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1 IT is different 2 Problemanalyse 3 Verkaufsprozess 4 Werkzeuge 5 Übungen 2.9 Verkaufshindernis 4: Persönliche Projektrisiken des Entscheidungsträgers 59 2.9 Verkaufshindernis 4: Persönliche Projektrisiken des Entscheidungsträgers Fallstudie: Einführung eines softwareunterstützten IT-Prozessmanagementsystems Günter Weiß starrt seit einer halben Stunde aus seinem Bürofenster. Als ob er darauf warten würde, dass da draußen ihm jemand ein Zeichen gibt – und die nötige Zuversicht –, eine Entscheidung mit voller Überzeugung treffen zu können. Vor fast genau drei Monaten hat Günter Weiß die ersten Anbieter eingeladen und ihnen die Situation erklärt: Das Unternehmen will ein softwaregestütztes IT-Prozessmanagement einführen. Damit sollen die vielen Einzeltools abgelöst werden, die historisch gewachsen sind, aber trotz vieler Anpassungen nie im Konzert spielen wollten. Wann immer Informa- tionen oder aktuelle Kennzahlen angefordert wurden, bekam Weiß zu hören, dass die Daten alle da wären, aber erst zusammengeführt und aufbereitet werden müssten. Das koste Zeit und Aufwand – und wer hat die schon als Abteilungsleiter eines IT-Betriebs mit 40 Mitarbeitern? Fünf Anbieter folgten damals der Einladung und »kein Problem« meinten sie alle unisono – das hätten sie alles schon viele Male höchst erfolgreich gemacht und das Unternehmen könnte sich voll und ganz auf sie verlassen. Entweder ist sein Unternehmen das einzige, bei dem ständig Projekte in Schieflage kommen, oder die Anbieter dehnen die Wahrheit etwas über Gebühr, dachte sich Günter Weiß. Ein Gedanke, der ihm bei diesen hochglanzpolierten Präsentationen öfters kam. Einige Tage später wurde ein Projektteam zusammengestellt, das wochenlang Systeme, Berater und Einführungskonzepte evaluierte. Zwei Anbieter haben es in die Pilotphase geschafft und wieder wurden die Testsysteme auf Herz und Nieren geprüft. Am Ende ging die Abstimmung 7 zu 4 für den Anbieter »Power-IT« aus. Damals hatte Günter Weiß zum ersten Mal Bauchschmerzen. Die vier Mitarbeiter, die den zweiten Finalisten als Anbieter bevorzugten, hatten gute Argumente, die gegen Power-IT sprachen. Einer der Mitarbeiter hat sogar angedroht, dass er kündigen werde, sollte sich das Unternehmen für Power-IT entscheiden. Als Manager mag er gar nicht daran denken, was während der Evaluierung passiert sein muss, um diesen ansonsten so ruhigen Mitarbeiter derart gegen einen Anbieter aufzubringen. Das Kundenrisiko ist zu hoch 1. Persönliche Risiken des Entscheiders 2. Risiken für die betroffenen Bereiche 3. Risiken für das Unternehmen

2.9 Verkaufshindernis 4: Persönliche Projektrisiken des

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Page 1: 2.9 Verkaufshindernis 4: Persönliche Projektrisiken des

1 IT is different 2 Problemanalyse 3 Verkaufsprozess 4 Werkzeuge 5 Übungen

2.9 Verkaufshindernis 4: Persönliche Projektrisiken des Entscheidungsträgers 59

2.9 Verkaufshindernis 4:Persönliche Projektrisiken des Entscheidungsträgers

Fallstudie: Einführung eines softwareunterstützten IT-Prozessmanagementsystems

Günter Weiß starrt seit einer halben Stunde aus seinem Bürofenster. Als ob er darauf wartenwürde, dass da draußen ihm jemand ein Zeichen gibt – und die nötige Zuversicht –, eineEntscheidung mit voller Überzeugung treffen zu können.Vor fast genau drei Monaten hat Günter Weiß die ersten Anbieter eingeladen und ihnen dieSituation erklärt: Das Unternehmen will ein softwaregestütztes IT-Prozessmanagementeinführen. Damit sollen die vielen Einzeltools abgelöst werden, die historisch gewachsensind, aber trotz vieler Anpassungen nie im Konzert spielen wollten. Wann immer Informa-tionen oder aktuelle Kennzahlen angefordert wurden, bekam Weiß zu hören, dass dieDaten alle da wären, aber erst zusammengeführt und aufbereitet werden müssten. Daskoste Zeit und Aufwand – und wer hat die schon als Abteilungsleiter eines IT-Betriebs mit40 Mitarbeitern?Fünf Anbieter folgten damals der Einladung und »kein Problem« meinten sie alle unisono –das hätten sie alles schon viele Male höchst erfolgreich gemacht und das Unternehmenkönnte sich voll und ganz auf sie verlassen. Entweder ist sein Unternehmen das einzige, bei dem ständig Projekte in Schieflagekommen, oder die Anbieter dehnen die Wahrheit etwas über Gebühr, dachte sich GünterWeiß. Ein Gedanke, der ihm bei diesen hochglanzpolierten Präsentationen öfters kam.Einige Tage später wurde ein Projektteam zusammengestellt, das wochenlang Systeme,Berater und Einführungskonzepte evaluierte. Zwei Anbieter haben es in die Pilotphasegeschafft und wieder wurden die Testsysteme auf Herz und Nieren geprüft. Am Ende gingdie Abstimmung 7 zu 4 für den Anbieter »Power-IT« aus. Damals hatte Günter Weiß zum ersten Mal Bauchschmerzen. Die vier Mitarbeiter, die denzweiten Finalisten als Anbieter bevorzugten, hatten gute Argumente, die gegen Power-ITsprachen. Einer der Mitarbeiter hat sogar angedroht, dass er kündigen werde, sollte sich dasUnternehmen für Power-IT entscheiden. Als Manager mag er gar nicht daran denken, waswährend der Evaluierung passiert sein muss, um diesen ansonsten so ruhigen Mitarbeiterderart gegen einen Anbieter aufzubringen. ➞

Das Kundenrisikoist zu hoch

1. Persönliche Risiken des Entscheiders

2. Risiken für die betroffenen Bereiche

3. Risiken für das Unternehmen

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60 Problemanalyse – woran scheitern IT-Verkaufsprojekte?

Der nächste Schlag war das Angebot. Es ist nichts Neues, dass ein Angebot deutlich höherausfällt als die Schätzungen in den ersten Gesprächen. Irgendwie hofft man wohl immerwieder, dass es diesmal anders sein wird – und irgendwie erfüllt sich diese Hoffnung nie.Der Preis lag 30% über den ersten »konservativen« Schätzungen. Die Mitarbeiter desProjektteams meinten, dass das Angebot in der Tat hoch ausgefallen sei, aber vermutlichrealistisch ist – das Projekt könnte sich als deutlich aufwendiger herausstellen alsursprünglich gedacht. Das liege vor allem an der überraschend stark fragmentierten Daten-basis – die Aufwände für die Konsolidierung der Daten sind praktisch nicht vorababzuschätzen.»Deutlich aufwendiger als gedacht«, »kaum abschätzbare Aufwände«, »überraschend« –das sind nicht die Begriffe, die ein Projektsponsor hören will und Günter Weiß ist da keineAusnahme. Wenn das jetzt schon so anfängt – was lauert da erst in der Zukunft? Vor allemmit einem neuen Anbieter, mit dem es keine Erfahrungswerte in puncto Zusammenarbeitgibt.Apropos Zusammenarbeit – auch hier hat der harte Unternehmensalltag den Abteilungs-leiter auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Oder besser: über den Boden derTatsachen geschleift – das wäre vermutlich treffender. Als Günter Weiß dem Vorstand dasProjekt präsentierte, schien dieser der Idee durchaus positiv gegenüberzustehen. RaschereBerichte, straffere Kontrollen, durchgängige Daten, langfristige Kosteneinsparungen – dasalles kam gut an. Aber statt einer Entscheidung spielte der Vorstand einmal mehr dieWettbewerbskarte aus: Das Budget lässt derzeit nur ein zusätzliches Großprojekt zu – unddabei steht das neue IT-Prozessmanagementsystem in Konkurrenz mit der geplantenneuen mobile-apps-suite der Marketingleiterin, Frau Grün. Das Controlling solle sich daherdoch beide Projekte im Detail ansehen und dem Vorstand eine Empfehlung machen,welches der beiden denn budgetiert werden solle.Ausgerechnet Frau Grün: eine engagierte Frau, die hervorragend präsentiert und die ihreProjekte verteidigt wie eine Löwenmutter ihre Jungen.Entgegen den Erwartungen schien das Controlling nach seiner Evaluierung jedoch das IT-Projekt zu favorisieren. Für Günter Weiß ist das kein Grund zum Feiern, sondern eher zumGrübeln – das kann fast nicht mit rechten Dingen zugehen. Noch nie hat sich die technischeAbteilung mit einem Projekt gegen die gut geführte Marketingabteilung durchsetzenkönnen. Die vorgestellten Konzepte für die mobilen Apps gefallen sogar ihm selbst – ihm,der mit diesem Firlefanz ansonsten gar nichts anzufangen weiß. Die einzige logische Erklärung ist, dass das Controlling Frau Grün eins auswischen will – auswelchen Gründen auch immer. ➞

Fallstudie: Einführung eines softwareunterstützten IT-Prozessmanagementsystems

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Diese Nachricht hat die Marketingleiterin auch gleich mit einem Besuch bei Günter Weißquittiert. Wie das denn mit ihrem CRM-System weitergeht, wollte sie wissen. Ein Schlagunter die Gürtellinie – und direkt ins schlechte Gewissen des IT-Betriebschefs. Denn dasCRM-System der Marketingabteilung wird in seiner Abteilung betrieben – in letzter Zeitjedoch mehr schlecht als recht. Drei langjährige Mitarbeiter des CRM-Teams haben gleich-zeitig gekündigt, um gemeinsam ein IT-Startup zu gründen. Vom plötzlichen Know-how-und Arbeitskraftverlust hat sich die Abteilung bisher noch nicht erholt und die neu einge-stellten Mitarbeiter sind kein qualitativ gleichwertiger Ersatz. Es gab sogar einige verbaleÜbergriffe mit der Marketingabteilung, einer davon sogar sehr heftig. Wäre das Team nichtin einer Notsituation, hätte Weiß den Mitarbeiter sofort gefeuert. Er war daher damals froh,dass die ansonsten so resolute Marketingleiterin sich geduldig und tolerant gab undVerständnis für die Situation und den intolerabel schlechten Service zeigte. Wäre dieSituation eskaliert, hätte Günter Weiß zweifelsfrei einige sehr unangenehme Gespräche mitdem Vorstand führen müssen. Von den Auswirkungen auf Boni, Karriere und seinen Ruf alssoliden Manager, der seinen Laden im Griff hat, ganz zu schweigen.Ganz verübeln kann Günter Weiß der Marketingleiterin daher ihre Reaktion nicht. Er warund ist froh darüber, dass Grün in der Sache den Ball flach hält, bis die Situation wiederunter Kontrolle ist. Als nettes Dankeschön ihr dann ein Prestigeprojekt wegzunehmen istwohl keine schöne Revanche, selbst wenn es für das Unternehmen besser wäre. Gleichzeitig hat der Vorstand klargemacht, dass er dieses umfangreiche IT-Projektfreigeben würde – allerdings erwarten die Vorstände keine Schwierigkeiten, vollen Einsatzund »eimerweise Herzblut« des Abteilungsleiters bei der Projektdurchführung. Er solle sichdaher gut überlegen, ob er das Projekt auch wirklich durchziehen will und kann.Günter Weiß starrt immer noch aus dem Fenster. Nein, Herzblut mag er für dieses Projekt nicht ausschütten. Zu viele Unbekannte, zu vieleSchwierigkeiten schon vor Projektstart.In wenigen Minuten ist es 15.00 Uhr. Sicher ruft der Verkaufsberater von »Power-IT«pünktlich an, um einen Termin für die Vertragsunterzeichnung zu vereinbaren. Bei denenhaben sicher bereits die Korken geknallt, als bekannt wurde, dass sie als einziger Anbieterim Rennen sind, denkt sich der Abteilungsleiter. Der nette, bemühte junge Mann tut ihm leid – er hätte ihm den Auftrag und den Erfolggegönnt. »Tut mir leid, Herr Huber – der Vorstand hat das Budget nicht genehmigt. Vielleicht habenwir nächstes Jahr mehr Glück«, wird er ihm sagen.Das Leben ist manchmal unfair.

Fallstudie: Einführung eines softwareunterstützten IT-Prozessmanagementsystems

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62 Problemanalyse – woran scheitern IT-Verkaufsprojekte?

Analyse der Fallstudie

Aus Sicht eines Anbieters wie Power-IT ist ein derartiger Projektablauf der»Worst Case« überhaupt. Zuerst steckt das Unternehmen viel Aufwand indie Präsentation, Informationsworkshops und Pilotprojekte – häufig aufeigene Kosten.

Da die Sache gut aussieht, der Kunde mitspielt und alle Beteiligten spüren,dass sie realistische Chancen auf den Auftrag haben, will der Anbieter nichtsriskieren: »Jetzt bloß dem Kunden keine Auflagen machen, die ihn doch nochin die Hände der Konkurrenz treiben.«

Es sieht sogar danach aus, als ob die Taktik aufgeht: Man bleibt als einzigerAnbieter übrig und kühlt schon mal den Champagner.

Plötzlich und ohne Vorwarnung das jähe Ende. Die Begründung kommt invielen Varianten: Der Vorstand gibt das Budget nicht frei, das Wirtschafts-klima ist schlechter geworden, die Rechtsabteilung hat das Projekt abge-schmettert, aufgrund einer anstehenden Akquisition werden alle Projekte aufEis gelegt.

Der reale Grund ist jedoch oft das hohe Risiko, das der Abteilungsleiter mitdem Projekt eingeht:

■ Das Projektteam ist sich uneinig und es gibt aufgrund der EntscheidungSchwierigkeiten. Nicht alle Experten wollen mitziehen. Vielleicht ist esnoch möglich, alle ins Boot zu holen, vielleicht auch nicht. Der Abtei-lungsleiter kann nicht auf die Bedürfnisse jedes einzelnen MitarbeitersRücksicht nehmen, aber wenn wichtige Personen nicht mitspielen, ist dasmit Sicherheit nicht förderlich für das Projekt.

■ Der Anbieter ist dem Kunden unbekannt und ein grundsätzliches Risiko.An sich hat der IT-Partner zwar gut gearbeitet, aber bleibt das weiterhinso? Hält er über die gesamte Projektlaufzeit durch? Gibt es das üblichePhänomen, dass die guten Leute nur so lange an Bord sind, bis das Pro-jekt unterschrieben ist, und ab dann kommen nur noch günstige, unerfah-rene Berater? Es gibt keine Erfahrungswerte, das Risiko ist hoch.

■ Es gab bereits vor der Entscheidung unangenehme Überraschungen. Dieschwer einschätzbaren technischen Herausforderungen sowie der deutlichhöher ausgefallene Angebotspreis sind kein gutes Omen, dass ab jetztalles wunderbar nach Plan läuft. Vielleicht ist es gut, dass die Schwierig-keiten damit offen auf dem Tisch liegen – vielleicht ist es auch nur dererste Vorgeschmack auf das, was da noch kommen wird. Es ist unklar –und damit risikoreich.

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■ Das Projekt erhält hohe Aufmerksamkeit vom Vorstand, die Erwartungensind hoch. Das hat natürlich auch positive Seiten. Ein Erfolg könnte sichgut auf die Karriere auswirken. Durch die Unterstützung vom Topma-nagement kann der Manager sich leichter beim Kampf um knappe Res-sourcen durchsetzen. Gleichzeitig ziehen Probleme, Konflikte und Verzö-gerungen sofort die Aufmerksamkeit der oberen Etagen auf sich. DerEinsatz ist hoch, die Chancen ebenfalls – und damit das Risiko.

■ Die interne Konkurrenz schläft nicht. Auch andere Manager wollen gutdastehen und ihre Ideen verwirklichen können. Auch ohne den KollegenNegatives unterstellen zu wollen, ist es naiv zu glauben, dass diese ihreeigenen, ehrgeizigen Pläne auf Eis legen, weil »jetzt mal jemand andererdran ist«. Zumindest kann Abteilungsleiter Weiß sicher sein, dass derVorstand sofort von jedem Problem erfährt und die Kollegin bezüglichdes CRM-Systems deutlich weniger tolerant agieren wird. Beides kostetEnergie und gefährdet das Vertrauen des Vorstands in das Projekt.

Jedes einzelne dieser Risiken wäre auszuhalten, vermutlich sogar mehreredavon. Aber alle zusammen? Da kommen auch erfahrene Manager ins Wan-ken.

Welche der Risiken waren kritisch für das Unternehmen – welche nur für denEntscheider?

■ Ganz offensichtlich war es ein herausforderndes Projekt – andererseitswar der Mehrwert hoch genug, um auch das Topmanagement zuüberzeugen. Ebenso hat die Controllingabteilung ihr O.K. gegeben. Obdieses komplett objektiv war, bleibt unbekannt, aber es ist nicht davonauszugehen, dass die Controller ihren Namen wegen einer kleinen Privat-fehde in einem hochriskanten Projekt aufs Spiel gesetzt hätten.

■ Technische Herausforderungen waren angekündigt; aber gibt es die nichtin jedem größeren technischen Projekt? Vermutlich ist es sogar besser,man weiß, dass dieser Part schwierig wird, dann gehen alle mit dem nöti-gen Respekt an die Sache.

■ Dass die fachlichen Experten der Abteilung in ihrer Meinung über dasbessere System gespalten waren, macht die Sache nicht leichter – anderer-seits ist das beileibe nichts Neues. Microsoft oder Linux, SAP oder Ora-cle, Apple OSX oder Ubuntu – nichts Ungewöhnliches im täglichenGeschäft für einen IT-Betriebsleiter.

Ergebnis: Auch für das Unternehmen und für die Abteilung entsteht mit demProjekt ein Risiko – jedoch keines, das ungewöhnlich hoch wäre.

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Es waren daher vor allem die persönlichen Risiken des verantwortlichenAbteilungsleiters, die das Projekt vor dem Abschluss noch versenkt haben.

Ist es legitim, dass Manager persönliche Interessen vor jene ihres Unterneh-mens stellen? Welche Haltung Sie in dieser Frage einnehmen, bleibt Ihnenüberlassen.

Mein Tipp für Sie als Verkaufsberater: Es ist naiv, Managern zu unterstellen,dass diese die Interessen ihres Unternehmens zwangsläufig vor ihre eigenenstellen.

Persönliche Risiken von Entscheidungsträgern

Risiken vor und bei der Entscheidung:

■ Die falsche Entscheidung treffenEntscheidungen bergen immer das Risiko, falsch zu sein. Trotzdem kannes unangenehm werden, wenn aus der Entscheidung ein Fiasko folgt. Vorallem, wenn jemand anschließend den Hintergründen der Entscheidungauf den Grund geht und zum Schluss kommt: »Wie haben Sie nur soentscheiden können? Das hätte doch jeder verstehen müssen, dass dasschiefgehen wird.«

Besonders bei großen Projekten mit hoher Aufmerksamkeit des Topma-nagements, des Aufsichtsrats oder der Bevölkerung ist dieses Risiko hochund Kunden setzen daher auf bekannte, renommierte Anbieter. Bekanntist der Slogan »Nobody ever got fired for hiring IBM«. Ob er wirklichstimmt, ist mir nicht bekannt, aber er bringt einen Aspekt des Risikoma-nagements auf den Punkt – sehr zum Leidwesen vieler kleiner, feinerAnbieter ohne großen Namen.

■ Das Projekt fällt in der Beurteilung durchNatürlich kann nicht jeder Projektvorschlag mit Hurra-Geschrei von derGeschäftsleitung begrüßt werden. Trotzdem: Der investierte Aufwand indie Ausarbeitung des Konzeptes ist dahin. Außerdem ist es unangenehm,wenn Projekte abgelehnt werden. Durchfallen mag dazugehören – Spaßmacht es nicht.

■ In Konkurrenz tretenEntgegen allen Gerüchten mangelt es in Unternehmen nie an Ideen – imGegenteil. Alle haben viel mehr Ideen und Vorschläge für das Unterneh-men, als das Unternehmen Möglichkeiten zum Umsetzen hat. Das führtdazu, dass sich einige Projekte gegenüber anderen durchsetzen. DieserWettbewerb mag zwar objektiv eine gute Sache sein und die besten Ideen

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zutage fördern – gleichzeitig ist Wettbewerb unangenehm. Die einenmachen gar nicht mit, weil sie nicht so gut präsentieren können wieandere und auch den Boss nicht so gut kennen. Die anderen warten ewigauf den günstigen Zeitpunkt, weil sie ihr großartiges Projekt auf jedenFall durchbringen wollen. Anderen wiederum ist es unangenehm, denngerade jetzt bietet der nette Kollege von der Nachbarabteilung seinenVorschlag an und man möchte nicht noch extra Konkurrenz machen. Ja,und »verlieren« gegen das absolut sinnlose Projekt aus der Marketing-abteilung möchte man auf gar keinen Fall.

So verstreicht die Zeit, während der günstige Moment für den Managernie kommt.

Risiken während des Projektes:

■ Das Projekt kann schiefgehenWie schlimm dieser Fall ist, hängt von vielen Faktoren ab: Größe des Pro-jektes, Wichtigkeit, Aufmerksamkeit für das Projekt, Auswirkungen desScheiterns, Firmenkultur etc. Angenehm ist es nie, am wenigsten für diePerson, die dieses Projekt entschieden hat – also die Person, die Sie zuIhrem Kunden machen wollen.

■ Schleppende MühsalSelbst wenn das Projekt nicht scheitert, es kann in Dauerstress ausarten.Während der Projektlaufzeit häufen sich die Konflikte, verschlechternsich die Beziehungen, regiert das reaktive Notfallmanagement und dieEskalationen schlagen immer höhere Wellen. Der Projektsponsor stehtöfter im Rampenlicht als gewünscht, muss viele unangenehme Fragenbeantworten und fragt sich selbst jeden Abend spät beim Heimgehen:»Was habe ich mir nur mit diesem Projekt angetan?«

■ Unerwünschte NebeneffekteEgal, ob aufgrund von schlechter Planung, mangelnder Kommunikationoder weil es einfach nicht vorherzusehen war – irgendwann in einemgroßen Projekt ruft plötzlich irgendwer beim Projektleiter an und fragt:»Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, unser Programmabzudrehen?« Irgendein System funktioniert nicht mehr wie gewohnt; einService leidet; an anderer Stelle werden nur noch sinnlose Daten produ-ziert, weil es eine Systemverbindung gab, von der seit Jahren keiner mehrwusste. Die Möglichkeiten der unerwarteten Nebeneffekte sind zahllos –und einige davon können dem Projekt und der verantwortlichen Persondas Leben sehr schwer machen.

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66 Problemanalyse – woran scheitern IT-Verkaufsprojekte?

Risiken nach dem Projekt:

■ Ramponierte ReputationSogar, wenn das Projekt letztendlich erfolgreich abgeschlossen wurde,können die Turbulenzen, Konflikte und Feuerwehraktionen dem verant-wortlichen Manager wie ein Klotz am Bein haften. Mitarbeiter könnenenttäuscht werden oder Kollegen und Vorgesetzte. Einen schlechten Rufwird man nicht mehr so leicht los: »Herr Kollege, es ist schön und gut,dass Sie uns versichern, dass bei dieser Umstellung alles glatt läuft, aberdarf ich Sie an dieser Stelle noch einmal daran erinnern, dass Sie uns diesauch bei Projekt Alpha versprochen haben. Wie das dann ablief, ist uns jawohlbekannt.«

■ Karriere – Boom oder BustEin großes Projekt sauber über die Bühne zu bekommen, Probleme zulösen, Konflikte rasch zu kontrollieren, Notfallmanagementqualitäten zubeweisen – all das kann die Karriere und das Ansehen eines Managersbeflügeln. Das Umgekehrte gilt allerdings ebenso. Geht das Projekt schief,kann leicht ein Brandmal übrig bleiben: »Er hat wohl doch nicht dasnötige Zeug.«

Praktisch nie kommen alle diese Faktoren zusammen, aber dass Ihr Kundesich mit mehreren dieser Risiken auseinandersetzen muss, ist nicht zu vermei-den. Ihr Kunde wird sich daher mehrmals gut überlegen, ob er sich diesenRisiken aussetzen will – den aktuellen wie den zukünftigen.

Je besser Sie dies verstehen, desto besser können Sie ihm Optionen bieten,damit umzugehen.

Zusammenfassung Verkaufshindernis 4:»Persönliche Risiken des Entscheiders«

■ Manager, die ein Projekt beauftragen, handeln im Auftrag des Unternehmens und inden meisten Fällen auch zum Wohle des Unternehmens. Machen Sie trotzdem auf kei-nen Fall den Fehler zu glauben, dass diese Person keine Eigeninteressen hat. VielePersonen kommen in das Dilemma: Ich sollte – aber kann nicht.

■ Als Verkaufsberater werden Sie viele dieser Risiken selten direkt vermittelt bekommen,dazu sind sie zu persönlich. Ohne sehr gute Vertrauensbasis werden Sie auch durchNachfragen nicht dahinterkommen. Seien Sie trotzdem achtsam und behalten Sie dieMöglichkeit eines unsichtbaren persönlichen Risikos des Entscheiders im Gedächtnis.Gute Zuhörer sind klar im Vorteil.

■ Wenn Sie vermuten, dass Ihr Kunde einem solchen Risiko ausgesetzt ist, dann müssenSie ihn unterstützen oder Ihr Projekt wird keinen Erfolg haben. Diplomatisches Ge-schick ist hierbei eine hilfreiche Qualität. Im schlimmsten Fall hilft noch das Anbietenvon risikomindernden Maßnahmen »auf gut Glück«: »Wir haben für unsere Projekte ei-nen Maßnahmenkatalog für mögliche Risiken erstellt. Gibt es irgendwelche davon, diewir auf jeden Fall ins Auge fassen und im Angebot berücksichtigen sollten?«

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1 IT is different

1.1 Ist dieses Buch etwas für Sie?

Vielleicht stehen Sie gerade in der Buchhandlung, haben dieses Buch aufge-schlagen und fragen sich, ob darin etwas steht, was für Sie nützlich ist.

Damit haben Sie und ich, der Autor, ein Dilemma:

Denn diese Fragen können nur Sie selbst beantworten.

Egal, wie gut dieses Buch – objektiv beurteilt – auch sein mag und für wie gutich selbst es halte – ob es gerade Ihnen etwas nützt, bleibt ungewiss, bis Sieselbst eine Bewertung finden.

In diesem Sinne ist es wie mit IT-Systemen – egal, wie technisch gut sie seinmögen –, nur der Kunde kann den Wert bestimmen.

Das bedeutet allerdings für Sie, dass Sie das Buch zuerst lesen müssen, um dasfestzustellen.

Zumindest ein paar Seiten davon. Am besten jetzt gleich.

Die gute Nachricht für Sie:

Wenn Sie auch nur einen einzigen wirklich guten Tipp in diesem Buchfinden, der Ihnen dabei hilft, einen Auftrag zu realisieren, den Sie ansons-ten nicht gewonnen hätten, dann hat sich die Investition für Sie vermut-lich viele Male gelohnt.

Um die Zeit, die Sie investieren, für Sie möglichst anregend zu gestalten,finden Sie viele Praxisbeispiele, Falldarstellungen und lebendige Dialogeaus Verkaufsgesprächen.

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2 IT is different

Für wen ist dieses Buch geschrieben:

Für alle IT-Profis, die wissen, dass gute Arbeit auch gut verkauft werdenmuss. Zweitklassige Leistung, erstklassig verkauft, ist regelmäßig erfolgrei-cher als erstklassige Arbeit, zweitklassig verkauft. Das mag unfair sein – es isttrotzdem so.

Besonders wichtig ist dieses Buch daher für Sie als:

■ Unternehmer und Selbstständiger in der IT-Branche. Egal ob Sie IT-Spe-zialist, Berater oder Projektleiter sind oder ob Sie ein Produkt entwickelthaben: Der Erfolg des Unternehmens hängt direkt mit Ihrem Erfolg alsVerkaufsberater zusammen.

■ »Presales Consultant« und Vertriebsingenieur für komplexe IT-Leistun-gen. Sie haben die Aufgabe des IT-Verkaufsberaters bereits zu Ihrem Berufgemacht und suchen nach neuen Impulsen.

■ Unternehmerisch denkende Mitarbeiter innerhalb von Organisationen,die sich und ihre Ideen innerhalb des Unternehmens erfolgreich platzierenwollen. Dort heißen die Kunden eben Vorgesetzte, Abteilungsleiter, Pro-jektleiter, Marketingvorstand und dergleichen. Gut entwickelte Fähigkei-ten als IT-Verkaufsberater werden Ihre Karriere stark unterstützen.

Dieses Buch hilft Ihnen besonders gut, wenn es Ihnen mehr ums Beraten alsums Verkaufen geht. Deswegen heißt der Titel auch »IT-Verkaufsberatung«und nicht »IT-Verkauf«. Wenn Sie nach der magischen Formel suchen, wieSie mit neuen Kunden rasch in Kontakt kommen und dort ebenso rasch einenAuftrag abschließen, werden Sie hier nicht fündig. Ebenso wird dieses BuchSie nicht glücklich machen, wenn »schnelle Termine, schnelle Abschlüsse,schnelle Provisionen« Ihr Motto ist.

Die hier vorgestellten Werkzeuge und Methoden zielen in erster Linie daraufab, Probleme des Kunden zu verstehen und mit ihm gemeinsam Lösungen zuentwickeln. Das ist ein intensiver und oft langer Prozess, in den Sie sich starkeinbringen. Damit werden Sie es Ihren Kunden leicht machen, geplante Pro-jekte auch wirklich zu starten und Sie dabei zum bevorzugten Partner vordem Wettbewerb zu küren.

Es geht also neben dem »Verkaufen« um das »Beraten«. Oder präziser for-muliert: um das Verkaufen über das Beraten. Die klassischen Ingenieurtätig-keiten wie »Tüfteln«, »Analysieren« und »Lösungen entwickeln« solltenIhnen daher Spaß machen.

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1.2 Der Verkaufsberater als Rallyepilot 3

Denn selbst wenn Sie bei der technischen Implementierung nicht aktiv betei-ligt sein sollten, werden Sie feststellen, dass bei umfangreichen, komplexenIT-Projekten bereits das »Verkaufsprojekt« alle diese Fähigkeiten erfordert.

Speziell hilfreich wird dieses Buch für Sie sein, wenn Sie keine reine, klassi-sche Karriere als Verkäufer im IT-Bereich anstreben, sondern sich auch wei-terhin durch fachliche Expertise im IT-Bereich positionieren wollen, um IhrenKunden bessere Beratungsleistung zu bieten.

Die meisten der in diesem Buch vorgestellten Methoden und Werkzeuge sindauch aus dem Grund ausgewählt worden, dass sie sich ohne intensives Trai-ning gut anwenden lassen. Denn als IT-Profi, der regelmäßig Zeit mit techni-schen Inhalten und der Umsetzung seiner Projekte verbringt, werden Siewenig Zeit finden, nebenbei laufend Verkaufstechniken zu trainieren.

Sollten Sie bereits umfangreiche Verkaufserfahrung haben, jedoch neu in dieIT-Branche einsteigen und Ihre technischen Kollegen dabei unterstützen,dann werden die vielen Praxisbeispiele aus dem IT-Umfeld Ihnen diesenUmstieg sehr erleichtern.

Sie sind immer noch da?

Hervorragend.

Dann wollen wir uns mit dem Hauptdarsteller und seiner Rolle beschäftigen:mit Ihnen als Verkaufsberater. Dabei erhalten Sie gleich einen guten Über-blick, was Sie im Rest des Buches erwartet.

1.2 Der Verkaufsberater als Rallyepilot

Stellen Sie sich vor, Sie sind Rallyepilot. Mit Ihrem Geländewagen oder IhremMotorrad gehen Sie an den Start.

Sie haben eine lange, beschwerliche Reise vor sich, viele Hunderte, vielleichtsogar Tausende Kilometer lang. Sie sind alleine mit Ihrem Fahrzeug unter-wegs. Das heißt, Sie sind Fahrer, Routenplaner, Navigator und Mechaniker ineiner Person. Natürlich sind Sie topfit, gut vorbereitet und bestens organi-siert. Sie haben eine Route im Kopf und Sie haben sich Gedanken darübergemacht, in welche Teilstrecken Sie diese aufteilen wollen. Es ist Ihnen aberauch klar, dass im Endeffekt immer irgendetwas anders kommen wird, als Siees geplant haben.

Sie erwarten also eine ganze Reihe von möglichen Schwierigkeiten: Reifen-pannen, wilde Tiere, Probleme an der Grenze, Krankheit, extreme Wetterbe-dingungen, Ihre eigenen Fahrfehler. Hoffentlich treten nicht alle davon ein,aber mit einigen werden Sie sich auf alle Fälle herumschlagen müssen.

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4 IT is different

Mehrere Male werden Sie daher Ihren Plan ändern, weil sich die Situationverändert hat: Dort, wo Sie fahren wollten, ist vielleicht eine Brücke einge-stürzt. Vielleicht gibt es an einer Furt Überschwemmungen oder ein Gebieterscheint Ihnen wegen Banditen zu gefährlich. Vielleicht haben Sie auchfalsch geplant und erkennen irgendwann auf der Reise, dass Sie bestimmteGebiete großräumig umfahren müssen.

Zu guter Letzt kann es passieren, dass der Veranstalter per Funk mitteilt, dasssich das Ziel geändert hat, da aufgrund politischer Veränderungen es nötigwar, den Endpunkt der Rallye kurzfristig zu verlegen.

All das hält Sie nicht davon ab, an den Start zu gehen. Sie wollen das Rennenfür sich entscheiden.

Willkommen auf der Verkäufer-Rallye!

Der talentierte Verkaufsrallyepilot

Auch wenn keine 10 Pferde Sie je zu einer wirklichen Rallye schleppen könn-ten – das Bild eignet sich gut, um die unterschiedlichen Rollen des Verkaufs-beraters zu illustrieren, denn es gibt viele Ähnlichkeiten zum IT-Verkauf:

■ MultitalentSie müssen während der Rallye viele Jobs machen können. Sie müssenFahrer, Routenplaner, Navigator und Mechaniker sein.

Alle diese Rollen gibt es im Verkaufsprozess ebenso – auch wenn sie dortanders heißen: Berater, Stratege, Planer und Problemlöser. In manchenFällen gibt es jemand im Team, der Sie unterstützen kann – meist müssenSie selbst Hand anlegen.

■ Flexible StrategienAls Rallyepilot ist es wichtig, dass Sie eine gute Route finden und dieReise planen. Gleichzeitig können Sie sicher sein, dass im Laufe des Pro-jektes immer wieder neue Erkenntnisse einige der schönen Pläne über denHaufen werfen werden und Sie dann flexibel umdisponieren müssen.

Genauso benötigen Sie als Verkaufsberater eine effektive Strategie fürIhren Verkaufsprozess, die Sie jedoch jederzeit flexibel an die neuenErkenntnisse anpassen können.

■ Pannen mit einplanenUnvorhergesehene Schwierigkeiten sind für Sie als Rallyepilot lästig, aberzu erwarten. Davon auszugehen, dass keine unangenehmen Überraschun-gen passieren, ist naiv. Es ist besser, Sie sind übervorbereitet und habenmehr Werkzeuge und Ersatzteile mit als nötig, als dass Sie mitten im

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1 IT is different 2 Problemanalyse 3 Verkaufsprozess 4 Werkzeuge 5 Übungen

1.2 Der Verkaufsberater als Rallyepilot 5

Gelände hängen bleiben, weil Sie keine Lösung für das plötzliche Problemauf Lager haben.

Genauso haben Sie als Verkaufsberater einen passenden Werkzeugkoffer.Gut ausgerüstet und mit dem nötigen Können sind Sie bei Pannen schnellwieder flott.

■ WeitsichtSie sind beim Fahren gewaltig im Vorteil, wenn Sie die vor Ihnen liegen-den Probleme möglichst früh erkennen und vor allem richtig einschätzen.Dann können Sie angemessen darauf reagieren und versuchen nicht, diefalschen Probleme in den Griff zu bekommen.

Genauso gibt es im Verkaufsprozess eine ganze Menge von Hindernissen,die Sie aus dem Rennen werfen können, wenn Sie keine Lösung dafür fin-den. Nicht alle davon lassen sich leicht erkennen und richtig zuordnen.Hier trennt sich der Profi vom Amateur.

■ KönnenAuf so einer langen Reise passieren jedem Teilnehmer einige Fehler, auchdem besten Profi. Gleichzeitig gilt: Je seltener Sie Ihren Wagen in denGraben fahren, desto schneller kommen Sie voran.

Das Gleiche gilt für Sie als Verkaufsberater auf dem »Fahrersitz«. WennSie geschickt sind und sich dem Ziel konstant nähern sowie den Hinder-nissen taktisch klug ausweichen, haben Sie gute Chancen, zum Schlussden Cup zu gewinnen. Falls nicht, werden Sie vom Kunden vor die Türgesetzt.

■ Mit Veränderungen umgehen könnenWenn der Veranstalter während der Rallye die Rahmenbedingungenändert, ist das lästig. Er macht es meist nicht, um Sie zu nerven, sondernweil er die Rallye retten will. Besser, Sie fahren einen Umweg als mittendurchs Bürgerkriegsgebiet.

Ebenso kann es im Verkaufsprozess vorkommen, dass der Kunde mittenim Projekt erkennt, dass er ganz woanders hin will. Das kommt sogarrecht häufig vor. Wenn Sie damit gut umgehen können, beweisen Sie Klasse.

■ Durchhalten ist wichtiger als GeschwindigkeitUm als Erster anzukommen, müssen Sie erst einmal ankommen.

Von den vielen Fahrzeugen am Start kommen in der Regel nur einigeüberhaupt am Zielort an. Es nützt Ihnen nichts, die ganze Zeit das Ren-nen anzuführen, wenn Sie kurz vor dem Ziel aufgeben müssen. Ankom-men ist daher wichtiger, als schnell zu sein.

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6 IT is different

Dasselbe gilt auch bei Verkaufsprojekten. Wenn Sie sich darauf konzent-rieren, bis ans Ende zu kommen, dann werden Sie feststellen, dass Sie dortnicht mehr viel Konkurrenz vorfinden werden. Diese zu schlagen, ist dannwesentlich einfacher, als zu versuchen, ständig vor dem ganzen Feld zuliegen.

Als Verkaufsberater schlüpfen Sie in viele Rollen

Um diese Anforderungen herum sind mehrere Rollen definiert, in die der Ral-lyepilot und der Verkaufsberater ständig schlüpfen – rund um diese Anforde-rungen ist dieses Buch aufgebaut:

■ Der RoutenplanerWenn Sie keine Route geplant haben, brauchen Sie gar nicht erst an denStart gehen. Wer einfach mal drauf los fährt und erst dann auf die Karteschaut, wenn es nicht mehr weitergeht, wird nicht weit kommen.

Das Wichtigste für den Rallye-Routenplaner ist die Einstellung, dass erzwar ständig die jeweils beste Route plant, diese aber immer wieder ver-ändern kann, weil während der Fahrt neue Informationen auftauchen.Spätestens, wenn Sie vor der überschwemmten Furt mit den Krokodilenstehen, wissen Sie, dass Sie woanders übersetzen müssen.

Ebenso hat der Verkaufsberater immer eine gute Strategie und eine Routeparat, wie er sein Verkaufsprojekt anlegt und durchziehen will. Der erfah-rene Berater stellt sich jedoch darauf ein, diese Route immer wieder neuzu überdenken und umzukrempeln, sofern es die Umstände erfordern.

Wie Sie eine robuste und flexible Strategie als Verkaufsberater entwi-ckeln, die mit Ihrem Projekt mit wächst, erfahren Sie in Kapitel 3 »DerVerkaufsprozess«.

■ Der NavigatorDie beste Route hilft Ihnen nichts, wenn Sie keine Orientierung habenund nicht einschätzen können, ob Sie noch auf dem richtigen Weg sind.

Hindernisse müssen Sie rasch erkennen und einschätzen können. Ist dasGelände vor Ihnen gut passierbar – oder machen Sie lieber einen Umwegund suchen eine bessere Straße?

Die wichtigste Fähigkeit des Navigators ist, die Dinge so zu sehen, wie siewirklich sind. Wo der Anfänger einen guten Platz für ein Camp sieht,erkennt der Profi die Gefahr, die plötzliche Regenfälle und Sturzbäche andieser Stelle auslösen können.

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1 IT is different 2 Problemanalyse 3 Verkaufsprozess 4 Werkzeuge 5 Übungen

1.2 Der Verkaufsberater als Rallyepilot 7

Genauso muss der Verkaufsberater rasch erkennen, wenn Probleme auf-treten und diese richtig einschätzen. Wenn der Kunde verunsichert ist,mag das am hohen Preis liegen, am unklaren Produktnutzen oder am risi-koreichen Umsetzungsprozess. Der erfahrene Berater erkennt die richtigeUrsache und Wirkung und stellt eine passende Lösung zur Verfügung.

Wie Sie als Verkaufsberater die Tücken und Schlaglöcher des Verkaufs-prozesses schnell und korrekt einschätzen können, werden Sie ausführlichin Kapitel 2 »Problemanalyse« kennenlernen.

■ Der MechanikerEs ist natürlich am besten, wenn Sie Unfälle und Schäden von vornhereinvermeiden. Gleichzeitig ist es unrealistisch, dass Sie die ganze Rallye ohneSchäden durchstehen. Falls also wirklich etwas passiert, müssen Sie in derLage sein, rasch eine Lösung zu finden und sei es nur eine behelfsmäßige,die Sie bis zum nächsten Stützpunkt bringt.

Das Wichtigste für den Mechaniker ist sein prall gefüllter Werkzeugkof-fer, aus dem er alle wichtigen Werkzeuge gut beherrscht.

Auch als Verkaufsberater landen Sie manchmal sogar mit der besten Stra-tegie im Graben. Dann müssen Sie rasch das richtige Verkaufsberater-Werkzeug aus Ihrer Kiste holen und das aktuelle Problem lösen.

Welche Werkzeuge Sie auf jeden Fall dabei haben sollten und wie Siedamit umgehen, erfahren Sie in Kapitel 4 »Werkzeuge«. Andere nützlicheTools lernen Sie in jedem der Kapitel kennen.

■ Der FahrerLetztendlich erreichen Sie das Ziel nur, indem Sie Kilometer für Kilometerdem Zielort näher kommen. Dazu müssen Sie diszipliniert sein, flexibel,geschickt und ein Teamplayer.

All das kann Ihnen dieses Buch nicht abnehmen, denn der wichtigste Teilim Verkaufsprozess sind Sie – und das ist gut so.

Ein paar Tipps bekommen Sie natürlich mit – diese erhalten Sie inKapitel 2 »Problemanalyse« –, auf weitere Methoden werden Sie in Kapi-tel 4 »Werkzeuge« stoßen.

Finden Sie sich in Ihrer neuen Rolle wieder? Wie Sie an dieser Stelle vermut-lich bereits bemerkt haben, lege ich viel Wert auf den Beraterteil der Ver-kaufsberatung. Warum überhaupt?

Ganz einfach. Weil ...

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32 Problemanalyse – woran scheitern IT-Verkaufsprojekte?

Es ist nicht nötig, dass Sie sich alle 12 Hindernisse merken. Beim Durchlesenwerden Sie rasch ein Gefühl dafür bekommen, welche dieser Schwierigkeitenfür Sie, Ihre Produkte und Ihre Kundengruppe besonders relevant sind. DieSituation ist daher ähnlich einem Schachspieler, der zwar auch 20 Züge zurAuswahl hat, aber aus seiner Erfahrung rasch erkennt, welche 2 davon dievielversprechendsten sind und daher die meiste Aufmerksamkeit bekommen.

Beispielsweise sind die Verkaufshindernisse der Kategorie 1 – »Nutzen vs.Kosten« – umso relevanter, je komplexer und erklärungsbedürftiger IhreLeistungen sind und je weniger (IT-)Fachwissen Ihr Kunde mitbringt.

Die Verkaufshindernisse aus der Kategorie »Kundenrisiko« sind vielleichtbesonders interessant, wenn Ihr Kunde Ihr Produkt für gut befindet, auch denPreis akzeptiert – und trotzdem nicht kauft.

Konzentrieren Sie sich daher auf jene 4 oder 5 Hindernisse, die für Ihre Ver-kaufssituationen vermutlich die wesentlichen sind. Betrachten Sie die Listeder 12 Verkaufshindernisse in diesem Kapitel als eine Art Buffet: Kosten Sievon allen und entscheiden Sie dann, welche davon für Sie besonders wertvollsind, und holen Sie von diesen dann einen Nachschlag.

2.4 1. Problemfeld:Der Mehrwert des Produktes rechtfertigt die Kosten nicht

Dieses Problemfeld und die drei damit verbundenen Verkaufshindernisse dre-hen sich um Ihr Angebot, also um das, was Sie dem Kunden verkaufen wollen.

Auch wenn es für Hersteller, Dienstleister und Verkaufsberater oft schwer zuglauben ist: Ihr Produkt ist möglicherweise ein schlechtes Geschäft für denKunden. Zumindest glaubt Ihr Kunde das vielleicht – und solange er dasglaubt, wird er Ihnen keinen Auftrag erteilen.

Das kann an mehreren Ursachen liegen, die im folgenden Abschnitt unter-sucht werden.

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1 IT is different 2 Problemanalyse 3 Verkaufsprozess 4 Werkzeuge 5 Übungen

2.5 Verkaufshindernis 1: Der Kunde erkennt nicht genügend Mehrwert 33

2.5 Verkaufshindernis 1:Der Kunde erkennt nicht genügend Mehrwert

Auch in der IT gilt: Manche Produkte und Dienstleistungen sind ihr Geldnicht wert.

Die meisten Hersteller sind davon überzeugt, dass das im Allgemeinen wohlrichtig sein mag – auf ihr eigenes System trifft das aber sicher nicht zu.

Fakt ist: Der Anbieter kann gar nicht wissen, ob ein Produkt für einen Kun-den Mehrwert bietet oder nicht – denn ohne Mithilfe des betreffenden Kun-den hat der Anbieter gar keine Möglichkeit, das festzustellen.

Folgende Fallstudie verdeutlicht dies:

Fallstudie:Software zur Steigerung der Produktivität von Softwareentwicklungsteams

Der Verkaufsberater Herr August (A) ist durch einen Bestandskunden auf ein kleines IT-Unternehmen mit zwei Entwicklungsteams aufmerksam geworden. Mit der Empfehlungdes Kunden in der Tasche hat Herr August den potenziellen Neukunden, Herrn März (M)von PerfectSoft, am Telefon neugierig gemacht und konnte einen Gesprächstermin mitdem Geschäftsführer festlegen.

M: Also, Herr August, Sie meinten am Telefon, dass wir durch Ihre Software 8% unsererSoftwareentwicklungskosten sparen können. Das klingt sehr interessant für uns. Ichhabe daher auch gleich Herrn Schmitt (S), unseren Teamleiter der Entwicklung, einge-laden.

A: Hervorragend. Ich möchte gleich vorwegnehmen, dass die 8% ein typischer Wert für dieKosteneinsparungen sind, die wir bei anderen Kunden erzielt haben. Wir können diesenWert nicht garantieren, sind aber davon überzeugt, dass wir eine ähnliche Steigerungauch bei Ihnen erzielen können.

M: Das hoffen wir. Wie kommen die Einsparungen zustande? ➞

Der Nutzenrechtfertigt dieKosten nicht

1. Kunde erkennt nicht genügend Mehrwert

2. Kunde kann den Nutzen nicht bewerten

3. Kunde fühlt sich nicht angesprochen

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34 Problemanalyse – woran scheitern IT-Verkaufsprojekte?

A: Nun, die Verbesserung besteht aus der Summe von drei Faktoren. Der erste Faktor ist,dass unser System die Geschwindigkeit des Compilers steigert. Dadurch wird der Codeschneller in ein ausführbares Programm übersetzt, und die Entwickler können rascherüberprüfen, ob der Code funktioniert. Nachdem ein Entwickler sehr häufig denCompiler benutzt, läppert sich da rasch einiges zusammen. Unsere Beobachtungenhaben ergeben, dass sich die Dauer des Vorgangs typischerweise um 30 Sekundenverkürzt. Wenn Sie davon ausgehen, dass der Compiler 60 Mal am Tag gestartet wird,ergibt das eine halbe Stunde Zeitersparnis pro Tag, und das pro Entwickler. Da kommenam Ende des Monats einige Manntage zusammen.

M: Was sagen Sie dazu, Herr Schmitt?S: Geschwindigkeitssteigerungen beim Compiler sind immer gut. Aber 30 Sekunden halte

ich für übertrieben. In den meisten Fällen dauert der Vorgang gar nicht so lange. Ichkann mir auch nicht vorstellen, dass Sie einen 40-Sekunden-Compilervorgang auf 10Sekunden reduzieren können.

A: Das stimmt. Ich bin überrascht, dass das bei Ihnen so schnell geht. Wir haben Kunden,da dauern die Compilervorgänge schon mal mehrere Minuten.

S: Diese Situation gibt es natürlich bei uns auch. Aber das kommt nicht so häufig vor,sondern nur dann, wenn wir viele Komponenten zusammen kompilieren. In denmeisten Fällen arbeiten wir mit kleineren Modulen, das geht dann recht fix. Vielleichtkönnen wir da auch ein paar Sekunden sparen, aber das ist vermutlich kein so großerVorteil.

A: Aber während der Gesamtkomplilierungsvorgänge würden Sie doch Vorteile erzielen.S: Vermutlich. Die können schon mal 5-6 Minuten dauern. Wie viel Steigerung wäre da

Ihrer Meinung nach drin?A: Erfahrungsgemäß würde sich das wohl auf 2-3 Minuten reduzieren.S: Hm, das ist schon ein Vorteil, aber er ist doch nicht so besonders groß. Die Entwickler

wären trotzdem in ihrer Arbeit unterbrochen, und normalerweise nutzen sie die Zeitanderweitig, indem Sie sich etwas zu trinken holen, die Toilette aufsuchen, eine Zigaret-tenpause machen, E-Mails beantworten, Kollegen am Telefon zurückrufen und soweiter. Diese Zeit ist nicht wirklich verloren.

A: Ich verstehe. Vielleicht sind unsere weiteren Optimierungen für Sie hilfreicher. AlsNächstes hätten wir hier die Peer-Sharing-Funktion. Damit können Entwickler ihreneuen Funktionen parallel zur Entwicklungsumgebung auf einem beliebigenBildschirm ablaufen lassen. So können Kollegen, Kunden, Auftraggeber oder Designersofort den aktuellen Stand der Software sehen und direkt Feedback geben. Gerade beider Entwicklung von Benutzeroberflächen ist das ein großer Bonus, der von unserenKunden sehr geschätzt wird.

M: Haben wir so etwas nicht schon? ➞

Fallstudie:Software zur Steigerung der Produktivität von Softwareentwicklungsteams

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1 IT is different 2 Problemanalyse 3 Verkaufsprozess 4 Werkzeuge 5 Übungen

2.5 Verkaufshindernis 1: Der Kunde erkennt nicht genügend Mehrwert 35

Was zeigt diese Fallstudie deutlich:

Manche Systemfunktionen bieten keinen oder nur einen geringen Vorteil(zum Beispiel die kaum wirksame Compilersteigerung im Fallbeispiel). Man-che Systemfunktionen bieten zwar einen Vorteil, aber für den Kunden keinenNutzen (Peer-Sharing-Funktion).

Aber eins nach dem anderen – zuerst ein paar Definitionen:

S: Ja, das ist in der Tat klasse. Wir haben dazu ein Tool, mit dem jeder seinen Bildschirmdirekt auf einem großen Monitor im Büro anzeigen lassen kann. Nachdem bei uns alleProjektleute im selben Büro sitzen, ist das die beste Methode.

A: Verstehe. Da haben Sie offensichtlich bereits eine gute Methode gefunden. Immerhin,es zeigt, dass unser Feature grundsätzlich Mehrwert stiftet.

M: Sie sprachen von einem dritten Faktor.A: Ja, das ist richtig. Dabei geht es vor allem um die Unterstützung von agilen Entwick-

lungsmethoden bei geografisch verteilt arbeitenden Teams. Unser System erlaubt, diegängigen agilen Fortschrittskontrollen auch digital abzubilden anstatt auf den üblichenWhiteboards oder Pinnwänden. Das ist besonders bei Teams wichtig, die nicht alle amselben Ort sitzen. Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann sitzt bei Ihnen dasEntwicklungsteam zusammen, also dürfte der Mehrwert für Sie gering sein.

M: Wir haben schon immer wieder mal Telearbeit, oder?S: Ja, das kann schon vorkommen, dass die Leute zwischendurch zu Hause arbeiten wollen

oder müssen.A: Dann wäre das für Sie interessant?S: Grundsätzlich ja, aber das Problem ist nicht so groß, da es sich meist immer nur um einen

oder zwei Tage handelt. Ich vermute, der Vorteil ist zu gering, um eine Anschaffung IhresSystems zu rechtfertigen.

M: Von welcher Größenordnung an Investition würden Sie denn bei uns ausgehen?A: Das kleinste Paket liegt bei 850 € im Monat.M: Ich glaube, das zahlt sich definitiv nicht aus. Trotzdem vielen Dank für Ihren Besuch, Herr

August.A: Schade, vielleicht ein anderes Mal dann.

Fallstudie:Software zur Steigerung der Produktivität von Softwareentwicklungsteams

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36 Problemanalyse – woran scheitern IT-Verkaufsprojekte?

Exkurs: Funktionen, Vorteile, Kundennutzen

Ein IT-System bietet Funktionen, also bestimmte Eigenschaften. Das sind dievielen Dinge, die in den Produktbroschüren und technischen Dokumentatio-nen aufgezählt sind.

Beispiel: Die Möglichkeit, in einer Applikation Makros zu erzeugen.

Clevere Entwickler bauen diese Funktionen ein, um dem Anwender realeVorteile zu verschaffen. Mit Vorteilen werben gute Marketingbroschüren.Kunden interessieren sich nicht für Funktionen, sondern allein für die darausresultierenden Vorteile.

Beispiel: Zeitersparnis durch automatisierte Vorgänge mithilfe von Makros.

Ob der Vorteil letztendlich zu einem Mehrwert oder Nutzen für den Kundenwird, kann nur dieser selbst entscheiden. Nur ein solider Mehrwert wird eineKaufentscheidung auslösen. Tausende von Vorteilen ohne Nutzen werden dasnicht.

Beispiel: Der Kunde glaubt, dass es in seiner Arbeit viele Vorgänge gibt, diemit Makros automatisiert werden können. Gemeinsam mit dem Verkaufsbe-rater schätzt dieser die Zeitersparnis auf 30 Minuten täglich pro Mitarbeiter,was für den Kunden sehr interessant ist. Ebenso erwarten beide eine geringereFehlerquote, was für den Kunden auch wichtig ist.

Gegenbeispiel: Es gibt niemanden im Unternehmen, der sich mit der Erstel-lung von Makros beschäftigen will. Der Vorteil verpufft

.

Funktion

DieSystemeigenschaftX ...

(z.B.automatischeFehlerkorrektur)

ermöglicht ermöglicht

Vorteil

... sollte beimKunden die positiveWirkung Y haben ...

(z.B.potenziell höhereProduktivität)

Mehrwert

... was im Idealfallder Kunde genausosieht.

(z.B.wirksamerProduktivitätsgewinn)

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1 IT is different 2 Problemanalyse 3 Verkaufsprozess 4 Werkzeuge 5 Übungen

2.5 Verkaufshindernis 1: Der Kunde erkennt nicht genügend Mehrwert 37

Lassen Sie sich nicht täuschen, wenn versierte Kunden direkt Funktionennachfragen. Kunden mit genügend Wissen sind geübt darin, Funktionenselbstständig in Vorteile und schließlich in Nutzen für sich zu übersetzen.

Wenn sich ein Interessent für ein Automobil nach der PS-Zahl (Funktion)erkundigt, interessiert diesen nicht die Motorleistung, sondern die Beschleu-nigung, die Höchstgeschwindigkeit oder der Eindruck auf Bekannte, den erdamit erzielen kann (Vorteile). Diese Vorteile des Wagens wiederum machenes ihm möglich, rascher ans Ziel zu kommen, leichter zu überholen oder imFreundeskreis anerkannt zu werden (der wahre Kundennutzen).

Genauso interessiert den Kunden, der nach dem Prozessortakt fragt, in Wahr-heit nicht die Frequenz (Funktion), mit der der Prozessor angetrieben wird,sondern ob damit auch ressourcenintensive Programme und Betriebssystem-starts flott laufen (Vorteil) und der Prozessor ihm als Anwender daher Zeitund Nerven spart (Nutzen).

Stell dir vor, das Angebot ist großartig – und der Kunde versteht es nicht

Der Verkaufsberater in unserer Fallstudie besaß ein großes Plus. Obwohl derKunde keinen großen Nutzen festgestellt hat, waren alle drei vom Verkaufs-berater vorgestellten Systemvorteile für den Kunden attraktiv. Dies ist defini-tiv nicht immer der Fall. Viele Verkaufsberater sind sogar überrascht, wennder Kunde die angepriesenen Vorteile nicht als Mehrwert (Kundennutzen)anerkennen will. Dann beginnt der Berater zu argumentieren und seine Sicht-weise mit Beispielen zu illustrieren. Umsonst, denn der Kunde lässt sich wei-terhin nicht überzeugen. Wenig überraschend, denn er kann seinen Nutzennicht erkennen. Hier einige Beispiele:

Tipp

In Marketingbroschüren und Unterlagen zu einem Produkt sind ausschließlichFunktionen und Vorteile beschrieben – nie der Mehrwert für den Kunden. Siekönnen dem Kunden zwar mehr oder weniger konkrete Hinweise auf einenmöglichen Mehrwert geben – bestätigen kann ihn nur der Kunde selbst.

Kunden kaufen Software ausschließlich aufgrund dieses Mehrwertes, niemalsaufgrund von Vorteilen oder wegen Funktionen.

Daher:

• Schlechte Verkäufer zählen Systemfunktionen auf.• Bessere Verkäufer erklären dem Kunden die daraus resultierenden Vorteile.• Die besten Verkäufer erarbeiten mit dem Kunden gemeinsam den daraus

entstehenden Mehrwert.

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38 Problemanalyse – woran scheitern IT-Verkaufsprojekte?

Ob der Kunde mit seinen Einwänden recht hat oder nicht – eine Debatte mitvielen Argumenten auf beiden Seiten wird Sie auf keinen Fall bei einem Ver-kaufserfolg unterstützen. Lassen Sie sich erst gar nicht darauf ein. Am besten,Sie vermeiden einen derartigen Schlagabtausch von vornherein.

Sie können solchen Situationen vorbeugen, indem Sie Ihren Vorteilen keinenKundennutzen unterstellen, überlassen Sie dies dem Kunden. Dieser hat näm-lich alle möglichen Gründe, warum er aus Ihren tollen Vorteilen keinenMehrwert ziehen kann:

Wenn der Kunde den Vorteil nicht anerkennen will

■ Angepriesener Vorteil:»Unser Produkt ist Open Source.«

■ Kundenargument:»Die Lizenzkosten unseres bisherigen Herstellers sind gering und wir haben kein Inter-esse am Source Code. Ob wir für Wartung und Anpassung nun vom Hersteller abhän-gig sind oder von einem Open-Source-Dienstleister wie Ihnen ist für uns Jacke wieHose.«

■ Angepriesener Vorteil:»Unser Produkt bietet die höchste Security.«

■ Kundenargument:»Ich teile diese ständige Hacker-Paranoia nicht. Außer in Presseberichten habe ichnoch nie von jemandem persönlich gehört, dass ihm oder ihr durch Hacker Verluste ent-standen sind. Ich halte das für Panikmache der Hersteller, damit wir deren Sicherheits-produkte kaufen.«

■ Angepriesener Vorteil:»Unser Produkt spart den Anwendern Zeit.«

■ Kundenargument:»Ich sehe die Mitarbeiter sowieso ständig beim Plaudern, Kaffeetrinken und Zigaretten-rauchen. Wozu soll ich Geld ausgeben, damit sie noch mehr Zeit für diese nutzlosenTätigkeiten haben?«

■ Angepriesener Vorteil:»Unser Produkt ist besonders benutzerfreundlich – das bestätigen unabhängigeTests.«

■ Kundenargument:»Ich habe noch nie gehört, dass es mit der Benutzerfreundlichkeit unseres aktuellenSystems ein Problem gibt. Es ist schon etwas betagt und erfüllt vielleicht nicht mehr diemodernen Ansprüche ans Design, aber alle unsere Mitarbeiter kennen sich gut damitaus und arbeiten schnell und fehlerfrei mit dem System.«

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1 IT is different 2 Problemanalyse 3 Verkaufsprozess 4 Werkzeuge 5 Übungen

2.5 Verkaufshindernis 1: Der Kunde erkennt nicht genügend Mehrwert 39

Geeignete Fragetechniken dazu werden Sie in Kapitel 4 »Werkzeuge für denIT-Verkaufsberater« kennenlernen.

Warum Kunden aus Vorteilen keinen Nutzen ziehen:

■ Gute AlternativenEs gibt zwar einen attraktiven Vorteil, aber der Kunde hat eine gute Alternative (wie imFallstudien-Beispiel die Screen-Sharing-Option). Softwareanbieter, die damit werben,dass ihr System das einzige ist, das eine bestimmte Funktion anbietet, vergessen häu-fig, dass der Kunde bisher seine eigene Methode hatte, das Problem zu lösen und seies vielleicht durch einen Klebezettel am Monitor. Zum Beispiel steht die Handy-App, über die Filmliebhaber Kinokarten kaufen können, inerster Linie nicht in Konkurrenz mit anderen mobilen Applikationen, sondern vor allemmit Kinokassen, Automaten im Kinofoyer, Internetseiten und dem Telefonservice.

■ OpportunitätskostenDer Kunde erkennt den Vorteil des Projektes an, er kann seine Ressourcen jedochauch anderweitig in attraktive Projekte investieren. Muss sich der Kunde zwischen ei-nem Kostensenkungsprogramm und einem Programm zur Gewinnsteigerung entschei-den, dann wird er jenes favorisieren, das ihm letztlich mehr Profit in der Kasse lässt. DerAnbieter, der von diesen lohnenden Alternativen meist nichts weiß, versteht den Kun-den gar nicht mehr: »Der lässt doch tatsächlich das Geld auf der Straße liegen. Ichglaub’s nicht!«

■ Kunden bewerten die Vorteile und Risiken anders als HerstellerDie Aufwände, Risiken und Kosten für Systemumstellungen, Technologiewechsel undorganisatorische Veränderungen, die mit einem neuen IT-System einhergehen, werdenvon Kunden normalerweise wesentlich aufwendiger, risikoreicher und teurer bewertetals vom Anbieter. Umgekehrt ist der Kunde meist skeptisch gegenüber den optimisti-schen Schätzungen der Kosteneinsparungspotenziale und Produktivitätssteigerungen.Außerdem erwartet der Kunde häufiger negative Sekundäreffekte.

■ VorbedingungenDas vorgestellte Projekt ist für den Kunden attraktiv, er kann es jedoch nicht gleich um-setzen, da die Grundlagen im Unternehmen dafür noch nicht geschaffen sind. In einemmir bekannten Fall wollte der Kunde zuerst seinen EDV-Leiter »loswerden«, der sichmit allen Kräften gegen die Einführung eines bestimmten Produktes sträubte. Da essich das Unternehmen jedoch nicht leisten konnte, die Position des EDV-Leiters unbe-setzt zu lassen, wurde zuerst im Hintergrund nach einem neuen EDV-Leiter gesucht.Natürlich wurde der Anbieter über ein derart heikles Thema nicht unterrichtet. Die Su-che hat sich über ein Jahr hingezogen, das Projekt wurde in dieser Zeit auf Eis gelegt. Andere Vorbedingungen sind beispielsweise Reorganisationsmaßnahmen, der Ab-schluss bereits laufender Projekte, momentan blockierte Ressourcen oder die Erstel-lung neuer Budgets.

Gegenüber einigen dieser Gründe sind Sie machtlos, andere können Sie als geschickterBerater zumindest frühzeitig erkennen.

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40 Problemanalyse – woran scheitern IT-Verkaufsprojekte?

Individualsoftware setzt doch Kundennutzen automatisch voraus – oder?

Vordergründig ist das korrekt: Bestellt der Kunde eine individuell entwickelteSoftware, erkennt der Kunde offensichtlich den Mehrwert.

Trotzdem kann es für Verkaufsberater zu unangenehmen Überraschungenkommen:

■ Wenn neben den essenziellen Funktionen während der Spezifizierungnoch eine Menge Funktionen in das Pflichtenheft aufgenommen wordensind, die geringen Mehrwert leisten. Damit fällt der Preis im Angebot fürdie Software dann höher aus als erwartet und das Verhältnis Mehrwert zuKosten des Gesamtsystems passt nicht mehr.

■ Wenn der Kunde sich noch im Stadium »Was kann denn so etwas kos-ten?« befindet. Erst dann, wenn eine Größenordnung für das Projekt vor-liegt, kann ernsthaft über eine mögliche Anschaffung diskutiert werden.Erhält der Kunde dann das Angebot, kommt die Erkenntnis: »Was? Soviel Geld soll das kosten, dass wir uns vier Mal im Jahr ein paar Über-stunden sparen?«

Als Anbieter hören Sie dann oft »zu teuer«. Dies ist für Anbieter beson-ders lästig, da für einen Designvorschlag, eine Angebotskalkulation unddas Verfassen eines aussagekräftigen Angebots viel Aufwand entsteht.

■ Besonders trügerisch ist es, wenn ein engagierter Mitarbeiter oder eineambitionierte Mitarbeiterin des Unternehmens sich eine IT-Innovation inseinem bzw. ihrem Bereich vorstellt, der Chef von der Idee aber wenighält. Um den Mitarbeiter nicht zu enttäuschen, lässt der Chef zu, dass derMitarbeiter sich »einmal schlau macht über mögliche Angebote«. Letzt-lich geht der Vorgesetzte davon aus, dass sich das Thema dann von selbstüber das Preisargument oder einen anderen Makel erledigt. Ein Haar inder Suppe lässt sich schließlich immer finden. Den Preis zahlen Sie alsAnbieter in Form leerer Kilometer.

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1 IT is different 2 Problemanalyse 3 Verkaufsprozess 4 Werkzeuge 5 Übungen

2.5 Verkaufshindernis 1: Der Kunde erkennt nicht genügend Mehrwert 41

Tipp

Wie vermeiden Sie hohe Aufwände für die Angebotsgestaltung, hinter denenkeine reelle Kaufabsicht steht?

Meine Erfahrung: Zumindest in drei von vier Fällen erkennen Sie dies bereits durchNachfragen wie: »Gibt es für die Anschaffung bereits eine fixe Entscheidung odermöchten Sie erst mal eine Größenordnung haben, wie viel so was kosten könnte?«

Gerade Nicht-IT-Kunden sind sich selten darüber bewusst, mit wie viel Aufwandeine Angebotserstellung tatsächlich verbunden ist. Als Verkaufsberater mitZuhörerqualitäten werden Sie also meist heraushören, ob der Kunde bereitskonkrete Vorstellungen hat oder noch beim »Vorfühlen« ist. Im letzteren Fallekönnen Sie mutig mit groben Größenordnungen ins Rennen gehen:

»Nach dem, was Sie mir jetzt erzählt haben und aus Erfahrung mit ähnlichenProjektgrößen, kann ich Ihnen als ganz grobe Schätzung sagen, dass der Aufwandzwischen 35.000 € und 80.000 € liegen sollte, abhängig vor allem von der Anzahlder Schnittstellen. Ich weiß, das ist eine große Spannbreite, aber das kann ich jetztschon mal abschätzen, bevor wir alle mehr Zeit in eine Detailanalyse stecken.«

Wenn Sie jetzt von Ihrem Ansprechpartner ein »Oh je« hören, dann haben Sie sichgerade viel Zeit gespart.

Meint der Ansprechpartner umgekehrt: »Also 80.000 wären schon viel, aber mit30.000 hätte ich schon gerechnet. Für die Vorlage beim Chef bräuchte ich aberetwas genauere Zahlen«, dann wissen Sie schon mal, dass der Kunde ernsthaft aneiner Zusammenarbeit mit Ihnen interessiert ist und realistische Vorstellungenhat.

Wenn Sie es jetzt noch schaffen, dass Sie auch einmal direkt mit dem Chefsprechen können, bevor Sie sich an die Kalkulation machen, dann stehen IhreChancen ganz gut, zu einem Projekt zu gelangen.

Zusammenfassung Verkaufshindernis 1:»Der Kunde erkennt nicht genügend Mehrwert«

Wenn Ihr Kunde keinen Mehrwert erkennt, dann kann das an Folgendem liegen:■ Ihre Leistung liefert dem Kunden effektiv wenig oder keinen Mehrwert. Dann sind Sie

mit Ihrer Leistung beim falschen Kunden gelandet.■ Die Investition des Kunden ist im Verhältnis zum Nutzen zu hoch. »Me-too«- und

»Nice-to-have«-Produkte riskieren immer den Preiskampf.■ Der Kunde hat gute Alternativen, hohe Opportunitätskosten, braucht bestimmte Vorbe-

dingungen oder er bewertet die Kosten anders als Sie. Diese Gründe umfassend zuidentifizieren ist auch für erfahrene Verkaufsberater eine Herausforderung. Diese zuerkennen, ermöglicht es Ihnen allerdings, entsprechende Lösungen anzubieten.

■ Es gibt kein wirkliches Projekt. Finden Sie das rasch heraus und verabschieden Sie sichdann höflich, bevor Sie viel Zeit und Geld investieren.

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4 Werkzeuge für den IT-Verkaufsberater

In diesem Bereich des Buches füllen wir Ihren Werkzeugkoffer. Sie finden hiereine Auswahl der wichtigsten Werkzeuge, speziell angepasst an die Besonder-heiten des IT-Verkaufs.

Übersicht über die Werkzeuge:

1. Gutes Timing im VerkaufsprozessWas ist wann wichtig?

2. Kundennutzen darstellenWie Sie den Wert Ihrer Leistung für den Kunden greifbar machen können.

3. Fragetechnik für VerkaufsberaterDie wichtigsten Fragetechniken und ihr Platz im Verkaufsprozess

4. »Agile« ProjektpläneWie Sie auch in unklaren Projekten klare Strukturen erstellen.

5. Mit Einwänden umgehenWie Sie herausfinden, ob der Kunde wirklich meint, was er sagt.

6. Stakeholder-ManagementWie Sie mit den vielen Beteiligten in großen Projekten umgehen.

7. Verhandlungstipps für VerkaufsberaterDie besten Tipps zur Verhandlungsführung, die sich leicht anwenden lassen

8. »Zu teuer!«Keine Angst mehr vor der berüchtigten Reaktion auf den Preis

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182 Werkzeuge für den IT-Verkaufsberater

4.1 Werkzeug 1:Gutes Timing im Verkaufsprozess

Die Wünsche des Kunden ändern sich im Laufe des Verkaufsprojektes

Was will der Kunde? Wie wir in diesem Buch bisher ausführlich untersuchthaben, kommt das sehr auf den Kunden an.

Eine wichtige Komponente gibt es aber trotzdem, die fast universell auf alleKunden wirkt – nämlich das Timing im Verkaufsprozess. Damit ist gemeint,dass den Kunden unterschiedliche Dinge interessieren, je nachdem, an wel-cher Stelle er sich gerade im Verkaufsprozess befindet: zu Beginn, mittendrinoder kurz vor dem Abschluss.

Da sich die Prioritäten des Kunden während des Verkaufsprojektes verschie-ben, müssen wir flexibel darauf reagieren. Welche Informationen sind für denKunden daher in welcher Phase besonders interessant?

In der folgenden Tabelle sind die Prioritäten in den einzelnen Phasen gelistet:

Anfangsphase

Dazu zählt das Erstgespräch sowie mögliche weitere Gespräche, in denen SieIhre Lösung vorstellen und an die Bedürfnisse des Kunden anpassen.

Der Nutzen bekommt am meisten Aufmerksamkeit: Der Kunde will wissen,ob die Leistung einen wesentlichen Nutzen erbringt, der im attraktiven Ver-hältnis zum Preis steht.

Etwas weniger wichtig, aber immer noch signifikant ist der Preis. Oder bessergesagt: das Nutzen-Kosten-Verhältnis. Die Höhe des Preises selbst ist vorallem deswegen wichtig, weil der Kunde einschätzen will, ob er sich das Pro-jekt überhaupt leisten kann.

Auch für den Anbieter selbst interessiert sich der Kunde in dieser Phase: Istder Partner seriös und leistungsfähig – oder stiehlt er nur meine Zeit?

Anfangsphase Entwicklungsphase Abschlussphase

hohes Interesse ■ Nutzen ■ Risiko ■ Preis

mittleres Interesse ■ Preis■ Anbieter

■ Anbieter ■ Anbieter■ Risiko

geringes Interesse ■ Risiko ■ Nutzen■ Preis

■ Nutzen

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1 IT is different 2 Problemanalyse 3 Verkaufsprozess 4 Werkzeuge 5 Übungen

4.1 Werkzeug 1: Gutes Timing im Verkaufsprozess 183

Im Moment noch von geringem Interesse für den Kunden ist das Projekt-risiko: Natürlich schielt der Kunde bereits mit einem Auge auf mögliche Kon-sequenzen bei einer Implementierung – davon ist er jedoch zu diesem Zeit-punkt noch mehrere Schritte entfernt.

Einige solide Referenzen und Erfolgsstories bei anderen Kunden könnenbereits ausreichen, um den Kunden vorerst zu befriedigen.

Entwicklungsphase

Diese Phase erreichen Sie nur, wenn Sie den Kunden davon überzeugen konn-ten, dass Ihr Angebot für ihn sinnvoll ist. Nun folgen weitere Gespräche, viel-leicht auch Tests, Demonstrationen und Pilotinstallationen.

In dieser Phase geht es nun zur Sache. Damit wird plötzlich das Projektrisikozum Thema. Der Kunde will einschätzen können, wie einfach oder kompli-ziert das Projekt wird. Dabei bezieht er auch die Details im Unternehmen mitein, auf die der Verkaufsberater keinen Einfluss hat (z.B. interne Ressourcen-konflikte).

Mittelwichtig ist für den Kunden nun der Anbieter. Dass dieser grundsätzlichdie Leistung erbringen kann, davon hat sich der Kunde bereits in derAnfangsphase überzeugt. Nun interessiert ihn vor allem die Motivation despotenziellen Lieferanten und die Fähigkeit, den Kunden bei der Umsetzungbestmöglich zu unterstützen.

Kaum von Interesse ist in dieser Phase der Nutzen, denn davon hat sich derKunde ebenfalls bereits überzeugt. Es kann allerdings sein, dass neue Stake-holder hinzukommen, die der Verkaufsberater erneut überzeugen muss.

Auch nicht im Fokus des Interesses steht der Preis. Die grundsätzliche Finan-zierbarkeit scheint gegeben und über die Details will sich der Kunde erstunterhalten, wenn alle anderen Fragen geklärt sind.

Abschlussphase

Die Fragen des Nutzens und der Umsetzung sind weitgehend geklärt. DerKunde beschäftigt sich nun, ob er eine finale Entscheidung über die Anschaf-fung treffen soll.

Erwartungsgemäß zu einem wichtigen Thema wird nun der Preis. Nachdemviele der anfänglichen Unklarheiten beseitigt worden sind, schlägt nun dieStunde der Wahrheit: Wie hoch ist die Investition des Kunden?

Neben der absoluten Zahl bewegt den Kunden die Frage, ob er ein fairesAngebot bekommt – oder über den Tisch gezogen wird. Daher versucht derKunde meist auch Alternativangebote zum Vergleich zu bekommen.

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184 Werkzeuge für den IT-Verkaufsberater

Von Bedeutung ist auch das Risiko des Kunden. Zwar ist an dieser Stellebereits geklärt, dass das Projekt wohl machbar ist, aber kurz vor der Ent-scheidung kann bei komplexen, risikoreichen und teuren HerausforderungenPanik beim Kunden ausbrechen. War er bisher immer noch in der Evaluie-rung, überschreitet er nun den »Point of no Return«.

Aus demselben Grund schielt der Kunde auch immer wieder auf den Anbie-ter: Steht dieser wirklich zum Kunden oder will er doch nur den Projektab-schluss? Ist der Anbieter »kompatibel« und wird er im Notfall den Kundennach vollen Kräften unterstützen oder gibt es ungeklärte Interessenkonflikte?

Der Nutzen interessiert den Kunden zu dieser Zeit nicht mehr: Wenn derNutzen an diesem Punkt noch eine wichtige Frage ist, dann ist im Verkaufs-prozess etwas falsch gelaufen.

Was bedeutet das für Sie als Verkaufsberater?

■ Konzentrieren Sie sich in jeder Phase auf die Informationen, die derKunde vermutlich am dringendsten benötigt. Beispielsweise sind Imple-mentierungsdetails oder Fragen der Finanzierung und des Supports imErstgespräch verfrüht und verwirren den Kunden mehr, als dass sie helfen(außer der Kunde fragt explizit danach). Konzentrieren Sie sich stattdes-sen darauf, den Kundennutzen möglichst klar zu definieren.

■ Viele Verkaufsberater versuchen in Ihren Unterlagen und Präsentationenalle Aspekte unterzubringen. Sie haben nämlich die Erfahrung gemacht,dass sich irgendwann einmal ein Kunde ganz besonders genau für diesenAspekt interessiert hat. Das Problem ist, dass diese Präsentationendadurch viel zu umfangreich werden und Informationen zur Verfügungstellen, die erst später wichtig werden. Versorgen Sie daher den Kundengezielt mit den Informationen, die dem aktuellen Timing entsprechen. Esgibt einen Unterschied zwischen »das ist alles wichtig« und »das ist allesjetzt sofort wichtig«.

■ Wundern Sie sich nicht, wenn sich der Kunde für bestimmte Aspekte, diebisher besonders wichtig waren, plötzlich nicht mehr interessiert. Wennbeispielsweise der Nutzen für den Kunden geklärt ist, hakt er das Themaab und konzentriert sich auf Fragen zum Projektrisiko. Das ist eine guteNachricht für Sie, denn daran erkennen Sie, dass das Projekt sich gut ent-wickelt. Umgekehrt sind Fragen, die dem Timing widersprechen (z.B. Dis-kussionen über den Produktnutzen in der Abschlussphase), verdächtig: Istdas eine reine Verhandlungstaktik oder gibt es plötzlich ein Problem?

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1 IT is different 2 Problemanalyse 3 Verkaufsprozess 4 Werkzeuge 5 Übungen

4.2 Werkzeug 2: Kundennutzen darstellen 185

■ Verwechseln Sie das Kundenrisiko der Entwicklungsphase nicht mit derin der Abschlussphase. Letztere ist meist eine emotionale Reaktion dar-auf, dass der Kunde nun einen entscheidenden Schritt macht, den er nichtmehr leicht rückgängig machen kann. Es ist daher auch wichtiger, ihmBackup- und Notfallszenarien anzubieten, als erneut den Projektplandurchzugehen, um die riskanten Phasen zu besprechen.

Hinweis: Das erste Mal habe ich das Konzept des Verkaufs-Timings mitunterschiedlichen Kundeninteressen bei Michael Bosworth entdeckt. SeinModell habe ich auf die Bedürfnisse des IT-Verkaufs zugeschnitten und wei-terentwickelt. Das Ergebnis ist das hier vorgestellte Modell.

4.2 Werkzeug 2:Kundennutzen darstellen

Den Nutzen seiner Leistung darzustellen, ist eine der wichtigsten Aufgabeneines Verkaufsberaters. In manchen Fällen ist der Nutzen dem Kunden sehrklar. Häufig ist das jedoch nicht der Fall, besonders bei Dienstleistungen oderkomplexen Systemen.

Die besten Methoden, um auch in solchen Fällen den Nutzen für den Kundenkonkret zu machen, werden in den nächsten Abschnitten vorgestellt:

■ Nutzen aus dem Produkt oder der Dienstleistung berechnen■ Nutzen »übersetzen«■ Nutzen aus Vergleichen und Alternativen ableiten

Variante 1:Der Nutzen ergibt sich aus dem Produkt oder dem Service direkt

Beispiel für Kundennutzen aufgrund frei werdender Arbeitskraft

Angenommen, durch Ihr System sind Systemadministratoren in der Lage, in derselben Zeit200 Server zu betreuen, während diese bisher nur 150 Server betreuen konnten.Ein Kunde, der 600 Server betreibt, könnte daher in Zukunft mit 3 statt mit 4 Administrato-ren zurechtkommen und die damit frei gewordene Arbeitskraft mit anderen Aufgabenbetrauen.Akzeptiert der Kunde dieses Szenario, ergibt sich für ihn der Nutzen direkt aus der damitverfügbaren Arbeitskraft. Das können die damit verbundenen Personalkosten sein inklu-sive aller Nebenkosten.Vielleicht sucht der Kunde zur gleichen Zeit händeringend nach guten Fachkräften. In die-sem Fall ist der Nutzen für den Kunden sogar noch höher, weil er eine erfahrene Fachkraftdirekt zur freien Verfügung bekommt, statt diese am Arbeitsmarkt rekrutieren und integrie-ren zu müssen. ➞

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