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307 18 Darstellende Geometrie Die Aufgabe der Darstellenden Geometrie ist es, räumliche Körper und Figuren in einer Zei- chenebene so anschaulich darzustellen, dass alle wichtigen geometrischen Maße erkennbar bzw. entnehmbar sind. Damit bildet die Darstellende Geometrie die Grundlage des Techni- schen Zeichnens. Um eine maßstäbliche Wiedergabe eines Werkstücks zu erreichen, gibt es mehrere genormte Möglichkeiten der Darstellung. Da jedoch durch die Informationsreduktion von drei auf zwei Dimensionen nicht sowohl die Forderung nach Anschaulichkeit als auch die Forderung nach einfacher Entnahme von Maßen gleichzeitig zu erfüllen ist, bedarf es des geschulten Lesers, der den Nachteil der weniger anschaulichen zweidimensionalen Darstellung durch seine Erfahrung ausgleichen kann. Im Folgenden wird zunächst auf verschiedene Grundkörper eingegangen, aus denen sich ein Werkstück zusammensetzen kann. Ergänzend hierzu wird die Berechnung von Volumen und Oberflächen für diese Körper angegeben. Anschließend wird auf die oben genannten, ge- normten Möglichkeiten eingegangen, dreidimensionale Körper zeichnerisch so darzustellen, dass die Körper nicht verzerrt werden und Maße entnehmbar bleiben. In diesem Zusammen- hang wird auf die Ermittlung der wahren Größe von Linien und Flächen eingegangen sowie auf die Konstruktion von Durchdringungskurven, die sich als Verbindungslinien zwischen vereinigten Körpern zeigen. Des Weiteren wird gezeigt, wie Mantelflächen (Abwicklungen) von verschiedenen Körpern ermittelt werden können. 18.1 Grundkörper Die Gestalt vieler Werkstücke oder Bauteile lässt sich auf geometrische Grundkörper zu- rückführen. Im Folgenden wird deshalb auf die wichtigsten dieser geometrischen Grundkör- per eingegangen. Im Wesentlichen sind dies Prisma, Pyramide, Zylinder, Kegel und Kugel. Die meisten der Werkstücke oder Bauteile können aus diesen Grundvolumina „zusammen- gesetzt“ werden. Bild 18-1 Prismen; a) gerades Prisma, b) schiefes Prisma, c) Rechteckprisma, d) Dreieckprisma Ein Prisma ist ein Körper, dessen Form hauptsächlich von der Grundfläche bestimmt wird. Bei einem Prisma ist wichtig, dass die Grundfläche durch gerade Linien begrenzt ist, also ein Vieleck (Dreieck, Viereck, Fünfeck, ...) darstellt. Unwichtig ist hingegen, ob es sich um ein a) c) d) b)

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18 Darstellende Geometrie Die Aufgabe der Darstellenden Geometrie ist es, räumliche Körper und Figuren in einer Zei-chenebene so anschaulich darzustellen, dass alle wichtigen geometrischen Maße erkennbar bzw. entnehmbar sind. Damit bildet die Darstellende Geometrie die Grundlage des Techni-schen Zeichnens.

Um eine maßstäbliche Wiedergabe eines Werkstücks zu erreichen, gibt es mehrere genormte Möglichkeiten der Darstellung. Da jedoch durch die Informationsreduktion von drei auf zwei Dimensionen nicht sowohl die Forderung nach Anschaulichkeit als auch die Forderung nach einfacher Entnahme von Maßen gleichzeitig zu erfüllen ist, bedarf es des geschulten Lesers, der den Nachteil der weniger anschaulichen zweidimensionalen Darstellung durch seine Erfahrung ausgleichen kann.

Im Folgenden wird zunächst auf verschiedene Grundkörper eingegangen, aus denen sich ein Werkstück zusammensetzen kann. Ergänzend hierzu wird die Berechnung von Volumen und Oberflächen für diese Körper angegeben. Anschließend wird auf die oben genannten, ge-normten Möglichkeiten eingegangen, dreidimensionale Körper zeichnerisch so darzustellen, dass die Körper nicht verzerrt werden und Maße entnehmbar bleiben. In diesem Zusammen-hang wird auf die Ermittlung der wahren Größe von Linien und Flächen eingegangen sowie auf die Konstruktion von Durchdringungskurven, die sich als Verbindungslinien zwischen vereinigten Körpern zeigen. Des Weiteren wird gezeigt, wie Mantelflächen (Abwicklungen) von verschiedenen Körpern ermittelt werden können.

18.1 Grundkörper

Die Gestalt vieler Werkstücke oder Bauteile lässt sich auf geometrische Grundkörper zu-rückführen. Im Folgenden wird deshalb auf die wichtigsten dieser geometrischen Grundkör-per eingegangen. Im Wesentlichen sind dies Prisma, Pyramide, Zylinder, Kegel und Kugel. Die meisten der Werkstücke oder Bauteile können aus diesen Grundvolumina „zusammen-gesetzt“ werden.

Bild 18-1 Prismen; a) gerades Prisma, b) schiefes Prisma, c) Rechteckprisma, d) Dreieckprisma

Ein Prisma ist ein Körper, dessen Form hauptsächlich von der Grundfläche bestimmt wird. Bei einem Prisma ist wichtig, dass die Grundfläche durch gerade Linien begrenzt ist, also ein Vieleck (Dreieck, Viereck, Fünfeck, ...) darstellt. Unwichtig ist hingegen, ob es sich um ein

a) c) d) b)

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308 18 Darstellende Geometrie

regelmäßiges oder unregelmäßiges Vieleck handelt. Durch „Hochziehen“ dieser Grundflä-che wird das Volumen gebildet. In Bild 18-1 sind unter anderem ein gerades und ein schie-fes Prisma dargestellt. Während beim geraden Prisma die Achse des Körpers auf der Grund-fläche senkrecht steht, ist diese bei einem schiefen Prisma gegen die Grundfläche geneigt. Die Anzahl der Seitenflächen ist dabei stets gleich der Kantenanzahl der Grund- bzw. Deck-fläche. Die Seitenflächen werden im Allgemeinen als Mantelflächen bezeichnet. Als Höhe der Prismen wird der kürzeste Abstand zwischen der Grund- und der Deckfläche bezeichnet.

Eine Pyramide hat wie das Prisma als Grundfläche ein Vieleck, Bild 18-2. Der Unterschied zum Prisma besteht jedoch darin, dass von der Grundfläche aus alle Kanten zu einem Punkt, nämlich der Spitze, zusammenlaufen. Die Seitenflächen sind entsprechend stets Dreiecke. Sind Grundfläche und Körperhöhe angegeben, so kann die Pyramide konstruiert werden. So genannte regelmäßige Pyramiden sind gekennzeichnet durch eine gleichseitige Grundfläche mit zwar beliebig vielen, aber auf einem Kreis liegenden Ecken. Bei geraden Pyramiden steht die Körperachse senkrecht auf der Grundfläche. Je nachdem, ob es sich um regelmäßi-ge und/oder gerade Pyramiden handelt, sind die Seitenflächen deckungsgleiche oder verzerr-te Dreiecksflächen. Ist eine Pyramide „abgeschnitten“, sind also die Seitenflächen nicht bis zur Spitze durchgezogen, so spricht man von einem Pyramidenstumpf, der wiederum gerade oder schief geschnitten sein kann. Wenn dieser Schnitt parallel zur Grundfläche geführt wird, sind Deckfläche und Grundfläche kongruent. Der kürzeste Abstand beider Flächen voneinander wird als Höhe bezeichnet. Eine Sonderform unter den Pyramiden stellt das von vier deckungsgleichen und gleichseitigen Dreiecken begrenzte Tetraeder dar, denn bei die-sem kann nicht mehr zwischen Grund- und Seitenflächen unterschieden werden.

Bild 18-2 Pyramiden; a) regelmäßige, gerade Pyramide, b) regelmäßige, schiefe Pyramide, c) Pyramiden-stumpf einer regelmäßigen, geraden Pyramide, d) Tetraeder

Im Gegensatz zu den vorgenannten Körpern haben Zylinder und Kegel Grundflächen, die von gekrümmten Linien begrenzt sind, Bild 18-3. Bei einem Zylinder sind Grund- und Deckfläche ebene, deckungsgleiche und parallel liegende Flächen. Diese Flächen können zwar beliebig geformt sein, aber allgemein wird unter einem Zylinder ein von Kreisflächen begrenzter Körper (der Eindeutigkeit halber auch Kreiszylinder genannt) verstanden. Bei ge-neigter Achse entsteht ein schiefer Zylinder. Wenn Grund- und Deckflächen Ellipsen sind, trägt der entstehende Körper die Bezeichnung (schiefer bzw. gerader) elliptischer Zylinder.

Ein Kegel besitzt ebenfalls eine von gekrümmten Linien begrenzte Grundfläche. Er besitzt jedoch keine Deckfläche, sondern läuft in einer Spitze aus. Bei einem geraden Kreiskegel liegt die Spitze senkrecht über dem Mittelpunkt einer kreisförmigen Grundfläche; ein schie-

d) c) b) a)

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18.1 Grundkörper 309

fer Kreiskegel hat eine geneigte Körperachse. Selbstverständlich sind auch hier Modifikatio-nen zu schief geschnittenen Kegelstümpfen möglich.

Ein Kennzeichen von Zylindern und Kegeln ist, dass ihre Mantelflächen gekrümmt sind. Bei diesen Körpern besitzt die Mantelfläche eine einfache Krümmung.

Bild 18-3 Zylinder und Kegel; a) gerader Zylinder, b) schiefer Zylinder, c) gerader Kreiskegel, d) gerade geschnittener Kegelstumpf

Die Kugel ist ein Körper mit in alle Richtungen gleichförmig gewölbter Oberfläche. Man sagt auch, eine Kugel hat eine doppelt gekrümmte Mantelfläche. Der Abstand der Mantelfläche vom Kugelmittelpunkt ist an jeder Stelle gleich groß. Von jeder Seite aus betrachtet zeigt ein Kugelkörper dieselbe Ansicht. Führt man an irgendeiner Stelle der Kugel einen geraden Schnitt, so erhält man eine Kreisfläche, Bild 18-4. Der durch einen ebenen Schnitt von der Kugel abgetrennte Teil wird dann Kugelabschnitt oder auch Kalotte genannt.

Bild 18-4 Kugel und Kugelabschnitte

In der folgenden Tabelle 18-1 sind einige nützliche Berechnungsformeln für die oben ange-sprochenen Grundkörper zusammengestellt. Als Formelzeichen werden benutzt: V = Volumen, VS = Volumen eines geschnittenen Körpers (Stumpfes), AG = Grundfläche, AM = Mantelfläche, AO = Oberfläche, U = Umfang der Grundfläche, h = Höhe, r = Radius.

c) d) b) a)

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310 18 Darstellende Geometrie

Tabelle 18-1 Oberflächen (A) und Volumen (V) von Polyedern und Rotationskörpern

gerades Prisma; Kantenlängen a, b, c, ...

hAV G ⋅= ; hUAM ⋅= ;

MGO AA2A +⋅= ; ...cbaU +++=

Würfel (Hexaeder); Kantenlänge a

3aV = 2

O a6A ⋅=

gerade Pyramide; hier mit quadratischer Grundfläche; gerader Pyramidenstumpf mit Höhe hS

3ha

3hA

V2

1G ⋅=

⋅=

4aha2aA

222

O +⋅+=

3babahV

22

SS++

⋅=

Tetraeder; Kantenlänge a

122aV

3 ⋅=

3aA 2O ⋅=

gerader Kreiszylinder; Grund- und Deckfläche sind Kreisscheiben mit Radius r

hrhAV 2G ⋅⋅=⋅= π

π⋅⋅= r2U hUAM ⋅= ; π⋅= 2

G rA MGO AA2A +⋅=

gerader Kegel; Grundfläche ist eine Kreisscheibe mit Radius r1; gerader Kegelstumpf mit Höhe hS

hr31hA

31V 2

11G ⋅⋅⋅=⋅⋅= π

π⋅= 2G rA ; 1GMO AAA +=

2211M hrrA +⋅⋅= π

3rrrrhV

2221

21

SS++

⋅⋅= π

Kugel; Radius r; Kugelsegment mit Höhe h1; Kugelschicht mit Höhe h2

π⋅⋅= 3r34V ; π⋅⋅= 2

O r4A

3hr3

hV 1211

−⋅⋅= π

6hr3r3hV

22

22

21

22++

⋅⋅= π

h 1

h 2

r1

r2

h S

r1

r2 AG2

AG1

r

a

AG2

b

AG1 a

h S

a a a

b c

h

AG

a

h

h h

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18.2 Projektionen 311

18.2 Projektionen

Bevor auf die im Rahmen des Technischen Zeichnens gängigen perspektivischen Darstellun-gen, die sämtlich so genannte axonometrische Projektionen sind, eingegangen wird, seien ei-nige allgemeine Begriffe eingeführt und erläutert. Hier zunächst die Definition des Begriffes Projektion (hier noch nach DIN 5-10, die durch die DIN EN ISO 5456 ersetzt wurde): „Die Projektion ist im Zeichnungswesen eine Methode, bei der die bestimmenden Punkte eines Gegenstandes (z. B. Eckpunkte eines Körpers oder Auflösungspunkte einer Kurve) mit Hilfe von Projektionslinien (Strahlen) auf einer oder mehreren Bildebenen (Projektionsebenen) abgebildet werden.“

Der Begriff „Projektion“ hat streng genommen eine doppelte Bedeutung: Zum einen kann damit das in der obigen Definition beschriebene Abbildungsverfahren gemeint sein, zum an-deren das in der Bildebene daraus resultierende Ergebnis.

Den Mechanismus des Projizierens eines Körpers auf eine Bildebene kann man sich am ein-fachsten wie folgt vorstellen: Betrachter, abzubildender Körper und Bildebene stehen hinter-einander1. Der abzubildende Körper wird von bestimmten Flächen begrenzt. Jede Begren-zungsfläche hat eine bestimmte geometrische Form (z. B. Ebene, Zylindermantel) und ihrer-seits Begrenzungen, die diesmal allerdings räumliche Linien sind (Körperkanten, wie z. B. Strecken, Kreisbögen). Jede Flächenbegrenzungslinie lässt sich durch die erwähnten bestim-menden Punkte (z. B. Anfangs-, End-, Mittelpunkt) sowie gegebenenfalls durch zusätzliche Parameter (z. B. Radius) beschreiben.

Bild 18-5 Zentralprojektion eines Körpers auf eine Ebene als „Schattenwurf“

1 Vom Prinzip her spielt es dabei keine Rolle, ob man die Reihenfolge Betrachter-Körper-Bildebene oder Betrachter-Bildebene-Körper zugrunde legt.

Projektionsebene

Projektionszentrum

Projektion

Körper

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312 18 Darstellende Geometrie

Sehr anschaulich wird die Projektion eines Körpers auf eine Ebene, wenn man sich diese als „Schattenwurf“ vorstellt, den ein von einer Lichtquelle (z. B. Kerze) angestrahlter Körper auf eine Wand wirft. In Bild 18-5 ist so eine gedachte Lichtquelle (so genanntes Projektions-zentrum) dargestellt. Um die Körperkanten als Begrenzungen der Flächen des angestrahlten Körpers im Schattenbild zu erkennen, muss man sich den Körper − hier einen Würfel − als aus Draht geformt vorstellen. Der auf der Wand (der so genannten Projektionsebene) dann ersichtliche Schatten ist eine Projektion des Drahtmodells. Gut nachzuvollziehen ist an die-sem Beispiel, dass jede Bewegung des Projektionszentrums − hier der gedachten Lichtquelle − auch eine Veränderung des Schattenbildes nach sich zieht. Probieren Sie es aus: Eine Be-wegung der Lichtquelle auf den Körper zu, lässt das Schattenbild größer werden, eine größere Entfernung der Lichtquelle vom Körper lässt das Schattenbild kleiner werden, bis bei (theoretisch) unendlich weit weggerückter Lichtquelle das Schattenbild die gleiche Größe aufweist, wie der Körper. Verschiebungen der Lichtquelle nach rechts oder links las-sen die Projektion des abzubildenden Körpers verzerrt erscheinen.

Zur Ermittlung der Projektion des Körpers auf die Bildebene konzentriert man sich zunächst auf die bestimmenden Punkte des abzubildenden Körpers, indem vom Auge des Betrachters aus (in Bild 18-5 vom Projektionszentrum aus) Projektionslinien, gelegentlich auch als „Sehstrahlen“ oder „Projektionsstrahlen“ bezeichnet, auf diese Punkte gerichtet werden. In der Verlängerung treffen diese Projektionslinien auf die Bildebene und hinterlassen auf dieser die Projektionen der erfassten Punkte (Durchstoßpunkte der Projektionslinien durch die Bildebene). Aus diesen lässt sich in der Bildebene schrittweise die Projektion des Kör-pers insgesamt rekonstruieren, z. B. indem man die Projektionen des Anfangs- und des End-punktes einer geraden Körperkante mit einer Strecke verbindet, die dann die Projektion der betreffenden Körperkante darstellt.

Je nachdem, wie Betrachter, abzubildender Körper und Bildebene relativ zueinander liegen, haben die projizierten Linien gegenüber den realen Körperkanten eine andere Form (z. B. Ellipse statt Kreis) und/oder eine andere Ausdehnung (z. B. in der Projektion verkürzte Strecke, bis hin zum Extremfall der zum Punkt entarteten Strecke).

Bild 18-6 Fluchtpunktprojektion F1, F2 und F3 eines Würfels

Grundsätzlich unterscheidet man zwei Arten der Projektion: Bei der Zentralprojektion gehen sämtliche Projektionslinien von einem gemeinsamen Punkt aus, dem so genannten Projekti-onszentrum, Bild 18-5. Die in der Bildebene entstehenden Projektionen sind sämtlich so ge-

F3

F2 F1

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18.2 Projektionen 313

nannte Fluchtpunktprojektionen, wobei sich abhängig von der relativen Lage des Projek-tionszentrums, der Körperflächen und der Bildebene ein, zwei oder drei Fluchtpunkte (F1, F2, F3) entsprechend den drei Raumrichtungen ergeben können (Einzelheiten siehe DIN 5 Teil 10). Tatsächlich sehen wir sehr lange parallele Linien, beispielsweise Schienen oder Kanten von „Wolkenkratzern“ am Horizont bzw. in größerer Entfernung zusammenlaufen.

Das Verfahren der Zentralprojektion liefert also in Form der daraus resultierenden Flucht-punktprojektionen sehr anschauliche, da dem Ergebnis des menschlichen Sehens entspre-chende Abbildungen. Sie haben allerdings den „Schönheitsfehler“, dass die Projektionen ur-sprünglich parallel zueinander liegender Linien im Allgemeinen nicht mehr parallel verlau-fen und dass außerdem Kanten gleicher Länge in der Regel auf unterschiedliche Längen in der Bildebene projiziert werden, Bild 18-6. Die mit Hilfe der Zentralprojektion ermittelten Abbildungen von Körpern sind daher kaum sinnvoll maßstäblich zu interpretieren, was ihre Verwendung im technischen Bereich einschränkt. Die Zentralprojektion hat wegen der ge-botenen Realitätsnähe ihre Einsatzdomäne eher in der Kunst und wird deshalb gelegentlich auch als „künstlerische Perspektive“ bezeichnet.

Bei der Parallelprojektion verlaufen alle Projektionslinien parallel zueinander, Bild 18-7. Die Parallelprojektion kann demnach als Sonderfall der Zentralprojektion mit ins Unendli-che gerücktem Projektionszentrum aufgefasst werden. Die resultierenden Abbildungen sind im Vergleich zur Zentralprojektion relativ unaufwendig zu erstellen und vermeiden die für diese genannten „technischen“ Nachteile (Maßstäblichkeit, parallele Linien bleiben parallel und werden gleichmäßig verzerrt). Dies wird allerdings dadurch erkauft, dass die Abbildun-gen dem Betrachter gefühlsmäßig oft ein wenig „schief“ vorkommen, eben weil der Mecha-nismus des menschlichen Sehens eher der Zentralprojektion als der Parallelprojektion ähnelt.

Bild 18-7 Parallelprojektion eines Körpers auf eine Ebene als „Schattenwurf“

Im allgemeinen Fall kann bei der Parallelprojektion die Bildebene beliebig zu den Projek-tionslinien stehen. Steht die Bildebene senkrecht (orthogonal) zu den Projektionslinien (wie

Projektionszentrum im Unendlichen

Körper

Projektionsebene

Projektion

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314 18 Darstellende Geometrie

in Bild 18-7 bereits angenommen), so handelt es sich um den Sonderfall der orthogonalen Parallelprojektion. Die orthogonale Parallelprojektion ist das im Rahmen des Technischen Zeichnens nahezu ausschließlich angewendete Projektionsverfahren. Wird der durch ortho-gonale Parallelprojektion abzubildende Körper zusätzlich noch so gedreht, dass maßgebliche Flächen, Kanten oder Symmetrielinien parallel zur Bildebene verlaufen (d. h. senkrecht auf den Projektionslinien stehen), so spricht man von einer Normalprojektion, Bild 18-8. Die Bedeutung der Normalprojektion wird klar, wenn man bedenkt, dass hierbei die geringsten Verzerrungen der Abbildung gegenüber dem Original auftreten.

Der Nachteil bei der Normalprojektion ist der, dass in einer Projektionsebene immer nur eine Ansicht eines Bauteiles dargestellt werden kann. Um eine vollständige Wiedergabe des Bau-teiles zu erzielen, werden deshalb bei der technischen Darstellung im Allgemeinen drei − bei komplexeren Aufgabenstallungen auch mehr − verschiedene Ansichten des Bauteiles ange-fertigt. Diese drei Seiten des Körpers im Allgemeinen entsprechend der Vorderansicht, der Seitenansicht und der Draufsicht werden in einer Zeichnung vereinigt. Diese Art der Darstel-lung wird als Dreitafelprojektion bezeichnet. Im Kapitel 4 wird ausführlicher auf diese Form der Darstellung eingegangen.

Bild 18-8 Normalprojektion eines Körpers auf eine Ebene als „Schattenwurf“

Im Gegensatz dazu entstehen axonometrische Projektionen, wenn ein Körper mit Hilfe der Parallelprojektion so abgebildet wird, dass er in seinen drei Ausdehnungen (im Allgemeinen entsprechend der Vorderansicht, der Draufsicht, und einer Seitenansicht) gleichzeitig sicht-bar wird und dass in den entsprechenden Koordinatenrichtungen die Abmessungen des Kör-pers abgegriffen werden können. Der Begriff der axonometrischen Projektion verlangt nicht zwingend, dass es sich um eine orthogonale Parallelprojektion handelt, allerdings werden im Rahmen des Technischen Zeichnens überwiegend solche angewendet.

Die zwei in der Technik wichtigsten Arten der (orthogonalen) axonometrischen Projektion sind die Isometrie und die Dimetrie. Auf diese Projektionen wird im Kapitel 4 näher einge-gangen.

Projektionszentrum im Unendlichen

Körper

Projektion

Projektionsebene

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18.3 Projektionszeichnen 315

18.3 Projektionszeichnen

Im vorangegangenen Abschnitt wurde bereits der in der Darstellenden Geometrie zentrale Begriff der Projektion definiert. Danach ist das Abbilden von so genannten bestimmenden Punkten eines Gegenstandes (z. B. Eckpunkte eines Körpers oder Auflösungspunkte einer Kurve) auf einer oder mehreren Bildebenen (Projektionsebenen) der Hauptzweck der Projek-tion.

Wie man im Folgenden erkennen wird, lassen sich in der Tat nahezu alle Operationen der Darstellenden Geometrie auf Punktoperationen zurückführen, die auch im Falle komplexer Aufgabenstellungen „nur noch“ nach bestimmten Regeln mehrfach angewendet werden müssen. Aus den betrachteten bestimmenden Punkten lassen sich dann die Begrenzungskan-ten des abzubildenden Gegenstandes ermitteln, die ihrerseits dessen Begrenzungsflächen be-randen.

a) b)

Bild 18-9 Bestimmende Punkte von Gegenständen a) prismatischer und b) zylindrischer Geometrie

Bauteile, die ausschließlich von ebenen Flächen begrenzt werden, besitzen ausschließlich gerade Begrenzungskanten. Bei ihnen ist unmittelbar einsichtig, dass die zu betrachtenden bestimmenden Punkte die Eckpunkte (= Anfangs- bzw. Endpunkte der Begrenzungskanten) sind, Bild 18-9. Die Ermittlung der Kanten aus den Punkten ist relativ einfach, da gerade Kanten in jeder Projektion gerade bleiben (allenfalls zu Punkten entarten können) und daher nur noch die zusammengehörigen Eckpunkte paarweise durch Strecken zu verbinden sind. Die Kunst besteht demnach darin, den Überblick zu behalten, welche Kante durch welche Punkte bestimmt wird.

Bauteile mit gekrümmten Begrenzungsflächen (z. B. Zylinder-, Kegel-, Kugelflächen) haben demgegenüber nur sehr wenige Kanten (im Extremfall gar keine Kanten, z. B. Vollkugel), die darüber hinaus in der Regel nicht gerade, sondern gekrümmt und oft in sich geschlossen sind, so dass „Eckpunkte“ unter Umständen überhaupt nicht existieren. Auch die in solchen Fällen vorhandenen „natürlichen“ bestimmenden Punkte (z. B. Mittelpunkt des Vollkreises, der die ebene Deckfläche eines Zylinders begrenzt; Mittelpunkt einer Kugel) sind wenig hilfreich, weil sie in der Regel nicht auf den Begrenzungskanten, ja teilweise noch nicht ein-mal in den Begrenzungsflächen der abzubildenden Gegenstände liegen.

In solchen Fällen muss man sich die bestimmenden Punkte quasi selbst erzeugen, indem man auf die vorhandenen Kanten definierte Zwischenpunkte legt und/oder indem man eine Fläche netzartig mit definierten Hilfslinien überzieht, deren Schnittpunkte dann als bestim-mende Punkte dienen können, Bild 18-9 b). Auf die so gebildeten Hilfspunkte sind dann die

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316 18 Darstellende Geometrie

Operationen und Regeln der Darstellenden Geometrie genauso anwendbar wie auf die Eck-punkte prismatischer Körper. Allerdings ist die Rekonstruktion gekrümmter Kanten mit mehr Aufwand verbunden als die Rekonstruktion gerader Kanten (Strecken).

In analoger Weise kann man auf gekrümmten Flächen − insbesondere auf Zylinder- und Ke-gelflächen − „Hilfskanten“ errichten, die Mantellinien genannt werden. Normalerweise han-delt es sich hierbei um gerade Verbindungslinien zusammengehöriger Hilfspunkte, Bild 18-10 links, oder um gerade Verbindungslinien zwischen Hilfspunkten und „natürlichen“ be-stimmenden Punkten, Bild 18-10 rechts.

In der Darstellenden Geometrie werden Ansichten häufig als Risse bezeichnet. Vorderan-sicht, Draufsicht und Seitenansicht heißen dementsprechend Aufriss, Grundriss und Seiten-riss. Auch verwendet man anstelle des Begriffes Bildebene oder Projektionsebene gerne den Begriff Tafel. Im Weiteren werden jedoch die jeweils zuerst genannten, im Bereich des Technischen Zeichnens gebräuchlicheren Bezeichnungen Vorderansicht, Draufsicht und Sei-tenansicht beibehalten.

Die verschiedenen gleichzeitig in der Zeichenebene dargestellten Bildebenen (Tafeln) mit den jeweils zugeordneten Ansichten (Rissen) des abzubildenden Gegenstandes sind durch die so genannten Risskanten, die zum Teil auch Projektionsachsen genannt werden, vonein-ander abgegrenzt. Die Risskanten sind anschaulich gesprochen die „Knickstellen“ zwischen den einzelnen Bildebenen, sie teilen die Zeichenebene nach dem Auseinanderklappen der Bildebenen in „Bildfenster“ für die verschiedenen Ansichten auf. In der Darstellenden Geo-metrie empfiehlt es sich, die Risskanten auf der Zeichnung explizit darzustellen, auch wenn es sich streng genommen natürlich nur um gedachte Linien handelt.

Bild 18-10 Mantellinien

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18.3 Projektionszeichnen 317

Bild 18-11 Risskanten bei der Dreitafelprojektion, im Raum angeordnet und „aufgeklappt“

Bild 18-11 zeigt für den Fall der Dreitafelprojektion die Entstehung der Risskante x12 zwi-schen den Bildebenen π1 und π2, der Risskante x23 zwischen den Bildebenen π2 und π3 und schließlich der Risskante x13 zwischen den Bildebenen π1 und π3. Bei der orthogonalen Pa-rallelprojektion, die hier ausschließlich betrachtet wird, verlaufen alle Projektionslinien p1, p2, p3 in allen „Bildfenstern“ (pi', pi'', pi''') orthogonal zu den zugehörigen Risskanten1. (In der Darstellenden Geometrie werden die Projektionslinien gelegentlich auch „Ordnerlinien“ genannt.)

In Bild 18-11 ist zu sehen, dass die Risskante x13 durch das Auseinanderklappen der drei Bildebenen π1, π2, π3 in der Zeichenebene in zwei verschiedenen, hier senkrecht aufeinander stehenden Projektionen x13' und x13''' auftaucht. Aus diesem Grunde schließen auch die Pro-jektionslinien p3' und p1''' nicht direkt aneinander an, wie es beispielsweise bei den Projek-tionslinienpaaren p1''/p2' und p3''/p2''' der Fall ist. Um die „Umlenkung“ von p3' in p1''' oder umgekehrt zu schaffen, gibt es die drei in Bild 18-12 dargestellten Hilfskonstruktionen: Kreisbögen um den Schnittpunkt O zwischen x13' und x13'''; Winkelhalbierende zwischen x13' und x13''' (hier unter 45°); schräge Projektionslinien senkrecht zur Winkelhalbierenden zwi-schen x13' und x13'''.

Die wichtigste Grundregel der Darstellenden Geometrie besagt, dass aus zwei verschiedenen gegebenen Projektionen eines Gegenstandes jede weitere Projektion ableitbar ist (sofern die gegebenen Projektionen vollständig sind, was im Allgemeinen die jeweils verdeckten Kan-ten einschließt). Die theoretische Begründung für diese Regel ist, dass man zur Festlegung der gesuchten Projektion punktweise vorgeht (unter Ausnutzung der bestimmenden Punkte

1 Die Zugehörigkeit von Punktprojektionen, Projektionslinien o. Ä. zu einer Tafel wird durch Hochstriche gekennzeichnet. Ein Strich steht für die erste Tafel, zwei Striche für die zweite und drei Striche entspre-chend für die dritte Tafel.

P P'' P'''

P'

p3 p2 p1

π2 π3

π1

P'' P'''

P' p3'

p1''

p2'

p2'''

p1''' p3''

π1

π2 π3 x23

x13x12

x13

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318 18 Darstellende Geometrie

eines Gegenstandes, siehe oben) und dass man zur Bestimmung der Lage jedes Punktes in der gesuchten Projektion gerade zwei sich schneidende Projektionslinien (Ordnerlinien) be-nötigt, die man aus den zwei gegebenen Projektionen erhält. In der Darstellenden Geometrie spricht man anstatt von Projektions- oder Ordnerlinien auch häufig von zwei geometrischen Orten, deren Schnittpunkt die Lage eines Punktes in einer Projektion bestimmt.

Bild 18-12 Verfahren zur „Umlenkung“ von Projektionslinien (Projektion eines Punktes)

Die bildliche Erklärung, wie man aus zwei gegebenen Projektionen eine dritte ermittelt, geht für einen einzelnen Punkt bereits aus Bild 18-12 hervor (man beachte die Pfeile!). Nachfol-gend ist in Bild 18-13 bis Bild 18-15 die gleiche Konstruktion nacheinander für eine Stre-cke, eine (Vierecks-)Fläche und einen prismatischen Körper gezeigt. Exemplarisch sind in allen Fällen die Vorderansicht und die Draufsicht als gegeben betrachtet worden (Pro-jektionen auf die Bildebenen π1 und π2), die Seitenansicht von links (Projektion auf die Bild-ebene π3) ist jeweils gesucht. Das Verfahren funktioniert völlig analog, wenn andere Projek-tionen gegeben bzw. gesucht sind.

Bild 18-13 Projektion einer Linie (Strecke) Bild 18-14 Projektion einer Fläche (Viereck)

An den dargestellten Beispielen ist leicht zu erkennen, dass das Verfahren zur Projektion von Linien, Flächen und Körpern nichts anderes ist als die mehrfache Anwendung des Ver-fahrens zur Projektion eines einzelnen Punktes mit anschließendem Verbinden zueinander

1'' 1'''

1'

2''

2'

3''

4''

3'4'

2'''3'''

4''' π3π2

π1

1'' 1'''

1'

2'

2'' 2'''

π1

π2 π3

P'' P'''

P'

p1'''

p3' x13'

x13''' x12

x23

π1

π2 π3 P'' P'''

P'

p1'''

p3 x13'

x13'''x12

x23 π3 π2

π1

P'' P'''

P' p3' x13'

x13'''

x23

p1'''

x12

π1

π3 π2

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18.3 Projektionszeichnen 319

gehörender Punkte. Das gilt im Prinzip auch für gekrümmte Linien, Flächen und Körper, wenn man sich, wie oben erwähnt, einige bestimmende Punkte selbst erzeugt. Bild 18-16 zeigt dies für die Projektion eines schräg zur Bildebene π3 geneigten Vollkreises. Ein Hilfskreis1 liefert in den beiden gegebenen Projektionen (wiederum Bildebenen π1, π2) die auf dem Kreis liegenden Hilfspunkte 1 bis 8, die nach dem nun bekannten Verfahren in die Bildebene π3 (gesuchte Projektion) übertragen werden können. Die Verbindung der in die Bildebene π3 projizierten Hilfspunkte (z. B. mit dem Kurvenlineal durchzuführen) ergibt die gesuchte Figur. Es ist klar, dass man wahlweise auch mehr oder weniger Hilfspunkte als genau 8 einführen kann. Im Einzelfall hängt dies von der Größe des Kreises und von der gewünschten Zeichengenauigkeit ab.

Bild 18-15 Projektion eines Körpers (prismatischer, schief geschnittener Körper)

Es sei noch darauf hingewiesen, dass in vielen praktischen Fällen die Risskanten zwischen den Bildebenen (Projektionsebenen) nicht vorgegeben sind. Wenn nicht andere Gründe da-gegen sprechen (z. B. fest vorgegebenes x,y,z-Koordinatensystem), darf man dann die Lage der Risskanten relativ zu den gegebenen Ansichten beliebig wählen, da hierbei lediglich die Bildebenen in Bezug auf den abzubildenden Gegenstand verschoben werden. In horizontaler und/oder in vertikaler Richtung parallel verschobene Risskanten liefern dabei qualitativ identische, lediglich parallel verschobene Projektionsergebnisse, was in den meisten Fällen keine Rolle spielt.

1 Streng genommen ist der Hilfskreis eine weitere Projektion des betrachteten Gegenstandes auf eine Bild-ebene π4, die parallel zu dem Hilfskreis liegt. Sind die Verhältnisse so einfach überschaubar wie im vor-liegenden Fall, wird jedoch meistens auf die explizite Darstellung dieser (Hilfs-)Bildebene mit ihren schrägen Risskanten verzichtet (siehe auch unten).

π1

π2 π3

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320 18 Darstellende Geometrie

Bild 18-16 Projektion eines schräg liegenden Vollkreises

18.4 Wahre Größen von Linien und Flächen

Eine Frage, die bisher noch nicht angesprochen wurde, ist die nach der wahren Größe von Linien und Flächen. Eine Zeichnung gibt nämlich nur dann den wahren, d. h. unverkürzten Abstand zweier Punkte (die wahre Länge einer Strecke) wieder, wenn die diese Punkte ver-bindende Gerade parallel zur Bildebene verläuft. Analog dazu ergibt sich in der Zeichnung die wahre Größe einer einfach gekrümmten Linie nur dann, wenn die Ebene, welche diese Linie enthält, parallel zur Bildebene verläuft. Entsprechend geht die wahre Größe einer ebe-nen Fläche nur dann aus der Zeichnung hervor, wenn alle Begrenzungskanten dieser Fläche parallel zur Bildebene liegen1.

Vor diesem Hintergrund erkennt man bei der Betrachtung der Linien- und Flächenbeispiele in den vorangegangenen Bildern, dass weder die Strecke in Bild 18-13 noch die (Vierecks-) Fläche in Bild 8-14 noch der Kreis in Bild 18-16 in irgendeiner Ansicht in der wahren Größe dargestellt sind.

Da die Kenntnis der wahren Größe einer Linie oder Fläche in der Praxis vielfach eine überaus wichtige Information ist, wird im Folgenden auf die Verfahren zur Ermittlung der wahren Größen von Linien und von ebenen Flächen aus beliebigen Projektionen eingegan-gen. Grundsätzlich gibt es dazu zwei verschiedene Ansätze:

1 Für mehrfach gekrümmte Linien und für gekrümmte Flächen wird der Begriff „wahre Größe“ normaler-weise nicht verwendet, weil grundsätzlich in jeder Projektion (= Abbildung auf eine Bildebene) Verkür-zungen auftreten. Ein verwandter Fall ist allerdings die Abwicklung einer gekrümmten Fläche, die aber keine Projektion im üblichen Sinne ist.

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18.4 Wahre Größen von Linien und Flächen 321

1. Bei unveränderten Bildebenen Drehen der Linie bzw. der Fläche so, dass in einer Bildebene die wahre Größe erscheint.

2. Einführung einer zusätzlichen Bildebene, die schräg zu den gegebenen Projektionen liegt und gerade so gewählt wird, dass sie die Linie bzw. die Fläche in der wahren Größe wie-dergibt.

Der erste Ansatz bietet sich für einfachere Fälle (Linien), der zweite Ansatz für komplizier-tere Fälle (Flächen) an.

Zu Studienzwecken seien beide Ansätze am Beispiel der Strecke nach Bild 18-13 einander gegenübergestellt, obwohl man sich in der Praxis wegen der hier vorliegenden einfachen Verhältnisse wohl mit dem einfacheren ersten Ansatz begnügen würde.

Bild 18-17 Ermittlung der wahren Größe (Länge) einer Strecke nach Ansatz 1 (Drehen der Linie)

In Bild 18-13 liegt die Strecke so, dass alle Projektionen eine gegenüber der wahren Größe verkürzte Darstellung zeigen. Exemplarisch sei mittels des oben eingeführten ersten Ansat-zes (Drehen der Linie) die unverkürzte Größe der Strecke in der Vorderansicht konstruiert. (Dies wäre in analoger Weise auch in jeder beliebigen anderen Ansicht möglich.) Dazu wird die Strecke in der Draufsicht (Bildebene π1) um einen festen Punkt (gewählt wurde hier der Punkt 2') so weit gedreht, bis sie parallel zu einer der Risskanten, hier parallel zur Risskante x12 ausgerichtet ist (Bild 18-17). Räumlich gesehen entspricht dies einer Drehung der Stre-cke um eine Drehachse, die durch den Punkt 2 verläuft und senkrecht auf der Bildebene π1 steht. Der Punkt 2 ändert dadurch seine Lage nicht. Der Punkt 1 bleibt durch die Drehung in

1'' 1'''

1'

π2

2'

2'' 2'''

1*''

1*'

1*'''

x2

x'''13

x'13

x12

π1

π3

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322 18 Darstellende Geometrie

der Vorderansicht (Bildebene π2) und in der Seitenansicht (Bildebene π3) auf der gleichen Höhe wie zuvor, wandert jedoch in horizontaler Richtung etwas aus (neue Lage 1*, 1*'' in Bildebene π2 und 1*''' in Bildebene π3). Die Größe der horizontalen Verlagerung ergibt sich unmittelbar aus der Draufsicht (Bildebene π1). Die Verbindung der Punkte 2'' und 1*'' in der Vorderansicht (Bildebene π2) ist die gesuchte wahre Länge der Strecke.

Der zweite Ansatz zur Ermittlung der wahren Größe der Strecke nach Bild 18-13 ist die Einführung einer neuen Bildebene, die parallel zu der gegebenen Strecke liegt. Das bedeutet, dass die Risskante der neuen Bildebene in irgendeiner der vorhandenen Bildebenen parallel zu der betrachteten Strecke liegen muss. In Bild 18-18 ist die neue Bildebene π4 exempla-risch so gewählt, dass sie senkrecht auf der gegebenen Draufsicht (Bildebene π1) steht. Die zwischen π1 und π4 neu entstehende Risskante x14 ist dann eine Parallele zur Darstellung der Strecke in π1, wobei auch hier die genaue Lage der Risskante x14 keine Rolle spielt. Die Pro-jektionslinien der Punkte 1' und 2' auf die Bildebene π4 stehen senkrecht auf der Risskante x14. Die Schnittpunkte dieser Projektionslinien mit den aus der Bildebene π2 abgegriffenen „Höhen“ der Punkte 1 und 2 ergeben die Lage der Punkte 1'''' und 2'''' in der Bildebene π4. Ihre Verbindung ist die gesuchte wahre Länge der Strecke.

Bild 18-18 Ermittlung der wahren Größe (Länge) einer Strecke nach Ansatz 2 (Einführung der zusätzlichen Projektion π4)

Bei der Bestimmung der wahren Größe einer (ebenen) Fläche ergibt sich der einfachste Fall, wenn die Fläche senkrecht auf einer der gegebenen Bildebenen steht, in der sie dann natur-gemäß als Linie erscheint. Bild 18-19 zeigt diese Verhältnisse am Beispiel einer Vierecks-fläche, die senkrecht auf der Draufsicht (Bildebene π1) steht. Genau wie im vorangegange-

1'' 1'''

1'

2'

2'' 2'''

1''''

2''''

x23

x'''13

x'13

x12

π2

x14

π3

π4

π1

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18.4 Wahre Größen von Linien und Flächen 323

nen Beispiel (siehe Bild 18-18) wird eine neue Bildebene π4 so gewählt, dass sie senkrecht auf π1 steht und parallel zur Draufsicht auf die untersuchte Fläche verläuft. Die zwischen π1 und π4 neu entstehende Risskante ist x14. Die von den Eckpunkten 1', 2', 3' und 4' senkrecht zu x14 ausgehenden Projektionslinien sind der erste geometrische Ort zur Bestimmung der Lage der Eckpunkte in π4. Der zweite geometrische Ort ergibt sich wieder aus der Vorderan-sicht oder aus der Seitenansicht, indem die dort erkennbaren „Höhen“ der Punkte 1 bis 4 in die Bildebene π4 übertragen werden. Die Verbindung der auf diese Weise ermittelten Punkte 1'''' bis 4'''' ergibt die Vierecksfläche in wahrer Größe.

Steht eine ebene Fläche nicht senkrecht auf einer der gegebenen Bildebenen, sondern besitzt sie eine beliebige schräge räumliche Orientierung zu den Bildebenen, so ist das Vorgehen zur Bestimmung ihrer wahren Größe im allgemeinen Fall komplizierter.

Es gibt nur einen einzigen Sonderfall, der eine einfachere Konstruktion zulässt, nämlich den Fall der ebenen Dreiecksfläche mit geraden Begrenzungskanten. Da man aus drei Strecken ein Dreieck immer eindeutig zusammenfügen kann, genügt es in diesem Sonderfall, einzeln für die drei Begrenzungskanten nach einem der oben erläuterten Verfahren die wahre Länge zu ermitteln und aus den drei wahren Längen die Dreiecksfläche zu konstruieren.

Bild 18-19 Ermittlung der wahren Größe einer Fläche, die senkrecht auf einer der gegebenen Bildebenen steht (Einführung der zusätzlichen Projektion π4)

Bild 18-20 zeigt dies an einem Beispiel: Nach der in Bild 18-17 für eine einzelne Strecke demonstrierten Vorgehensweise werden alle drei Begrenzungskanten der Dreiecksfläche hier wieder in der Draufsicht (Bildebene π1) parallel zur Risskante x12 ausgerichtet, woraufhin

1'' 1'''

1'

2''

2'

3''

4''

3'

4'

2'''3'''

4'''

4''''

1''''

2''''

3''''

x12

π2

x14

x23

x34

π1

π3

π4

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324 18 Darstellende Geometrie

man ihre wahren Längen in der Vorderansicht (Bildebene π2, Strich-Zweipunktlinien) ab-greifen kann. Ausgehend von einer der drei Begrenzungskanten (hier AB) kann man dann mit Hilfe von Zirkelschlägen (hier mit der Länge AC um A und mit der Länge BC um B) die Dreiecksfläche in ihrer wahren Größe konstruieren.

Bild 18-20 Ermittlung der wahren Größe einer ebenen Dreiecksfläche durch Konstruktion der wahren Längen ihrer Begrenzungskanten

Das vorgestellte Verfahren zur Ermittlung der wahren Größe einer beliebig im Raum orien-tierten ebenen Dreiecksfläche lässt sich mit einem „Trick“ auch auf anders berandete Flä-chen ausdehnen, indem man die zu untersuchende Fläche in mehrere Dreiecksflächen zerlegt (z. B. Zerlegung eines Vierecks in zwei Dreiecke) und das Verfahren mehrfach anwendet. Darauf wird jedoch hier nicht weiter eingegangen.

Vielmehr soll auf das oben bereits angedeutete, nicht unkomplizierte allgemeine Verfahren zur Ermittlung der wahren Größe einer beliebig orientierten und beliebig berandeten ebenen Fläche eingegangen werden. Die Vorgehensweise wird im Folgenden exemplarisch an der gleichen Aufgabenstellung wie im vorangegangenen Beispiel (Dreiecksfläche nach Bild 18-20) aufgezeigt, obwohl man in der Praxis gerade für Dreiecksflächen natürlich das soeben erläuterte vereinfachte Verfahren vorziehen würde.

Die Schwierigkeiten des allgemeinen Verfahrens zur Bestimmung der wahren Größe einer Fläche ergeben sich aus zwei Gesichtspunkten:

1. Es ist zunächst unbekannt, wie die Risskante orientiert sein muss, die zwischen einer der gegebenen Bildebenen und der zur Darstellung der wahren Größe einzuführenden zusätz-lichen Bildebene liegt. Es muss ein eigener Arbeitsschritt vorangestellt werden, der in dieser Frage Klarheit schafft.

B''

C'''

C'

A'

A'' A'''

C''

B'

B'''

C*

C** B*

C

A B

π2

x'13

x12

x23

x'''13

π1

π3

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18.4 Wahre Größen von Linien und Flächen 325

2. Die neue Bildebene muss so eingeführt werden, dass sie parallel zu der in wahrer Größe darzustellenden Fläche liegt (siehe oben). Da die Fläche schräg im Raum liegt, erhält man eine Bildebene, die zu keiner der vorhandenen Bildebenen orthogonal ist. Dadurch wiede-rum unterscheiden sich die „Höhenkoordinaten“ auf der neuen Bildebene von denen auf allen anderen Bildebenen. Es muss deshalb eine zweite zusätzliche Bildebene eingeführt werden, aus der sich die „wahren Höhenkoordinaten“ abgreifen lassen.

Diese erste Frage, wie nämlich die Risskante zwischen einer der gegebenen Bildebenen und der neuen Bildebene orientiert sein muss, lässt sich mit Hilfe der so genannten Spur zwi-schen der (schrägen) Ebene, in der die betrachtete Fläche liegt, und einer oder mehreren der gegebenen Bildebenen klären.

Eine Spur ist ganz allgemein die beim Schnitt zweier (nicht paralleler) Ebenen entstehende Schnittgerade („Durchdringungskurve“, siehe auch den nachfolgenden Abschnitt 18.5). Bild 18-21 verdeutlicht dies am Beispiel einer schräg zu den drei Bildebenen π1, π2 und π3 einer Dreitafelprojektion liegenden Ebene E: Die Geraden e1, e2 und e3 sind die Spuren von E in den Bildebenen π1, π2 bzw. π3. Aus dem Beispiel lässt sich erkennen, dass die Kenntnis zweier Spuren die räumliche Lage der Ebene eindeutig festlegt.

Bild 18-21 Spuren e1, e2, e3 der Ebene E in den Bildebenen π1, π2, π3

Für die hier zur Diskussion stehende Aufgabe der Ermittlung der wahren Größe einer belie-bigen (ebenen) Fläche besteht also der erste Schritt darin, für die Ebene, in der die betrachte-te Fläche liegt, in mindestens einer Bildebene die Spur zu bestimmen. Ausgehend von der Draufsicht (Bildebene π1) und der Vorderansicht (Bildebene π2) der exemplarisch betrachte-ten Dreiecksfläche geschieht dies wie folgt (Bild 18-22):

Zwei Begrenzungskanten (hier AC und BC) werden ausgewählt und beispielsweise in der Vorderansicht (Bildebene π2) bis zur Risskante (x12) verlängert. Die Schnittpunkte zwischen den verlängerten Begrenzungskanten und der Risskante werden dann in die andere Bildebe-ne (hier π1) gelotet und dort mit der jeweils zugehörigen Verlängerung der gleichen Begren-zungskante zum Schnitt gebracht. Auf diese Weise entstehen in der Bildebene π1 zwei Punkte (hier S'AC, S'BC), von denen man weiß, dass sie auf der gesuchten Spur liegen. Da

e2 = Aufriss-Spur

π2

e3 = Seitenspur

e1 = Grundriss-Spur

E x12

x'13

x23

x'''13

e1

e2 e3 π3

π1

π2 π3

π1

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326 18 Darstellende Geometrie

jede Spur (wie alle Geraden) durch zwei Punkte bestimmt werden kann, ergibt die Verbin-dung der gefundenen Punkte unmittelbar die gesuchte Spur (hier e1 in π1). Analog verläuft die Ermittlung von e2 in der Bildebene π2. Hierauf wird nicht näher eingegangen, da zur Zeit nur die wahre Größe der gegebenen Dreiecksfläche interessiert (zu deren Bestimmung eine Spur ausreicht) und nicht etwa die allgemeine Charakterisierung der räumlichen Lage der Ebene, in der die Dreiecksfläche liegt.

Bild 18-22 Ermittlung der Spur e1 einer Fläche aus zwei gegebenen Ansichten (Bildebenen π1, π2)

Der oben dargelegte erste Arbeitsschritt bei der Bestimmung der wahren Größe einer be-liebig im Raum orientierten ebenen Fläche, der die Ermittlung der Risskante zwischen einer der gegebenen Bildebenen und der neu einzuführenden, parallel zur untersuchten Fläche liegenden Bildebene zum Inhalt hat, ist nun praktisch erledigt. Da in jeder Bildebene die Orientierung der (unendlich ausgedehnten) Ebene, in der die betrachtete Fläche liegt, gerade durch deren Spur vorgegeben wird, ist klar, dass die gesuchte Risskante parallel zu der ermittelten Spur liegen muss.

Bild 18-23 führt in diesem Sinne das begonnene Beispiel (Dreiecksfläche) weiter. Die Riss-kante x13 zwischen der gegebenen Bildebene π1 und der neu einzuführenden Bildebene π3 wird hier sogar nicht nur parallel zu, sondern genau identisch mit der Spur e1 gewählt. Die senkrecht zur Risskante x13 verlaufenden Projektionslinien der Punkte A' bis C' auf die Bild-ebene π3 liefern nun einen ersten geometrischen Ort für die Lage der Punkte A''' bis C''' in π3.

Wie oben schon angedeutet, muss nun berücksichtigt werden, dass die neue Bildebene π3 zwar in der gewünschten Weise parallel zu der in wahrer Größe darzustellenden Fläche liegt, jedoch auf keiner der gegebenen Bildebenen π1, π2 senkrecht steht. Deshalb lässt sich der zweite geometrische Ort zur Bestimmung der Lage der Punkte A''' bis C''' in π3 nicht unmit-telbar aus den gegebenen Bildebenen π1, π2 entnehmen, sondern es ist hierfür ein weiterer

B''

C'

A'

A''

C''

B'

e1

π2 x12

S'ACS'BC

π1

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18.4 Wahre Größen von Linien und Flächen 327

Zwischenschritt erforderlich. Im vorliegenden Fall geht es konkret um die Frage, wie groß die Abstände zwischen der Spur e1 und den Punkten A''' bis C''' in der schräg liegenden Bild-ebene π3 (und nicht etwa in einer der zuvor vorhandenen Bildebenen π1, π2!) sind.

Um diese Frage beantworten zu können, benötigt man eine weitere Bildebene π4, die gerade so gewählt wird, dass sie senkrecht auf der Ebene steht, in der die untersuchte Fläche liegt. Nur in dieser zusätzlichen Projektion kann man die wahren Längen der Abstände zwischen den Punkten A bis C und der Spur e1 unmittelbar abgreifen.

Bild 18-23 Einführung einer zusätzlichen Projektion (π3) zur Ermittlung der wahren Größe einer beliebig orientierten Fläche (Dreiecksfläche nach Bild 18-22)

Bild 18-23 zeigt exemplarisch die folgende Vorgehensweise: Senkrecht zur Spur e1 wird die Risskante x14 eingeführt. (Sie ist hier identisch mit der Projektionslinie des Punktes A' auf die Bildebene π3 gewählt, könnte aber auch parallel dazu an einer anderen Stelle liegen.) Die durch die Risskante x14 definierte zusätzliche Bildebene π4 steht senkrecht sowohl auf der Bildebene π1 als auch auf der Ebene, in der die betrachtete Dreiecksfläche liegt. Diese Ebene wird sich in π4 deshalb als Linie abbilden. Die Frage ist noch, welchen Winkel α diese Linie in π4 mit der Risskante x14 bildet.

B''

C'

A'

A''

C''

B'

h

h

B''''

A''''

C''''

x14

x12

e1 = x13 C'''

A'''

B'''

π4

α

π2

π1

π3

E

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328 18 Darstellende Geometrie

Eine erste Information hierzu liefert der Punkt E (Schnittpunkt zwischen der Risskante x14 und der Spur e1), der die in π4 zum Punkt entartete Spur e1 repräsentiert. Durch diesen Punkt muss die zur Linie entartete Projektion der Ebene laufen.

Die zweite notwendige Information liefert (beispielsweise) eine Betrachtung des Punktes A: Da sowohl die neue Bildebene π4 als auch die Bildebene π2 senkrecht auf π1 stehen, kann die Höhe h des Punktes A'' in π2 unmittelbar nach π4 übertragen werden, woraus sich die Lage von A'''' auf der vorher schon bekannten Projektionslinie unmittelbar ergibt. Die Verbindung von E und A'''' ist dann sofort die Abbildung der Ebene (als Linie), in der die betrachtete Dreiecksfläche liegt, in π4. In dieser Projektion der Ebene kann man dann die „wahren Hö-hen“ der Punkte A bis C unmittelbar abgreifen und auf den jeweiligen Projektionslinien in die Bildebene π3 übertragen. Durch die Verbindung der Punkte A''' bis C''' ergibt sich schließlich die gesuchte wahre Größe der Dreiecksfläche.

18.5 Durchdringungen

Werden zwei oder mehrere Körper so miteinander kombiniert, dass sie gemeinsame Volu-menbereiche besitzen, so entstehen so genannte Durchdringungen. Alle Aufgabenstellungen lassen sich auf den einfachsten Fall, die Kombination zweier Körper, zurückführen. Hierfür gibt es grundsätzlich die folgenden Verknüpfungsoperationen, Bild 18-24:

1. Vereinigung zweier Körper zu einem einzigen (häufig auch „Addition“ genannt)

2. Differenz zweier Körper („Subtraktion“ des Körpers 1 von Körper 2 oder umgekehrt)

3. Bildung des Schnittvolumens (gemeinsamen Volumens) zweier Körper („Kollisionsunter-suchung“)

Bild 18-24 Vereinigung, Differenz und Schnittvolumen zweier Körper; a) Körper 1 und Körper 2, b) Vereini-gung 1 ∪ 2, c) Differenz 1 \ 2, d) Differenz 2 \ 1, e) Schnittvolumen 1 ∩ 2

Insbesondere im Bereich des CAD nennt man diese Operationen wegen ihrer Verwandt-schaft mit der Mengenlehre (Bildung der Vereinigungs-, Differenz- und Schnittmenge) die Booleschen Operationen oder Booleschen Verknüpfungen. Sofern die betrachteten Körper überhaupt gemeinsame Volumenbereiche haben, entstehen bei der Ausführung einer Ver-knüpfung zweier Körper Durchdringungen, die im Folgenden besprochen werden sollen.

Bei der Verknüpfung bzw. Durchdringung zweier Volumen ist zu berücksichtigen, dass Durchdringungen stets nur auf den Oberflächen dieser Volumina sichtbar werden und es

1

2

d) c)

e)

a) b)

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18.5 Durchdringungen 329

deswegen genügt, die Verschneidung ihrer Begrenzungsflächen zu betrachten. Des Weiteren ist es möglich und auch sinnvoll, die Verschneidung von Flächen auf die Verschneidung einer Fläche mit einer Linie bzw. sogar auf den Schnitt zweier Linien zurückzuführen.

Bei der Verschneidung zweier Flächen ist grundsätzlich zu beachten, dass Flächen im ma-thematischen Sinne stets unendlich groß sind (unendlich ausgedehnte Ebene, unendlich lan-ger Zylindermantel, aber auch etwa die geschlossene Oberfläche einer Kugel). Deswegen haben streng genommen schon an den meisten Einzelkörpern Durchdringungen stattgefun-den, weil jede Körperkante nichts anderes ist als das Ergebnis einer Durchdringung zweier unendlich ausgedehnter Flächen, die den Körper begrenzen. Reale Körper können demge-genüber keine unendlich großen Begrenzungsflächen besitzen. Deswegen sind die theoreti-schen Schnittlinien häufig weitaus größer und liegen zum Teil völlig außerhalb des betrach-teten realen Körpers.

kein Schnitt

Schnitt: gerade Linie

Schnitt: einfach gekrümmteDurchdringungskurve

Schnitt: zweifach gekrümmteDurchdringungskurve

Durchdringung Fläche/Fläche

jaFlächen parallel?

Flächen eben?

eine Fläche eben undeine Fläche gekrümmt?

Flächen gekrümmt?

nein

ja

ja

ja

nein

nein

Bild 18-25 Durchdringung zweier Flächen

Die Flächen beider zu verknüpfender Körper sind paarweise daraufhin zu untersuchen, ob sie sich schneiden, siehe auch Bild 18-25. Trifft dies zu, so liefert der Schnitt zweier Flächen eine Linie. Sind beide untersuchten Flächen eben (und nicht parallel), so ergibt sich als Schnittfigur eine gerade Linie, die so genannte Spur. Ist eine der Flächen eine Ebene, die an-dere hingegen gekrümmt, so entsteht als Schnittfigur eine einfach gekrümmte Durchdrin-gungskurve. Sind beide Flächen gekrümmt, so ist die Durchdringungskurve zweifach ge-krümmt. Diejenigen Teile der theoretischen Schnittlinien, die innerhalb der endlichen Be-grenzungsflächen der realen Körper liegen, werden bei der Verknüpfung der Körper zu neuen Körperkanten.

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330 18 Darstellende Geometrie

nein

Durchdringung Fläche/Linie

ja

jaein Durchstoßpunkt

kein Schnittja

nein

mehrere Durchstoßpunktemöglich

ebene Fläche undgerade Linie parallel?

Fläche eben undLinie gerade?

Fläche undLinie gekrümmt?

Bild 18-26 Durchdringung von Fläche und Linie

Der Schnitt einer Linie mit einer Fläche(siehe auch Bild 18-26), bei der Verknüpfung zweier Körper etwa der Schnitt einer Kante des ersten mit einer Fläche des zweiten Körpers, liefert einen oder mehrere so genannte Durchstoßpunkte. Durchstoßpunkte sind stets Bestandteile von Spuren oder Durchdringungskurven. Ihre Bedeutung bei der Booleschen Verknüpfung zweier realer Körper liegt darin, dass sie vorher vorhandene Kanten oder durch die Verknüp-fung entstehende Schnittlinien auf „reale Größen“ begrenzen.

In der Darstellenden Geometrie geht man gerne so vor, dass man zuerst die Durchstoßpunkte ermittelt und erst anschließend daraus die Schnittlinie konstruiert. Am wichtigsten ist der Fall, dass eine Gerade eine ebene oder gekrümmte Fläche durchstößt.

Schließlich kann der Schnitt zweier Linien einen oder mehrere so genannte Schnittpunkte er-geben, Bild 18-27. Bei Geraden ist die Bedingung dafür, dass ein solcher Schnittpunkt über-haupt existiert: Die Geraden müssen in einer Ebene liegen und dürfen nicht parallel zuein-ander verlaufen. Für den Schnitt anderer Linien gelten entsprechende andere Existenzbedin-gungen, auf die hier nicht eingegangen wird. Schnittpunkte zwischen Linien (Kanten, Schnittlinien) sind immer gleichzeitig auch Durchstoßpunkte zwischen diesen Linien und den zugehörigen Flächen, weshalb ihnen bei der Verknüpfung zweier Körper im Prinzip die gleiche Bedeutung zukommt wie den Durchstoßpunkten (siehe Bild 18-27).

Allgemein gilt, dass Durchdringungen zur korrekten Darstellung eines durch die Verknüp-fung mehrerer (Grund-)Körper entstandenen Körpers, aber auch etwa zur Abwicklung der Mantelfläche eines Körpers unerlässlich sind, siehe Kapitel 18.6.

Zur Bearbeitung von Durchdringungen gibt es in der Darstellenden Geometrie eine Reihe von Verfahren, die für verschiedene Einsatzfälle unterschiedlich gut geeignet sind. Generell gilt, dass man mit einem gewissen Fingerspitzengefühl für jede Anwendung das am besten

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18.5 Durchdringungen 331

passende Verfahren auswählen oder durch Kombination von Einzelschritten mehrerer Ver-fahren quasi selbst zusammenstellen muss. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die gängigsten Fälle. Ergänzende Erläuterungen finden sich in der Literatur

nein

nein

Durchdringung Linie/Linie

ja

jaein Schnittpunkt

kein SchnittjaLinien gerade und parallel?

kein SchnittjaLinien gerade und nicht in einer Ebene?

nein

Linien gerade?

Linien gekrümmt? mehrere Schnittpunktemöglich

Bild 18-27 Durchdringung zweier Linien

Wie oben bereits angedeutet, gilt in der Darstellenden Geometrie die Ermittlung des Durch-stoßpunktes zwischen einer (begrenzten) Fläche und einer Geraden als die elementare Kon-struktion. Der einfachste Fall ist dabei die Ermittlung des Durchstoßpunktes zwischen einer ebenen Fläche und einer Geraden.

Zur Bestimmung des Durchstoßpunktes zwischen einer Ebene und einer Geraden führt man zunächst eine Hilfsebene ein, die so gewählt wird, dass sie einerseits die betrachtete Gerade enthält und dass sie andererseits orthogonal zu einer Bildebene steht (so genanntes Hilfsebe-nenverfahren). In dieser Bildebene fallen die Hilfsebene und die Gerade dann zusammen. In dem Beispiel nach Bild 18-28 steht die Hilfsebene senkrecht auf der Vorderansicht (Bildebe-ne π2). Die Schnittpunkte der Hilfsebene mit der gegebenen, hier dreieckig berandeten Flä-che (ABC) findet man dann einfach durch Herunterloten der Schnittpunkte zwischen der Ge-raden g'' (= Vorderansicht der Hilfsebene) und den Rändern der Fläche ABC aus der Vorder-ansicht in die Draufsicht. In der Draufsicht werden diese Schnittpunkte (S'AC, S'BC) sodann mit einer Strecke verbunden. Der Schnittpunkt dieser Strecke mit der Geraden g' ist der ge-suchte Durchstoßpunkt D, der nun nach den bekannten Methoden aus der Draufsicht (Bild-ebene π1) auch in die anderen Ansichten (Bildebenen π2, π3) übertragen werden kann.

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332 18 Darstellende Geometrie

Bild 18-28 Ermittlung des Durchstoßpunktes zwischen einer ebenen Fläche und einer Geraden

Begründung: Der erste Schritt liefert die Schnittkante zwischen der Hilfsebene und der gege-benen Fläche ABC. Die Schnittkante ist definiert als die Summe derjenigen Raumpunkte, die Hilfsebene und Fläche gemeinsam haben. Gleichzeitig ist bekannt, dass die Gerade g in der Hilfsebene liegt. Daraus folgt, dass der Schnittpunkt zwischen der Schnittkante und der Geraden g der gesuchte Durchstoßpunkt ist, weil nur dieser Punkt sowohl auf der Geraden g als auch auf der Fläche ABC liegt. Zu beachten ist noch, dass die Gerade g aufgrund der Durchdringung mit der Fläche ABC in jeder Ansicht auf einer Seite des Durchstoßpunktes von der Fläche ABC verdeckt wird. Welche „Hälfte“ der Geraden g verdeckt wird, muss man sich anhand der räumlichen Lage von Gerade und Fläche klar machen.

Die Ermittlung der Durchstoßpunkte zwischen einer Geraden und einer gekrümmten Fläche führt man ebenfalls mit Hilfe einer Hilfsebene durch, die hier allerdings im Allgemeinen an-ders gewählt wird. In dem Beispiel nach Bild 18-29 geht es zunächst um die Verschneidung einer Geraden g mit einer einfach gekrümmten Fläche (Kegelmantel). Hier führt man die Hilfsebene zweckmäßigerweise so ein, dass einerseits die Gerade g in ihr liegt und dass sie andererseits durch die Kegelspitze verläuft. Dazu werden zwei Punkte A und B auf der Ge-raden g willkürlich gewählt, der dritte Bestimmungspunkt der Hilfsebene ist die Spitze S des Kegels. Die (verlängerten) Verbindungslinien von S nach A bzw. B liefern in der Vorder-ansicht (Bildebene π2) zwei Schnittpunkte mit der Risskante x12, die man in die Draufsicht (Bildebene π1) übertragen kann. Ihre Verbindung ist die Spur der Hilfsebene in der Bildebe-ne π1. Die Spur schneidet die Kegel-Grundfläche an zwei Punkten, welche diejenigen beiden Mantellinien des Kegels definieren, die durch die gesuchten Durchstoßpunkte der Geraden g auf dem Kegelmantel verlaufen. Die Schnittpunkte dieser Mantellinien mit der Geraden g sind mit anderen Worten die beiden gesuchten Durchstoßpunkte (C, D).

g'''

Hilfsebene

A

B

C

Dg

C'''

C'

A'' A'''

B'''

C''

B'

A'

π2 g''

g'

S''AC

S''BC

S'AC

S'BC

D''

D'

D'''

B''

π1

π1

π2 π3

x12

x23

x13

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18.5 Durchdringungen 333

Bild 18-29 Ermittlung der Durchstoßpunkte zwischen einer einfach gekrümmten Fläche (hier Kegelmantel) und einer Geraden

Begründung: Wieder werden im ersten Schritt die Schnittkanten der Hilfsebene, die die Ge-rade g enthält, mit der gegebenen Fläche, hier also mit dem Kegelmantel konstruiert (Ermitt-lung der Raumpunkte, die Hilfsebene und Kegelmantel gemeinsam sind). Nur die Schnitt-punkte zwischen den Schnittkanten und der Geraden g liegen sowohl auf der Geraden als auch auf dem Kegelmantel. Sie sind folglich die gesuchten Durchstoßpunkte.

Die Ermittlung der Durchstoßpunkte zwischen einer Geraden und einer Fläche mit Hilfe ei-ner Hilfsebene kann auch dann durchgeführt werden, wenn die Fläche zweifach gekrümmt ist. Ein Beispiel zeigt Bild 18-30. Ähnlich wie im zuerst genannten Beispiel, siehe Bild 18-28, ist die Hilfsebene so gewählt, dass sie einerseits die Gerade g enthält und andererseits senkrecht auf einer der Bildebenen (hier π1, Draufsicht) steht, so dass die Projektionen von Hilfsebene und Gerade g in dieser Ansicht identisch sind. Die neu eingeführte Bildebene π4 liegt parallel zur Hilfsebene, so dass die Schnittlinie zwischen Kugel und Hilfsebene (in schmaler Linienbreite gezeichneter Vollkreis k) hier in ihrer wahren Größe erscheint. Den Verlauf der Geraden g in π4 erhält man mittels der Hilfspunkte A und B, deren Höhen (a, b) in π4 aus der Vorderansicht (π2) abgegriffen werden können. Die gesuchten Durchstoßpunk-te (C, D) zwischen der Kugeloberfläche und der Geraden g ergeben sich nun in der Bildebe-ne π4 als die Schnittpunkte zwischen dem Kreis k und der Geraden g (Begründung analog zu den vorangegangenen Beispielen). Sie können mittels der üblichen Projektionsverfahren ohne Schwierigkeiten in die anderen Bildebenen übertragen werden.

A''

C''

B' A'

π2

g''

g'

S'

S''

D''B''

C'

C'' D''

π1

D'

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334 18 Darstellende Geometrie

Bild 18-30 Ermittlung der Durchstoßpunkte zwischen einer zweifach gekrümmten Fläche (hier Kugel) und einer Geraden

D''''

C''''

k

g''''

B''''

A''''

A''

C''

D''

A'''

C'''

D'''

B'''B''

B'

D'

C'

A'

g'

g''g'''

a

a

m

b

b

m

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18.5 Durchdringungen 335

Bild 18-31 Ermittlung der (begrenzten) Schnittlinie zwischen zwei ebenen Flächen mit geraden Begrenzungs-kanten

Die als nächste im Zusammenhang mit Durchdringungen zu behandelnde Fragestellung ist die Ermittlung der (begrenzten) Schnittlinien zwischen den Flächen zu verknüpfender Kör-per. Der einfachste Fall ist die Verschneidung zweier ebener Flächen. Die gesuchte Schnitt-linie ist hier ein Teil der Spur, die sich aus dem Schnitt der (unendlich ausgedehnten) Ebe-nen ergibt, in denen die betrachteten Flächen liegen. Sind die ebenen Flächen, die zum Schnitt gebracht werden sollen, ausschließlich von geraden Kanten begrenzt, so ermittelt man die Schnittlinie am besten durch mehrmalige Anwendung des oben beschriebenen Ver-fahrens zur Bestimmung des Durchstoßpunktes zwischen einer Geraden und einer ebenen Fläche, siehe Bild 18-28. Die gefundenen Durchstoßpunkte sind dann lediglich noch durch Strecken zu verbinden. Bild 18-31 zeigt als Beispiel die Schnittlinie zwischen zwei drei-eckig berandeten ebenen Flächen. Auch hier ist zu beachten, dass sich im Allgemeinen zu beiden Seiten der gefundenen Schnittlinie bestimmte Teilbereiche beider Flächen wechsel-seitig überdecken. Die Lage der überdeckten Bereiche ergibt sich aus der Relativlage der Flächen, wie sie aus den Ansichten ersichtlich ist.

Werden die betrachteten ebenen Flächen nicht von geraden, sondern von gekrümmten Kan-ten begrenzt, so führt man auf einer der Flächen „Hilfsgeraden“ ein, von denen man weiß, dass sie in der Ebene dieser Fläche liegen (z. B. Sekanten zwischen Anfangs- und Endpunkt der gekrümmten Kanten). Das soeben beschriebene Verfahren wird dann auf diese Hilfsge-raden angewendet, woraus man die Durchstoßpunkte der Hilfsgeraden durch die andere Flä-

C''

E''

F''

B'' D''

A''

H''

G''

D'

E'

F'

B'

A'

C'

H'

G'

π2 π1

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336 18 Darstellende Geometrie

che erhält. Damit ist die Richtung der Spur eindeutig definiert. Die gesuchte (begrenzte) Schnittlinie zwischen den Flächen ist dann derjenige Teil der Spur, der zwischen den tat-sächlichen, hier gekrümmten Begrenzungskanten der Fläche liegt.

Bild 18-32 Durchdringung zwischen Vierkantprisma und Rechteckpyramide

Durch Mehrfachanwendung des beschriebenen Verfahrens lassen sich alle Durchdringungen von Körpern, die durch ebene Flächen begrenzt werden (prismatische Körper), ermitteln. In Bild 18-32 ist exemplarisch die schräge Durchdringung eines Vierkantprismas mit einer Rechteckpyramide gezeigt.

Bei der Durchdringung einer ebenen mit einer gekrümmten Fläche oder zweier gekrümmter Flächen ergeben sich einfach bzw. zweifach gekrümmte Durchdringungskurven (siehe oben). Zu ihrer Ermittlung bedient man sich in vielen Fällen der Mantellinien auf der bzw. den gekrümmten Fläche(n) als „Hilfskanten“ (siehe Bild 18-10). Eine durchgängige Num-merierung der Mantellinien in allen Ansichten ist hierbei von großem Vorteil, um die Über-sicht zu behalten.

Die Bestimmung einer Durchdringungskurve, die durch die Verschneidung zweier ge-krümmter Flächen entsteht, kann mit Hilfe der Mantellinien beispielsweise so durchgeführt werden, dass man die Durchstoßpunkte der Mantellinien des einen Körpers durch die Be-

Hilfsschnittfläche

π1

π2 π3

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18.5 Durchdringungen 337

grenzungsfläche des anderen Körpers sucht. Das entsprechende Verfahren wurde oben schon erläutert, siehe Bild 18-29 und Bild 18-30. Die Durchdringungskurven ergeben sich dann aus den Verbindungen der gefundenen Durchstoßpunkte in den einzelnen Projektionen.

Bild 18-33 Ermittlung der Durchdrin-gungskurve zweier Zylinder unterschied-lichen Durchmessers

Bild 18-33 zeigt als erstes Beispiel die Durchdringung zweier Kreiszylinder unterschiedli-chen Durchmessers unter 90°. Es genügt, Mantellinien auf den kleineren Zylinder aufzubrin-gen. Aufgrund der in diesem Fall vorliegenden Projektionen ergibt der Schnittpunkt jeder Mantellinie mit der in der Draufsicht als Kreis erscheinenden Mantelfläche des größeren Zy-linders sofort den ersten geometrischen Ort für den zugehörigen Durchstoßpunkt zwischen Mantellinie und dem Mantel des größten Zylinders. Der zweite geometrische Ort resultiert aus der Lage der jeweils gleichen Mantellinie in der Vorderansicht. Auf diese Weise lässt sich die Durchdringungskurve der beiden Zylinder in der Vorderansicht sehr einfach punkt-weise ermitteln. (In der Draufsicht entfällt die Konstruktion der Durchdringungskurve, weil sie auf der kreisförmigen Projektion des größeren Zylinders liegt und damit nicht als eigen-ständige Linie sichtbar ist.)

Bild 18-34 zeigt ein ähnlich gelagertes, insgesamt jedoch etwas komplizierteres Beispiel. Wieder handelt es sich um eine Durchdringung zweier unterschiedlich großer Kreiszylinder, diesmal jedoch schneiden sich deren Achsen nicht (kleinerer Zylinder gegenüber dem größe-ren versetzt und schräg gestellt). Wie im vorangegangenen Beispiel werden zur Ermittlung der Durchdringungskurven auf den kleineren Zylinder Mantellinien aufgebracht. Den ersten geometrischen Ort für den Durchstoßpunkt jeder Mantellinie durch die Mantelfläche des

0 12

3

4567

89

1011 0 1

2 3 4 5 6

6 7 8 9

5

3

87

65

4321

0

91011

4

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338 18 Darstellende Geometrie

012

3456

78

910 11

01

23

45

6

678

9

5

3

876

5432

1

0

91011

4 210

1110

größeren Zylinders bestimmt man wieder in der Draufsicht (Schnittpunkt der betreffenden Mantellinie mit der kreisförmigen Projektion des größeren Zylinders). Projektionslinien dieses Schnittpunktes werden in die Vorderansicht übertragen und dort mit der entsprechen-den Mantellinie des kleineren Zylinders zum Schnitt gebracht, woraus die Lage des Durch-stoßpunktes unmittelbar resultiert. Punktweise entsteht so die Durchdringungskurve in der Vorderansicht. Die Mantellinien werden auch für die Konstruktion der Deckfläche des kleineren Zylinders, der in der Vorderansicht elliptisch erscheint, benutzt.

Bild 18-34 Ermittlung der Durch-dringungskurven zweier Zylinder mit unterschiedlichen Durchmes-sern und versetzten Achsen

Mit diesen Ausführungen seien die Erklärungen zum Hilfsebenenverfahren abgeschlossen. Alle hier betrachteten Fälle können unter Anwendung dieses Verfahrens gelöst werden. Es sei allerdings erwähnt, dass es auch noch andere Verfahren, z. B. das Hilfskugelverfahren, gibt.

18.6 Abwicklungen

Abwicklungen entstehen, wenn man die Begrenzungsflächen (Mantelflächen) eines Körpers in die Zeichenebene „auseinanderfaltet“. Nur ebene und einfach gekrümmte Flächen können exakt abgewickelt werden. Wie es vom „Weltkarten-“ oder „Apfelsinenschalenproblem“ her bekannt ist, lassen sich bei der Abwicklung zweifach gekrümmter Flächen Verzerrungen niemals vermeiden.

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18.6 Abwicklungen 339

Für die Ermittlung der Abwicklung eines zusammengesetzten Körpers ist die Kenntnis der im vorangegangenen Abschnitt behandelten Durchdringungskurven eine elementare Voraus-setzung, da sich diese in der abgewickelten Oberfläche als Berandungen von „Löchern“ ab-bilden. Zu bedenken ist auch, dass sich zusammengesetzte Körper in der Regel nicht auf nur eine einzige zusammenhängende Fläche abwickeln lassen. Vielmehr ergeben sich in diesen Fällen normalerweise für die Einzelelemente, aus denen der zusammengesetzte Körper be-steht, mehrere getrennte Abwicklungen.

Die Abwicklung von prismatischen Körpern ist recht einfach. Sie entsteht im Wesentlichen durch das Aneinanderhängen aller Begrenzungsflächen des Körpers in ihrer wahren Größe so, dass sie sich paarweise an den jeweils gemeinsamen Kanten berühren. Dies ist möglich, da jede Kante zwingend genau zwei Flächen begrenzt. Anderenfalls wäre der Körper nicht geschlossen, was in der Realität unmöglich ist.

Bild 18-35 Abwicklung des Vierkantprismas nach Bild 18-32

Bild 18-35 zeigt die Abwicklung des Vierkantprismas aus dem dargestellten Durchdrin-gungskörper. Zur Konstruktion dieser Abwicklung werden zunächst die Mantel- und die Deckflächen des Vierkantprismas einzeln und noch ohne Berücksichtigung der Durchdrin-gungsverhältnisse zu Papier gebracht. Die dazu erforderlichen wahren Längen der Kanten lassen sich direkt aus der gegebenen Bildebene (Bildebene π2 nach Bild 18-32) abgreifen.

Da bei der Durchdringung zwischen den beiden Körpern ausschließlich Schnitte zwischen ebenen Flächen vorkommen, sind alle sich ergebenden Durchdringungslinien Strecken. Es genügt daher, für jede Strecke, die Bestandteil der Durchdringungslinien ist, den Anfangs- und den Endpunkt aus den Ansichten in die Abwicklung zu übernehmen. Am einfachsten gelingt dies für diejenigen Punkte, die auf den Kanten der beiden Körper liegen. Ihre Lage auf der betreffenden Kante lässt sich aus einer der Ansichten unmittelbar in die Abwicklung übertragen. Die Lage der anderen Punkte kann man entweder durch Zirkelschläge ausgehend

a b c d a a b

cd

w

u

a

b

c

u

w

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340 18 Darstellende Geometrie

von den zuvor ermittelten, auf den Kanten liegenden Punkten bestimmen, oder es werden in horizontaler und vertikaler Richtung − bezogen auf die Abwicklung − Hilfsabstände zu den Kanten eingeführt und eingetragen (Strecken u und w in Bild 18-35). Analog wird bei der Konstruktion der Abwicklung der Rechteckpyramide verfahren.

Die Vorgehensweise bei der Abwicklung von Körpern mit (einfach) gekrümmten Flächen ist im Prinzip ähnlich. Allerdings werden anstelle der bei prismatischen Körpern vorhandenen Kanten Mantellinien verwendet. Bild 18-36 zeigt als Beispiel einen schräg geschnittenen Kreiszylinder (Verschneidung eines Zylinders mit einer Schnittebene, die senkrecht auf π2 steht). Zur Abwicklung der Mantelfläche des schräg geschnittenen Zylinders wird zunächst entweder der Umfang errechnet (U = d ⋅ π), abgetragen und in zwölf gleiche Teile unterteilt, oder es wird näherungsweise das Maß der Sekante zwischen zwei Punkten der Draufsicht mit einem Zirkel abgegriffen und zwölfmal auf der Grundlinie der Mantelabwicklung abge-tragen. Die Höhe der Mantellinien ergibt sich aus der Vorder- oder Seitenansicht. Die Kon-struktion der Grundfläche (untere Deckfläche) des Zylinders ist trivial (Kreis). Im Gegensatz hierzu muss die obere, elliptische Deckfläche in ihrer wahren Größe extra konstruiert wer-den (aus Bildebene π2 entwickelte Zusatzprojektion).

Bild 18-36 Abwicklung eines schräg geschnittenen Zylinders nach dem Mantellinienverfahren

Auch zum Thema „Abwicklungen“ sei für zusätzliche Beispiele und Verfahren abschließend auf weitere Literatur verwiesen.

8

5 4

32

1

09

1 0 1 1

67 8

9

5

3

7 4

3

2

1

0

9 10 11 1 2

12

1 0 1 1

1 2 6

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1112

0 1

2

3 4 5 6 2 1 0

wahre Größe der Deckfläche

Grundfläche