man im Nachhinein auch von einem

foregrounding reden, denn ist Ihnen der Titel anfangs nicht gerade deswegen

aufgefallen, weil es sich um ein neues, unbekanntes und phantastisches Wort handelte?

383

Siehe S.40 dieser Magisterarbeit.

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11.04.2012)

- Zeilmann, Achim: „Drachengespräche Hildegunst von Mythenmetz“ (Teil 1 von

2). ZDF „aspekte“. Drehbuch: Walter Moers. Deutschland 2007. Verfügbar

http://www.youtube.com/watch?v=E3JwEVYcGBk (besucht 14.05.2012)

Page 108: 1. Einleitung · 2012. 12. 5. · 1 1. Einleitung Insbesondere in Deutschland, aber auch im Rest der Welt, ist der Name Walter Moers inzwischen ein Begriff. Er gilt nicht nur als

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6. Anlagen

Abbildung 1: Karte von Zamonien http://www.nachtschule.de/zamonien.php

Abbildung 2: Hildegunst von Mythenmetz