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2. PäB-Tagung: Gute Beratung nachhaltig gestalten Speyer, 5. September 2012 Prof. Dr. Diethelm Wahl Psychologie und Erwachsenenbildung [email protected]

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2. PäB-Tagung:

Gute Beratung nachhaltig gestalten

Speyer, 5. September 2012

Prof. Dr. Diethelm Wahl

Psychologie und Erwachsenenbildung

[email protected]

An der Pädagogischen Hochschule Weingarten (Nähe Bodensee; University of

Education) hat Prof. Dr. Diethelm Wahl (Fach Psychologie) zusammen mit

seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zunächst erforscht, welche Gedanken,

Gefühle und Gewohnheiten das Handeln von Lehrkräften steuern (bis 1991).

Danach wurden Lernarrangements entwickelt, die einen nachhaltigen Transfer

von Wissen in Handeln unterstützen. Diese als „Lernumgebungen“

bezeichneten Maßnahmen wurden und werden seit 20 Jahren systematisch mit

Erfolg evaluiert. Die aktuelle Arbeitsgruppe umfasst 9 Doktoranden.

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Wegen der großen Verschiedenartigkeit der Lernenden ergeben sich einzigartige

Lernwege. Jede Person bewegt sich nach Lew Vygotsky (1896 – 1934) in der Zone

ihrer nächsten Entwicklungen“. Ausgangspunkt sind die vorhandenen eigenen

Kompetenzen. Regulative Zielidee sind die in der Weiterbildung gegebenen

Anregungen. Wichtig ist, dass jede Person autonom entscheidet aufgrund (1) ihres

jetzigen Kompetenzstandes und (2) ihrer Entwicklungsmöglichkeiten, wie der nächste

Schritt in Richtung Zielidee aussehen soll.

Die Geschwindigkeit, in der die Lernenden eine spezielle Thematik bearbeiten, hängt

von zahlreichen Faktoren ab, insbesondere von (1) den vorhandenen Kompetenzen

bzw. der vorhandenen Wissensbasis; (2) der Lernmotivation; (3) den Lernstrategien;

(4) der Fähigkeit, die Instruktionen zu entschlüsseln bzw. zu verstehen

(„Decodierkompetenz“ genannt). Die Lerntempi unterscheiden sich bei Erwachsenen

bis zum Faktor 9 (vgl. Wahl 2006). Bei Schülerinnen und Schülern unterscheiden sich

die Lerntempi je nach Inhalt, Lebensalter und Schulart zwischen den Faktoren 3 und

5, in Extremfällen (z.B. Mathematik) bis zum Faktor 18.

Diese enorme Heterogenität verbietet lange kollektive Lernphasen und erfordert

umgekehrt das „kleine“ und das „große“ Sandwich.

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4

Ich nehme mir vor ......

Ich berichte ................................................... *

am ...........................................,

wie es mir beim Ausführen

meines Vorsatzes erging.

* einer Tandemperson, in einer

Gruppe, in einer Konferenz, ......

Vorsatzbildung

Beschreibung Vorsatzbildungen haben die Funktion, den Transfer in die Praxis zu unterstützen. Sie sollen eindeutig, konkret und verständlich formuliert sein. Darüber hinaus ist es wichtig, Vorsatzbildungen gegen Vermeiden, Verdrängen und Vergessen abzusichern. Dafür gibt es die folgenden Möglichkeiten: 1. Schriftliche Vorsatzbildung. Gegen Ende eines Lernprozesses wird der Vorsatz in Einzelarbeit schriftlich fixiert. 2. Vorsatz mit Erinnerungshilfe. Der Vorsatz wird groß auf Papier in auffälliger Farbe notiert und an einer prominenten Stelle im beruflichen oder privaten Tätigkeitsfeld platziert. 3. Brief an sich selbst. Hilfreich ist es, wenn der Vorsatz zum vorgesehenen Realisierungszeitpunkt im Handlungsfeld auftaucht. Eine recht bekannte Möglichkeit dafür ist der Brief an sich selbst. Dabei wird der Vorsatz in Form eines Briefes abgefasst. Die Lehrperson erhält den Brief in einem verschlossenen Umschlag, der an jene Person adressiert ist, die den Vorsatz gefasst hat. Auf die Rückseite wird ein Datum geschrieben, an dem der Brief von der Lehrperson zur Post gegeben wird. 4. Erinnerung an den Vorsatz durch Unterstützungspartner. Dritte können den Akteur an dessen eigenen Vorsatz (Autonomiepostulat!) per E-Mail, SMS oder Telefonanruf erinnern. Tandemperson, Lehrperson oder andere Unterstützungspartner können diese Aufgabe übernehmen. 5. Vorsatz mit Rückmeldungsverpflichtung. In die Vorsatzbildung kann die verbindliche Verpflichtung aufgenommen werden, der Lehrperson über eine E-Mail, eine SMS oder einen Telefonanruf zu berichten, welche Erfahrungen bei der Umsetzung gemacht worden sind. Ist die Vorsatzbildung in eine Reihe von Präsenzphasen mit eingeschobenen Transferphasen integriert („großes Sandwich), so kann die Rückmeldungsverpflichtung beim nächsten Treffen auch mündlich eingelöst werden. 6. Vorsatzbildung mit daran geknüpften positiven und negativen Konsequenzen. Manchen Lernenden ist es eine Hilfe, wenn sie selbst (Autonomiepostulat!) bestimmte Konsequenzen an die Einhaltung der Vorsatzbildung knüpfen. Dies können harmlose und zugleich zur Auflockerung beitragende Bußen sein, wie etwa das Vorsingen eines Liedes beim nächsten Treffen, das Erzählen eines Witzes oder das Mitbringen eines selbstgebackenen Kuchens. Dies können aber auch kleine Belohnungen sein, wie etwa die Einladung zu einem Restaurantbesuch durch die Tandemperson usw.

Einsatzmöglichkeiten (Didaktischer Ort) Am Ende einer Präsenzphase als Ausgangspunkt für den Transferprozess. Beim Eintritt in eine Präsenzphase, um über die Realisierung der gefassten Vorsätze zu berichten.

Begründung „Jede Handlung beginnt mit einem Entschluss“ (Mario von Cranach, Bern). In der Rubikon-Theorie (erstmals Heckhausen, Gollwitzer & Weinert 1987) geht es um den Übergang von der Motivation zum Willen. Aus vielen flüchtigen Möglichkeiten wird eine einzige für die Realisierung ausgewählt. Damit wird der „Rubikon“ überschritten und ab jetzt regiert der Wille. Die Vorsatzbildung unterstützt den Weg von der Absicht zum Handeln und macht die Umsetzung deutlich wahrscheinlicher.

Wer hat’s erfunden? Erfinder unbekannt.

Literatur Mutzeck, W. (1988). Von der Absicht zum Handeln. Weinheim: Deutscher Studien Verlag; Mutzeck, W. (2005). Von der Absicht zum Handeln. – Möglichkeiten des Transfers von Fortbildung und Beratung in den Berufsalltag. In: A.Huber (Hrsg.). Vom Wissen zum Handeln. Tübingen: Ingeborg Huber, S. 79 – 97; Storch, M. & Krause, F. (2007). Grundlagen und Trainingsmanual für die Arbeit mit dem Zürcher Ressourcenmodell ZRM. Bern: Huber. 5

Vergewisserungsphase

Beschreibung Diese außerordentlich schlichte Methode wird auch als „Murmelphase“ oder „Buzzing“ (=Summen eines Bienenschwarms) oder auch als „Bienenkorb“ bezeichnet. Dennoch ist sie sehr wirkungsvoll. Die wesentlichen Unterschiede zur Methode „Think-Pair-Share“ bestehen darin, dass die „Think-Phase“ keineswegs zwingend ist und dass der Schwerpunkt in der Regel auf dem verbalen Austausch in Partnerarbeit liegt. Der Anlass zu einer Vergewisserungsphase kann eine Frage, ein Problem, ein Fallbeispiel genauso sein wie eine interpretationsbedürftige Grafik, eine Folie, ein Bild oder ein Videoausschnitt. Ablauf: Bevor sich die Lernenden / Teilnehmenden im Plenum äußern, erhalten sie Gelegenheit, sich eine oder mehrere Minuten Gedanken zu machen. Dies geschieht meist in Partnerarbeit, wodurch im Raum ein unüberhörbares Gemurmel entsteht; daher der Name „Murmelphase“. Es ist aber auch denkbar, den Lernenden in Einzelarbeit Zeit zu geben, sich zu vergewissern, dass sie mit ihren Beiträgen einigermaßen richtig liegen. Während der „Vergewisserungsphase“ nützen die Lernenden alle zur Verfügung stehenden Hilfen wie etwa Notizen, Skripte, Bücher, Lexika oder sie holen Informationen von Lernenden mit höherem Expertenstatus ein.

Einsatzmöglichkeiten (Didaktischer Ort) Gleichermaßen wie die Methode „Think-Pair-Share“ einsetzbar als einfacher Einschub in ein „kleines“ Sandwich. Vorzüglich kombinierbar mit nahezu allen anderen Lernarrangements.

Begründung Lehr-Lern-Arrangements besitzen häufig zu umfangreiche kollektive Lernphasen. Darin sind die Lernenden eher rezeptiv als aktiv. Werden Fragen gestellt, so erhalten die Lernenden nur wenige Sekunden Zeit, um eine Antwort zu generieren. Nach dem Leitsatz: „Wer langsamer unterrichtet, kommt schneller voran“ von Mary Budd Rowe 1986 („slowing down may be a way of speeding up“), ermöglicht die Vergewisserungsphase ein kurze subjektive bzw. interaktive Auseinandersetzung mit der Thematik. Dadurch wirkt sie erfrischend, aktivierend und auflockernd. Für die Lehrenden hat die Vergewisserungsphase den großen Vorteil, dass sie nahezu ohne jeden Vorbereitungsaufwand eingesetzt werden kann. Durch Vergewisserungsphasen steigt die Qualität der Beiträge sowie die Bereitschaft, sich am Austausch im Plenum zu beteiligen.

Wer hat’s erfunden? Erfinder unbekannt.

Literatur Hinweise in Kapitel 5 dieses Buches sowie in Rabenstein, Reichel & Thanhoffer (1995): Das Methoden-Set. 5 Bücher für Referenten und Seminarleiterinnen: Münster: Ökotopia, 7. Aufl.

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Dr. Renate Schwarz-Govaers konnte in ihrer Dissertation „Subjektive Theorien als

Basis von Wissen und Handeln“ (2005) zeigen, dass sich die Subjektiven Theorien

von Pflegestudierenden während einer 8 Semester dauernden Pflegeausbildung

erstaunlich wenig verändern. Die Studierenden orientieren sich vor allem an dem,

was ihnen auf der Station beigebracht wird. Dieses Lernen im Handlungsvollzug

stimmt jedoch häufig mit den studierten Theorien n i c h t überein. Das

Vermitteln wissenschaftlichen Wissens führt folglich n i c h t direkt zu

kompetentem Handeln. – Vergleichbare Untersuchungen wurden in zahlreichen

anderen Bereichen gemacht (vgl. zusammenfassend Wahl 2006). Das Ergebnis

war stets ähnlich: Es gibt eine große Kluft zwischen Wissen und Handeln. Deshalb

nennt man Wissen, das sich nicht im Handeln zeigt, nach Renkl (1996) auch

„träges Wissen“. Folglich benötigt man Lernumgebungen oder Lernarrangements,

dies es vermögen, träges Wissen zu vermeiden und kompetentes Handeln

anzubahnen. 7

Haas, Anton (1998).

Unterrichtsplanung im Alltag.

Regensburg. Verlag Roderer

36 Lehrkräfte aus Gym, RS, HS. Fach Biologie. Die Vögel.

Anwesenheit des Forschers bei der Unterrichtsvorbereitung.

Lautes Denken mit Sprachaufzeichnung.

Gemeinsame Rekonstruktion des Planungsprozesses mit

Stimulated Recall, Büchern und weiteren Planungsunterlagen.

Differenzierte Analyse subjektiver Planungstheorien.

Ergebnisse:

Planungszeit je Lektion 15 bis 20 Minuten.

Etwa die Hälfte davon ist sachliche Einarbeitung in den Stoff.

Die methodische Vorbereitung umfasst etwa 2 bis 3 Minuten je

Lektion.

In der Regel keine erkennbare Orientierung an den studierten

fachdidaktischen Theorien.

Überlegungen zum Umgang mit Heterogenität oder dem Umgang

mit schwierigen Klassen oder dem Umgang mit schwierigen

Schülern sind selten zu finden.

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Das Problem „trägen Wissens“ bzw. nicht nachhaltiger Weiterbildungen besteht

darin, dass das Wissen zwar im Gedächtnis gespeichert ist, dass es aber n i c h t

als Leitlinie für das praktische Handeln herangezogen wird. Der Bibelspruch aus

Lukas 23 Vers 34 „….denn sie wissen nicht, was sie tun“ muss folglich umgedreht

werden: „…denn sie tun nicht, was sie wissen!“ Wenn dies richtig ist, dann sind alle

Weiterbildungen, in denen man hofft, vorwiegend durch die Vermittlung von Wissen

Einfluss auf das Handeln zu nehmen, wenig sinnvoll. Handeln kann man nur

handelnd erlernen! Es kommt also darauf an, einen Hinweg vom Wissen zum

Handeln zu finden und einen Rückweg vom Handeln zum Wissen. Konkretes Tun

und professionelles Reflektieren müssen folglich durch geschickte

Lernarrangements (auch Lernumgebungen genannt) ständig aufeinander bezogen

werden.

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Think – Pair - Share

Beschreibung „Think-Pair-Share“ ist ein leicht verwirklichbares, wirkungsvolles Lernarrangement. Es besteht aus drei (manchmal auch vier) Schritten. Die Ähnlichkeit zur „Vergewisserungsphase“ ist hoch. (1) Think = Einzelarbeit: Eine Frage, ein Problem, eine Aufgabe wird zunächst von jeder Person alleine bearbeitet. Ziel ist, dass sich alle Lernenden mit der Thematik auseinandersetzen. (2) Pair = Partnerarbeit: Austausch der Arbeitsergebnisse in Form einer Vergewisserungsphase mit einer anderen Person. Ziele sind die Verbalisierung der jeweils eigenen Überlegungen sowie der Austausch von Informationen und Perspektiven. Von manchen Autoren wird angeregt, sich nach der Partnerarbeit nochmals in Vierergruppen auszutauschen, um zusätzliche Anregungen zu erhalten. (3) Share = Plenum. Die Ergebnisse werden im Plenum präsentiert und diskutiert. Ziel ist es, die Angemessenheit der Überlegungen zu bewerten. Manche Autoren schlagen vor, jene Person(en) per Zufall auszuwählen, die das Ergebnis im Plenum präsentieren soll(en). Grundlage ist die Überlegung, dass sich aus Furcht, zufällig für die Plenumspräsentation ausgewählt zu werden, alle Lernenden in der Think- wie in der Pair-Phase möglichst intensiv mit der Thematik beschäftigen. Bei lernunwilligen Personen ist dies möglicherweise eine zielführende Strategie, bei intrinsisch motivierten Lernenden / Teilnehmenden ist dies kritisch zu sehen, weil dadurch das Autonomie-Erleben untergraben wird.

Einsatzmöglichkeiten (Didaktischer Ort) Universell einsetzbar als Teil des „kleinen Sandwiches“, z.B. beim Lösen von Aufgaben, beim Bilden von Hypothesen, beim Bearbeiten von Fallbeispielen, bei der Auswahl von Handlungsmöglichkeiten, beim Einholen von Rückmeldungen, beim Erfragen von Interessen, bei der Ampelmethode, bei Selbstreflexionen, als Vorbereitung zur Methode Netzwerk, bei der Sortieraufgabe usw.

Begründung Lehr-Lern-Arrangements besitzen häufig zu umfangreiche kollektive Lernphasen. Darin sind die Lernenden eher rezeptiv als aktiv. Werden Fragen gestellt, so erhalten die Lernenden nur wenige Sekunden Zeit, um eine Antwort zu generieren. Nach dem Leitsatz: „Wer langsamer unterrichtet, kommt schneller voran“ von Mary Budd Rowe 1986 („slowing down may be a way of speeding up“), ermöglicht die Think-Phase gründliches Nachdenken. In der kooperativen Lernphase des Pair bzw. der Vierergruppen verbalisieren die Lernenden ihre Ergebnisse und können diese dadurch validieren oder revidieren. Ergebnis ist ein gesteigertes Kompetenzerleben, das die Bereitschaft zu Beiträgen im Plenum erhöht. Für die Lehrenden hat die Methode Think-Pair-Share einen großen Vorteil: sie erfordert wenig Vorbereitung und unterstützt dennoch äußerst wirksam den Prozess der subjektiven Auseinandersetzung mit einer Thematik.

Wer hat’s erfunden? Lyman (1981); bei Brüning & Saum (2006 und 2009) unter der Bezeichnung „Denken – Austauschen – Vorstellen“ zu finden.

Literatur Lyman, F.T. (1981). The responsive classroom discussion: The inclusion of all students. In: Anderson, A. (Hrsg). Mainstreaming Digest. College Park: University of Maryland Press, S. 109 – 113; Brüning, L. & Saum, T. (2006 / 2009). Erfolgreich unterrichten durch kooperatives Lernen. Band 1 und 2, Essen: Neue Deutsche Schule Verlagsgesellschaft; Green, N. & Green, K. (2005). Kooperatives Lernen im Klassenraum und im Kollegium. Selze-Velber: Kallmeyer; Konrad, K. & Traub, S. (2001). Kooperatives Lernen. Hohengehren: Schneider

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Die psychologische Handlungstheorie (Vertreter: Hans Aebli, Mario von Cranach,

Gerhard Kaminski, Diethelm Wahl und andere) erklärt die Kluft zwischen Wissen und

Handeln bzw. Handeln und Wissen wie folgt: Umfassendes Wissen, auch „elaboriertes

semantisches Netzwerk“ genannt, kann beim Handeln in konkreten Situationen nur

partiell genutzt werden. Es ist viel zu umfangreich. Die zur Verfügung stehende Zeit

reicht in der Regel nicht aus, um die Situation mit hoher Reflexivität zu analysieren

und mit hoher Reflexivität eine darauf bezogene Handlungsmöglichkeit zu

konstruieren.

Das Wissen muss also so angeordnet werden, dass es eine rasche Analyse der

Situation erlaubt und eine ebenso schnelle Entscheidung für eine Aktion. Diese völlig

andersartige Anordnung des Wissens wird als „Prototypenstruktur“ bezeichnet. Zuerst

wird entschieden, inwiefern eine neue Situation anderen Situationen ähnlich ist, die

man früher erlebt hat. Ist das „Typische“ an der neuen Situation identifiziert, dann

„sieht“ die handelnde Person vor ihrem inneren Auge mehrere „typische“, bewährte

Handlungsmöglichkeiten. Sie muss jetzt nur noch auswählen und die

Handlungsmöglichkeit auf die konkrete Situation abstimmen.

Untersuchungen zum „Handeln unter Druck“ (Wahl 1991, Habilitationsschrift) haben

gezeigt, dass auf diese Weise innerhalb weniger Sekunden hoch professionell

gehandelt werden kann. (Andere Autoren bezeichnen dieses Phänomen als

Expertenwissen, als Schemata, als Handlungsmuster, als Scripts usw.).

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Szene-Stopp-Reaktion

Beschreibung Eine zu bewältigende Situation („Szene“) wird anschaulich präsentiert. Das Geschehen wird eingefroren, hält also an („Stopp“). Die Lernenden/Teilnehmenden müssen sekundenschnell darauf reagieren („Reaktion“). Ablauf: 1. Präsentation der Szene. Die Situation wird mündlich, schriftlich oder filmisch präsentiert. Dazu muss zuerst Klarheit über den Kontext bzw. den Rahmen geschaffen werden, in dem sich das Geschehen abspielt. Die Lernenden/Teilnehmenden müssen verstehen, worum es überhaupt geht. (Beispiel: Sporthalle, leere Umkleidekabine wird von einer Person betreten, die jetzt eigentlich beim Sport dabei sein sollte.) Der präzisen Darstellung muss eine authentische (keine erfundene!) Situation zugrunde liegen. Die Anwesenden werden gefragt, ob sie den Rahmen verstanden haben. Erst dann geht es weiter. 2. Stopp. Jetzt wird der Höhepunkt berichtet oder visualisiert. (Beispiel: die fragliche Person wird beobachtet, wie sie die Sporttasche einer dritten Person dramatisch verunreinigt). 3. Individuelle Reaktion. Ohne jeden zeitlichen Verzug reagieren alle Teilnehmenden/Lernenden gleichzeitig. (Beispiel: Du hast das Geschehen zufällig beobachtet. Wie reagierst du?) Dies kann rollenspielartig geschehen, durch Auswählen einer von mehreren vorgegebenen Reaktionsmöglichkeiten mit der Ampelmethode (Beispiel: Ignorieren, Täter stellen, Tat melden usw.) oder durch Notieren dessen, was man tun würde. 4. Verbalisieren der handlungssteuernden Gedanken und Gefühle. In Partnerarbeit berichtet jeder seinem Gegenüber, wie er die Situation wahrgenommen hat und welche Gedanken/Gefühle ihn zur schnell gewählten Reaktion gebracht haben. Jeder Akteur spricht auch darüber, ob die gewählte Reaktion eher typisch oder eher untypisch für ihn ist. 5. Einbettung in übergreifende Handlungspläne. Zurück im Plenum werden ausgewählte Reaktionen samt deren handlungsleitenden Kognitionen und Emotionen berichtet. Gemeinsam wird auf dem Hintergrund von Expertenwissen über die situative Angemessenheit möglicher Handlungsalternativen reflektiert. Es werden Wege gesucht, wie günstige Handlungsweisen in die individuelle Prototypenstruktur eingepasst werden können.

Einsatzmöglichkeiten (Didaktischer Ort) Im 1. Lernschritt können mit Szene-Stopp-Reaktion „mitgebrachte“ Handlungsmuster identifiziert und auf ihre Angemessenheit hin bewertet werden. Gegebenenfalls werden im 2. Lernschritt günstigere Alternativen entwickelt. Im 3. Lernschritt können neu entworfene Handlungsmöglichkeiten mit Szene-Stopp-Reaktion trainiert und für einen sekundenschnellen Abruf bereit gemacht werden.

Begründung Werden Menschen zu sekundenschnellem Handeln gezwungen, dann ist wenig Zeit für die Entwicklung reflexiver Reaktionen. Vielmehr kann nur dann rasch reagiert werden, wenn man auf die vorhandenen Prototypenstrukturen zurückgreift. Szene-Stopp-Reaktion erzwingt rasches Reagieren und legt damit implizite Handlungsstrukturen offen, wie die Grundlagenforschung zeigt (vgl. Wahl 1991). Mit dieser hoch aktivierenden Methode kann der Weg vom Handeln zum Wissen (1. Lernschritt) sowie vom Wissen zum Handeln (3. Lernschritt) wirkungsvoll zurückgelegt werden.

Wer hat’s erfunden? Diethelm Wahl (1995)

Literatur Ausführliche Darstellung in diesem Buch Kapitel 4.5 und Kapitel 6.3 12

Der Weg vom Wissen zum Handeln bzw. vom Handeln zum Wissen verläuft in drei

Schritten:

1. Schritt: Erkennen der eigenen Prototypenstruktur sowie der eigenen

handlungsleitenden Gedanken, Gefühle, Gewohnheiten, der eigenen

motivationalen und volitionalen Prozesse durch verschiedene

Bewusstmachungsverfahren. Besonders empfehlenswert ist die Arbeit mit

Selbstbeobachtungen, Szene Stopp Reaktion und dem Pädagogischen

Doppeldecker.

2. Schritt: Professionelles Wissen reflexiv nutzen, um Ideen für die Verbesserung

des bisherigen Handelns zu gewinnen. Bei diesem Prozess helfen vor allem eine

aktive Auseinandersetzung mit neuem Wissen und das Strukturieren von Wissen

durch Advance Organizers und kognitive Landkarten.

3. Schritt: Ist im Kopf ein klares „inneres Bild“ einer neuen, professionellen Handlung

entstanden, dann muss dieses durch Planen, Simulieren und Ausprobieren in die

Praxis übertragen werden. Besonders empfehlenswert ist die Arbeit mit klaren

inneren Bildern, Vorsatzbildungen, Micro-Teaching sowie kollegialer Praxisbe-

ratung und Praxistandems und KOPING-Kleingruppen.

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Der Weg vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln wird durch sechs

verschiedene Elemente oder Maßnahmen unterstützt.

1. Handeln kann man nur handelnd erlernen! Eine einmalige Weitergabe von

Informationen ist wenig sinnvoll. Erfolgreich wird nur dann gelernt, wenn es zwischen

den Weiterbildungsterminen Transferphasen oder Praxisphasen gibt.

Je schwieriger eine Handlungskompetenz zu erlernen ist, um so mehr Transferphasen

muss es geben.

Weil man zwischen die Weiterbildungstermine bzw. Präsenzphasen jeweils eine

Transferphase einschiebt, wird diese Anordnung auch als „Sandwichprinzip“

bezeichnet. (Sandwich kann übersetzt werden als „Einschieben“).

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Sandwich-Prinzip

Beschreibung Das Sandwich-Prinzip ist keine Methode, sondern eine „Architektur“ für die Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen. Typisiert man Lernumgebungen nach ihrer jeweiligen Vorherrschaft (z.B. Instruktion, Konstruktion usw.), so herrscht beim Sandwich-Prinzip der Prozess der subjektiven Aneignung vor. (Eine Lernumgebung ist ein planvoll hergestelltes Lernarrangement, wobei didaktische, methodische, materielle und mediale Aspekte so angeordnet werden, dass die Wahrscheinlichkeit für die erhofften Lernprozesse möglichst hoch wird.) Lehr-Lern-Prozesse sind nach dem Sandwich-Prinzip so anzulegen, dass die Lernenden möglichst viel Gelegenheit erhalten, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen und diese in ihrer eigenen subjektiven Struktur zu verankern. Der Begriff „Sandwich“ bedeutet sinngemäß, etwas einschieben oder etwas dazwischenklemmen. Es gibt zwei Sandwich-Varianten: Das „kleine“ Sandwich. Hierbei werden die Phasen der subjektiven Aneignung zwischen zeitlich limitierte kollektive Lernphasen geschoben. Das „große“ Sandwich. Hierbei werden Tage, Wochen, oder Monate dauernde Transferphasen zwischen die Präsenzphasen geschoben. (1) Gestaltung des „kleinen“ Sandwiches. Auf einen Einstieg mit den Schwerpunkten Transparenz schaffen (z.B. Advance Organizer, Agenda), Kommunikation erleichtern (z.B. Redeschwelle überwinden) und Mitgestaltung ermöglichen (z.B. Vorkenntnisse erfassen) folgt ein ständiger Wechsel von kollektiven Lernphasen (diese haben eine zeitliche Obergrenze von grob 10 bis 20 Minuten) und eingeschobenen Phasen der subjektiven Aneignung in Einzelarbeit, Partnerarbeit oder Kleingruppenarbeit (diese variieren je nach didaktischer Intention zwischen wenigen Minuten und mehreren Stunden). Der Ausstieg kann inhaltsorientiert, transferorientiert oder reflexionsorientiert verlaufen. (2) Gestaltung des „großen“ Sandwiches. Am ersten Lernort durchlaufen die Lernenden „kleine“ Sandwiches. Am Ende dieser sog. „Präsenzphase“ erhalten die Lernenden einen Auftrag oder bilden einen schriftlichen Vorsatz für den zweiten Lernort, die sog. Praxisphase oder Transferphase. In dieser beobachten sie sich selbst oder andere, sie planen und erproben Handlungen, sie unterstützen ihren Veränderungsprozess in Praxistandems oder KOPING-Kleingruppen usw. Wieder zurück am ersten Lernort, berichten sie über die Ergebnisse, erfahren Neues, setzen sich damit auseinander, um dann wieder in die Praxis zu gehen. Nachhaltige Lernprozesse werden durch eine längere Abfolge von Präsenz- und Transferphasen ermöglicht.

Einsatzmöglichkeiten (Didaktischer Ort) Das „kleine“ Sandwich dient vorrangig zur Auseinandersetzung mit Inhalten. Das „große“ Sandwich dient vorrangig zur Veränderung konkreten Handelns im Praxisfeld.

Begründung Die Einzigartigkeit von Menschen zeigt sich in deren unverwechselbaren semantischen Netzwerken, in deren verschiedenartigen subjektiven Theorien sowie in deren individuellen handlungsleitenden Strukturen. Lernen bedeutet, in der Auseinandersetzung mit Inhalten oder Handlungsalternativen die eigenen, einzigartigen Strukturen zu modifizieren. Dies gelingt nur durch einen intensiven Prozess der subjektiven Aneignung, der sowohl durch eingeschobene Verarbeitungsphasen („kleines“ Sandwich) als auch durch eingeschobene Transferphasen („großes“ Sandwich) geleistet werden kann.

Wer hat’s erfunden? Diethelm Wahl (1990)

Literatur Ausführliche Darstellung in diesem Buch in Kapitel 5

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2. Jede Präsenzphase bzw. Informationsphase muss mit einer schriftlichen

Vorsatzbildung enden. In dieser nimmt sich die Person vor, etwas ganz Bestimmtes

auszuprobieren. Forschungsergebnisse zeigen, dass durch explizite Vorsatzbildungen

die Wahrscheinlichkeit für erfolgreiche Transferprozesse steigt.

Entsprechend beginnt die nächste Präsenzphase mit Erfahrungsberichten. In diesen

wird geschildert, ob die Vorsätze realisiert wurden und wenn ja, welche Ergebnisse

dies erbrachte. Erst danach wird neues Professionswissen vermittelt bzw. die

Thematik fortgesetzt.

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3. Weil es schwer ist, sich zu verändern, benötigt man kollegiale Unterstützung. Diese

verläuft in Form von KOPING (= Kommunikative Praxisbewältigung in Gruppen). Das

Akronym „KOPING“ wurde in Anlehnung an den englischen Begriff „coping“ gebildet.

Er verweist auf die Coping-Theorie von Lazarus, in der es um das Bewältigen von

Anforderungen geht („to cope with“ = bewältigen, fertig werden mit).

KOPING setzt sich aus zwei Teilsystemen zusammen (vgl. Wahl 1991 und 2006):

Erstens aus dem Praxistandem. Hierbei arbeiten zwei Lernende zusammen, die sich

nach den Merkmalen der Sympathie und Symmetrie gefunden haben. Sie unterstützen

sich durch Tandemtreffen während des gesamten Modifikationsprozesses.

Zweitens aus der Kleingruppe. Hier treffen sich drei oder vier Tandems in einem

regelmäßigen Rhythmus, um sich gegenseitig zu beraten.

KOPING hat folgende Wirkungen: Die Lernenden helfen sich mit Informationen und

Materialien auf der sachlichen Ebene. Sie unterstützen sich aber auch emotional und

motivational auf der Beziehungsebene. Durch KOPING wird der Weg vom Wissen

zum Handeln nachhaltiger. (Vgl. Eva Schmidt 2001: Mit Social Support vom Wissen

zum Handeln). 17

KOPING, Kollegiale Praxisberatung

Beschreibung KOPING ist ein Akronym und bedeutet ausgeschrieben: „Kommunikative Praxisbewältigung in Gruppen“. (Der Begriff KOPING deutet auf die Coping-Theorie hin, in der es um die Bewältigung kritischer Situationen geht). KOPING umfasst zwei soziale Netzwerke: (I) das Praxis-Tandem. (II) Die 6 bis 8 Personen umfassende KOPING-Gruppe, die ihrerseits aus 3 bis 4 Praxis-Tandems besteht. Tandems und Gruppen treffen sich in einem regelmäßigen Rhythmus. In der KOPING-Gruppe gibt es Sonderrollen, die aus Gründen der Balance von Sitzung zu Sitzung wechseln: (A) Gastgeber-Rolle: lädt ein, sorgt für Ort und ggfs. Verpflegung. (B) Moderations-Rolle: leitet die Sitzung. (C) Zeitwächter-Rolle: Achtet auf die Einhaltung der selbst gesetzten Zeiten. In der KOPING-Gruppe werden berufliche Probleme nach einem strukturierten Verfahren besprochen: (1) Problemauswahl (2) Rekonstruktion (3) Diagnose (4) Problemlösen (5) Handeln in Gang bringen (6) Evaluation. Charakteristisch ist die zweimalige Unterbrechung des Beratungsprozesses: Das eine Mal, um durch Beobachtung und Befragung die subjektive Problemschilderung der ratsuchenden Person zu ergänzen. Das andere Mal, um die gefundene Lösung differenziert zu planen und zu erproben. Das Praxistandem hat die Funktion, in das Praxisfeld zu gehen (daher die Bezeichnung Praxis-Tandem). Im Praxisfeld besuchen sich die Tandempersonen gegenseitig (Intervision), beobachten sich, befragen sich, planen Interventionen und erproben diese.

Einsatzmöglichkeiten (Didaktischer Ort) KOPING (= Praxistandems plus KOPING-Gruppen) kann in zwei Zusammenhängen eingesetzt werden: 1. Als flankierendes Element innerhalb einer sandwichartig strukturierten Lernumgebung. Hier treffen sich die Tandems und Kleingruppen regelmäßig zwischen den Präsenzphasen. Beispiele: Ausbildungs- oder Studiengänge in Erwachsenenbildung, Berufspädagogik, Erziehungswissenschaft usw. 2. Als Verfahren der kollegialen Praxisberatung, bei dem sich Kolleginnen und Kollegen des gleichen Berufsfeldes zusammenschließen, um in definierten Abständen über eine begrenzte Zeit hin berufliche Probleme zu bewältigen. Beispiele: Gruppen von Hochschullehrenden, Lehrerinnen und Lehrern usw.

Begründung Kleine, dauerhafte, dichte, intensive und zugleich reziproke soziale Netzwerke erbringen zahlreiche Unterstützungsleistungen, Social Support genannt. Dazu gehören materielle Unterstützung, informative Unterstützung, motivationale und emotionale Unterstützung. Tandem wie KOPING-Gruppe erbringen etwa gleichrangig alle vier Leistungen. KOPING hilft, das Problem des „trägen Wissens“ (inert knowledge nach Alfred Whitehead 1929), der „trägen Emotionen“ und der „trägen Gewohnheiten“ dadurch zu vermindern, dass der schwierige Änderungsprozess an allen wesentlichen Punkten voran gebracht wird. So wird beispielsweise die Änderungsmotivation gestärkt, ein positives Lernklima geschaffen und es werden gegenseitige Anregungen und Hilfen gegeben. Die empirischen Forschungsergebnisse zeigen, dass die Kombination von Tandem und Gruppe, die es in keinem anderen kollegialen Praxisberatungsverfahren gibt, ungemein wirkungsvoll ist.

Wer hat’s erfunden? Diethelm Wahl (1991). Ähnliche Konzepte finden sich bei Mutzeck (2002) und Schlee (2004).

Literatur Ausführliche Darstellung in diesem Buch Kapitel 6.6 sowie in Wahl (1991), Schmidt (2001) und Schmidt & Wahl (2008).

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4.Während der Fortbildungen oder Treffen sollten die Lernprozesse erneut nach dem

„Sandwichprinzip“ angelegt werden. Zwischen zeitlich eng begrenzte kollektive

Lernphasen sollten Phasen eingeschoben werden, in denen die Lernenden im

eigenen Tempo arbeiten. Auf diese Weise werden ständig aktive Lernphasen

„eingeschoben“.

Die Dauer der kollektiven Lernphasen wird durch die Aufmerksamkeit sowie die

Behaltensleistungen der Lernenden begrenzt. Ein genauer Wert kann nicht angegeben

werden, weil Aufmerksamkeit und Behalten individuell sehr verschieden sind. Nach 10

bis 20 Minuten gemeinsamen Lernens sollte jedoch das Plenum nach Anzeichen für

nachlassende Aufmerksamkeit abgesucht und entsprechend aktive Lernphasen

eingeschoben werden. In den „Einschüben“ setzen sich die Lernenden aktiv mit der

Thematik auseinander und fragen sich: „Was bedeutet dies für mich?“.

Die Untersuchung von Irene Gerbig-Calcagni (2009) zeigt (ihr ist die obige Grafik

entnommen), dass Aufmerksamkeit und Behalten während kollektiver Lernphasen

schwanken. Umgekehrt steigen Lernleistungen, Motivation und Zufriedenheit, wenn

man während der Präsenzphasen mit dem Sandwichprinzip arbeitet (vgl. Wahl 2006).

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5. Weiterbildungen sind dann besonders erfolgreich, wenn deren Leiterinnen und

Leiter die zu vermittelnden Thematiken nicht nur lehren, sondern diese beispielhaft

v o r l e b e n. Geissler (1985) bezeichnet dies als den „Pädagogischen

Doppeldecker“. Am Handeln der Leitungsperson können die Lernenden erkennen, wie

sie selbst handeln sollten. Sie haben also ein Modell vor Augen, das ihnen hilft, ein

klares „inneres Bild“ der zu lernenden Inhalte aufzubauen.

Weiterbildungen sind dann wenig erfolgreich, wenn deren Leiterinnen und Leiter die zu

vermittelnden Thematiken n i c h t v o r l e b e n oder noch schlimmer, wenn sie

entgegen dieser Botschaften handeln. Damit entwerten sie ihre Inhalte, denn die

Lernenden erkennen, dass nicht einmal die Lehrperson das tut, was sie predigt. Wie

sollen es dann die weniger kompetenten Lernenden schaffen können, die Inhalte in

konkretes Handeln umzusetzen?

Der „Pädagogische Doppeldecker“ ist wichtig bei Thematiken wie Kommunikation,

Lehren und Lernen, Gesundheitsfragen, Umgang mit Konflikten usw. Er ist aber nicht

bei allen Themen möglich.

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Pädagogischer Doppeldecker

Beschreibung Der „Pädagogische Doppeldecker“ stellt eine Besonderheit in der Bildungsarbeit dar. Dort wo Inhalte wie z.B. „Lehren und Lernen“ gelehrt werden, ergibt sich eine eigentümliche Doppelung: Das Lehren und Lernen ist einmal in der Theorie da als Inhalt. Zum anderen wird im Raum selbst ganz konkret gelehrt und gelernt. Daraus ergibt sich die Chance, die theoretischen Inhalte mit den hier und jetzt ganz konkret erlebten Situationen zu verknüpfen. Geissler (1985) führte den Begriff „Pädagogischer Doppeldecker“ für die Möglichkeit ein, „das, womit man sich inhaltlich beschäftigt, auch gleichzeitig zu erleben und wieder in die kognitive Auseinandersetzung mit dem Inhalt einzubeziehen“. Ablauf: (1) Metakommunikative Einstiegsphase: Die Lernenden / Teilnehmenden werden darauf aufmerksam gemacht, dass die Lehrperson nach dem Prinzip der Selbstanwendung versuchen will, jene Handlungen ganz konkret zu „vorzuleben“, über die sie spricht. Damit ist der Auftrag für die Lernenden / Teilnehmenden verbunden, immer wieder die theoretischen Aussagen mit dem abzugleichen, was sie gerade erleben. Beispiel: Geht es um Toleranz, Konfliktfähigkeit, Transparenz, guten Unterricht, den Umgang mit Fehlern oder Heterogenität, dann muss erkennbar sein, dass die Lehrperson selbst tolerant ist, konfliktfähig ist. Sie muss ihr eigenes Handeln transparent machen, ihr Lehren muss den Merkmalen guten Unterrichts genügen, sie muss mit Fehlern konstruktiv umgehen, auf die Heterogenität der vor ihr sitzenden Menschen mit Formen der Individualisierung und Differenzierung reagieren usw. (2) Zwischenstopps. Während des Lehr-Lern-Prozesses weist die Lehrperson immer wieder auf gelungene Realisierungen des Pädagogischen Doppeldeckers hin („flugfähiger Doppeldecker“) oder aber auch auf Punkte, an denen sie es jetzt im Moment nicht geschafft hat, das zu „vorzuleben“, was sie inhaltlich verkündet („abstürzender Doppeldecker“). (3) Metakommunikative Abschlussphase: Rückblickend wird im Plenum über den durchlaufenen Lehr-Lern-Prozess reflektiert: Wo ist es gelungen, die Botschaften in das Handeln umzusetzen? Wo ist es missglückt? (4) Konsequenzen für den persönlichen Veränderungsprozess. Die Lernenden / Teilnehmenden setzen sich in Einzel-, Partner- oder Kleingruppenarbeit mit der Frage auseinander: „Was bedeutet das eben Erlebte für mein eigenes künftiges Handeln?“

Einsatzmöglichkeiten (Didaktischer Ort) Der Pädagogische Doppeldecker ist weniger eine Methode, sondern mehr ein durchgängiges Prinzip. Er ist immer dann zu realisieren, wenn es um Menschenbilder, Haltungen, Erziehung, Bildung, Lernen usw. geht. Der Pädagogische Doppeldecker kann nicht geflogen werden, wenn es zum Beispiel um die Photosynthese geht, weil die Lehrperson weder Photonen noch Chlorophyll noch Oxydationsprozesse vorleben kann.

Begründung Das bewusste Erleben von Doppeldeckersituationen macht anschaulich, was gelernt werden soll. Dadurch entstehen klare innere Bilder. Diese können einerseits die mitgebrachten Vorstellungen erschüttern (1. Lernschritt des Bearbeitbarmachens). Sie können aber auch über Lernen am Modell helfen, neues Handeln in Gang zu bringen (3. Lernschritt). Für Lehrpersonen stellt das gekonnte „Fliegen“ des Pädagogischen Doppeldeckers eine enorme Herausforderung dar.

Wer hat’s erfunden? Geissler (1985)

Literatur Ausführliche Darstellung in diesem Buch in Kapitel 4.4 sowie in Geissler, K.A. (1985). (Hrsg.) Lernen in Seminargruppen. Studienbrief 3 des Fernstudiums Erziehungswissenschaft „Pädagogisch-psychologische Grundlagen für das Lernen in Gruppen“. Tübingen: DIFF 21

6. Ganz grundsätzlich soll in den schon beschriebenen 3 Schritten gelernt werden:

(1) Anknüpfen am bisherigen Handeln, Bewusstmachen der handlungssteuernden

Gedanken, Gefühle und Gewohnheiten.

(2) Entwickeln neuer Problemlösungen durch reflexive Auseinandersetzung mit den

Inhalten der Weiterbildung.

(3) Umsetzen der so entstandenen neuen „inneren Bilder“ in konkretes, nunmehr

verändertes Handeln.

Dieser dreischrittige Weg vom Wissen zu Handeln benötigt zahlreiche Transferphasen

(hier als „großes Sandwich“ bezeichnet, weil die Transferphasen in der Regel Tage,

Wochen oder gar Monate dauern). Unterstützt wird der Transferprozess durch

Praxistandems und Praxiskleingruppen.

Die Weiterbildungstermine selbst laufen in einer ständigen Abfolge von zeitlich eng

begrenzten Phasen im Plenum ab, zwischen die aktive Verarbeitungsphasen

eingeschoben werden (hier als „kleines Sandwich“ bezeichnet, weil die Dauer der

kollektiven Lernphasen ganz grob im Bereich von nur 10 bis 20 Minuten liegt).

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Ich lege meine Beratungen /Fortbildungen von vorne herein auf

längere Dauer an. Dabei wechseln sich Sitzungen

(Präsenzphasen) und Transferphasen regelmäßig ab.

eher häufig - - - eher selten

Ich beende die Sitzungen (Präsenzphasen) mit schriftlichen

Vorsatzbildungen und beginne die Sitzungen mit den dazu

gehörenden Erfahrungsberichten.

eher häufig - - - eher selten

In den Transferphasen beobachten sich die Lehrkräfte selbst

oder setzen die erarbeiteten Lösungen probeweise um.

eher häufig - - - eher selten

Zur Unterstützung des Transferprozesses implementiere ich

Praxistandems, Praxis-Kleingruppen oder andere Formen der

kollegialen Praxisberatung-

eher häufig - - - eher selten

Ich handle modellhaft etwa so, wie ich es lehre. Ich lebe meine

Haltungen. (Pädagogischer Doppeldecker)

eher häufig - - - eher selten

Ich gestalte meine Beratungen /Fortbildungen nach dem

Sandwich - Prinzip: jede zweite Phase dient zur Klärung der

Frage: „Was bedeutet das für mich selbst?“

eher häufig - - - eher selten

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Selbstbeobachtung

Beschreibung Die Selbstbeobachtung ist ein hoch wirksames Verfahren zum Bewusstmachen des eigenen Handelns. Die Selbstbeobachtung kann aus zwei Perspektiven erfolgen. (1) Selbstbeobachtung aus der Innensicht-Perspektive. Während des Handelns wird die Aufmerksamkeit auf die innerlich ablaufenden Handlungsprozesse gelenkt. Das sind Gedanken, Gefühle, Gewohnheiten, motivationale und volitionale Abläufe. Der introspektive Zugang erfordert einmal eine hohe Selbstaufmerksamkeit. Zum anderen sollten die Beobachtungen schriftlich festgehalten werden, weil es sich um recht flüchtige mentale Prozesse handelt. Die Leitfrage lautet: „Was spielt sich in mir ab, wenn ich eine Handlung ausführe?“. Beispiel: Eine Lehrperson stellt bei sich fest, dass es ihr beim Erklären schwer fällt, sich kurz zu fassen. Während ihre Erklärungen immer länger werden, „schaut“ sie nach innen um heraus zu finden, was sie dazu treibt, weitschweifend statt prägnant zu informieren. Damit arbeitet sie parallel auf zwei Bewusstseinsebenen: (1) Sie handelt und (2) sie beobachtet sich dabei. Dadurch wird das eigene Handeln nicht nur „verdoppelt“, sondern auch verändert. Die Selbstbeobachtung kann folglich zum Erlernen alternativer Handlungen beitragen. (2) Selbstbeobachtung aus der Außensicht-Perspektive. Während des Handelns wird die Aufmerksamkeit auf jene Aspekte gelenkt, die auch einem Fremdbeobachter zugänglich sind. Was ist zu sehen, was ist zu hören, wie häufig tritt eine bestimmte Verhaltensweise auf, wie lange dauert eine Aktion? usw. Die entsprechenden Beobachtungen werden festgehalten, z.B. durch Notizen, im Idealfall durch eine Videoaufzeichnung. Beispiel: Eine Schülerin unterbricht sich häufig beim Bearbeiten von Pflichtaufgaben. Sie kann beobachten, wie lange sie am Stück arbeitet, wie häufig sie sich unterbricht, was sie während der Unterbrechungen tut? usw. Auch hier gilt, dass die Selbstbeobachtung das Handeln verlangsamt, teilweise unterbricht, insgesamt verändert. Dies ist ein erwünschter Effekt, denn die Selbstbeobachtung soll den angestrebten Veränderungsprozess unterstützen.

Einsatzmöglichkeiten (Didaktischer Ort) Die Selbstbeobachtung gehört gleichermaßen zum ersten Lernschritt wie zum „großen“ Sandwich. Die Lernenden erhalten am Ende einer Präsenzphase den Auftrag, sich in der darauf folgenden Praxisphase in einem umgrenzten Bereich selbst „von innen“ wie „von außen“ zu beobachten. Die fixierten Beobachtungen werden in der darauf folgenden Präsenzphase in Tandem, Kleingruppe oder Plenum thematisiert und bilden den Ausgangspunkt für die nächsten Modifikationsschritte. Zahlreiche Selbstbeobachtungen sind die Grundlage der WAL (Weingartener Auffassungs Legetechnik), einem Verfahren zur differenzierten Analyse typischer Handlungsmuster.

Begründung Handeln wird nicht nur durch bewusste Entscheidungen gesteuert, sondern auch durch implizite Prototypenstrukturen. Diese sind nicht immer bewusstseinspflichtig, wohl aber bewusstseinsfähig. Durch die Selbstbeobachtung aus beiden Perspektiven werden Gedanken, Gefühle, Gewohnheiten usw. ins Bewusstsein gehoben. Der Akteur wird mit seinem eigenen Handeln konfrontiert, durchschaut Prozesse wie Strukturen besser und kann fundiert entscheiden, ob und wenn ja in welcher Richtung er sich verändern möchte. Die Selbstbeobachtung ist eines der wirkungsvollsten Verfahren innerhalb des ersten Lernschrittes.

Wer hat’s erfunden? Erfinder unbekannt.

Literatur Ausführliche Darstellung in diesem Buch Kapitel 4.2 24

Advance Organizer

Beschreibung Ein „Advance Organizer“ ist eine Expertenstruktur (= „organizer“), die im Voraus (= „in advance“ und deshalb nicht „advanced“ = fortgeschritten) vermittelt wird, um das Vorwissen der Lernenden durch eine 8 bis 12 Minuten dauernde Präsentation anzuheben, vorgetragen von der Lehrperson. Die Informationen werden mehrfachcodiert gegeben, das heißt die Verständlichkeit wird maximiert durch Worte, Bilder, Grafiken, anschauliche Beispiele, Vergleiche und eingeflochtene Episoden. Der Advance Organizer umfasst alle Inhalte, die für die zu behandelnde Thematik relevant sind. Er hält keine wesentlichen Informationen zurück, sondern nimmt die zentralen Begriffe, Theorien, Ergebnisse usw. vorweg. Wenn möglich, beginnt die Präsentation mit einer motivierenden Problemstellung. Danach werden die einzelnen Aussagen schrittweise entwickelt. Der Advance Organizer wird den Lernenden in einer bleibenden Form (Kopie, elektronisch, Plakat usw.) zur Verfügung gestellt. Entscheidend für einen „guten“ Advance Organizer ist, dass die Lernenden im Prinzip die grundlegenden Aussagen verstanden haben, bevor die eigentliche Lernphase beginnt. Erstes Missverständnis: Eine Aufzählung der in den nächsten Stunden, Tagen oder Wochen zu behandelnden Inhalte ist kein Advance Organizer, sondern lediglich eine Themenübersicht bzw. eine Agenda bzw. ein informierender Unterrichtseinstieg. Zweites Missverständnis: Es ist grundsätzlich unmöglich, einen Advance Organizer zusammen mit den Lernenden „zu erarbeiten“, weil jene zu Beginn eines Lernprozesses lediglich über eine Novizenstruktur und eben nicht über die dafür erforderliche Expertenstruktur verfügen. Für die gedankliche Ausarbeitung eines Advance Organizer brauchen Lehrende in der Regel etwa 1 Stunde, in der sie die zentralen Begriffe sammeln und in einer vernetzten Struktur anordnen. Eine weitere Stunde Vorbereitungszeit ist erforderlich, um die mehrfachcodierte Präsentation vorzubereiten. Je umfangreicher ein Themengebiet, desto eher lohnt sich ein Advance Organizer.

Einsatzmöglichkeiten (Didaktischer Ort) Der Advance Organizer soll das Vorwissen anheben und steht deshalb im Lehr-Lern-Prozess zeitlich betrachtet weit vorne. Er wird in der Einstiegsphase präsentiert. Er kann aber auch erst auf das Sammeln und Organisieren vorhandener Vorkenntnisse folgen. Er kann auch im Anschluss an eine erste Phase des Experimentierens, selbstgesteuerten Erarbeitens oder Hypothesenbildens vorgetragen werden.

Begründung Für den Lernerfolg ist von entscheidender Bedeutung, welches Wissen, welche Expertise und welche Kompetenzen die Lernenden zu Beginn einer Thematik besitzen. Werden diese Eingangsvoraussetzungen durch einen Advance Organizer optimiert, dann zeigen über 500 empirische Untersuchungen, dass daraufhin das Interesse an den Inhalten steigt, der Lernzuwachs sich vergrößert, die Orientierung sich verbessert und das selbstgesteuerte Lernen strukturierter wird. Lernpsychologisch betrachtet hängt dies damit zusammen, dass größere „chunks“ (Informationspakete) gebildet und die neuen Informationen in der „im Voraus“ (in advance) vermittelten Expertenstruktur verankert werden.

Wer hat’s erfunden? David Ausubel (1960); Weiterentwicklung durch die handlungspsychologische Forschungsgruppe der Pädagogischen Hochschule Weingarten (ab 1995).

Literatur Ausführliche Darstellung in diesem Buch in Kapitel 5.3 sowie in Wahl, D. (2011). Der Advance Organizer: Einstieg in eine Lernumgebung. In: Brandt, S. (Hrsg.). Lehren und Lernen im Unterricht. Professionswissen für Lehrerinnen und Lehrer, hrsg. von H.U.Grunder, H.Moser & K.Kansteiner-Schänzlin. Band 2, S. 185 - 202

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26

Stopp-Codes

Beschreibung Stopp-Codes sind eine besonders effektive Form der Handlungsregulation. Sie unterbrechen schnelle Handlungsketten und machen es möglich, dass neu erlernte, alternative Handlungsmöglichkeiten zum Zuge kommen. Stopp-Codes als besondere Form der Selbststeuerung gibt es nach Wahl, Weinert, Huber (2006) in 4 Varianten: 1. Inneres Sprechen. Unhörbar leitet sich der Akteur durch eine zweiteilige Selbstanweisung an, statt des bisherigen Handelns ab jetzt einen anderen Weg einzuschlagen. Der erste Aspekt bezieht sich auf den Umgang mit den handlungsbegleitenden Emotionen und beinhaltet meist ein Cooling-Down mit Selbstinstruktionen wie „ruhig“, „langsam“ oder „step by step“, zuweilen jedoch auch eine Energetisierung mit Selbstinstruktionen wie „aktiv“, „mutig“ oder „du schaffst es“. Der zweite Aspekt bezieht sich inhaltlich auf die ausgearbeitete Handlungsstrategie, die in ein Wort oder in einen kurzen Satz gekleidet wird. 2. Inneres Sprechen mit sekundenschneller Entspannung. Die innerlich gesprochene, zweiteilige Selbstanweisung wird mit einem Entspannungsprozess kombiniert. Dazu werden inneres Sprechen und physiologische Entspannung mit Hilfe einer CD zunächst in längeren, dann in kürzeren Formen trainiert bis hin zum sekundenschnellen Einsatz. 3. Lautes Sprechen. Der Akteur kann das, was er neu tun will, auch laut aussprechen. Damit verpflichtet er sich gegenüber seinen Interaktionspartnern, seine Absicht umzusetzen. 4. Stoppcodes, die von außen auf das Handeln einwirken. Besteht die Gefahr, dass der Akteur in der kritischen Situation gar nicht mehr an den Stopp-Code denkt, so empfiehlt es sich, diesen im realen Praxisfeld zu „installieren“. Dies kann eine Unterstützungsperson sein, die durch Zuruf oder Handzeichen an die Handlungsabsicht erinnert, dies können aber auch Aufkleber, Tischreiter oder auffällige Gegenstände sein.

Einsatzmöglichkeiten (Didaktischer Ort) Stopp-Codes gehören zum dritten Lernschritt. Vorausgehen muss eine Analyse des eigenen Handelns (1. Lernschritt) und die Ausarbeitung alternativer Lösungen (2. Lernschritt). Ist ein klares inneres Bild der neuen Handlungsmöglichkeit entwickelt, dann geht es jetzt darum, die Konkurrenz zwischen dem bisherigen Handeln und dem neuen Handeln aufzulösen. Da das bisherige Handeln wegen seiner Verankerung in der Prototypenstruktur sehr schnell ist, muss es so lange aufgehalten werden, bis das noch recht langsame, weil weitaus reflexivere neue Handeln in Gang kommt (3. Lernschritt).

Begründung Die bewusste Steuerung des eigenen Handelns beruht nach Aebli (1980) auf dem gedanklichen „Ordnen des Tuns“. Will man sich ändern, dann muss man vor dem Handeln denken. Nach den Konzepten von Meichenbaum, Vygotsky und Luria wirken Stopp-Codes wie Befehle oder Aufforderungen, die man von anderen Menschen empfängt: Sie lenken die Aufmerksamkeit, sie erhöhen die Selbstkontrolle und sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit der Realisierung.

Wer hat’s erfunden? Meichenbaum (1979)

Literatur Ausführliche Darstellung in diesem Buch in Kapitel 6.5 sowie in Meichenbaum. D.W. (1979). Kognitive Verhaltensmodifikation. München: Urban & Schwarzenberg und in Meichenbaum, D.W. (2003): Intervention bei Stress. Anwendung und Wirkung des Stressimpfungstrainings. Bern: Huber.

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Handlungen ohne Gefahr

ausführen lernen

Rollenspiel,

z.B. Umgang mit

schwierigen

Schülern

Szene-Stopp-

Reaktion,

z.B. Umgang mit

Fehlern

Micro-Teaching,

z.B. Üben eines

Advance Organizer,

gefolgt von einer

Interessenerhebung

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Micro-Teaching: Feedback

Präsentation verständlich ?

+ 0 0 0 0 0 Präsentation gegliedert

+ 0 0 0 0 0 Begriffe verständlich

+ 0 0 0 0 0 Beispiele, Analogien, Episoden verwendet

+ 0 0 0 0 0 Sachverhalt auf den Punkt gebracht ("Prägnanz")

bzw. Weitschweifigkeit vermieden

Präsentation anregend ?

+ 0 0 0 0 0 Blickkontakt aufgenommen

+ 0 0 0 0 0 Freundlich / wertschätzend verhalten

+ 0 0 0 0 0 Engagiert vorgetragen

+ 0 0 0 0 0 Teilnehmer zwischendurch zu Beiträgen ermuntert

Visualisierung hilfreich ?

+ 0 0 0 0 0 Visualisierung übersichtlich und gegliedert

+ 0 0 0 0 0 Enthält bildhafte Elemente und optische Ankerreize

+ 0 0 0 0 0 Leicht lesbare Schrift

+ 0 0 0 0 0 Farben unterstützen Erkennen des Wesentlichen

Gelenkstelle „Aufgabenstellung“

+ 0 0 0 0 0 Aufgabe verständlich erklärt

+ 0 0 0 0 0 Gelenkstelle gut organisiert

(Materialien lagen bereit, es wurde keine Zeit verloren)

Verarbeitungsphase

+ 0 0 0 0 0 Aufgabe inhaltlich angemessen und motivierend gestaltet

+ 0 0 0 0 0 In die Verarbeitung nur eingegriffen,

wenn wirklich zwingend notwendig

Gelenkstelle „Abschlussrunde“

+ 0 0 0 0 0 Teilnehmenden Chance zu Äusserungen gegeben

(Ergebnisse konnten präsentiert, Fragen gestellt werden)

+ 0 0 0 0 0 Auf Teilnehmeräusserungen angemessen eingegangen

Micro Teaching

Beschreibung Unter Micro-Teaching versteht man einen Lehrversuch, der unter „verkleinerten“ Bedingungen stattfindet, d.h. kurze Zeitdauer, wenige Teilnehmende, überschaubarer Stoff. Ablauf: (1) Planungshandeln. Lehreinheiten von 20 bis 30 Minuten Dauer werden zuerst differenziert geplant. Micro-Teaching ist „real teaching“ und deshalb ist es nicht möglich, nur eine einzelne Lehrfertigkeit zu üben. Vielmehr muss das, was trainiert wird, in ein Handlungs-Gesamt eingebettet werden. Damit Planungs-Routinen möglichst wenig zum Zuge kommen, empfiehlt es sich, mindestens 1 Lernarrangement in die Planung neu aufzunehmen, das von der planenden Person noch nie in der Praxis eingesetzt wurde. (2) Übungsgruppen bilden. Je nach zeitlichen Rahmenbedingungen können größere Gruppen (ca. 6 Personen) oder kleinere Gruppen (3 Personen) gebildet werden. In jeder Gruppe hält jede Person einen Lehrversuch. (3) Durchführung: In einer kurzen Vorbemerkung erläutert die den Lehrversuch haltende Person, in welchem größeren Zusammenhang der gleich gezeigte Ausschnitt steht. Danach wird der Lehrversuch „ungeschnitten“ realisiert, d.h. jedes Lernarrangement wird in originaler Länge durchgeführt. Nur angedeutete Handlungen wie etwa: „Der Vortrag ginge in Wirklichkeit noch länger“. Oder: „Hier würde ich ein Lerntempoduett durchführen“ sind ausdrücklich verboten. (4) Feedback: Die teilnehmenden Personen, auch Crashtest-Dummys genannt, geben Rückmeldung, wobei sie in der Regel zuerst einen Feedbackbogen ausfüllen und danach ihre Einschätzungen vortragen. (5) Vorsatzbildung: Sind alle wichtigen Rückmeldungen ausreichend diskutiert, wird die trainierende Person zu einer schriftlichen Vorsatzbildung aufgefordert.

Einsatzmöglichkeiten (Didaktischer Ort) Ziel des Micro-Teaching ist es, durch ein Lehr-Training den Transfer in die Praxis vorzubereiten. Deshalb ist es im Dreischritt (1) bisheriges Handeln bearbeitbar machen, (2) Handlungsalternativen entwickeln, (3) neues Handeln in Gang bringen eindeutig dem dritten Schritt zuzuordnen. Nachdem das angestrebte professionelle Handeln zunächst differenziert geplant wurde (Top-Down-Strategie), kann es nun in Form des Micro-Teaching geübt werden, um einen „flüssigen“ bzw. kompetenten Einsatz in der Praxis zu erleichtern.

Begründung Handeln kann man nur handelnd erlernen. Damit neue, bisher nicht gezeigte Handlungsweisen „in Gang kommen“ können, müssen sie vorher unter erleichternden Bedingungen sowohl geplant als auch trainiert werden. Die Minimierung von Zeit, Teilnehmendenzahl und Stoff reduziert die Komplexität des Geschehens und vermindert den Handlungsdruck. Trotzdem bleibt das Lehrhandeln ganzheitlich genug, um einen Transfer in das konkrete Praxisfeld wirkungsvoll zu unterstützen. Darüber hinaus erleben die Crashtest-Dummys bei den Lehrversuchen „Modelle mit geringer Kompetenzdistanz“, was zu klaren inneren Bildern ebenso führen kann wie zur Motivation, das Gesehene ins eigene Handlungsrepertoire zu übernehmen. Nach unseren Erfahrungen wird die Kombination von Planung, Durchführung, Rückmeldung und Vorsatzbildung als außerordentlich animierend und hilfreich erlebt. Nach Hattie (2009) besitzt Microteaching eine extrem hohe Effektstärke von d = 0.88.

Wer hat’s erfunden? Dwight Allen von der Stanford University USA (1963). Verbreitung in Deutschland durch Walther Zifreund (1966). Handlungspsychologische Weiterentwicklung des Micro-Teaching Konzeptes durch die Forschungsgruppe der Pädagogischen Hochschule Weingarten ab 1995.

Literatur Ausführliche Darstellung in diesem Buch in Kapitel 6.3 sowie in Wahl (2002). Mit Training vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln. Zeitschrift für Pädagogik, 48, 2, S. 227 - 241 29

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Zum Autor

Prof. Dr. Diethelm Wahl hat nicht nur im Fach Pädagogische

Psychologie promoviert (1973, Intelligenz und Schulleistung) und

sich dort habilitiert (1989, Handeln unter Druck), sondern er hat

auch in Primar- und Sekundarstufe unterrichtet (1. und 2.

Staatsexamen). Seit 1974 als Professor für Psychologie an der

Pädagogischen Hochschule Weingarten tätig, hat er sich in der

Forschung mit subjektiven Theorien von Lehrern,

Hochschullehrern und Erwachsenenbildnern beschäftigt sowie

zusammen mit Groeben, Scheele und Schlee das „Forschungs-

programm Subjektive Theorien (FST)“ begründet. Er hat nach

Möglichkeiten gesucht, den weiten Weg vom Wissen zu Handeln

erfolgreich zurückzulegen und hierfür 2001 den Landeslehrpreis

erhalten. Derzeit entwickelt und evaluiert er mit seiner aus

Doktoranden und Habilitanden bestehenden Forschungsgruppe

wirkungsvolle Lernarrangements für Unterricht, Hochschuldi-

daktik und Erwachsenenbildung.

Kontaktdaten:

Website: www.prof-diethelm-wahl.de;

E-Mail: [email protected]

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€ 19.80

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