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271 19 Postmenopausale Osteoporose 19.1 Definitionen und Häufigkeiten Die wichtigsten Fachbegriffe werden wie folgt definiert: Osteoporose: systemische Skeletterkrankung, die durch eine niedrige Knochen- masse und eine Verschlechterung der Mikroarchitektur des Knochengewebes charakterisiert und mit einer vermehrten Knochenbrüchigkeit assoziiert ist. Die Klassifikation der World Health Organisation (WHO) unterscheidet – basierend auf der Knochendichtemessung (T-Wert) – eine Osteopenie als Vorstufe der Osteo- porose (T-Wert –1 bis –2,5) und Osteoporose (T-Wert < –2,5); Prävalenz: T-Wert < –2,5: 7 % (55 Jahre) und 19 % (80 Jahre). Manifeste Osteoporose: Auftreten von mindestens einer Fraktur als Folge der Osteoporose. Das Lebenszeitrisiko für eine osteoporotische Fraktur beträgt für eine 50-jährige Frau etwa 50 %. 19.2 Einführung Die Osteoporose zählt zu den sog. Volkskrankheiten. Frauen sind aufgrund des me- nopausenbedingten Östrogenabfalls am häufigsten davon betroffen. Entscheidend für eine erfolgreiche Frakturprävention ist zunächst die Kenntnis der Risikofaktoren für eine Osteoporose, aus denen sich die weiterführende Diagnostik ableitet. Abbildung 19-1 zeigt das diagnostisch-therapeutische Vorgehen, welches die Ba- sisdiagnostik mit Erhebung der Risikofaktoren und Bildgebung sowie eine wei- terführende Labordiagnostik umfasst (Kap. 19.5.1 und 19.5.2). Eine Basistherapie (Kap. 19.6.1) ist immer zu empfehlen. Die Indikation für eine spezifische Pharmako- therapie (Kap. 19.6.2) richtet sich nach dem 10-Jahres-Frakturrisiko bzw. dem T-Wert. Die erforderlichen Verlaufskontrollen sind in Kap. 19.7 dargestellt. 19.3 Ätiologie Ungleichgewicht zwischen Knochenaufbau und -resorption. 95 % primär: überwiegend postmenopausal (Alter 50–70 Jahre); Verhältnis Frau zu Mann (Alter > 70 Jahre) 2:1 5 % sekundär (Tab. 19-1) Idiopathisch (selten) 19.4 Klinik Folgende klinische Zeichen weisen auf eine Osteoporose hin: Oft keine Symptome vor der ersten Fraktur Pathologisch gesteigerte Frakturbereitschaft, Spontanfrakturen

19 Postmenopausale Osteoporose€¦ · Schattauer – Wolff, Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin – Herstellung: Frau Gnädig – 7. Juni 2013 – Druckdaten

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Schattauer – Wolff, Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin – Herstellung: Frau Gnädig – 7. Juni 2013 – Druckdaten – Seite 270

Schattauer – Wolff, Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin – Herstellung: Frau Gnädig – 7. Juni 2013 – Druckdaten – Seite 271

271

19 Postmenopausale Osteoporose

19.1 Definitionen und Häufigkeiten

Die wichtigsten Fachbegriffe werden wie folgt definiert:• Osteoporose: systemische Skeletterkrankung, die durch eine niedrige Knochen-

masse und eine Verschlechterung der Mikroarchitektur des Knochengewebes charakterisiert und mit einer vermehrten Knochenbrüchigkeit assoziiert ist. Die Klassifikation der World Health Organisation (WHO) unterscheidet – basierend auf der Knochendichtemessung (T-Wert) – eine Osteopenie als Vorstufe der Osteo-porose (T-Wert –1 bis –2,5) und Osteoporose (T-Wert < –2,5); Prävalenz: T-Wert < –2,5: 7 % (55 Jahre) und 19 % (80 Jahre).

• Manifeste Osteoporose: Auftreten von mindestens einer Fraktur als Folge der Osteoporose. Das Lebenszeitrisiko für eine osteoporotische Fraktur beträgt für eine 50-jährige Frau etwa 50 %.

19.2 Einführung

Die Osteoporose zählt zu den sog. Volkskrankheiten. Frauen sind aufgrund des me-nopausenbedingten Östrogenabfalls am häufigsten davon betroffen. Entscheidend für eine erfolgreiche Frakturprävention ist zunächst die Kenntnis der Risikofaktoren für eine Osteoporose, aus denen sich die weiterführende Diagnostik ableitet.

Abbildung 19-1 zeigt das diagnostisch-therapeutische Vorgehen, welches die Ba-sisdiagnostik mit Erhebung der Risikofaktoren und Bildgebung sowie eine wei-terführende Labordiagnostik umfasst (Kap. 19.5.1 und 19.5.2). Eine Basistherapie (Kap. 19.6.1) ist immer zu empfehlen. Die Indikation für eine spezifische Pharmako-therapie (Kap. 19.6.2) richtet sich nach dem 10-Jahres-Frakturrisiko bzw. dem T-Wert. Die erforderlichen Verlaufskontrollen sind in Kap. 19.7 dargestellt.

19.3 Ätiologie

Ungleichgewicht zwischen Knochenaufbau und -resorption.• 95 % primär: überwiegend postmenopausal (Alter 50–70 Jahre); Verhältnis Frau

zu Mann (Alter > 70 Jahre) 2:1• 5 % sekundär (Tab. 19-1)• Idiopathisch (selten)

19.4 Klinik

Folgende klinische Zeichen weisen auf eine Osteoporose hin:• Oft keine Symptome vor der ersten Fraktur• Pathologisch gesteigerte Frakturbereitschaft, Spontanfrakturen

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272 19 Postmenopausale Osteoporose

Abb. 19-1 Diagnostisches und therapeutisches Vorgehen bei Osteoporose

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27319.4 Klinik

Tab. 19-1 Risikofaktoren für ein erhöhtes Frakturrisiko und Indikation für eine diagnostische Intervention (nach DVO 2009)

Alter < 50 Jahre 50–60 Jahre > 60 Jahre

Wirbelfraktur(en) + (D) + (A) + (A)

Orale Glukokortikoide > 5,0 mg/Tag1 + (A) + (A) + (A)

Prednisolonäquivalent > 3 Monate + (B) + (B) + (A)

Cushing-Syndrom + (D) + (D) + (B)

Subklinischer Hyperkortisolismus + (B) + (B) + (B)

Primärer Hyperparathyreoidismus + (D) + (B) + (B)

Hypogonadismus (auch vorzeitige Menopause < 40. Lj.)

+ (D) + (A)

Therapie mit Glitazonen + (B) + (B)

Wachstumshormonmangel bei Hypophysen-insuffizienz

* + (A)

Nicht vertebrale Fraktur(en) > 50. Lj. * + (A)

Therapie mit Aromatasehemmern *

Rheumatoide Arthritis + (A)

Proximale Femurfraktur eines Elternteils + (A)

Epilepsie/Antiepileptika + (A)

Untergewicht (BMI < 20) + (A)

Nikotinkonsum + (A)

Multiple Stürze (> 1-mal in den letzten 12  Monaten)

+ (A)

Immobilität (kann ohne fremde Hilfe nicht ins Freie)

+ (A–B)

Diabetes mellitus Typ 1 + (A)

Z. n. Billroth-II-Operation oder Gastrektomie + (A)

TSH-Wert < 0,3 mU/l + (B)

Sturzbegünstigende Medikamente ( Antidepressiva, Sedativa)

+ (B–D)

* Einzelfallentscheidung; + Indikation für diagnostische Intervention (DXA, evtl. zusätzliche Laborun-tersuchungen) aufgrund erhöhtem 10-Jahres-Frakturrisiko > 20 % an Wirbelkörpern und proximalem Femur. A, B, C, D = Evidenzgrade (A = sehr gut bis D = schlecht)1 International unterschiedliche Dosisgrenzwerte je nach Fachgesellschaft

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Schattauer – Wolff, Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin – Herstellung: Frau Gnädig – 7. Juni 2013 – Druckdaten – Seite 274

Schattauer – Wolff, Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin – Herstellung: Frau Gnädig – 7. Juni 2013 – Druckdaten – Seite 275

274 19 Postmenopausale Osteoporose

• Rundrücken, Buckel-(Gibbus-)Bildung und Reduktion der Körpergröße (> 3–4 cm) mit tannenbaumartigen Hautfalten am Rücken durch Zusammensinterung von Wirbelkörpern (WK)

• Langzeitfolgen von Frakturen: Einschränkung der Lebensqualität, akute und chronische Schmerzen, funktionelle Einschränkungen, Zunahme von Refluxbe-schwerden, erhöhte Bereitschaft für weitere Frakturen, Neigung zu Obstipation und Atembeschwerden sowie erhöhte Mortalität

19.5 Diagnostik

Eine Diagnostik wird bei allen Personen, bei denen anhand klinischer Risikofaktoren (Tab. 19-1) ein erhöhtes Frakturrisiko zu erwarten ist, und beim Vorliegen sekundärer Ursachen für eine Osteoporose empfohlen (Leitlinie des Dachverbands der deutsch-sprachigen osteologischen Fachgesellschaften: DVO 2009).

19.5.1 Basisdiagnostik

Anamnese und körperliche Untersuchung• Anamnese: Allgemeinzustand, Beschwerdebild, Risikofaktoren (Tab. 19-1), Frak-

tur- und Sturzanamnese, Krankheiten oder Medikamente mit Einfluss auf den Knochenstoffwechsel oder auf Stürze

• Körperliche Untersuchung: Körpergröße und -gewicht (BMI), Beurteilung des Sturzrisikos per »Short Physical Performance Battery« oder Einzeltests wie »Timed-up-and-go«, »Chair-rising-Test« und Tandemmanöver (Testablauf: DVO 2009)

Evaluation des Frakturrisikos per FRAXDer von der WHO entwickelte Algorithmus FRAX (WHO Fracture Risk Assessment) schätzt das absolute 10-Jahres-Risiko für Hüftfrakturen und das 10-Jahres-Risiko für weitere schwere Frakturen (Hüfte, Wirbelsäule, Unterarm, proximaler Humerus; www.shef.ac.uk/FRAX; Kanis et al. 2005). Die Evaluation des 10-Jahres-Frakturrisi-kos mit FRAX basiert auf dem Alter und den folgenden Risikofaktoren:• Bereits erlittene Fraktur (nach dem 40. Lebensjahr, außer Hand, Fuß und Schädel)• Proximale Femurfraktur eines Elternteils• Nikotin-/Alkoholkonsum (> 3 Einheiten Alkohol; 1 Einheit = 285 ml Bier, 30 ml

Spirituosen, 120 ml Wein oder 60 ml Aperitif)• BMI ≤ 20• Glukokortikoidtherapie (jetzt oder früher > 3 Monate täglich oral > 5 mg Predni-

solon bzw. Prednisolonäquivalenz)• Rheumatoide Arthritis• Andere sekundäre Ursachen für Osteoporose, z. B. Diabetes mellitus Typ 1, Os-

teogenesis imperfecta bei Erwachsenen, langjährige, unbehandelte Hyperthyreose, Hypogonadismus/frühe Menopause (< 45  Jahre), chronische Mangelernährung, Malabsorption, chronische Lebererkrankungen