13
Wann ist Wissen Macht? Zur Logik kollektiven Handelns von WissensarbeiterInnen Susanne Pernicka

Wann ist Wissen Macht? - jku.at · 7 Umkehrung der Machtasymmetrie zwischen Arbeit und Kapital? INDUSTRIEGESELLSCHAFT WISSENSGESELLSCHAFT Strukturelle Machtquellen auf Arbeitgeberseite

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Wann ist Wissen Macht? - jku.at · 7 Umkehrung der Machtasymmetrie zwischen Arbeit und Kapital? INDUSTRIEGESELLSCHAFT WISSENSGESELLSCHAFT Strukturelle Machtquellen auf Arbeitgeberseite

Wann ist Wissen Macht?

Zur Logik kollektiven Handelns von WissensarbeiterInnen

Susanne Pernicka

Page 2: Wann ist Wissen Macht? - jku.at · 7 Umkehrung der Machtasymmetrie zwischen Arbeit und Kapital? INDUSTRIEGESELLSCHAFT WISSENSGESELLSCHAFT Strukturelle Machtquellen auf Arbeitgeberseite

2

Vorschau

Entwicklungen im gegenwärtigen Kapitalismus als Wissensgesellschaft

Theoretisches Modell zur Interpretation der Machtverhältnisse zw.

ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen

Beispiel: Machtverhältnisse in der wissenschaftlichen Forschung

Page 3: Wann ist Wissen Macht? - jku.at · 7 Umkehrung der Machtasymmetrie zwischen Arbeit und Kapital? INDUSTRIEGESELLSCHAFT WISSENSGESELLSCHAFT Strukturelle Machtquellen auf Arbeitgeberseite

3

Transformation von der Industrie- zur Wissensgesellschaft

Ende der fordistischen Massenproduktion

zugunsten einer flexiblen und wissenbasierten

Arbeitsgesellschaft?

Sozioökonomischer Wandel als thematischer

Ausgangpunkt der Soziologie als Disziplin

Page 4: Wann ist Wissen Macht? - jku.at · 7 Umkehrung der Machtasymmetrie zwischen Arbeit und Kapital? INDUSTRIEGESELLSCHAFT WISSENSGESELLSCHAFT Strukturelle Machtquellen auf Arbeitgeberseite

4

Kapitalistische Marktwirtschaft u. Verallgemeinerung der Lohnarbeit

Karl Marx, Émile Durkheim, Georg Simmel und Max Weber als

Zeitzeugen und Begründer der Soziologie im 19. Jahrhundert

The Great Transformation (Polanyi 1944/1978):

„Die Wirtschaft ist nicht mehr in die sozialen Beziehungen

eingebettet, sondern die sozialen Beziehungen sind in das

Wirtschaftssystem eingebettet“ (ibid., 88f.)

Page 5: Wann ist Wissen Macht? - jku.at · 7 Umkehrung der Machtasymmetrie zwischen Arbeit und Kapital? INDUSTRIEGESELLSCHAFT WISSENSGESELLSCHAFT Strukturelle Machtquellen auf Arbeitgeberseite

5

Wirtschaftssoziologie

Karl Polanyi als Wegbereiter der Wirtschaftssoziologie

Gegenmodell zur neoklassischen Marktfiktion

Zur gesellschaftlichen Ein-, Entbettung und Wiedereinbettung

der Wirtschaft und des Marktes

Pendel zwischen Kommodifizierung und Dekommodifizierung

der Arbeit - Soziale Gegenbewegungen

Karl Polanyi

1886 in Wien – 1964 Ontario

Page 6: Wann ist Wissen Macht? - jku.at · 7 Umkehrung der Machtasymmetrie zwischen Arbeit und Kapital? INDUSTRIEGESELLSCHAFT WISSENSGESELLSCHAFT Strukturelle Machtquellen auf Arbeitgeberseite

6

Grenzen der Funktionsfähigkeit des Marktsystems?

Arbeit

Wissen

Wissen(sarbeit) als zentrale Produktivkraft im gegenwärtigen Kapitalismus

(Drucker 1959; Touraine 1972, Bell 1973, Reich 1992, Castells 2004, Rifkin 2000, Florida 2002)

Zur begrenzten Marktfähigkeit von Wissen und Arbeit

Wissen als öffentliches Gut

Arbeit als fiktive Ware

„No, you can‘t ask a question“

Page 7: Wann ist Wissen Macht? - jku.at · 7 Umkehrung der Machtasymmetrie zwischen Arbeit und Kapital? INDUSTRIEGESELLSCHAFT WISSENSGESELLSCHAFT Strukturelle Machtquellen auf Arbeitgeberseite

7

Umkehrung der Machtasymmetrie zwischen Arbeit und Kapital?

INDUSTRIEGESELLSCHAFT WISSENSGESELLSCHAFT

Strukturelle Machtquellen auf

Arbeitgeberseite

Eigentum an ökonomischem

Kapital

Eigentum an Wissen?

Primäre Machtverteilung

zwischen Arbeit und Kapital

Machtasymmetrie zugunsten des

Kapitals

Machtasymmetrie zugunsten der

hochqualifizierten Arbeitskraft?*

Sekundäre Gegenmacht Gewerkschaften, Betriebsräte,

soziale Bewegungen;

Wohlfahrtsstaat, etc.

Kollektive Interessenvertretung

– sekundäre Macht wird

überflüssig?

Ausrichtung der

Forschungsdisziplin

„Arbeitsbeziehungen“

Industrial Relations

kollektive Arbeitsbeziehungen

(soziologische Orientierung;

Konfliktperspektive)

Organisational Behaviour, HRM

Individuelle Arbeitsbeziehungen

(betriebswirtschaftliche,

psychologische Orientierung;

Motivationsfaktoren)

* Reich (1992); Drucker (1994); Florida (2002)

Tabelle 1: Strukturelle Machtverteilung in der Industrie- und Wissensgesellschaft

Page 8: Wann ist Wissen Macht? - jku.at · 7 Umkehrung der Machtasymmetrie zwischen Arbeit und Kapital? INDUSTRIEGESELLSCHAFT WISSENSGESELLSCHAFT Strukturelle Machtquellen auf Arbeitgeberseite

8

Zur Organisationsneigung Hochqualifizierter

Hochqualifizierte (hier: professionals) verfügen über knappes Wissen daher

geringe kollektive Organisationsbereitschaft (Crouch 1982, 67ff., vgl. Olson 1965)

ABER: Hochqualifizierte haben sich selten auf ihre individuelle – nur temporäre

– Marktmacht verlassen

Um Konkurrenz einzuschränken:

Organisierung in Zünften, Berufsverbänden,

Fachgewerkschaften, Akademien, etc.

Page 9: Wann ist Wissen Macht? - jku.at · 7 Umkehrung der Machtasymmetrie zwischen Arbeit und Kapital? INDUSTRIEGESELLSCHAFT WISSENSGESELLSCHAFT Strukturelle Machtquellen auf Arbeitgeberseite

9

Wissensarbeit oder Profession?

PROFESSION WISSENSARBEIT

Wissensinhalte Theoretisch-abstraktes

Wissenssystem, das stetig weiter

entwickelt wird

Neue und ökonomisch verwertbare

Wissensprodukte und -prozesse, die

je nach Kontext und

Markterfordernissen variieren

Dominate Steuerungslogik

hochqualifizierter Arbeit

Institutionelle Selbstregulation

und/oder gesetzliche Regulierung:

vollständige Schließung

Markt, der nur temporär außer

Kraft gesetzt werden kann (z.B.

Expertenstatus; geistige

Eigentumsrechte)

Generiert spezifische

Machtpotenziale

Monopolmacht

PROFESSIONSLOGIK

Keine oder temporäre Macht

MARKTLOGIK

Beispiele (nähern sich

Idealtypus an)

Klassische Professionen: ÄrztInnen

oder akademische Wissenschaften

Softwareentwicklung, angewandte

Marktforschung, Unternehmens-

beratung

Quelle: Freidson 2004; Heidenreich 2004; Warhurst/Thompson 2006; Pernicka et al. 2010

Tabelle 2: Analytische Unterscheidung zwischen Wissensarbeit und Profession (Idealtypen)

Page 10: Wann ist Wissen Macht? - jku.at · 7 Umkehrung der Machtasymmetrie zwischen Arbeit und Kapital? INDUSTRIEGESELLSCHAFT WISSENSGESELLSCHAFT Strukturelle Machtquellen auf Arbeitgeberseite

10

Managementlogik zerstört Macht durch Wissen

PROFESSIONELLE LOGIK MARKTLOGIK MANAGEMENTLOGIK

Dominante

Steuerungslogik

Selbstregulation

innerhalb der (gesetzlich)

geregelten Profession

Markt

Kundenanforderungen

Angebot/Nachfrage nach

Wissensarbeit

Bürokratie;

Re-Taylorisierung ODER

Entkoppelung des

Managements von der

Wissensproduktion

Machtpotenziale

auf der Basis des

Wissens

Monopolmacht Keine oder temporäre

Marktmacht

Keine

Quelle: Pernicka et al. 2010

Tabelle 3: Machtrelevante Steuerungslogiken hochqualifizierter Arbeit (Idealtypen)

Page 11: Wann ist Wissen Macht? - jku.at · 7 Umkehrung der Machtasymmetrie zwischen Arbeit und Kapital? INDUSTRIEGESELLSCHAFT WISSENSGESELLSCHAFT Strukturelle Machtquellen auf Arbeitgeberseite

11

Beispiel Universitäten – zwischen Profession u. Managementlogik

Perspektive innerhalb

der Organisation

Gruppe I: Dauerhafte Zugehörigkeit

zu einer konkreten Universität

(v.a. verbeamtete und unbefristete

Beschäftigte; Professoren)

Gruppe II: Kaum Aussicht auf eine

dauerhafte Beschäftigungs-

perspektive („definitiv“ befristet

Beschäftigte)

Dominante

Steuerungslogiken

PROFESSIONSLOGIK

Überwiegend Selbstkontrolle der

fachlichen Disziplinen

MANAGEMENTLOGIK

Befristungspolitik ist weitgehend

entkoppelt von der Leistung (Wissen,

akademische Leistungen, etc.)

Machtpotenziale auf

Basis des Wissens

Kontrolle und Monopolisierung des

fachlichen Wissens und deren

Weiterentwicklung

Keine – Managementlogik setzt

Wissensmacht außer kraft

Quelle: Pernicka et al. 2010

Tabelle 4: Duale Segmentierung des universitären Arbeitsmarkts

Page 12: Wann ist Wissen Macht? - jku.at · 7 Umkehrung der Machtasymmetrie zwischen Arbeit und Kapital? INDUSTRIEGESELLSCHAFT WISSENSGESELLSCHAFT Strukturelle Machtquellen auf Arbeitgeberseite

12

Schlussfolgerungen

These von der Umkehrung der Kräfteverhältnisse zwischen (hochqualifizierter)

Arbeit und Kapital/Management nicht haltbar

Wissen per se verleiht keine Macht

Prekäre und atypische Beschäftigung als Ausdruck und Ursache geringer Macht

Marktlogik und Managementlogik zerstören Durchsetzungsmacht;

Professionslogik verschärft das Insider-Outsider-Problem

Flexibilisierung und soziale Destabilisierung –

kollektive Gegenbewegungen?

Page 13: Wann ist Wissen Macht? - jku.at · 7 Umkehrung der Machtasymmetrie zwischen Arbeit und Kapital? INDUSTRIEGESELLSCHAFT WISSENSGESELLSCHAFT Strukturelle Machtquellen auf Arbeitgeberseite

13

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!