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Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 1 Armin Nassehi Institut für Soziologie Vorlesung Soziologische Theorie SoSe 2019 Mo 1015-1145 Uhr, AudiMax 15. Juli 2019 Bruno Latour: Gesellschaft posthumaner Kollektive/ Soziologie als Theorie hybrider Aktuere Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 2 Armin Nassehi Institut für Soziologie Armin Nassehi: Soziologie. Zehn einführende Vorlesungen 2. Aufl. Wiesbaden: VS-Verlag 2011. Hans Joas/Wolfgang Knöbl: Sozialtheorie. Zwanzig einführende Vorlesungen Aktualisierte Auflage Frankfurt/M./Berlin: Suhrkamp 2004.

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VorlesungSoziologische Theorie

SoSe 2019Mo 1015-1145 Uhr, AudiMax

15. Juli 2019

Bruno Latour:Gesellschaft posthumaner Kollektive/

Soziologie als Theorie hybrider Aktuere

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Armin Nassehi: Soziologie. Zehn einführende Vorlesungen2. Aufl.Wiesbaden: VS-Verlag 2011.

Hans Joas/Wolfgang Knöbl:Sozialtheorie. Zwanzig einführende VorlesungenAktualisierte AuflageFrankfurt/M./Berlin: Suhrkamp 2004.

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Programm

29.04.Die Vorgeschichte: Rousseau, Hobbes, Hegel und MarxDie Erfindung der bürgerlichen Gesellschaft und ihre KritikGeorg Wilhelm Friedrich Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Werke, Band 7, Frankfurt/M. 1970, �� 182-188, S. 339-346;

Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, in: Marx-Engels-Werke, Band 1, Berlin (DDR) 1969, S. 378-391.

06.05. (Julian Müller)Emile Durkheim: Gesellschaft als integrierte Einheit/Soziologie als MoralwissenschaftEmile Durkheim: Über die Teilung der sozialen Arbeit, Frankfurt/M. 1977, S. 152-173 und 437-450. Emile Durkheim: Regeln der

soziologischen Methode, Neuwied 1961, S. 115-128.

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13.05.Max Weber:Soziologie ohne GesellschaftMax Weber: Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie, in: ders.: Schriften 1894-1922, ausgew. v. Dirk Käsler, Stuttgart

2002, S. 275-313.

20.05. (Julian Müller)George Herbert Mead:Gesellschaft als universe of discourse/Soziologie als VerhaltenswissenschaftGeorge Herbert Mead: Geist, Identität und Gesellschaft. Hrsg. von Charles W. Morris. Frankfurt/M. 1992, S. 194-221 und 230-265.

27.05.Talcott Parsons:Gesellschaft als politische Einheit/Soziologie als Theorie sozialer SystemeTalcott Parsons: Das System moderner Gesellschaften, München 1972, S. 12-42.

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03.06.Alfred Schütz/Peter Berger/Thomas Luckmann:Gesellschaft als Lebenswelt/Soziologie als Phänomenologie und AnthropologieAlfred Schütz/Thomas Luckmann: Die Lebenswelt des Alltags und die natürliche Einstellung, in: dies.: Strukturen der Lebenswelt. Band

1, Frankfurt/M. 2003, S. 29-50.

10.06. Pfingstmontag

17.06.Gary S. Becker/James ColemanGesellschaft als Situation/Soziologie als Theorie rationaler WahlGary S. Becker: The Economic Way of Looking at Life, Nobel Lecture, Oslo 1992.

24.06.Jürgen Habermas:Gesellschaft als System und Lebenswelt/Soziologie als AufklärungsprojektJürgen Habermas: Der normative Gehalt der Moderne, in: ders.: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen,

Frankfurt/M. 1985, S. 390-425.

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01.07.Niklas Luhmann:Gesellschaft ohne Zentrum und Spitze/Soziologie als AufklärungNiklas Luhmann: Das Moderne der modernen Gesellschaft, in: ders.: Beobachtungen der Moderne, Opladen 1992, S. 11-49.

08.07.Pierre Bourdieu:Gesellschaft als Distinktionsraum/Soziologie als (Selbst-)AufklärungPierre Bourdieu: Leçon sur la leçon, in: ders.: Sozialer Raum und ‘Klassen’. Leçon sur la leçon. Zwei Vorlesungen, Frankfurt/M. 1985, S.

49-81.

15.07.Bruno Latour:Gesellschaft posthumaner Kollektive/Soziologie als Theorie hybrider AkteureBruno Latour: Kleine Soziologie alltäglicher Gegenstände, in: ders.: Der Berliner Schlüssel. Erkundungen eines Liebhabers der

Wissenschaften, Berlin, S. 15-84.

22.07.Klausur

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Weitere Informationen:

Die Texte werden in den Tutorien bearbeitet und sollen von allen sonstigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Vorlesung mitgelesen werden.

Die Anmeldeformalitäten für die Klausur bzw. für die Anmeldung zu den Theorie II-Veranstaltungen werden im Laufe der Vorlesung erläutert.

Sonntags ab spätestens 23.00 Uhr (meist früher) lassen sich die Folien des darauf folgenden Montags von der Homepage des Lehrstuhls herunterladen (www.nassehi.de).

[email protected]

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Bruno Latour (*1947)

Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, FfM 2007.

S. 81: Ein ‚Akteur’ in dem Bindestrich-Ausdruck Akteur-Netz-werk ist nicht der Ursprung einer Handlung, sondern das bewegli-che Ziel eines riesigen Aufgebots von Entitäten, die zu ihm hin strömen. Damit er seine Mannigfaltigkeit wiedergewinnt, ist es am einfachsten, die Metaphern zu reaktivieren, die im Wort Akteur enthalten sind, das ich bislang als unproblematischen Platzhalter verwendet habe.Nicht zufällig stammt dieser Ausdruck, wie auch der der ‚Person’, aus der Bühnenwelt. Weit davon entfernt, einen reinen und unpro-blematischen Handlungsursprung anzuzeigen, führen beide zu Rät-

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seln, die so alt sind wie die Institutionen des Theaters selbst – gut illustriert durch Sartres berühmtes Porträt des Kellners, der nicht mehr den Unterschied zwischen seinem ‚authentischen’ Selbst und seiner ‚sozialen Rolle’ kennt. Das Wort ‚Akteur’ zu verwenden be-deutet, dass nie klar ist, wer und was handelt, wenn wir handeln, denn kein Akteur auf der Bühne handelt allein.______________________________________________________S. 132: Sobald den nicht-menschlichen Wesen wieder etwas Be-wegungsfreiheit zurückgegeben wird, erweitert sich das Spektrum der Aktanten, die sich an einer Handlung beteiligen können, erheb-lich und bleibt nicht länger beschränkt auf die ‚mittelgroßen Exem-plare trockner Güter’ der analytischen Philosophen. Die ANT ist deshalb so schwer zu erfassen, weil sie genau den Raum einnimmt,

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den die kritischen Soziologen mit den tadelnden Wörtern ‚Objekti-vierung’ und ‚Verdinglichung’ entleert haben.______________________________________________________S. 133: Nehmen wir einige Beispiele. Eine Schäferin und ihr Schäferhund lassen einen zwar an traditionelle soziale Beziehungen denken, doch wenn man ihre Herde hinter einem Drahtzaum sieht, wundert man sich, wo die Schäferin und ihr Hund geblieben sind –auch wenn Schafe durch den Stacheldraht hartnäckiger auf der Wiese gehalten werden als durch das Bellen des Hundes. Zu einer couch potato vor dem Fernsehgerät ist man wohl größtenteils durch die Fernbedienung geworden, mit der man von Kanal zu Kanal zappen kann – und doch gibt es keine Ähnlichkeit zwischen den Ursachen der eigenen Unbeweglichkeit und dem Teil des eigenen Handelns, der nun von einem Infrarotsignal übernommen wird,

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selbst wenn es keine Frage ist, dass die Fernbedienung eben dieses Verhalten autorisiert.Ist der Unterschied zwischen einer Autofahrerin, die in der Nähe einer Schule langsamer fährt, weil sie ein 30 km-Schild gesehen hat, und einem Autofahrer, der bremst, weil er die Stoßdämpfer seines Autos schonen will, während er über die Straßenschwelle fährt, groß oder klein? Groß, denn der Gehorsam ersterer durchlief Moral, Symbole, Verkehrsschilder und rote Farbe, während der des letzteren dieselbe Liste durchlief, zu der allerdings noch eine solide Betonschwelle hinzugefügt wurde.

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S. 357: Die Frage ... lautet, wo die ... Transportmittel sind, die Indi-vidualität, Subjektivität, Persönlichkeit und Innerlichkeit beför-dern. ... Man könnte sie Subjektivierer, Personalisierer oder Indivi-dualisierer nennen, doch ich ziehe den neutraleren Ausdruck Plug-ins vor und borge mir diese wunderbare Metapher aus unserem neuen Leben im Web aus.______________________________________________________Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen

Anthropologie, Berlin 1995.

S. 8f.: Zum Glück gibt es noch einige erholsame Seiten in der Zei-tung, auf denen von reiner Politik die Rede ist (eine Versammlung der radikalen Partei). Es gibt die Literaturbeilage, wo dieser oder jener Romancier sich an den Abenteuern einiger narzißtischer Egos “

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erfreut (‚je t’aime, moi non plus’). Ohne diese glatten Seiten könnte einem schwindlig werden. Denn es häufen sich die Hybridartikel, die eine Kreuzung sind aus Wissenschaft, Politik, Ökonomie, Recht, Religion, Technik und Fiktion. Wenn die Lektüre der Tages-zeitung das Gebet des modernen Menschen ist, dann betet heute bei der Lektüre dieses Gemenges ein sehr seltsamer Mensch. Die ganze Kultur und die ganze Natur werden hier Tag für Tag neu zusam-mengebraut.

Und dennoch scheint niemand sich daran zu stoßen. Die Seiten Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Literatur, Kultur, Religion, Ver-mischtes bilden nach wie vor die Rubriken, so als wäre nichts ge-wesen. Der winzigste Aidsvirus bringt uns vom Geschlecht zum Unbewussten, von dort nach Afrika, zu Zellkulturen, zur DNS,

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nach San Francisco. Aber Analytiker, Denker, Journalisten und Entscheidungsträger zerschneiden das feine Netz, das der Virus zeichnet. Übrig bleiben nur säuberlich getrennte Schubladen: Wis-senschaft, Ökonomie, soziale Vorstellungen, vermischte Nachrich-ten, Mitleid, Sex. Man braucht bloß irgendeine harmlose Spraydose zu drücken, und schon ist man unterwegs zur Antarktis, von dort zur University of California in Irvine, zu den Fließbändern in Lyon, zur Chemie der Edelgase und dann vielleicht zur UNO. Doch die-ser fragile Faden wird in ebenso viele Teile zerstückelt, wie es rei-ne Fachgebiete gibt. Bringen wir bloß nicht Erkenntnis, Interesse, Justiz und Macht durcheinander! Vermengen wir bloß nicht Him-mel und Erde, Globales und Lokales, Menschliches und nicht Menschliches!

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S. 19: Die Hypothese dieses Essays ... ist, daß das Wort ‚modern’ zwei vollkommen verschiedene Ensembles von Praktiken bezeich-net, die, um wirksam zu sein, deutlich geschieden bleiben müssen, es jedoch seit kurzem nicht mehr sind. Das erste Ensemble von Praktiken schafft durch ‚Übersetzung’ vollkommen neue Mischun-gen zwischen Wesen: Hybriden, Mischwesen zwischen Natur und Kultur. Das zweite Ensemble schafft, durch ‚Reinigung’, zwei voll-kommen getrennte ontologische Zonen, die der Menschen einer-seits, die der nicht-menschlichen Wesen andererseits. Ohne das er-ste Ensemble wären die Reinigungspraktiken leer oder überflüssig. Ohne das zweite wäre die Arbeit der Übersetzung verlangsamt, ein-geschränkt oder sogar verboten. Das erste Ensemble entspricht dem, was ich Netze genannt habe, das zweite dem, was ich Kritik genannt habe. Das erste könnte beispielsweise in einer fortlaufen-

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den Kette die Chemie der Stratosphäre, die wissenschaftlichen und industriellen Strategien, die Nöte der Staatschefs, die Ängste der Ökologiebewegung verbinden. Das zweite würde eine Einteilung vornehmen zwischen einer Naturwelt, die schon immer da war, ei-ner Gesellschaft mit vorhersehbaren und stabilen Interessen und Einsätzen und schließlich einem Diskurs, der von der Referenz wie von der Gesellschaft abhängig ist.______________________________________________________S. 20: Solange wir die beiden Praktiken der Übersetzung und der Reinigung getrennt betrachten, sind wir wirklich modern, das heißt, wir stimmen dem kritischen Projekt mit ganzem Herzen zu, auch wenn dieses sich nur entfaltet, weil die Hybriden sich darunter aus-breiten. Sobald wir unsere Aufmerksamkeit dagegen gleichzeitig auf die Arbeit der Reinigung und der Hybridisierung richten, hören

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wir sofort auf, gänzlich modern zu sein, unsere Zukunft beginnt sich zu verändern. Im selben Moment hören wir auf, modern gewe-sen zu sein – im Perfekt – weil uns rückblickend bewußt wird, daß die beiden Ensembles von Praktiken in der zu Ende gehenden hi-storischen Periode schon immer am Werk gewesen sind. Unsere Vergangenheit beginnt sich zu verändern. Und schließlich, wenn wir nie modern gewesen sind (zumindest in der Bedeutung, die uns die Kritik vorgibt), könnten sich die gequälten Beziehungen, die wir zu den anderen Naturen/Kulturen unterhalten haben, wandeln. Relativismus, Herrschaft, Imperialismus, schlechtes Gewissen, Synkretismus, kurz, alle Probleme, die im Ausdruck ‚Große Tren-nung’ zusammengefaßt sind, würden anders erklärt werden und damit die vergleichende Anthropologie verändern.

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4. Garantie: „Niemand ist wirklich modern, wenn er nicht bereit ist, Gott aus dem Spiel der Gesetze der Natur und der Republik zu ent-fernen. Gott wird zum gesperrten Gott der Metaphysik, der sich ebenso vom vormodernen Gott der Christen unterschiedet, wie die im Labor konstruierte Natur von der alten physis, oder wie die von den Soziologen erfundene Gesellschaft vom alten anthropologi-schen Kollektiv, zu dem auch nicht-menschliche Wesen gehören.

Aber eine vollständige Entfernung Gottes hätte die Modernen einer kritischen Ressource beraubt, die geeignet war, ihr Dispositiv zu vervollständigen. Die Zwillingswesen atur und Gesellschaft hätten im Leeren gehangen, ohne daß im Konfliktfall zu entscheiden ge-wesen wäre, welche der beiden Regierungshälften die Oberhand behalten sollte.

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S. 49: Damit war es den Modernen möglich, weltlich und fromm zugleich zu sein (Weber 1905). Diese letzte konstitutionelle Garan-tie wurde nicht durch einen höchsten Gott gegeben, sondern durch einen abwesenden, auch wenn seine Abwesenheit nicht daran hin-derte, bei Bedarf im Innersten des Herzens über ihn zu verfügen. Seine Position wurde buchstäblich ideal, denn er wurde zweimal ausgeklammert: einmal in der Metaphysik, ein zweites Mal in der Spiritualität. ______________________________________________________S. 139: Es ist die Besonderheit der Abendländer, auf dem Wege der offiziellen Verfassung die totale Trennung von Menschen und nicht-menschlichen Wesen – die innere Große Trennung – durch-gesetzt und so künstlich den Skandal, anders zu sein, geschaffen haben. ‚Wie kann man Perser sein?’ (Montesquieu) Wie kann man

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keinen radikalen Unterschied machen zwischen der universellen Natur und der relativen Kultur? Aber gerade der Begriff Kultur ist ein Artefakt, das wir durch Ausklammern der Natur produziert ha-ben. Es gibt ebensowenig Kulturen – unterschiedliche oder univer-selle –, wie es eine universelle Natur gibt. Es gibt nur Naturen/Kul-turen: sie bilden die einzige Grundlage für einen möglichen Ver-gleich. Sobald wir Vermittlungs- und Reinigungspraktiken zugleich berücksichtigen, bemerken wir, daß die Modernen ebensowenig die menschlichen von den nicht-menschlichen Wesen trennen, wie die ‚anderen’ Zeichen und Dinge vollkommen zur Deckung bringen. _____________________________________________________S. 145: Wissenschaften und Techniken sind bemerkenswert, nicht weil sie wahr oder effektiv sind – diese Eigenschaften erwerben sie zusätzlich und aus anderen Gründen, als die Epistemologen glau-

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ben –, sondern weil sie die nicht-menschlichen Wesen, die in der Fabrik der Kollektive rekrutiert werden, vervielfachen und unsere Gemeinschaft mit diesen Wesen inniger machen. Charakteristisch für die modernen Wissenschaften ist gerade die Erweiterung der Spirale, der daraus resultierende größere Umfang der Rekrutierung, die ständig wachsende Entfernung, über die hinweg diese Wesen rekrutiert werden müssen – und nicht irgendein epistemologischer Einschnitt, durch den sie für immer mit ihrer vorwissenschaftlichen Vergangenheit gebrochen hätten. Die modernen Wissens- und Machtformen sind nicht deshalb anders, weil sie endlich der Tyran-nei des Sozialen entgingen, sondern deshalb, weil sie sehr viel mehr Hybriden hinzufügen, um das soziale Band neu zu knüpfen und auszuweiten. Es handelt sich nicht mehr nur um die Luftpum-pe, sondern auch um Mikroben, Elektrizität, Atome, Sterne, Glei-

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chungen zweiten Grades, Automaten und Roboter, Windmühlen und Pumpenkolben, Unbewußtes und Neurotransmitter. Bi jeder Windung der Spirale führt eine neue Übersetzung der Quasi-Objek-te zur Neudefinition des Gesellschaftskörpers, d.h. der Subjekte wie der Objekte. Wissenschaft und Technik sind bei uns ebensowe-nig eine Widerspiegelung der Gesellschaft, wie bei den anderen Die Natur eine Widerspiegelung der gesellschaftlichen Strukturen ist.