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kon traste Presse- und Informationsdienst für Sozialpolitik BIOPOLITIK AKTUELLES BUCHTIPPS VERANSTALTUNGEN 6 August 2010

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k o n t r a s t ePresse- und Informationsdienst für Sozialpolitik

BIOPOLITIK

AKTUELLES

BUCHTIPPS

VERANSTALTUNGEN

SPE KTRUM

6 August 2010

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Biopolitik

What’s going on with Life Sciences? 4

Biopolitik der Behinderung 9

Selbstbestimmte Entscheidung - ein Mythos? 14

Umstrittene Leihmutterschaft 18

Deutschland: Klare gesetzliche Regelungen für Biobanken gefordert 21

Das “neue” Menschenbild der Bio- und Lebenswissenschaften 24

Aktuelles

Glücksspielgesetz-Novelle passiert Nationalrat 29

Manifest für Gerechtigkeit 31

Buchtipps 34

Veranstaltungen 35

I N HA L T

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E D I T O R I A L

Liebe Leserin, lieber Leser!

Alt werden bei guter Gesundheit - wer will das nicht?Dies zu erreichen ist eine der zentralen Versprechungender biomedizinischen Forschung, die in den letzten Jah-ren einen gewaltigen Aufschwung genommen hat. Ins-besondere seit der Entschlüsselung des menschlichenGenoms um die Jahrtausendwende erscheint nunmehrdie Früherkennung und Eliminierung von Krankheitenund dadurch bedingter Leiden durchaus möglich. Indemder Mensch nun selbst zum Gegenstand biotechnischerEingriffe wird, scheinen, so der Sozialphilosoph VolkerGerhardt, nicht nur “die Eindämmung schwerer erbli-cher Defekte”, sondern auch “die guten alten Mensch-heitsträume von einem verlängerten Leben und einerSteigerung von Kraft und Schönheit” in greifbare Nähegerückt (www.uni-muenster.de).

Die Optimierung des Lebens in all seinen Phasen, vonder Geburt (Pränataldiagnostik) über die Erwachsenen-jahre (Erhaltung der Jugendlichkeit) bis ins hohe Alter(Geriatrie), mithin für optimale Lebensumfelder undUmweltbedingungen zu sorgen, ist das - teils explizite,teils unausgesprochene - Ziel der so genannten Lebens-wissenschaften oder Life Sciences, einer interdisziplinärangelegten Forschungsrichtung, die sich mit dem Men-schen als Lebewesen wie auch als soziales und kulturel-les Wesen befasst (vgl. Beitrag Tschom, S. 4). Doch einederartige Zielsetzung wirft Fragen auf, etwa: Was istdas anzustrebende Optimum? Wer bestimmt das re-spektive hat die diesbezügliche Deutungshoheit? Undwas geschieht mit Leben, das diesem Optimum nichtnahekommt bzw. nahekommen kann?

Für den Bereich Behinderung zeigt Ursula Naue (Bei-trag S. 9), dass die neuere Entwicklung fatale Folgenhaben kann: So besteht die Gefahr, dass die in denletzten Jahren beobachtbare Tendenz, dass Behinde-rung zunehmend als komplexe Ansammlung von Be-dingungen verstanden wird, die durch das Umfeld vonMenschen mit Behinderungen erzeugt wird, durch dieFokussierung auf angeborene Krankheiten und Behin-derungen im Rahmen genetischer Diagnostik und bio-medizinischer Forschung wieder rückgängig gemachtwird und Menschen mit Behinderungen neuerlich aufihre körperlichen Beeinträchtigungen reduziert wer-den. Und aufgrund der Möglichkeiten pränataler Dia-gnostik steht die Frage im Raum, warum es heute noch“notwendig ist, diese Menschen auf die Welt zu brin-

gen” (Johannes Rau), zumal Behinderung in diesemKontext als “Schädigung der Gesellschaft” verstandenwerden könnte.

Dass dies keine bloß abstrakten Überlegungen sind,zeigt die Untersuchung von Osterkorn (Beitrag S. 14),in der Frauen befragt wurden, die sich einem pränatal-diagnostischen Verfahren, dem so genannten Combi-ned Test, unterzogen. Diese erwarten sich davon in er-ster Linie Beruhigung - “dass alles mit dem Kind inOrdnung ist”. So dies nicht der Fall ist, tendiert man al-lerdings in Richtung Schwangerschaftsabbruch. Argu-mentiert wird unter anderem mit der “Verantwortunggegen über der Gesellschaft” und teilweise wird derPflegeaufwand antizipiert, der auf die Umwelt zukom-men würde. Auf den Frauen lastet allerdings ein Druckzur Entscheidung, der früher - mangels technischerMöglichkeiten - so nicht gegeben war. Zudem besteht- zumindest offiziell - kein einheitlicher moralischerKonsens mehr, der als Handlungsanleitung dienenkönnte. Umwelteinflüsse sind dennoch in vielfacherWeise gegeben und der gesellschaftliche Druck, aus-schließlich ein “gesundes” und in weiterer Folge für dieGesellschaft “nützliches” bzw. “produktives” Lebewe-sen zur Welt zu bringen, kann schwerlich geleugnetwerden.

Dieser subkutane Utilitarismus müsste einmal thema-tisiert und problematisiert werden. Und es wäre zu fra-gen, ob dem nicht etwas entgegengesetzt werdenkönnte, etwa eine angewandte, für pluralistische Ge-sellschaften akzeptable Ethik abseits fundamentalisti-scher Zuspitzungen. Ein Ausgangspunkt hierfür könnteder Begriff der “Menschenwürde” sein, der in vielenDeklarationen (z.B. der Allgemeinen Erklärung derMenschenrechte oder dem Deutschen Grundgesetz)vorkommt, ohne darin allerdings näher erläutert zuwerden. Ulrich Körtner hält den Begriff dennoch nichtfür “bloße Verfassungslyrik”, für ihn steht Menschen-würde konkret “für die Forderung nach Achtung undAnerkennung unabhängig von persönlichen Leistungenoder gesellschaftlichem Nutzen eines Menschen”(science.orf.at, 09.07.2010). In diesem Lichte betrach-tet würde sich vermutlich die Frage nach der “Optimie-rung” menschlichen Lebens - und Zusammenlebens -etwas anders stellen und vielleicht auch manche indi-viduelle Entscheidung anders ausfallen, meint

Ihre Kontraste-Redaktion

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B I O PO L I T I K

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What’s going on with LifeSciences?„Life Sciences sind eine interdisziplinäre Wis-senschaft von der Natur, über die Natur, vonden Menschen und ihrem Verhalten in derNatur und untereinander. Wir werden dieWissenschaften der Zukunft sein.“1

Das Genom-ParadigmaMit der so genannten Entschlüsselung des Genoms(Human Genom Projekts 2003) hat sich innerhalbwissenschaftlicher Bereiche organismischer Natur-forschung eine beachtliche Wende vollzogen, die alsder Anbeginn des Zeitalters der Bio- und Lebenswis-senschaften postuliert wird. Das deutsche Bundesmi-nisterium für Bildung und Forschung beschreibt Le-benswissenschaften als jene wissenschaftliche Diszi-plin, die das 21. Jahrhundert entscheidend prägenwird, im Wortlaut: „Das neue Jahrhundert ist dasJahrhundert der Biowissenschaften, der Wissenschaf-ten vom Leben.“2 Der Begriff Naturwissenschaftenexistiert, zumindest was organismisches Leben (Bio-logie) anbelangt, nur noch in Subtiteln oder in Beifü-gungen,3 denn ab nun beschäftigen sich Life Sciencesmit Lebewesen und deren ökologischen Systemen(Hopp, 2000). Durch die Erweiterungen biologischerForschungszusammenhänge sowie durch die Be-schleunigung wissenschaftlicher Forschung mittelsinformationstechnologischer Zugänge sind Bio- undLebenswissenschaften in den letzten Jahrzehnten zueinem komplexen, interdisziplinär vernetzten For-schungszweig geworden (Pharmazie, Ernährungswis-senschaften, Anthropologie, Neurobiologie, Biophy-sik, Biomedizin usw.).

Metaphorik „Leben“?Interessanterweise ist innerhalb dieser jungen Diszi-plin nicht mehr von Natur(wissenschaften) die Rede,sondern vom Leben. Der Lebensbegriff im Sinne vonorganismischem Leben erlebt derzeit einen nie zuvorexistenten Boom und ersetzt den Ausdruck organi-sche Natur vollständig. Die Definition des For-schungsumfanges von Life Sciences, nämlich: Lebe-wesen und deren ökologische Systeme, umfasstschließlich in einer nach außen offenen Definitionden ganzen Bereich, der früher mit organischer Naturbezeichnet wurde. Spricht man von Lebewesen, so istganz selbstverständlich das betreffende Subjekt (Or-ganismus) als solches innerhalb seiner subjektivenUmweltfaktoren und -verhältnisse gemeint, die sich

bis in soziale und gesellschaftliche Vernetztheit aus-weiten.

„Es ergibt sich“, so der Entwicklungsplan der Fakultätfür Lebenswissenschaften Wien, „eine geschlosseneKette an methodischer Kompetenz, welche sich mitder Schlagwortkette: ‚Genom – Transkriptom – Pro-teom – Metabolom – Physiom – Individuum – Gesell-schaft – Umwelt’ beschreiben lässt.“4 Lebenswissen-schaften betreffen den Menschen (als Forschungsob-jekt), insofern er Lebewesen ist (Biologie, Pharmazieu.a.), insofern er soziales und kulturelles Wesen ist(Anthropologie), insofern er Mensch in der Welt (Öko-logie, Ernährungswissenschaften, Gesundheitsfor-schung) ist und insofern er sich im „angekommenenage of the brain“ verstärkt mit Neurowissenschaftenbeschäftigt.5

Leben – Lebensoptimierung?Leben meint nicht mehr nur die explizite Funktion desSubjekts in seiner den Vorgang Leben ausführendenTätigkeit, sondern, zumindest was den Menschen be-trifft, inkludiert Leben – ausdrücklich und stillschwei-gend als allgemeines Ziel ins Forschungsprogrammaufgenommen – auch die Optimierung desselben. DieVision einer entschlüsselten Lebewesen-Welt scheintin greifbare Nähe gerückt zu sein und der alte Traumvom ewigen Leben lockt stärker denn je.

Ausgehend von Genomanalysen lassen sich Lebewe-sen-Daten nicht nur über Funktionsweisen, sondernauch über optimale Umweltbedingungen, Lebensum-felder, fördernde und hindernde Aktivitäten bestim-men. Die Entschlüsselung des Erbgutes versprichtFrüherkennung und Eliminierung von Krankheiten,d.h. ein längeres und, so wird propagiert, gesünderesLeben. Ausdruck für die Konzentration optimierenderLebensbedingungen ist die SchwerpunktsetzungErnährung, Pharmazie und biomedizinische For-schung. Ernährungs- und Nährstoffwissen, pharma-zeutische Innovationen und biomedizinische For-schung sind die gewinnbringenden, viel versprechen-den Forschungskapitale der Zukunft. Unter demMotto „Alt werden – bei guter Gesundheit“ wird aufwachsende Kapazitäten in Früherkennung undPrävention hingewiesen. Für längeres, optimiertesLeben sollen Ernährungs- und Gesundheitsforschungsowie Neurowissenschaften sorgen.6

Genetisches Wissen verspricht nun, regenerative Pro-zesse in hohem Maße zu beschleunigen und zu ver-bessern (z.B. ist es heute schon möglich, erwünschtegenetische Eigenschaften zur Vermehrung in andereZellen einzuschleusen, wo sie zur Regeneration der

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betreffenden Organe beitragen). Im pharmazeuti-schen Bereich stellen Lebenswissenschaften eine in-dividualisierte, auf den einzelnen Menschen zuge-schnittene Medizin und Pharmazeutik in Aussicht(Pränataldiagnostik, hochwertige Implantationstech-nologie mit wesentlich schonenderen pharmazeuti-schen Produkten als noch vor wenigen Jahren, u.a.).

AmbivalenzenSo weit so gut. Ein etwas genauerer Blick auf dasKönnen dieser jungen Disziplin lässt aber nach nurkurzer Analyse besagtes Können derselben mit derbeträchtlichen Menge ihres Nicht-Könnens in Äqui-valenz treten. Medial optimierte Vermarktung ent-schlüsselter Gencodes und eine schon völlig unhin-terfragte Öffnung der Forschungsfelder in beinah jed-wede Richtung kann Schwachstellen und Unsicher-heiten kaum überdecken. Jedoch – die Informationenüber Funktionszusammenhänge gestalten sich trotzeiner Fülle an Daten anders als in vorausgehendenForschungsprogrammen hypothetisch angenommen.

Man ist weit davon entfernt, Zusammenhänge undFunktionen der Genomstrukturen in organismischenWechselwirkungen als durchgängig erklären zu kön-nen. Das bekannteste Beispiel dafür ist, dass dengroßen Unterschieden in der Erscheinung des Phäno-typs nicht analog dieselben Differenzen in der Struk-tur des Genotyps entsprechen. Im Erbgut organismi-schen Lebens gibt es größere Affinitäten als vermutet,d.h. warum eine Maus eine Maus wird und einMensch ein Mensch, zeigt sich in der Erscheinung(Phänotyp) ziemlich heftig, bei weitem nicht so hef-tig zeigt sich dies jedoch in einer Unterschiedlichkeitder Genomstrukturen. Man weiß nicht, wie Genotypund Phänotyp tatsächlich korrespondieren bzw. wel-chen Wirkweisen diese Wechselwirkungen entspre-chen. Auch überraschte, dass das Erbgut einzelnerMenschen stark differieren kann, dies jedoch nichtmit einer analog angenommenen, entsprechendgroßen Unterschiedlichkeit im Erscheinungsbild ein-hergeht.7

„Im Ergebnis stellte sich das Verhältnis Genotyp undPhänotyp nicht etwa immer eindeutiger und einfa-cher, sondern im Gegenteil immer komplexer und ver-wickelter dar – bis hin zur Auflösung dieser Unter-scheidungen, wie sie sich im anbrechenden ‚Zeitalterder Postgenomik’ abzeichnet.“8

Das heißt, in ExpertInnenkreisen ist man schon langeim Zeitalter der Postgenomik angekommen im voll-ständigen Wissen darüber, dass ein entschlüsseltes

Genom zwar eine Fülle an Datenmaterial bringt, nichtaber die so sehr erhofften einfachen Kausalitäten.

„Nur wenige Genforscher dürften heute unterschrei-ben, was Walter Bodmer 1995 postulierte: Die Kom-plettierung des menschlichen Erbgutes werde ,die ge-netische Analyse einer jeglichen menschlichen Diffe-renz ermöglichen’… Und nicht mehr allzu viele Mole-kularbiologen und Molekularmediziner teilen heutenoch den in dieser Behauptung zum Ausdruck kom-menden Determinismus, auch nicht in ihren öffentli-chen Verlautbarungen. In ihrem fachlichen Diskurshatten Molekularbiologen sich schon damals von sol-chen Positionen entfernt … und gerade Molekularme-diziner lernten im Anschluss an das Scheitern der er-sten Gentherapiewelle eine wesentliche Unterschei-dung zu machen: Erkrankungen, auf die auch geneti-sche Komponenten Einfluss haben, werden deshalbnoch lange nicht am besten auf genetischem Wegtherapiert.“9

Sind Ambivalenzen und offensichtliche Lücken dervermeintlichen Entschlüsselung Insidern hinlänglichbekannt, so wird in der Öffentlichkeit heute medien-wirksam Sicherheit und Gewissheit signalisiert.10 Mankann es sich in Zeiten produktorientierter Wissen-schaftlichkeit offenbar nicht leisten, Nicht-Wissenzuzugeben, da dies den Marktwert einer aufstreben-den jungen Wissenschaft wie der Life Sciences erheb-lich stören würde. Biowissenschaften müssen – umihre Vision zu verkaufen – permanent medienwirksamihren Marktwert steigern, effektive, zukunftsorien-tierte Produktion signalisieren und fallen damit gera-dewegs in die neue, alte Falle eines (naturwissen-schaftlichen) Monismus – anders verpackt und vorallem besser vermarktet.

Es ist, als ob nach dem Aufschwung der physikali-schen und medizinischen Wissenschaften nun dieBiowissenschaften euphorisch in die altbekannteFalle objektivierter Naturdeutungen tappen würden.Inwieweit die Erkenntnisse verschiedener Disziplinenihre Früchte tragen, muss – ohne absolute Bedeu-tungsgrenzen zu ziehen – diskutiert werden können.Hüttemann verweist in Bezug auf die Deutungsmachtder Biowissenschaften darauf, dass sich solche

„Fruchtbarkeiten … im Einzelfall zeigen. Sie [ergeben]sich nicht aus Überlegungen zur Einheit der Wissen-schaften. Andernfalls müssten wir den Kulturwissen-schaften das Standardmodell der Elementarteilchen-physik ans Herz legen, denn kulturelle Phänomenesind als biologische Phänomene natürlich auch hoch-komplexe physikalische Phänomene.“11

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Der Code der Informationstechnologie„Jetzt gilt es den Code zu knacken, in dem die Kombi-nation und die Wechselwirkung der Gene verschlüsseltsind.“12

Die Genom’sche Wende der Life Sciences bedingtmitsamt ihrem informationstechnologischen For-schungsauftrag, dass sich die schon länger existenteSprache informationstechnologischer Metaphorik inder allgemeinen Wissenschaftssprache vollständigdurchsetzten konnte.13 Man arbeitet mit den Begrif-fen Information, Programm, Code (Code-knacken),Datenverarbeitung, Datenverwaltung. Die gute altemechanistische Metapher der Naturwissenschaftenhat nun endgültig ausgedient. Die alte laute,schmutzige und behäbige Maschine ist zu einemelektronischen Großrechner geworden, der leiser, ef-fektiver, gezielter und vorallem sauberer arbeitet.Das heißt, eine nun mögli-che Wissenserfassung di-rekt an der Nahtstelle ge-netischer Information ver-ändert und minimiert dieexperimentelle Methodikan Organismen.14

Unschöne Tierversuchewerden sich in Hinkunft mehr und mehr erübrigen, dasWissen und die Forschungsmöglichkeiten direkt anund mit den kleinsten Lebensbestandteilen (Gene, Zel-len) sind soweit ausgereift, dass experimentelle Ver-fahren wesentlich vereinfacht werden konnten. Nunsind es Datenverarbeitung, Vernetzung und Verwal-tung, die sich mit einer selektiven Wissenserfassungbeschäftigen. Das Wissen über das Leben ist quasi kei-ner Maschinenanleitung mehr zu entnehmen, sondernbefindet sich auf einem winzigen Mikrochip.

Life Sciences arbeiten mit der Metaphorik eines sau-beren Forschungsinstrumentariums, d.h. sie stellensich als ökologisch nachhaltig agierende Naturgestal-ter dar, als Leben und Lebensraum schützend, als Le-bensqualität optimierend. Life Sciences präsentierensich in ihrem jungen Selbstverständnis als die Wis-senschaften eines Engagements für Natur, Umwelt,Ökologie und optimierte Lebensqualität für den Men-schen.15 Man wirbt mit komplexem Wissen und Kön-nen ökologisch verträglicher Land- und Forstwirt-schaft (Wiederaufforstungen), nachhaltiger Wasser-wirtschaft (Wasserhaushalt und ökologisches Gleich-gewicht) und nachhaltiger Landschaftsplanung, diegezielt Artenvielfalt schützen und genetisch optimie-ren kann. Bioenergiegewinnung soll und kann in den

nächsten Jahren umweltverträgliche Energie liefern,sodass sich umweltunverträglicher Energieverbrauchverringert, wobei Life Sciences und Globalisierung dietreibenden Faktoren in der Wirtschaft und auch aufden Universitäten sein sollen, woran sich Forschung,Produktion, Vertrieb, Information und Kapital zu ori-entieren hätten. (Hopp 2000)16

Ein neues organismisches Ganzes der Natur?Von Mikrobiologie bis zu Kultur- undGeisteswissenschaftenBetrachtet man Lebenswissenschaften als Wissen-schaft, die sich mit einem bestimmten, explizitenGanzen der Natur beschäftigt, so ist das holistisch-organismische Durchgangskriterium eindeutig dergenetische Code belebter Natur bzw. das Genom.

Schon allein die Bezeich-nung Genom impliziert einGanzes (das Ganze Erbgutbelebter Natur) wesentlichbesser als die BegriffeGen, genetische Struktu-ren etc. dies im 20. Jahr-hundert vermocht hätten.Dieses Ganze ver-schwimmt und verzweigtsich an seinen Rändern

derzeit immer stärker mit geisteswissenschaftlichenBereichen (Psychologie, Soziologie, Kultur- und Gei-steswissenschaften), was für heftige Kontroversensorgt. Denn was den Menschen betrifft, so gilt: Be-forscht wird der Mensch, insofern er ein organismi-sches Lebewesen ist, insofern er ein soziales und kul-turelles Wesen ist und insofern er ein Gehirn-Haben-der ist (letztere Eigenschaft fällt nicht nur unter or-ganismische Zuordnungen, sondern wird bekanntlichin eigenen Forschungsfeldern definiert).

Man wirft den LebenswissenschaftlerInnen vor, Men-schen und deren Verhalten auf reine Funktionszusam-menhänge zu reduzieren (wie ehemals medizinischeund psychologische Naturwissenschaften), welchenun nicht mehr mechanisch, sondern informations-technologisch gedeutet werden. Kulturelle Leistungenwerden aufgrund genetisch bedingter Ausrichtungenund Anpassungsleistungen erklärt. Das heißt, dieMacht und das Können der Menschen (als Gehirn-Habende) bewirkten eine Parallelisierung ihrer selbstmit ihrem Hilfsmittel. Man setzt das Organ Gehirnund die daraus resultierenden Leistungen in einermetaphorischen Analogie mit einem informations-technischen Prozessor gleich, wobei dieses Organ(Gehirn) und seine genetische Programmierung einer

“Man kann es sich in Zeiten produktori-entierter Wissenschaftlichkeit offenbarnicht leisten, Nicht-Wissen zuzugeben,

da dies den Marktwert einer aufstreben-den jungen Wissenschaft wie der Life

Sciences erheblich stören würde.”

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der beliebtesten Forschungsgegenstände gewordenist (Neurobiologie, Evolutionspsychologie usw.). DieComputermetapher wird in Studien von Evolutions-psychologen so suggestiv eingesetzt, dass man denEindruck hat, die AutorInnen hätten selbst vergessen,dass es sich um eine Analogie und nicht um eine Be-schreibung faktischer psychischer Tätigkeiten handelt(Kolesch). Wenn in kulturwissenschaftlichen Studienschon lange Konsens herrscht, dass die Metaphern In-formation, Sender - Empfänger längst nicht ausrei-chen, um Kommunikationsvorgänge in ihrer Komple-xität zu beschreiben, so wird dies in den Bio Sciencesgerne ignoriert.17

Das heißt, Bio- und Lebenswissenschaften greifenden Kulturbegriff auf und transformieren ihn, wo-durch Kultur- und Geisteswissenschaften noch stär-ker an den Rand gedrängt werden könnten. Geistes-wissenschaften beschäftigen sich mit einem schwererfassbaren Gegenstandsbereich, der immer schon überdie Fassbarkeit von Naturwissenschaften hinausging,d.h. Geisteswissenschaften arbeiten mit chaotische-ren Systemen und haben im Diskurs weniger Festesanzubieten.18 Dagegen sind Biowissenschaften in derNachfolge klassischer Naturwissenschaften dieneuen, zeitgemäßen Lösungsanbieter. Mittels einfa-cher Modelle wird funktionierende Alltagstauglich-keit suggeriert (glückliche alte Menschen, saubere,genetisch optimierte Umwelt usw.). Biowissenschaf-ten, so Baltes, reden in völlig vereinfachter Weiseüber Bewusstsein und Willensfreiheit, reden überKausalitäten und verfallen einem neuen Monismus.19

Hüttemann definiert als Unterscheidungskriteriumvon Bio- und Kulturwissenschaften, dass ersteremenschliche Bewusstseinsleistungen mitsamt demProdukt Verhalten als Evolutionsprodukt, d.h. gene-tisch determiniert interpretieren, letztere den Men-schen mitsamt seiner Ausstattung als Evolutionspro-dukt deuten, nicht aber dessen kulturelle Differen-zen.20 De facto hat sich der Wandel aber schon voll-zogen, Sozial- und Kulturforschung wird von ver-schiedenen Disziplinen aufgegriffen, wobei die For-schungsfelder völlig unterschiedlich interpretiertwerden.

What’s going on?Eine Einschätzung bleibt schwierig. Die Forschungs-modalitäten sind zu verwoben und vernetzt, als dassdas weite Land der Life Sciences in seinen zukünfti-gen Auswirkungen dem einfachen User so einfach zu-gänglich wäre. Die Lager spalten sich. Auf der einenSeite optimistische LebenswissenschafterInnen, aufder anderen Seite heftige KritikerInnen in einer wer-

teorientieren Debatte (In-Vitro-Fertilisation, Präna-taldiagnostik, Embryonalzellenforschung u.a.), umwelche sich nicht selten kirchliche Institutionen an-nehmen. Stark polarisierend wird Sicherheit auf Sei-ten der Lebenswissenschaften und Kritik auf Seitenreligiös orientierter EthikerInnen verkündet. Zizek be-merkt treffsicher, dass

„[d]ie Paradoxie im Grunde darin [besteht], dass dieWissenschaft heute die früher von der Religion garan-tierte Sicherheit bietet, während diese, in einer seltsa-men Umkehrung, einer der möglichen Orte ist, vondenen aus man kritischen Zweifel an der heutigen Ge-sellschaft anbringen kann (eine der Stätten des Wi-derstandes, wenn man so will).“21

Neuerliche Tabuisierungen und erhobener Zeigefingerscheinen mir nicht wirklich gangbare Alternativen zusein. Vergessen wird m.E., dass es auch noch Stand-punkte außerhalb beider Kreise gibt, denn kritischeDistanz und Werteorientierung heißt nicht zugleichreligiöse Orientierung. Wenn Kultur- und Geisteswis-senschaften heute auf die Komplexität der Folgen ge-netischer Programmierungen hinweisen, so überneh-men religiöse Ethiker interessanterweise völlig unbe-sehen (und meistens von KulturwissenschaftlerInnenzu wenig kritisiert) dieselbe Argumentation, um fürinterne Standpunkte zu werben. Nur – es gibt sie, dieHaltung, die sich weder hier noch dort verorten will,sondern darüber hinaus auf die Grundsätzlichkeit die-ser komplexen Lage verweist, einen Raum sokrati-scher Wachsamkeit, Hinterfragung und weit rei-chende Diskurse einfordert.

Die Lösung liegt nicht in einer neuerlichen Elimina-tion des Unwissens (klassischer biowissenschaftlicherErfolgsprogramme) oder neuem-altem Verbieten undNicht-Tun (religiöse Tabus), sondern in einer Offenle-gung von Wissen und Nicht-Wissen und einer offe-nen Diskussion und Abwägung möglicher Folgen. Esbleibt abzuwarten, wie und in welcher Weise sichHoffnungen oder Befürchtungen über und mit Le-benswissenschaften erfüllen.

Alexandra Tschom

Der Artikel basiert auf der Dissertation der Autorin zumThema „Ein Ganzes der Natur – und wenn ja – welches?Eine kritische Analyse holistischen Denkens aus naturphilo-sophischer Perspektive“, die heuer an der KunstuniversitätLinz abgeschlossen wurde.

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Anmerkungen1 Vollrath Hopp: Grundlagen der Life Sciences. Chemie -

Biologie - Energetik, Weinheim, New York, Brisbane,Singapore, Toronto, 2000, 7.

2 http://www.bmbf.de/de/1237.php.3 Für Wissenschaftsbereiche, die sich von Mikroorganis-

men bis hin zum Menschen mit organismischer For-schung beschäftigen, war Ende des 20. Jahrhundertszuerst der Begriff Biowissenschaften / Bio Sciences ge-bräuchlich, in den letzten Jahren setzte sich jedoch derBegriff Lebenswissenschaften vollständig durch. An derUniversität Wien sind seit 2002 Institute und Zentren,die sich mit belebter Natur und deren Umfeldern, vomkleinsten Lebewesen bis zur menschlichen Spezies, d.h.Forschung an und über Lebewesen, beschäftigen, in derFakultät Lebenswissenschaften/ Life Sciences zusam-mengeschlossen.

4 http://www.univie.ac.at/Lebenswissenschaften/cms4/fileadmin/direktion/EPlanLW100305_03.pdf

5 Ebenda.6 Vgl. Vollrath Hopp: Grundlagen der Life Sciences. Che-

mie - Biologie - Energetik, Weinheim, New York, Bris-bane, Singapore, Toronto, 2000, 10f.

7 Vgl. Staffan Müller-Wille, Hans-Jörg Rheinberger: DasGen im Zeitalter der Postgenomik. Eine wissenschafts-historische Bestandsaufnahme, Frankfurt, 2009, 101f,134; vgl. dazu auch ebenda, 100: Obwohl die geneti-sche Forschung in den 90er Jahren heftige Rückschlägezu verbuchen hatte, wurden die Möglichkeiten derGentherapie medienwirksam propagiert.

8 Ebenda, 134f.9 Ebenda, 102f. 10 Vgl. ebenda, 103. Heute wird auf das Instrumentarium

Systembiologie und Bioinformatik als neue Ressourcegesetzt. Vgl. ebenda, 123: „Die massenhafte Erhebungvon Daten oder Information avanciert … zum Hauptge-schäft der postgenomischen Forschung; erst ihre Verar-beitung erlaubt beispielsweise Schlüsse über das zeitli-che Aktivitätsmuster von sich differenzierenden Zellen.Aus erkenntnistheoretischer Perspektive wäre damitKarl Poppers deduktive ‚Logik der Forschung’ ausgehe-belt und an deren Stelle ein extremes Induktionsden-ken gesetzt, wie es etwa auch für den Positivismus des19. Jahrhunderts charakteristisch war.“

11 Andreas Hüttemann: Kann die evolutionäre Psychologiekulturelle Phänomene erklären? in: Andreas Hüttemann(Hg.): Zur Deutungsmacht der Biowissenschaften, Pa-derborn, 2008, 129-150, 126

12 Andrea Gerber-Kreuzer: Faszinierende Berufswelt derLife Sciences, Nürnberg, 2007, 23; vgl. auch ebenda, 8.

13 Die Metaphern der „dritten industriellen Revolution“vgl. http://www.univie.ac.at/Lebenswissenschaften/cms4/fileadmin/direktion/EPlanLW100305_03.pdf.

14 Im genetischen Experiment werden nicht mehr die Or-ganismen verändert, um aus den Folgeerscheinungenetwas über ihre Konstitutionen zu erfahren, sondernverändert wird die Konstitution der Organismen. Beob-achtet und beforscht werden die Auswirkungen, die

sich durch Konstitutionsveränderungen am Organismuszeigen. Vgl. Staffan Müller-Wille, Hans-Jörg Rheinber-ger: Das Gen im Zeitalter der Postgenomik. Eine wis-senschaftshistorische Bestandsaufnahme, Frankfurt,2009, 98.

15 Vgl. Gerber-Kreuzer, Life Sciences, 9.16 Ebenda, 11.17 Vgl. Doris Kolesch: Natürlich Kultur. Zur Konjunktur des

Kulturbegriffs in den Natur- und Kulturwissenschaften,in: Hüttemann, Andreas (Hg.): Zur Deutungsmacht derBiowissenschaften, Paderborn, 2008, 91-114, 105.

18 Vgl. Paul B. Baltes.: Defensiver Imperialismus und dieTugend der Sprachlosigkeit. Ein Gespräch, in: Hütte-mann, Andreas (Hg.): Zur Deutungsmacht der Biowis-senschaften, Paderborn, 2008, 115-128, 126.

19 Vgl. ebenda, 124.20 Andreas Hüttemann: Kann evolutionäre Psychologie

kulturelle Phänomene erklären? in: Hüttemann, Deu-tungsmacht Biowissenschaften, 126.

21 Slavoj Zizek: Auf verlorenem Posten, Frankfurt, 2009,297.

LiteraturGehring, Petra: Was ist Biomacht. Vom zweifelhaften

Mehrwert des Lebens. Campus Verlag, Frankfurt, NewYork, 2006.

Hopp, Vollrath: Grundlagen der Life Sciences. Chemie -Biologie - Energetik, Weinheim, New York, Brisbane,Singapore, Toronto, 2000.

Gerber-Kreuzer, Andrea: Faszinierende Berufswelt der LifeSciences, Nürnberg, 2007.

Müller-Wille, Staffan; Rheinberger, Hans-Jörg: Das Gen imZeitalter der Postgenomik. Eine wissenschaftshistori-sche Bestandsaufnahme, Frankfurt, 2009.

Hüttemann, Andreas: Kann die evolutionäre Psychologiekulturelle Phänomene erklären? in: Hüttemann, And-reas (Hg.): Zur Deutungsmacht der Biowissenschaften,Paderborn, 2008, 129-150.

Kolesch, Doris: Natürlich Kultur. Zur Konjunktur des Kul-turbegriffs in den Natur- und Kulturwissenschaften, in:Hüttemann, Andreas (Hg.): Zur Deutungsmacht derBiowissenschaften, Paderborn, 2008, 91-114.

Nowotny, Helga; Testa, Giuseppe: Die gläsernen Gene. DieErfindung des Individuums im molekularen Zeitalter,Suhrkamp, Frankfurt, 2009.

Vallant, Christoph: Hybride, Klone und Chimären. ZurTranszendierung der Körper-, Art- und Gattungsgren-zen, ein Buch über den Menschen hinaus, Königshau-sen & Neumann, Würzburg 2008.

Zizek, Slavoj: Auf verlorenem Posten, Suhrkamp Verlag,Frankfurt, 2009.

Internetquellenhttp://www.univie.ac.at/Lebenswissenschaften/cms4/fi-

leadmin/direktion/EPlanLW100305_03.pdfhttp://www.bmbf.de/de/1237.phphttp://www.bmwf.gv.at/oesterreich_forscht/gen_au/

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Biopolitik der BehinderungDie Macht der Norm und des „Normalen“

Biopolitik und BiomachtIm Kontext des zunehmenden Einflusses biomedizini-schen und genetischen Wissens auf das politischeFeld (vgl. Rabinow and Rose 2003: 35) ergeben sichgegenwärtig neue Formen von Biopolitik, in derenZuge Menschen mit Behinderungen heute immer“sichtbarer” werden (vgl. Graumann 2002). Diese ge-genwärtige Biopolitik kann als Politik des Risikos(Rose 2001: 1) und als “eine Regierung genetischerRisiken, die im Namen von Selbstbestimmung, Eigen-vorsorge, Verantwortung und Wahlfreiheit auf eineOptimierung des individuellen Humankapitals zielt”(Lemke 2000: 230) beschrieben werden. Im vorliegen-den Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, wiein diesem biopolitischen Kontext Behinderung ver-standen wird, beziehungsweise wie sich das Ver-ständnis von Behinderung dadurch zukünftig wan-deln kann.

Das Konzept der Biopolitik, das von Michel Foucaultgeprägt wurde (vgl. Foucault 2002: 166, und 170) unddas sich nur unscharf von jenem der Biomacht unter-scheiden lässt (vgl. Lemke 2002: 1; Rabinow and Rose2003: 3), bezeichnet “den Eintritt des Lebens und sei-ner Mechanismen in den Bereich der bewußten Kal-küle und die Verwandlung des Macht-Wissens ineinen Transformationsagenten des menschlichen Le-bens” (Foucault 2002: 170). “Gegenstand der “Biopo-litik der Bevölkerung” ... ist die Gesamtheit der kon-kreten Lebensäußerungen einer Bevölkerung ... [imSinne einer eigenständigen biologisch-politischenEntität], um die Gefahren abzuwenden oder auszu-gleichen, die sich aus dem Zusammenleben einer Be-völkerung als biologische Gesamtheit ergeben”(Lemke 2002: 3; vgl. Foucault 2002: 166). Biopolitikkann nach Paul Rabinow und Nikolas Rose als spezi-fische Strategien “over problematizations of collec-tive human vitality, morbidity and mortality, over theforms of knowledge, regimes of authority, and prac-tices of intervention that are desirable, legitimateand efficacious” (Rabinow and Rose 2003: 3) ver-standen werden. Thomas Lemke umschreibt den Be-griff der Biomacht bei Michel Foucault mit einem“Ensemble neuer Machttechniken ..., die neben und inAuseinandersetzung mit der Souveränitätsmachtoperieren.” (Lemke 2002: Fn.2).

Biomacht heute umfasst unterschiedliche Aspekteneuer Strategien des Regierens des Lebens (Rabinow

and Rose 2003, abstract), wobei der Begriff des Re-gierens im Sinne Michel Foucaults zu verstehen ist:“Regieren heißt ..., das Feld eventuellen Handelns deranderen zu strukturieren.” (Foucault 1999: 193). DemBegriff der Regierung muss man nach Michel Fou-cault “die sehr weite Bedeutung lassen” (Foucault1999: 193), er versteht unter Regierung “die Gesamt-heit der Institutionen und Praktiken, mittels dererman die Menschen lenkt” (Foucault 1997: 118).Macht ist nach Foucault dadurch gekennzeichnet,“daß sie Verhältnisse zwischen Individuen ins Spielbringt” (Foucault 1999: 188), Machtausübung ist als“Weise der Einwirkung auf die Handlungen andererdefiniert” (Foucault 1999: 193).

Genetische Diagnostik und das Verständnisvon BehinderungDer Umgang mit Menschen mit Behinderungen stehtmit angewandten Definitionen von Behinderung inZusammenhang, wobei sich diese Definitionen aufmehrere Modelle von Behinderung beziehen, vondenen hier jedoch nur zwei erwähnt werden sollen, dasie bestimmte, in diesem Kontext relevante Aspektevon Behinderung betonen: Das medizinische Modellhebt den medizinischen Aspekt hervor und fasst Be-hinderung als Minderung der Funktionsfähigkeit auf(Hirschberg 2003: 15 f; Wolbring 2003). Währendalso dieses Modell Behinderung individualisiert undBehinderung primär als medizinisch-körperlichesPhänomen eines Individuums betrachtet, nimmt dassoziale Modell von Behinderung das Umfeld vonMenschen mit Behinderungen in den Blickpunkt derDiskussion von Behinderung: Das soziale Modell vonBehinderung betont die Bedeutung des behindern-den Kontextes, in dem Menschen mit Behinderungenleben. Behinderung wird weniger als Attribut einesIndividuums als viel mehr als eine komplexe An-sammlung von Bedingungen verstanden, die durchdas Umfeld von Menschen mit Behinderungen er-zeugt wird (Corker and French 2002: 2 ff; Hirschberg2003: 16 f; Thomas 2002: 39 f; Wolbring 2003). Dassoziale Modell von Behinderung wurde in den letztenJahren zunehmend intensiv und erfolgreich (wennauch national unterschiedlich) gesellschaftspolitischumgesetzt, was dazu führte, dass Menschen mit Be-hinderungen nicht mehr nur auf ihre körperlichenBeeinträchtigungen reduziert werden. GenetischeDiagnostik als ein Aspekt im Zusammenhang mit derZunahme genetischen und biomedizinischen Wissensund deren Implikationen (vgl. etwa Helén 2004) trägtnun die Möglichkeit in sich, diese Entwicklung zuverlangsamen oder gar in gewisser Weise rückgängigzu machen.

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Im sich gegenwärtig verändernden biopolitischenKontext müssen Strategien, die sich auf Gesundheit,Krankheit und Beeinträchtigung beziehen, im Zusam-menhang mit neuen Konfigurationen von Wissen,Macht und Subjektivität diskutiert werden (vgl. Rabi-now and Rose 2003: 28, 30). Die schnell fortschrei-tenden Entwicklungen im Bereich der Biomedizineröffnen - so hofft man - neue Ansätze für diePrävention, Diagnostik und Therapie bisher nicht odernur begrenzt heilbarerer Krankheiten, was das Ver-ständnis von Gesundheit, Krankheit und Behinderungsowie auch die “Grenzen” zwischen diesen Begriffensowohl direkt als auch indirekt berührt (vgl. Einset-zungsauftrag Enquete-Kommission 2000). BarbaraDuden und Beate Zimmermann stellen fest, dass esim “Zeitalter der NeuenGenetik” zu Sinn-Verschie-bungen im gesellschaftli-chen Verständnis von Ge-sundheit, Krankheit undBehinderung kommt(Duden und Zimmermann2000: 3). Es besteht imKontext der Fokussierungauf genetisch bedingte undangeborene Krankheitenund Behinderungen jeden-falls die Gefahr, dass Be-hinderung wieder zuneh-mend im Sinne eines medi-zinischen Modells von Be-hinderung (vgl. Hirschberg2003; Wolbring 2003) ver-standen wird, Menschenmit Behinderungen aufihre körperlichen Beein-trächtigungen reduziert werden und die Bedeutungdes behindernden gesellschaftlichen Kontexts aufdiese Weise wieder hintan gestellt wird.

Gerade im Diskurs um Behinderung treffen im Zugedes Entwickelns neuen genetischen Wissens individu-elle und kollektive, politische und techn(olog)ischesowie rechtliche und ethische Konnexe und Bezüg-lichkeiten zutage (vgl. Rabinow and Rose 2003: 21),die die Bedeutung des sozio-politischen Kontextes fürdiese Auseinandersetzung betonen und die zugleichein bestimmtes Verhältnis von Fremd- und Selbst-führung (als Wirkung des kollektiven, gesellschaftli-chen Kontexts, in dem sich individuelle Entscheidun-gen formen und in den sie eingebettet sind) implizie-ren (Lemke 2000: 229; vgl. Prainsack 2004: 17). Fort-schritte der Biomedizin und der Genetik bergen

großes Potenzial zur Umformung von Gesellschaftund Leben in sich, da sie mittels einer Reihe biopo-litischer Praktiken und Diskurse in das gesamte so-ziale Gefüge eingebunden sein werden (Rabinow2004: 138). Praktiken und Strategien, die Fragen despolitischen und gesellschaftlichen Umgangs mitneuem genetischem Wissen betreffen, sind in die-sem Zusammenhang nicht mehr auf bestimmte Ak-teure wie den Staat (oder auch Ärzte) beschränkt.Die “Regierung genetischer Risiken”, die ThomasLemke als “genetische Gouvernementalität” be-zeichnet, etabliert eine neue Körperpolitik, diejede(n) Einzelne(n) von uns anhält, mit dem eigenenKörper und der Gesundheit möglichst ökonomischumzugehen (Lemke 2000: 230).

Was dies in Bezug aufMenschen mit Behinde-rungen bedeutet bezie-hungsweise bedeutenkann, wird beispielsweisedeutlich, wenn man sichden Implikationen der ge-netischen Diagnostik zu-wendet. In einem Umfeld,in dem es zu einem voran-schreitenden Rückzug desStaates als Garant sozialerSicherheit und Solidarität(vgl. Lemke 2001) kommt,und in dem sich zugleichdurch pränatale Diagno-stik Möglichkeiten erge-ben, Beeinträchtigungenfrühzeitig zu erkennen,steht die Frage im Raum,

warum es heute noch “notwendig” ist, diese Men-schen zur Welt zu bringen (vgl. Rau 2001: 23). Behin-derung könnte in diesem Kontext als Schädigung derGesellschaft verstanden werden, wie dies JohannesRau ausdrückt (Rau 2001: 23); zugleich damit würdenund werden aber auch bereits lebende Menschen mitBehinderungen zum Objekt der Diskussion (vgl. Grau-mann 2002; Volz 2003). Abgesehen von der Tatsache,dass nur ein äußerst geringer Teil der Behinderungenpränatal bedingt und angeboren ist, es daher lediglichzu einer vermeintlichen Verhinderung von Behinde-rung durch pränatale Diagnostik kommt und auf dieseWeise die Illusion der Machbarkeit von Gesundheitund Vermeidbarkeit von Krankheit gefördert wird,wird durch diesen Fokus auf pränatal feststellbareBehinderungen Risiko “individualisiert”, was auf einneues “Stigma für all jene, die den Normen nicht ent-

„Das soziale Modell von Behinderungwurde in den letzten Jahren zunehmend

intensiv und erfolgreich (...) gesell-schaftspolitisch umgesetzt, was dazu

führte, dass Menschen mit Behinderun-gen nicht mehr nur auf ihre körperlichenBeeinträchtigungen reduziert werden.

Genetische Diagnostik als ein Aspekt imZusammenhang mit der Zunahme gene-tischen und biomedizinischen Wissensund deren Implikationen (...) trägt nundie Möglichkeit in sich, diese Entwick-

lung zu verlangsamen oder gar in gewis-ser Weise rückgängig zu machen.”

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sprechen”, hinausläuft (Duden und Zimmermann2000: 93; vgl. auch Helén 2004: 30). Insgesamt istdiese Entwicklung umso paradoxer, bedenkt man,dass - wie oben erwähnt - Menschen mit Behinde-rungen in den letzten Jahren und Jahrzehnten erfolg -reich an einer De-Biologisierung von Behinderung ge-arbeitet haben (Duden und Zimmermann 2000: 95),zugleich jedoch durch genetische Diagnostik genauder Aspekt der Biologisierung betont wird (vgl. Lemke2004: 8).

Die Macht der Norm und des “Normalen”Die Diskussion um genetische Diagnostik und ihr Ver-hältnis zum und ihre Bedeutung für den Diskurs umBehinderung hängt in mehrfacher Weise mit demVerständnis von Norm zusammen. Norm wird nachCanguilhem als etwas verstanden, was einenMachtanspruch in sich trägt, die Norm ist nicht ein-fach als ein Erkenntnisraster zu verstehen, sondernsie ist ein Element, von dem aus eine bestimmteMachtausübung begründet und legitimiert werdenkann, wie Michel Foucault ausführt (Foucault 2003:72). Im vorliegenden Fall verläuft die Ausgrenzungüber Norm entlang bestimmter Begriffe, die sich aufden Körper beziehen (der Körper wird auf diese Weisezum Fundort einer neuen Identität, zur Grundlage derBestimmung von Identität überhaupt, wie es ThomasLemke formuliert (Lemke 2000: 240)). Werden be-stimmte Eigenschaften und Fähigkeiten zur Norm er-klärt und das Vorhandensein bestimmter Beeinträch-tigungen als Abweichung von der Norm gesehen, wirddie Frage der Ausgrenzung im Sinne von Nicht-Ab-weichung beziehungsweise Abweichung von diesenFähigkeiten, Eigenschaften und Beeinträchtigungenverstanden (Bohn 2003: 40 f). Das Konzept der Normbringt also ein anderes Konzept mit sich, nämlichjenes der Extreme und Abweichungen, was in Bezugauf den Körper bedeutet, dass in einer Gesellschaft, inder ein bestimmtes Konzept der Norm angewendetwird, Menschen mit Behinderungen als Abweichungvon dieser Norm angesehen werden (Davis 1997: 13).Norm, die hier über Körper(lichkeit) erzeugt wird, istzweifach wirksam: Über den “anormalen” Körper vonMenschen mit Behinderungen an sich sowie über die“negative Auswirkung” dieses Körpers auf die Ausbil-dung und Erhaltung bestimmter, für wesentlich ange-sehener Fähigkeiten und Eigenschaften. Die “Tyranneider Norm” (Davis 1997: 13) - versinnbildlicht in derGauss-Glocke - wirkt vor allem an den Rändern undan den Grenzen zwischen Norm und Nicht-Normsowie zwischen Normalem und Anormalem (vgl. Bohn2003: 40 f; Davis 1997: 13).

Die Grenzen und Ränder der Norm zur Nicht-Norm,zum Anormalen, trennen bestimmte Teile der Gesell-schaft von der Mehrheit ab und betreffen dadurch inunmittelbarer Weise das Subjekt in seiner Positionie-rung innerhalb oder außerhalb der Gesellschaft (vgl.Ewald 1991: 169; Foucault 1994: 246; Foucault1999: 161). Norm individualisiert zugleich, sie ist dasMaß, “das unaufhörlich zu individualisieren gestattetund zugleich vergleichbar macht.” (Ewald 1991:168). Wesentlich scheint hier der Aspekt der Indivi-dualisierung durch Norm zu sein, was unmittelbareAuswirkungen auf das Verständnis von Behinderung,aber auch auf Fragen der Identität hat. Die hinter derAusgrenzung verborgenen Vorstellungen von Norma-lität, Norm und deren Grenzen sind hier jedenfalls imSinne Michel Foucaults als Machtstrategie zu verste-hen, als Gesamtheit der Mittel, “die aufgeboten wer-den, um ein Machtdispositiv funktionieren zu lassenoder aufrechtzuerhalten” (Foucault 1999: 199),Macht wirkt also auf diese Weise über die Norm aufden Körper.

“Normalität” und genetische DiagnostikNormalität kann sowohl Normativität im Sinne desSanktionierten als auch Normalität im Sinn von Ab-weichung bedeuten (Bohn 2003: 40 f). In allen Fällengeht es um das Ziehen von Grenzen, einerseits umGrenzen des Erlaubten und Möglichen, andererseitsum Grenzen des Normalen zum Anormalen. Norma-lität kommt im Zusammenhang mit pränataler Dia-gnostik in mehrfacher Weise zum Tragen: Einerseitsbetrifft sie Fragen des Verständnisses und daraus re-sultierend des Umgangs mit “normalen” beziehungs-weise “anormalen” Körpern (und damit selektive, eu-genische Maßnahmen (vgl. Duden und Zimmermann2000: 92)), andererseits bezieht sich “Normalität” aufdie mittlerweile routinemäßige Anwendung der Dia-gnostik selbst (vgl. Duden und Zimmermann 2000:92). Beide Aspekte haben direkte Auswirkungen aufBehinderung und auf Menschen mit Behinderungen,denn sie bestimmen mit, was im Rahmen “geneti-scher Verantwortung” (vgl. Novas and Rose 2000:485) erwünscht, erwartet oder gar zulässig ist. Einweiterer Punkt des Verhältnisses zwischen “Norma-lität” und genetischer Diagnostik zeigt sich, richtetman den Blick auf die vor allem in den USA, aber auchbei uns geführte Debatte um eine mögliche “Vari-ante” genetischer Selektion: Am Beispiel eines gehör-losen Paares, das sich für ihre Kinder Gehörlosigkeiterhofft hatte und durch gezielte Samenspenderwahldieses auch umsetzen konnte, wurde in diesem Zu-sammenhang auch bei uns (Ziegler 2004: 20 f) dieFrage diskutiert, ob Menschen mit bestimmten Beein-

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trächtigungen, die diese auch bei ihren Kindern er-hoffen, derart zu pränataler Selektion (die im vorlie-genden Fall jedoch nicht zum Einsatz kam) greifendürfen, dass Kinder ohne diese Beeinträchtigungennach einer pränatalen Diagnose abgetrieben werden.Im Kontext biopolitischer Strategien, die die “repro-ductive choice” (Rabinow and Rose 2003: 21 f) imSinne einer Selektion von Embryos betreffen und inderen Zusammenhang es um die Rhetorik der Wahlund die Ethik der Autonomie geht (Rabinow and Rose2003: 21 f; vgl. auch Helén 2004: 43), wird zugleichdie Frage relevant, wer in diesem Umfeld das Rechtauf Selektion hat beziehungsweise welche Selektion“zulässig” ist, als “normal” (im Sinne eines bestimm-ten Handlungsrahmens und bestimmter Vorstellun-gen von Gesundheit, Krankheit und Behinderung) er-achtet wird und welche Form der Selektion gesell-schaftlich und politisch nicht akzeptiert wird.

Die Debatte (die sowohl bei Menschen ohne als auchbei jenen mit Behinderungen kontroversielle Reaktio-nen hervorgerufen hat) wirft insgesamt Fragen zurProblematik der “Reproduktionsautonomie” an sichsowie in Bezug auf Behinderung und deren Selektionund “Vermeidung” durch pränatale Diagnostik auf:Ebenso wie Eltern bestimmte, jedoch von der “nichtbehinderten” gesellschaftlichen Mehrheit als Beein-trächtigungen oder Behinderungen bezeichneteMerkmale bei ihren zukünftigen Kindern bevorzugenund unter anderem mit Hilfe der Pränataldiagnostikverwirklichen wollen, können umgekehrt genau jeneBeeinträchtigungen und Behinderungen als Anlassdafür genommen werden, diese Kinder nicht zur Weltzu bringen. Jedenfalls ist die zweite “Variante” derSelektion gesellschaftlich und politisch akzeptiert -wenn sie auch diskutiert wird -, wohingegen die erste“Variante” als mehr oder weniger inakzeptabel aufge-fasst wird, sich jedoch tatsächlich auf denselben er-laubten autonomen Raum der Reproduktion und dieselbe Kategorie erlaubter Reproduktionsautonomie(vgl. Degener zit. in Spiewak und Viciano 2002) be-zieht wie die andere “Variante”.

Biopolitik der BehinderungWie bereits eingangs festgehalten, umfasst Biopolitikspezifische Strategien, die sich auf die menschlicheGesundheit und Krankheit beziehen und in derenRahmen bestimmte Formen von Wissen, bestimmteAutoritäten und Interventionen sowie Praktiken rele-vant sind beziehungsweise eingesetzt werden (Rabi-now and Rose 2003: 3). Im vorliegenden Beitragwurde versucht, aus der Perspektive von Behinderungan bestimmte biopolitische Strategien im Kontext der“reproductive choice” (Rabinow and Rose 2003: 21 f,

die den Bereich der Reproduktion als den bio-politi-schen Raum par excellence verstehen) heranzugehen,welche die Selektion von Embryos durch genetische(pränatale) Diagnostik betreffen. Wie sich zeigt, die-nen Normen in diesem Kontext mehrfach als “Trägervon Machtansprüchen” und zwar im Sinne einer Fort-setzung bestimmter Machtverhältnisse: Durch dievoran schreitende Entwicklung biomedizinischen undgenetischen Wissens und deren Bedeutung im Kon-text entstehender “vital politics” (vgl. Helén 2004: 28)und damit zusammenhängend einer Zunahme des Ri-sikos (was die genetische Diagnostik auf verschiede-nen Ebenen betrifft) werden zwar neue “Autoritäten”geschaffen, die Verantwortung übernehmen und Ent-scheidungen treffen müssen und sollen; das Treffender Entscheidungen und das Tragen der Verantwor-tung erfolgt jedoch hierbei nicht tatsächlich autonom(sondern immer auch auf den gesamtgesellschaftli-chen Kontext bezogen und in diesen eingebettet) undzusätzlich wird diese “Autorität zur Entscheidung” -wie im Beispiel kurz gezeigt wurde - entsprechendbestimmten Normvorstellungen nicht allen zuer-kannt. Macht und Machtverhältnisse sind an Norm-vorstellungen gekoppelt, diese wiederum an ein be-stimmtes Verständnis von Behinderung. In Einschrän-kung der Aussage von Paul Rabinow bergen die Fort-schritte der Biomedizin zwar an sich großes Potenzialzur Umformung von Gesellschaft und Leben (Rabinow2004: 138), im Falle von Behinderung tragen jedochgegenwärtige biopolitische Praktiken und Diskurseauf der Basis bestehender Norm- und Machtverhält-nisse eher das Potenzial in sich, althergebrachte An-sichten von Behinderung zu verstärken anstatt sie zuverändern. Insofern muss die positive Sichtweise von“genetischem Risiko” als etwas, was “new and activerelations to oneself and one’s future” herstellt und“genetische Verantwortung” hervorruft (Novas andRose 2000: 485), eingeschränkt werden, denn geradeder Aspekt der Re-Biologisierung hat im Diskurs umBehinderung wesentliche negative Auswirkungen.

Ursula Naue

Der Artikel erschien ursprünglich in: Politix 19/2005, S. 7-12, online verfügbar unter: http://www.semiosis. org/philo-sophie/politix19-2004 (geringfügig geänderte Fassung).Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin.Diese ist Mitglied des Unabhängigen Monitoringausschus-ses zu Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte vonMenschen mit Behinderungen, Senior Researcher der For-schungsplattform Life-Science-Governance sowie Lektorinam Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

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Selbstbestimmte Entscheidung– ein Mythos?Von der Notwendigkeit und Möglichkeit einerbewussten Entscheidung im pränataldiagno-stischen Kontext

Die Schwangerschaft stellt für jede Frau ein ein-schneidendes Erlebnis dar, das eine Veränderung vonKörper und Seele bedeutet (Schindele 1996,118f). EinAbschnitt bricht heran, in dem sich Freude und Angstabwechseln und der oft geprägt ist von Wider-sprüchen, Unsicherheiten und der Suche nach einerneuen erweiterten Identität. Vertrauten zu früherenZeiten die Frauen in Bezug auf den gesundheitlichenZustand ihres Kindes noch auf ihr Empfinden und ihreIntuition, verlagern sie heute die Kompetenz fastgänzlich in die Hände von Ärztinnen und Ärzten.Neben den routinemäßigen Schwangerschaftsunter-suchungen im Rahmen der Mutter-Kind-Verordnungwerden immer häufiger pränataldiagnostische Ver-fahren (PND) herangezogen, um Informationen überden Embryo im Mutterleib zu erhalten. Insbesonderedurch die Etablierung von nichtinvasiven pränataldia-gnostischen Verfahren, die bereits in der Frühschwan-gerschaft stattfinden und weder mit Risiko für dieMutter noch für das Kind durchgeführt werden, fin-det eine Ausweitung der PND statt (Sorg und Fränz-nick 2002, 77). Jede schwangere Frau in der westli-chen Welt wird mittlerweile in irgendeiner Form mitpränataldiagnostischen Untersuchungsmethodenkonfrontiert, auch wenn sie dann bewusst darauf ver-zichtet. Bereits das Angebot der PND versetzt Frauenin die Situation, sich entscheiden zu müssen, einSich-nicht-Entscheiden wird unmöglich (a.a.O., 86).In jedem Falle wirft PND Entscheidungen mit weitreichenden persönlichen Konsequenzen auf, über diein unserer Gesellschaft kein einheitlicher moralischerKonsens mehr besteht und für die somit keine tra-dierten Entscheidungsmuster mehr vorliegen (Wiede-busch 1997, 127). Jede Frau muss ihre Entscheidungvon neuem individuell treffen und diese vor sichselbst, aber auch vor anderen begründen und vertre-ten (Friedrich u.a. 1998, 26).

Eine besondere Entscheidungsproblematik beinhaltendie scheinbar harmlosen nichtinvasiven kombiniertenTestverfahren wie der Combined Test, die anhandeiner Blutprobe der Frau prophylaktisch durchgeführtwerden (Schindele 1995, 281f). Aus einer derartigenTestdurchführung resultiert die statistische Wahr-scheinlichkeit, mit der das Ungeborene eine Normab-

weichung aufweist. Aufgrund ihrer hohen Rate anfalsch-positiven Befunden schließen bei auffälligenWahrscheinlichkeitswerten meist invasive PND-Ver-fahren wie z.B. eine Fruchtwasseruntersuchung an,die ein genaueres Ergebnis bringen, jedoch mit einemRisiko verbunden sind, dass das Kind durch den Ein-griff eine Verletzung erleidet bzw. ein Abort ausgelöstwird. Ohne dass sich Frauen anfangs darüber bewusstsind, können diese kombinierten Tests „einen ganzenRattenschwanz anderer Untersuchungen nach sichziehen, die die schwangere Frau die halbe Schwan-gerschaft hindurch in Anspannung und Sorge halten“(Schindele a.a.O.).

Der Combined Test stellt ein nichtinvasives vorge-burtliches Testverfahren dar; und zwar eine Kombina-tion aus der Nackentransparenzmessung (NT) mittelsUltraschall, der Bestimmung zweier plazentarer Hor-mone im mütterlichen Blut und dem Alter der Mutter(Schuchter u.a. 2002, 211). Er wird im Zeitraum vonder 11. bis zur 14. Schwangerschaftswoche durchge-führt, um das individuelle Risiko einer Frau bezüglichder Geburt eines Kindes mit einer chromosomalenAbweichung, insbesondere mit Down-Syndrom, zuerrechnen. Zum Beispiel bedeutet ein Risiko fürDown-Syndrom von 1:250, dass von 250 Schwange-ren mit demselben Risiko eine Frau ein Kind mitDown-Syndrom bekommt. Bei einem individuellen Ri-siko größer als 1:250 (z.B. 1:150) werden im Sozial-medizinischen Zentrum Ost in Wien weitere miteinem operativen Eingriff verbundene (invasive) Un-tersuchungen angeschlossen.

Derartige nichtinvasive kombinierte Tests gehenimmer mehr in die routinemäßige Schwangerschafts-vorsorge1 ein, wodurch immer mehr Frauen mit derEntscheidung über dessen Inanspruchnahme kon-frontiert sind. Das Treffen einer bewussten Entschei-dung wird in diesem Kontext weiters dadurch er-schwert, dass diese in die ersten Wochen bzw. daserste Drittel der Schwangerschaft fällt, indem ge-wöhnlich eine erste Auseinandersetzung mit dieserVeränderung stattfindet und das in hohem Ausmaßvon Verunsicherung geprägt ist (Wimmer-Puchinger1992, 27). Die Botschaft, schwanger zu sein, ist indieser Zeit bei manchen Frauen noch gar nicht richtigangekommen. Oftmals fällt die ärztliche Bestätigungder Schwangerschaft zeitlich sogar mit einer Termin-absprache für die Testdurchführung zusammen.

Forschungsfrage und UntersuchungsdesignDie Erhebung des Forschungsstandes anhand einerAnalyse von empirischen Studien zu psychosozialenAuswirkungen von PND ergab, dass derartige kombi-

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nierte Testverfahren und ihre Auswirkungen aufFrauen sowie der Entscheidungsfindungsprozess imHinblick auf dessen Inanspruchnahme kaum bis garnicht untersucht wurden. Dies bildete den Ausgangs-punkt für meine Diplomarbeit „Der Entscheidungsfin-dungsprozess in Zusammenhang mit der Inan-spruchnahme des Combined Tests“ (Osterkorn 2005).

Konkret wurde dabei folgenden Fragen nachgegangen:

1. Besteht ein Konflikt im Entscheidungsprozess fürbzw. gegen die Inanspruchnahme des CombinedTests, der als Konflikt zwischen „Kopf und Bauch“bezeichnet werden kann? Wie wird dieser Konfliktgelöst? Welche Faktoren wirken auf den Entschei-dungsfindungsprozess ein?

2. Wie wird die Entscheidung für die Inan-spruchnahme des Combined Tests unmittelbar vorder Testdurchführung erlebt?

Das zur Beantwortung dieser Fragen erstellte Unter-suchungsdesign ist aus Abbildung 1 ersichtlich. Ins-gesamt wurden fünf Frauen im Alter zwischen 27 und37 Jahren zu jeweils zwei Zeitpunkten interviewt. Indrei Fällen war der Partner zumindest zu einem derbeiden Interviewzeitpunkte anwesend. Die Interview -partnerinnen weisen durchwegs ein höheres Bil-dungsniveau auf.

Untersuchungsergebnisse2

EntscheidungsfindungBei allen Frauen ergab die Analyse des Datenmateri-als, dass für diese Periode völlig normale Gefühle wieBeunruhigung, Verunsicherung bzw. Angst bestanden,die jedoch nicht immer direkt angesprochen wurdenund auch nicht gleich auf den ersten Blick ersichtlichwaren. Als Reaktion auf diese negativen Emotionenreagieren die Interviewpartnerinnen mit der Inan-spruchnahme des Combined Tests, von dem sich alleBeruhigung erwarten, die für nahezu alle darin be-steht zu erfahren, dass „alles mit dem Kind in Ordnungist“. Keine der Frauen sieht nach ihren eigenen Anga-ben die Entscheidung als schwierig bzw. wird für siekein Konflikt zwischen rationaler und emotionalerEbene wahrnehmbar. Vertiefende Analysen relativie-ren jedoch diese Ausführungen der Frauen.

Die Entscheidungsfindung für den Test gründet bei vierFrauen ausschließlich auf den rational begründetenVorteilen des Verfahrens. Die (emotional) negativ be-setzten Aspekte,3 wie ein auffälliges Ergebnis, darananschließende invasive Verfahren mit Eingriffsrisikobzw. die Behinderung des Kindes und die Entscheidungüber einen Schwangerschaftsabbruch, die mit diesemVerfahren in Zusammenhang stehen, werden entwedergar nicht angesprochen oder technisch abgehandelt.

Dies deutet darauf hin,dass diese negativenAspekte aus dem Wahr-nehmungsfeld derFrauen ausgeklammertbzw. funktionalisiertwerden. So beschreibteine Frau den Zweck desTests, Auffälligkeiten zuerkennen, die dann einenAbbruch unweigerlichnach sich ziehen: „... unddann auf jeden Fall,wenn�s krank is, sag�ich:Nein danke!“ Auf dieseWeise gelingt es ihnen,ihre Entscheidung als„unproblematisch“ zuerleben. In dem Fall, worationale Erklärungs-und Verhaltensmuster inBezug auf Behinderungversagen, argumentiertdie Frau mit dem un-abänderlichen Schicksal,

Abbildung 1: Empirisch-qualitatives Forschungsdesign im Überblick

Theoretische

Vorüberlegungen

• Auseinandersetzung mit bisherigen Studien

• Ableitung des Forschungsdefizits

• Fragestellung

Datenerhebung

• Anwesenheit bei zwei ärztlichen

Aufklärungsgesprächen über den Combined Test

• problemzentriertes Interview nach Witzel (1985) mit

Interviewleitfaden und zwei Befragungszeitpunkten

(unmittelbar nach Informationsgespräch sowie

unmittelbar vor Testdurchführung)

• schriftliche Notizen der Frau, wenn die Entscheidung

unmittelbar nach dem Beratungsgespräch noch nicht

feststand

Datenaufbereitung

• wörtliche Transkription mit Postskriptum

• Niederschrift der Eindrücke aus zwei

Beratungssituationen

Datenauswertung

• Konstruktion eines Kategorienschemas

• Analyse der einzelnen Interviews

• Generalisierende Analyse und Bezugnahme auf

Ergebnisse bisheriger Studien

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auf das man nicht mehr in vollem Maß Einfluss neh-men könne.

Zwei der interviewten Frauen treffen ihre Entschei-dung nicht „bewusst“, indem sie diese als entschei-dungsbedürftige Wahlmöglichkeit erkennen und sichihrer Position als Entscheidungsträgerinnen im vollenUmfang im Klaren sind. Indem sie den Combined Testals Bestandteil der routinemäßigen Schwanger-schaftsvorsorge verstehen, treffen sie ihre Entschei-dung, ohne zu reflektieren, handelnd bzw. reagierend.Erst in der Interviewsituation, die den Entscheidungs-findungsprozess zum Gegenstand hat, werden sie sichdarüber bewusst, dass sie sich eigentlich in einer Ent-scheidungssituation befinden, über die sie sich bisjetzt keine Gedanken gemacht haben.

Die Argumentationslinien der Entscheidungsträgerin-nen beinhalten widersprüchliche Aussagen undHandlungsweisen, welche jedoch nicht offensichtlichin Form eines Konfliktes nach außen getragen wer-den, wie bereits Schindele (1990, 101) festgestellthat, sondern mithilfe von Abwehrmechanismen imUnterbewussten gehalten werden, um eine wider-spruchsfreie Entscheidung zu ermöglichen und diepsychische Stabilität in Balance zu halten. So werden„negative“ Aspekte des Tests ausgeklammert, derZweck des Tests, nämlich die Verortung von Auffällig-keiten, bagatellisiert, indem er mit der Geschlechts-bestimmung des Kindes gleichgesetzt wird, die emo-tionale Belastung, die durch die Uneindeutigkeit vonauffälligen Ergebnissen verursacht wird, nicht antizi-piert und emotional bedeutsame Aspekte im Ent-scheidungsprozess isoliert. Friedrich u.a. (1998, 117f)haben diese Erscheinungsformen mit den Abwehrme-chanismen „Verleugnung“ bzw. „Verdrängung“ be-schrieben. Einen weiteren Aspekt stellt das „vorsätz-liche Nicht-Wissen-Wollen“ dar. Ärztliche Mitteilun-gen und allgemeine Informationen werden zumSchutze der psychischen Stabilität nur selektiv wahr-genommen, um die eigenen Erwartungen an denCombined Test nicht fraglich werden zu lassen.

Unmittelbar vor der Testdurchführung kommen die-selben Abwehr- bzw. Stabilisierungsmechanismen zurAnwendung. Alle Frauen beschreiben ihr emotionalesBefinden im Allgemeinen als positiv und äußern sichnicht hinsichtlich Unsicherheit oder Angst. Hinterdieser vordergründig angegebenen Harmonie verber-gen sich bei ganzheitlicher Betrachtungsweise der In-terviewsituationen sehr wohl Gefühle wie Angst undUnsicherheit. So zeigen die Schwangeren die Ten-denz, sich nicht mehr mit der getroffenen Entschei-dung auseinandersetzen zu wollen, um diese nicht

fraglich werden zu lassen, sondern wollen das Inter-view allgemein schnell hinter sich bringen. ZumSchutze vor negativen Gefühlen nehmen sie sich eine“emotionale Auszeit” (Friedrich u.a., 1998, 123),indem sie die sozial erwartete Antwort des positivenBefindens vorgeben, ohne sich auf ihr tatsächlichesEmpfinden zu konzentrieren. So sich negative emo-tionale Impulse nicht beiseite schieben lassen, wer-den sie durch rationale Erklärungen „unschädlich“ ge-macht, indem sie z.B. nicht mit dem Test in Zusam-menhang gebracht werden, sondern als allgemeineAngst vor dem Arzt abgetan werden. In einem ande-ren Fall kann eine Interviewpartnerin die negativenGefühle zulassen, indem sie diese auf andere Situa-tionen verschiebt und über ihre negativen Emotionenzu einem früheren Zeitpunkt der Schwangerschaftberichtet. Diese Umgangsweisen ermöglichen ihnendie Handhabbarkeit einer emotional sehr belastendenSituation.

EinflussfaktorenAls Einflussfaktoren auf die Entscheidung ergebensich folgende Variablen:

Wissen und InformiertheitDrei Interviewpartnerinnen wissen bereits vor demärztlichen Aufklärungsgespräch über die Möglichkeitder Durchführung eines Combined Tests Bescheid.

Die Informiertheit der Frauen bezieht sich in ersterLinie auf das Wissen über Art und Zeitpunkt der Test-durchführung. Weniger Informiertheit besteht überBehinderungsformen, die mittels des Tests aufgespürtwerden können. Dass durch den Test keine Aussagenüber den Schweregrad der Behinderung bzw. über dievoraussichtliche Entwicklung des Kindes getroffenwerden können, ist nicht Gegenstand der Informationdurch die Gynäkologin. Für den Großteil der Frauenspielt das Wissen um die Risikolosigkeit des Verfah-rens vor allem für das Kind, aber auch für die Mutter,eine ausschlaggebende Rolle, den Test durchführenzu lassen. Bis auf eine Frau fühlen sich nach dem Be-ratungsgespräch alle (sehr) gut informiert und beur-teilen die erhaltene Information als ausreichend, zweiwollen noch zusätzlich Informationen einholen. WieWiedebusch (1997, 135ff) anführt, spielen Wissenund Information in jedem Fall eine Rolle in der Ent-scheidung, da ohne Wissen um die Möglichkeit desTests gar keine Entscheidung getroffen werden kann.In dieser Untersuchung geben explizit drei Frauen dieerhaltene Information als Einflussfaktor auf ihre Ent-scheidung an.

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Diese Frauen bezogen ihre Informationen aus derletzten Schwangerschaft, aus dem Internet oder ausihrem sozialen Umfeld. Eine Schwangere spricht voneiner „wahren Informationsflut“, der sie sich kaumentziehen konnte. Bei diesem Wissen handelt es sichjedoch nicht um umfassende Informiertheit über denTest, sondern vielmehr um Erfahrungen, Meinungenund Erzählungen von Bekannten. Medizinische Faktentreten dabei in den Hintergrund. Die aus dem unmit-telbaren Umfeld vermittelten Informationen werdenvielmehr zu einem Alltagswissen, über das jede/r ver-fügt, und die Inanspruchnahme des Combined Testsbekommt den Charakter einer routinemäßigenSchwangerschaftsvorsorge, die als Selbstverständ-lichkeit unreflektiert in Anspruch genommen wird.

Ärztin/Arzt

GynäkologInnen kommt im Prozess der Entschei-dungsfindung die tragende Rolle der Informations-vermittlerInnen zu, indem sie die Frauen erstens überdie Möglichkeit des Combined Test selbst sowie überdie mit ihm in Zusammenhang stehenden Informatio-nen aufklären. Explizit eine Frau führt ihre Gynäkolo-gin als wirkende Größe auf die Entscheidung an,wobei diese Frau aufgrund einer vorangegangenenFehlgeburt ein intensiveres Verhältnis und großesVertrauen zur Gynäkologin pflegt. Es steht hier vorallem die Ärztin als Expertin im Vordergrund.

Partner

Alle Partner, die bei einem Interview anwesend waren,äußern sich ausschließlich positiv gegenüber derPND, ohne dass sie sich vorher eingehender mit die-sen Verfahren auseinandersetzt haben. Allein das An-gebot von PND wird als Grund gesehen, diese auch inAnspruch zu nehmen – „als Möglichkeit, die man sichnicht entgehen lassen sollte“. Mit ihren Einstellungenwirken die Partner mehr oder weniger stark auf dieEntscheidung der Frauen ein. Eine Frau nennt ihrenPartner explizit als einzige Einflussgröße. Bei weite-ren drei wird der Stellenwert des Partners auf die Ent-scheidungsfindung implizit sichtbar. Eine Frau trifftihre Entscheidung unabhängig von ihrem Partner.

FreundInnen/Bekannte/soziale UmweltIn zwei Fällen wird die soziale Umwelt als wesentli-cher Einflussfaktor auf die Entscheidung ersichtlichund hier vor allem durch Erzählungen und Erfah-rungswerte von FreundInnen und Bekannten. Die„Verantwortung gegenüber der Gesellschaft“4 stelltfür immerhin zwei Personen einen Grund für dieDurchführung des Combined Tests sowie einen Ab-bruch bei vorliegender Behinderung dar.

Sichtweise von BehinderungDiese kann nur indirekt aus Äußerungen im Interviewerschlossen werden. Behinderung wird meist mitKrankheit gleichgesetzt und wird rein sachlich aufBegrifflichkeiten wie Mongolismus und Herzfehler re-duziert – eine Frau, die Kontakt mit behindertenMenschen hat, spricht von Trisomie 21 –, wobei esdarum geht, diese durch den Test auszuschließen.Eine Frau spricht Behinderung in keiner Form an. ZweiFrauen positionieren sich eindeutig negativ zu Behin-derung und antizipieren den Pflegeaufwand, der aufdie Umwelt zukommen würde, wenn den Eltern etwaszustoßen würde, bzw. Mitleid gegenüber dem Kind.Im Falle einer wahrscheinlichen Behinderung würdensie die Schwangerschaft durch einen Abbruch been-den. Eine Frau arbeitet in einer Schulklasse, in der dieIntegration von zwei behinderten Kindern gut funk-tioniere, sie selber möchte jedoch kein behindertesKind, sondern durch einen Schwangerschaftsabbruchlieber später einem gesunden Kind die Möglichkeitgeben, auf die Welt zu kommen. Eine Auseinander-setzung mit der Entscheidung über einen Schwanger-schaftsabbruch bei auffälligem Ergebnis fand bei denanderen drei Frauen nicht statt.

ResümeeDie Untersuchung zeigt auf, dass die Entscheidungs-findung für die Inanspruchnahme des Combined Testsein sehr komplexer Prozess ist, bei dem einerseitsviele innerpsychische Vorgänge wie diverse Abwehr-strategien zum Einsatz kommen. Andererseits wirkenviele Außenfaktoren der sozialen Umwelt auf dasEntscheidungsverhalten der Frauen ein. Eine infor-mierte, bewusste Entscheidung (Friedrich u.a. 1998,26), die Frauen überhaupt als Wahlmöglichkeit wahr-nehmen, bei der sie sich selbst als Entscheidungsträ-gerinnen bewusst sind und Konsequenzen der Ent-scheidung antizipiert werden, ist bei den interviewtenFrauen nicht gegeben. Ebensowenig erfolgt eine Ver-ständigung über das Ziel, das mit der PND erreichtwerden soll und eine Abwägung, ob dieses auch ein-gelöst werden kann. Somit stimme ich mit Friedrichu.a. (1998, 28) überein, wenn sie die Frage stellen, obin diesem Sinne überhaupt in vollem Sinn von einerEntscheidung zu sprechen ist oder ob diese nicht viel-mehr auf eine Konstellation von Zwang, Verführungund blinden Gehorsam zurückzuführen ist.

Maria Osterkorn IBE Linz

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Umstrittene LeihmutterschaftDer alte Rechtsgrundsatz „Mater sempercerta est – die Mutter ist immer sicher“ giltdurch die moderne Reproduktionsmedizinnicht mehr. In Frankreich sprach sich das Na-tionale Ethikkomitee (CCNE) unlängst gegeneine Lockerung des Verbots der Leihmutter-schaft aus. In anderen Staaten, beispielsweiseIndien, ist die kommerzielle Leihmutterschafthingegen legal.

In einer Stellungnahme (“avis”) vom 1. April 2010, dieam 5. Mai 2010 veröffentlicht wurde, sprach sich dasfranzösische Nationale Ethikkomitee CCNE dafür aus,das Verbot der Leihmutterschaft auch im Rahmen derim Jahre 2011 anstehenden zweiten Revision desBioethikgesetzes von 1994 beizubehalten.1 Das CCNEmachte sich somit den Antrag einer siebenköpfigenMinderheit seiner 40 Mitglieder, in einigen eng be-grenzten Fällen unter strikter Kontrolle Ausnahmen

von dem Verbot zuzulassen, nicht zueigen. Allerdingshaben gerade 20 Mitglieder des CCNE das Mehr-heitsvotum unterzeichnet.

Von „Leihmutterschaft“ spricht man einerseits, wennsich eine fremde Frau dazu bereiterklärt, sich von denSamen eines Mannes befruchten zu lassen, sodanndas Kind austrägt und gebärt und nach der Geburtdas Kind an das „verleihende“ Paar, d.h. den leiblichenVater und seine Frau, herausgibt. Diese fremde Fraubzw. die Leihmutter wäre demnach im genetischenSinne die Mutter des Kindes, die Eltern sind jedochdas Paar, welches das Kind großzieht. Neben dieser„traditionellen“ Methode geht die Leihmutterschaftseit Anfang der 1990er Jahre auch noch auf andereWeise vonstatten: Hierbei kommt die Eizelle nichtvon der Leihmutter, sondern von der Ehefrau deskünftigen Vaters. Die Befruchtung findet bereits imReagenzglas statt und die befruchtete Eizelle wirdanschließend der Leihmutter eingepflanzt (in vitro-Fertilisation). Die Leihmutter ist somit nicht mehr ge-netisch mit dem Kind verwandt.

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Anmerkungen1 Auf der gynäkologischen Abteilung des SMZ-Ost ist

dieser Test Teil der routinemäßigen Schwangerschafts-untersuchung und wird bei jeder Frau kostenlos durch-geführt, die sich dort für die Geburt anmeldet.

2 Die Ergebnisse der Untersuchung sind nicht repräsen-tativ, liefern jedoch wichtige Anhaltspunkte über dieGestaltung des Entscheidungsfindungsprozesses imHinblick auf die Inanspruchnahme des Combined Tests,wobei das Erleben und Empfinden der Frau im Fokussteht. Diese Ergebnisse bedürfen einer breiteren empiri-schen Überprüfung.

3 Diese wurden im Informationsgespräch, wenn auchsehr sachlich und kurz, erwähnt.

4 Die Gesellschaft mit ihren Werthaltungen und solidari-schen Leistungen für Menschen mit Behinderung ist alsmaßgeblicher Einflussfaktor auf derartige Entscheidun-gen nicht zu unterschätzen, war jedoch nicht Gegen-stand der Untersuchung und wird daher an dieserStelle nicht näher ausgeführt.

LiteraturFriedrich, H., Henze, K-H., Stemann-Acheampong, S.

(1998). Eine unmögliche Entscheidung: Pränataldia-gnostik: Ihre psychosozialen Folgen und Voraussetzun-gen. Berlin

Osterkorn, M. (2005). Der Entscheidungsfindungsprozess in

Zusammenhang mit der Inanspruchnahme des Combi-ned Tests. Diplomarbeit, Universität Wien

Schindele, E. (1990). Gläserne Gebär-Mütter. Vorgeburtli-che Diagnostik – Fluch oder Segen. Frankfurt am Main

Schindele, E. (1995). Schwangerschaft. Zwischen guterHoffnung und medizinischem Risiko. Hamburg

Schindele, E. (1996). Pfusch an der Frau. KrankmachendeNormen. Überflüssige Operationen. Lukrative Geschäfte.Ratgeber für einen anderen Umgang mit dem Frauen-arzt. Frankfurt am Main

Schuchter, K., Hafner, E., Stangl, G. (2002). The first trime-ster �combined test� for the detection of Down syn-drome pregnancies in 4939 unselected pregnancies. In:Prenatal Diagnosis 22, 211-215

Sorg, B & Fränznick, M. (2002). Frauen in der Reprodukti-onsmedizin: Hoffnungen –Entscheidungszwänge – Be-handlungsspiralen. In: Brähler, E., Stöbel-Richter, Y.,Hauffe, U. (Hrsg.). Vom Stammbaum zur Stammzelle.Reproduktionsmedizin, Pränataldiagnostik und mensch-licher Rohstoff. Gießen, 75-95

Wiedebusch, S. (1997). Die Entscheidung über die Inan-spruchnahme pränataler Diagnostik. In: Petermann, F.,Wiedebusch, S., Quante, M. (Hrsg.). Perspektiven derHumangenetik. Schöningh, 127-151

Wimmer-Puchinger, B. (1992). Schwangerschaft als Krise.Psychosoziale Bedingungen von Schwangerschaftskom-plikationen. Berlin

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Das französische Bioethikgesetz von 1994 in seinerzur Zeit gültigen Fassung, die in diesem Punkt anläs-slich der ersten Revision des Gesetzes im Jahre 2004bestätigt worden ist, belegt einen Verstoß gegen dasVerbot der Leihmutterschaft mit Strafe. Der Code Civilerklärte eine sich darauf beziehende Vereinbarung fürnull und nichtig. Die Frage, ob die Leihmutterschaft inZukunft unter bestimmten Voraussetzungen zulässigsein soll, hat im Rahmen der Vorbereitungen der dem-nächst anstehenden zweiten Revision des Bioethikge-setzes seit 2008 / 2009 die öffentliche Debatte inFrankreich beherrscht. Die Meinungen hierzu warensowohl in der Regierung als auch in den Kreisen derMedizinwissenschaft geteilt.

Dissenting OpinionDie sieben Mitglieder des CCNE, welche die Änderungbeantragt hatten, haben ihre Auffassung in einer derCCNE-Stellungnahme beigefügten, knapp einseitigen“dissenting opinion” zum Ausdruck gebracht. Sie ma-chen geltend, dass die Beibehaltung des Verbots derLeihmutterschaft im Gegensatz zu den “übergeordne-ten Interessen aller Kinder stehe, die dank einer ärzt-lich assistierten Kindeszeugung in Ländern, in denendas Verbot nicht bestehe, auch weiterhin geboren wer-den.” Es wird darauf hingewiesen, dass sich das inter-nationale Umfeld seit der ersten Revision des Bioethik-gesetzes grundlegend geändert habe. Während dieLeihmutterschaft in Belgien, den Niederlanden und Dä-nemark toleriert werde, sei sie in Großbritannien, Grie-chenland, Indien, Kanada und mehreren amerikani-schen Staaten erlaubt. Französische Paare, die über diefinanziellen Mittel hierzu verfügten, würden sich - sodas Minderheitenvotum - weiterhin in diese Länder be-geben. Die sieben Komitee-Mitglieder sprachen sichfür die Zulässigkeit einer Leihmutterschaft von Fall zuFall nach Maßgabe einer eng zu begrenzenden Aus-nahmeregelung aus, “die die Würde und die Sicherheitaller Beteiligten gewährleistet”.

Auf der Linie des Minderheitsvotums des CCNE lag imJahre 2008 des Votum einer Arbeitsgruppe des Senatsund im Frühjahr 2010 die Auffassung des think-tank“Terra Nova”. Dagegen haben sich unter anderem derConseil d’ Etat, die in so genannten “Bürger Jurys” zu-sammengetretenen Generalstände der Bioethik(2009), die Académie de médecine und der Berichteiner eigens zu den Fragen der anstehenden Revisiondes Bioethikgesetzes eingesetzten “Mission d’ infor-mation parlementaire” der Nationalversammlung imNamen des “Respekts vor der Würde des Menschen”für die Beibehaltung des Verbots der Leihmutter-schaft ausgesprochen.

Gründe für die Beibehaltung des VerbotsDie von der Mehrheit des CCNE getragene Stellung -nahme (Avis No 110) stützt sich bei ihrer Ablehnungder Zulässigkeit der Leihmutterschaft auf folgendeGesichtspunkte:

❚ die ethischen Risiken, die durch keinen voraus-schauenden, in das Gesetz aufgenommene Kon-trolle (“garde-fou”) ausgeräumt werden könnten

❚ die medizinischen Unfälle, die sich während derSchwangerschaft der Leihmutter ereignen könnten

❚ die Müttersterblichkeit, ein Übel, das noch nichthabe ausgeräumt werden können; sie sei umsounerträglicher, wenn sie auf dem “Umwege” einer“Schwangerschaft für einen Dritten” (“gestationpour autrui” / GPA) eintrete

❚ die Beeinträchtigung der menschlichen Würdeund des Bildes, das sich die Gesellschaft von derRolle der Frau mache; dies auch dann, wenn mandavon ausgehe, dass die französische Gesellschaftnicht immer die gleichen Vorstellungen vom Prin-zip der Menschenwürde verbinde

❚ die Unsicherheit betreffend die Zukunft der auseiner Leihmutterschaft hervorgegangenen Kinder;etwa deren seelische Verfassung, wenn sie sichbewusst würden, dass sie Gegenstand eines Han-dels (“enjeu de tractation”) gewesen seien, oderihr Verhältnis zu anderen Kindern der Leihmutteroder der Wunscheltern (“parents d’ intention”)

Das CCNE befürwortet in seiner Stellungnahme in er-ster Linie Investitionen in die medizinische Forschung,die die Ursachen der Unfruchtbarkeit von Frauen zumGegenstand haben, sowie die Prävention vermeidba-rer Ursachen weiblicher Unfruchtbarkeit. In zweiterLinie sei ein “Nachdenken der Gesellschaft” über dasBild, das sie sich von der Unfruchtbarkeit von Frauenund der Mutterschaft mache, erforderlich.

Regelung in Deutschland In Deutschland wurde 1991 das so genannte Embryo-nenschutzgesetz (ESchG) erlassen, das die Leihmut-terschaft verbietet. Nach diesem Gesetz gilt bereitsdie befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Ei-zelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an alsEmbryo. Das Embryonenschutzgesetz verbietet unteranderm:

❚ die Übertragung einer fremden unbefruchtetenEizelle auf eine Frau

❚ eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zubefruchten, als eine Schwangerschaft der Frauherbeizuführen, von der die Eizelle stammt

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❚ einer Frau einen Embryo vor Abschluss seiner Ein-nistung in die Gebärmutter zu entnehmen, umdiese auf eine andere Frau zu übertragen oder ihnfür einen nicht seiner Erhaltung dienenden Zweckzu verwenden

❚ bei einer Frau, welche bereit ist, ihr Kind nach derGeburt auf Dauer Dritten zu überlassen (Ersatz-mutter), eine künstliche Befruchtung durchzufüh-ren oder ihr einen menschlichen Embryo zu über-tragen

❚ eine missbräuchliche Verwendung menschlicherEmbryonen (z.B. Verkauf eines durch künstlicheBefruchtung erzeugten Embryos)

Der Vertrag, in dem sich die Leihmutter verpflichtet,ihr Kind abzugeben, widerspricht dem deutschen Ge-setzgeber zufolge sittlichen Moralvorstellungen überdie Käuflichkeit der Schwangerschaft und eines Kin-des. Die Existenz zweier Mütter könne unter Umstän-den seelische Konflikte beim Kind hervorrufen. Hinzukomme die Gefahr der kommerziellen Ausbeutung.

Leihmutterschaft ist somit in Deutschland verboten.Allerdings droht dabei nur dem Arzt, der bei der Er-satzmutter eine künstliche Befruchtung oder eineEmbryoeinpflanzung vornimmt, eine Freiheitsstrafebis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Die Ersatz-mutter bleibt genauso wie die Auftraggeberin straf-frei. Dies gilt auch im Zusammenhang mit der obengenannten Eizellenübertragung. Verboten ist jedochdie Vermittlung von Leihmüttern gemäß dem deut-schen Adoptionsvermittlungsgesetz.

Weltweiter „Wirtschaftszweig“In der Schweiz, in Österreich und in Schweden sindLeih mutterschaften verboten. In Spanien sind Leih -mutterschaften zwar nicht verboten, aber Leihmutter-schaftsverträge sind nichtig. In Belgien und Griechen-land sind Leihmutterschaften erlaubt, seit 2008 auchin Großbritannien durch das Gesetz über menschlicheBefruchtung und Embryologie.

In den USA gibt es keine bundesweite Regelung.Zwölf Bundesstaaten, darunter New York, New Jerseyund Michigan, haben Gesetze gegen eine Anerken-nung von Leihmutter-Verträgen verabschiedet. ImGegenzug haben seit 2003 die Staaten Texas, Illinois,Utah und Florida das Geschäft der Leihmutterschaftlegalisiert. Über ethische Bedenken triumphiert ge-rade unter frommen Amerikanern, die Abtreibung fürMord halten, die Unantastbarkeit allen menschlichenLebens, so Welt-Autor Uwe Schmitt. Woher eskommt, wohin es geht, erscheint zweitrangig. Einweiteres Argument in dieser Linie: Leihmütter (bzw.

Vorformen) sind seit vorbiblischen Zeiten bekannt, imbabylonischen Kodex Hammurapi von 1.800 vor Chri-stus geregelt und im Alten Testament ohne Makel be-schrieben: „Als Rahel sah, dass sie Jakob keine Kindergebar ..., sagte sie zu Jakob: Verschaff mir Söhne:Wenn nicht, sterbe ich ... Da ist meine Magd Bilha.Geh zu ihr! Sie soll auf meine Knie gebären, dannkomme auch ich durch sie zu Kindern.“ (Erstes BuchMose, Genesis, 30, 1-4). Schmitt merkt allerdings an,dass sich dabei stets „die Reichen und Mächtigen derKörper der niederen Stände, wenn nicht derer vonSklavinnen“ bedienten.

Heute würden die Frauen dafür zumindest entgolten.Bis zu 20.000 Dollar Honorar können Leihmütter inden USA erwarten – für einen „24-Stunden-Job”, derfast ein Jahr lang regelmäßige medizinische Checksverlangt, mitunter Übelkeit und Erbrechen bereitet,Alkohol- und Nikotinverzicht erfordert sowie Bettlä-gerigkeit bei Komplikationen und gegebenenfalls De-pressionen post partum inkludiert, so Schmitt weiter.Anders als Eispenderinnen, die meist Anfang zwanzigsind, können gesunde Leihmütter „arbeiten“, bis sie40 werden. “Surrogate Mother”-Agenturen verlangenfür ihre Mühe bis zu 60.000 Dollar. Das „Geschäft“geht gut: Mehr als 1.000 Leihgeburten soll es 2007 inden USA gegeben haben, Tendenz steigend. Die wohl-habenden InteressentInnen kommen hauptsächlichaus Island, Frankreich, Kanada, Japan, Israel, Austra-lien, Saudi-Arabien und Dubai.

Wer das Geld nicht hat, kann sich in der so genann-ten Dritten Welt schadlos halten. In Indien, wo Frauenseit 2002 fremde Kinder austragen und Geld dafürnehmen dürfen, ist Leihmutterschaft nach einem Be-richt des Nachrichtendienstes Australasian BioethicsInformation zu einem eigenen Wirtschaftszweig an-gewachsen. Der Umsatz betrage jährlich 449 Millio-nen US-Dollar. Doch die Zahlenangaben sind unein-heitlich: Fast 2,3 Milliarden US-Dollar brächten Hun-derte von Leihmütter dem Land ein, meldete unlängstder indische Industrieverband.

Armutsschere allgegenwärtigIndien ist dabei für Übersee-Paare mit unerfülltemKinderwunsch vor allem aufgrund der niedrigen Ko-sten attraktiv. Hier kostet ein von einer Leihmutterausgetragenes Kind dem Bioethics-Bericht zufolgenur 2.500 bis 6.500 US-Dollar. Laut pressetext.austriawerben Vermittlungsagenturen weltweit mit „All-in-clusive“-Angeboten: Im Preis von ungefähr 25.000Dollar sind Arztkosten, die Bezahlung der Leihmuttersowie Flugtickets und Hotelkosten für zwei Reisen

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nach Indien inkludiert: einmal für die Befruchtungund das zweite Mal, um das Baby abzuholen.

BefürworterInnen aus der Ärzteschaft meinen, dassdiese Art der Leihmutterschaft indische Frauen nichtausbeuten würden, es käme auch zu keinen psycho-logischen Problemen, wenn Leihmütter „ihr“ Babyzurückgeben müssten. Frauen aus ärmeren Schichtenund unter finanziellem Druck sehen darin eine Ver-dienstchance, ein Problem, das inzwischen auch denHandel mit Eizellen betrifft.

Suzi Leather, Chefin der Zulassungsbehörde fürkünstliche Befruchtung und Embryologie (HFEA) inLondon, zeigt sich über diese Entwicklung besorgt:„Der Handel rund um die Herstellung von Kindern istinzwischen global, es braucht daher eine internatio-nale Antwort auf diese Probleme“, betont Leather. Siespricht von einem „Handel, der zutiefst ausbeuterischund unethisch“ ist. Die Armutsschere bei der Vermitt-lung ist jedenfalls allgegenwärtig: Auf manchen Ver-trägen fände sich neben der Unterschrift der Klien-tInnen der Fingerabdruck einer Analphabetin, berich-tet die New York Times.

Minimale VerbesserungenZumindest minimale gesetzliche Verbesserungen sindder Schweizer Zeitung Blick zufolge bezüglich des

bisher größtenteils unregulierten indischen Leihmut-ter-Markts angedacht: So soll eine Inderin nur nochmaximal fünf Leihschwangerschaften austragen kön-nen, bis sie 35 Jahre alt ist. Weiters sollen pro Versuchhöchstens drei Embryonen eingepflanzt dürfen. Ins-gesamt soll indischen Leihmüttern mehr Entschei-dungsgewalt eingeräumt werden. So sollen sie künf-tig zum Beispiel ihr Honorar und ihren Versicherungs-schutz selbst aushandeln können, um dabei nichtmehr von den Spitälern abhängig zu sein. [hs]

Quellen: Frankreich: Das „Nationale Ethikkomitee“(CCNE) spricht sich gegen eine Lockerung des Verbotsder Leihmutterschaft aus, www.kooperation-interna-tional.de; Was ist eigentlich Leihmutterschaft,http://wireltern.eu/news; Leihmutter, http://de.wiki-pedia.org; Leihmutterschaft in Indien boomt,http://pressetext.ch; Indien: Leihmütter bieten Dien-ste für Klienten aus Übersee an, www.imabe.org; UweSchmitt: Land der Leihmütter, Welt online,08.04.2008; Bauch zu vermieten, www.blick.ch

Anmerkung1 Stellungnahme des CCNE (auf Französisch): www.ccne-

ethique.fr/docs/Avis_110.pdf

Deutschland: Klare gesetzlicheRegelungen für BiobankengefordertUm die Besonderheiten komplexer Erkrankun-gen wie etwa Krebs zu verstehen, sind großeSammlungen mit biologischen Blut- oder Ge-webeproben notwendig, die bei Bedarf analy-siert werden können. Eine rechtliche Regelungsoll künftig die Anonymität der PatientInnensichern und eine nachträgliche Identifizierungverhindern, fordert der Deutsche Ethikrat ineiner aktuellen Stellungnahme.1

Um persönliche genetische Daten vor dem Zugriff un-befugter Dritter zu schützen, hatte die deutsche Bun-desregierung in der vergangenen Legislaturperiodedas Gendiagnostikgesetz (siehe Kasten) verabschie-det, das sich auf medizinisch veranlasste Gentests be-

schränkt. Alle politischen Parteien in Deutschlandsind sich aber einig, dass auch die in Forschungspro-jekten aus Blut, Urin oder Gewebeproben gewonne-nen genetischen Daten besonders schützenswertsind. Aktuellen diesbezüglichen Handlungsbedarfsehen die 26 Mitglieder des Deutschen Ethikrats, weilsich die Biobanklandschaft derzeit grundlegend ver-ändert:

❚ Wegen des unstillbaren Datenhungers der Medi-zin werden die Biobanken immer größer. Als Bei-spiel nannte Ethikratsmitglied Regine Kollek inBerlin die so genannte Helmholtz-Kohorte, in derProbenmaterialien und krankheitsrelevante Infor-mationen von mittlerweile 200.000 freiwilligenProbandInnen gespeichert werden sollen, um dieEntstehung von Volkskrankheiten verfolgen zukönnen.

❚ Die Biobanken vernetzen sich immer mehr. Hiernannte Kollek die EU-Initiative BBMRI,2 in derenRahmen der zentralisierte Zugriff auf Informatio-nen von bis zu 10 Millionen Patientenproben und

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–Daten für Forschungszwecke ermöglicht werdensoll.

❚ Die zunehmende Vernetzung in Kombination mitden immer besseren Auswertemethoden gestattetdie Re-Identifikation der Probenspender, selbstwenn die Proben anonymisiert waren.

Der Deutsche Ethikrat hält deshalb gesetzliche Ergän-zungen früherer Stellungnahmen des NationalenEthikrates und der Enquête-Kommission „Recht undEthik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundes-tages zu Biobanken für erforderlich. „Mit der emp-fohlenen gesetzlichen Regelung wollen wir zugleichden umfassenden Schutz der persönlichen Datensowie eine ungehinderte Forschungsarbeit sicherstel-len“, erklärte Ethikratsmitglied Jochen Taupitz bei derVorstellung der Stellungnahme zu „Humanbiobankenfür die Forschung“ am 15. Juni 2010 in Berlin.

Bisherige Konzepte zum Schutz der Spenderinteres-sen basierten maßgeblich auf der informierten Ein-willigung der Spender, wurde erläutert. Aufgrund derstrukturellen Besonderheiten von Biobanken kann derindividuellen Einwilligung jedoch nur eine schwacheSchutzfunktion zukommen, da sie vor dem Hinter-grund begrenzter Informationen gegeben werdenmuss. Deshalb sollte das Einwilligungskonzept demEthikrat zufolge ergänzt werden durch institutionelleund prozedurale Regelungen, die der Biobankfor-schung zugleich objektive Grenzen setzen wie auchFreiräume schaffen.

Fünf-Säulen-KonzeptIn seiner Stellungnahme schlägt der Deutsche Ethikratein Fünf-Säulen-Konzept für die gesetzliche Regulie-

rung von Biobanken vor. Es umfasst Empfehlungen zurEinführung eines Biobankgeheimnisses, zur Festle-gung der zulässigen Nutzung, zur Einbeziehung vonEthikkommissionen, zur Qualitätssicherung und zurTransparenz. Ziel der Empfehlungen ist es, für die In-teressen und Persönlichkeitsrechte der Spender einenadäquaten Rechtsrahmen zur Verfügung zu stellen, fürdie Biobankforschung mehr Rechtssicherheit zuschaffen und die Forschung gleichzeitig zu erleichtern.

Die erste und wichtigste Säule dieses Konzepts ist dieEinführung eines Biobankgeheimnisses. Es soll dieVerarbeitung und Übermittlung von Proben und zu-gehörigen Daten während ihrer gesamten Existenzauf die Zwecke wissenschaftlicher Forschung begren-zen und ihre Unzugänglichkeit gegenüber allen for-schungsexternen Dritten garantieren. Den Kern desBiobankgeheimnisses bilden – entsprechend den Re-gelungen, die für Ärzte gelten – eine Schweigepflichtund ein Zeugnisverweigerungsrecht für die Betreiber,Mitarbeiter und Nutzer von Biobanken sowie ein Ver-bot des Zugriffs auf Proben und Daten für alle Perso-nen und Institutionen außerhalb des Wissenschafts-bereichs, einschließlich des Staates.

Die zweite Säule des Konzepts betrifft die Festlegungder zulässigen Nutzung von Biobankmaterialien undDaten. Wie bisher sollte die Einwilligung der Spendergrundsätzliche Voraussetzung für die Verwendung derProben und Daten in Biobanken sein. Spender sollenaber auch die Möglichkeit haben, ihre Proben undDaten ohne Beschränkung auf ein bestimmtes For-schungsprojekt oder eine bestimmte Forschungsrich-tung zeitlich unbegrenzt für die wissenschaftlicheForschung zur Verfügung zu stellen.

Die Einführung eines Biobankgeheimnisses soll den Zugriff Unbefugter auf sensible Patientendaten verhindern, fordern dieGeschäftsführer des Deutschen Ethikrates, Joachim Vetter, Regine Kolle und Jochen Taupitz (von links). Quelle: Ethikrat

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Als dritte Säule des Konzepts empfiehlt der Ethikratdie Einbeziehung von Ethikkommissionen erstens fürden Fall, dass mit personenbezogenen Proben undDaten gearbeitet werden soll oder eine Rekontaktie-rung von Spendern beabsichtigt ist, und zweitens zurperiodischen Bewertung der Aktivitäten von thema-tisch und zeitlich nicht begrenzten Biobanken.

Die vierte Säule betrifft die Qualitätssicherung. Durchangemessene Organisationsstrukturen und Verfah-rensabläufe sowie durch eine Systemevaluation allerthematisch und zeitlich nicht eng begrenzten Bioban-ken sollen die Rechte der Spender geschützt werden.

Als fünfte Säule seines Regelungskonzeptes fordertder Ethikrat eine Reihe von Maßnahmen, die dieTransparenz von Zielen und Verfahrenweisen einer

Biobank garantieren sollen. Hierzu gehören insbeson-dere die vollständige Dokumentation und regel-mäßige Veröffentlichung der Biobankaktivitäten unddie Einrichtung eines öffentlich zugänglichen Bio-bankregisters.

In einem ergänzenden Votum sprechen sich vier Rats-mitglieder dafür aus, thematisch und zeitlich eng be-grenzte Sammlungen, bei denen – wie bei wissen-schaftlichen Qualifizierungsarbeiten – keine Weiter-gabe von Proben und Daten zu anderweitiger Ver-wendung geplant ist, gar nicht in die vorgeschla-genen Regelungen einzubeziehen, weil sie befürch-ten, dass es ansonsten für solche Projekte trotz derempfohlenen differenzierten Regelungstiefe zu er-heblichem zusätzlichen Regulierungs- und Verwal-

Gesetzliche Regelung des Umgangs mitgenetischen Daten

Mit dem deutschen Gendiagnostikgesetz, das am1. Februar in Kraft trat, soll zum einen der Miss -brauch sensibler genetischer Daten oder eine Dis-kriminierung aufgrund der DNA-Ausstattung ver-hindert werden. Zum anderen soll es jedem Ein-zelnen möglich sein, mehr über sich und sein Erb-gut zu erfahren. Mit dem Gesetz werden die Be-reiche der medizinischen Versorgung, der Ab-stammung, des Arbeitslebens und der Versiche-rungen sowie die Anforderungen an eine gute ge-netische Untersuchungspraxis geregelt.

Grundsätzlich dürfen genetische Untersuchungennur durchgeführt werden, wenn die betroffenePerson damit einverstanden ist. Kann sie dasnicht selbst bestimmen, muss die genetische Un-tersuchung einen medizinischen Nutzen mit sichbringen. Unter ganz bestimmten Voraussetzun-gen kann eine Analyse auch veranlasst werden,wenn ein Familienmitglied davon profitierenkönnte. Genetische Untersuchungen zu medizini-schen Zwecken müssen von einem Arzt durchge-führt werden. Dieser soll auch eine umfassendeBeratung leisten, insbesondere bei Untersuchun-gen, die eine Vorhersage für ein Erkrankungsrisikoerlauben, etwa bei ungeborenen Kindern.

Vorgeburtliche genetische Untersuchungen sindnur erlaubt, wenn damit das Risiko für eine Er-krankung bestimmt wird, die den Embyro direkt

oder kurz nach der Geburt betrifft. Die genetischeDisposition für Krankheiten, die erst im Erwach-senenalter ausbrechen können, darf nicht be-stimmt werden. Bei ungeborenen Kindern sindzudem reine Geschlechtsbestimmungen unter-sagt. Sie könnten zur Auslese führen, so die Be-fürchtung. Stellt der Arzt bei einem aus medizini-schen Gründen vorgenommenen Test aber dasGeschlecht fest, kann er es der Frau auf Wunschnach Ablauf der zwölften Schwangerschaftswo-che mitteilen. Weiterhin erlaubt bleiben präna-tale Untersuchungen auf Behinderungen, wie dieUltraschalluntersuchung der Nackenfalte hin-sichtlich des Down-Syndroms.

Eine Überprüfung der Abstammung darf nur mitZustimmung des Kindes und des jeweiligen El-ternteils durchgeführt werden. Ein vorgeburtli-cher Vaterschaftstest kommt nur bei einerSchwangerschaft nach sexuellem Missbrauchoder einer Vergewaltigung in Frage und muss voneinem Arzt vorgenommen werden.

Arbeitgeber dürfen von ihren Angestellten oderBewerbern grundsätzlich keine genetischen Testsverlangen oder bestehende Ergebnisse verwen-den. Wenige Ausnahmen gibt es beim Arbeits-schutz. Auch Versicherungen dürfen nicht auf ge-netische Daten zurückgreifen. Ausnahme: Um Be-trugsversuche aufzudecken, können bei hohenVersicherungssummen die Ergebnisse bereits vor-genommener Untersuchungen verlangt werden.

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Das „neue“ Menschenbildder Bio- und Lebenswissen-schaftenLösen die immer dominanter werdenden Bio-technologien eine anthropologische Wendeaus? – Eine kurze philosophische Bestands-aufnahme

Die Frage, ob wir durch die Biotechnologie und diemit dieser einhergehende Biopolitik vor einem epo-chalen Umbruch bzw. vor einer anthropologischenWende in der Geschichte der Menschheit stehen, wirdvielerorts gestellt. Gefühlsmäßig1 scheint es auf derHand zu liegen und auch durch wissenschaftlichehard facts wird diese Sichtweise untermauert. DieseGemengelage aus privaten und gesellschaftlichen Le-bensveränderungsprozessen (das sind einerseits Pri-vatentscheidungen wie z.B. Ernährung, Hygiene oderFortpflanzung und andererseits kollektive Meinungs-bilder wie z.B. Unterhaltungsmedien, Geschäftsgeba-ren, der Bereich der Wissenschaften oder die Politik)bewirkt eine sowohl angstvolle als auch hoffnungs-frohe Verunsicherung. Der rasche, kaum überschau-

bare Fortschritt der Wissenschaft, der diese Ängsteund Hoffnungen schürt und der die kontroverse De-batte über die aktuelle Umbruchsituation hervorruft,soll ernst genommen werden. Der Biologe HubertMarkl resümiert zu dieser heutigen Situation nüch-tern: „Viele Befürchtungen werden sich als übertrie-ben herausstellen, viele Hoffnungen genauso.“2 Eini-ges spricht jedoch dafür, dass der umfassende An-spruch und Charakter des (bio)technischen Lebens inall seinen Ausprägungen – vom Intimbereich bis indie Politik hinein – die Spezies Homo Sapiens in einengrundlegenden Wandel hineinführt.

Ulrich H. J. Körnter verdeutlicht in seinem Beitrag zuRudolf Langthalers “Was ist der Mensch?”, dass sichneben den technischen Disziplinen die Literaturwis-senschaften, aber auch die Philosophie des 20. und21. Jahrhunderts intensiv mit dem Wesen modernerTechnik und ihren Auswirkungen auf das gesell-schaftliche Selbstbild des Menschen auseinandergesetzt haben. Er weist darauf hin, dass die Gen-technik

„einen neuen Entwicklungsschritt markiert … ‚LifeSciences‘ ist der Name für den biowissenschaftlich-technischen Komplex des 21. Jahrhunderts, der sichvon der Landwirtschaft bis zur molekularen Medizin

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tungsaufwand kommen könnte. Von daher befürwor-ten auch diese Ratsmitglieder eine stärkere Regulie-rung beim Aufbau großer Biobanken; sie halten aberdie bereits geltenden Bestimmungen zum Daten- undSpenderschutz bei Entnahme von Proben für be-grenzte Sammlungen für hinreichend.

Internationale Schutzstandards sindanzustrebenSeitens der Forschung wurde der Vorstoß des Bio -ethik rats begrüßt: „Das vorgeschlagene Biobankge-heimnis hilft, Ängste vor dem unberechtigten Zugriffauf sensible Daten abzubauen, zum Beispiel von HIV-Infizierten, die der Forschung ihre Proben zur Verfü-gung stellen“, sagte der Sprecher der Technologie-und Methodenplattform für die vernetzte medizini-sche Forschung, Johannes Drepper.

Der Ethikrat empfiehlt zudem, international verbind-liche Schutzstandards anzustreben. Zur Sicherung desBiobankgeheimnisses beim Austausch von Probenund Daten mit Kooperationspartnern im Ausland rät

der Ethikrat deutschen Forschern, sich vertraglich zu-sichern zu lassen, dass diese das Biobankgeheimniswahren. Zudem soll es ihnen untersagt werden, Infor-mationen weiterzugeben, die zur Re-Identifzierungder Spender genutzt werden könnten.

Quellen: Ulrike Florian: Ethikrat fordert klare gesetzli-che Regelungen für die Forschung mit Biodatenban-ken. Pressemitteilung des Deutschen Ethikrats,15.06.2010; Ethikrat: biobank-Geheimnis soll biologi-sche Daten schützen, www.biothenologie.de,22.06.2010; Gendiagnostik: Gesetz regelt Umgangmit genetischen Daten, www.biotechnologie.de,02.02.2010.

Anmerkungen1 Die Stellungnahme des Ethikrates ist unter

http://www.ethikrat.org abrufbar.2 Biobanking and Biomolecular Resources Research In-

frastructure. Näheres unter: www.bbmri.de bzw.www.bbmri.eu

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erstreckt. Die Biotechnologie führt zu neuen, tiefgrei-fenden Veränderungen unseres Welt- und Men-schenbildes. Aus Homo faber wird der Homo fabrica-tus. Nur ein Beispiel dafür sind in den USA im Rea-genzglas gezeugte Kinder, die, genetisch betrachtet,drei Eltern haben, weil der Eizelle der leiblichen Mut-ter zur Steigerung ihrer Fruchtbarkeit Teile einer wei-teren Eizelle beigegeben wurden.“3

Es liegt auf der Hand, dass die zukünftige Entwick-lung der Bio- und Lebenswissenschaften tiefgreifendegesellschaftliche Veränderungen im Menschenbildverursacht. Fragen werden aufgeworfen wie: Gibt eseine gehirnunabhängige Existenz des Bewusstseinsbzw. gibt es eine Beziehung zwischen Gehirn und Be-wusstsein und wenn ja, wie ist diese zu denken? Gibtes eine überzeitliche mentale Essenz bzw. einen un-veränderlichen Kern der Persönlichkeit? Diese undähnliche grundsätzliche philosophische Fragen wur-den schon seit Menschengedenken gestellt, doch jenachdem, welche aktuellen Antworten hierauf gege-ben werden, wird auch das Menschenbild einer Revi-sion unterzogen.

Das Menschenbild der Bio- und Lebenswissenschaf-ten mit all seiner komplexen Detailverliebtheit ist inseinem Kern naturalistisch-mechanistisch. Man kannin diesem Sinne von einer naturalistischen Wende4

des Menschenbildes z.B. durch die Naturalisierungdes Subjektbegriffes5 ausgehen. Dabei wird versucht,genetische und neurobiologische Determinanten desmenschlichen Verhaltens überzeugend ins Feld zuführen (wie z.B. bei der medienwirksamen Willens-freiheitsdebatte).

Deshalb wird diese Entwicklung, von der Ulrich Kört-ner schreibt, dass sie von homo faber zum homo fa-bricatus führte, auch kulturelle und gesellschaftlicheAuswirkungen zeitigen und das Leben generell und inimmer stärkerem Ausmaß beeinflussen. Wesentlichscheint in diesem Zusammenhang neben der Frage,ob die moderne Wissenschaft alles, was technischmöglich ist, auch durchführen soll, der Diskurs überdie Auswirkungen eines homo fabricatus bezüglichseines Selbstverständnisses. Wird der Mensch in die-ser Weltgestaltung als Produkt anderer Artgenossenbegriffen?

Löst der homo fabricatus den homo faber ab?Mit der Bezeichnung homo faber wird seit der Mittedes 19. Jahrhunderts (Henri Bergson u.a.) unter Beto-nung der handwerklich weltgestaltenden Seite desMenschen in Gegenüberstellung zur reflexiv selbstbe-zogenen die biologische Bestimmung des Wortes “sa-

piens” philosophisch unter die Lupe genommen, umsie und ihre Gegenakzentuierung besser artikulierenzu können. Josef Rauscher meint:

„Da das Merkmal ,sapiens‘ in traditionell dualistischerSicht vor allem vom Intellekt und einer wie auchimmer zu bestimmenden Geistseele her verstandenwird, kann man durch die Ersetzung von ,sapiens‘durch ,faber‘ anzeigen, daß andere Charakteristika desMenschen als das Erkennen und der Geist als funda-mentalere Bestimmungen aufgenommen und gedachtwerden können.“6

Rauscher schreibt von einer „Verwindung und Ver-knüpfung der klassischen Bestimmung des Men-schen“7 aus der vormals gängigen Sicht der Geistseelemit dem Bild des homo faber. Demgemäß wird derMensch zum Fabrikanten generell und auch zum Fa-brikanten seiner selbst dadurch, dass er sich selbstzum eigenen technischen Fabrikat macht – derMensch als homo fabricatus.

Mit den derzeitigen technischen Möglichkeiten wirddie Durchführung und Vereinigung beider Versionenwahrscheinlicher. Auf der biologischen Seite scheinendie physischen Mängel heilbar und der Geist in einematerielle Welt überführbar. Beim Humangenompro-jekt,8 auf das als eines der wichtigsten Beispiele un-serer Zeit immer wieder Bezug genommen wird, ver-wirklicht sich die Idee einer Verknüpfung des anthro-pologischen Merkmals der Gestaltungsfreiheit desMenschen mit der Möglichkeit des kreatürlichenSelbstentwurfes.

Der Kommerzialisierung der äußeren Natur durch einetechnische Verfügbarmachung von Umwelt in der er-sten industriellen Revolution folgt die Kommerziali-sierung des Lebens in allen seinen Ausprägungensowie die Verfügbarmachung unseres eigenen Lebens.

Elisabeth List schreibt in diesem Zusammenhang:

„Die Formel ,Conoscere é facere‘ – Erkennen ist ma-chen – konnte so zum Leitmotiv der neuzeitlichenWissenschaft werden, und der sogenannte ,RadikaleKonstruktivismus‘ sieht dieses Prinzip im Prozeß desLebens selbst am Werk. Vielleicht zu recht. Aufgrundder angedeuteten Entwicklungen ist es heute in denBiowissenschaften nicht mehr möglich, Wissenschaftals Wahrheitssuche von den Unternehmungen tech-nisch-ökonomischer Naturaneignung zu unterschei-den. Deshalb gilt als ,wissenschaftliche‘, und damitauch wohl als die einzige ,wahre‘ oder ,vernünftige‘Sicht der Natur heute a priori eine solche, die sich alstechnisches Dispositiv bewährt.“9

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Die Parallelen zur Eugenik der Vergangenheit undderen unmenschlichen Gräueln werden bei Menschenwachgerufen, die diese noch am eigenen Leib miter-lebt haben, wenn freimütig die Visionen vom gene-tisch verbesserten und transformierten Menschenheraufbeschworen werden. Es versteht sich vonselbst, dass sich die modernen Genetiker und Biowis-senschaftler bemühen, von diesem grausamen Erbeloszukommen.10

Es wäre ein Irrtum zu glauben, die Horrorvision derEugenik würde mit der Kapitulation der Nationalso-zialisten 1945 beendet sein. Nach einer kurzen Phaseder Paralyse wurde das „beredte Schweigen der Eu-geniker“11 schließlich mit dem Ciba-Symposium Manand his Future, bei dem 1962 in London 27 promi-nente Wissenschaftler über die biologische Zukunftdes Menschen diskutierten, beendet. Laut Fuchs führtman dieses Datum als Beginn einer Renaissance derEugenik an. Richard Fuchs schreibt:

„Hier [das heißt ab dem Ciba-Symposium A.d.V.]schlägt die Zielsetzung der Schadensvermeidung um –in Tendenzen, ‚bessere Menschen zu schaffen‘. Wennsich die Humangenetiker heute von eugenischen undrassenhygienischen Programmen früherer Zeit distan-zieren, dürfte das nach Ansicht von Prof. Dr. ElisabethBeck-Gernsheim ‚nicht nur ein innerer Sinneswandelsein, sondern auch Teil einer Professions- und Akzep-tanzstrategie, wenn in neueren Veröffentlichungender Humangenetik von jenen früher angeführten Zie-len bewusst Abstand genommen wird.‘“12

Die Zielsetzung liegt seit der Thematisierung derPränataldiagnostik u.a. auf medizinischen Präventi-vmaßnahmen, die auf einzelne Familie ausgerichtetsind und die ein mögliches zukünftiges krankheits-bedingtes Leiden (meist indiziert durch ein durchProzentangaben untermauertes Wahrscheinlich-keitsbild) zu verhindern suchen. Das zu Beginn frei-willige Verfahren eines Screenings kann derzeit z.B.im deutschsprachigen Raum nur mehr durch einenausdrücklichen Widerspruch vor Beginn der Unter-suchung vermieden werden. Wie die Meinungen dereinzelnen Länder hierbei auseinander klaffen, ver-deutlicht Fuchs, wenn er festhält:

„Sieben Prozent der deutschen Genetiker finden, dass‚es nicht fair dem Kind gegenüber sei, es wissentlichmit einer Behinderung zu bekommen‘. Die Zahlen an-derer Länder liegen höher, für Indien nahe bei 100 Pro-zent, ähnlich auch in China und in Russland. Mit derAusweitung technischer Möglichkeiten wachsen Ten-denzen zum ‚Menschenmachen‘ bis hin zum Klonen.“13

Wie lange sich diese Prozentzahlen in Deutschlandhalten können, soll dahingestellt sein. Klar ist, dassder Druck für junge werdende Eltern steigt, besondersdurch die Werbemaßnahmen der modernen Genme-dizin, die mit individueller Hilfestellung und Leidens-vermeidung wirbt. Der grundsätzlich legitime Wunschnach einem vitalen und gesunden Baby weicht einemselbstverständlichen Anspruch auf bio-technischeOptimierungsverfahren, die ein scheinbares Rechtnach einem perfekten Kind beinhalten, und führt zueinem gesellschaftlich konkurrierenden Optimie-rungszwang der Jungfamilien, dem sich diese nichtohne weiteres entziehen können.

Individual-psychische Effekte der Bio- undLebenswissenschaftenDie Life Sciences sind zu einem Sammelbecken fürForschungen u.a. am Menschen geworden, in denenes, wie oben am Beispiel der aktuellen Eugenik auf-gezeigt, um eine Optimierung des menschlichen Le-bens in all seinen Lebensphasen geht, egal, ob es sichum den Anfang (die Geburt etc.), die Erwachsenen-jahre (Erhaltung der Jugendlichkeit) oder das Ende(Sterbebegleitung und -hilfe, Geriatrie etc.) handelt.Damit einhergehend wird ein Höchstmaß an Kon-trolle, das heißt eine, wenn möglich, Ausschließungder Gefahrenpotenziale gefordert, die der unbere-chenbaren Naturseite des Menschen entspringen.Elisabeth List spricht von einer zunehmenden „McDo-naldisierung“14 des Körpers und kritisiert die zuneh-mende Verflechtung von Forschung und kommerziel-len und industriellen Interessensverbänden, die dieVermarktung gentechnischer Produkte zusätzlich an-heizen und die es erst ermöglichen, dass der Eindruckerzeugt wird, dass gewünschte körperliche Ausstat-tungen und Eigenschaften technisch realisierbar undkäuflich erwerbbar sind.

So wird z.B. versucht, anhand moderner Eugenik dennatürlichen Zufall genetischer Herkunft mit gezielterAuswahl des Genmaterials beherrschbar zu machen,das heißt das Risiko einer Pathologie durch diese Vor-auswahl mit einhergehender systematischer Diagno-setechnik zu minimieren. Auch der natürliche Verlaufder Alterung sollte wenn möglich angehalten und derbeängstigende, unkalkulierbare Tod bezwungen wer-den. Werden diese Vorgaben bewältigt, dann wird diesogenannte zweite Natur des Menschen zur erstengeworden sein, das heißt überall, wo Natur war, wirdschlussendlich Kultur sein.

Schon im 18. Jahrhundert wurde diese Idee von JulienOffray de la Mettrie15 unter dem Stichwort l’hommemachine16 geäußert. Praktische Brisanz gewann sie

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aber erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts, da die an-gestrebte technische Konstruierbarkeit des Lebens eineganz neue Dimension durch die schon beschriebenenbiologisch-technischen Weiterentwicklungen erhielt.

Durch die gegenwärtigen und zukünftigen Möglich-keiten, organisches Leben (vom Samen bzw. von derEizelle an) neu zu gestalten und vielleicht auch neuzu generieren, betritt der Mensch eine Dimension, dieihn in ein neues Gegenüber-dem-Leben bringt, eineRolle, die er bis dato noch nicht bekleidet hat. Auf derwissenschaftlichen Seite kann er wie ein Bio-Ingeni-eur beforschen, was aus Lebensprozessen werden soll.Hier stellt sich die Frage nach einer angewandtenEthik bzw. dem, was wir Menschen tun dürfen undwas unter diesen neuen Rahmenbedingungen nichtratsam erscheint.

Auf der privaten und individuellen Seite stellt sich inimmer größeren Lebensbereichen die Frage, wie undin welchem Ausmaß wir uns durch die neuen Aus-sichten und auch Chancen der Bio- und Lebenswis-senschaften leiten lassen. Nicht nur, dass wir beikomplizierten Lebensbelangen eine auf die einzelneSituation angemessene Entscheidung fällen sollten,es kommen zusätzlich auch die veränderten gesell-schaftlichen Konventionen hinzu, die mit dem imgleichen Maße sich wandelnden Selbstverständnisdes Menschen einhergehen.

Unter den Möglichkeiten der Genforschung z.B.drängt sich die Frage auf, inwieweit sich das mensch-liche Selbstbild durch die Decodierung des menschli-chen Genoms verändert. Vorderhand wird das Selbst-bild in nur geringem Maße variieren, da die Tatsacheder Dechiffrierung des Erbgutes den einzelnen Men-schen nur am Rande berührt. Wenn man davon aus-geht, dass die Gentechnologie und ihre Genmanipula-tion nicht bei Nutzpflanzen stehen bleibt (so werdenu.a. Maispflanzen genetisch so behandelt, dass sie einwirksames Insektengift produzieren und dadurch re-sistenter und ertragreicher werden), könnten wir unsin nicht allzu ferner Zukunft vor die Frage gestelltsehen, ob wir uns einer etwaigen Gentherapie unter-ziehen sollten, die uns ermöglicht, störende Umwelt-belastungen zu beseitigen. Weniger futuristisch sinddie bereits erwähnten heute schon durchführbarendirekten Eingriffsmöglichkeiten (Pränataldiagnostik,Ultraschall-, Fruchtwasseruntersuchung), die etwadas Geschlecht oder bestimmte Normabweichungendes künftigen Kindes feststellen, was sich wiederumauf die Art und Weise auswirkt, wie wir menschlichesLeben verstehen, und natürlich auch auf unserSelbstbild. In gewissem Ausmaß gehören, wie zuvor

erwähnt, solche Untersuchungen schon so zur medi-zinischen Routine, dass es gar nicht möglich ist, sichdazu nicht zu verhalten. Augenfällig ist in diesem Zu-sammenhang die Tatsache, dass sich das biologisch-naturwissenschaftliche Lebensverständnis auf derGrundlage des Sichtbar-Machens und Produzierensvon Leben zu der Vorstellung, das Leben sei ein un-sichtbar-abstraktes zyklisches, konkurrierend verhält.

Um diese Konkurrenzsituation zu entschärfen, solltenwir uns klar vor Augen halten, dass wir durch den ra-santen Wandel der Lebensvollzüge und durch unserenimmensen Einfluss auf die Umwelt mehr denn je ge-fordert sind, unsere ethisch-moralische Verantwor-tung ans Licht zu bringen. Diese Haltung verändertdas Selbstbild des Menschen, da dieses durch den all-täglich-praktischen Bezug sich und seine Handlungenimmer wieder hinterfragen muss.

Optimistisch formuliert könnte man die Bio- und Le-benswissenschaften nicht nur als Chance verstehen,grundlegende Probleme der Menschheit auf naturwis-senschaftlicher Grundlage zu lösen (was m.E. unmög-lich zu bewerkstelligen ist), vielmehr liegt die Gewinn-aussicht in der ethisch-moralischen Zwangslage, inder wir Menschen uns gesellschaftlich und persönlichdurch die Bio- und Lebenswissenschaften befinden. Esist uns offensichtlich nicht möglich, über die gravie-renden Veränderungen hinwegzuschauen, da die Fol-gen einer unachtsamen Anwendung neuer Technolo-gien binnen kürzester Zeit zu bezahlen sein werden.

Dazu möchte ich erneut kritisch einwenden, dass die-ser ethisch-moralische Druck auch eine Zumutungwerden kann, wenn dieser auf Menschen lastet, dieihre genetischen Dispositionen kennen müssten, umetwaige Krankheiten bzw. Krankheitsrisken für sich,für die (zukünftige) Familie oder für die Gesellschaftzu minimieren. Der Druck käme dann nicht mehr vomStaat, der dekretierend Regeln einfordert, sondernvon konkreten Einzelpersonen, die andere zu norma-tiven Handlungen aufrufen, in unserem Fall zu Gen-tests etc. Dieser Druck des Ja-nichts-falsch-Machens,der schon jetzt bewusst und/oder unbewusst auf denEltern und werdenden Müttern lastet, würde in vielenFällen dazu führen, die schwierigen Einzelentschei-dungen zugunsten einer Mehrheitsentscheidung aus-fallen zu lassen.

Gerald Kiesenhofer

Der Autor studierte Philosophie und Kunstwissenschaft ander KTU Linz und ist derzeit als Qi Gong- und Tai Qi-Trainersowie als Sozial- und Erlebnispädagoge tätig.

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Anmerkungen1 Eine gefühlsmäßige Ahnung, die sich meist ein-

schleicht, wenn neue Phänomene erstmals erkannt undbenannt werden.

2 Markl 2002, S. 42.3 Körtner, Ulrich H. J.: Menschenwürde und Menschen-

leid im Zeitalter der Biomedizin, in: Langthaler 2004, S.119.

4 Vgl. Metzinger 2009, 2S. 89ff.5 Vgl. Honnefelder/Schmidt 2007, S. 170ff.6 http://www.josef-rauscher.de/homo_faber_

fabricatus.pdf Stand: 05.02.2010.7 Ebenda.8 In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren gelang

es, ein Verfahren zur Sequenzierung der DNA zu ent-wickeln. Dadurch war es auch möglich, physikalischeKarten der Chromosomen anzulegen. Mitte der 1980erJahre wurde eine automatische DNA-Sequenzierma-schine gebaut. In sogenannten Kits wurden diese Ma-schinen bald standardisiert auf den Markt gebracht.Damit war es möglich, die vielbesprochene Sequenzie-rung des Humangenoms zu verwirklichen. Diese wurdenach gut einer Dekade um die Jahrtausendwende na-hezu abgeschlossen.

9 List 2001, S. 139.10 Referat Prof. Dr. Roelcke, Volker: Geschichte(n) als Ar-

gument in der Biomedizin. Zweite Internationale Hart-heim Konferenz: Ambivalenzen der Biowissenschaften,13.-14.11.2009.

11 Fuchs 2008, S. 19.12 Ebenda, S. 20, zit. nach: Beck-Gernsheim 1992.13 Ebenda, S. 21.14 List 2001, S. 139. Die Begrifflichkeit “Die McDonaldi-

sierung der Gesellschaft” wurde von George Ritzer inseinem gleichnamigen Werk 1993 eingeführt. Es greiftdie Thesen Max Webers über den Rationalisierungspro-zess auf. Mit dem Konzept der Zweckrationalisierung inVerbindung mit einer instrumentalen Rationalität wirdversucht eine sich ausbreitende gesellschaftliche Be-deutung einer Entwicklung zu skizzieren und zu bewer-ten, die zur Veränderung von Arbeitsverhältnissen undgesellschaftlichen Veränderungen führt.Matthias Junge fasst dieses Konzept wie folgt zusam-men: „Die Merkmale, die an der Fast-Food-Kette Mc-Donalds herausgearbeitet werden und die in einer un-gefähren Passung zu den Überlegungen von MaxWeber zur Zweckrationalität stehen, sind: dass McDo-nalds an Effizienz orientiert ist, dass alles, was dort ge-schieht, sich gut quantifizieren und berechnen lässt,dem Kriterium der Vorhersagbarkeit genügt und, wasden Umgang mit der menschlichen Arbeitskraft betrifft,schließlich in eine umfassende Kontrolle über die Men-schen führt, weil zum Teil der Versuch unternommenwird, menschliche Arbeit durch technische Vorgänge zusubsumieren (vgl. Ritzer 1998a: 27ff.).“ Vgl.http://www.zeit.de/1999/24/ 199924.t_mensch_.xml?page=1 Stand 4.2.2010.

14 De la Mettrie entwickelte einen streng erfahrungsori-entierten Materialismus, der jegliche metaphysischeVorannahmen oder Schlussfolgerungen verneint. Erschreibt in seinem 1746 erschienenen und über zwei-einhalb Jahrhunderte heftig diskutierten Werk: „Ziehenwir also die kühne Schlussfolgerung, dass der Menscheine Maschine ist, und dass es im ganzen Universumnur eine einzige Substanz – in unterschiedlicher Ge-stalt – gibt.” De la Mettrie, Julien Offray: L’ hommemachine, 1990, S. 97; vgl. auch S. 103; S. 137.Eine Erweiterung und Aktualisierung findet dieser Ge-danke bei Günther Anders und seiner These der Gerät-Eschatologie in seinem Werk: Die Antiquiertheit desMenschen 2 (1992).

LiteraturAnders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen 2. Über

die Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten in-dustriellen Revolution, 7. Auflage, München: Beck1992.

Beck-Gernsheim, Elisabeth: Normative Ziele, vielschichtigeMotive und konkurrierende Klienteninteressen; in: Ethikund Sozialwissenschaften, Westdeutscher Verlag, Opla-den/Wiesbaden 1992, Heft 3.

De la Mettrie, Julien Offray: L’ homme machine. Die Ma-schine Mensch, Hrsg. C. Becker, Hamburg: Meiner1990.

Fuchs, Richard: „Life Science“. Eine Chronologie von denAnfängen der Eugenik bis zur Humangenetik der Ge-genwart, Berlin: LIT Verlag 2008.

Honnefelder, Ludger/Schmidt, Matthias C.: Naturalismusals Paradigma. Wie weit reicht die naturwissenschaftli-che Erklärung des Menschen?, Berlin: University Press2007.

Körtner, Ulrich H. J.: Menschenwürde und Menschenleidim Zeitalter der Biomedizin, in: Langthaler 2004

Langthaler, Rudolf (Hrsg.): Was ist der Mensch?. Ein inter-disziplinäres Gespräch zwischen Lebenswissenschaften,Philosophie und Theologie, Ein Wiener Symposium,Frankfurt am Main, Wien u.a.: Europäischer Verlag derWissenschaften 2004.

List, Elisabeth: Grenzen der Verfügbarkeit. Wien: PassagenVerlag 2001.

Markl, Hubert: Schöner neuer Mensch?. München, Zürich:Piper 2002.

Metzinger, Thomas: Der EGO-Tunnel. Eine neue Philoso-phie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusst-seinsethik, Berlin: Berlin-Verlag 2009.

Ritzer, George: Die McDonaldisierung der Gesellschaft,Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag 1998

Internetquellen.http://www.josef-rauscher.de/homo_faber_fabricatus.pdf

Stand: 05.02.2010.http://www.zeit.de/1999/24/199924.t_mensch_.xml?page=

1 Stand 4.2.2010.

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AK TU E L L E S

Glücksspielgesetz-Novellepassiert NationalratNach jahrelangen Querelen ist Mitte Juni dasneue Glücksspielgesetz im Nationalrat be-schlossen worden. Die Novelle bringt einedeutliche Ausweitung des “kleinen Glücks-spiels”, d.h. des Spiels an Automaten – fürExpertInnen eine überaus problematischeEntwicklung.

Nach fast zwei Jahren ist der Poker um das neueGlücksspielgesetz (GSpG) am Abend des 16. Juni imParlament beendet worden. Außer den Grünenstimmten alle Parlamentsparteien für die Novelle. Diewichtigsten Eckpunkte der neuen Regelung: Künftigsoll es mehr Casino-Lizenzen geben. Die Neuregelungdes Automatenspiels bringt eine Vervielfachung derHöchsteinsätze und -gewinnsummen. Im Gegenzugsollen die Anbindung der Geräte an das Bundesre-chenzentrum (BRZ) und Zutrittskontrollen den Spie-lerschutz verschärfen.

Künftighin darf es in Österreich 12 statt 15 Spielban-ken geben. Die Konzessionen, die sich momentan allein den Händen der Casinos Austria befinden und 2012bzw. 2015 auslaufen, müssen EU-weit ausgeschrie-ben werden, was die Casinos Austria um ihre Mono-pol-Stellung bringt. Dafür müssen sie nur mehr 30statt 48 Prozent Steuern zahlen.

Zu wesentlichen Änderungen kommt es beim Auto-matenspiel. Bisher ist das “kleine Glücksspiel” nur inWien, Niederösterreich, der Steiermark und in Kärn-ten erlaubt, diesen Ländern brachten die „einarmigenBanditen“ stattliche Steuereinnahmen. Nun wird dasAutomatenspiel zwar im GSpG geregelt, es obliegtaber weiterhin den Ländern, ob sie dies zulassen.Oberösterreich z.B. wird das Automatenspiel künftigerlauben.

Zulässiger Höchsteinsatz verzwanzigfachtLegal darf in Zukunft entweder in Automatensalons(zehn bis 50 Geräte) oder an Geräten in Einzelauf-stellung (maximal drei Automaten) gespielt werden.In den Hallen darf künftig viel mehr verzockt werden:Der zulässige Höchsteinsatz beträgt 10 Euro statt bis-her 50 Cent, der mögliche Gewinn 10.000 statt 20Euro. Einzeln aufgestellte Geräte dürfen mit 1 Europro Spiel gefüttert werden und maximal 1.000 Euroausschütten.

Um den Spielerschutz zu verbessern, werden die Auto-matiktaste sowie Parallelspiele verboten. In den Auto-matensalons herrscht künftig Ausweispflicht. Ein Spielmuss mindestens eine bzw. zwei Sekunden dauern.Geräte in Salons schalten sich nach zwei Stunden au-tomatisch ab (Abkühlphase), an einzeln aufgestelltenAutomaten darf pro Spieler innerhalb von 24 Stundennicht länger als drei Stunden gezockt werden.

Die Zahl der Automaten wird auf ein Gerät pro 1.200Einwohner beschränkt, in Wien beträgt das Verhältnis1 : 600. Außerdem müssen künftig 15 Kilometer Min-destabstand zwischen Spielbanken und Automatensa-lons mit mehr als 15 Automaten eingehalten werden,in Wien sind es zwei Kilometer Luftlinie. Mindestab-stände zu Schulen müssen die Länder selbst regeln.

Automatenbetreiber müssen ein Promille ihrer Ein-nahmen zur Finanzierung einer Spieler-Suchtbera-tungsstelle abführen, die das Finanzministerium ein-zurichten hat. Eine neu geschaffene “Soko Glücks-spiel” soll kontrollieren, ob die neuen Regelungeneingehalten werden. Die Zahl der von den CasinosAustria betriebenen Video-Lotterie-Terminals (VLT)wird ebenfalls begrenzt - auf wieviel, steht nochnicht fest. Die Konzessionen für diese zentralvernetz-ten Automaten erteilt der Bund.

Dank Änderungen des Finanzausgleichsgesetzes 2008erhalten die bisherigen “Erlaubnisländer” eine Finanz -zuweisung des Bundes, wenn ihre Einnahmen ausdem Automatenspiel bestimmte Beträge nicht errei-chen. Wien werden 55 Mio. Euro garantiert, Niederö-sterreich 20,1 Mio. Euro, der Steiermark 18,1 Mio.Euro und Kärnten 8,4 Mio. Euro. Diese Beträge redu-zieren sich aliquot, wenn die Länder nicht die Höchst-zahl an Automaten aufstellen oder keinen ganzjähri-gen Betrieb erlauben.

An den VLT können nur Länder, die die sogenannteLandesausspielung erlauben, steuerlich mitnaschen.Wird die Höchstzahl an Automaten bewilligt, gehen10 Prozent an den Bund und 15 Prozent an das Land.Ansonsten kassiert der Bund 25 Prozent Abgabe.

Neu ist außerdem, dass Poker künftig nicht nur inSpielbanken, sondern auch in Poker-Casinos gespieltwerden darf. Die entsprechende Konzession erteilt derFinanzminister.

Die Sportförderung soll in den kommenden zweiJahren mindestens 80 Mio. Euro betragen - unddamit etwas mehr als jene Summe, die heuer ausge-schüttet werden wird. Derzeit hängt sie am Umsatzder Lotterien.

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Expertin hegt Zweifel an UmsetzungWährend Vertreter der Wirtschaftskammer und derVolkspartei die Novelle begrüßen und dabei vor allemauf den Spielerschutz verweisen, stehen Spielsucht-ExpertInnen dem neuen Gesetz skeptisch gegenüber.So hält etwa die Leiterin des Vereins Spielsuchthilfe inWien, Izabela Horodecki, zwar einiges am neuen Ge-setz für begrüßenswert. Es erhebe sich allerdings dieFrage, „wie die Umsetzung funktionieren wird, zumBeispiel bei der Ausweiskontrolle“. Eine Steigerung derEinsätze, wie sie die Novelle nunmehr ermöglicht, „istimmer mit einem gewissen Risiko für den Teilnehmerverbunden“, so Horodecki. „Sicherlich positiv“ sei hin-gegen die geplante „Abkühlungsphase“ nach zweistün-digem Spiel am selben Gerät. „Hier geht es offenbarum die Förderung der Selbstkontrolle des Spielers. Al-lerdings besteht die Gefahr, dass lediglich ein Wechseldes Automaten erfolgt“, warnt die Psychotherapeutin.

Die Novelle sieht vor, dass Mitarbeiter von Automaten-casinos „auffällige“ Spieler über die Gefahren desGlücksspiels aufklären. „Hier stellt sich die Frage, wiedie Mitarbeiter geschult sind und wie das innerbetrieb-lich organisiert wird“, meint die Expertin. „Wer spieltzu viel? Liegt die Entscheidung beim jeweiligen Mitar-beiter? Es geht nicht nur um die Häufigkeit der Besu-che, es hängt auch mit der Spielart, der Dauer und derHöhe der Einsätze zusammen.“ Die Belehrung könneetwas Positives sein, wenn sie richtig gemacht werdeund zum Beispiel einen ersten Hinweis auf Beratungs-und Therapiemöglichkeiten für Spielsüchtige beinhalte.

Prinzipiell sehr positiv sei die vorgeschriebene Aus-weiskontrolle: Dass Jugendliche nicht am Glücksspielteilnehmen dürften, war schon im alten Gesetz vor-gesehen. „Allerdings geben über 40 Prozent unsererPatienten an, sie hätten bereits unter 18 gespielt,“berichtet Horodecki. Sie hofft, „dass der Jugendschutzjetzt verbessert wird“. Neben dem Schutz der Jugendsteht für sie ein weiterer Punkt im Fokus: die Frage derFinanzierung von Hilfseinrichtungen bei Spielsuchtsowie der Forschungsarbeit in diesem Bereich. „DieSportförderung ist so ein großer Punkt, warum nichtauch die Unterstützung von Beratung und Therapie?Die Spielsüchtigen sind schließlich die einzige Patien-tengruppe, die im Vorhinein in die Staatskasse ein-zahlt“, so die Expertin.

Mediziner rechnet mit Heer an SpielsüchtigenÜberaus kritisch zum neuen Gesetz äußerte sich derärztliche Leiter der neuen Spielsuchtambulanz derDiakonie in Villach, Herwig Scholz. In jedem Bundes-land, welches das Automatenspiel erlaubt, “ist in ei-nigen Jahren mit einem Heer von Spielsüchtigen zu

rechnen”, warnt er. Kärnten etwa sei vor der Ein-führung des kleinen Glücksspiels im Jahr 1997 “be-züglich Spielsucht ein friedliches Land” gewesen,sagte der Primarius des Diakonie-Sonderkrankenhau-ses de La Tour im Gespräch mit der APA. Seitdem gebees Tausende Spielsüchtige. Schätzungen zufolge seienein bis 1,5 Prozent der Österreicher spielsüchtig - in“Erlaubnisländern” (s.o.) viel mehr, in Verbotsländernviel weniger, so Scholz. Genaue Zahlen lägen aller-dings nicht vor.

Scholz findet es “überaus problematisch”, dass dasAutomatenspiel in Gast- und Kaffeehäusern legalbleibt - “weil die Kontrollen erfahrungsgemäß nichtausreichen und nicht erfolgen”. Mehr als 70 Prozentder in seinem Haus behandelten Spielsüchtigen hät-ten in Gaststätten mit dem Zocken begonnen. Undmehr als 40 Prozent hätten zusätzlich ein Alkohol-problem, oft gebe es in den Lokalen Gratisgetränke.Von 300 stationär aufgenommenen Patienten, dieScholz untersucht hat, hätten außerdem 15 ProzentSelbstmordversuche hinter sich.

Das Argument, dass in Bundesländern, in denen dasAutomatenspiel nicht erlaubt ist, trotzdem gezocktwird, lässt Scholz nicht gelten. Die illegalen Gerätebefänden sich oftmals im Rotlichtmilieu. “Dort trauensich die Spielsuchtgefährdeten nicht rein”, diese hät-ten oft “erhebliche Selbstwertprobleme”. Die “maß-lose Erhöhung des Maximaleinsatzes” ist für Scholzder zweite große Problembereich. Aus seiner Sichtwerden jene Betreiber belohnt, “die durch verschie-dene Fälschungs- und Täuschungsmanöver den Ein-satz sowieso schon in die Höhe getrieben haben”.

Nunmehr könne “jemand, der in einer Art Spielrauschist, innerhalb von ein paar Stunden alles verspielen”,kritisiert der Mediziner. Die von den Befürwortern derNovelle gepriesenen Schutzmechanismen seien “ei-gentlich alle ziemlich wirkungslos”. Speziell die Ab-kühlphase sei “völlig lächerlich” respektive “ein pfiffi-ger Einfall der Industrie”, welche die Politiker fürdumm verkauft habe. Überhaupt sei das neue Glücks-spielgesetz “ein Wunschgesetz der Industrie”. Der ge-setzlich vorgesehenen Spielersuchtberatungsstellesteht Scholz sehr skeptisch gegenüber. Er werde sichsorgfältig ansehen, wer in diese Stelle als Experte be-rufen wird, denn “es wäre nicht das erste Mal, dassdie Industrie Einfluss auf Experten nimmt.” DassGlücksspielkonzerne Beratungs- und Präventionsein-richtungen finanzieren, hält der Mediziner für eine“katastrophale Entwicklung”.

Quellen: Kleine Zeitung, 16.06.2010; www.tt.com,14.04.2010; www.orf.at, 17.06.2010

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Manifest für GerechtigkeitAngesichts der negativen sozialen Auswirkun-gen der Finanz- und Wirtschaftskrise fordernAK, ÖGB und Katholische Kirche in Oberöster-reich in einem gemeinsamen „Manifest fürGerechtigkeit“ von der Politik Maßnahmenfür ein menschengerechtes Wirtschaften undein gutes Leben.

Mit dem „Manifest für Gerechtigkeit“, das AnfangJuni der Öffentlichkeit präsentiert wurde, wollen Diö-zesanbischof Ludwig Schwarz sowie der oberöster-reichische AK-Präsident und ÖGB-LandesvorsitzendeJohann Kalliauer ein gemeinsames starkes Zeichensetzen. Dem Manifest ist ein intensiver Diskussions-prozess unter Einbeziehung von ExpertInnen aller dreiInstitutionen vorausgegangen. Es spiegelt somit diegemeinsamen Vorstellungen und Ziele für eine ge-rechte Gesellschaft wider.

Gemeinwohlverpflichtung des Reichtums Die Katholische Kirche in Oberösterreich meldet sichregelmäßig zu Wort, wenn es um soziale und wirt-schaftliche Vorgänge geht, betonte Bischof LudwigSchwarz. In den vergangenen zwei Jahren der Finanz-und Wirtschaftskrise wurde verstärkt sichtbar, wie derMarkt wirkt, wenn er sich selbst überlassen wird. „Fi-nanzspekulationen, die einigen wenigen immense Ge-winne bescheren und viele andere in tiefste Armutbringen, können und dürfen gesellschaftlich nichthingenommen werden.“

Schwarz verwies auf das Prinzip der Gemeinwohlver-pflichtung des Reichtums in der katholische Sozial-lehre: „Kein Mensch kann für sich allein leben. Es isteine bittere geschichtliche Realität, dass die Verar-mung von Menschen zu Konflikten führt und sie ver-führbar macht, noch Schwächeren für ihr Elend dieSchuld zu geben. Die Verantwortung ist stattdessenbei jenen einzufordern, die in den vergangenen Jah-ren und Jahrzehnten profitiert haben. Es ist ein My-thos, dass Reichtum sich mehrt allein durch eigeneLeistung. Reichtum wird oft angehäuft, wo die Exi-stenzgrundlage von vielen zerstört wird.“

Der Bischof zitierte das biblische Gleichnis vom rei-chen Kornbauern, das von einem reichen Mann han-delt, der noch größere Scheunen baut, um Getreide zuhorten und damit den Preis hochzutreiben. Doch die-ser verliert über Nacht sein Leben und angesichts desTodes zeigt sich die Absurdität seines Trachtens nachReichtum. Hinter dieser Geschichte steckt Schwarz

zufolge die Erfahrung, dass dieses Anhäufen aus Pro-fitgier tötet, zuerst jene, die sich das notwendige Ge-treide nicht leisten können. „Die Profitgier zerstörtaber auch die menschlichen Beziehungen, das Ver-trauen ineinander und fällt schließlich auf jenezurück, die vordergründig profitieren.“

Wenn heute Steuergelder verwendet werden müssen,um Banken zu retten, statt Spitäler zu erhalten, Bil-dung zu gewährleisten, alte Menschen würdig bis anihr Lebensende zu versorgen, dann sei die Schieflageunübersehbar. „Zu Recht müssen wir fragen, wo dieProfite geblieben sind, die Banken für ihre Anleger er-spekuliert haben,“ so Schwarz. Gewinne in den Ta-schen weniger zu häufen und Verluste von der Allge-meinheit tragen zu lassen, sei eine Vorgangsweise,welche die Katholische Kirche nicht hinnehmenkönne.

Gerechtigkeit und Solidarität Gerechtigkeit sei ein Ziel, das immer wieder neu an-gestrebt und aktuell beschrieben werden muss.Immer gehe es dabei jedoch um die Würde einesjeden Menschen und darum, dass die existenziellenDinge für alle zur Verfügung stehen - wie Grundver-sorgung, Bildung, Teilhabe an gesellschaftlichen Vor-gängen usw.

Die Hauptforderungen des ManifestsSteuergerechtigkeit und soziale Sicherheitschaffen - durch gerechte Beiträge von Vermö-gen und Gewinnen zur Gemeinwohlfinanzie-rung, durch Steuerentlastung bei Lohneinkom-men und existenzsichernde Sozialleistungen

Arbeit fair teilen und Arbeitslosigkeit verhin-dern – durch kürzere Vollzeit, weniger Über-stunden und adäquate Teilzeitangebote mitexistenzsichernden Löhnen sowie durch Investi-tionen zur Schaffung dauerhafter und guterArbeitsplätze

Soziale Infrastruktur und soziale Dienstleistun-gen qualitätsvoll ausbauen – durch neue be-zahlte lokale Arbeitsplätze in den BereichenBildung, Kinderbetreuung, Pflege und Kultur

Den vollständigen Text findet man unterwww.arbeiterkammer.com/positionen.htm,www.dioezese-linz.at bzw. www.gewerkschaft-ooe.at.

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Zu der Vision, dem Ziel von „Gerechtigkeit“ gehörtlaut Bischof Schwarz auch die Solidarität - ein Wert,der Gewerkschaft, Arbeiterkammer und Kirche ver-binde. Solidarität bedeute persönliche Verantwor-tung: „einen eigenen Beitrag zu leisten für die Ge-meinschaft, in Form von Sozialversicherungsbeiträ-gen und Steuern, in Form von konkreter Verantwor-tung für die Nächste, den Nächsten, denen wir be-gegnen.“ Solidarität sei aber auch kollektive Verant-wortung, wo es um die Verpflichtung zum Wohle derGemeinschaft geht.

Die Formulierung im Manifest für Gerechtigkeit: „Esist genug für alle da!“ ist laut Schwarz eine Feststel-lung und gleichzeitig auch eine Forderung: „EineFeststellung: Die Geschäfte sind voll, es gibt Häuserund Wohnungen, die unbewohnt sind. Es liegt alsonicht am Vorhandensein all dessen.“ Hinter „genug“verberge sich aber auch der Wert des Genügens:„Diese Welt bietet genug zum Leben für alle, abernicht genug für die Gier von einigen wenigen,“ zi-tierte Schwarz einen Satz von Dominik Höglinger. DieForderung bestehe im Teilen und sei eine Verpflich-tung aller zum Gemeinwohl.

„Arbeitslosigkeit ist die ärgste Vergeudung menschli-cher Fähigkeiten!“ Diese Erfahrung mache man tag-täglich in den Einrichtungen der Betriebsseelsorge, inder Arbeit der Bischöflichen Arbeitslosenstiftung, invielen Pfarren und kirchlichen Initiativen. Arbeitslo-sigkeit beraube Menschen ihrer Perspektiven, derMöglichkeit, ihre Fähigkeiten einzubringen. Men-schen ziehen sich zurück, erleben sich als wertlosund gedemütigt, wenn sie arbeitslos sind. Hinterjeder Ziffer in der Statistik verberge sich ein Menschmit einmaligen Fähigkeiten, die in der Gemeinschaftgebraucht würden. „Arbeitslosigkeit ist daher indivi-duelle und kollektive Vergeudung, die wir uns als Ge-meinschaft nicht leisten können, die wir uns auf-grund der Würde jedes Menschen nicht leisten wol-len“, sagte der Bischof. Er schloss mit einem Zitat ausdem Sozialwort: „Aufgabe der Politik ist es, durchBereitstellung einer allen zugänglichen Infrastruktur,durch eine ausgleichende Steuer- und Sozialpolitik,durch rechtliche Regelung von Arbeit und Wirtschaftdafür zu sorgen, dass alle Menschen einen gerechtenAnteil an den gemeinsam erwirtschafteten Güternund Leistungen erhalten und menschenwürdig lebenkönnen“.

Diözesanbischof Ludwig Schwarz und AK-Präsident Johann Kalliauer (im Vordergrund) mit UnterstützerInnen am Linzer Taubenmarkt. Quelle: AK OÖ

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Krisenlasten gerecht verteilen Die Krisenlasten müssen endlich gerecht verteiltwerden und das gefährdete Ziel der sozialen Gerech-tigkeit als gesellschaftliches Leitprinzip gestärktwerden, forderte AK-Präsident und ÖGB-Landesvor-sitzender Johann Kalliauer. Spekulation und Bankenhätten die größte Finanz- und Wirtschaftskrise seitdem zweiten Weltkrieg ausgelöst. Die Staaten müs-sen Abermilliarden Steuergelder in Rettungsmaß-nahmen, Stabilisierungsprogramme und Konjunktur-pakete pumpen, um den Zusammenbruch des Wirt-schaftssystems zu verhindern.

Schon jetzt zahlen ArbeitnehmerInnen und sozialSchwache, die keine Schuld an der Krise haben, dieHauptlast der Folgen, kritisierte der AK-Präsident:durch Arbeitsplatz- und Einkommensverluste in Folgevon Kurzarbeit oder Lohnkürzungen und weil sozialeLeistungen durch die hohen Budgetdefizite gefährdetsind bzw. zurückgefahren werden.

Die Arbeitslosigkeit habe ein unerträgliches Ausmaßerreicht und drohe weiter zu steigen. Gleichzeitigwurden aber im Jahr 2009 in Österreich 313,8 Millio-nen Überstunden erbracht. Würde man nur die unbe-zahlten Überstunden abbauen, könnten bis zu 60.000neue Jobs entstehen, rechnete Kalliauer vor. Gerech-tigkeit müsse auch bei einer faireren Verteilung derErwerbsarbeit ansetzen.

Dass 247.000 Menschen arm trotz Arbeit sind, seiein Skandal. Das Einkommen (inkl. sonstiger Ein-kommen und/oder Transfers im Haushalt) dieser sogenannten „working poor“ bleibt trotz Erwerbstätig-keit unter der Armutsgefährdungsschwelle (derzeit814 Euro, 14 Mal ausbezahlt, für Ein-Personen-Haushalte). Mehr als die Hälfte der Betroffenen(129.000 Menschen) sind ganzjährig Vollzeit be-schäftigt. Steigende Arbeitslosigkeit, Pensionsde-batten und Einschnitte in der Altersvorsorge machenzusätzlich Angst, so Kalliauer.

Ungleiche Einkommens- undVermögensverteilungEr kritisierte die immer ungleichere Einkommens- undVermögensverteilung: Die Gewinn- und Besitzein-kommen sind in Österreich zwischen 2002 und 2008um 44 Prozent gestiegen, die Steuern darauf aber nurum knapp 20 Prozent. Bei den Löhnen und Gehälternwar die Entwicklung genau umgekehrt.

Vor allem die Vermögen sind extrem ungleich ver-teilt: So besitzt etwa vom Geldvermögen allein dasreichste Tausendstel der ÖsterreicherInnen acht Pro-

zent - genauso viel, wie die ärmere Hälfte der Bevöl-kerung hat. Dennoch gehört Österreich bei den Ver-mögenssteuern mit einem Anteil von nur 1,4 Prozentaller Steuereinnahmen international zu den Schluss-lichtern.

Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund verlangendaher eine Politik, die sowohl Vermögen und Einkom-men als auch Arbeit fair verteilt und allen einen ge-rechten Anteil am erwirtschafteten Wohlstand er-möglicht. Notwendig seien eine produktivitätsorien-tierte, solidarische Lohnpolitik und ein Mindestlohnvon 1.300 Euro. Denn Menschen mit einer Vollbe-schäftigung müssen so viel verdienen, dass sie davonleben können. Auch müsse Arbeit gerecht auf mehrMenschen verteilt werden, etwa durch eine generelleVerkürzung der effektiven Arbeitszeit bei Vollzeitbe-schäftigung und einen Abbau regelmäßiger Mehr-bzw. Überstunden.

Kalliauer forderte weiters eine gerechtere Verteilungder Steuerlast: „Allein die Anhebung der Steuern aufVermögen auf europäisches Durchschnittsniveauwürde dem Staat jährlich vier Milliarden Euro Mehr-einnahmen bringen.“ Die Einführung einer Finanz-transaktionssteuer sowie die Besteuerung von Speku-lationsgewinnen und die Abschaffung von Steuerpri-vilegien der Privatstiftungen sind für den AK-Präsi-denten notwendige Beiträge zu mehr Verteilungsge-rechtigkeit. Die LohnsteuerzahlerInnen könnten sei-nes Erachtens durch eine Absenkung des Eingangs-Lohnsteuersatzes entlastet werden.

Starkes BündnisAbschließend verwies Kalliauer darauf, dass die Ka-tholische Kirche in Oberösterreich in Fragen der so-zialen Gerechtigkeit schon lange eine verlässliche undstarke Verbündete der Arbeiterkammer und des ÖGBist. Das gemeinsame „Manifest für Gerechtigkeit“ seiAusdruck dieses starken Bündnisses. Über Ziele undInhalte des Manifests sollen möglichst viele Arbeit-nehmerInnen informiert werden, in der Hoffnung,dass es dazu beiträgt, den Begriff der sozialen Ge-rechtigkeit in der gesellschaftspolitischen Debattenachhaltig zu stärken und zu verankern.

Quelle: Unterlagen zur Pressekonferenz “Manifest fürGerechtigkeit – Politik für ein menschengerechtesWirtschaften und ein gutes Leben!”, 8. Juni 2010, Redoutensäle, Linz

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Hilfestellung für pflegende AngehörigeDas Buch „Ich bleibe bei dir bis zu letzt“ bietet pfle-genden Angehörigen Informationen und Hilfestellun-gen zur Bewältigung der oftmals schwierigen und be-lastenden Pflegesituation - zum eigenen Wohl wieauch zum Wohl ihrer Angehörigen. Im Mittelpunktder Ausführungen steht die seelische Situation allerBeteiligten. Durch die Verbindung von Theorie undPraxis soll es Betroffenen leichter möglich werden,persönliche Antworten auf vielfältige Fragen zu fin-den, wie z.B.:

❚ Was bedeutet es für Betroffene und Angehörige,wenn Pflege und Begleitung notwendig werden?

❚ Wie kann liebevolle Begleitung gelingen, wennman selbst tief betroffen ist?

❚ Welche Lebensthemen stehen am Lebensende imVordergrund? Wie gestaltet sich die letzte Le-bensstrecke?

❚ Wie findet man die richtige Balance zwischenNähe und Distanz?

❚ Welche Informationen werden benötigt und wel-che Organisationen sind hilfreich?

❚ Welche Menschen im Umkreis können einen inder Pflegesituation entlasten?

❚ Wie kann man eine eigene Überforderung recht-zeitig erkennen und verhindern und welche Kraft-quellen können Angehörige für die schwierigeAufgabe der Begleitung stärken?

„Ich bleibe bei dir bis zu letzt“ ist somit sowohl einBuch für pflegende Angehörige, die ihre eigenen Ge-fühle und die der Betreuten besser verstehen wollenund nach konkreten Hilfestellungen suchen, wie auchein Buch für professionelle Pflegekräfte mit demSchwerpunkt Altenpflege zum besseren Verständnisder Situation pflegender Angehöriger.

Monika Specht-Tomann: Ich bleibe bei dir bis zu letztHilfestellung für pflegende AngehörigeKreuz Verlag, Freiburg 2009220 Seiten, EUR 16,95 (D)

Globale GüterkettenDie vergangenen Jahrzehnte waren von einer drama-tischen Zunahme an grenzüberschreitenden ökono-mischen Transaktionen geprägt. Globaler Handel undInvestitionen expandierten. Das Resultat ist eine qua-litative Neustrukturierung von Güterketten, in denendie Produktion von Waren und Dienstleistungen ineinzelne Produktionsschritte aufgeteilt und globalverteilt wird. Damit verbunden sind eine Ausweitung

von Produktionskapazitäten in den so genannten Ent-wicklungsländern sowie eine generelle Neuverteilungökonomischer Aktivität im Weltmaßstab. Eine stei-gende Anzahl von alltäglich benützten bzw. konsu-mierten Waren wird entlang global organisierter Gü-terketten arbeitsteilig produziert, wobei die Profitedaraus ungleich zugunsten mächtiger transnationalerUnternehmen in den Zentren verteilt werden. Dieswirft eine Reihe von relevanten Fragen auf:

❚ Können arme Länder und Regionen durch eine In-tegration in diese globalen Güterketten ihre Ent-wicklungsperspektiven nachhaltig verbessern?

❚ Welche entwicklungs- und industriepolitischenKonzepte tragen zur Verbesserung ihrer Positionin diesen Netzwerken und zur Steigerung der An-eignung regional geschaffener Werte bei?

❚ Welche Unternehmensstrategien erklären aktuelleund historische Standortsysteme und was folgtdaraus für allfällige Entwicklungsperspektiven in-nerhalb von Produktionsnetzwerken?

Diesen und weiteren Fragen nähert sich der Band an-hand der Perspektive „globaler Güterketten“ an. Her-ausgeberInnen des Bandes sind die historische Sozial-wissenschaftlerin und Redakteurin des „Journals fürEntwicklungspolitik“ Karin Fischer, der SalzburgerWirtschaftsgeograf Christian Reiner und die Ökono-min Cornelia Staritz, die zurzeit für die Weltbank inWashington tätig ist. Ihr Forschungsansatz stellt dieOrganisation weltweit verstreuter, arbeitsteiliger Pro-duktionsprozesse und die daraus entstehenden Kon-sequenzen für Entwicklung in den Mittelpunkt.

Unter anderem werden folgende Inhalte diskutiert:Grundlagen, Kritik und Weiterentwicklung des Kon-zepts „globale Güterketten“; Fragen der Arbeitsqua-lität und der sozialen Unternehmensverantwortungsowie deren Regulierung. Fallbeispiele mit histori-schem und aktuellem Bezug behandeln den Kakao-sektor, die Fischproduktion, die Textil- und Beklei-dungsindustrie, die Sportartikel-, Automobil-, Elek-tronik- und Pharmaindustrie sowie die Rolle von Su-permarktketten in globalen Produktionszusammen-hängen. Durch die breite räumliche Streuung der Fall-beispiele kann der Band als Ergänzung respektive alsAlternative zu traditionellen entwicklungsökonomi-schen Zugängen gesehen werden.

Karin Fischer, Christian Reiner, Cornelia Staritz (Hg.):Globale GüterkettenWeltweite Arbeitsteilung und ungleiche Entwicklung Promedia Verlag, Wien 2010280 Seiten, EUR 24,90

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V E RANS TA L T UNGEN

Einführung AsylrechtZiel des Seminars ist es, den TeilnehmerInnen (Zielgruppe: BeraterInnen und BetreuerInnen von AsylwerberInnen)Grundkenntnisse über das Asylrecht und das Asylverfahren zu vermitteln. Das sollte sie befähigen, die rechtlicheSituation ihrer KlientInnen rasch zu erfassen und richtig einzuordnen. Grundlage des österreichischen Asylgeset-zes ist die Genfer Flüchtlingskonvention, darauf aufbauend werden die zentralen Fragestellungen und der Ablaufdes Asylverfahrens in Österreich dargestellt.

Termin: 1. September 2010, 9.30 bis 17.00 Uhr, und 2. September 2010, 9.30 bis 13.00 UhrSeminarort: asylkoordination österreich, 1080 Wien, Laudongasse 52/9Information/Anmeldung: Tel. 01 5321291 14, Fax DW 20, Mail: [email protected]. Seminarbeitrag: 100 Euro

Behinderung und MigrationBeim 14. Österreich-Tag werden in Vorträgen verschiedene Aspekte des Themas behandelt, etwa der Zugang zuBildung und Arbeit für MigrantInnen mit Behinderung oder die mangelnden Ressourcen im Asylbereich für dieseZielgruppe. Am 2. Tag wird ein Workshop zum Thema „MigrantIn und behindert? – Doppelt benachteiligt!“ ab-gehalten.

Termin: 16. – 17. September 2010Ort: Wiener Rathaus (Vorträge) und HTBLA Ungargasse 69, 1030 Wien (Workshop)Information/Anmeldung: www.oetag.at. Unkostenbeitrag: EUR 15,00

Integra – Leben mit PerspektiveDie Fachmesse integra ist eine Informationsplattform für Menschen mit Behinderung und/oder Menschen mitPflegebedarf, deren Angehörige und MitarbeiterInnen des Sozial- und Gesundheitswesens. Auf rund 14.000 m2

Ausstellungsfläche bieten über 160 Aussteller ein breit gestreutes Angebot an rehatechnischen Produkten undDienstleistungen.

Termin und Ort: 22. - 24. September 2010, Messezentrum Neu, Halle 20, Messeplatz 1, 4600 Wels

Deutscher Suchtkongress 2010Beim Kongress präsentieren nationale und internationale ExpertInnen aktuelle Ergebnisse aus der Suchttherapieund Suchtforschung. Kernthemen sind Abhängigkeitsentwicklungen, wie z.B. von Nikotin oder Alkohol, und diesogenannten „Neuen Süchte“, wie beispielsweise die exzessive und abhängige Nutzung des Internets und vonComputerspielen. Im Rahmen der Veranstaltung gibt es auch erstmals einen Schüler- und Lehrerkongress, beidem SchülerInnen sowie deren LehrerInnen Gelegenheit haben, mit den ExpertInnen über Ursachen, Verlauf undTherapie von Suchterkrankungen zu diskutieren.

Termin: 22. – 25. September 2010Ort: Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Tübingen (D)Information/Anmeldung: www.suchtkongress2010.de

NIC 2010: Merkmale interkultureller Bildung“Networking Inter Cultures - NIC” ist eine Initiative des Fachbereichs Interkulturelle Studien der Donau-Univer-sität Krems, der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung und des Interkulturellen Zentrums. Bei der die-sjährigen NIC-Konferenz werden die unterschiedlichen Merkmale interkultureller Bildung in den verschiedenen Ar-beitsfeldern von der Schule über die Universitäten bis hin zur Erwachsenenbildung Thema sein. Das Rahmenpro-gramm bildet eine Messe, die einen Überblick über WeiterbildungsanbieterInnen aus ganz Österreich ermöglicht.

Termin und Ort: 30. September - 1. Oktober 2010, VHS Ottakring, Ludo Hartmann Platz 7, 1160 WienInformation/Anmeldung: www.intercultures.at

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Herausgeber, Medieninhaber, Verleger: Sozialwissenschaftliche Vereinigung, mit Unterstützung der JohannesKepler Universität Linz (JKU), Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik

Erscheinungsweise:10 Ausgaben pro Jahr

Redaktionsadresse:KONTRASTE: Johannes Kepler Universität Linz, Institut für Gesellschafts-und Sozialpolitik, Altenbergerstr. 69, 4040 Linz Tel.: 0732/2468-7168Mail: [email protected] Web: http://www.gespol.jku.at/ Menüpunkt KontrasteAboservice, Sekretariat: Irene Auinger, Tel.: 0732/2468-7161 Fax DW 7172 Mail: [email protected]

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Lektorat; Satz:Mag. Hansjörg Seckauer

Grafisches Konzept:Mag. Gerti Plöchl

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