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1 2. VOM ERSTEN ZUM ZWEITEN WELTKRIEG Frank Lauenburg: Sternstunden Geschichte 9 / 10 © Auer Verlag 2.3  Arbeitslosigkeit und Wahlerfolge der NSDAP – Ein Erklärungsansatz Kompetenzen Sachkompetenz: Die Schüler können die Entwick- lung der Arbeitslosenquote und die Ergebnisse der NSDAP bei den Reichstagswahlen Ende der 1920er bis Anfang der 1930er Jahre darstellen sowie einen ersten Zusammenhang zwischen diesen beiden Elementen benennen. Methodenkompetenz: Die Schüler können die Entwicklung der Arbeitslosenquote und der Ergebnisse der NSDAP bei den Reichstags- wahlen Ende der 1920er bis Anfang der 1930er Jahre in einem Säulendiagramm abbilden. Urteilskompetenz: Die Schüler können die Ursa- chen für die Wahlerfolge der NSDAP bei den Reichstagswahlen zwischen Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre differenziert beurteilen. Vorbereitung / Material Der Lehrer kopiert das Wahlplakat „Letzte Hoffnung?“ (M 1 ) für den Einstieg auf Folie. Der Lehrer kopiert das AB „Entwicklung der Arbeitslosigkeit und Ergebnisse der Reichstags- wahlen“ (M 2) und das Quellenmaterial „Wahl- erfolge der NSDAP – Erklärungsansätze“ (M 3) auf Papier für die Schüler. Motivation Als Einstieg eignet sich das Wahlplakat der NSDAP aus dem Jahr 1932 „Letzte Hoffnung?“ (M 1 ). Dieses eher schlicht gehaltene Wahlplakat kombiniert die sich aus der wirtschaftlichen Lage ergebende vermeintliche Hoffnungslosigkeit einer Masse von Bürgern, die in ihrer Trostlosigkeit Hil- fe sowie Unterstützung suchen, mit der Erlösung, die sie scheinbar bei Adolf Hitler finden können. Auch wenn die wirtschaftliche Lage und die Ar- beitslosigkeit Anfang der 1930er Jahre hier nicht explizit genannt werden, so können die Schüler doch mit Bezug zum historischen Kontext der 1930er Jahre einen solchen Ansatz erahnen. Hieraus lässt sich eine mögliche Leitfrage erar- beiten, ob die wirtschaftliche Lage und die damit verbundene Arbeitslosigkeit zentrale Ursachen für die Wahlerfolge der NSDAP waren. Erarbeitung Um die Leitfrage zu beantworten, sollen die Schüler in einem ersten Schritt ein Säulen- diagramm aus dem AB „Entwicklung der Arbeits- losigkeit und Ergebnisse der Reichstagswahlen“ (M 2) zur Arbeitslosenquote zwischen 1928 und 1933 erstellen. In dasselbe Diagramm sollen sie anschließend die Ergebnisse der NSDAP bei den Reichstagswahlen in demselben Zeitraum ergänzen. Dabei sollte den Lernenden auffallen, dass es einen scheinbaren Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Arbeitslosenquote und den Wahlerfolgen der NSDAP gab. Sie werden da- durch zu einem ersten Fazit gelangen, dass die NSDAP vor allem von der schlechten Wirtschafts- lage profitieren konnte. Der Bruch, der sich im Wahljahr 1933 ergab (die Arbeitslosenquote sank um etwa 5 %, während die NSDAP noch einmal um 6 % zulegte), lässt sich u. a. aus dem Wahl- kampf selbst erklären (gerade linke Parteien hat- ten nur noch eingeschränkte Möglichkeiten eines freien und demokratischen Wahlkampfes). Zu erwähnen bleibt an dieser Stelle, dass die NS- DAP bei den Reichstagswahlen im November 1932 nur noch 33,1 % der Stimmen erhalten und somit, im Vergleich zu den Reichstagswahlen vom Juli 1932, etwa 4 % der Stimmen verloren hatte. Im Sinne der didaktischen Reduktion wird hier jedoch auf diese Information verzichtet, da die Zusammenhänge zu komplex würden. Bewertung Um abschließend die Frage nach dem Zusammen- hang zwischen den Wahlerfolgen der NSDAP und der wirtschaftlichen Lage zu beantworten, sollen sich die Schüler mithilfe des Quellenmaterials „Wahlerfolge der NSDAP – Erklärungsansätze“ (M 3) mit der Wählerklientel und der Parteistruktur der NSDAP auseinandersetzen. Somit gelangen die Lernenden zu der Erkenntnis, dass es zwar einen Zusammenhang zwischen den Elementen wirt- schaftliche Lage und Wahlerfolge der NSDAP gab, dieser Zusammenhang jedoch nur einen Teilaspekt darstellt (Sachurteil).

2.3 Arbeitslosigkeit und Wahlerfolge der NSDAP – Ein

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2.3  Arbeitslosigkeit und Wahlerfolge der NSDAP – Ein Erklärungsansatz

Kompetenzen • Sachkompetenz: Die Schüler können die Entwick­

lung der Arbeitslosenquote und die Ergebnisse der NSDAP bei den Reichstagswahlen Ende der 1920er bis Anfang der 1930er Jahre darstellen sowie einen ersten Zusammenhang zwischen diesen beiden Elementen benennen.

• Methodenkompetenz: Die Schüler können die Entwicklung der Arbeitslosenquote und der Ergebnisse der NSDAP bei den Reichstags­wahlen Ende der 1920er bis Anfang der 1930er Jahre in einem Säulendiagramm abbilden.

• Urteilskompetenz: Die Schüler können die Ursa­chen für die Wahlerfolge der NSDAP bei den Reichstagswahlen zwischen Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre differenziert beurteilen.

Vorbereitung / Material • Der Lehrer kopiert das Wahlplakat „Letzte

Hoffnung?“ (M 1) für den Einstieg auf Folie. • Der Lehrer kopiert das AB „Entwicklung der

Arbeitslosigkeit und Ergebnisse der Reichstags­wahlen“ (M 2) und das Quellenmaterial „Wahl­erfolge der NSDAP – Erklärungsansätze“ (M 3) auf Papier für die Schüler.

Motivation • Als Einstieg eignet sich das Wahlplakat der

NSDAP aus dem Jahr 1932 „Letzte Hoffnung?“ (M 1). Dieses eher schlicht gehaltene Wahlplakat kombiniert die sich aus der wirtschaftlichen Lage ergebende vermeintliche Hoffnungslosigkeit einer Masse von Bürgern, die in ihrer Trostlosigkeit Hil­fe sowie Unterstützung suchen, mit der Erlösung, die sie scheinbar bei Adolf Hitler finden können. Auch wenn die wirtschaftliche Lage und die Ar­beitslosigkeit Anfang der 1930er Jahre hier nicht explizit genannt werden, so können die Schüler doch mit Bezug zum historischen Kontext der 1930er Jahre einen solchen Ansatz erahnen.

• Hieraus lässt sich eine mögliche Leitfrage erar­beiten, ob die wirtschaftliche Lage und die damit verbundene Arbeitslosigkeit zentrale Ursachen für die Wahlerfolge der NSDAP waren.

Erarbeitung • Um die Leitfrage zu beantworten, sollen die

Schüler in einem ersten Schritt ein Säulen­diagramm aus dem AB „Entwicklung der Arbeits­losigkeit und Ergebnisse der Reichstagswahlen“ (M 2) zur Arbeitslosenquote zwischen 1928 und 1933 erstellen. In dasselbe Diagramm sollen sie anschließend die Ergebnisse der NSDAP bei den Reichstagswahlen in demselben Zeitraum ergänzen.

• Dabei sollte den Lernenden auffallen, dass es einen scheinbaren Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Arbeitslosenquote und den Wahlerfolgen der NSDAP gab. Sie werden da­durch zu einem ersten Fazit gelangen, dass die NSDAP vor allem von der schlechten Wirtschafts­lage profitieren konnte. Der Bruch, der sich im Wahljahr 1933 ergab (die Arbeitslosenquote sank um etwa 5 %, während die NSDAP noch einmal um 6 % zulegte), lässt sich u. a. aus dem Wahl­kampf selbst erklären (gerade linke Parteien hat­ten nur noch eingeschränkte Möglichkeiten eines freien und demokratischen Wahlkampfes).

• Zu erwähnen bleibt an dieser Stelle, dass die NS­ DAP bei den Reichstagswahlen im November 1932 nur noch 33,1 % der Stimmen erhalten und somit, im Vergleich zu den Reichstagswahlen vom Juli 1932, etwa 4 % der Stimmen verloren hatte. Im Sinne der didaktischen Reduktion wird hier jedoch auf diese Information verzichtet, da die Zusammenhänge zu komplex würden.

BewertungUm abschließend die Frage nach dem Zusammen­hang zwischen den Wahlerfolgen der NSDAP und der wirtschaftlichen Lage zu beantworten, sollen sich die Schüler mithilfe des Quellenmaterials „Wahlerfolge der NSDAP – Erklärungsansätze“ (M 3) mit der Wählerklientel und der Parteistruktur der NSDAP auseinandersetzen. Somit gelangen die Lernenden zu der Erkenntnis, dass es zwar einen Zusammenhang zwischen den Elementen wirt­schaftliche Lage und Wahlerfolge der NSDAP gab, dieser Zusammenhang jedoch nur einen Teilaspekt darstellt (Sachurteil).

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SicherungDie Sicherung der Ergebnisse erfolgt einerseits über die zu erstellenden Diagramme (M 2), andererseits über die begründete Stellungnahme im Zuge der Quellenarbeit (M 3).

Vertiefung • Als mögliche Vertiefung, vor allem als mögliche

Binnendifferenzierung, können die absoluten Zahlen der Arbeitslosen und der für die NSDAP abgegebenen Stimmen aus dem AB „Entwicklung der Arbeitslosigkeit und Ergebnisse der Reichs­tagswahlen“ (M 2) genutzt werden.

• Hierzu könnte ein weiteres Säulendiagramm erstellt werden, um die Zusammenhänge zu verdeutlichen. Als Erkenntnis könnte mithilfe dieses zweiten Diagramms stehen, dass die für die NSDAP abgegebenen Stimmen ab 1930 immer erheblich höher waren, als die Zahl der Arbeitslosen selbst. Somit lässt sich eindeutig feststellen, dass nicht nur Arbeitslose die NSDAP gewählt hatten. Hinzu müssen mindestens einige gezählt werden, die aus subjektivem Empfinden von Arbeitslosigkeit bedroht waren, aber auch eine weitere Masse an Menschen, die sich aus anderen Motiven der NSDAP anschlossen.

M 1Letzte Hoffnung?

Wahlplakat der NSDAP zur Reichstagswahl Juli 1932

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Entwicklung der Arbeitslosigkeit und Ergebnisse der Reichstagswahlen

Arbeitslose und Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt in Deutschland 1928 – 1933

Jahr in Mio. in %

1928 1,39 6,31930 3,07 14,01932 5,58 29,81933 4,80 25,9

Quelle: Humann, D.: Statistiken zu Detlev Humann: „Arbeitsschlacht“. Arbeitsbeschaffung und Propaganda in der NS-Zeit 1933 – 1939, Göttingen 2011, S. 17.

Ergebnisse der NSDAP bei den Reichstagswahlen zwischen Mai 1928 und März 1933

Jahr in Tausend in %

20.05.1928 810 2,614.09.1930 6 410 18,331.07.1932 13 746 37,405.03.19331 17 277 43,9

1 Die Reichstagswahlen im März 1933 können nur noch eingeschränkt als freie und demokratische Wahlen bezeichnet werden, da die freie politische Betätigung der linken Parteien durch Notverordnungen erheblich eingeschränkt worden war. Außerdem wurden diverse Funktionäre der KPD und SPD in „Schutzhaft“ genommen und die NSDAP­nahe SA verbreitete während des Wahlkampfes erheblichen Terror unter der Bevölkerung.

M 2

Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/275954/umfrage/ergebnisse-der-reichstagswahlen-in-der-weimarer-republik-1919-1933/ und http://www.kas.de/wf/de/71.9001/

1. Erstelle ein Säulendiagramm, in dem du die Entwicklung der Arbeitslosenquote in Prozent abbildest. Verwende für die x­Achse die Jahre der Wahlen.

2. Ergänze in demselben Säulendiagramm die Ergebnisse der NSDAP bei den Reichstagswahlen in Prozent.

3. Ergänze dein Diagramm mit einer passenden Überschrift und einer Legende.4. Vergleiche die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in Millionen mit den

Ergebnissen der NSDAP bei den Reichstagswahlen in Millionen (Berücksichtige die richtige Einheit!). Formuliere ein erstes Fazit.

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M 3Wahlerfolge der NSDAP – Erklärungsansätze

Der liberale Journalist Hellmut von Gerlach fasste in einem Zeitungskommentar vom 6.10.1930 die Ergebnisse der Reichstagswahl vom September 1930 folgendermaßen zusammen:

Die Hitlerwähler setzen sich aus zwei Kategorien zusammen: einer kleinen Minderheit von Nationalsozialisten, die auf das Hakenkreuz eingeschworen sind, und einer riesigen Mehrheit von Mitläufern. Keine andere deutsche Partei ist so labil wie die national­sozialistische, das heißt bei keiner anderen ist das Missverhältnis zwischen Stamm­kunden und Laufkunden ebenso groß. […]Die Millionen der Wähler, die er diesmal mustern konnte, dank der Gunst der Umstände, das heißt dank der Ungunst der Wirtschaftslage, rekrutieren sich aus den verschiedens­ten Schichten.Da sind Arbeiter, relativ genommen nicht sehr viele, aber eine Million wird es doch wohl gewesen sein. […] Es sind junge Leute, Friseurgehilfen, Chauffeure usw., die sich et­was Besseres dünken [für etwas Besseres halten] als die Masse der gewerkschaftlich organisierten Fabrikarbeiter. […] Da sind Massen von Angestellten, […] die berühmten oder berüchtigten Stehkragen­proletarier. Ihr Interesse müsste sie in eine Einheitsfront mit den Arbeitern führen. Aber ihr „Standesgefühl“ ist stärker als ihre soziale Einsicht.Da ist das Gros der Studenten und sonstigen jungen Akademiker. Bei ihnen fällt die antisemitische Hetzphrase auf besonders dankbaren Boden. Der Jude wird eben als unbequemer Konkurrent empfunden. Sie sind fanatisch nationalistisch. Den Krieg kennen sie nicht. […]Da sind bedauerlich viele Beamte. Ihre politische Freiheit verdanken sie ausschließlich der Republik. Aber leider hat ihnen die Republik mit der politischen Freiheit nicht auch zugleich das politische Denken geben können. […] Da ist vor allem der große Block des so genannten selbstständigen Mittelstandes. Diese Millionen von Handwerkern, Gewerbetreibenden und Kleinkaufleuten führen seit der nach 1871 einsetzenden großindustriellen Entwicklung einen verzweifelten Kampf um ihre Existenz. Es fehlt ihnen an wirtschaftlicher Einsicht. Darum fallen sie auf jeden Schwätzer herein, der ihnen die Wiederherstellung des „goldenen Bodens“ durch Kampf gegen Juden und Warenhäuser, gegen Börse und Gewerbefreiheit verspricht.

Quelle: Bennecke, H.: Wirtschaftliche Depression und politischer Radikalismus 1918 – 1938, 345 ff.

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Reichstagswahlen, Wahllokal in Berlin, 31. Juli 1932

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Der Parteienforscher Jürgen W. Falter äußerte sich 1987 über die Wahlerfolge der NSDAP wie folgt:

Es handelte sich bei der NS­Bewegung immer um eine sozial gemischte, sowohl für Arbeiter als auch für Mittel­ und Oberschichtenzugehörige […] attraktive Partei. Von der Sozialstruktur ihrer Mitglieder und Wähler her […] ist sie wohl am ehesten […] bemüht, in ihrer Propaganda mithilfe […] [ihrer] Angebote und Versprechungen Angehörige aller So­zialschichten anzusprechen, was ihr auch stärker als den anderen politischen Parteien gelungen zu sein scheint. […] Vergleicht man die NSDAP mit anderen Parteien, so ist festzuhalten, dass sie – abge­sehen von der Konfession – auf Kreisebene ein sehr viel ausgeglicheneres Sozialprofil aufwies als die Parteien des linken und des bürgerlich­protestantischen Wählerblocks; dies kann als weiteres Indiz für ihren Charakter als moderne („Volks“)partei angesehen werden. […]Angesichts der […] Komplexität der sozialen Zusammensetzung und parteipolitischen Herkunft ihrer Anhänger lässt sich die NSDAP zwischen 1928 und 1933 als eine Partei charakterisieren, die wie andere moderne Integrationsparteien für ihre Anhänger Un­terschiedliches bedeutet hat: Für die Oberschicht […] fungierte sie als Bollwerk gegen eine damals wohl tatsächlich als real empfundene kommunistische Gefahr; für die Mit­telschichten diente sie als Sammelpartei des sozialen und wirtschaftlichen Protestes; für Teile der Arbeiterschaft als nationale Alternative zu den beiden sozialistischen Parteien; für die besonders unter der Arbeitslosigkeit leidenden Jungwähler, die zumindest unter den NSDAP­Mitgliedern weit überdurchschnittlich vertreten waren, stellte sie eine Art Aufbruchsbewegung in eine bessere Zukunft dar; für die völkisch­antisemitischen Grup­pen schließlich, die zwar die Parteielite stellten, innerhalb der nationalsozialistischen Wählerschaft aber vermutlich nur eine kleine Minderheit aus gemacht haben dürften, bil­dete sie die Speerspitze deutschen Herrenbewusstseins.

Quelle: Falter, J. W.: Wahlen und Wählerverhalten unter besonderer Berücksichtigung des Aufstiegs der NSDAP nach 1928. In: Bracher, K. D.; Funke, M; Jacobsen, H.-A. (Hg.): Die Weimarer Republik 1918 – 1933. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Bonn 1987, S. 484ff.

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1. Lies dir die beiden Quellen aufmerksam durch und markiere die zentralen Stellen.2. „Die Wahlerfolge der NSDAP lassen sich eindeutig aus der wirtschaftlichen Lage

und der hohen Arbeitslosigkeit Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre erklären.“ – Beziehe unter Berücksichtigung der Erkenntnisse von Hellmut von Gerlach und Jürgen W. Falter begründet Stellung zu dieser Aussage.

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M 2 Lösung

Entwicklung der Arbeitslosenquote und Ergebnisse der NSDAP bei den Reichstagswahlen zwischen 1928 und 1933 (in %)

Entwicklung der Anzahl der Arbeitslosen und Stimmen für die NSDAP bei den Reichstagswahlen zwischen 1928 und 1933 (in Mio.)

Scheinbar besteht ein Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Arbeitslosenquote und den Wahl­ergebnissen der NDSAP bei den Reichstagswahlen. So zeigt sich zwischen 1928 und 1932, dass bei steigender Arbeitslosigkeit auch die Wahlerfolge der NSDAP zunahmen. 1933 hingegen sank die Arbeitslosenquote um knapp 4 Prozentpunkte, trotzdem gewann die NSDAP weiter an Zuspruch. Der historische Kontext – die Wahlen zum Reichstag 1933 können nicht mehr als freie und demokratische Wahlen bezeichnet werden, außerdem war Hitler schon seit knapp zwei Monaten Reichs­kanzler – kann hier als erste mögliche Erklärung für diesen scheinbaren Widerspruch herangezogen werden.

Jahr Ergebnisse der NSDAP bei den Reichstagswahlen in %

Arbeitslosenquote in %

1928 2,6 6,3

1930 18,3 14,0

1932 37,4 29,8

1933 43,9 25,9

Jahr Arbeitslose in Mio. Stimmen für die NSDAP bei den Reichstagswahlen in Mio.

1928 1,39 0,81

1930 3,07 6,41

1932 5,58 13,75

1933 4,80 17,28

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Arbeitslosenquote in %

Arbeitslose in Mio.

Ergebnisse der NSDAP bei den Reichstagswahlen in %

Stimmen für die NSDAP bei den Reichstagswahlen in Mio.

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M 3 Lösung

• Ja, es besteht ein Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Lage und der Arbeitslosigkeit Ende der 1920er bis Anfang der 1930er und den Wahlerfolgen der NSDAP bei den Reichstagswahlen.

• Aber es ist zu einseitig gedacht, würde man behaupten, dass dies der einzige Faktor war. • Denn die Wählerklientel der NSDAP war stark differenziert und damit waren auch die Motive, die NSDAP

zu wählen, sehr unterschiedlich: Der Teil der Arbeiter, die „sich für etwas Besseres halten“ und sich somit vom klassischen Proletarier

abgrenzen wollten (und nicht gewerkschaftlich organisiert waren und somit nicht SPD oder KPD wählten).

Akademiker und Studenten, die jüdische Bürger als Konkurrenten empfanden und daher der anti­semitischen Propaganda der NSDAP folgten.

Beamte, die trotz der Verbesserung ihrer Lage in der Weimarer Republik keine überzeugten Demokraten waren.

Selbstständiger Mittelstand, für den sich die wirtschaftliche Lage kontinuierlich verschlechtert hatte und der somit die „Wiederherstellung der alten Ordnung“ wünschte.

Für die Oberschicht war sie ein „Bollwerk gegen den Kommunismus“. Für die Mittelschicht war sie eine „Sammelpartei des sozialen und wirtschaftlichen Protestes“. Für die Arbeiterschicht war sie eine „nationale Alternative“ zu den sozialistischen Parteien. Für die jungen Arbeitslosen war sie eine „Aufbruchsbewegung in eine bessere Zukunft“. Für völkisch­antisemitische Gruppen bildete sie eine „Speerspitze deutschen Herrenbewusstseins“. • Somit schaffte es die NSDAP, viele soziale Schichten anzusprechen und zu integrieren. Sie kann daher im modernen Sinne als „Volkspartei“ bezeichnet werden.

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QuEllEnVErzEichnis

Quellenverzeichnis

BildquellenS. 2 Wahlplakat © akg­images, AKG 163369S. 4 Reichtagswahl © Bundesarchiv, Bild 102­03497A / CC­BY­SA 3.0 [CC BY­SA 3.0 de (https://creative

commons.org/licenses/by­sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3ABundesarchiv_Bild_102­03497A%2C_Berlin%2C_Propaganda_zur_Reichstagswahl.jpg

Textquellen

Bennecke, Heinrich: Wirtschaftliche Depression und politischer Radikalismus 1918 – 1938, 345 ff. @ OL­ZOG Verlag (1970).

Brechtken, Magnus: Die nationalsozialistische Herrschaft 1933 – 1939, Darmstadt 2004.

Droste, Peter Johannes [u. a.]: Geschichte und Geschehen – Oberstufe Nordrhein­Westfalen, Stuttgart 2015.

Falter, Jürgen W.: Wahlen und Wählerverhalten unter besonderer Berücksichtigung des Aufstiegs der NSDAP nach 1928. In: Bracher, Karl Dietrich; Funke, Manfred; Jacobsen, Hans-Adolf (Hrsg.): Die Weimarer Republik 1918 – 1933. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Bonn 1987, S. 484 ff.

Hofer, Walther: Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933 – 1945, Frankfurt / M. 1957.

Humann, Detlev: Statistiken zu Detlev Humann: „Arbeitsschlacht“. Arbeitsbeschaffung und Propaganda in der NS­Zeit 1933 – 1939, Göttingen 2011.

Michalka, Wolfgang (Hrsg.): Das Dritte Reich, Band. 1, München 1985.

Internetquellen

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/275954/umfrage/ergebnisse­der­reichstagswahlen­in­der­ weimarer­republik­1919­1933/

http://www.kas.de/wf/de/71.9001/

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Wahlplakat der NSDAP zur Reichstagswahl Juli 1932 © akg-images, AKG 163369

Letzte Hoffnung?