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2025 Was bleibt von der Demokratie? Ringvorlesung des Zentrums für Konfliktforschung 26. Januar 2015 Ursula Birsl Demokratieforschung Institut für Politikwissenschaft

2025 - Was bleibt von der Demokratie - online.uni-marburg.de · 2 ND = Nea Dimokratia, SYRIZA = Linksbündnis Syriza, CA = Goldene Morgenröte, POTAMI = To Potami (der Fluss), KKE

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2025Was bleibt von der Demokratie?

Ringvorlesung des Zentrums für Konfliktforschung26. Januar 2015

Ursula BirslDemokratieforschung

Institut für Politikwissenschaft

2

ND = Nea Dimokratia, SYRIZA = Linksbündnis Syriza, CA = Goldene Morgenröte, POTAMI = ToPotami (der Fluss), KKE = Kommunistische Partei, PASOK = Panhellenische sozialistische Bewegung, ANEL = Unabhängige Griechen

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Themen

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I. Demokratie als unabgeschlossenes „Projekt“II. Empirische Diagnose: Demokratien verlieren an Gehalt

– erodieren sie auch?III. Erklärungsversuche

I. Demokratieals unabgeschlossenes „Projekt“

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Systeme zwischen Demokratie und „Totalitarismus“

U. Birsl6

Demokratie Autokratie

Demokratie Autoritäre Systeme „Totalitäre Systeme“*

Demokratie Defekte Demokratie Hybride Systeme(Anokratien)

Stark autoritäreSysteme

Totalitäre Systeme

Illiberale D.,Defekte bei bürgerlichen

Freiheitsrechten

Beschränkte Mehrparteienregime

Militärregime Faschistisch

Exklusive D.,Defekte im Wahlregime,

bei Teilhaberechte

Neopatrimoniale Herrschaft

Reine Monarchie Kommunistisch

Delegative D.,Defekte in der

Gewaltenkontrolle

Einparteienregime Theokratisch

Enklaven-D.,Defekte bei der effektiven

Regierungsgewalt*mit ideologischemTotalitätsanspruch

Quellen: Pickel 2010, S. 191, Merkel et al., 2003, Merkel 2010, eigene Modifikationen.

Kontinuum politischer Systeme

Michael Th. Greven, 2009:

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„Die Widersprüchlichkeit und der häufig genug in der Wissenschaft hineinragende politische Gegensatz und Konflikt zwischen den freiheitlichen und unfreiheitlichenVarianten der politischen Gesellschaft dieses Jahrhunderts (gemeint ist das 20. Jahrhundert, U.B.) haben dazu beigetragen, die fundamentale Gemeinsamkeit dieses, sich heute über die ganze Welt ausbreitenden Gesellschaftstyps (die moderne kapitalistische Gesellschaft, U.B.) zu verkennen. Vor allem die hinsichtlich des politischen Regimetyps polare Gegensätzlichkeit von freiheitlicher Demokratie und den verschiedenen Formen totalitärer Herrschaft ist als politischer Gegensatz und Konflikt in diesem Jahrhundert (20. Jahrhundert U.B.) – mit gutem Grund – derartig wirkmächtig geworden, daß darüber die Erkenntnis der strukturellen und historischen Gemeinsamkeit dieser sich zum Teil absolut bekämpfenden Regime vergessen oder übersehen werden konnte“.

Was ist Demokratie?

Grundprinzipien der liberalen Demokratie Demokratie als Prozess

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Politische Gleichheit, Bürgerliche Freiheit, Kontrolle.

Die Vorstellung, von dem was Demokratie ist, muss umstritten sein.

Der Konflikt gehört zum Wesen der Demokratie.

Samuel Salzborn, 2012:

U. Birsl9

„Demokratie fordert die Legitimation (ohne bereits genau zu bestimmen, durch wen, von wem und auf welche Weise), sie fordert die Kontrolle (ebenfalls ohne eine substanzielle Erklärung darüber, wie und auf welche Weise) und sie zielt auf die Kritik von politischer Herrschaft – als dauerhaften und unabgeschlossenen Prozess“.

II. Empirische Diagnose: Demokratien verlieren an Gehalt – erodieren sie auch?

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Demokratisierungswellen und Gegenwellen

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Erste lange Demokratisierungswelle 1828 bis 1926Erste autokratische Gegenwelle 1922 bis 1942

Zweite kurze Demokratisierungswelle 1943 bis 1962Zweite autokratische Gegenwelle 1958 bis 1975

Dritte (ebenfalls kurze)Demokratisierungswelle 1974 bis ca. 1995Phase der Stagnation 1996 bis 2006Dritte autokratische Gegenwelle ab 2006?

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Erste Welle1828-1926

Zweite Welle1943-1962

Dritte Welle1974- ca. 1995

Australien Belgien (Albanien)2 MauritiusFinnland BRD Argentinien (Mazedonien)2

Großbritannien Botswana (Bangladesh)2 (Mexico)2

Irland Costa Rica Benin (Moldawa)2

Island Bahamas (Bolivien)2 MongoleiKanada Barbados Brasilien NamibiaLuxemburg1 Dänemark Bulgarien (Nepal)2

Neuseeland Frankreich Chile (Nicaragua)2

Schweden Indien DDR PanamaSchweiz Italien (Ecuador)2 (Paraguay)2

USA Israel El Salvador (Philippinen)2

Anmerkungen:1 Ergänzend hinzugefügte

Länder.2 Nach Freedom House

„partly free“.

Jamaika Estland PolenJapan Ghana Portugal(Kolumbien)2 Griechenland (Russland)2

Niederlande (Guatemala)2 RumänienNorwegen (Guinea-Bissau)2 Sao Tome & PrincipeÖsterreich (Honduras)2 Senegal(Sri Lanka)2 (Indonesien)2 (Seychellen)2

Trinidad & Tobago Kapverden Slowakei1

(Venezuela)2 Kroatien Slowenien1

Zypern Lettland SpanienLitauen Südafrika(Madagaskar)2 Südkorea(Malawi)2 Tschechische Republik1

(Mali)2 Ungarn1

Malta1

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Durchschnittliche Demokratiequalität der Demokratisierungswellen im Vergleich (Indexwerte)

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1990 1995 2006 2012

Quelle: eigene Berechnung nach dem standardisierten Datensatz des Demokratiebarometers 2014 für 1990 bis 2012, Internet: http://www.democracybarometer.org/dataset_de.html (Zugriff: 05.01.2015).

Entwicklung der Demokratiequalität der politischen Systeme der drei Demokratisierungswellen (Indexwerte, max. Wert 100)

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Erste Demokratisierungswelle

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Zweite Demokratisierungswelle

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1995 2006 2012

Dritte Demokratisierungswelle

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Dem

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2. D

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18 Quelle: http://www.democracybarometer.org/profiletime_de.html (20.07.2014)

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Quelle: http://www.democracybarometer.org/profiletime_de.html(20.07.2014)

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III. Erklärungsversuche

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Demokratisierungswellen: Transformationen und Kotransformationen

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Erste lange Demokratisierungswelle 1828 bis 1926Kotransformation in die Moderne mit ihrer Institutionenbildung Nationalstaat, systematische kapitalistische Produktion.

Zweite kurze Demokratisierungswelle 1943 bis 1962Sozialstaatliche Kotransformation (Politisierung der Ökonomie und Ökonomisierung der Politik).

Dritte Demokratisierungswelle 1974 bis ca. 1995Neoliberale und neokonservative Kontransformation mit ihren Paradigmen Liberalisierung, Deregulierung, und Privatisierung/Entpolitisierung der Ökonomie und Entökonomisierung der Politik.

Thesen

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1. Das liberale Demokratiemodell folgt ideengeschichtlich der Trennung von politischem Liberalismus und ökonomischem Liberalismus und prägte bereits den Beginn der ersten Demokratisierungswelle.

2. Fehleinschätzung der Gewerkschaftsbewegungen und Sozialdemokratie: Liberale Demokratie als „reduzierte Demokratie“ (Richard Saage) lässt sich durch Sozialstaatlichkeit nicht mit „sozialem Gehalt“ füllen.

3. Der Neoliberalismus ist mit Demokratie nicht kompatibel – aber mit Autokratien und Diktaturen.

4. Die liberale Demokratie kann die neoliberale Kotransformation nicht aufhalten – diese verläuft nur langsamer.

5. Erstarrt die liberale Demokratie in der Technokratie – ist dies 2025 ihre Vollendung?

Herzlichen Dankefür Ihre Aufmerksamkeit

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Ursula BirslDemokratieforschung

Institut für Politikwissenschaft