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Sonntagsblatt 10 24/2020 Titel: Wir wollen trauern können!

10 Titel: Wir wollen trauern können! Sonntagsblatt · 2020-06-15 · Peter Volk vor dem Haus und wartete auf den Krankenwagen. Da sieht seine Familie ihn zum letzten Mal Drei Wochen

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Page 1: 10 Titel: Wir wollen trauern können! Sonntagsblatt · 2020-06-15 · Peter Volk vor dem Haus und wartete auf den Krankenwagen. Da sieht seine Familie ihn zum letzten Mal Drei Wochen

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Titel: Wir wollen trauern können!

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Als Alexander Volk seinen Vater an die-sem Tag im März an-sah, überkam ihn ein komisches Ge-

fühl: »Er sah anders aus. Seine Wangen waren eingefallen und sein Gesichtsausdruck war selt-sam«, erinnert er sich. »Das ist das letzte Mal, dass wir ihn se-hen« – der Gedanke ließ ihn nicht mehr los.

Gerade hat der 40-Jährige sei-nen Vater erneut zur Hausärztin gebracht, nachdem das Antibio-tikum nicht angeschlagen hatte. »Mein Vater war anfällig für Husten, daher haben wir uns nicht groß gesorgt. Doch als er Fieber bekommen hat und nicht mehr riechen und schmecken konnte, haben wir ihn gedrängt, sich noch einmal untersuchen zu lassen«, sagt Alexander Volk.

Die Ärztin überwies ihren Pa-tienten ins Krankenhaus – ver-mummt wie ein Astronaut stand Peter Volk vor dem Haus und wartete auf den Krankenwagen.

Da sieht seine Familie ihn zum letzten MalDrei Wochen später ist der

72-jährige humorvolle Mann, der alles tut für seine Familie, der die Musik und den Garten liebt, der in Gottesdiensten Or-gel spielt, sich in Vereinen enga-giert und einen Chor leitet, tot. Gestorben an Covid-19. In dem Moment, als Peter Volk in den Krankenwagen steigt, sieht seine Familie ihn zum letzten Mal.

Sechs Wochen später treffen sich Martha Volk, ihr Sohn Alex-ander und ihre Töchter Bianka

Unrath und Karina Legnavsky auf der Terrasse ihres Elternhau-ses im Landkreis Tübingen. »Ich stehe unter Schock«, sagt Martha Volk. »Ich kann nicht daran den-ken, was mit meinem Mann pas-siert ist, sonst werde ich ver-rückt.«

Am Nachmittag nach seiner Einlieferung telefoniert Peter Volk noch mit seiner Familie. Als Alexander Volk am nächsten Morgen erwacht, sieht er, dass sein Vater ihn um 0.22 Uhr ange-rufen hat. Wie der Anruf zu-stande kam, hat er nie erfahren. Es ist das letzte aktive Lebens-zeichen von Peter Volk, der in jener Nacht ins künstliche Koma versetzt wird. Seiner Familie wird nicht gestattet, ihn noch einmal zu sehen.

»Aufgrund der aktuellen Situation fi ndet die Beerdigung im engsten Familienkreis statt«, »Wir haben in aller Stille Abschied genommen« oder »Die Trauerfeier wird auf einen späteren Zeitpunkt verscho-ben«. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie fi nden sich diese Zeilen in fast allen Todesanzeigen. Vor wenigen Wochen noch durften höchstens zehn Personen an einer Beerdigung teilnehmen, durften

Angehörige und Freunde den Ver-storbenen in seinem Sterben nicht begleiten, ihm nicht nahe sein, ihn nicht mehr sehen. Was macht es mit Menschen, wenn zu einer Aus-nahmesituation wie dem Tod eines Angehörigen oder Freundes auch noch Corona hinzukommt? Lassen sich das Abschiednehmen und die Trauer einschränken, zurück-drängen oder einfach um ein paar Monate verschieben? Wohl kaum.

Lesen Sie weiter auf Seite 14

Abschied von einem gelieb-ten Menschen zu nehmen ist immer eine große Heraus-forderung. In Zeiten der Corona-Pan-demie ver-schärft sich die Situation drastisch. Wie gelingt es, der Trauer Raum und Zeit zu geben? Wie lässt sich ein würdiger und stimmiger Abschied gestalten?

Weil Trauer sich nicht verschieben lässt …

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Szenen, die in die Geschichte eingehen werden: Unser Foto zeigt eine Beerdigung in der Gemeinde Mariä Himmelfahrt in Stuttgart-Degerloch zu der Zeit, als zum Schutz vor dem Coronavirus nur die engsten Angehörigen an der Trauerfeier teilneh-men durften. Der katholische Diakon Thomas Leopold findet trotzdem die richtigen Worte.

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»Nicht alle Krankenhäuser gehen einheitlich mit dieser Situation um«, weiß Thomas Krieg, Krankenhausseelsorger im katholischen Marienhospital in Stuttgart. Hier ist es Angehö-rigen auch im Falle von Covid-19 erlaubt, dem Patienten in Schutz-kleidung nahe zu sein. »Wir ver-suchen, Dinge menschengerecht zu gestalten«, bemerkt er und berichtet von Räumen, in denen Abschied genommen werden kann, von Sterbegebeten, Ritua-len und Krankensalbungen. Letzteres hätte sich Peter Volks Familie auch für ihn gewünscht.

Irgendwann gab es keine Hoffnung mehr»Jeden Tag gab es ein Zeitfens-

ter, in dem wir in der Klinik an-rufen durften«, sagt seine Toch-ter Bianka Unrath. Kurz und knapp berichten immer wieder andere Ansprechpartner vom schlechten Zustand des Vaters. »Irgendwann hieß es, dass wir uns keine Hoffnung mehr ma-chen sollen«, sagt sie leise. Die zweifache Mutter lässt nicht lo-cker und fleht den Arzt an, dass sie, ihr Mann und ihre Mutter sich doch wenigstens per Video-anruf jetzt von Peter Volk verab-schieden dürfen. Der Arzt gibt ihrem Drängen nach.

Von da an kann die Familie nur noch warten. Angst begleitet jedes Klingeln des Telefons. Und auch zu Hause gibt es Sorgen: Nicht nur Martha, sondern auch Alexander Volk und seine Frau erkranken an Corona und kom-men in Quarantäne.

»Ihr Vater ist verstorben und wird weggebracht«Als Bianka Unrath nach drei

Wochen um 5.30 Uhr einen An-ruf aus der Klinik entgegen-nimmt, ahnt sie es schon. Sie erfährt, dass ihr Vater verstor-ben ist und nun »weggebracht« wird. Die 45-Jährige lässt sich nicht abwimmeln und bittet den Arzt um ein letztes Foto. Nach langem Zögern willigt er ein. Die Schläuche und Maschinen sind nicht mehr zu sehen, aber Peter Volks Unterkörper steckt bereits in einem schwarzen Sack. Es ist Karfreitag, der 10. April 2020.

»Wegen der Quarantäne durfte ich nicht zu meiner Mut-ter, als Papa gestorben ist«, er-

zählt Alexander Volk. »Und wir standen mit Abstand in ihrem Garten«, sagt Karina Legnavsky. Später, im Bestattungshaus, ge-hen die Familienmitglieder ein-zeln in den Raum mit dem ge-schlossenen Sarg. Bianka Unrath betritt den Raum als Dritte und stellt fest, dass sich dort nicht der Sarg befindet, den sie für ih-ren Vater ausgesucht hat. »Ist mein Papa überhaupt hier drin?«, fragt sie sich. Die Familie ver-langt, dass das überprüft wird.

Sechs Wochen sind seither vergangen. »Man funktioniert«, sagt Martha Volk. An etwas an-deres ist nicht zu denken.

»Das Abschiednehmen von einem Menschen ist einmalig, die Möglichkeit kommt nie wie-der«, betont Juliane Löffler, die in der ambulanten Lebens- und Sterbebegleitung im Hospiz St. Martin in Stuttgart-Deger-loch tätig ist. Sie weiß, was es in Menschen anrichten kann, wenn es nicht möglich ist, einen guten Abschied zu gestalten.

Trauer wird überdeckt von Angst und Panik»Vor Corona hatten wir so

viele Anfragen für eine Trauerbe-gleitung«, erzählt ihre Kollegin Barbara Hummler-Antoni. »Seit Ausbruch der Pandemie haben sich drei Leute gemeldet. Die Trauer ist weggerutscht und wird überdeckt von Angst, Panik und Misstrauen«, vermutet sie, »das macht uns Sorgen. Wir wis-sen, welche Einprägungen es im Trauerfall in der Seele gibt, und rechnen damit, dass uns dem-nächst eine Flut von Anfragen überrollen wird. Anfragen all je-ner Menschen, die merken, dass sie nicht mehr ins Leben finden«, so die Trauerbegleiterin.

Umso mehr hat sich das Hos-piz-Team bemüht, neue Konzepte zu gestalten, um Trauernden trotz räumlicher Distanz nahe zu sein. »Die Schleusenzeit spielt eine ganz wichtige Rolle«, macht Barbara Hummler-Antoni deut-

lich (»Schleusenzeit« ist ein Begriff der Erziehungswissenschaft lerin und Hospizbegleiterin Ruthmarijke Sme-ding). »So nennt man die Zeit vom Eintritt des Todes bis zur Bestat-tung. Was da passiert, wird ganz lange erinnert, hier werden ent-scheidende Voraussetzungen für eine gute Trauerarbeit gelegt.«

Trauerstörungen sind die FolgeWie ihre Kolleginnen bedau-

ert sie sehr, dass es gerade so schwierig ist, geschützte Mantel-räume für Sterbende und Trau-ernde zu schaffen. »Die Pande-mie verstärkt alles und verdoppelt Einsamkeit«, stellt sie fest. »So vieles, was Betroffene brauchen, ist nicht möglich. Die Menschen werden ausgebremst, das redu-ziert ihren Willen, sich Hilfe zu suchen.« Verlängerte Trauerstö-rungen können die Folge sein.

»Wir sind für die Menschen da«, sagt sie. »Wenn die Schleu-senzeit schwierig war, schauen wir auf kleine positive Dinge, die groß werden können, wir würdi-gen den Schmerz dessen, was nicht möglich war, wir zeigen Auswege aus der Stagnation und bringen Menschen in Kontakt mit sich, ihrem Schmerz, aber auch ihrem Glück.« Barbara Hummler-Antoni weiß, dass es Menschen trösten kann, sich von einer höheren Macht begleitet zu fühlen, »weil sie jemanden ha-ben, bei dem sie klagen können«.

Kontrollverlust macht Menschen zu schaffenDie Nöte trauernder Men-

schen erlebt auch Andrea Haller vom Bestattungshaus Haller in Stuttgart hautnah mit. In den vergangenen Wochen hat sie er-fahren, dass vor allem Unein-schätzbarkeit und Kontrollver-lust Menschen zu schaffen machen: Dürfen sie den Verstor-benen nicht mehr sehen? Dürfen sie wirklich nur einzeln Ab-schied nehmen? »Hinzu kam, dass Kommunen Trauerfeiern unterschiedlich gehandhabt ha-ben«, sagt Andrea Haller, »und dass nicht alle auf dem aktuellen Stand der Informationen waren. Manche Trauerhallen sind bis heute geschlossen, weil es kein Hygienekonzept gibt.«

Zu Beginn der Pandemie ha-ben sie und ihre Kollegen erwar-

tet, dass viele Trauerfeiern auf später verlegt werden. Doch das passierte nicht. »Das macht uns Sorge«, gibt die Theologin zu, »weil dadurch Menschen auf der Strecke bleiben, die sich nicht richtig verabschieden können. Zum Beispiel Freunde.« Wäh-rend sich anfangs fast alle für Urnenbestattungen entschieden haben, normalisiert sich die Zahl der Erdbestattungen nun wieder.

Mit viel Einfallsreichtum steht Andrea Hallers Team Trauern-den bei. »Zeitweise waren bei Be-erdigungen nur zehn Personen erlaubt. Wir haben Angehörigen den Tipp gegeben, dass auf dem Friedhof Raum für wenige wei-tere Trauernde ist, wenn sie wei-ter weg an einem anderen Grab stehen. Auch die Einladung, spä-ter zum Grab zu gehen oder ei-nen Stein dort abzulegen, kommt gut an«, verrät die Theologin. In Corona-Zeiten, in denen Singen nicht erlaubt ist, engagiert das Bestattungshaus Live-Musiker. Und: »Wir legen den Menschen ans Herz, in einem Jahr eine Ein-weihungsfeier zur Setzung des Grabsteins zu veranstalten«, so Andrea Haller. »Hier ist für Ver-wandte und Freunde ein konkre-tes Abschiednehmen möglich.«

Für all diejeni-gen, die in Corona-Zei-ten keine Möglichkeit hatten, sich von dem Ver-storbenen zu verabschie-den, bietet sich eine Ein-weihungsfeier zur Setzung des Grab-steins an. Hier können sie noch einmal konkret und gut Abschied nehmen.

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MenschlichkeitWir sind unserem Pfarrer Martin Uhl so dankbar. Er war mit Herz, Menschlichkeit und Weitsicht für uns da.

Alexander Volk

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Der würdige Abschied von Peter Volk auf dem Friedhof und die wertvolle Unterstützung durch Pfarrer Martin Uhl bedeu-ten seiner Familie ganz viel. Dass auf dem Friedhof nur zehn Trauergäste erlaubt waren, wäh-rend sich zur selben Zeit im Su-permarkt Menschen vor den Re-galen gedrängt haben, begreifen die Hinterbliebenen nicht. »Aber Martin Uhl hat das toll gemacht und war mit Herz, Menschlich-keit und Weitsicht für uns da. Dafür sind wir unendlich dank-bar«, sagt Alexander Volk. So wie für die überwältigende An-teilnahme durch Freunde, Be-kannte und Nachbarn.

Wie lässt sich Nähe anders rüberbringen?»Besonders schwer fällt es mir

gerade, für Menschen in Trauer da zu sein, die ich schon seit Jah-ren begleite«, sagt Pfarrer Karl Kaufmann aus Böblingen. »Dass ich ihnen nicht persönlich nahe sein kann, macht mir zu schaf-fen.« Wie für seine Kollegen ist es auch für ihn eine Herausfor-derung, Nähe anders rüberzu-bringen – durch eine fürsorgende

Stimme und die Wertschätzung des Verstorbenen.

Der katholische Priester er-lebt Verunsicherung und Hilf-losigkeit bei den Trauernden, die dankbar sind, »wenn einer das Heft in die Hand nimmt«. Be-wusst gestaltet er Beerdigungen auf dem Friedhof mit zwei Sta-tionen – »weil ein Abschiedsweg wichtig ist. Eine Beerdigung mit zehn Personen ist eine riesige Zäsur«, findet er, »nicht mal im Krieg war das so«. Trauergesprä-che führt er derzeit im großen Gemeindesaal mit Abstand oder am Telefon: »Das muss sein.«

Sabine Rieger aus Rottweil musste in den letzten Wochen zweimal Abschied nehmen. Zu-erst ist ihre Schwiegermutter verstorben, später ihr Onkel. »Als er beigesetzt wurde, haben mit der Pastorin zehn Personen an der Beerdigung teilgenom-men. Die Trauerfeier hat 25 Mi-nuten gedauert und wurde von einem Trompeter mitgestaltet. Das war in Ordnung«, findet Sa-bine Rieger, die sich nun um ihre Tante sorgt, die in Corona-Zei-ten zunehmend vereinsamt.

Anders hingegen bleibt ihr der Abschied ihrer Schwiegermutter in Erinnerung. »Sie war schwer

krank und in Quarantäne, und da wir im Krankenhaus nicht bei ihr hätten sein können, haben wir sie heim geholt«, erzählt die ausgebil dete Krankenschwester. Auch wenn die Situation alle überfordert hat, würde sie es wieder so machen.

»Ihre Beerdigung war menschenunwürdig«Als ihre Schwiegermutter

starb, war die ganze Familie da. »Wir haben ein Vaterunser gebe-tet und sie hat den Enkeln zuge-winkt«, erzählt Sabine Rieger. Ein schöner Moment. Aber er war viel zu kurz.

»Meiner Schwiegermutter wa-ren Beerdigungen immer wich-tig, doch bei ihrer eigenen durf-ten nur zehn Personen dabei sein. Es war menschenunwür-dig«, bricht es aus ihr heraus, »wir haben uns am offenen Grab getroffen. Ohne Musik, Weih-wasser, Erde oder eine tröstende Hand – in zwölf Minuten war ihr Sarg in der Erde versenkt.« Sa-bine Rieger berichtet, dass ihre Schwiegermutter für ihre Fami-lie gelebt hat und dass sie Ange-hörigen und Freunden untersa-

gen mussten, an der Bestattung teilzunehmen. »Viele wissen bis heute nicht, dass meine Schwie-germutter verstorben ist.«

Auf dem Friedhof wurde die Zahl der Trauergäste vom Ord-nungsamt kontrolliert. Nach der Feier ist jeder alleine heimgegan-gen. »Was tun wir Menschen an, die nicht trauern dürfen?«, fragt sie sich. Das Gefühl, ihrer Schwiegermutter nicht gerecht geworden zu sein, macht ihr zu schaffen. »Ihr Grab kommt mir unwirklich vor«, gesteht sie, »und meine Trauer verdränge ich.«

»Abschied und Trauer lassen sich nicht verschieben«, weiß Ju-liane Löffler vom Hospiz St. Mar-tin. »Sie suchen sich ihre Wege«, fährt sie fort, »oft in Situationen, in denen ich sie nicht haben will. Irgendwann muss ich mich die-sen Herausforderungen stellen, sie gehören zum Leben dazu und sind es wert, gelebt zu werden«, stellt sie klar. »Wir nehmen je-den Tag Abschied von irgend-etwas«, betont die Koordinatorin im Hospiz St. Martin, »diese kleinen Abschiede sind wichtige Übungsfelder für den großen Abschied, der eines Tages auf uns alle zukommt.«

Diana Müller

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