2009-05-26 Aufruf Bofinger Horn gegen Ideologie der Schuldenbremse

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    Prof. Dr. Peter Bofinger Prof. Dr. Gustav Horn

    Die Schuldenbremse gefhrdet die gesamtwirtschaftliche

    Stabilitt und die Zukunft unserer Kinder

    1. Aufgrund der Whrungsunion verfgt Deutschland schon jetzt ber geringeremakrokonomische Handlungsspielrume als andere groe Volkswirtschaften.Die Tatsache, dass der Rckgang des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr doppeltso hoch ist wie in den Vereinigten Staaten und Frankreich, zeigt zudem, dass diedeutsche Wirtschaft fr weltwirtschaftliche Strungen besonders anfllig ist. Die vonder Schuldenbremse angestrebte Einschrnkung der noch verbliebenen Spielrume

    fr eine antizyklische Makropolitik gefhrdet daher die gesamtwirtschaftlicheStabilitt.

    2. Die Schuldenbremse sieht vor, dass in einer Rezessionsphase aufgenommeneSchulden oder gemachten Defizite im anschlieenden Boom wieder vollstndiggetilgt werden. Sie geht dabei von einer lehrbuchhaften Symmetrie derKonjunkturzyklen aus, die so in der Realitt selten gegeben ist. Bei eineranhaltenden konjunkturellen Schwchephase, wie sie in den Jahren 2001 bis 2005gegeben war, mssten nach einiger Zeit berschsse erzielt werden, die diewirtschaftliche Dynamik zustzlich beeintrchtigen wrden. Simulationen des IMK

    (IMK-Report 29/2008) belegen, dass bei einer Schuldenbremse fr den Bund dasreale Bruttoinlandsprodukt im Zeitraum von 2000 bis 2007 um bis zu 1,5 % unter demtatschlichen Niveau gelegen htte und dass in der Spitze rund eine halbe MillionMenschen weniger beschftigt gewesen wren. Noch grer wren die Einschnittegewesen, htte die Bremse auch fr die Lnder gegolten.

    3. Die Schuldenbremse verkrzt das zentrale Ziel der Zukunftsvorsorge einerVolkswirtschaft auf die Stabilisierung des Schuldenstandes der ffentlichen Hand. Mitdieser eindimensionalen Sichtweise fllt sie konzeptionell weit hinter die von denmeisten Finanzwissenschaftlern und auch vom Sachverstndigenrat befrwortetegoldene Regel zurck. Diese sieht vor, dass ffentliche Investitionen durch Kreditefinanziert werden knnen. Die goldene Regel erkennt also an, dass es neben derpassiven Zukunftsvorsorge, die in einer Begrenzung der Verschuldung besteht,auch eine aktive Zukunftsvorsorge in der Form ffentlichen Investitionen gebenmuss.

    4. In ihrer jetzigen Fassung des Artikels 115 Grundgesetz versteht die goldene Regelunter Investitionen nur Sachinvestitionen. Es wre deshalb zweckmig, einen neuenInvestitionsbegriff zu definieren, der vor allem Ausgaben fr Bildung, Forschung und

    Entwicklung sowie den Umweltschutz einschliet. Von Michael Thne wurde hierfrdas Konzept der wachstums- und nachhaltigkeitswirksamen Ausgaben

    entwickelt. 1

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    5. Wenn die Lnder durch das Grundgesetz in Zukunft daran gehindert werden, sich fr

    Zukunftsinvestitionen zu verschulden, besteht bei anhaltenden und von vielenPolitikern aktiv gefrderten Forderungen nach Steuersenkungen die groe Gefahr,dass die aktive Zukunftsvorsorge unter der Rder kommt. Es kann dann vielleicht

    erreicht werden, dass die Schulden nicht weiter ansteigen, aber um den Preis, dasszuknftige Generationen unzureichend ausgebildet sind, ber eine abgewirtschafteteInfrastruktur verfgen und in einer schlechten Umwelt leben mssen.

    6. Eine wirklich nachhaltige Finanzpolitik muss deshalb die aktive und die passiveZukunftsvorsorge gleichermaen im Auge haben. Dazu bedarf es einerverbindlichen mittelfristigen Finanzplanung. Sie sollte Zielvorgaben enthalten fr

    die Schuldenstandsquote,

    fr die Staatsquote, und dabei insbesondere die Quote der wachstums-

    und nachhaltigkeitswirksamen Ausgaben, die Steuer- und die Sozialabgabenquote.

    Dies wrde zum einen in der ffentlichkeit deutlich machen, welche Zielkonfliktezwischen Steuersenkungen, der Konsolidierung der ffentlichen Finanzen und denZukunftsinvestitionen bestehen. Zugleich lieen sich daraus Pfade fr dieAusgabenentwicklung von Bund und Lndern ableiten, die jederzeit leicht zuberwachen wren und frhzeitig erkennen lieen, wenn es zu einer unsolidenHaushaltspolitik kme. Fr die Zielformulierung und berwachung sollte einZukunftsrat errichtet werden.

    Die Kritik an der Schuldenbremse und ein Pldoyer fr ein Mehr an nachhaltiger

    Finanzpolitik sind kein Widerspruch. Ausgearbeitete Konzepte hierfr liegen vor. 2

    7. Insgesamt halten wir es fr unverantwortlich gegenber den aktiven wie denzuknftigen Generationen, wenn mit der Schuldenbremse einem kaum erprobtenKonzept unmittelbar Verfassungsrang eingerumt werden soll, das mit Ausnahmeder Schweiz in keinem anderen Land praktiziert wird und das auch dort im Jahr 2003,bei der ersten greren Belastung, de facto auer Kraft gesetzt wurde.

    8. Wir appellieren an die Mitglieder von Bundestag und Bundesrat: Verzichten Sieauf ein Kreditfinanzierungsverbot im Grundgesetz. Stoppen Sie die sogenannte

    Schuldenbremse. Engagieren Sie sich fr eine zukunftsorientierte Finanzpolitik,

    die nicht nur an die Schulden denkt, sondern auch an die Bildung und die

    Lebensqualitt zuknftiger Generationen.

    UnterzeichnerInnen (26.05.09):

    Prof. Dr. Hermann AdamProf. i.R. Dr. Elmar AltvaterProf. Dr. Frank BeckenbachProf. Dr. Peter Bofinger

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    Prof. Dr. Heinz-J. BontrupProf. Dr. Gerd BosbachProf. Dr. Gerhard BoschProf. Dr. Christoph ButterweggeProf. Dr. Roland Czada

    Prof. Dr. Alex DemirovicProf. Dr. Ulrich DuchrowProf. Dr. Sebastian DullienProf. Dr. Hartmut ElsenhansProf. Dr. Wolfram ElsnerProf. Dr. Trevor EvansProf. Dr. Wolfgang FilcProf. Dr. Andreas FisahnProf. Dr. Peter FlaschelProf. Dr. Heiner FlassbeckProf. Dr. Werner FrickeProf. Dr. Ulrich FritscheProf. Dr. Barbara FritzProf. Dr. Erika GauchProf. Dr. Gerd GrzingerProf. em. Dr. Dr. Josef GruberProf. Dr. Eckhard HeinProf. Dr. Arne HeiseProf. Dr. Fritz Helmedag

    Prof. Dr. Rudolf HickelProf. Dr. Gustav HornProf. i.R. Dr. Jrg HuffschmidProf. Dr. Thomas KalinowskiProf. Dr. Peter KalmbachProf. em. Dr. Siegfried KatterleProf. Dr. Alfred KleinknechtProf. Dr. Hagen KrmerProf. em. Dr. Jrgen KromphardtProf. Dr. Stephan Lessenich

    Prof. Dr. Ingrid LohmannProf. Dr. Birgit MahnkopfProf. Dr. Friederike MaierProf. Dr. Ralf-M. MarquardtProf. Dr. Wolfgang MerkelProf. Dr. Bernhard NagelProf. Dr. Rainer PrtoriusProf. Dr. Jan PrieweProf. Dr. Jrg ReitzigProf. Dr. Otto Roloff

    Prof. Dr. Thomas SauerProf. Dr. Wolfgang ScherfProf. Dr. Christoph Scherrer

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    Prof. Dr. Ronald SchettkatProf. Dr. Johannes SchmidtProf. Dr. Klaus SchubertProf. Dr. Klaus W. SchlerProf. Dr. Herbert Schui

    Prof. Dietmar SeeckProf. Dr. Franz SegbersProf. Dr. Willi SemmlerProf. Dr. Werner SesselmeierProf. Dr. Peter SpahnProf. Dr.-Ing. Gerhard H. SteegerProf. Dr. Claus ThomasbergerProf. Dr. Joachim TeschProf. Dr. Hans-Michael TrautweinProf. Dr. Henner WolterProf. Dr. Karl Georg Zinn

    sowie mehr als 150 weitere Unterzeichnerinnen und Unterzeichner aus demWissenschaftsbereich.

    ___________________________Funoten:1 Michael Thne: Wachstums- und nachhaltigkeitswirksame ffentliche Ausgaben (WNA),Monatsbericht 03.2004 des Bundesministeriums der Finanzen, S. 73-79.

    2 Peter Bofinger, Thomas Lenk und Hans-Peter Schneider: Zukunftsfhige Finanzpolitik, Berlin 2008.Gustav A. Horn, Achim Truger: Strategien zur Konsolidierung der ffentlichen Haushalte, in: WSIMitteilungen,Jg. 58 (8), S. 425432; Dieter Vesper: Defizitziel versus Ausgabenpfad. Pldoyer fr eineberechenbare Haushaltspolitik, in: WISO Diskurs der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2008.