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Peter SchollLatour

Weltmacht im TreibsandBush gegen die Ayatollahs

s&c by unknownWas Peter Scholl-Latour mit der ihm eigenen visionren Kraft vorausgesehen hat, ist eingetroffen: Nicht nur im Irak, im gesamten Nahen und Mittleren Osten entfaltet sich ein historisches Drama, das der Weltmacht USA schneller als erwartet ihre Grenzen aufzeigt. Aufgrund jngster Eindrcke in der Konfliktregion und jahrzehntelanger Kenntnis der dort wirkenden politischen und religisen Krfte gelingt Scholl-Latour eine beeindruckende Analyse dieses notorischen Brennpunkts der Weltpolitik.ISBN: 3-549-07208-2 Verlag: Ullstein Buchverlage GmbH Erscheinungsjahr: 2004

Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!

BuchZwei Jahre nach Beginn des Antiterror-Feldzugs der Bush-Administration zieht Peter Scholl-Latour eine ernchternde Zwischenbilanz. Zwar wurden das TalibanRegime in Afghanistan und Saddams blutige Diktatur im Irak gestrzt, doch in beiden Lndern herrscht Chaos, gewinnen fundamentalistisch-terroristische Gruppierungen an Boden. Vor allem aber zeichnet sich eine geografische Brcke der schiitischen Glaubensgemeinschaft ab, die vom Iran ber den Irak bis zum Libanon reicht, vom Hindukusch bis ans Mittelmeer. Vom Saddam-Joch befreit, drngen die Schiiten des Irak, die dort 65 Prozent der Bevlkerung ausmachen, an die Macht. Sollte die amerikanische Besatzungsmacht ihnen die Fhrung der Regierung von Bagdad verweigern, sind explosive Eruptionen nur eine Frage der Zeit. Zugleich gewinnt die Teheraner Mullahkratie, die sich international in der Defensive sah und aufgrund ihrer restriktiven theokratischen Ordnung im eigenen Land viel Prestige eingebt hat, neuen Spielraum. Seit langem schon untersttzt sie die schiitische Hizbullah im Libanon, den hartnckigsten Widersacher Israels. Entgegen den Plnen Washingtons, den Nahen und Mittleren Osten langfristig zu befrieden, bleibt die Region, die Peter Scholl-Latour seit Jahrzehnten wie kein anderer westlicher Beobachter kennt und erst jngst erneut bereist hat, ein Pulverfass. Den USA droht ein an Vietnam gemahnender Dauerkonflikt, ein Szenario, das niemand besser zu schildern wsste als der Nestor des deutschen Journalismus.

Autor

Peter Scholl-Latour, geboren 1924 in Bochum. Seit 1950 arbeitet er als Journalist, unter anderem viele jhre als ARD-Korrespondent in Afrika und Indochina, als ARDStudioleiter in Paris, als Fernsehdirektor des WDR, als Herausgeber des Stern. Seit 1988 als freier Publizist ttig. Seine TV-Sendungen ber die Brennpunkte des Weltgeschehens finden hchste Einschaltquoten und Anerkennung, seine Bcher sind allesamt Bestseller.

InhaltTOUR DHORIZON Gotteskrieger in Ost und West9 Menetekel in Bagdad ....................................................... 10 Rumsfeld gegen das Alte Europa ............................ 15 Guter Qadhafi bser Saddam ..................................... 22 Geschmhter Pralinengipfel...................................... 28 Die trkische Lge ........................................................... 32 33 Kampfbrigaden sind zu wenig ................................ 38 Trauma Vietnam ............................................................... 43 Mit dem Teufel schlafen ............................................ 48 Die Torheit des Unilateralismus ................................... 58 Calvinismus und Neu-Heidentum................................ 64 Blood for oil .................................................................. 74 Die schiitische Karte ........................................................ 83 Furcht vor dem Gottesstaat ............................................ 88 und htte der Liebe nicht ..................................... 95 AFGHANISTAN Deutschland am Hindukusch ...99 Patrouille ........................................................................... 100 Warnzeichen Dien Bien Phu ....................................... 110 Walkren in Kabul ......................................................... 113 Unsere Strke liegt im Verzicht............................. 121 Einsatzplanung in der Wolfshhle ........................ 125 Stimmzettel-Fetischismus ............................................ 131 Die Schachzge des Ismail Khan ............................... 136 Als man mit Mullah Omar Geschfte machte ........ 140 Vabanque-Spiel in Kundus .......................................... 146 Ein zu schneller Sieg ..................................................... 154 Feldgottesdienst .............................................................. 168 IRAN Ende des Heiligen Experiments.................170

Die Last der Geiselnahme ............................................ 171 Der Erwhlte .................................................................... 182 Der Gaskrieg Saddams .................................................. 188 Die Plne des Pentagon................................................. 193 Proteste gegen Khatami ................................................ 201 Orgien in Schemiran ...................................................... 206 Abschied von der Revolution ...................................... 214 Die CIA schlgt zu ......................................................... 218 Ein vershnlicher Staatsanwalt ................................... 224 Geheimnis des Glaubens .............................................. 235 Khomeini und die Juden ............................................... 238 und dann sind sie verstummt ............................ 242 IRAK Die Super-Intifada ......................................245 Der Aufbruch ................................................................... 246 Im Schutz von GSG-9 ................................................... 279 Schlimmer als Vietnam?............................................... 288 Es brodelt bei den Schiiten .......................................... 292 Tdliche Nadelstiche ..................................................... 302 Mutter aller Lgen ..................................................... 307 Das Toben des Mobs ..................................................... 315 In stummer Ruh lag Babylon.................................. 328 Die Brte der Mrtyrer .................................................. 332 Rule Britannia! ........................................................... 342 Die Mnner vom Lancashire-Regiment ................... 351 Imperiale Plutokratie ..................................................... 358 Im Schatten der Osmanen ............................................ 364 Aus Besatzern werden Belagerte ............................... 369 Scheikh Muqtada will den Heiligen Krieg .............. 376 Die List des Gro-Ayatollah Yaqubi ........................ 387 to save American lives ....................................... 392 Die zerstrte Atomschmiede ....................................... 398 Land der Propheten ................................................... 405

Die Ungeduld der Glubigen....................................... 412 Deutscher Soldatenfriedhof ......................................... 418 Der mrderische Pfeil der Parther......................... 423 LIBANON Gelbe Fahnen am bsen Zaun.......427 Bedrohung fr Galila ................................................... 428 Schiitische Wiedergeburt ............................................. 434 Die Zuversicht der Hizbullah ...................................... 440 Scharons milungener Feldzug .................................. 448 Bomben gegen die Kreuzritter ............................... 452 Ein einzelner Krieger zu Fu.................................. 460 Im Garten des Aga Khan .............................................. 466

Aus Grnden der Diskretion und vor allem der Sicherheit fr die Betroffenen habe ich die Namen meiner Gesprchspartner und die Umstnde der Begegnung gelegentlich gendert. Das gilt nicht fr Personen des ffentlichen Lebens und deren Aussagen, die exakt wiedergegeben werden. Bei der Transkription von Ausdrcken aus fremden Sprachen habe ich mich an die bliche, allgemein verstndliche Schreibweise gehalten.

TOUR DHORIZON GOTTESKRIEGER IN OST UND WEST

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Menetekel in BagdadParis, im Januar 2004 Stell dir vor, es gibt Krieg, und keiner geht hin, so heit es angeblich bei Bertolt Brecht. Die deutschen Pazifisten, von denen einige in der jetzigen Regierung als Minister amtieren, hatten diese Losung begeistert bernommen, obwohl sie verflscht ist. Heute mte sie wohl anders lauten: Stell dir vor, es gibt Krieg, und keiner wei es! Welchem Bundesbrger ist denn wirklich bewut, da mit Inkrafttreten des Artikels V der Atlantischen Allianz nach dem 11. September 2001 die europischen Staaten weiterhin auf Seiten des amerikanischen Verbndeten in einen globalen Feldzug gegen den Terrorismus verwickelt sind, der weder zeitliche noch rumliche Grenzen kennt? Es ist ein absurder, ein Phantom-Krieg, der da in Gang gekommen ist. Der Feind ist in keiner Weise definiert. Da verschiedentlich versucht wird, mich immer wieder in die Ecke des Antiamerikanismus abzudrngen, will ich zur Einleitung wie auch bei spteren Betrachtungen vorzugsweise auf berufene Stimmen aus den USA zurckgreifen. So zitiere ich hier Zbigniew Brzezinski, den einstigen National Security Advisor des Prsidenten Jimmy Carter: In den vergangenen Monaten haben die Vereinigten Staaten eine Erfahrung gemacht, die wir als das ungewhnlichste Versagen der Intelligenz in unserer Geschichte bezeichnen knnen. Dieses Versagen wurde durch extreme Demagogie ausgelst, die schlimmste10

Katastrophen-Szenarien entwirft, ngste schrt und eine uerst simplifizierte Sicht, eine Zweiteilung (Dichotomie) der weltweiten Wirklichkeit suggeriert. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer serisen Debatte ber Amerikas Rolle in der Welt. Kann eine Weltmacht global leadership ausben auf der Basis von Furcht und Angst? Knnen die Vereinigten Staaten Untersttzung anfordern, zumal die Untersttzung von Freunden, wenn denen gesagt wird: Ihr seid gegen uns, wenn ihr nicht mit uns seid? Die Notwendigkeit einer solchen Debatte kann nicht ausgerumt werden, indem man die Herausforderung mit theologischem Akzent als Terrorismus qualifiziert, ein Terrorismus, den diejenigen ausben, die die Dinge hassen (who hate things), whrend wir Menschen sind, die die Dinge lieben (people who love things). So hat es Amerikas hchster Wortfhrer ausgedrckt. Darauf folgt das zentrale Argument des ehemaligen Sicherheitsberaters: Terrorismus ist eine Technik, um Menschen zu tten. Er kann nicht der Feind sein. Das klingt so, als wrden wir behaupten, der Zweite Weltkrieg sei nicht gegen die Nazis gefhrt worden, sondern gegen den Blitzkrieg. Wir mssen die Frage stellen, wer der Feind ist und was ihn zu seinen Aktionen gegen uns motiviert. * Dieses Buch ist nicht der Polemik, sondern der Betrachtung gewidmet. Dabei beziehe ich mich immer wieder auf das persnliche Erlebnis vor Ort, auf die Tuchfhlung mit dem realen Geschehen, was im Zeitalter11

einer perfektionierten Meinungsmanipulation durch die Medien unentbehrlicher ist denn je. Wir sind bei der in Deutschland praktizierten Selbstzensur, der braven Anpassung an die political correctness so weit gekommen, da es sich nur noch ein israelischer Militrhistoriker in einer hiesigen Gazette leisten kann, in aller Nchternheit festzustellen, da Amerika den Irak-Krieg bereits verloren hat. Ich will hier nicht die klugen Argumente Martin van Crevelds bernehmen, sondern meine eigene Erkenntnis beisteuern, warum der Feldzug Iraqi Freedom zum Scheitern verurteilt ist. Die USA werden zwar niemals eine Schlacht oder auch nur ein Gefecht verlieren. Dennoch bieten sich der Strategie Washingtons auf lngere Sicht nur zwei Optionen, und beide sind negativ. Entweder versteift sich die Bush-Administration auf die Schaffung eines proamerikanischen Regimes in Bagdad, das unter Miachtung des Whlerwillens mit einem Lippenbekenntnis zur Demokratie und Meinungsfreiheit die Weltffentlichkeit hnlich wie Hamed Karzai in Afghanistan zu betrgen sucht. Da eine solche selektierte Mannschaft, die man sehr bald der Autoritt eines starken Mannes unterstellen mte, den Forderungen der Petroleum-Konzerne der USA nachgeben, einen Friedensvertrag mit Israel abschlieen und den Fhrungsanspruch der schiitischen Bevlkerungsmehrheit miachten mte, bese sie nur geringe berlebenschancen. Die US Army wrde sich der stndigen Guerrilla-berflle berdrssig aus dem Zweistromland zurckziehen wie seinerzeit die Sowjetrussen aus Afghanistan. Dabei knnte sie nicht einmal davon ausgehen, da der von ihr eingesetzte irakische Statthalter es seinem Schicksalsgefhrten Nadschibullah in Kabul gleich tte, der nach der12

sowjetischen Rumung immerhin drei Jahre lang dem wachsenden Druck der Mudschahidin standhielt. Die andere Option, deren kritische Bewertung ein wesentlicher Teil dieses Buches ist, lautet wie folgt: Die USA erkennen an, da die Schiiten im Irak den Schlssel zur Zukunft besitzen und der zentrale Faktor einer eventuellen Stabilisierung sind. Damit mte der Prsident jedoch hinnehmen, da im Irak eine Islamische Republik ausgerufen wird. Das wre nicht unbedingt eine Kopie des Gottesstaates, den der Ayatollah Khomeini im benachbarten Iran errichtete. Aber eine streng koranische, stark schiitisch geprgte Grundausrichtung der neuen Verfassung wre angesichts der religisen Massenbegeisterung gar nicht zu vermeiden. Wird George W. Bush ber den eigenen Schatten springen knnen? Er hatte in der Vorbereitungsphase seines Irak-Feldzuges angekndigt, das Terror-Regime Saddam Husseins nach dessen Sturz in einen beacon of democracy, einen Leuchtturm der Freiheit umzuwandeln, der mit allen Errungenschaften der parlamentarischen Demokratie und der freien Marktwirtschaft gesegnet wre. Dieses idyllische Vorbild sollte auf alle arabischislamischen Staaten ausstrahlen, die weiterhin der Willkr von Despoten oder religisen Fanatikern ausgeliefert sind, und sie zur offiziellen Heilslehre des Westens bekehren. Diese extrem naive Absicht so sie denn berhaupt ernst gemeint war wrde durch das Entstehen einer islamischen Theokratie an Euphrat und Tigris in ihr Gegenteil verkehrt. Trotz des berdrusses an der Mullahkratie, der sich inzwischen bei weiten Bevlkerungsschichten, vor allem bei der Jugend in Teheran, breitmacht, kme unweigerlich zwischen den beiden mehrheitlich schiitischen Nachbarstaaten Iran und Irak eine unterschwellige Komplizenschaft zustande. Die13

religise Wiedergeburt in Bagdad und Nedschef knnte eine Brcke schlagen zu jener schiitischen Hizbullah des Libanon, die die weit berlegene Armee Israels zum Rckzug auf die Grenzen Galilas gezwungen hat und trotz ihrer legalen Reprsentanz im Parlament von Beirut von den USA als verbrecherische Organisation gebrandmarkt wurde. Mit den internen Querelen, dem begeisterten Aufbegehren, der mystischen Opferstimmung des schiitischen Glaubenszweiges des Islam, der Partei Alis oder Schiat Ali zwischen Hindukusch und Mittelmeer, beschftigt sich ein wesentlicher Teil dieser Verffentlichung. Ich habe den Untertitel: Bush gegen die Ayatollahs gewhlt, weil man sich nur sehr schwer eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den imperialen Interventionisten in Washington und der hohen schiitischen Geistlichkeit vorstellen kann. Sollten die USA sich zhneknirschend und aus purer Not dennoch bereit finden, der sich bislang friedlich und passiv verhaltenden Hawza von Nedschef, der hchsten theologischen Instanz der irakischen Schia, das Schicksal Mesopotamiens anzuvertrauen, dann knnten vielleicht Chaos und Brgerkrieg eingedmmt, eine geordnete Evakuierung der US-Truppen abgesichert werden. Aber die Ideologie der Neokonservativen und Evangelikaner, die Interessen der lmagnaten und der Freunde Israels wrden dabei unwiderruflich zu Schaden kommen. Das Menetekel des Knigs Belsazar von Babylon leuchtet in flammenden Lettern. Zbigniew Brzezinski interpretiert es wie folgt: Die Amerikaner werden sich damit abfinden mssen, da sie in einer unsicheren Welt leben. Das ist gar nicht zu vermeiden. Wie alle anderen mssen wir lernen, damit zu existieren.

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Rumsfeld gegen das Alte EuropaWie weit die klassische Bildung des amerikanischen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld reicht, ist mir nicht bekannt. Vielleicht hat er jedoch den lateinischen Ausspruch des Poeten Attius gehrt, der von Cicero bernommen wurde: Oderint dum metuant mgen sie uns hassen, Hauptsache, sie frchten uns. Zweifellos handelt Rumsfeld nach diesem Prinzip. Wenn der dynamische und begabte Politiker, der sich in seiner Rundum-Androhung von preemptive strikes in der Filmrolle des Dr. Strangelove zu gefallen scheint, seine renitenten europischen Partner systematisch beleidigt, fllt das am Ende auf ihn selbst zurck. Deutschland wurde mit Libyen und Kuba verglichen. Vermutlich hat der Secretary of Defense aus vollem Herzen der Aussage der nationalen Sicherheitsberaterin, Condoleezza Rice, zugestimmt, als diese die Deutschen wegen ihrer Verweigerungshaltung im Weltsicherheitsrat ignorieren, die Franzosen sogar bestrafen wollte: We shall punish France. Hatte diese brillante Intellektuelle und begnadete Pianistin nicht bedacht, da Leonid Breschnew sich in hnlicher Weise gegenber dem unbotmigen Tschechoslowaken Alexander Dubcek htte uern knnen? Rumsfeld hatte vor allem die glorreiche Idee, das neue, innovative, tapfere, fortschrittsorientierte Osteuropa gegen Old Europe auszuspielen, das in wirtschaftlicher Stagnation, in kultureller Erstarrung und mit feigen Beschwichtigungsgesten den eigenen Niedergang beschleunigt. Als leuchtendes Vorbild wurden Franzosen und Deutschen die Polen, die Rumnen, die Albaner15

entgegengehalten. Der Fall Warschau mag ausgeklammert bleiben. Dort erinnert man sich schmerzhaft an das Jahr 1939, als Polen von Deutschen und Russen aufgeteilt, von den Franzosen im Stich gelassen wurde. Fr den Fall knftiger Komplikationen jenseits des Bug erscheint deshalb die Supermacht USA als letzter rettender Rekurs, obwohl es nachdenklich stimmt, da Premierminister Leszek Miller, der sich an die Spitze der Koalition der Willigen stellte, ein in der Wolle gefrbter Kommunist, sich bis zuletzt als Vasall Moskaus erwiesen hat. Und Rumnien? Dort geht noch das Dracula-Gespenst Ceauescus um, und die Regierungsmannschaft von Bukarest hat sich lngst nicht von ihren sptstalinistischen Reflexen befreit. Oder Albanien? Das stolze Land der Skipetaren ist nun einmal zum zentralen Umschlagsort aller nur denkbaren Mafia-Aktivitten des Balkans und nicht nur des Balkans geworden. Was Rumsfeld mit seinem Trompetensto bewirkt hat, ist die Aufwertung des Wortes Old Europe. Nur ein Dummkopf kann sich heute schmen, ein alter Europer zu sein. Da so viele andere Kleinstaaten, vor allem die jngsten Kandidaten der EU-Erweiterung, sich lieber in die Stars and Stripes der USA als in das Sternenbanner die Dornenkrone, wie die Sptter sagen der Europischen Union hllen, mag sich aus einem angestammten Unterwrfigkeitsreflex gegenber der jeweils vorherrschenden Gromacht und fr die Balten aus der fortdauernden Angst vor dem russischen Bren erklren. Die Finanzierung ihrer wirtschaftlichen Sanierung erwarten diese Lnder jedoch aus Brssel. Die Attacken gegen das alte Europa zielten eindeutig auf Schwchung, auf Spaltung eines bislang befreundeten Kontinents hin, der in den Verdacht geraten war, ein potentieller Rivale der USA zu werden. Die berraschend16

geglckte Stabilisierung der neuen Euro-Whrung drfte dazu beigetragen haben. Die Verbal-Entgleisung Rumsfelds hatte sogar einen der treuesten Paladine der amerikanischen Hegemonie, den britischen Auenminister Jack Straw, bewogen, auf die Zugehrigkeit Englands zum alten Europa zu verweisen und hinzuzufgen, sein Staat sei durch Franzosen vermutlich meinte er die Normannen Wilhelms des Eroberers gegrndet worden. Italien und Spanien, die ja wirklich dazugehren, enthielten sich jeden Kommentars und befleiigten sich endlich jenes Schweigens, das ihnen Jacques Chirac nach Verffentlichung ihrer proamerikanischen SeparatErklrung mit einiger Arroganz geboten hatte: Ils auraient mieux fait de se taire. Jenseits des Atlantik wird die Kampagne gegen die degenerierten Nachkommen des Marquis de Lafayette vehement weitergefhrt. Seltsamerweise steigern sich da die angeblich so gelassenen und wortkargen Nachfolger der Prriereiter zu verbaler Hysterie, whrend die sonst so geschwtzigen und aufgeregten Gallier sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Ob der Auvergnate Chirac sich an dem Kelten Asterix orientiert? Jedenfalls sind an der Seine keine Schreie der Entrstung laut geworden, als auf Capitol Hill die French fries in Freedom fries umbenannt wurden. Ein Kabarettist knnte die Frage stellen, ob logischerweise nicht auch die French letters in Zukunft Freedom letters heien mten. * Genug der Scherze. Es hat eine tragische Entfremdung stattgefunden seit Nine Eleven. Nach dem Verbrechen am World Trade Center hatte nicht nur die Bild-Zeitung17

mit dem Titel aufgemacht Wir sind alle Amerikaner. Auch die serise, gar nicht proatlantische Pariser Zeitung Le Monde erschien unter der Schlagzeile: Nous sommes tous des Amricains. Es mssen wohl sehr gravierende Fehler auf beiden Seiten gemacht worden sein, um einen radikalen Stimmungswechsel herbeizufhren. Laut Meinungsumfrage uern neuerdings zwanzig Prozent der Deutschen berwiegend Jugendliche den unhaltbaren Verdacht, am Terroranschlag von Manhattan seien die amerikanischen Geheimdienste beteiligt gewesen. Unglaublich auch die Tatsache, da die Bestsellerliste des deutschen Buchhandels seit zwei Jahren durch die Millionenauflagen Michael Moores mit seinem plumpen Anti-Bush-Pamphlet angefhrt wird. Wenn eine Polemik, die unter dem amerikanischen Titel Stupid White Men erscheint, zur Lieblingslektre Germaniens wird, sollte man das nicht nur mit ein paar sffisanten Glossen abtun. Nicht die Injurien einiger angelschsischer Heisporne stimmen mich bedenklich, sondern die Reaktionen, die sie bei vielen deutschen Publizisten und Parlamentariern ausgelst haben. Natrlich wre es zutiefst tricht gewesen, die beleidigte Leberwurst zu spielen oder sich auf eine Erwiderung dieser Beschimpfungen einzulassen. Doch der Eindruck entsteht immer wieder, da eine Vielzahl unterwrfiger Politiker und Journalisten sich mit den amerikanischen Anwrfen solidarisiert, da sie in den anklagenden Chor gegen die verrterischen Europer, die Euro-Whimps, einstimmen, da sie man entschuldige den Ausdruck eine wahre Wollust empfinden, wenn man ihnen in den Hintern tritt. Man htte eine Sammlung jener uerungen und Kommentare aufbewahren sollen, die ber den deutschen Einsatz in Afghanistan und den sich abzeichnenden Krieg im Irak18

von hochangesehenen Abgeordneten und renommierten Kolumnisten geschrieben wurden mit der Absicht, Europa zu erniedrigen und Amerika zu glorifizieren. Seltsamerweise fhle ich mich heute im Kreise amerikanischer Politiker oder Geschftsleute, mit denen man sehr offen reden kann und mu, besser aufgehoben als bei gewissen Kollegen, denen der obsolete Abhngigkeitszwang der NATO mehr am Herzen zu liegen scheint als die Verteidigungskapazitt des eigenen Kontinents, ja der eigenen Nation. Die Angelsachsen wissen um den Spruch Winston Churchills ber die Deutschen: Either you have them at your feet or at your throat. Entweder sie liegen euch zu Fen, oder sie springen euch an die Gurgel. Persnlich habe ich hufig die Erfahrung gemacht, da mit dem Totschlag-Vorwurf des Antiamerikanismus ein deutscher McCarthyismus geschrt wird. Pikanterweise zeichnen sich dabei Regierungsmitglieder und opinion leaders aus, die sich 1983 noch vor den amerikanischen Kasernen festketten lieen, um die Dislozierung der Pershing II zu verhindern und jene Nachrstung des Westens zu sabotieren, die zum Auseinanderbrechen des Sowjetimperiums entscheidend beigetragen hat. Ganz zu schweigen von jenen Opportunisten, die sich heute an die Brust Uncle Sams werfen, nachdem sie in den sechziger Jahren zu dem kindischen Schlachtruf Ho Ho Ho Tschi Minh durch die deutschen Straen trabten, sich Arafat-Tcher, die schwarz-wei-gefleckte Keffieh, um den Hals knpften und schndlicherweise amerikanische Fahnen verbrannten. Wie kommt es nur, da die dezidiertesten Medienanwlte einer Total-Ausrichtung Deutschlands und Europas auf die USA so selten am Ort des Geschehens anzutreffen sind? In Bagdad und Kabul wrde ihnen ein Anschauungsunterricht erteilt, der19

vielleicht ihren Verlegern und Chefredakteuren nicht genehm wre, aber ihrem kriegerischen Hurra-Geschrei ein jhes Ende setzen sollte. Erteilen wir dem amerikanischen Kolumnisten William Pfaff das Wort, der alles andere als ein peacenik ist und dem jetzigen amerikanischen Prsidenten nicht verzeihen kann, da er auf Grund seiner exzellenten Beziehungen seinen Militrdienst fern von Vietnam in der National Guard ableistete und Texas gegen den Vietcong verteidigte. Amerika hat erklrt, da alles sich verndert habe und nichts mehr so sein knne wie vorher, schreibt Pfaff. Die Nation befand sich im Krieg gegen den Terror also waren Prventivkriege notwendig. Afghanistan und Irak muten niedergeworfen werden, um die Anfhrer des Terrorismus mitsamt ihren nuklearen und biologischen Waffen auszuschalten. Auf Vlkerrecht konnte unter diesen Umstnden keine Rcksicht genommen werden. Was jedoch wirklich passiert ist in den vergangenen Monaten, das haben die Amerikaner noch nicht begriffen, und die anderen wagen es nicht laut auszusprechen: Die Menschen auerhalb der USA haben ihren Glauben an die amerikanische Story verloren. Sie glauben nicht, da der Terrorismus eine Kraft des Bsen ist, die die Vereinigten Staaten bezwingen werde. Sie stellen statt dessen fest, da Terrorismus eine Form der Kriegfhrung fr Vlker ist, die ber keine F-16-Kampfflugzeuge und Panzerdivisionen verfgen. Sie ahnen, da die Tschetschenen, die Moros, die Taleban, die kolumbianischen Aufstndischen, die palstinensischen Bombenwerfer und die irakischen Feinde der USBesatzung durchaus nicht jenes einheitliche, globale Phnomen sind, zu dessen Bewltigung die ganze Welt mobilisiert werden mu. Die Menschen auerhalb der20

USA haben der amerikanischen Darstellung der Dinge von Anfang an nicht wirklich geglaubt. Sie haben trotzdem aufmerksam zugehrt, weil Washington es so darstellte und sie Washington respektierten. Das ist heute nicht mehr der Fall. Hier sehe ich den Grund der Verstimmung, die zwischen den USA und den Lndern, die ihre Verbndeten waren, aufgekommen ist. Am Ende mag sich dann tatschlich herausstellen, da nichts mehr so sein kann wie vorher.

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Guter Qadhafi bser SaddamDie Gliederung dieses Buches mag verwundern. Sie ist strikt chronologisch auf die Reisen ausgerichtet, die ich in der zweiten Jahreshlfte 2003 in Afghanistan, Persien, Irak und Libanon/Syrien unternommen habe. Dabei stellt sich eine geographische Kontinuitt ein von Ost nach West, vom Hindukusch zum Mittelmeer. Wo bleiben die Ayatollahs, wenn von Afghanistan die Rede ist? Ich knnte auf die Existenz einer schiitischen Minderheit hinweisen, die etwa fnfzehn Prozent der Gesamtbevlkerung ausmacht und sich fast ausschlielich aus mongolischen Hazara zusammensetzt, oder auf die persische Kultur, die sich in Herat erhalten hat. Die Einbeziehung Afghanistans in diese Abhandlung soll jedoch einem anderen Zweck dienen. Hier wird am besten sichtbar, da die NATO gemeint ist nicht die Nordatlantische Allianz selbst unzeitgem geworden ist, da sie die Interessen der Europer miachtet, ja ihnen auf Dauer schaden drfte. Die Sprengung des ursprnglich vorgegebenen geographischen Defensiv-Rahmens, seine malose Expansion in die Steppen und Gebirge Zentralasiens kommt einem overstretch, einer verhngnisvollen Aufblhung des Bndnisbereiches gleich. Die deutsche Reaktion auf diese neue Situation bestand aus einem Gemisch von Willfhrigkeit gegenber der traditionellen atlantischen Fhrungsmacht, mangelndem Verantwortungsgefhl gegenber den eigenen Soldaten und trotz vorzglicher nachrichtendienstlicher Unterrichtung verbohrter Verkennung der realen Verhltnisse am Hindukusch. Wie weit soll dieser Ritt nach Osten noch gehen? Schon22

gehrt Ruland der partnership for peace an. Wird die Bundeswehr eines fernen Tages, wenn die fortschreitende Solidarisierung zwischen Washington und Moskau eine konkrete Bndnisform annimmt, am Ussuri und Amur in Fernost Stellung beziehen und sich in eine gemeinsame Front gegen die chinesische Volksbefreiungsarmee einreihen? Die Westeuroper mgen engste wirtschaftliche, kulturelle, gesellschaftliche und auch strategische Beziehungen zu dem Riesenreich Wladimir Putins knpfen und mit dem russischen Volk eine ehrlich empfundene Freundschaft pflegen. Im Weltsicherheitsrat mgen Deutsche und Franzosen gelegentlich eine gemeinsame Verzgerungstaktik gegenber Washington betreiben. Die wirkliche Allianz der Zukunft wird jedoch nicht zwischen Europa und Moskau, sondern zwischen Moskau und Washington geschmiedet werden. Der revolutionre Islamismus einerseits, die aufsteigende Weltmacht China andererseits, das sind die beiden historischen Herausforderungen, denen sich der globale Hegemonialanspruch Amerikas und die berlebensstrategie Rulands ausgesetzt sehen. Whrend ich diese Zeilen niederschreibe, berstrzen sich die internationalen Ereignisse und Wandlungen. Die vielgepriesene Globalisierung geht in der Bundesrepublik Deutschland mit einer betrblichen Provinzialisierung einher. Man beachte nur das bergewicht, das in der Fernseh-Berichterstattung den endlosen Parteiquerelen oder so weltbewegenden Problemen wie Dosenpfand und Mautgebhr eingerumt wird. Unterdessen gehen in Kabul, das angeblich so sicher ist, die Bomben hoch. Die irakische Krise greift auf die Hochburg des schiitischen Mrtyrerkults, auf die heilige Stadt Kerbela, ber. Da jubelt der Westen, weil Oberst Muammar-el-Qadhafi sich dem angelschsischen Diktat unterwirft und sein23

kmmerliches Arsenal an Massenvernichtungswaffen der Inspektion und Beseitigung ausliefert. Der britische Premierminister Blair hat fr die staatsmnnischen Tugenden dieses Militrdiktators lobende Worte gefunden. Vielleicht hat der libysche Staatschef seine Untertanen nicht ganz so blutig unterdrckt wie Saddam Hussein die seinen. Aber im Gegensatz zum Tyrannen von Bagdad hat er sich auf dem Gebiet des internationalen Terrorismus als Anstifter zahlloser Attentate und Bombenanschlge zwischen Nordirland und den Sdphilippinen einen Namen gemacht. Diesem Paranoiker war schon nach der Bombardierung seiner Residenz durch Prsident Reagan der Schneid abgekauft worden. Von der arabischen und islamischen Staatenwelt war der seltsame Glaubensbruder, der den Hadith als Quelle der Offenbarung nicht anerkennen will, dieser Michael Jackson der orientalischen Politik, der sich in immer neuen Verkleidungen gefllt und von einer weiblichen Leibgarde schtzen lt, von Anfang an als Mahbul, als verrckter und gefhrlicher Irrlufer, abqualifiziert worden. In Washington, in London zumal, wird die Kapitulation des Chefs der libyschen Jamahiriya als grandioser Erfolg gefeiert. Dabei wird tunlichst verschwiegen, da die Kampagne gegen das Bse ja gerade diese Kategorie von Hasardeuren ins Visier nehmen sollte, die der Oberst Qadhafi so unrhmlich verkrpert. Immerhin ist eines erreicht: Die Zwergrepublik Malta kann in Zukunft ruhig schlafen. Kehren wir zum Irak zurck. Saddam Hussein ist endlich nach acht Monaten gefangen worden. Die erbrmlichen Umstnde, unter denen er sich in seinem Rattenloch den Amerikanern ergab, enthllen folgenden Tatbestand: Zunchst einmal ist das Prestige dieses Gewaltmenschen, das ohnehin gering war, gnzlich zu Schaden gekommen.24

Er ist weder als Held, als Batal, noch als Schahid, als Mrtyrer, im Kampf gefallen. Er hat sich auch nicht selbst in die Luft gesprengt. Im Irak braucht sich niemand mehr vor seiner unheimlichen Wiederkehr zu frchten. Offenkundig wurde jedoch auch was jeder Kenner der Lage lngst wute , da Saddam Hussein eben nicht der Koordinator des antiamerikanischen Aufstandes war, da er in seiner Hhle nicht die geringste Kommunikationsmglichkeit, geschweige denn Kommandogewalt ber jene dsteren Mnner besa, die den Koalitionsstreitkrften im sunnitischen Dreieck und inzwischen weit darber hinaus schmerzliche Verluste zufgen und die Infrastruktur des Landes systematisch sabotieren. Nicht die Kritiker der Operation Iraqi Freedom haben die Mr von der fortdauernden Befehlsgewalt des Diktators aufrechterhalten, sondern die Apologeten der amerikanischen Militraktion, die einen berwiegend national und religis motivierten Widerstand auf den brutalen Einflu dieses Politgangsters und Killers zu reduzieren suchten. Weiterhin haben wir es mit gezielter Desinformation zu tun. So stellt sich die Frage, ob vielleicht doch der Londoner Sunday Express recht hat, wenn er unter Hinweis auf die Legende der heldischen Soldatin Jessica Lynch und unter Berufung auf britische Geheimdienstquellen behauptet, die spektakulren Bilder der Verhaftung im Rattenloch und der erniedrigenden medizinischen Untersuchung seien just for show inszeniert worden. In Wirklichkeit htten sich kurdische Peschmergas Saddam Husseins schon ein paar Tage frher bemchtigt. Die Diskussion ber die Aburteilung, die juristischen Zustndigkeiten und die eventuelle Anwendung des ultimate punishment, das George W. Bush ausdrcklich empfiehlt, wird die Sensationsfreude25

der Massen noch lange beschftigen. Sollte es zur Hinrichtung kommen, wre diesem Mann keine Trne nachzuweinen. Die Hoffnung der amerikanischen Stbe in Bagdad, die Guerilla wrde nach der Festnahme Saddams abflauen, hat sich bisher nicht erfllt. Viele echte irakische Widerstandskmpfer, arabische Patrioten oder Gotteskrieger, hatten sich kompromittiert gefhlt durch die Behauptung, sie wrden mit ihrem ehemaligen Peiniger gemeinsame Sache machen. Jetzt ergibt sich auch fr die schiitischen Befrworter des Dschihad eine neue Perspektive. Im brigen setzt sich die Erkenntnis durch, da die irakische Resistance so disparat sie sein mag eine przise Planung befolgt. In einer ersten Phase ging es darum, die internationalen Organisationen, vor allem die Vereinten Nationen und das Internationale Rote Kreuz, aus dem Land herauszubomben. Das Ziel wurde erreicht, denn das auslndische Personal wurde abgezogen. In einer zweiten Phase nahmen sich die Partisanen die auslndischen Kontingente, die sogenannten Willigen, als vorrangiges Objekt ihrer blutigsten Aktionen vor. Da wurden Angehrige des spanischen Nachrichtendienstes exekutiert. In Nasariyeh, also in rein schiitischem Siedlungsgebiet, gerieten die italienischen Carabinieri, obwohl sie sich verdienstvoll um ein freundschaftliches Verhltnis zur Bevlkerung bemht hatten, in eine mrderische Explosion. Dann kamen die bulgarischen Soldaten von Kerbela an die Reihe. Besonders gefhrdet jedoch sind die irakischen Polizisten, die sich der Koalition als Ordnungshter zur Verfgung stellten und die man als Kollaborateure zu eliminieren sucht. Inzwischen hat sich erwiesen, da die polnische Besatzungszone mit ihrem Sammelsurium diverser26

Nationalitten von der Ukraine bis Costa Rica der Schwachpunkt der Koalition ist. Zur Stunde kann niemand absehen, welche zustzlichen Aktionen den Freischrlern noch einfallen werden. Jedenfalls ist im Umkreis von Kerbela deutlich geworden, wie untauglich im Ernstfall eine kunterbunte Addition von Gelegenheitsalliierten ist, wenn es zum Schwur kommt. Die Lektion gilt nicht nur fr Iraqi Freedom, sondern auf bedenkliche Weise auch fr jene Europa-Armee, die weit von Bagdad entfernt auf dem Reibrett entworfen wird. In dem Mae, in dem Europa wchst, schrumpft die Vernunft, stellte der kluge Premierminister Jean-Claude Juncker von Luxemburg fest.

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Geschmhter PralinengipfelDie Ausweitung des Themas bietet sich an. Die Erfahrungen der Koalitionsarmee im Irak sollten allen Anwlten einer malosen Expansion Europas vor Augen fhren, da die Union zwar in ihrer jetzigen Ausdehnung, die bereits exzessiv ist, zur Not einen gemeinsamen Wirtschaftsraum, eines Tages wohl auch eine gemeinsame Whrungszone bilden kann. In der Auenpolitik und vor allem beim Aufbau einer unabhngigen Verteidigung mu sie jedoch auf einen engen Kern beschrnkt bleiben. Die Viererberatung von Brssel, die im September 2003 stattfand, ist als Konditor-Allianz geschmht worden. Dennoch sollte sie als sinnvolle Initiative, ja vielleicht als einzig praktikabler Weg anerkannt werden. Selten ist ein internationales Treffen mit so viel Hme bergossen worden wie dieser Pralinengipfel. Die Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs, Belgiens und Luxemburgs wollten dort den Grundstein zu einer unabhngigen Verteidigung Europas legen. Da die USA sich gegen diese Emanzipation nicht aus der Atlantischen Allianz, wohl aber aus der von Washington dominierten NATO-Befehlsstruktur verwahren, ist zwar unklug, aber aus dortiger Sicht verstndlich. Wenn jedoch eine ganze Kohorte deutscher Politiker und Publizisten jenen zwei Nationen des alten Kontinents, die in wechselnder Folge die grandeur et servitude des soldatischen Auftrags verkrperten, jegliche Fhigkeit zur Selbstverteidigung absprechen, klingt daraus nicht nur Verzagtheit, sondern auch betrbliche Selbstverleugnung. Immerhin stellt diese Konditor-Allianz eine Bevlkerungsmasse von 15028

Millionen Menschen dar, also mehr als das riesige Ruland zwischen Smolensk und Wladiwostok aufzubieten hat, und ein Wirtschaftspotential, das nur in den USA seinesgleichen findet. Da diese karolingische Achse auf militrischem Gebiet irrelevant bleibt, ist vor allem jenen deutschen Parteien zu verdanken, die nach Ende des Ost-West-Konfliktes ihre illusorische Friedensdividende kassieren wollten und das Wehrbudget verkmmern lieen. Ohne Beteiligung Englands sei ein strategischer Emanzipationsversuch Quatsch, vernimmt man in den Medien. Aber wenn der Kontinent auf London gewartet htte, wre statt der Europischen Gemeinschaft, der Edward Heath schlielich beitrat, bestenfalls eine Freihandelszone zustande gekommen. In absehbarer Zeit drfte jenseits des Kanals trotz allen Gezeters der Euro das Pfund ablsen. Was jedoch die Verteidigung betrifft, so gefllt sich Tony Blair immer noch so bedingungslos in der Rolle des brillant second im Dienste des Weien Hauses, da ein Umdenken in Whitehall kaum vorstellbar ist. Eine Ausnahme bildete der frhere Bundesauenminister Hans-Dietrich Genscher, der den Vierergipfel als richtig und vernnftig begrte. Europa msse jetzt den Weg seiner Einigung entschlossen weitergehen, nicht um eine Gegenkraft gegen die USA zu bilden, sondern um gleichgewichtiger Partner sein zu knnen. An die Adresse Tony Blairs bemerkte er, man solle nicht der Idee einer von der Geschichte berholten unilateralen Weltordnung hinterherlaufen. Die Europische Union sei doch gerade dabei, eine eigene Rapid Deployment Force von 60000 Mann aufzustellen, wird hufig argumentiert, als ob ein brauchbares militrisches Instrument aus dem29

Sammelsurium von 25 Staaten geschmiedet werden knnte, das sich von Irland bis Zypern, von Estland bis Portugal erstreckt. Der Unilateralismus der amerikanischen Kriegfhrung ist zwar schockierend, hat jedoch seine guten Grnde. Der Starke ist am mchtigsten allein, heit es bei Schiller, und die deutsche Generalitt sollte sich erinnern, da schon im KosovoKonflikt die Satellitenaufklrung des Pentagon der Bundeswehr verweigert wurde. Man mu amerikanische Leitartikel lesen, um zu erfahren, da die Osterweiterung von NATO und EU den verstrkten Einflu Washingtons auf Gesamt-Europa zur Folge hat, da die von Berlin bereitwillig akzeptierte NATO Response Force eine sich selbst finanzierende Fremdenlegion im Dienste der USA darstellen wrde. Der klar umrissene Auftrag der NATO ist verlorengegangen, seit europische, speziell deutsche Truppenkontingente in die Weiten Asiens und auf die Hhen des Hindukusch verschickt wurden. Der globale Vormachtanspruch, den George W. Bush vertritt, steuert amerikanischen Analysten zufolge unweigerlich auf eine weltweite Konfrontation mit dem revolutionren Islamismus und auf eine Kraftprobe mit der Volksrepublik China zu. In beiden Fllen decken sich die langfristigen Interessen Rulands und der USA. Die Europer hingegen wrden bei solchen Einstzen der jngste Irak-Konflikt liefert Anschauungsmaterial dafr bestenfalls als Handlanger gebraucht und keinen nennenswerten Einflu auf die geopolitischen Optionen besitzen. Eine neue Deutschtmelei polemisiert gegen die angebliche Bevormundung der Bundesrepublik durch die Grande Nation, ein Ausdruck, der zur Zeit der Jakobiner gebruchlich gewesen sein mag, im heutigen Paris jedoch ebensowenig benutzt wird wie der Begriff Grodeutsches30

Reich in Berlin. Dabei zhlt Frankreich nur 60 Millionen Staatsbrger gegenber 80 Millionen Deutschen, und seine Wirtschaftskraft ist der deutschen weiterhin unterlegen. Allerdings verfgen die Franzosen neben ungebrochenem Nationalbewutsein ber ein Vetorecht im Weltsicherheitsrat und ber eine atomare Force de dissuasion, die, gemessen am gigantischen Arsenal Amerikas und Rulands, zwar minimal erscheint, fr die Abschreckung nuklearer Erpressungsversuche durch zweitrangige Schurkenstaaten oder Terrororganisationen jedoch ausreichend und unverzichtbar wre. Zwischen dem deutschen Generalinspekteur Naumann und dem franzsischen Stabschef, Admiral Lanxade, war zur Zeit Helmut Kohls und Franois Mitterrands eine gemeinsame nukleare Aussprache ins Auge gefat worden. Unter der rot-grnen Koalition, der ja schon die zivile Nutzung der Kernenergie ein Graus ist, kommt eine Fortfhrung dieser strategischen Gesprche nicht mehr in Frage. Washington hat vollauf recht, wenn es immer wieder auf die Proliferationsgefahr von Massenvernichtungswaffen verweist. Aber die weiterhin zwingende Solidaritt des Atlantischen Bndnisses beruht nicht mehr wie zu Zeiten des Kalten Krieges auf einer Identitt der strategischen Interessen. Das gaullistische Aufbegehren von Brssel mag am Opportunismus der Regierenden scheitern. Immerhin hat es warnend darauf verwiesen, da die Beziehungen zu Washington durch wachsende Ressentiments aufs schwerste belastet wrden, wenn die Europer fortfahren, sich mit der Rolle gefgiger Trabanten zu begngen.

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Die trkische LgeEines haben Europer und Iraker gemeinsam. Ihre Zukunft wird durch die trkische Frage berschattet. Ankara hat den Amerikanern viel hrter zugesetzt als das schwankende deutsch-franzsische Duo. Unmittelbar vor Beginn der Offensive von Bagdad verweigerte das trkische Parlament dem Pentagon den bereits gewhrten Durchmarsch von 60000 US-Soldaten durch Anatolien in Richtung auf die irakische Nordgrenze. Das in Stellung gebrachte schwere Material mute in den Hafen Iskenderun zurckgeschafft und dort eingeschifft werden, ehe es durch den Suezkanal und rund um die arabische Halbinsel im Emirat Kuweit neu disponiert werden konnte. Da der Blitzsieg dennoch so erfolgreich errungen wurde, ist ein zustzlicher Beweis fr die Improvisationsgabe und einmalige Leistungsfhigkeit der amerikanischen Logistik. Nach Ausbruch des irakischen Partisanenkampfes wurde wiederum die Trkei ins Spiel gebracht. Fr eine Finanzierungszusage in Hhe von 8,5 Milliarden Dollar war der Generalstab von Ankara offenbar bereit, 10000 trkische Soldaten zur Niederkmpfung der Guerilla in die sunnitische Aufstandszone zu entsenden. Mit den Trken wre den arabischen Bombenlegern und Heckenschtzen ein sehr ernst zu nehmender Gegenspieler erwachsen. Aber auch diese Vereinbarung kam letztlich nicht zustande, mglicherweise weil die neuen Osmanen auf die Durchgangsrouten durch Irakisch-Kurdistan angewiesen waren und dort zwangslufig ihre rckwrtigen Basen verstrkt htten. Die Peschmerga des Nordirak, die seit 1991 eine weitgehende Autonomie, ja32

eine De-facto-Unabhngigkeit gegenber Bagdad genieen, htten wohl nicht gezgert, das Feuer auf ihre aus Anatolien einrckenden Erbfeinde zu erffnen. Die amerikanische Armee, die von den Kurden als Befreier umjubelt wurde, htte wiederum ihre einzig verllichen Freunde im Irak verloren, ja mit der offenen Feindseligkeit dieses rauhen Gebirgsvolks rechnen mssen. Die Administration Bush insbesondere der stellvertretende Verteidigungsminister, Paul Wolfowitz, der ansonsten eine sehr herrische Sprache fhrt hat bei ihren Verhandlungen mit Ankara ungewohnte Flexibilitt an den Tag gelegt. Die Trkei nimmt eben fr den ganzen Orient eine so eminent wichtige Schlsselposition ein, da selbst die Hardliner Washingtons ihre Zunge im Zaum halten. Unterdessen geht das Rtselraten weiter ber die realen Absichten des derzeitigen Ministerprsidenten Recep Tayyip Erdogan und seine das Parlament beherrschende AJKP-Bewegung. Als ich dem heutigen Regierungschef im Dezember 1998 in Istanbul begegnete, stand er unmittelbar vor seiner Inhaftierung wegen einer grotesken Zweckbeschuldigung. Er unterbrach damals seine extrem vorsichtigen Aussagen, um das Mittagsgebet zu verrichten. Das erinnerte mich daran, da er zwei Jahre zuvor bei einem DeutschlandAufenthalt das Westfalenstadion in Dortmund mit begeisterten trkischen Anhngern gefllt hatte, die fast ausnahmslos der national-religisen Bewegung Milli Gr angehrten. Da war keine Frau ohne Kopftuch zugegen. Dieser energische, kluge Mann, der die koranische Ausbildung der Imam-Hatip-Schulen absolvierte, hat sich als vorzglicher Brgermeister von Istanbul bewhrt und bleibt zweifellos im islamischen Glauben verwurzelt. Fr viele ist Erdogan eine Sphinx geworden. Jedenfalls knnte33

er befhigt sein, das Lgengeflecht zu zerreien, das um den Beitritt der Trkei zur Europischen Union von den Politikern smtlicher deutscher Parteien seit langem geknpft wird. Um nur zwei Punkte zu erwhnen: Erdogan ist dabei, die hohe Generalitt, die im Nationalen Sicherheitsrat weit mehr Macht ausbte als Parlament und Regierung zusammen, in ihre Schranken zu verweisen. Damit erfllt er eine der Forderungen nach konsequenter Demokratisierung, die von den Europern stets erhoben wurde. Gleichzeitig jedoch entfernt er das letzte kemalistische Bollwerk, das im Namen des Laizismus die fortschreitende Islamisierung seines Landes blockiert. Whrend der angebliche Christen-Club des Abendlandes dem Religionsverzicht, ja dem Atheismus zuneigt, wrde der neue Beitrittskandidat seine koranische Identitt Schritt um Schritt betonen, woraus man ihm brigens nicht den geringsten Vorwurf machen sollte. Hingegen mu man in Brssel endlich zur Kenntnis nehmen, da in der postkemalistischen Trkei in krzester Frist weit mehr Moscheen gebaut wurden als in den langen Jahrhunderten der osmanischen Sultansherrschaft, da die Gebetshuser am Freitag stets berfllt sind. Wer wei schon in Deutschland, da zumindest in den lndlichen Regionen kein Politiker eine Chance hat, Parlamentsabgeordneter zu werden, wenn er nicht die Untersttzung der rtlichen Tarikat, der islamischen Sufi- oder Derwischbnde, geniet. Von der EU wird immer wieder eine liberale Lsung der Kurdenfrage angemahnt. Ein Eingehen darauf drfte die weitgehende kulturelle und politische Autonomie dieser auf 15 Millionen Menschen geschtzten Minderheit nach sich ziehen. Der Nordirak knnte da als Vorbild und Ermutigung dienen. Aber dadurch droht der Zusammenhalt des kemalistischen Einheitsstaates34

gesprengt zu werden. Wahrscheinlich wre dann sogar schon auf Grund der ethnischen Verzahnung der Siedlungszonen ein endloser Sezessionskonflikt fllig, dem die europischen Partner hilflos zusehen wrden. In Bonn, dann in Berlin, hatte wohl niemand begriffen, da der herablassende Hinweis der Europer auf die mangelnde Eignung der Trken zu demokratischer Toleranz und zu humanen Polizeimethoden dieses stolze Volk beleidigte. Insgeheim hofften die meisten Schnredner des Abendlandes, Ankara wrde es ohnehin nie fertigbringen, das Aufnahme-Examen zu bestehen. Nunmehr jedoch knnte Erdogan Fakten schaffen und die erheischten Voraussetzungen erfllen. Da aus den USA massiver Druck auf die deutsche Regierung ausgebt wird, die Erweiterung der Europischen Union in Richtung Anatolien zu vollziehen, und die deutsche Wirtschaft politische Vernunft durch kurzfristiges Profitdenken ersetzt, stnden die Chancen nicht schlecht fr Ankara. In Washington ist man sich bewut geworden, da die Trkei, wo neunzig Prozent der Bevlkerung die Teilnahme am Irak-Krieg kategorisch ablehnten, nicht mehr der ergebene Alliierte von gestern ist. Ihre Aufnahme in die EU wrde einerseits die Republik von Ankara an die Atlantische Allianz anbinden und gleichzeitig die Brsseler Gemeinschaft einer geographischen und kulturellen Verzerrung aussetzen, die jede politische oder gar militrische Verselbstndigung des alten Kontinents ausschlsse. Die Trkei heute 70 Millionen Einwohner wrde auf Grund ihrer Demographie bald zum zahlenstrksten Mitglied der Union. Die Aufnahme beinhaltet das freie Niederlassungsrecht fr die Brger aller Mitgliedsstaaten. Die trkischen Deutschland-Experten und Soziologen in Ankara und Istanbul hegen nicht den geringsten Zweifel,35

da somit eine gewaltige Migration aus Anatolien in Richtung Deutschland stattfnde, eine rapide Zuwanderung von mindestens 10 Millionen Menschen, darunter ein berproportional groer Anteil von Kurden. Die Bundesrepublik Deutschland verlre damit nicht nur ihre ohnehin fragwrdige christliche, sondern auch ihre nationale Identitt. Bei aller Sympathie fr die Trken, bei aller Anerkennung ihrer Tchtigkeit, ihres Fleies, ihrer Disziplin, kme es dann auf deutschem Boden zumal in den Wohngebieten der kleinen Leute zu einem fatalen Kulturschock, ja zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, an denen gemessen die Streitflle Nordirland oder Baskenland, mit denen London und Madrid sich plagen, als Lappalie erschienen. Sehr bald wrden im Bundestag trkische, vielleicht auch islamisch orientierte Parteien entstehen, die jede Regierungsbildung beeinflussen und wie heute schon in gewissen Ballungsgebieten von Trken mit deutschem Pa das Znglein an der Waage bilden. Diese Argumentation trage ich in durchaus freundschaftlicher Absicht vor. Man htte in Deutschland ehrlicher sein mssen und die trkische Bruder-Nation von Anfang an darauf verweisen sollen, da Europa die Nachfolger der Osmanen nicht wie einen balkanischen Kleinstaat behandelt, sondern als Erben eines Groreiches respektiert. Die EU mu ja auch der christlichen Ukraine eine Absage erteilen und kann es sich nicht leisten, ihre Grenzzone bis zum Kaukasus, bis Mesopotamien und Iran vorzuschieben, wo einst der Untergang des Byzantinischen Reiches seinen Ausgang nahm. Eine solche Sprache wre vermutlich auf willigere Zuhrer in Ankara gestoen als das beleidigende Gefeilsche um erfllte oder unerfllte Menschenrechte. Das alternative Angebot mte dann allerdings lauten: Der Trkei fllt36

eine Ordnungsfunktion im Orient und im Kaukasus zu; ihre ethnischen Verstelungen und Interessen reichen weit bis nach Zentralasien, und deren Entfaltung sollte auf die volle europische Untersttzung stoen. Vor allem wre die Trkei der wirtschaftliche Vorzugspartner, ein enger militrischer Verbndeter, ein gleichrangiger Nachbar jener Europischen Union, um deren Zusammenhalt es auch ohne die malose Ausweitung nach Osten noch so erbrmlich bestellt ist. Ob die Bombenanschlge, die im Dezember 2003 jdische Kultsttten und britische Einrichtungen in Istanbul verwsteten die Tter waren ausschlielich Trken , das Hochkommen einer extrem-islamistischen Welle in der Republik Atatrks signalisieren, bleibt noch dahingestellt. Aber wer von der geschichtstrchtigen Metropole Konstantinopel als einem Ort der Toleranz, der multikulturellen Entfaltung und einer Freizgigkeit der Sitten schwrmt, sollte einmal das dortige Fatih-Viertel aufsuchen, wo die Frauen schwarzverhllt gehen und die Scharia schon wieder das tgliche Leben bestimmt.

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33 Kampfbrigaden sind zu wenigWarum wurde im Pentagon das Ausbleiben von zehnoder zwlftausend trkischen Soldaten im Irak so schmerzlich empfunden, und warum bemht man sich dort krampfhaft um die Entsendung indischer oder pakistanischer Brigaden nach Mesopotamien? Der Supermacht USA mangelt es an ausreichenden Heeresverbnden, wie manche Militrexperten, die es doch eigentlich wissen muten, mit berraschung, teilweise Bestrzung feststellten. Da hatte man aus Washington stets vernommen, die US Army sei durchaus in der Lage, drei, eventuell auch vier Regionalkonflikte simultan zu bewltigen, und jetzt stellt sich heraus, da schon Iraqi Freedom das bestehende Potential an Bodenkrften berfordert. Inzwischen ist es berall zu lesen. So berichtet die New York Times, da von dreiunddreiig aktiven Kampfbrigaden, ber die das Heer verfgt, sechzehn im Irak engagiert waren und fnf in Asien verzettelt sind, zwei davon in Afghanistan und zwei in Sdkorea. Eine Brigade befindet sich noch auf dem Balkan. Was brigbleibt, unterliegt dem Rotationsbedrfnis und den notwendigen Umdispositionen. Am Ende wren nur drei Brigaden fr neue, dringende Aufgaben vorhanden. Die Lcken knnen nicht durch die Mobilisierung der National Guard, die sich nach Abschaffung der Wehrpflicht auch fr Auslandseinstze bereithalten mu, oder durch Reservisten gefllt werden. Zudem entstnde bei solchen Einberufungen eine psychologische Belastung der Heimatfront, die sich politisch negativ auswirkt. Solange der war of low intensity zwischen Mossul und38

Basra andauert, ist dort an eine drastische Truppenverringerung kaum zu denken. Es besteht also eine erstaunliche Diskrepanz zwischen der strategischen Allmacht, die Washington in der Luft und zur See besitzt, und den eher bescheidenen Mitteln, die zur Partisanenbekmpfung und zur flchendeckenden Sicherung des eroberten Terrains verbleiben. An Euphrat und Tigris scheint sich wieder einmal die uralte Regel zu bewahrheiten, da die Infanterie die Knigin des Schlachtfeldes ist. Die Visionre des High-Tech-Krieges und der Roboter-Zukunft hatten dieses Grundprinzip verdrngt. Also hlt die Bush-Administration nach zustzlichem Menschenmaterial und nach Hilfswilligen aus Dritte-Welt-Staaten Ausschau, die sich notfalls auch als Kanonenfutter verheizen lieen. Die Anwerbung hochqualifizierter und hochbezahlter Sldner bei den offiziellen Mercenary-Firmen ist zwar schon zur Routine geworden. Deren Kapazitt wird jedoch durch zunehmenden Personen- und Objektschutz weitgehend ausgeschpft. Die bunt zusammengewrfelte polnische Division ist bereits strapaziert. Die in aller Hast aufgestellten Einheiten einer neuen irakischen Nationalarmee sind unzureichend ausgebildet und ziemlich unberechenbar. In dieser Situation erweist sich die Unzumutbarkeit der derzeitigen NATO-Struktur. In treuer Auftragserfllung seiner amerikanischen Mentoren hat der damalige NATOGeneralsekretr Lord George Robertson in Berlin sondieren lassen, ob nicht doch vier oder fnf deutsche Heeresbrigaden fr internationale Friedenssicherung gemeint ist die Bekmpfung von Partisanen und die Ausmerzung von Widerstandsgruppen im Irak zur Verfgung stnden. Nun hat die Atlantische Allianz bereits mehr als ihre Pflicht getan, als sie nach dem39

Terroranschlag von New York, der von religisen Fanatikern der Mystery-Organisation El Qaida ausgefhrt wurde, die Beistandsverpflichtung laut Artikel V ohne Widerspruch aktivierte. Dieses spontane Zugestndnis ist seitdem hemmungslos strapaziert worden, nicht zuletzt durch die Unterstellung der multinationalen ISAF-Brigade in Afghanistan unter NATO-, das heit unter USKommando. Falls jedoch eines Tages die Vereinigten Staaten durch einen klar erkennbaren Aggressor attackiert oder existentiell bedroht wrden, sollte die Bndnissolidaritt der Europer eine Selbstverstndlichkeit sein. In der Kuba-Krise im Oktober 1962 hatte Charles de Gaulle dem amerikanischen Sonderbeauftragten Dean Acheson ohne das geringste Zgern versichert: If there is a war, we shall be with you. Fr eine diffuse Gespensterjagd gegen den internationalen Terrorismus wurde das Atlantische Bndnis jedoch nicht erfunden. Die NATO entartet seitdem zum Instrument angelschsischer Bevormundung und Irrefhrung. Das war schon mit Verlaub gesagt im Kosovo-Krieg gegen Serbien der Fall. In diesem Zusammenhang mchte ich den ehemaligen Staatssekretr im Bundesverteidigungsministerium Lothar Rhl zu Wort kommen lassen, dem ich mich aus gemeinsamer Korrespondententtigkeit in Paris verbunden fhle. Diesen bislang brillantesten Planer der Hardthhe kann man gewi keiner antiatlantischen Voreingenommenheit bezichtigen. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt Rhl: Sollten die europischen Regierungen sich doch zu der bernahme militrischer Sicherungsaufgaben im Irak im Rahmen der NATO bereit erklren, mte ein eigener alliierter Befehlsstrang neben dem amerikanischen, aber strikt getrennt von diesem, angelegt werden, um die politische40

Unabhngigkeit der NATO-Partner von Washington fr militrische Nachkriegsaufgaben deutlich zu machen. Diese Forderung erheben die hchsten alliierten Militrs schon seit Wochen fr diesen Fall. Dabei wird ebenfalls ein UN-Mandat fr notwendig gehalten. Aber weder die Trkei noch irgendein anderer NATO-Staat nimmt eine Militroperation der UN im Irak oder eine Unterordnung unter ein UN-Kommando in Aussicht. Die Ereignisse in Somalia beim militrischen UNEinsatz zur Abschirmung der humanitren Hilfe sprechen eine eindeutige Sprache, so heit es weiter. Das Nebeneinander eines UN-Kommandos und eines nationalen amerikanischen Kommandos mit einem politischen Kommissar des Auenministeriums in Washington als bevollmchtigter Leiter richtete ein Befehls-Chaos an. Das Unternehmen wurde erfolglos mit einem schlichten Rckzug abgebrochen, nachdem die versprochene indische Brigade, deren Logistik die Deutschen bernehmen sollten, nicht erschienen war, die franzsischen und italienischen Truppen sich eigenmchtig auf Befehl ihrer Regierungen aus den ihnen zugewiesenen Sektoren in sicherere Rckzugsgebiete abgesetzt und die Amerikaner in den Straen von Mogadischu ein Desaster erlitten und damit in der gesamten Region auch ihr Gesicht verloren hatten. Verteidigungsminister Rumsfeld erinnerte unlngst whrend seiner Visite am Golf daran und sagte, El Qaida und die arabischen Terroristen htten diesen Fall studiert und bauten darauf ihre Hoffnungen, da sie einen Rckzug Amerikas aus dem Irak und vom Golf insgesamt erzwingen knnten. Die Situation im Zweistromland kann kaum realistischer und pessimistischer beschrieben werden als durch Doug Bandow, der zum engsten Beraterstab des Prsidenten41

Ronald Reagan gehrte und deshalb gewi nicht als appeaser gelten kann: Die Vereinigten Staaten sollten den Aufbau einer Selbstverwaltung im Irak vorantreiben und die Bereitschaft bekunden, nahezu jede irakische Regierung zu akzeptieren, solange sie nicht den Terrorismus untersttzt und nach Massenvernichtungswaffen strebt. Die amerikanische Regierung mu etwas entwickeln, das sie bisher verchtlich abgetan hat: eine Strategie zum Abzug aus dem Irak.

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Trauma VietnamGood morning Vietnam! So drhnte es einst aus den Lautsprechern der amerikanischen Rundfunkstation in Saigon. Bei den US-Besatzern in Bagdad geht ein Gespenst um, und es heit Vietnam. Je heftiger jeder Vergleich mit dem US-Fiasko in Sdostasien verworfen und verflucht wird, desto hartnckiger, ja geradezu obsessiv setzt sich dieser angebliche Przedenzfall in den Hirnen fest. Zu diesem Thema besitze ich eine Erfahrung, ber die wenig andere verfgen drften. Den amerikanischen Vietnamkrieg habe ich als Korrespondent an Ort und Stelle in regelmigen Abstnden zwischen 1965 und 1975 gecovered, von der Landung der ersten US-Marines in Danang bis zur Panikstimmung Saigons vor dem Einrollen der nordvietnamesischen Panzer. Dabei kam mir die Kenntnis des Landes zugute, die ich whrend des franzsischen Indochinakrieges beginnend mit der Landung der ersten Elemente des franzsischen Expeditionskorps im Winter 1945 bis zur tragischen Niederlage im Juli 1954 in unterschiedlicher Eigenschaft erworben hatte. Was nun das vermeintliche irakische Pendant dieser militrischen Fehlschlge in Ostasien betrifft, nmlich die Verwicklung der USA in einen orientalischen Zermrbungskrieg, so habe ich die diversen, blutigen Mutationen der Willkr-Regime von Bagdad seit meinem ersten Aufenthalt im Sommer 1951 im Irak im Auge behalten. Um es gleich vorwegzunehmen: Der Irak ist kein zweites Vietnam. Die berschaubare Ebene Mesopotamiens, die immensen Wstenregionen, die der Luft- und Satellitenbeobachtung schutzlos ausgeliefert43

sind, lassen sich nicht mit den Dschungeln, den schroffen Gebirgsklippen Indochinas vergleichen, nicht einmal mit den berfluteten Reisfeldern, in denen gebte Partisanen Deckung fanden. Im Irak ist der Widerstandskmpfer auf die Verstecke angewiesen, die sich ihm im Gassengewirr der dicht bevlkerten Ortschaften bieten. Auch die Zahlen stimmen nicht berein. Auf dem Hhepunkt des USEinsatzes befanden sich mehr als eine halbe Million GIs auf dem relativ engen Territorium der Republik Sdvietnam konzentriert. Davon sind wir im Zweistromland weit entfernt. Um den Vietcong und seine Nachschubpiste aus dem Norden zu zermalmen, wurde ber Laos und Vietnam eine unglaubliche Sprenglast durch die US Air Force abgeworfen, die angeblich smtliche Bombardements des Zweiten Weltkrieges bertraf. Die Nationale Befreiungsfront Sdvietnams, allgemein als Vietcong bekannt, konnte sich auf die rckhaltlose Solidaritt der nordvietnamesischen Brder, der kommunistischen Kaderpartei Ho Tschi Minhs und jene Volksarmee des General Giap, des Siegers von Dien Bien Phu, verlassen, die unermdlich die schrecklichen Verluste der Partisanen durch Entsendung ihrer todesbereiten Bo Doi ausglich. Andererseits mu erwhnt werden, da die Amerikaner sich auf eine sdvietnamesische Nationalarmee sttzten, die nicht so schlecht war wie ihr Ruf und am Ende unter Einschlu der bewaffneten Milizen auf eine Million Soldaten aufgeblht wurde. Das Politbro von Hanoi wiederum geno die Untersttzung der Volksrepublik China und der Sowjetunion, die das notwendige Kriegsmaterial anlieferten. Vor allem die Verlustzahlen klaffen weit auseinander. In Sdostasien fanden 57000 Amerikaner den Tod. Davon kann im Irak nicht die Rede sein. hnlich44

verhlt es sich mit den Krften des Widerstandes. Mindestens eine Million Sdvietnamesen, berwiegend Zivilisten, sind das Opfer einer extrem brutalen Kriegsfhrung des Pentagon geworden. Von solchen grauenhaften Verlustziffern wurden die Araber Mesopotamiens nicht betroffen. Und dennoch ergeben sich gewisse Parallelen zwischen den kriegerischen Ablufen am Schatt-el-Arab und am Mekong. Fr die Rechtfertigung ihrer Feldzge haben die amerikanischen Entscheidungstrger in beiden Fllen auf eine total irrige Domino-Theorie zurckgegriffen. Nach berzeugung des Prsidenten Dwight D. Eisenhower, dann John F. Kennedys, der diese These ausfhrlich im Fernsehen vortrug, ging es fr Amerika darum, die Ausbreitung des Weltkommunismus, von der vietnamesischen Bastion ausgehend in Richtung Thailand, Burma, sogar Indien, mit allen Mitteln zu verhindern. In Washington hatte man zu jener Zeit noch nicht erkannt, da die ideologische Entfremdung zwischen Peking und Moskau unwiderruflich war. Ebensowenig war bekannt, da Mao Zedong, als Erbe des kaiserlichen Drachensohns, nach Abzug der Amerikaner keineswegs gewillt gewesen wre, seinen ehemaligen Vasallen von Annam eine fhrende Rolle in Sdostasien zuzugestehen. Diese negative oder defensive Domino-Theorie des Weien Hauses, die malose berschtzung der potentiellen Expansionsfhigkeit Vietnams, erwies sich schon bald als Hirngespinst und als falsch konzipierte Containment-Strategie. In der Konfrontation Amerikas mit dem Irak Saddam Husseins hingegen wurde eine positive oder offensive Domino-Theorie vom Clan der Neokonservativen entworfen. So sollte der Sturz des Tyrannen von Bagdad nicht nur den Irak in ein Musterland der Demokratie und45

der Marktwirtschaft verwandeln; dieses Modell sollte die gesamte Staatenwelt des arabisch-islamischen Raumes zur Nachahmung des amerikanisch konzipierten Modells anhalten. Die gewaltsame Beseitigung der im Dar-ulIslam weitverbreiteten Willkr-Regime und korrupten Diktaturen war in dem Programm der positiven Domino-Theorie durchaus enthalten. Da diese Wunschvorstellung auf gut amerikanisch als bullshit zu bezeichnen wre, darber schien man sich in Kreisen der Bush-Administration, die ja ber eine ganze Reihe brillanter Kpfe verfgt, keine Rechenschaft abzulegen. In beiden Fllen, in Vietnam und im Irak, stimmten also die Prmissen nicht. The best and the brightest im Umkreis des Weien Hauses wurden Opfer einer abstrusen Selbsttuschung. Was nun den weiteren Verlauf des mesopotamischen Abenteuers betrifft, so steuert die Entwicklung auf einen ebenso unrhmlichen Rckzug der letzten Supermacht aus Bagdad zu wie seinerzeit in Saigon. Bei allem Unterschied der Charaktere verlieen sich die beiden Verteidigungsminister Robert McNamara im Falle Vietnams und Donald Rumsfeld im Fall Iraks auf die technologische Omnipotenz. Sie benutzten fr ihre Durchhalteparolen ein fast identisches Vokabular. Fr das Bestehen eines schier endlosen war of attrition, eines Abnutzungskrieges, sind jedoch die US Army und die Heimatfront psychologisch schlecht geeignet. In Washington ist eben allen heroischen Beteuerungen des Gegenteils zum Trotz kein Rom des einundzwanzigsten Jahrhunderts erstanden. Andererseits wren die Konsequenzen eines amerikanischen Scheiterns in Bagdad unendlich gravierender, verhngnisvoller als seinerzeit die fluchtartige Evakuierung Saigons. Damals hatte das Prestige Amerikas zwar schwer gelitten, aber eine46

nennenswerte Beeintrchtigung seiner geostrategischen Position fand nicht statt. Auf Indochina konnte das USMilitr und mehr noch das amerikanische Kapital ohne nachhaltigen Schaden verzichten. Der bermut, den die Erben Ho Tschi Minhs nach ihrem phnomenalen Erfolg an den Tag legten, wurde durch die neue und alte Hegemonialmacht Ostasiens, durch die Volksrepublik China, sehr bald gedmpft. Nicht einmal in Kambodscha konnten sich die vietnamesischen Eroberer gegen die Roten Khmer durchsetzen. Sie muten sogar eine militrische Strafaktion groen Stils durch die chinesische Volksbefreiungsarmee an ihrer Nordgrenze in Kauf nehmen. Eine Niederlage oder auch nur eine Verzichtserklrung der USA an Euphrat und Tigris knnte sich hingegen zum Desaster auswachsen. Paradoxerweise bestnde der gnstigste Ausweg fr den US-Statthalter Paul Bremer in der Errichtung eines Systems gesttzt auf das Offizierskorps, die gleichen Verwaltungsstrukturen, dieselben Geheimdienste , das sich an der ehemaligen Rolle der Baath-Partei Saddam Husseins orientieren wrde. Es wre lediglich ein neuer Rais zu finden, der die auseinanderstrebenden Krfte des Zweistromlandes etwas weniger grausam, aber immerhin mit harter Faust zusammenhielte. Ob eine solche Option, die sich zwangsweise auf die sunnitische Minderheit sttzen mte, realisierbar ist, erscheint beraus dubios. Sie wre jedenfalls wenig rhmlich, ja geradezu skandals. Die Alternative dazu wre die Anerkennung des Fhrungsanspruchs der schiitischen Bevlkerungsmehrheit des Irak und ihrer hohen Geistlichkeit. Das kme wie gesagt der Schaffung eines Gottesstaates gleich, und hier berhren wir wieder das zentrale Thema.47

Mit dem Teufel schlafenDas Knigreich Saudi-Arabien fhlt sich durch den Ausbruch des Partisanenkampfes im benachbarten Irak bedroht und erleichtert zugleich. Die Agenten des Nachrichtendienstes von Riad hatten in Erfahrung gebracht, da ihre amerikanischen Kollegen die Urheberschaft von Nine Eleven eindeutig in ihrem Mamlakat geortet hatten und in den dortigen Palsten und Koranschulen nach den Verantwortlichen suchten. Die Plne fr einen politischen Umsturz und die militrische Besetzung der reichsten Erdlreviere am Persischen Golf waren bereits ausgearbeitet. Der zu befrchtende Produktionsausfall dieses weltweit bedeutendsten Petroleum-Exporteurs, so hatten die Strategen in Washington es sich angeblich vorgestellt, wrde durch die Lieferungen aus dem Irak ersetzt. An der blitzschnellen Niederwerfung des Saddam-Regimes bestand ja kein Zweifel, und in Washington rechnete man damals noch mit der freudigen Kooperationswilligkeit der Bevlkerung. Dann kam es jedoch ganz anders. Die Petroleumfelder zwischen Basra und Kirkuk gingen zwar nicht in Flammen auf, aber durch die allgegenwrtige Guerilla und zahllose Sabotageakte gegen die Pipelines schrumpfte die Frderung des Schwarzen Goldes im Irak auf einen dramatischen Tiefstand. Die amerikanischen Medien, die bereits ein propagandistisches Trommelfeuer gegen SaudiArabien eingeleitet hatten und die dortige Dynastie der Duldung terroristischer Aktivitten gegen den Westen bezichtigten, bliesen die Kampagne ab. Jedermann wute inzwischen, da der trgerische Verbndete von Riad,48

dessen Rekrutierungsagenten darunter ein gewisser Osama Bin Laden im Afghanistan-Krieg gegen die Sowjetunion mit voller Untersttzung der CIA ttig waren, gleichzeitig als Anstifter und Finanziers zahlreicher antiamerikanischer Umtriebe agierten. Kronprinz Abdullah Ibn Abdulaziz, ein etwa achtzigjhriger Sohn des Staatsgrnders Abdulaziz Ibn Saud, der an der Spitze des Staates Knig Fahd, seinen gelhmten Halbbruder, seit Jahren ersetzt, war noch einmal davongekommen. Aber das Damoklesschwert der neokonservativen Rcher von Washington hngt weiterhin ber den Wahhabiten. Die Amerikaner haben in Saudi-Arabien jede bersicht verloren. Sie bedrngen den Kronprinzen, den die einen als traditionsbewuten Beduinen, die anderen als Freund vorsichtiger Reformen schildern, ein Minimum an Toleranz und Modernitt zuzulassen. Dem stellt sich angeblich ein anderer Halbbruder, der Innenminister Prinz Nayef, entgegen, der insgeheim mit El Qaida sympathisieren soll und gegen die Liberalen ein unpassendes Wort fr ein Land, wo es bestenfalls gemigte Konservative gibt polizeilich vorgeht. In anderen Berichten hingegen wird Nayef als letzte Sule der Beharrung gegen einen radikalislamistischen Umsturz genannt. Ein groer Teil der 22 Millionen Untertanen hat von den immensen Erdlgewinnen der goldenen Jahre nicht profitiert. Bei den Jugendlichen grassiert Arbeitslosigkeit und eine zunehmend aufsssige Stimmung. Die unerbittlichen Korangelehrten, die Ulama dieser bei weitem strengsten Form des Islam, verfolgen jeden religisen und gesellschaftlichen Auflockerungsproze mit ihrem Takfir, mit dem Fluch gegen den Abfall vom Glauben. Der theologische Streit um den Begriff des Taqarub, des friedlichen Zusammenlebens mit49

Unglubigen, ist voll im Gange. Die Tatsache, da die Befrworter einer bescheidenen Toleranz von Washington offiziell gefrdert werden, ruft stndig neue Fanatiker der Verneinung, des Takfir, auf den Plan. Die USA sind dabei, ihre letzten Soldaten aus Saudi-Arabien abzuziehen. Die meisten der dort lebenden amerikanischen Zivilisten packen ebenfalls ihre Koffer. Osama Bin Laden, der das Verschwinden der Yankees aus der Heimat des Propheten drohend gefordert hatte, scheint also eines seiner Ziele erreicht zu haben. Fr das wahhabitische Knigreich beginnt damit eine Periode angespannter Unsicherheit. Sptestens seit dem 11. September 2001, vermutlich aber schon seit dem blutigen Attentat von El Khobar im Juni 1996, das neunzehn US-Soldaten das Leben kostete, hat sich der Verdacht der CIA besttigt, da die saudische Dynastie in diverse Verschwrungen verwickelt ist. Dieser karge Wstenstaat war unter der Regentschaft des imponierenden Beduinen-Frsten Abdulaziz Ibn Saud Vater des jetzigen, todkranken Knigs Fahd und des Kronprinzen Abdullah dank der Entdeckung des Erdls zu unermelichem Reichtum und somit zu weltpolitischer Bedeutung gelangt. Aber schon sehr bald nach der Ermordung des weithin ob seiner Bescheidenheit und Frmmigkeit geachteten Knigs Feisal brach eine verhngnisvolle Kluft auf. Die offiziellen Strukturen dieser Monarchie, die als Wchter der Heiligen Sttten von Mekka und Medina als einzige Verfassung und Rechtsquelle den unvernderlichen Text des Korans anerkennen, kontrastierten auf skandalse Weise mit dem sndhaften Lebenswandel einer Clique von angeblich zwanzigtausend Prinzen, deren malose Verschwendungssucht allen islamischen Gleichheitsgeboten Hohn sprach. Das Haus El Saud wurde50

von seinen glubigen Untertanen zunehmend als ein Hort von Heuchlern, von Munafiqun, verachtet. Ja, der Vorwurf des Kufr, des Abfalls vom wahren Islam, wurde laut, als seine Herrscher mit den Amerikanern aufs engste paktierten und sich zu Konzessionen gegenber Israel bereit fanden. Insbesondere die junge saudische Elite, die im Westen ausgebildeten Intellektuellen und Techniker darunter auch Angehrige der Dynastie , wollte sich aus diesem Widerstreit zwischen fanatischem wahhabitischem Glaubenseifer und schndlicher Lasterhaftigkeit befreien. Unter ihnen fand der Milliardrssohn Osama Bin Laden seine zum uersten entschlossenen Anhnger. Die regierende Kaste wiederum versuchte den Zorn der Glubigen zu beschwichtigen und sich von den Umsturzdrohungen religiser Fanatiker freizukaufen, indem sie unter dem trgerischen Schleier ihrer Allianz mit Washington ein weltweites Netz islamistischer Sozialwerke und Stiftungen finanzierte, die sich zu Keimzellen der antiamerikanischen Stimmungsmache und des Terrorismus entwickelten. Das Pentagon brennt darauf, diesem Doppelspiel ein Ende zu setzen und den Potentaten von Riad die Daumenschrauben anzulegen. Aber niemand wei, welcher Nachfolger sich am Ende durchsetzen wird. Den Normen zufolge, die der maghrebinische Soziologe Ibn Khaldun im vierzehnten Jahrhundert fr die Ablsung arabischer Dynastien aufstellte, wre der Niedergang des Beit El Saud ohnehin lngst fllig, und seine Ersetzung durch gottesfrchtige Erneuerer stnde bevor. Diese Flutwelle des revolutionren Islamismus war schon im Jahr 1979 durch den Mehdi Yuheiman-elOteiba angekndigt worden, der das zentrale Heiligtum von Mekka mit seinen Gefolgsleuten besetzte und51

paradoxerweise erst durch den Einsatz franzsischer Gendarmen berwltigt werden konnte. Der Wandel in Saudi-Arabien entsprche allerdings in keiner Weise der Fata Morgana, die sich die Bush-Administration unter der Schaffung arabischer Demokratie vorstellt. Den Ausschlag knnte am Ende ein Militrkomplott geben, bei dem nicht die regulre Armee, sondern die Nationalgarde die Entscheidung davontrge. Die Haras-el-watani war aus der weigekleideten Beduinentruppe hervorgegangen, an deren Spitze Prinz Feisal Ibn Abdulaziz im Jahr 1926 die Heiligen Sttten Mekka und Medina fr seinen Vater eroberte. Das interne Intrigenknuel wird von auswrtigen Sorgen berlagert. Ich berufe mich auf eine Verffentlichung des NahostExperten der Princeton University, Michael Scott Doran: Saudische Hardliner befrchten neuerdings, da die schiitische Minderheit in Saudi-Arabien gemeinsame Sache mit den Vereinigten Staaten macht und sich an der Verschwrung gegen den wahhabitischen Islam beteiligt. Der Alptraum dieser El Qaida nahestehenden Krfte ist die Vorstellung, da die Amerikaner und die irakischen Schiiten das Regime von Riad zu weitgehenden Reformen zwingen und die Schiiten am politischen Leben beteiligen. Zahlreiche wahhabitische Korangelehrte empfinden hnliche ngste. Dieser Verdacht einer amerikanischschiitischen Verschwrung ist nicht auf Saudi-Arabien beschrnkt. Er erklrt die tglichen Angriffe auf amerikanische Soldaten im sunnitischen Dreieck des Irak sowie den Bombenanschlag in Nedschef gegen den Ayatollah Baqr-el-Hakim. Die Situation ist kritisch, weil die USA ber geringe Mittel verfgen, der antischiitischen und antiamerikanischen Strmung der saudischen Kleriker entgegenzuwirken. Der Wahhabismus ist die Grundlage eines gesamten politischen Systems. Jeder, der vom Status52

quo profitiert, wird sich um dieses System scharen, falls es von auen angetastet wird. Den Vereinigten Staaten bleibt keine andere Wahl, als die flligen demokratischen Reformen in Irak und in Saudi-Arabien energisch voranzutreiben. Doch jeder Versuch, eine liberalere politische Ordnung zu schaffen, wird zustzlichen Disput auslsen. Die antiamerikanische Stimmung wrde angeheizt. Bei seinem Bemhen, die Demokratie im Mittleren Osten zu frdern, wird Washington wieder einmal feststellen mssen, da seine engsten arabischen Verbndeten gleichzeitig seine erbittertsten Feinde sind. Sleeping with the devil Mit dem Teufel schlafen. Unter diesem Titel hat der ehemalige CIA-Agent Robert Baer die skandalse Komplizenschaft zwischen der saudischen Dynastie und dem amerikanischen ErdlKapitalismus aufgedeckt. Solange das Petroleum und die Profite sprudelten, drckte man in Washington beide Augen zu, wenn wieder einmal ruchbar wurde, da irgendwelche saudischen Geldgeber den religisen Fanatismus weltweit schrten. Die Kompromittierung reicht, laut Robert Baer, bis in die unmittelbare Umgebung der Prsidentschaft. Die franzsische bersetzung des Buchtitels klingt noch suggestiver: Or Noir et Maison Blanche Schwarzes Gold und Weies Haus. Der Anschlag einer fast ausschlielich saudischen Terroristenbande auf das World Trade Center htte die letzten Zweifel ausrumen mssen, aber das Pentagon, das auf militrisches Vorgehen gegen die verrterischen arabischen Prinzen drngt, sieht sich durch die negative Entwicklung im Irak in seiner Aktionsfhigkeit gelhmt. An dieser Stelle mchte ich eine persnliche Impression einfgen. Im September 1981 hatte ich mit einer franzsischen Delegation Saudi-Arabien bereist. Eine53

breite Prachtallee fhrte an Hochhusern und Palsten vorbei zum historischen Ausgangspunkt des Wahhabismus und der saudischen Dynastie. Knig Feisal hatte angeordnet, da die Ruinen von Diraya, der Wiege der Dynastie, als Monument des frommen und bescheidenen Anfangs zu erhalten seien. Hier hatte im achtzehnten Jahrhundert der strenge Prediger Mohammed Ibn Abdul Wahhab die Beduinen des Nejd zur Reinheit der Lehre, zur strengsten koranischen Auslegung, weit intoleranter noch als die hanbalitische Rechtsschule, aufgerufen. Mit Hilfe des Kriegergeschlechts der saudischen Frsten, mit dem er sich verbndet und in das er eingeheiratet hatte, konnte Abdul Wahhab die trkischen Okkupanten, die Garnisonen des fremden, verhaten Kalifen von Istanbul, aus der nordostarabischen Wste vertreiben. Der Verlust dieser fernen Auenregion wre fr die Hohe Pforte eventuell zu verschmerzen gewesen. Aber die Beduinen des Nejd schwrmten nach Mesopotamien und bis in den Hedschas aus. Ihre fanatische Botschaft islamischer Erneuerung drhnte ber die ganze Halbinsel. Der damalige Wali von gypten, Mehmet Ali, der in der ersten Hlfte des neunzehnten Jahrhunderts ber strkere Heere verfgte als der Sultan am Bosporus, wurde beauftragt, die Krieger des Hauses El Saud, diese rebellischen Wahhabiten, wie man sie nunmehr nannte, zu unterwerfen. Unter unsglichen Strapazen qulten sich die Soldaten aus dem Niltal durch die feindselige Wste. Auf Befehl Ibrahim Paschas besetzten sie schlielich Diraya, die Hochburg dieser puritanischen Ketzerei. Sie zerstrten die Oasensiedlung bis auf die letzte Lehmhtte. Unsere Delegation wurde von Kamelreitern am Rande der kleinen Ortschaft willkommen geheien. Die Zeremonie vollzog sich unter einem weitgespannten schwarzen Zelt. Beduinenkrieger fhrten einen Sbeltanz54

vor. Die Sonne neigte sich, als die westliche Besuchergruppe im Eilschritt durch die Ruinen gefhrt wurde. Das alte Serail der Saudi-Dynastie mit seinen dicken Lehmwllen, Zinnen, Terrassen und dreieckigen Schiescharten war restauriert worden. Ich kletterte auf die hchste Plattform. Ganz fern zeichneten sich die Zement- und Stahlstrukturen der Hauptstadt ab. Ringsum dehnte sich die ockerfarbene Wste. Violette Schatten breiteten sich aus. Die Palmen verfrbten sich schwarz. Ein Windsto aus Sden wirbelte den Sand hoch und verstrkte den Eindruck von Verlorenheit und de. Eine syrische Journalistin gesellte sich mir zu, die mir whrend einer Pressekonferenz in Taif durch aggressive Fragen aufgefallen war. Die junge Frau hatte widerwillig ein Kopftuch bergezogen, weil das saudische Gesetz es verlangte. Sie war militante Anhngerin der sozialistischen Baath-Partei. Die Beduinen-Folklore vor dem Gastzelt hatte sie mit Ungeduld und rger ertragen. Jetzt lie auch sie den Blick ber die endlose Leere zu ihren Fen schweifen. Das ist also der Ursprung der Saudis, sagte sie pltzlich mit Grimm in der Stimme; da sind sie hergekommen, und hierhin, in den Staub, werden sie wieder zurckkehren. Wie werden sich der berfllige Umbruch, die notwendige Umgestaltung der Staaten des arabischen Maschreq vollziehen? Ganz bestimmt wird nicht der Aufstand der Strae den Ausschlag geben, wie einst in Teheran. Nicht einmal in dem US-Protektorat Jordanien regt sich offener Widerstand bei der zu siebzig Prozent aus Palstina stammenden Bevlkerung, wenn in unmittelbarer Nachbarschaft auf dem Westufer des Jordan ihre engsten Verwandten drangsaliert, die Partisanen von Hamas oder Dschihad Islami von den Israeli zusammengeschossen und immer neue jdische55

Siedlungen ausgebaut werden. Gegen die technische Perfektionierung der jeweiligen berwachungs- und Polizeiapparate, die oft von amerikanischen Experten beraten werden, htte ein Massenaufgebot kaum eine Chance. Nur die Streitkrfte und die einflureichen Geheimdienste diese berzeugung habe ich stets vertreten wren befhigt, radikale Regimewechsel zu erzwingen. Um meinen Ruf als Knder des Unheils nicht zu strapazieren, greife ich wieder auf eine Prognose des israelischen Militrkritikers Martin van Creveld zurck: Die Lnder in der Umgebung des Irak, die am meisten vom Zusammenbruch der dortigen amerikanischen Macht zu befrchten haben, sind Jordanien, Saudi-Arabien und gypten. Jedes ist auf seine Weise abhngig von der Hilfe der Amerikaner. Alle drei werden von schweren Krisen geschttelt Zwar mssen, wenn sich die Unruhen vom Irak aus verbreiten, die Regime aller drei Lnder nicht zwangslufig fallen, aber einem oder zweien knnte dieses Schicksal blhen Der Zusammenbruch Saudi-Arabiens oder ein mgliches Szenario, bei dem sich gypten zu einer islamischen Republik wandelt und seinen Friedensvertrag mit Israel aufkndigt, zge weltweite konomische und strategische Auswirkungen nach sich, die schwer abschtzbar sind. Langfristig gesehen, wird der grte Nutznieer, so heit es bei Creveld, vermutlich der Iran sein, der zusehen konnte, wie sein gefhrlichster Gegner zermalmt wurde, ohne selbst einen Finger krumm machen zu mssen. Noch bevor Prsident Bush den Einsatzbefehl gegen den Irak gab, haben sich die Iraner, die sich auf drei Seiten von den Truppen der Atommacht USA umgeben sahen in Afghanistan, in den zentralasiatischen Republiken, am Persischen Golf -, fieberhaft um die56

Beschaffung von Atomwaffen und die dazugehrigen Trgersysteme bemht. Nachdem nun die Vereinigten Staaten unter Beweis gestellt haben, da sie bereit sind, jeden beliebigen Gegner ohne triftigen Grund anzugreifen, wird man den Iranern nachsehen, wenn sie ihre Anstrengungen in dieser Richtung verdoppeln. Selbst wenn, wie einige hoffen, die Islamische Republik Iran gestrzt wrde, drfte eine neue Regierung in Teheran mit Sicherheit den nationalistischen Kurs ihrer Vorgngerin weiterfhren. Man kann davon ausgehen, da einem nuklear aufgersteten Iran eine nukleare Trkei folgt, als nchstes ein nukleares Griechenland, ein nukleares SaudiArabien vorausgesetzt, das Land kann als einheitliches politisches Ganzes berleben und ein nukleares gypten. Willkommen in der schnen neuen Welt, Mister Bush!

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Die Torheit des UnilateralismusMan hte sich vor Prognosen, zumal, wenn sie die Zukunft betreffen, besagt ein Kalauer. Wer htte im Jahr 1958 den Sturz der irakischen Haschemiten-Dynastie durch den Putsch des Generals Abdel Karim Qassim oder 1952 die Machtergreifung der Freien Offiziere unter dem Bikbaschi Gamal Abdel Nasser prophezeit? Auch die Nelken-Revolution Portugals, die das lusitanische Kolonialreich zu Grabe trug, kam pltzlich. Trotzdem mute mit diesen Vorgngen fast zwangslufig gerechnet werden. Schwierig, fast unmglich, ist lediglich die Fixierung des Datums, an dem sich der unabnderliche Umbruch vollzieht. Heute stellt sich die Frage unter anderem, wie lange die derzeitige Prsidentschaft Hamed Karzais in Afghanistan stabilisiert werden kann. Die Euphorie, die die Verfassungsgebung durch die Loya Jirga von Kabul begleitete, spiegelt sich nachhaltiger in den westlichen Medien als in der Wahrnehmung der betroffenen Bevlkerung. Viel bengstigender fr die amerikanische Asienpolitik ist ohnehin die wachsende Unsicherheit in Pakistan. Die prekre Annherung des dortigen Militrdiktators Pervez Musharaf an die streng muslimische Parteiallianz Muttahida-e-Majlis-e-Amal sollte die CIA auch strker beschftigen als die bislang fehlgeschlagenen Attentate gegen den Staatschef. Hingegen beunruhigte die Entdeckung, da Islamabad den Iran und sogar Nordkorea an seinen nuklearen Kenntnissen teilhaben lie, die Internationale Atomenergiekommission. Auch in dieser Islamischen Republik werden am Ende das Offizierskorps und der58

ominse Geheimdienst ISI die Entscheidung davontragen. Einem politischen Erdrutsch in Pakistan stnde die Supermacht USA ziemlich hilflos gegenber. Wie soll Donald Rumsfeld, der mit 23 Millionen Afghanen nicht zurechtkommt, dem Aufruhr von 150 Millionen pakistanischen Muslimen begegnen knnen? Der Diplomatie Washingtons ist anscheinend jede Kohrenz abhanden gekommen. Da wurde noch vor gar nicht langer Zeit die Islamische Republik Iran in die Achse des Bsen eingereiht und auf jede nur erdenkbare Weise durch Untergrund-Agitation bedrngt. Doch nach dem katastrophalen Erdbeben von Bam flogen die Transportmaschinen der US Air Force und militrische Rettungsteams zur spektakulren und verdienstvollen Hilfeleistung in die verwstete Provinz dieses Schurkenstaates ein. Nicht nur das vorsichtige Einlenken des Prsidenten Khatami in der Frage nuklearer Aufrstung drfte dabei den Ausschlag gegeben haben, sondern das Wissen des State Department, da ohne eine migende Einflunahme der iranischen Geistlichkeit auf die unberechenbare Masse ihrer irakischen Glaubensbrder die militrische Situation im Zweistromland unhaltbar werden knnte. Da hatte man in den Beraterstben des Weien Hauses vollmundig den Unilateralismus zur Richtlinie der USDiplomatie erhoben und die traditionellen europischen Alliierten dementsprechend maltrtiert. Aber wenn es sich um die Atombomben Kim Jong Ils handelt, geht Auenminister Colin Powell in Fernost hausieren, um multilaterale Round-table-Gesprche ausgerechnet in Peking anzuregen, zu denen Japaner, Sdkoreaner und Russen geladen werden, whrend die Volksrepublik China heimlich die Regie fhrt. Das weltweite Hegemonialmonopol der USA gehrt zu59

den unveruerlichen Postulaten der Neokonservativen am Potomac. Doch die US Army leidet heute schon unter ihrem Mangel an Ubiquitt. An Ruland gemessen, mgen die Vereinigten Staaten weiterhin als Gigant erscheinen. Nicht nur die weit berlegene Wirtschaft schafft da eindeutige Fakten. Dazu gesellt sich vor allem auch die Demographie. Durch stndige Bevlkerungszunahme verfgen die USA heute mit fast 300 Millionen Einwohnern ber doppelt so viele Menschen wie das moskowitische Restimperium. Die Europer, so hofft die Bush-Administration, lassen sich auf Grund ihrer internen Querelen, die es zu schren gilt, ohnehin auf niedrigerem Niveau halten. Aber da steigt China zur Weltmacht auf mit 1,3 Milliarden Menschen. Die wirtschaftlich-industriellen Fortschritte im Reich der Mitte sind phnomenal, und die dortige Weltraumtechnik, die fhig ist, einen Astronauten rund um den Erdball zu befrdern, wre auch in der Lage, das sakrosankte Territorium der USA mit nuklearbestckten Interkontinentalraketen zu erreichen. Zur See und zur Luft bleibt die berlegenheit der USStreitkrfte gegenber Flotte und Luftwaffe der Volksbefreiungsarmee weiterhin erdrckend. Sptestens die Operation Iraqi Freedom hat die Bedeutung der Landstreitkrfte wieder aufgewertet, und da gebietet Peking ber die strkeren Bataillone. Wrde eine Hegemonialmacht, die in Vietnam versagte, die Torheit begehen, sich zu Lande mit dem gigantischen Drachen am Westrand des Pazifik in einen Kampf auf Leben und Tod einzulassen? Der zurckhaltende, vorsichtige Kurs, den Peking auenpolitisch und strategisch steuert, mu als Zeichen groen Selbstbewutseins und zunehmender Strke gedeutet werden. Die Zeit arbeitet fr dieses neu erstandene, unbesiegbare Imperium, dessen60

Wirtschaftsmetropole Shanghai weder mit Singapur noch mit Tokio rivalisieren will, sondern mit New York. Schlielich sollte auch das alte Europa in Zuversicht und Gelassenheit die teilweise gehssigen Attacken aus den USA wegstecken. Mit dem militrischen Flickwerk der Koalition der Willigen die Briten sind damit nicht gemeint ist nicht viel Staat und kein militrisches Gewicht zu schaffen. Schon greift die US-Diplomatie bei ihren Sondierungen in Teheran und Damaskus auf die Briten, aber auch auf Deutsche und Franzosen zurck. Die Befrchtung bleibt jedoch bestehen, da die Falken des Pentagon und des Nationalen Sicherheitsrates Colin Powell einen Strich durch die Rechnung machen. Man hat Frankreich bestraft Condoleezza Rice dixit , indem es von den Verhandlungen mit dem libyschen Diktator Qadhafi ber dessen Massenvernichtungswaffen ausgeschlossen wurde. Doch der unbestechliche Chef der Internationalen Atomenergie-Behrde, Mohammed El Baradei, hat bereits fr Ernchterung gesorgt, indem er die Offerte Libyens herunterspielte. Er stellte fest, da die Rstungsprojekte Qadhafis auf dem Gebiet der ABCWaffen in den Kinderschuhen stecken und keinerlei akute Gefahr darstellen. Gewi, Jacques Chirac wurde bewut brskiert. Aber weit mehr beleidigt mte sich der italienische Premierminister Silvio Berlusconi fhlen, der alle Extravaganzen des Weien Hauses mitgemacht hat und dessen Land durch die Situation in der historisch verwandten tripolitanischen Nachbarschaft unmittelbar tangiert wird. Schon aus geographischen Grnden kann die amerikanische Planung weder auf Deutschland noch Frankreich verzichten. Im extremen Ernstfall,