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Zur Theorie der Cosserat-Platten
Holm Altenbach
l. Die kinematischen Beziehungen und die Be-
wegungsgleichungen für Cosserat-Platten
In Anlehnung an [l], [2] wird ein zweidimensionales,
ebenes, deformierbares Cosserat-Kontinuum betrachtet.
Im Falle der Beschränkung auf Aufgaben der Plattenbie-
gung genügt es, die Bewegungen des zweidimensionalen
Kontinuums mit Hilfe von drei kinematisch unabhängi-
gen Variablen zu beschreiben (Bild l):
w
Hg: 91
3!
y, 9
4139 @
l F' Pt
I F”("12 \\fly
H‘ 1’
Bild l
Kinemafische und Kraftgrößen der Cosserat-Platte
w — Verschiebungen in Richtung der Normalen zur Plat-
tenebene,
(1.1)
als Vektor der Verdehwinkel. gl, g2 bilden die Vektor-
basis auf der Platte, r_1 ist die Normale zur Plattenebene.
In der Arbeit wird sich auf geometrisch lineare Proble—
me beschränkt, so daß nur kleine Verschiebungen und
Verdrehwinkel betrachtet werden.
f=—¢2£1+¢1£2
Der Spannungszustand des Cosserat—Kontinuums wird
durch folgende Größen beschrieben (Bild l):
(1.2)
“=4 z —M12£1£1+M1£122-M2£2£1+M21£2£2: (1-3)
wobei E der Vektor der Querkräfte und __M_ der Moment-
tentensor sind.
Wenn ein beliebiger Ausschnitt (A) aus dem Kontinuum
betrachtet wird, so wirken auf den Rand (C) dieses Aus-
schnittes folgende Belastungen (Bild 1):
TECHNISCHE MECHANIK 6(1985)Heft2
Manuskripteingang: l3. 9. 1984
(1.4)
(1.5)
wobei FD die ,Randkraft, My die Bandmomente, g die
Normale zum Rand (C) darstellen (y ' r_1 = 0).
Auf die Platte können folgende Flächenlasten wirken
(Bild l):
q — Flächenkräfte quer zur Platte,
E:-m221 +m122 (1.6)
als Vektor der Flächenmomente.
' Jeder Punkt des zweidimensionalen Kontinuums ist ein
starrer Körper. Seine Lage wird mit Hilfe des Radius-
Vektors ; beschrieben. Folgende Eigenschaften werden
fiirjeden Punkt-Körper definiert:
p — Massendichte,
pg — Trägheitstensor.
Der Trägheitstensor kennzeichnet die Massenverteilung
innerhalb der Punkt-Körper. Für glatte Platten mit kon-
stanten Materialeigenschaften gelten folgende Beziehun-
gen:
=< >= h,p p“ 9* (1.7)
h3
P9 = <P*Z2>2:P* fig =J§<g =21 £1 +22 22)-
In dieser Arbeit werden nur Platten betrachtet, die den
Beziehungen (1.7) genügen. Dabei bedeuten
9* Massendichte des dreidimensionalen („realen”) Kon-
tinuums,
h
7
<:f>=f fidz, (1.8)h _
— 5
h die Plattendicke.
Die kinetische Energie der Platte läßt sich wie folgt
- dd tll =__arseen dtg)
. . 1 . . ‚ ‘
gfpg'f=§(PW2+Jg 'g). (1-9)
Impuls E1 und Drehimpuls E2 kann man unter Beach-
tung von (1.9) wie folgt berechnen
~ 8K
K1=f h dA=f. pw dA,
(A) 3w (A)
(1.10)
43'
Ezzf P(i(+l'xflgn)dAr (A) bf _ aw—
=f (be +pwrxs)dA‚ (1.11)
(A) _
wobei f f dA das Flächenintegral über (A) ist.
(A) ‘
Mit Hilfe der Gln. (1.10), (1.11) lassen sich Impulserhal-
tungssatz und Drehimpulserhaltungssatz wie folgt formu-
lieren
d ._f pw dA=f qu+f F dC, 1.12
dt (A) (A) (c) ” ( >
i f (Jvö +Lx WmdAdt (A) —
:f(.“_1+L x qn)dA+
(A)
f (Mv+L x F112)“; (1-13)
(C)
wobei (fc) 2 dC das Kurvenintegral über (C) ist.
Mit Hilfe des Satzes von Gauß [2]
1 2-1dc=1 2-91) (1.14)(C) — (A) '
lassen sich die Kurvenintegrale in den Gln. (1.12), (1.13)
in Flächenintegrale unter Beachtung der Gln. (1.4), (1.5)
überführen
f (pw—q—Z-E)dA=O, (1.15)
(A)
Xf [Jib —m—Y'M—E
(A) _ _
+Lx(px&'—q_y-§)g]dA=0 (1.16)
Hier bedeutet
Ex = E x 2- (Ll?)
Außerdem wurde folgende Beziehung [3] berücksichtigt
f (rxz'E2)dC=—f (212%:de(C) (C)
=—1 [(y-Egnylme—gxym(A) 2
=1 11x(2-1‘2)+1x21dA. (1.18)(A)
Die Gln. (1.15), (1.16) gelten für einen beliebigen Flä-
chenausschnitt, folglich lauten die lokalen Bewegungs-
gleichungen
Y'E+Q:P‘;‚ (1-19)
<2~14+1x+m=1§ (1.20)
44
2. Thermodynamik der Cosserat-Platte bei iso-
thermen Prozessen
Der Energieerhaltungssatz (l. Hauptsatz der Thermody-
namik) läfit sich fiir die Cosserat-Platte wie folgt formu-
lieren
i; p<K+U>dA= 1 (qw+_n1-¢+pg)dA+dt(A) (A) —
f (Fvw +MV'2) dC. (2.1)
Hier sind (A)
U die Dichte der inneren Energie,
g die Geschwindigkeit der Erwärmung unmittelbar im
Kontinuum,
Die Umformung des Kurvenintegrals aus G1. (2.1) erfolgt
unter Beachtung von (1.14) und folgender Beziehung
[3]:
11(z-Ew)+z-M-¢1dc(C) _ _
=1 [genau-Mac(A)
=1 1(y-E)w+2w-1‘(A)
+ (Y' M) - g? + L4 "(y ¢)T]dA, (2.2)
wobei )T das Zeichen für „Transponieren”, --für Dop-
pelskalarprodukt ist.
Unter Berücksichtigung, daß die Flächenintegrale in
(2.1) für einen beliebigen Ausschnitt gelten, erhält man
den 1. Hauptsatz der Thermodynamik in der lokalen
Form. Unter Beachtung der Gln. (1.19), (1.20) und der
Identitäten
EXOQ:—E'fx (gxzf XE), (2-3)
M "(Y9T 1’“ "93? (2.4)
ergibtsich
PU=Pg-Y°h+E-1+M;T" 1:: (2.5)
mit
1=YW+£PE =Yf. (2.6)
'y kennzeichnet die Querschubdeformationen, gist der
Tensor der Biege- und Drilldeformationen. Die hier abge-
leitete Theorie ist somit eine Plattentheorie, die der Ti-
moshenko—Reissner—Theorie entspricht. 1m Falle der An-
nahme der Kirchhoff-Hypothese ist 7 = 0 und man erhält
den Zusammenhang zwischen den Durchbiegungen und
Verdrehwinkeln.
Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik lautet in der
Integralform
d— f deA>f EädA 2.
dt (A) (A)T (7)
T ist die absolute Temperatur der Platte und S die Entro-
piedichte. Unter Berücksichtigung der Gl. (1.14) kann
man den 2. Hauptsatz auch in der lokalen Form angeben
pST 2 pg-(2.8)
Die Auswertung des 1. und des 2. Hauptsatzes der Ther—
modynamik (2.5), (2.8) fiihrt auf
E'Z+MT""I=i—pli>0. (2.9)
Dabei ist
H = U — ST
die Dichte der freien (Helmholtzschen) Energie. Die Gl.
(2.9) wird auch dissipative Ungleichung genannt, die dis-
sipative Funktion ‘1) ist mit
<1>=E.Z-+MT--§_pfi (2.10)
im Falle der hier betrachteten Cosserat—Platten definiert.
Folglich geht (2.9) in
(I) 2 O (2.11)
über. Das Gleichheitszeichen steht für reversible Prozes-
se (ohne Energiedissipation), die Ungleichheit steht für
irreversible Prozesse.
3. Übergang zu neuen kinematischen und dyna-
mischen Größen
Im Abschnitt 2 wurden folgende Parameter eingeführt:
l. die dynamischen (Kraftgrößen) E , “=4 ,
2. die kinematischen (Deformationsgrößen) Z , I; ,
3. ein energetischer Parameter H .
In [7] schlägt Palmow folgende neue Größe vor: statt
M folgendes Vektorprodukt
Ilo
I
=ll_1l x _n. (3.1)
Die von (z; hat den Vorteil, da5 folgende GI.
g=<g.gz.g> (3.2)
Gültigkeit besitzt und bei der Betrachtung von nichtpola-
ren Materialien (der Spannungstensor I flit diese Mate-
rialklasse ist symmetrisch) die Symmetrie des Span-
nungstensors die Symmetrie des Momententensors zur
Folge hat
g = gT. (3.3)
Es genügt dann, statt ä folgenden Deformationstensor zu
betrachten [7]
g=('=< x es =§I<g x2) + (v; x 9T]. (3.4)
Dies folgt aus der Identität
ET -- ‚5— : M .. Ié’l‘ = g "LL (3.5)
Damit gehen die Gln. (2.9) und (1.20) in folgende Gln.
über
F-1'+g--g_pr‘1>o‚ (3.6)
z'g—bsxqgr (3.7)
Dabei gilt
14:21:2-
4. Die Cosserat-Platte aus elastischem Material
Definition: Die Cosserat-Platte wird elastische Cosserat-
Platte genannt, wenn die Querkräfte E ‚ der Momenten-
tensor (=3'r und die freie Energie p H nur von den Defor-
mationsgrößen 1 , L1 abhängen.
Wenn p H eine Funktion von '1 und E ist, so gilt
' a H . a Hp z p p ‚—- +— ' '. .61 Z 8L: (41)
Nach Einsetzen von (4.1) in (3.6) erhält man
öp H) .
37
(E- i+(g_§$)ug>o. (4.2)
Notwendige und hinreichende Bedingung für die Erfül—
lung von (4.2) ist
F: L0H , G=—a"H . (4.3)
‘ 31 = ös
Im Falle der geometrisch linearen Theorie kann für p H
folgende quadratische Approximation verwendet wer-
den:
pH = "(4)
HO?
1’5'1” Ht
.. g. (44)NI»—
12
Für isotropes Material ist in [4] gezeigt, daß der Tensor
der Querschubsteifigkeiten I; (Tensor 2. Stufe) und der
Tensor der Biegesteifigkeiten (40€ (Tensor 4. Stufe) fol-
gende Struktur haben _—
L = I‘o 2v (4.5)
(4)§:C12§ +(320.32 22 +g4g4). (4.6)
wobei
22:21 21 “2222’
Ha =21 £2 ‘22 21,25 £1 22 +22 91
bedeuten. Die im Abschnitt 3 beschriebene Transforma-
tion hat zur Folge, daß “N2: in
“"2 = C1 2 g + C2 (22 g2 +24 g4) (4-7)
übergeht.
Nach dem Einsetzen von (4.4) in (4.3) unter Beachtung
von (4.5) und (4.7) erhält man
E = p0 1 (4.8)
2:“)g..g=(C1_C2)(g„g)2+2C2g (4.9)
Die Bestimmung der Steifigkeitsparameter F0, C1, C2
für die Cosserat—Platte geschieht mit Hilfe des Vergleichs
von Lösungen geeigneter Bandwertaufgaben der klassi-
schen Elastizitätstheorie und der hier abgeleiteten Plat-
45
tentheorie. Dabei wird die Gültigkeit der Gl. (3.2) und
der Gl.
£=< . _‚l > (4.10)
I!”
HA
sowie des Hookeschen Gesetzes
g=2G(
V
1—212
§E+g)’0:g..g
vorausgesetzt. Hier ist E. der dreidimensionale Einheits-
tensor, g der Deformationstensor der Elastizitätstheo-
rie, G, v Schubmodul und Querkontraktionszahl. Ent-
sprechende Rechnungen l6] zeigen, dafs für elastische
Cosserat-Platten folgende Steifigkeitsparameter bei kon-
stanten Werten für G und V gelten
Gh3 1+1!2
—__ = __ ="_(12— 12,c1 c21_u,1*o (h2)c2. (4.11)
Diese Werte werden auch in Rechnungen anderer Auto-
ren [7], [8] bestätigt. Bei Annahme der Kirchhoff-Hy-
pothese geht I‘o -> °° und, da die Querkräfte E endlich
sein müssen, muß Z folglich Null werden. Die Gln. (4.8),
(4.9) lassen sich leicht nach den Deformationsgrößen
auflösen
7:131 F,(4.12)
1—2v
2C2g:3(1+y)(§"g)g+§'
Devg,
Dabei entspricht die Definition des Momentendeviators
Dev g der Definition des Spannungsdeviators in der klas-
sischen Elastizitätstheorie [7], [9]:
G=Dev(=;+%(ä "9g (4.14)
Für V = 0,5 verschwindet das erste Glied in (4.13). Damit
kennzeichnet der Momentendeviator die Deformationen,
die nicht mit „Volumenänderungen” verbunden sind.
Das erste Glied beschreibt Deformationen, die mit „Vo-
lumenänderungen” verbunden sind. Das Ersatzmodell
der elastischen Cosserat—Platte ist auf Bild 2 gezeigt.
Bild 2
Ersatzmodell der elastischen Cosserat-Platte
5. Die Cosserat-Platte aus viskosem Material
Definition [7]: Die Cosserat-Platte wird viskose Cosserat-
Platte genannt, wenn der Querkraftvektor E, der Mo-
mententensor (Z3 und die freie Energie p H nur von den
Deformationsgeschwindigkeiten , abhängen.
Für isotropes Material gilt
pH =pH<1.g>. (5.1)
F=:-i=f‘oi, (5.2)
46
G=<4>ggz<öl—Ö2>(g"g>g+2ö2g. (5.3)
Die Gln. (5.2), (5.3) sind analog zu den Gln. (4.8) und
(4.9) formuliert. Unter Beachtung von
‚H ’- 2' (5-4)pH=——a+831 — m
lb
erhält man nach Einsetzen von (5.2) bis (5.4) in die dis-
sipative Ungleichung (3.6)
l" . . l " V .
5P01°1+§(C1—C2)(g“g)2
v . . a H .. apH __..
“244-757- '1 ‘W '4?“- (5.5)
Notwendige und hinreichende Bedingungen für die Er-
füllung der Beziehung (5.5) sind
H = konstant , (5.6)
i0 > 0, ('11 — 62 > 0, 5:2 2 0. (5.7)
Ohne eine weitere Einschränkung vorzunehmen, kann
H = 0 (5.8)
gesetzt werden, da die Energie nur bis auf eine additive
Konstante genau ermittelt werden kann.
V
Die Koeffizienten f0, GI, C2 sind wie im vorhergehen-
den Fall elastischen Materials zu ermitteln. Das Material-
gesetz für viskoses Material wird analog dem Hookeschen
Gesetz formuliert
: E '‚ 5.9g 2n(t9:1_2k+g) ( )
Dabei sind n, K die Materialparameter des viskosen Mate—
rials. Die Lösung entsprechender Vergleichsaufgaben für
das dreidimensionale und das zweidimensionale Konti-
nuum führt auf
" _nh3 V _V 1+K
CZ'Y’CI’Czl—x
V V
‚r. = (11—2) €2— (5.10)
Die ermittelten Koeffizienten (5.10) erfüllen offensicht-
lich die Bedingungen (5.7). Weiterhin gelten folgende Be-
ziehungen
1 — 2 K.—V_l V '_ ‘"
1—1“0 5,2c2g—m(g 92m; Devg.(5.11)
Das Ersatzmodell der viskosen Cosserat—Platte ist auf
Bild 3 gezeigt.
Bild 3
Ersatzmodell der viskosen Cosserat-Platte
6. Die Cosserat-Platte ans plastischem Material
Definition [7]: Die Cosserat—Platte wird plastische Cosse-
rat-Platte genannt, wenn sie sich unterhalb eines Grenz-
wertes der Norm des Querkraftvektors und des Momen—
tentensors nicht verformt. Wenn die Norm des Quer-
kraftvektors und des Momententensors den Grenzwert
erreichen, so verhält sich die plastische Cosserat-Platte
wie eine viskose Cosserat-Platte aus inkompressiblem
Material.
Folgende konstitutive Gln. gelten dann
N®<Fs ,izo,
NQ) =Fs ‚1' zaE, 0120, (6.1)
N((=;)<Gs ,gzo,
N(g)=(;s ,äi=ßg-Devg,ß>o.
(x, ß sind Koeffizienten, die aus den Fließbedingungen zu
ermitteln sind.
Die Norm der Querkräfte ist der Absolutbetrag des Quer-
kraftvektors
N®2IEI=\/Ff+rä =FN. (6.2)
In der klassischen Elastizitätstheorie wird als Norm des
Spannungstensors 1' die Intensität der Schubspannungen
verwendet [10]. Analog gilt für die Norm des Momenten-
tensors
N(Dev g) = ä De‘vg -- Dev9 = GN. (6.3)
Bei Problemen der Plattenbiegung kann man von folgen-
dem Spannungstensor ausgehen [7]
Ego signz+21+12- (6-4)
Nach dem Einsetzen von (6.4) in (4.10) und (3.2)erhält
man
2
s=hg. T. 2:111. (6.5)
Wenn ‘rs die Fließgrenze des Materials ist, so gilt
—;—DeV':r0 " Dev;0 + 12 = (6.6)
. 2
Wenn beide Seiten der G1. (6.6) mit —h— multipliziert
.. 16werden, so erhalt man
2 h2 _ 2GN +K F2N _ Gs. (6.7)
Die entsprechenden Fließgrenzen Fs und GS ergeben sich
mit
h2
Fs : 1's h, Gs = 1's 1—. (6.8)
Damit kann man statt (6.1) eine Gl. für die Platte aus
plastischem Material formulieren [7]
2 h2 2 2 . .GN+l—6—FN<GS, 1=O,p=0, (6.9)
2
h F§=G2, i=AaE, ‚L_l=ßg"Devg.S —- _
2+__
GN 16
A ist ein zu ermittelnder Koeffizient
Das Ersatzmodell der plastischen Cosserat-Platte ist auf
Bild 4 gezeigt.
Bild 4
s Ersatzmodell der plastischen Cosserat-Platte
7. Die Cosserat-Platte mit kompliziertem Ma-
terialverhalten
7.1. Einleitende Bemerkungen
In den Abschnitten 4 bis 6 wurden die konstitutiven
Gleichungen für Cosserat-Platten aus klassischen Mate-
rialien (elastisch, viskos, plastisch) formuliert. Offen-
sichtlich reichen die drei Grundmodelle nicht aus, um al-
le experimentell ermittelten Fakten für das Verhalten
realer Werkstoffe auch analytisch zu beschreiben. Kom-
plizierte Werkstoffeigenschaften lassen sich durch neue
konstitutive Gleichungen beschreiben. Für diese müßte
jedoch erneut die Erfüllung der Gl. (2.9) überprüft wer-
den, was oftmals schwierig ist. In dieser Arbeit wird da-
her eine aus der dreidimensionalen Kontinuumsmecha-
nik bekannte Methode angewendet werden: die Methode
der theologischen Modelle. Ausführlich sind die wichtig-
sten Elemente der Methode in [11], [12] beschrieben.
Danach lassen sich mit Hilfe der 3 theologischen Grund-
modelle (elastisch, plastisch, viskos) neue Modelle durch
„Parallelschaltung” bzw. durch „Reihenschaltung” er-
mitteln. Im Falle der „Reihenschaltung” gilt [l2] (Bild
5):
— die Deformationen für jedes Element summieren sich
zur Gesamtdeformation,
—- die Spannungen sind überall gleich.
Bild 5
Reihenschaltung von 2 Grundmodellen
Für die „Parallelschaltung” gilt analog [12] (Bild 6):
—— die Spannungen in jedem Element addieren sich zur
Gesamtspannung,
—— die Deformationen sind überall gleich.
Außerdem gilt fiir beide Verbindungsarten, daß sich die
freie Energie für jedes Element zur Gesamtenergie ad-
diert. Der Vorteil der Anwendung der Methode der rheo-
47
logischen Modelle besteht darin, dafi die nach den beiden
Verbindungsarten neu gebildeten Gleichungen automa-
tisch die Gl. (2.9) erfüllen [12]. Nachfolgend werden die
Grundgedanken der Methode der theologischen Modelle
auf die Cosserat-Platten angewendet.
Bild 6
Parallelschaltung von 2 Grundmodellen
7.2. Konstitutive Gleichungen für Cossemt—Platten, die
durch Kombination von zwei Grundelementen ge-
bildet werden
7.2.1. Die Cosserat-Platte aus Kelvin-Voigt—Material
Das erste Beispiel stellt eine „Parallelschaltung” des ela-
stischen und des viskosen Grundmodells der Comrat—
Platte dar (Bild 7). Analog zu dem Kelvin-Voigt-Modell
[11] der dreidimensionalen Mechanik gilt hier:
E = E" + im,G = gel + gvisk’ (u)
viski
ß II
‚g
In:
l-2
||
II
Ute-‚|4
|
II
HE
|
5 I.
Bild 7
Die Cosserat-Platte aus
Kelvin-Voigt—Material
Hier steht „el” für „elastischen Anteil”, „visk” für „vis-
kosen Anteil”.
Die Ausdrücke für Ed , EM, gal, gva‘ ergeben sich aus
den Gln. (4.8), (5.2), (4.9), (5.3). Folglich gilt:
E=P01+f„j‚ (7.2)
g z (4x2: ~ E + (4)9 u ‚_1. (7.3)
Die erhaltenen Gln. gestatten die Beschreibung der Ela-
stizitätsverzögerung [ll] der Cosserat-Platte.
7.2.2. Die Cosserat-Platte aus Maxwell-Material
In diesem Fall kann das Materialverhalten durch eine
„Reihenschaltung” des elastischen und des viskosen
Grundmodells dargestellt werden (Bild 8). Damit gilt
F = Fe] = Fvisk,
= Gel = Gvisk’
'°' + Wk, (7.4)
c
ut-
IQ:"cg
IIII
In:
.2
|
el +2visk_
ä
Bild 8
Die Cosserat—Platte aus Maxwell-Material
Dabei wird 1e]; 'y'ViSk, ‚16|, fivisk
aus (4.12). (4.13), (5.11) bestimmt:
7' = P" E + i“ 1‘.0 o
E‘Q"2>2+2'D°V21 (7'5)
1 1—2u
762430”)
Mit den erhaltenen Gln. läßt sich das Relaxationsverhal-
ten der Cosserat-Platte beschreiben.
(2"2)2+2'DW§1-
7.2.3. Die Cosserat-Platte aus Prandtl-Material
Die Cosserat-Platte aus Prandtl-Material stellt eine „Rei-
henschaltung” aus plastischen und elastischem Grund-
modell dar [11] (Bild 9). Damit gilt
: : EDI,
9°! = 91", (7.6)= iel + im,
' ' .01 + gpl.
In:N.H0
I'd
,,pl” steht hier für „plastischen Anteil”.
Bild 9
51 Die Cosserat-Platte aus humid-Material
Entsprechend den Gln. (4.12), (4.13), (6.1) gilt
‚Fr—12+ { 0 1N(D<Fs ’(m)
- ° aE,a>0 ,N(D=F„
. l 1—29 ‘ 0 _ -
EEC—ZIWQ 9E1“; ”“2
0 ,N(§)<Gs
+ _ (7.8)
{ßg'Devg ,N(_§)=GS
7.2.4. Die plastische Cosserat-Platte mit linearer Verfe-
stigung
Die konstitutiven Gln. für diese Platte erhält man durch
„Parallelschaltung” des elastischen und des plastischen
Grundmodells (Bild 10):
E : Eel + Epl,
Q = E“ + E?" (7:9)
'i = ’7' e] = 7 pl,
{F u“ = #va
Bild 10
u 3 Die plastische Cement-Platte
mit linearer Verfestigung
Damit erhält man folglich
E = Po 1 + E“, (7.10)
g =(C1 -C2)(g"l_1)g+ 2C2 PEP]
und die Gln. (6.1).
7.3. Weitere konstitutive Gleichungen
Nach der hier dargestellten Methode lassen sich ohne
Schwierigkeiten weitere konstitutive Gln. finden. So er-
gibt beispielsweise die Parallelschaltung eines elastischen
Grundmodells mit dem Maxwell—Modell ein neues Plat-
tenmodell, das in der Literatur [11] als Poynting-
Thompson—Material bezeichnet wird. Die Cosserat-Platte
aus Bingham—Material ist eine Reihenschaltung aus elasti-
schem Grundmodell und einem Modell, das eine Parallel-
schaltung des viskosen und des plastischen Grundmodells
darstellt. Weitere Modelle für komplizierte Materialien
sind in [11], [12] bzw. [l3] für die Kontinuumsmecha-
nik angegeben. Sie‘lassen sich leicht auf Cosserat-Platten
übertragen.
8. Diskussion der Ergebnisse
Die hier dargestellte Theorie der Cosserat-Platten stellt
einen Sonderfall der u. a. in [5] beschriebenen Theorie
einfacher Schalen dar. Im Gegensatz zu vielen anderen
Autoren wird dabei die Theorie direkt formuliert. Ein
Vorteil dieser Formulierungsmethode ergibt sich aus
dem nicht notwendigen Übergang vom dreidimensiona-
len zum zweidimensionalen Kontinuum. Die in der Ar-
beit betrachtete Variante der allgemeinen Theorie, die
eine Analogie zur Timoshenko—Reissner—Theorie dar-
stellt, gestattet auch eine problemfreie Formulierung der
Randbedingungen. In den Arbeiten von Shilin erfolgt
eine Konkretisierung auf thermoelastisches Material.
Analog zu den in [7] von Palmow gemachten Vorschlä-
gen wurden in dieser Arbeit weitere Materialgesetze auf.
genommen. Zweifellos ist die Bestimmung der Material-
parameter für die Cosserat-Platte aus der Betrachtung
entsprechender Testaufgaben eine so komplizierte Auf-
gabe, daß sie als Nachteil der direkten Formulierungsme-
thode genannt werden muß. Dies tritt besonders deutlich
bei der Betrachtung plastischen Materials hervor. Für ela-
stisches und viskoses Material ist die Ermittlung geeigne-
ter Ersatzparameter nicht so problematisch. _In [4] und
[6] ist dies ausführlich beschrieben (wobei sogar Material
mit sich über die Plattendicke ändernden Materialeigen-
schaften — z. B. geschichtetes Material — betrachtet
wird). Die Konipliziertheit der Ermittlung der Ersatzpa-
rameter stellt damit die Aufgabe, bei der Modellauswahl
mehr Vorüberlegungen anzustellen. So stellen zwar die
hier abgeleiteten Grundgleichungen das theoretische Ma-
ximum im Rahmen der hier betrachteten geometrisch li-
nearen Theorie für Cosserat-Platten dar, jedoch lassen
sich für bestimmte Aufgabenklassen weitere Einschrän-
kungen treffen, so da5 man im Sinne der Ergebnisge-
nauigkeit vertretbare Lösungen erhalten kann, die insge-
samt weniger Aufwand fordem. Ein Beispiel dafür ist die
Theorie für dünne Platten, bei denen der Querschubein-
flufi oft vernachlässigt werden kann (1"o -> _°°, 7 = 0).
Diese Einschränkungen führen zu einer weitereriBedu-
zierung der Anzahl der konstitutiven Gln. von 5 auf 3.
Eine weitere. mögliche Vereinfachung besteht in der
Vernachlässigung der Kompressibilität des Plattenma-
terials.
Die hier vorgeschlagene Betrachtungsweise gestattet,
übersichtlich und nach einem einheitlichen Schema kom-
plizierte Materialeigenschaften bei Platten zu modellie-
ren. Die hier gesammelten Erfahrungen können auch auf
Schalen bzw. geschichtete Konstruktionen angewendet
werden. Eigene Ergebnisse dazu werden zu einem späte-
ren Zeitpunkt veröffentlicht.
Die in der Arbeit dargestellten Ergebnisse entstanden in
enger Diskussion mit den Kollegen des Lehrstuhls für
Mechanik und Regelungsprozesse des Polytechnischen
Instituts Leningrad. Für die gegebene Unterstützung und
die Hinweise sei hiermit gedankt.
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Anschrift des Verfassers:
DL-Ing. H. Altenbach
Technische Hochschule „Otto von Guericke”
Sektion Dieselmotoren, Pumpen und Verdichter
3010 Magdeburg
PSF 124
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