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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen Wolfgang Hoffmann-Riem Übersicht Rn. Rn. A. Orientierungen einer Formenlehre .............. 1 I. Ordnungs-, Speicher-, Orientierungs- und Entlastungsfunktionen ............................ 1 II. Rechtsformen – Handlungsformen – Bewirkungsformen .................................. 9 1. Rechtsformen ........................................ 11 2. Handlungsformen ............................... 14 3. Bewirkungsformen ............................. 16 4. Kein Exklusivitätsverhältnis zwischen Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen .................... 29 III. Vorbildfunktion des Verwaltungsakts für die überkommene Rechtsformenlehre bei einzelfallbezogenem Verwaltungshandeln ............................... 30 IV. Ausweitung auf Formen von Realhandlungen und des schlichten Verwaltungshandelns ............................. 34 V. Formung von Normen ............................. 36 VI. Berücksichtigung von Multipolarität ............................................. 40 VII. Erfahrungs- und Zukunftsorientierung einer Formenlehre ................................................ 42 VIII. Zwischenfazit: Fortdauernde Berechtigung einer Formenlehre ...... 44 B. Veränderte Herausforderungen einer Formenlehre ............................................................ 46 I. Von der Rechtsaktzentrierung zur Verhaltenszentrierung und zur Interaktionszentrierung ......................... 47 II. Relativierung der Bedeutung der Formenlehre im Rechtsschutzbereich ............................... 49 III. Relativierung der Regelung als Zentralbegriff der Formenlehre ......... 52 IV. Auswirkungen der Reregulierung ..... 54 V. Abkehr von der Ausrichtung der Formenlehre allein an der Rechtmäßigkeit und Hinwendung auch zum Maßstab administrativer Richtigkeit .................................................... 56 VI. Einbeziehung von Verfahrens- und Organisationsformen sowie Formen des Einsatzes von Personal und des Umgangs mit Ressourcen ...................... 61 VII. Maßgeblichkeit von komplexen Regelungsstrukturen .............................. 67 C. Überlagerung und Verzahnung von Formungsangeboten unterschiedlicher Rechtsgebiete ......................................................... 68 I. Privatrecht und Öffentliches Recht als wechselseitig nutzbare Auffangordnungen ................................... 69 II. Strafrecht und Öffentliches Recht als wechselseitig nutzbare Auffangordnungen ................................... 71 III. Trans- und Internationalisierung ...... 78 1. Formungen im Bereich des europäischen Unionsrechts ............. 78 2. Einwirkungen des europäischen Regelungsverbundes auf die für deutsches Verwaltungshandeln maßgebenden Formungen .............. 81 D. Ambivalenzen von Formungen ....................... 85 I. Formung des Informalen ....................... 86 II. Formung von Flexibilität ....................... 88 III. Formung koordinierender, kooperativer und konsensorientierter Entscheidungselemente ........................ 89 IV. Formung von Regulierung im Hin- blick auf neu strukturierte Aufgabenfelder ........................................... 94 E. Optionenwahl, insbesondere Auswahl von Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen .............................................. 96 I. Optionen auf unterschiedlichen Ebenen ........................................................... 96 II. Optionenwahl speziell hinsichtlich der Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen .................................. 100 III. Zur Problematik von Missbrauchs- und Fluchtformeln ................................... 110

33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen ... · – das Erodieren der Grenzen zwischen dem Recht und dem Nichtrechtlichen und die Zunahme des Einsatzes rechtlich nicht verbindlicher

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

Wolfgang Hoffmann-Riem

Übersicht

Rn. Rn.

A. Orientierungen einer Formenlehre .............. 1

I. Ordnungs-, Speicher-, Orientierungs- und Entlastungsfunktionen ............................ 1

II. Rechtsformen – Handlungsformen – Bewirkungsformen .................................. 9

1. Rechtsformen ........................................ 11 2. Handlungsformen ............................... 14 3. Bewirkungsformen ............................. 16 4. Kein Exklusivitätsverhältnis

zwischen Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen .................... 29

III. Vorbildfunktion des Verwaltungsakts für die überkommene Rechtsformenlehre bei einzelfallbezogenem Verwaltungshandeln ............................... 30

IV. Ausweitung auf Formen von Realhandlungen und des schlichten Verwaltungshandelns ............................. 34

V. Formung von Normen ............................. 36

VI. Berücksichtigung von Multipolarität ............................................. 40

VII. Erfahrungs- und Zukunftsorientierung einer Formenlehre ................................................ 42

VIII. Zwischenfazit: Fortdauernde Berechtigung einer Formenlehre ...... 44

B. Veränderte Herausforderungen einer

Formenlehre ............................................................ 46

I. Von der Rechtsaktzentrierung zur Verhaltenszentrierung und zur Interaktionszentrierung ......................... 47

II. Relativierung der Bedeutung der Formenlehre im Rechtsschutzbereich ............................... 49

III. Relativierung der Regelung als Zentralbegriff der Formenlehre ......... 52

IV. Auswirkungen der Reregulierung ..... 54

V. Abkehr von der Ausrichtung der Formenlehre allein an der Rechtmäßigkeit und Hinwendung auch zum Maßstab administrativer Richtigkeit .................................................... 56

VI. Einbeziehung von Verfahrens- und Organisationsformen sowie Formen des Einsatzes von Personal und des Umgangs mit Ressourcen ...................... 61

VII. Maßgeblichkeit von komplexen Regelungsstrukturen .............................. 67

C. Überlagerung und Verzahnung von

Formungsangeboten unterschiedlicher Rechtsgebiete ......................................................... 68

I. Privatrecht und Öffentliches Recht als wechselseitig nutzbare Auffangordnungen ................................... 69

II. Strafrecht und Öffentliches Recht als wechselseitig nutzbare Auffangordnungen ................................... 71

III. Trans- und Internationalisierung ...... 78 1. Formungen im Bereich des

europäischen Unionsrechts ............. 78 2. Einwirkungen des europäischen

Regelungsverbundes auf die für deutsches Verwaltungshandeln maßgebenden Formungen .............. 81

D. Ambivalenzen von Formungen ....................... 85

I. Formung des Informalen ....................... 86

II. Formung von Flexibilität ....................... 88

III. Formung koordinierender, kooperativer und konsensorientierter Entscheidungselemente ........................ 89

IV. Formung von Regulierung im Hin-blick auf neu strukturierte Aufgabenfelder ........................................... 94

E. Optionenwahl, insbesondere Auswahl von

Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen .............................................. 96

I. Optionen auf unterschiedlichen Ebenen ........................................................... 96

II. Optionenwahl speziell hinsichtlich der Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen .................................. 100

III. Zur Problematik von Missbrauchs- und Fluchtformeln ................................... 110

§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

886 Hoffmann-Riem

IV. Orientierung an den Funktionsbedingungen modernen Verwaltens ................................................... 118

Leitentscheidungen

Ausgewählte Literatur

A. Orientierungen einer Formenlehre

I. Ordnungs-, Speicher-, Orientierungs- und Entlastungsfunktionen

Innerhalb der von der Verwaltungsrechtswissenschaft entwickelten Teillehren zum Verwaltungshandeln – insbesondere der Lehren von den Aufgaben und Zwecken der Verwaltung, den Maßstäben, den Trägern sowie den Fehlerfolgen des Verwaltungshandelns –1 gehört die Lehre von den Rechtsformen traditionell zu den Paradestücken rechtswissenschaftlichen und insbesondere rechtsdogmatischen Bemühens. Als Kronzeuge ihrer Bedeutung wird hier – wie auch häufig sonst – Otto Mayer2 zitiert. Er wies den Rechtsformen die Aufgabe zu, in der „flutenden Masse der Verwaltungstätigkeit“ feste Punkte auftauchen zu lassen, „welche dem Einzelnen Halt gewähren und ihn darüber sicherstellen, wohin es geht“. Als kondensierte Typen von Rechtsformen galten und gelten insbesondere der Verwaltungsakt und die Rechtsverordnung neben dem Gesetz als „stimulierende und sichernde Elemente, die die rechtsstaatliche Verwaltung von den vorausgehenden Stufen der Verwaltung in der polizeistaatlichen Epoche abheben“3. Fritz Ossenbühl bezeichnete 1979 die rechtlichen Handlungsformen der Verwaltung als „die Tore, durch welche die in ihrer Vielfalt unüberschaubare, amorphe Tätigkeit der Verwaltung in die ordnende Welt des Rechts eingeschleust wird“4.

Diese Leistungen kann, wie dieser Beitrag zeigen soll, die Rechtsformenlehre in vielerlei Hinsicht weiterhin, in anderer aber nur noch begrenzt erbringen. Aus den von einer Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft heute verstärkt zu berücksichtigenden Rahmenbedingungen, die entsprechenden Modernisierungsbedarf für die Leistungsfähigkeit der Formenlehre5 zunehmend indizieren, sind besonders6 bedeutsam:7 – die verstärkte Ausdifferenzierung der Rechtsordnung;

_____________________________________________________________________________________

1 Siehe a. → Bd. I Groß § 13, Baer § 11; Bd. II Pitschas § 42; Sachs § 31. 2 Mayer, VerwR I, S. 92 f. 3 So Fritz Ossenbühl, Die Handlungsformen der Verwaltung, JuS 1979, S. 681 ff. 4 Ossenbühl, Handlungsformen (Fn. 3), S. 681. 5 Um von vornherein Missverständnisse auszuschließen: Es geht hier nicht um

Formalisierung, Formgebundenheit u. ä. (dazu s. etwa §§ 3 a, 10 VwVfG), auch wenn bestimmte Handlungsformen (etwa die Verordnung) bestimmte Erfordernisse der Formalisierung (Formerfordernisse) erfüllen müssen, um gültig sein zu können → Rn. 9.

6 Hier kann auf den in unterschiedlichen Referenzbereichen entstehenden Modernisierungsbedarf nicht eingegangen werden. Vgl. nur – für das Beispiel des Sozialrechts – das breitgefächerte Aktivitätsspektrum des Staates, schwerpunktmäßig aufgelistet bei Peter J. Tettinger, Verwaltungsrechtliche Instrumente des Sozialstaates, VVDStRL, Bd. 64 (2005), S. 199 (202 f.).

7 Siehe ferner → Bd. I Voßkuhle § 1 Rn. 9 ff. sowie Wolfgang Hoffmann-Riem, Verwaltungsrecht in der Entwicklung, in: Terhechte (Hrsg.), VerwREU, § 3.

1

2

A. Orientierungen einer Formenlehre

Hoffmann-Riem 887

– zunehmende Entgrenzungen von Problemlagen und Grenzüberschreitungen bei Lösungen;

– die Verlagerung von zuvor staatlich wahrgenommenen Aufgaben und Instrumenten auf hybride (staatlich-private) oder private Akteure;

– die Ausweitung und Heterogenisierung der für die Problembewältigung maßgebenden Ziele, der tätigen Akteure sowie der verfügbaren Maßnahmen/Instrumente und der für sie genutzten Rechts- und Handlungsformen;

– die Segmentierung und Fragmentierung mancher Rechtsgebiete des für Verwaltungshandeln maßgebenden Rechts mit je (relativ) eigenständigen Rechts- und Handlungsformen (verbunden u. a. mit „Separierungstendenzen“8, seit langem etwa im Sozialrecht, im Abgabenrecht und jetzt in den stark europäisierten Regelungsfeldern), aber auch die vermehrte Verzahnung unterschiedlicher Rechtsgebiete und die Notwendigkeit des Managements von Interdependenzen;

– die Überlagerung und Vermengung von Rechts- und Handlungsformen des deutschen Rechts mit denen des Europarechts oder der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten der EU;

– die Zunahme von Aufgaben aktiver und proaktiver Gestaltung, insbesondere in komplexen Problemlagen, vielfach gekoppelt mit erheblichen Einschätzungs-, Prognose- und Abwägungsspielräumen;

– die Verzahnung von öffentlich-rechtlichen, privatrechtlichen und strafrechtlichen Rechts- und Handlungsermächtigungen sowie -formen;

– das Erodieren der Grenzen zwischen dem Recht und dem Nichtrechtlichen und die Zunahme des Einsatzes rechtlich nicht verbindlicher Instrumente als Steuerungsmittel9. Die mit derartigen Schlagworten verbundenen Entwicklungen10 weisen darauf

hin, dass bei aller Anknüpfung an die Tradition (auch) die Formenlehre in einer Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft neue Dimensionen aufgreifen muss, dies insbesondere auch, um die für steuerndes administratives Handeln geltenden rechtlichen Bedingungen und ihr Zusammenspiel mit nichtrechtlichen Faktoren besser erfassen zu können. In einem Rechtsstaat ist es weiterhin sinnvoll, in der Rechtsordnung typische Rechtsformen11 zu identifizieren. Diese können und sollen angesichts der Vielfalt des Verwaltungshandelns Orientierungen bieten, etwa indem mit ihnen bestimmte

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8 So Tettinger, Verwaltungsrechtliche Instrumente (Fn. 6), S. 207 f. (zum Sozialrecht). Er spricht auch von einem „munteren bereichsorientierten verwaltungsrechtlichen Eigenleben des Sozialrechts, das in hohem Maße die früher durchaus gängige Rezeptionübernahme geeigneter Entwicklungslinien aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht und vice versa erschwert“, a. a. O., S. 209.

9 Matthias Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, 2010, S. 16 f., spricht sogar von einem neuen regulativen Paradigma. Zur Beschreibung der Erscheinung s. a.a.O., S. 211 ff.

10 Zu verweisen ist auch auf diverse „Dekodifikationen“, so im Zusammenhang der Beschleunigungsgesetzgebung, dazu s. Wolfgang Kahl, Das Verwaltungsverfahrensgesetz zwischen Kodifikationsidee und Sonderrechtsentwicklungen, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 71 ff.

11 Zum Begriff → Rn. 11 ff.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

888 Hoffmann-Riem

Rechtsfolgen verbunden sind, insbesondere solche, die rechtsstaatlichen Anforderungen an Voraussehbarkeit und Kontrollierbarkeit des Verwaltungshandelns Rechnung tragen. Eberhard Schmidt-Aßmann12 betont vor allem die Ordnungs- und die Speicherfunktion der Rechtsformenlehre. Gemäß ihrer Ordnungsfunktion sollen Rechtsformen rechtskonstruktiv das Verwaltungshandeln nach den Prinzipien der Distanz schaffenden Konzentration und der adäquaten Rechtsfolgenverknüpfung strukturieren. Die Speicherfunktion erfasst den Umstand, dass Rechtsformen zum Teil rechtspraktisch als (weitgehend) fertige Zuordnungsmuster (gewissermaßen Schubladen) genutzt werden können, die das Auffinden konkreter Lösungen und die Zuordnung von bestimmten Rechtsfolgen erleichtern. Damit verbunden sind die Orientierungsfunktion13 und zugleich die „Entlastungsfunktion“14: Regelmäßig eröffnen sich mit der Zuordnung einer Maßnahme zu einer bestimmten Rechtsform Möglichkeiten des Schließens auf die Maßgeblichkeit bestimmter Rechtsregeln und auf bestimmte Rechtsfolgen. Als besonders wichtig15 werden herkömmlich insbesondere vier Ebenen betont, auf denen sich die von der gewählten Rechtsform abhängigen Rechtsregeln auswirken:16 – Rechtmäßigkeitsbedingungen einer Verwaltungshandlung. So gelten die

verfahrensmäßigen Anforderungen des VwVfG17 nur für Verwaltungsakte und Verträge, nicht für Rechtsverordnungen und Satzungen oder Verwaltungsvorschriften, für deren Erlass aber gegebenenfalls besondere Verfahrensvorschriften, auch Formvorschriften, gelten.

– Rechtswirkungen einschließlich Fehlerfolgen. Beispielsweise ist die Zuerkennung einer spezifischen Bestandskraft von der Rechtsform als Verwaltungsakt abhängig. Rechtswidrige Verwaltungsakte können anfechtbar oder (ausnahmsweise) nichtig sein. Rechtswidrige Verordnungen und Satzungen sind grundsätzlich ungültig (nichtig) und insofern einer Bestandskraft nicht fähig (vorbehaltlich von Ausnahmen wie etwa § 75 Abs. 1 a VwVfG, § 214 BauGB).18 Der rechtswidrige Realakt kann einen Folgenbeseitigungsanspruch auslösen.

– Art der Rechtsschutzmöglichkeiten, insbesondere Klagarten und Tenorierung (vgl. etwa §§ 68, 75, 79, 113 u. a. VwGO).19 Rechtsschutz gegen belastende

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12 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Kap. 6 Rn. 34; zuvor ders., Die Lehre von den Rechtsformen des Verwaltungshandelns, DVBl 1989, S. 533 ff.

13 Dazu gehört auch die Funktion, normative Vorgaben zu kommunizieren, s. → Bd. I Ruffert § 17 Rn. 67 speziell für Verwaltungsvorschriften: Kommunikation der Vorgaben von der Behördenleitung zu der Entscheidungsebene.

14 Ossenbühl, Handlungsformen (Fn. 3), S. 682. 15 Demgegenüber hat Peter Krause, Rechtsformen des Verwaltungshandelns.

Überlegungen zu einem System der Handlungsformen der Verwaltung, mit Ausnahme der Rechtsetzung, 1974, versucht, die Verwaltungshandlungen als funktionale Elemente staatlicher Zweckerfüllung zu sehen und sich verstärkt an den Staatsaufgaben zu orientieren. Sein Anliegen der Entwicklung eines „offenen Systems der Handlungsformen“ (a.a. O., S. 235 ff.) hat sich aber nicht in der von ihm befürworteten Weise durchsetzen können.

16 Angelehnt an Koch/Rubel/Heselhaus, VerwR, § 3 Rn. 3 ff. 17 → Bd. II Schneider § 28 Rn. 14 ff. 18 Für Verwaltungsvorschriften wiederum gibt es Möglichkeiten unterschiedlicher

Folgen im Innen- und Außenrechtsverhältnis, s. dazu Markus Möstl, Normative Handlungsformen, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), VerwR, § 19 Rn. 8, 37; § 20, Rn. 16 ff.

19 Zu gerichtlichen Verwaltungskontrollen s. → Bd. III Schoch § 50.

A. Orientierungen einer Formenlehre

Hoffmann-Riem 889

Einzelakte der exekutivischen Hoheitsgewalt ist stets möglich (Art. 19 Abs. 4 GG). Eine Normenkontrolle ist demgegenüber nicht stets, sondern nur bei ausdrücklicher Regelung eröffnet (z. B. § 47 VwGO), gegebenenfalls aber bei Rechtsverordnungen auch über die Feststellungsklage möglich.20

– Vollstreckbarkeit. Beispielsweise hängt die Möglichkeit der verwaltungseigenen Vollstreckung vom Vorliegen eines Verwaltungsakts ab. Demgegenüber ist die Vollstreckung aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag auf eine ergänzende Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung (§ 61 VwVfG) angewiesen.21 Angesichts der Vielzahl und Heterogenität von Rechts- und Handlungsformen

stellt sich die Frage nach ihrer angemessenen Zuordnung. So ist zu klären, ob die Verwaltung grundsätzlich alle bzw. welche sie in bestimmten Kontexten einsetzen darf. Wenn auch nur begrenzt, kennt die Rechtsordnung Vorrangregeln für die Wahl einer Rechtsform, aber auch Rechtsformsperren sowie Vollzugssperren.22 Auch können sich an die Formenwahl Folgepflichten oder -obliegenheiten anschließen, so etwa beim Erlass des Verwaltungsakts eine Art Obliegenheit der Verwaltung zur Rechtsbehelfsbelehrung (§ 73 Abs. 3 S. 1 i. V. m. § 75 VwGO).

Die für bestimmte Rechtsformen „typischen“ Rechtsregeln, die aber nur einen Ausschnitt möglicher rechtlicher Voraussetzungen und Folgen des Verwaltungshandelns erfassen, sind nicht für alle Rechtsformen des Verwaltungshandelns in gleicher Weise ausgearbeitet worden. Soweit einzelfallbezogenes Verwaltungshandeln betroffen ist,23 finden sich die intensivsten rechtlichen Vorgaben für Verwaltungsakte, die durch Praxis und Rechtswissenschaft immer weiter ausdifferenziert worden sind.24 Demgegenüber kennt das Verwaltungsverfahrensgesetz beispielsweise für Verträge25 nur „sporadische Ansammlungen von Vorsichtsmaßregeln“.26 Andere Formen des auf die Lösung konkreter Probleme bezogenen Verwaltungshandelns sind nur sehr begrenzt zu rechtlich geformten Typen (zu „Rechtsformen“) kondensiert, auch _____________________________________________________________________________________

20 Vgl. BVerwGE 111, 276 ff.; 115, 81 ff. = JZ 2006, S. 1021 mit Anm. v. Wolf-Rüdiger Schenke, Rechtsschutz gegen normatives Unrecht, JZ 2006, S. 1004 ff. S. auch BVerfGE 102, 26 (32 f.); 115, 81 (95 f.); VGH Hessen, NVwZ 2006, S. 1195; s. ferner Frank Fellenberg/Ulrich Karpenstein, Feststellungsklagen gegen den Normgeber, NVwZ 2006, S. 1133 ff.; Clemens Weidemann, Nochmals: Feststellungsklagen gegen den Normgeber, NVwZ 2006, S. 1259 ff.; zu Klagemöglichkeiten gegen untergesetzliche Normen und auf Erlass eines Rechtsetzungsakts Wolf-Rüdiger Schenke, Neuere Rechtsprechung zum Verwaltungsprozessrecht (1996-2009), 2009, S. 170 ff.

21 Dazu s. → Bd. III Waldhoff § 46 Rn. 82 ff., 113 ff. 22 Näher → Rn. 96 ff., 100 ff. 23 Zu Rechtsnormen s. → Bd. I Ruffert § 17 Rn. 53 ff. und passim; Möstl,

Handlungsformen (Fn. 18), §§ 19 und 20. 24 → Bd. II Bumke § 35. S. ferner statt vieler aus der Kommentarliteratur Ulrich

Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 1 ff.; Ziekow, VwVfG, § 35 Rn. 7 ff. oder die Beiträge von Matthias Ruffert, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), VerwR, §§ 21–27.

25 Auf die Handlungsform des Vertrages wird im Folgenden nur punktuell eingegangen, etwa in Rn. 34, 90, 103. S. stattdessen → Bd. II Bauer § 36 mit eingehenden Analysen und auch Darstellungen zur Vielfalt vertraglicher Beziehungen im Verwaltungsrecht (Rn. 31 ff., 34 ff.; zu Typologien dort Rn. 131). Aus der Lehrbuchliteratur s. – statt vieler – Elke Gurlit, Verwaltungsrechtlicher Vertrag und andere verwaltungsrechtliche Sonderverbindungen, §§ 28–35 in Erichsen/Ehlers (Hrsg.), VerwR.

26 So die Formulierung von Ossenbühl, Handlungsformen (Fn. 3), S. 684.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

890 Hoffmann-Riem

wenn sie typische Handlungsformen27 der Verwaltung darstellen. Zu nennen sind etwa – der Realakt bzw. das schlichte Verwaltungshandeln;28 – der Plan (in höchst unterschiedlichen Ausprägungen);29 – informales Verwaltungshandeln.30

Zu erwähnen sind ferner öffentlich-rechtliche Schuldverhältnisse31 auch außerhalb des Vertrages, für deren Abwicklung beispielsweise zu klären ist, wie weit die Regeln und damit auch Rechtsformen des privaten Schuldrechts gelten.32

Hinsichtlich untergesetzlicher Normen, die sich nicht nur – wie es meist geschieht – als Rechtsquellen,33 sondern auch als Steuerungsinstrumente der Verwaltung verstehen lassen,34 sind die Formungen unterschiedlich intensiv. Während Rechtsverordnungen und Satzungen seit langem ausgebaute Rechtsformen sind,35 gilt dies für Pläne36 nur begrenzt: Sie können in unterschiedlicher Gestalt verwirklicht werden.

Die Herausarbeitung der an bestimmte Rechtsformen anknüpfenden Rechtsregeln steht in der Tradition vielfältiger Bemühungen um die Ausdifferenzierung des Rechtsstaats. Alte und neue Formen des Verwaltungshandelns sind weiterhin darauf zu besehen und danach zu _____________________________________________________________________________________

27 Zum Begriff → Rn. 14 ff. 28 → Rn. 34 ff. sowie Bd. II Hermes § 39; als schlichtes Verwaltungshandeln werden

beispielsweise Angaben im Verfassungsschutzbericht angesehen, vgl. BVerwGE 131, 171.

29 → Bd. II Köck § 37. 30 → Bd. II Fehling § 38. 31 Dazu vgl. Bernd Grzeszick, Ergänzungen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen

Schadensersatz- und Entschädigungsrechts, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), VerwR, § 46 Rn. 18 ff.; ein solches Schuldverhältnis kann beispielsweise zwischen einer Gemeinde und dem Anschlussnehmer der gemeindlichen Abwasserkanalisation bestehen, vgl. BGH, NVwZ 2008, S. 238 f.

32 Dazu vgl. Heinrich de Wall, Die Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, 1999. Zur Auswirkung der Schuldrechtsreform auf das Öffentliche Recht s. Benjamin Gündling, Modernisiertes Privatrecht und öffentliches Recht. Die Auswirkungen der Schuldrechtsreform auf den Verwaltungsvertrag und weitere Verbindungen zwischen den Teilrechtsordnungen, 2006.

33 → Bd. I Ruffert § 17. 34 Siehe etwa Möstl, Handlungsformen (Fn. 18), § 19 Rn. 2 mit Fn. 5; → Bd. I

Ruffert § 17 Rn. 23 und passim. Eine rechtsquellenorientierte Betrachtungsweise ist insbes. am Konzept der Gewaltenteilung (→ Bd. I Poscher § 8) orientiert, während die steuerungswissenschaftliche Betrachtungsweise in erster Linie auf die Art der Problemlösung sieht.

35 Dazu s. statt vieler → Bd. I Ruffert § 17 Rn. 60 ff., 64 ff.; Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 18 ff., 26 ff.

36 In der Literatur wird vielfach zu Recht betont, Pläne seien keine eigenständige Rechtsform, sondern könnten in unterschiedlichen Rechtsformen auftauchen; s. statt vieler Maurer, VerwR, § 17 Rn. 18 ff.; Möstl, Handlungsformen (Fn. 18), § 19 Rn. 11. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 198, spricht von einer Fast-Rechtsform. Zu den unterschiedlichen Typen planender Verwaltung s. Dirk Ehlers, Verwaltung und Verwaltungsrecht im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), VerwR, § 1 Rn. 63 ff. Zu Aktionsplänen – hier am Beispiel des Lärmaktionsplans – s. etwa Ulrich Blaschke, Lärmminderungsplanung – der Schutz vor Umgebungslärm durch Lärmkartierung und Lärmaktionsplanung, 2010. Zu verschiedenartigen Handlungsformen von Plänen s. Ehlers., a. a. O., Rn. 66.; → Bd. II Köck § 37.

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A. Orientierungen einer Formenlehre

Hoffmann-Riem 891

systematisieren, wieweit sie Ordnungs-, Speicher-, Orientierungs- und Entlastungsfunktionen nicht nur hinsichtlich des Ziels rechtsstaatlicher Voraussehbarkeit und Kontrollierbarkeit, sondern auch in sonstigen Hinsichten ermöglichen – etwa bei der Erfüllung von Flexibilitätsbedarfen. „Formungen“ werden auch benötigt als Hilfen zur Erfüllung der Anforderungen der trans- und internationalen Öffnung in den europäischen und den internationalen/globalen Raum hinein.37 Daher ist die Herausarbeitung der spezifischen Ordnungs-, Speicher-, Orientierungs- und Entlastungsfunktionen auch im Hinblick auf Formen des Verwaltungshandelns wichtig, wenn sie europarechtlich geprägt und an Vorbildern aus anderen Rechtsordnungen – etwa der angelsächsischen oder französischen – orientiert sind, die nicht auf die überkommene deutsche Formenlehre abgestimmt sind.

In den Blick geraten aber nicht nur die Formen des Verwaltungshandelns selbst. Rechtlich geformt können auch die von Bürgern ausgehenden, auf die Verwaltung bezogenen Handlungen sein. So können den Bürgern Wahlrechte im Hinblick auf bestimmte Leistungen zustehen.38 Ist ein Verwaltungsakt mitwirkungsbedürftig – beispielsweise antragsbedürftig (§ 22 Abs. 1 Nr. 1, 2 VwVfG oder als Beispiel für Sonderverwaltungsrecht: § 19 SGB IV im Sozialversicherungsrecht) oder von der Zustimmung des Betroffenen (etwa der Zustimmung zur Widmung, § 6 Abs. 1 S. 2 Hamb.WegeG) abhängig –, so mag der Mitwirkungsakt formgebunden39 oder formlos erfolgen, ist aber meist eine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung und dabei zum Teil sehr differenziert40 geformt. Auch die Angebotsabgabe im Vergaberecht (s. § 3 Abs. 1 VOL/A, § 3 Abs. 1 VOB/A) oder gesetzlich vorgesehene Berichtspflichten und Evaluationsklauseln41 sind rechtlich näher geformte Arten der notwendigen Betroffenenmitwirkung. Die Rechtsordnung kennt sogar die Fiktion solcher Mitwirkungsakte.42

II. Rechtsformen – Handlungsformen – Bewirkungsformen

Wenn im Folgenden in Anlehnung an die traditionelle Terminologie von

rechtlichen „Formen“ des Verwaltungshandelns gesprochen wird, dann soll diese Terminologie nicht auf Formalisierung oder Förmlichkeit hindeuten – gerade in dieser Hinsicht gibt es erhebliche Unterschiede –, sondern auf Formung (im Sinne der rechtlichen Ausgestaltung) bestimmter Typen („Formen“) des Verwaltungshandelns. Die rechtliche Ausgestaltung kann in der Verfassung (s. z. B.

_____________________________________________________________________________________

37 → Rn. 81 ff. 38 Etwa im Sozialrecht nach § 5 Abs. 1 SGB VIII das Recht zur Wahl zwischen

Einrichtungen und Diensten der verschiedenen Träger der Jugendhilfe und zur Äußerung von Wünschen hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe. S. a. § 9 SGB IX (zum Behindertenrecht).

39 Z. B. an die Schriftform, so § 10 Abs. 1 BImSchG; § 58 Abs. 4 HBauO für Anträge, Anzeigen u. ä.; § 14 GewO: Anzeige der Aufnahme eines Gewerbebetriebs; § 10 GenTG: schriftlicher Antrag für die Einleitung eines Genehmigungsverfahrens.

40 Beispielsweise verlangt § 22 AMG für die Zulassung und die Registrierung von Arzneimitteln einen formularmäßig gestellten Antrag, der eine Fülle von Angaben (so über die Ergebnisse diverser Versuche und klinischer Prüfungen und Unterlagen zur Bewertung möglicher Umweltrisiken) enthalten muss.

41 Siehe u. → Rn. 77. 42 § 14 a Abs. 1 AsylVfG: Asylantragsfiktion bei einem Kind des Ausländers.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

892 Hoffmann-Riem

Art. 80 GG) oder in einfachen Gesetzen (z. B. §§ 35 ff. VwVfG; 31 ff. SGB X; 118 ff. AO) erfolgt sein, geschieht aber ergänzend und zum Teil (so bei schlichtem Verwaltungshandeln) fast ausschließlich über Konkretisierungsleistungen von Praxis und Rechtswissenschaft. Vor dem Inkrafttreten der VwGO (im Jahre 1960) und des VwVfG (im Jahre 1977) waren Praxis und Rechtsprechung die zentralen Akteure dieser Formung. Dies zeigte sich besonders nachdrücklich an der Rechtsform des Verwaltungsakts, der – nach der wissenschaftlichen Konturierung durch Otto Mayer43 – in einzelnen Gebieten des Verwaltungsrechts – etwa im Polizeirecht oder im Abgabenrecht – recht schnell prägende Kraft erhielt. Auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er ein wesentliches Vehikel zur rechtsstaatlichen Durchdringung der Verwaltungsrechtsordnung – etwa für die Ausgestaltung des Rechtsschutzes und von Vertrauensschutz –, wurde dann aber in den erwähnten Kodifikationen (zum Teil in Sonderkodifikationen, so etwa in der AO oder im SGB X) gesetzlich allgemein ausgestaltet. Die Rechtsentwicklung zeigt, dass ein ursprünglich von der Verwaltung aus Zweckmäßigkeitserwägungen entwickelter Handlungstyp im Laufe der Zeit zur „Rechtsschöpfung“ werden kann, wobei das „rechtliche“ Element nicht ausdrücklich in Rechtsnormen festgelegt sein muss, sondern im Wege der Auslegung erfasst und durch Rechtsdogmatik entwickelt werden kann. Zu den formprägenden Elementen können, müssen aber nicht, Formalisierungsanforderungen (Formerfordernisse) gehören.44 Sie sind allerdings nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer „Rechtsform“ oder „Handlungsform“.

Die Begriffe Rechts- und Handlungsformen werden in der überkommenen Lehre vielfach (aber nicht immer) als Synonyme behandelt.45 Dennoch kann es zumindest aus heuristischer Sicht sinnvoll sein, sie zu unterscheiden,46 auch wenn

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43 Mayer, VerwR I, S. 92 ff. S. a. → Bd. II Bumke § 35 Rn. 6 ff. Zur historischen Entwicklung der Rechtsformenlehre s. Karl Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, 1910, S. 13 ff. (§§ 3–5); Meyer-Hesemann, Methodenwandel, insbes. S. 27 f., 56 ff.; Krause, Rechtsformen (Fn. 15), S. 115 ff.

44 So gilt gem. § 38 Abs. 1 S. 1 VwVfG ein Schriftformerfordernis für die Zusicherung und gem. § 57 VwVfG für den öffentlich-rechtlichen Vertrag. Demgegenüber bestimmt § 37 Abs. 2 VwVfG generell für den Verwaltungsakt eine Offenheit möglicher Formen. Es gibt aber beispielsweise Anforderungen an die Erkennbarkeit des Urhebers (vgl. § 37 Abs. 3 VwVfG), an die Bekanntgabe (§ 41 VwVfG) – vgl. zum Zeitpunkt der Bekanntgabe bei Verkehrszeichen BVerwG, JZ 2011, S. 152 ff. – oder – bei schriftlicher oder elektronischer Form – an die Begründung (§ 39 VwVfG).

45 Vgl. Walter Pauly, Grundlagen einer Handlungsformenlehre im Verwaltungsrecht, in: Kathrin Becker-Schwarze u. a. (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, 1991, S. 25, 32 m. w. N. in Fn. 13. Stefan Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, S. 297 versteht den Begriff der Rechtsform als Oberbegriff für Rechtsquelle und Handlungsform. Handlungsformen sind für ihn Arten von Verwaltungshandlungen (rechtlich qualifizierbare Tätigkeitstypen), mit denen die Verwaltung ihre Ziele durchsetzt.

46 Nicht durchgesetzt hat sich allerdings die von Krause, Rechtsformen (Fn. 15), S. 25 vorgeschlagene Unterscheidung danach, ob erstens eine Rechtsfolge sekundär an eine Verwaltungshandlung anknüpft, ohne deren ursprüngliche Funktion zu verändern, ob zweitens die Rechtsfolge die Implikation eines Handelns als Verwaltungsinstrument ist oder ob sich drittens die Rechtsfolge gerade aus der Verfehlung der ursprünglichen Funktion des Verwaltungshandelns ergibt.

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A. Orientierungen einer Formenlehre

Hoffmann-Riem 893

trennscharfe und jeweils auf der gleichen Bezugsebene angesiedelte Abgrenzungen untereinander ebenso wenig gelingen können wie eindeutige Unterscheidungen zu anderen gebräuchlichen Begriffen, wie dem der Rechtsinstitute oder dem der rechtlichen Instrumente. Dennoch soll im Folgenden versucht werden, die Formenlehre nicht grenzenlos zur Erfassung sämtlicher Erscheinungsformen des Verwaltungshandels einzusetzen, sondern (möglichst) nur auf solche zu beschränken, die in verschiedenen rechtlichen Kontexten als „Gussformen“ des Rechts47 oder als „Gussformen“ rechtlich geprägten Verwaltungshandelns auffindbar, wenn auch gegebenenfalls bereichsspezifisch variiert, sind.

1. Rechtsformen Im Folgenden soll von „Rechtsformen“ gesprochen werden, soweit ein

bestimmter Typ des Verwaltungshandelns rechtlich näher ausgestaltet worden ist und insbesondere mit feststehenden („konfektionierten“) Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen und Rechtsfolgen verbunden ist, die durch die Kategorisierung einer Maßnahme gewissermaßen aus der geeigneten Schublade „abgerufen“ werden können. Zu ihnen sind im deutschen Recht – neben dem Gesetz48 – vor allem der Verwaltungsakt, die öffentlich-rechtliche Willenserklärung49, der öffentlich-rechtliche Vertrag, die innerdienstliche Weisung, die Rechtsverordnung, die Satzung und (wohl auch) die Verwaltungsvorschrift zu zählen. Solche „Gussformen“ von Recht gibt es mit unterschiedlichem Abstraktionsgrad. Für Rechtsformen ist typisch, dass ihre Abstraktionshöhe den Einsatz in unterschiedlichen Feldern administrativen Verhaltens ermöglicht.

So ist die Rechtsform des Verwaltungsakts im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG durch hoch abstrakte Tatbestandsmerkmale geprägt und daher in praktisch allen Bereichen der Verwaltung und in allen Stadien des Verwaltungshandelns auffindbar. Auch abstrakt umschriebene, aber schon konkreter auf bestimmte, für die Herbeiführung besonderer Rechtsfolgen benötigte Regelungstypen sind Rechtsformen, wie die Genehmigung, die Zustimmung oder die Untersagung, die in vielen Rechtsgebieten eingesetzt werden können. Die zuletzt genannten sind auch als Verwaltungsakte mit den allgemein mit ihnen verbundenen Rechtsfolgen identifizierbar, ohne dass damit aber auch die Art ihrer spezifischen Regelungswirkung (z. B. die Öffnung eines durch ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt sonst versperrten Verhaltens – Kontrollerlaubnis50) gekennzeichnet wäre. Die zuletzt genannten Rechtsformen können ferner eine gegenstandsspezifische Ausprägung mit gegenstandsspezifischen Voraussetzungen und Rechtsfolgen haben, wie etwa ein baurechtlicher Dispens (§ 31 BauGB) oder eine Entgeltgenehmigung nach § 35 TKG. Mit dem Blick auf solche Besonderheiten

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47 Pauly, Handlungsformenlehre (Fn. 45), S. 32. 48 Siehe dazu → Bd. I Reimer § 9. 49 Beispiel: die Aufrechnung, dazu s. BVerwGE 77, 19 (24 ff.) und OVG LSA, NVwZ-

RR 2009, S. 226 ff. 50 Zum Unterschied von Kontrollerlaubnis und Ausnahmebewilligung s. statt

vieler Matthias Ruffert, Bedeutung, Funktion und Begriff des Verwaltungsakts, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), VerwR, § 21 Rn. 55 f.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

894 Hoffmann-Riem

lassen sich die Verwaltungsakte in besondere Verwaltungsakt-Typen untergliedern.51

Im Besonderen Verwaltungsrecht sind viele bereichsspezifische Formen des Verwaltungshandelns – mit je spezifischen Zielen, Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen und Rechtsfolgen – rechtlich geformt (etwa im Sozial-, Abgaben-, Umwelt- oder Informationsrecht). Sie erschöpfen sich nicht notwendig darin, die allgemeinen Merkmale eines Verwaltungsakts aufzuweisen; zum Teil sind Verwaltungsakte mit Realakten52 kombiniert. „Klassiker“ sind beispielsweise die polizeilichen Standardmaßnahmen, wie Vorladung, Personalienfeststellung, Platzverweis, Aufenthaltsverbot, Gewahrsam, Sicherstellung, Durchsuchung von Personen oder Sachen, Untersuchung von Personen, Betreten und Durchsuchung von Wohnungen.53 Ihre – zum Teil sehr detaillierte – rechtliche Ausgestaltung hat nicht die gleiche Abstraktionshöhe wie die der Rechtsform des Verwaltungsakts. Sie sind aber gleichwohl seit Jahrzehnten rechtsstaatlich näher umschriebene, auf die polizeiliche Gefahrenabwehr und -vorsorge (also eine bestimmte Aufgabe) ausgerichtete, in verschiedenen Rechtsgebieten einsetzbare Rechtsinstitute, deren Nutzung in vielerlei Hinsicht „geformt“, zum Teil auch formalisiert worden ist (s. z. B. den Richtervorbehalt bei Telekommunikationsüberwachungen54 etc.). Auch ihnen kommen bereichsspezifische Ordnungs-, Speicher-, Orientierungs- und Entlastungsfunktionen zu, aber eben nur bereichsspezifische. Ob auch sie begrifflich den Rechtsformen zugeordnet werden sollen, ist eine Frage terminologischer Konvention. Jedenfalls sind sie Handlungsformen der Verwaltung.

2. Handlungsformen

Lassen sich typische (durchaus auch rechtlich geprägte) Erscheinungsformen einer Handlungspraxis der Verwaltung feststellen, die (noch) nicht zu einer Rechtsform kondensiert sind oder die sich nicht auf die Wahl einer bestimmten (in bestimmter Weise rechtlich ausgestalteten) Rechtsform begrenzen, soll von „Handlungsformen“ gesprochen werden.55 Solche können z. B. genutzt werden, wenn unterschiedliche Rechtsformen für eine konkrete Maßnahme auf variable,

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51 Siehe a. → Bd. II Bumke § 35 Rn. 1 ff., 90 ff. 52 → Rn. 5, 34 f. 53 Zu derartigen Maßnahmen s. statt vieler Frederik Rachor, Das Polizeihandeln, in:

Lisken/Denninger (Hrsg.), HPolizeiR F. Rn. 240 ff. Zum Umgang mit personenbezogenen Daten und Informationen vgl. a. → Bd. II Albers § 22.

54 Als Beispiele für den Richtervorbehalt im Polizei- und Strafprozessrecht s. z. B. § 10 c Abs. 1 S. 1 Hamb.PolDVG; § 35 Abs. 3 Nds. SOG, § 81 a Abs. 2, § 100 b Abs. 1 S. 1 u. § 128 StPO. S. ferner → Rn. 102; Josef König, Richtervorbehalt im Strafverfahrens- und Polizeirecht, Kriminalistik 2003, S. 513 ff.; Malte R. v. Kühlewein, Der Richtervorbehalt im Polizei- und Strafprozessrecht, 2001; Henner Wolter, Die Richtervorbehalte im Polizeirecht, DÖV 1997, S. 939 ff.; Christoph Gusy, Rechtsgrundlagen der Richtervorbehalte nach § 100 b StPO, GA 2003, S. 672 ff.; Andreas Voßkuhle, Der präventive Richtervorbehalt, in: FS Rainer Wahl, 2011, S. 443 ff.

55 Eine andere – den Begriff der Rechtsform allerdings sehr ausdehnende – Definition wählt Pauly, Handlungsformenlehre (Fn. 45), S. 34. Für ihn ist der Begriff Handlungsform der Oberbegriff, der die Rechtsform des Verwaltungshandelns und das „restliche Verwaltungshandeln“ (wie Realakt oder schlichtes Verwaltungshandeln) umgreift.

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A. Orientierungen einer Formenlehre

Hoffmann-Riem 895

wenn auch typische Weise kombiniert werden,56 wenn sich für das Verwaltungshandeln eine ausgebaute Rechtsform mit spezifischer „Speicherfunktion“ (noch) nicht herausgebildet hat – wie etwa für eine hoheitliche Warnung – oder wenn eine in der Rechtsordnung mit einem bestimmten Begriff versehene Handlungsform – wie etwa ein Plan – in unterschiedlichen Rechtsformen verwirklicht werden kann.57

Solche Handlungsformen entwickeln sich in der laufenden Verwaltungspraxis, konturieren sich bei hinreichender Durchsetzung immer weiter und können im weiteren Verlauf der Entwicklung zu ausgebauten Rechtsformen werden. Auch können die vorhergehenden tastenden Versuche der Praxis zur Entwicklung von Handlungsformen vom Gesetzgeber kodifiziert und dabei zu Rechtsformen gemacht werden. Die gesetzliche Ausgestaltung kann insbesondere eine Reaktion auf das Bedürfnis sein, die rechtlichen Voraussetzungen ihres Einsatzes zu konfektionieren, etwa um dem Verhältnismäßigkeits- und Bestimmtheitsgrundsatz besser Rechnung zu tragen. Beispiele sind die in den letzten Jahren erfolgten Verrechtlichungen polizeilicher Datenerhebung, -speicherung und -verarbeitung.58 Sie sind eine Fortentwicklung und Ausweitung traditioneller Erhebungsmethoden (wie erkennungsdienstliche Maßnahmen). Zu erwähnen sind etwa die Observation, der Einsatz verdeckter technischer Mittel oder verdeckter Ermittler, die polizeiliche Beobachtung59, die Telekommunikationsüberwachung60, die Rasterfahndung etc.61 Derartige bereichsspezifische Handlungsformen können eine Vielzahl von Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen und Rechtsfolgen festlegen, die allein mit der Qualifikation als Verwaltungsakt oder als schlichtes Verwaltungshandeln noch nicht erfasst sind. Ob ihre rechtliche Ausgestaltung hinreichend dicht ist, so dass ein Erkenntnisgewinn damit verbunden ist, sie auch als Rechtsform zu bezeichnen, bedarf jeweils näherer Prüfung, ist aber letztlich eine Frage terminologischer Zweckmäßigkeit.

3. Bewirkungsformen

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56 Zu den unterschiedlichen Erscheinungsformen eines Mix → Rn. 25; Bd. II Michael § 41.

57 → Fn. 36. 58 Vgl. statt vieler Martin Koch, Vergleich der Regelungen zur Datenerhebung und -

verarbeitung in den Polizeigesetzen der Länder, 1999; Hermann Pünder, Hamburgs neues Polizeirecht (Teil 2) – Änderungen des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei im Überblick, NordÖR 2005, S. 349 ff.; ders., Hamburgs neues Polizeirecht (Teil 3) – Datenerhebung durch offenen und verdeckten Einsatz technischer Mittel und präventive Telekommunikationsüberwachung, NordÖR 2005, S. 497 ff.; Urs Kramer, Das „modernste Polizeigesetz aller Länder“, VR 2005, S. 186 ff.; Gusy, PolizeiR, Rn. 201 ff., 214 ff., 268 ff.

59 Beispielsweise durch Kameraaufnahmen bei einer Großdemonstration, vgl. VG Berlin, NVwZ 2010, S. 1442 ff.

60 Zur strategischen Telefonüberwachung durch den BND s. BVerwGE 130, 180. 61 Im Hamburgischen Recht sind die entsprechenden Normen sogar in ein

besonderes Gesetz „ausgelagert“ worden (Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei); in anderen Ländern sind sie meist in das jeweilige Polizeigesetz integriert; zu den Anforderungen an solche Rechtsgrundlagen bei der Öffentlichkeitsfahndung OVG Hamburg, NVwZ-RR 2009, S. 878 ff.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

896 Hoffmann-Riem

Da die Gemeinwohlleistung von Verwaltung und Verwaltungsrecht sich nicht in erster Linie an der (Rechts- oder Handlungs-)Form, sondern an dem Beitrag des Verwaltungshandelns zur Aufgabenerfüllung, insbesondere zur Erreichung normativ erwünschter Ziele oder zur Vermeidung unerwünschter Effekte, orientiert,62 kommt die Wirkungsebene in den Blick. Soweit Folgen einschließlich Nebenfolgen eintreten, ist von Wirkungen zu sprechen. Soweit die Wirkungen gezielt angestrebt oder gegebenenfalls billigend in Kauf genommen werden, soll von Bewirkungen gesprochen werden. Die „Kunst“ guter Verwaltung besteht darin, das administrative Handeln so auszurichten, dass möglichst ohne weitere administrative Maßnahmen, insbesondere Vollzugsmaßnahmen, die beabsichtigten Wirkungen eintreten. Administrative Maßnahmen sind dementsprechend darauf angelegt, Wirkungschancen zu vermitteln. In diesem Sinne ist der Einsatz von Rechts- und Handlungsformen grundsätzlich auf Wirkungen ausgerichtet (also: auf Bewirkungen).

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Um Wirkungen erzielen zu können, reicht es häufig nicht, sich auf eine einzelne Maßnahme zu konzentrieren. Vielmehr muss sie im Kontext aller die Wirkungschancen beeinflussenden Faktoren gesehen, konzipiert und eingesetzt werden. Handelt es sich um die Bewältigung öffentlicher Aufgaben in komplexen Problemlagen, mit heterogenen Zielbündeln, verschiedenen betroffenen Behörden und anderen Akteuren, schwierig einzuschätzenden und zu prognostizierenden Folgen usw., bedarf es gegebenenfalls konzeptioneller Vorbereitung und strategischer Planung, wie sie für moderne Managementkonzepte typisch sind oder auch in Aktionsplänen umgesetzt werden.63 Derartig ganzheitlich konzipierte Vorgehensweisen entziehen sich (bisher) den in der Rechtswissenschaft anerkannten Kategorien für Formungen, dürften aber insbesondere aufgrund europarechtlicher Anstöße auch im deutschen Recht immer bedeutsamer werden.

Wenn die durch Verwaltungshandeln „erwünschten“ Wirkungen sich nicht ohne ergänzende Handlungen – etwa an die Grundverfügung anschließende Maßnahmen des Verwaltungsvollzugs – einstellen (so wenn der Adressat des Verwaltungsakts dessen Handlungsge- oder -verbote missachtet),64 kommen ergänzende Bewirkungshandlungen (etwa Ersatzvornahme oder ergänzende – z. B. ökonomische – Anreize65 oder negative Sanktionen, etwa Bußgelder) in Betracht.

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62 Gemeint ist also die durch Verwaltungshandeln erbrachte Steuerungsleistung. Zur Folgenorientierung s. a. → Bd. I Voßkuhle § 1 Rn. 32 ff., Franzius § 4 Rn. 67 ff.

63 Zu dem Problem rechtlicher Einordnung s. Margarete Schuler-Harms, Management als Rechtsfrage des Verwaltungsrechts?, Werkstattbericht, Manuskript 2012.

64 Zu Befolgungs- und Vollzugsdefiziten s. → Bd. I Reimer § 9 Rn. 88, Wißmann § 15 Rn. 17. Speziell für den Bereich von Kompensationslösungen s. Andreas Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, 1999, S. 411 ff.

65 Dazu → Bd. II Sacksofsky § 40 Rn. 5 ff. Sie definiert Anreize als Formen der Steuerung durch Recht, die erwünschtes Verhalten nicht als Rechtspflichten (verbunden mit Sanktionen) anordnen, sondern den Adressaten durch die Anknüpfung positiver bzw. negativer Folgen zum erwünschten Verhalten bringen sollen (Rn. 6). Es ist allerdings auch denkbar, Anreize zur Ergänzung der Erfüllung von Rechtspflichten vorzusehen. So gibt es etwa im Agrarrecht die Kombination von fachrechtlichen Standards mit der Subventionsgewährung. Dazu s. Catharina Meyer-

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A. Orientierungen einer Formenlehre

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Sind die Bewirkungsmaßnahmen rechtlich geformt, soll von „Bewirkungsformen“ gesprochen werden: Gemeint sind die in der Rechtsordnung bereitgestellten besonderen, zu den Rechts- oder Handlungsformen hinzukommenden Formen, die über die aus dem vorangegangenen Einsatz von Rechts- und Handlungsformen resultierenden Wirkungschancen hinausgehen und speziell auf die Sicherung der angestrebten Wirkungen gerichtet sind, also die erwünschte Reaktion des Adressaten auf die vorangegangenen legislativen oder administrativen Maßnahmen forcieren.66 Der Begriff betrifft also einen bestimmten Typ des Handelns (das sich im Übrigen auch bestimmten Rechts- oder Handlungsformen zuordnen lassen kann).

Rechtliche Aufmerksamkeit verdienen in erster Linie die zur Umsetzung der in der jeweiligen Rechts- oder Handlungsform angelegten Inhalte eingesetzten Maßnahmen, etwa zur Sicherung der Befolgung der ausgesprochenen Ge- und Verbote (Bewirkungen ersten Grades). Die Rechtsordnung stellt besondere Formen zur Sicherung des Vollzugs vorangegangener administrativer Maßnahmen bereit – soweit die Verwaltung nicht zur Selbstvornahme schreitet.67 Spezifische Bewirkungsformen dieses Typs sind im Bereich der Verwaltungsvollstreckung für die Erzwingung von Handlungen, Duldungen und Unterlassungen die Ersatzvornahme, der unmittelbare Zwang, die Festsetzung eines Zwangsgeldes und die Erzwingungshaft68 sowie für die Beitreibung von Geldforderungen die Vollstreckung in das Vermögen,69 gegebenenfalls sogar Ordnungswidrigkeiten- und Strafsanktionen. Der Einsatz solcher Maßnahmen zielt auf Bewirkungen ersten Grades, nämlich auf die durch das ursprüngliche Verwaltungshandeln angestrebten Wirkungen (etwa die Befolgung des Gebotes). Vorkehrungen zur Sicherung der Bewirkungen ersten Grades sind allerdings nicht notwendig auf den Einsatz von Zwangsmitteln beschränkt. Möglich sind auch positive oder negative Anreize. Diese können entweder zur Sicherung der Befolgung eines Ge- oder Verbots eingesetzt werden, aber auch ohne diese, indem der Anreiz als solcher Verhalten beeinflussen soll.70 Im letzteren Fall handelt es sich um die sogenannte indirekte Steuerung. Anreize können ökonomischer/finanzieller Art sein;71 es gibt aber auch andere, etwa meritorische Anreize (die Gestattung der Führung eines Umweltzeichens, Ordens u. ä.).72

In den Blick geraten nicht nur die aus eigener Initiative der auf den Erfolg ihres Handelns bedachten Verwaltung erfolgenden Bewirkungshandlungen. Von Bedeutung können auch Kontrollaktivitäten anderer Träger öffentlicher Verwaltung (Rechts- und Fachaufsicht, Haushaltsaufsicht, politische Kontrolle)

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Bolte, Agrarrechtliche Cross-Compliance als Steuerungsinstrument im europäischen Verwaltungsverbund, 2007.

66 Im europäischen Mehrebenenverbund betrifft die Bewirkungsebene auch – so bei den auf Umsetzung angelegten Richtlinien – die Befolgung der europarechtlichen Vorgaben durch die nationalen oder transnationalen Organe.

67 Dies kann aber zur Kostenabwälzung an den Pflichtigen führen, vgl. Voßkuhle, Kompensationsprinzip (Fn. 64), S. 415 f.

68 Vgl. etwa § 14 Hamb.VwVG. 69 Vgl. etwa §§ 30 ff. Hamb.VwVG. 70 Siehe dazu → Bd. II Sacksofsky § 40 Rn. 5. 71 → Bd. II Sacksofsky § 40 Rn. 13 ff. 72 → Bd. II Sacksofsky § 40 Rn. 25 ff.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

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sowie privater Dritter73 werden. Im Gewährleistungsstaat hat sich die Kontrollverantwortung vermehrt auf Private verlagert, mit der Folge der Notwendigkeit der Sicherung einer hinreichenden Gewährleistungsaufsicht.74 Dabei gewinnen kooperative und anreizorientierte Prüf- und Aufsichtsverfahren und entsprechend veränderte Aufsichtskulturen erhöhte Bedeutung.75 Die verstärkte Gewichtung der Bewirkungsdimension fordert neue Vollzugskulturen und (möglichst) maßgeschneiderte Aufsichtsarrangements. Von erheblicher Bedeutung sind auch Kontrollaktivitäten von Bürgern76, die durch Rechtsschutz auf die korrekte Bewirkungsmaßnahme hinwirken. Soweit rechtlich geschützte Interessen dadurch vernachlässigt zu werden drohen, dass die Verwaltung Handlungspflichten verletzt und damit Bewirkungen vermeidet, können auch die Bürger gegen derartiges Unterlassen tätig werden und dadurch Bewirkungshandlungen auslösen (etwa zur Vermeidung einer Missachtung des Untermaßverbots).

Mit dem Einsatz solcher Bewirkungsformen ist aber die Erreichung der mit den administrativen Maßnahmen letztlich erstrebten Wirkungen häufig noch nicht gesichert. Für die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben ist entscheidend, ob die jeweilige Maßnahme auch zu der Zielerreichung führt (etwa das Zwangsgeld zu verändertem Verhalten; die Nutzung der Subvention zum – möglichst – erfolgreichen Aufbau eines neuen Betriebs; der Einsatz von Wasserwerfern zur Beendigung gewalttätiger Auseinandersetzungen bei einer Demonstration; Bewirkungen zweiten Grades).

Die zur Erfüllung des Verwaltungszwecks oder zumindest des originären Zwecks bzw. des Hauptzwecks veranlassten Wirkungen lassen sich von weiteren Wirkungen unterscheiden, die zusätzlich bei konkreten Dritten oder gar in der Allgemeinheit ausgelöst werden. Diese Dimension betrifft die Frage, ob eine Maßnahme und ihre Implementierung weitere (Zusatz-)Effekte (z. B. allgemeine Verhaltensänderungen, wirtschaftlicher Aufschwung, Innovationsbereitschaft) auslösen (Bewirkungen dritten Grades).

Sollen die Bewirkungschancen besonders abgesichert werden, ist auch der Einsatz verschiedener Bewirkungsmaßnahmen möglich, etwa die Koppelung eines Ge- oder Verbots mit einem positiven Verhaltensanreiz.77 Ein Beispiel ist es, wenn eine Verhaltensanordnung zum Schutz der Gewässer vor der Einleitung von Abwässern nicht nur notfalls mit einer Verwaltungsvollzugsmaßnahme, sondern von vornherein zusätzlich mit Subventionen zum Bau von Kläranlagen versehen wird, damit die Umstellung des Betriebs auf eine Produktionsweise veranlasst wird, die dazu führt, dass Abwässer gar nicht erst anfallen. Das Gebot wird mit Anreizen für ein Verhalten (z. B. Bau einer Kläranlage) verbunden, das zur zukünftigen Verhinderung der Einleitung von umweltschädlichen Abwässern beiträgt

_____________________________________________________________________________________ 73 Dazu vgl. statt vieler Markus Edelbluth, Gewährleistungsaufsicht, 2008, S. 109

ff., der am Beispiel der Abfallüberwachung unterschiedliche Funktionen von Sachverständigen und unterschiedliche Beziehungen zu Behörden beschreibt.

74 Dazu übergreifend Edelbluth, Gewährleistungsaufsicht (Fn. 73). 75 Zu den Möglichkeiten vgl. Eckhard Schröter/Patrick v. Maravic/Jörg Robert,

„Smart Regulation“ bei öffentlichen Aufsichtstätigkeiten, in: Martin Brüggemeier/Klaus Lenk (Hrsg.), Bürokratieabbau im Verwaltungsvollzug, 2011, S. 211 ff.

76 Dazu s. statt vieler Edelbluth, Gewährleistungsaufsicht (Fn. 73), S. 132 ff. 77 Zur Cross-Compliance im Agrarrecht s. Meyer-Bolte, Cross-Compliance (Fn. 65).

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(Bewirkungen zweiten Grades). Die Wirkungen können aber auch noch darüber hinausgehen, wenn sie im Beispiel eine produktionstechnische Innovation stimulieren, die den Bedarf zur Klärung von Abwässern entfallen lässt oder sogar vorbildhaft für andere Unternehmen wird (dies wären Bewirkungen dritten Grades).

Während Maßnahmen zur Herbeiführung von Wirkungen ersten Grades weit-gehend – so beim Verwaltungsvollzug – rechtlich geformt sind (Bewirkungsformen), gilt dies für Maßnahmen zur Herbeiführung weiterer Wirkungen weitgehend nicht. Die Bewirkungsformen sind an den Bewirkungen ersten Grades orientiert, auch wenn mit ihnen Hoffnungen bzw. Aussichten auf weitere erwünschte Bewirkungen oder auf die Vermeidung unerwünschter Wirkungen verbunden sind. In Rechtswissenschaft und -praxis ist allerdings streitig, wieweit die Dimension der beabsichtigten/unbeabsichtigten Folgen und Folgesfolgen78 in die Klärung rechtlicher Voraussetzungen bzw. der Rechtmäßigkeit des Handelns einbezogen werden darf. Da eine steuerungswissenschaftlich orientierte Verwaltungsrechtswissenschaft auch die verschiedenen Wirkungsebenen in den Blick nimmt, ist ihr das Folgenargument vertraut. Es ist aber weiter zu fragen, wieweit Folgen und Folgesfolgen in einer Formenlehre zu berücksichtigen sind und deshalb zu klären ist, wieweit die verschiedenen Wirkungsdimensionen auf Rechtmäßigkeitsbedingungen, Fehlerfolgen und Rechtsschutzmöglichkeiten u. ä. zurückwirken. Soweit dies zu bejahen ist, besteht Anlass zur Prüfung, ob den Folgen bei der rechtlichen Formung der eingesetzten Maßnahmen – also bei der Ausgestaltung von Rechts- bzw. Handlungs- und gegebenenfalls Bewirkungsformen – hinreichend Rechnung getragen wird.

In der nicht-rechtswissenschaftlichen Literatur werden für die Wirkungen zweiten und dritten Grades häufig die Begriffe Impact und Outcome benutzt,79 _____________________________________________________________________________________

78 Zur rechtlichen Bedeutung von Folgen und Folgesfolgen s. → Bd. I Franzius § 4 Rn. 67 ff.; Karl-Peter Sommermann, Folgenforschung und Recht, in: ders. (Hrsg.), Folgen von Folgenforschung, 2002, S. 39 (46); Martina R. Deckert, Folgenorientierung in der Rechtsanwendung, 1995; ferner Gertrude Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen: Welche Rolle können Folgenerwägungen in der juristischen Regel- und Begriffsbildung spielen?, 1981; Georg Hermes, Folgenberücksichtigung in der Verwaltungspraxis und in einer entwicklungsorientierten Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Schmidt-Aß-mann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden, S. 359 ff.; Heribert Johlen, Rechtsfindung und Folgenberücksichtigung, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 1085 ff.; Carl Böhret/Gottfried Konzendorf, Handbuch Gesetzesfolgenabschätzung, 2001; Anne C. M. Meuwese, Impact Assessment in EU lawmaking, 2008; Sylvia Veit, Bessere Gesetze durch Folgenabschätzung?, 2010; Stephan Hensel/Kilian Bizer/Martin Führ/Joachim Lange (Hrsg.), Gesetzesfolgenabschätzung in der Anwendung: Perspektiven und Entwicklungstendenzen, 2010; Sebastian Klausch, Richterliche Entscheidungsfindung zwischen Dogmatik und Folgenberücksichtigung, in: FS Dieter Reuter, 2010, S. 1279 ff.; Qingbo Xhang, Juristische Argumentation durch Folgenorientierung, 2010; Carsten Lund, Gesetzesfolgenabschätzung auf europäischer Ebene und in Deutschland, VR 2011, S. 87 ff. Die Folgendimension, insbes. die Nutzung von Instrumenten zur Folgenabschätzung, sind ein besonderes Anliegen der sog. Better Regulation, vgl. etwa Kai Wegerich, Das Leitbild „Better Regulation“, 2011, S. 45 ff.

79 → Bd. I Voßkuhle § 1 Rn. 32 m. w. N. in Fn. 170. Zu den Begriffen s. ferner → Bd. I Franzius § 4 Rn. 70 ff.; Wolfgang Hoffmann-Riem, Governance im

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ohne dass insoweit allerdings eine Verknüpfung mit der Frage erfolgt, ob die Folgen angestrebt sind oder nicht. Diese Begriffe kennzeichnen die Auswirkungen des Verwaltungshandelns in dem sozialen Feld, auf das es bezogen ist, etwa – kurzfristig betrachtet – die Reaktion des Betroffenen (er verwendet die Subvention) oder Folgen für Dritte (dieser erleidet einen Auftragsrückgang wegen der Subventionierung des Konkurrenten) oder Stabilisierungen und Veränderungen von Infrastrukturen (die Errichtung eines Einkaufszentrums als Folge des Ausbaus der Verkehrswege in einem bestimmten Gebiet, sowie – langfristig betrachtet – weitere Folgen, etwa die Präzedenzwirkungen in weiteren Problemlagen vergleichbarer Art, aber auch unerwünschte Nebenwirkungen: das am Stadtrand gebaute Einkaufszentrum führt zur Schließung kleinerer Geschäfte im alten Stadtkern). Nur soweit derartige Folgen beabsichtigt sind oder doch in Kauf genommen werden, handelt es sich nach der hier verwendeten Terminologie um Bewirkungen.80

Soweit Maßnahmen janusköpfig sind, d. h. etwa für den einen eine Begünstigung, für den anderen eine Belastung darstellen – etwa bei Subventionen –-81, können die rechtlichen Formungsanforderungen jeweils unterschiedlich ausfallen. Die Zufügung eines Wettbewerbsnachteils für den Konkurrenten des Subventionierten ist regelhaft nicht Ziel der Subvention, aber absehbare Folge. Ob es zur rechtlichen Erfassung dieser Folge ausreicht, den den Subventionierten begünstigenden Verwaltungsakt zugleich als mittelbar belastenden Verwaltungsakt für den Konkurrenten anzusehen und ob die Wirkungen auf ihn zum Anlass besonderer Formungen zu nehmen sind, bedarf angesichts der Bedeutung der (Be-)Wirkungsebene einer eigenständigen Prüfung. Zu beachten ist auch bei der rechtlichen Formung des Verwaltungshandelns, dass die mit der Maßnahme typischerweise verbundenen Rechtmäßigkeitsanforderungen und Rechtsfolgen nicht für beide betroffenen Seiten voll identisch sind.

Die verschiedenen (Be-)Wirkungsdimensionen haben für die Verwaltung eine wachsende Bedeutung, soweit das Verwaltungshandeln den Besonderheiten des Gewährleistungsstaates Rechnung trägt. Das „Gewährleistungsverwaltungsrecht“82 zielt nämlich in vielerlei Hinsicht auf administrative Handlungen, die erst durch die Reaktionen im betroffenen sozialen Feld zur Erreichung der erstrebten Wirkungen führen. So ist die Regulierung von gesellschaftlicher Selbstregulierung83 darauf ausgerichtet, die Problembewältigung im gesellschaftlichen Raum zu ermöglichen und durch

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Gewährleistungsstaat, in: Gunnar Folke Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung: Vergewisserung über Stand und Entwicklungslinien, 2. Aufl. 2006, S. 195 (211 ff.); ders., Tendenzen in der Verwaltungsrechtsentwicklung, DÖV 1997, S. 433 ff.; Frank Nullmeier, Output-Steuerung und Performance Measurement, in: Bernhard Blanke u. a. (Hrsg.), Handbuch zur Verwaltungsreform, 4. Aufl. 2011, S. 465 ff.

80 Zu rechtlichen Folgerungen s. → Rn. 28 u. 53. 81 Zu ihnen – statt vieler – Maurer, VerwR § 17. 82 Siehe Andreas Voßkuhle, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher

Aufgaben und staatlicher Verantwortung, VVDStRL, Bd. 62 (2003), S. 266 (305 ff.). Vgl. a. → Bd. I ders. § 1 Rn. 61, Schulze-Fielitz § 12 Rn. 154 ff., Burgi § 18 Rn. 79 f. Zur Gewährleistungsrechtsprechung s. Wolfgang Hoffmann-Riem, Gewährleistungsrecht und Gewährleistungsrechtsprechung am Beispiel regulierender Selbstverwaltung, in: FS Reiner Schmidt, 2006, S. 447 ff.

83 Siehe a. → Bd. I Eifert § 19 Rn. 52 ff.

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Hoffmann-Riem 901

Rahmensetzungen, Strukturvorgaben, Spielregeln u. a. deren hinreichende Qualität zu sichern. Beispielsweise setzt die Verwaltung im Kontext des stimulierenden Verwaltungshandelns84 Anreize in der Erwartung, dass sie das erwünschte Verhalten von Privaten auslösen. Innovationssteuerndes Verwaltungshandeln85 kann durch Maßnahmen der Förderung, aber auch der Vorsorge und Gefahrenabwehr einen Möglichkeitsraum für Innovationen schaffen, ohne dadurch das Stattfinden von Innovationen oder gar von gesellschaftsverträglichen Innovationen zwingend zu sichern.86 Auf die verbesserte Erreichung der Bewirkungen der verschiedenen Grade kann auch die Kombination bzw. der Mix unterschiedlicher Rechts-, Handlungs- und gegebenenfalls Bewirkungsformen ausgerichtet sein, etwa das Zusammenspiel der seit langem ausgebildeten Rechtsformen des Ordnungsrechts – z. B. Festsetzung von Grenzwerten – mit ökonomischen Instrumenten – wie Subventionen87 und dem Handel mit Emissionsrechten88 – oder das Ineinandergreifen der Formen von Fremd- und Selbstkontrolle im Bereich des Umweltaudits.89 Letzteres kann beispielsweise darauf ausgerichtet sein, einerseits Gefahrenvorsorge zu betreiben, aber andererseits auch Impulse für die betroffenen Betriebe zu setzen, ihre Organisations- und Arbeitsstrukturen so zu ändern, dass nicht nur die Überwachungsziele erreicht, sondern z. B. die interne Arbeitseffizienz und damit auch die gesamtwirtschaftlich wichtige Produktivität gesteigert werden.

Da die Rechtswissenschaft seit jeher eine gewisse Scheu hat, die nicht in Rechtsformen oder rechtlich strukturierten Handlungsformen abgebildeten Maßnahmen und die von ihnen ausgelösten Wirkungen in den Blick zu nehmen,90 darf es nicht überraschen, dass die rechtliche „Formung“ der verschiedenen Bewirkungsmöglichkeiten noch nicht abgeschlossen ist und außerhalb der Bewirkungen ersten Grades vielfach keine Notwendigkeit dafür gesehen wird. Auch fällt die Formung von Bewirkungsfaktoren schwer und kann gegebenenfalls sogar kontraproduktiv sein, soweit Bewirkungen im Zusammenspiel (gegebenenfalls in rekursiver Verkoppelung) unterschiedlicher Handlungs- und Bewirkungsfaktoren angestrebt werden.91 Letztlich wird die Abklärung entsprechender Formungsbedarfe und -möglichkeiten nur gelingen, wenn die Rechtswissenschaft ihre Aufmerksamkeitsebenen ausbaut und auch die verschiedenen (Be-)Wirkungsebenen in ihrer (relativen) Eigenständigkeit wahrnimmt und gegebenenfalls als rechtserheblich anerkennt. Damit können das Recht und die Rechtswissenschaft _____________________________________________________________________________________

84 Dazu → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 127; Bd. II Sacksofsky § 40. 85 → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 128 ff.; Bd. II Pitschas § 42 Rn. 233 ff. 86 Dazu vgl. Wolfgang Hoffmann-Riem, Risiko- und Innovationsrecht im Verbund,

DV, Bd. 38 (2005), S. 145 ff.; ders., Innovationsoffenheit und Innovationsverantwortung durch Recht. Aufgaben rechtswissenschaftlicher Innovationsforschung, AöR, Bd. 131 (2006), S. 255 ff.; ders., Rückblick auf das Projekt „Recht und Innovation“, in: Martin Eifert/Wolfgang Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation, Recht und öffentliche Kommunikation, 2011, S. 295 (307 ff.).

87 → Bd. I Schulze-Fielitz § 12 Rn. 45 f.; Bd. II Sacksofsky § 40 Rn. 7, 13. 88 Dazu vgl. Sparwasser/Engel/Voßkuhle, UmweltR, § 2 Rn. 121 ff., insbes. 125 f. S. a.

→ Bd. II Sacksofsky § 40 Rn. 15, 61 ff. 89 → Bd. II Michael § 41 Rn. 44. Vgl. a. → Bd. I Schuppert § 16 Rn. 91 ff., Eifert § 19

Rn. 90 ff. 90 Siehe o. → Fn. 78. 91 Vgl. a. → Bd. I Voßkuhle § 1 Rn. 34, Franzius § 4 Rn. 80 sowie zur

Fehleranfälligkeit der Steuerung durch Anreize → Bd. II Sacksofsky § 40 Rn. 105.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

902 Hoffmann-Riem

allerdings immer komplexer werden.92 Systematisierungsleistungen können heute nicht mehr so „einfach“ erfolgen, wie zu Zeiten Otto Mayers. Eberhard Schmidt-Aßmanns Ausarbeitung zum „Allgemeinen Verwaltungsrecht als Ordnungsidee“ zeigt schon die Notwendigkeit zunehmender Ausdifferenzierung. Der verstärkte Einbau der (Be-)Wirkungsebenen in die Systembildung der Verwaltungsrechtswissenschaft wird dazu zwingen, das Bild noch komplexer zu zeichnen; als „Belohnung“ aber besteht eine Aussicht auf größere Praxisnähe durch Einbeziehung der verschiedenen Dimensionen praxisrelevanter Rechtswissenschaft.93

Zur Vermeidung von Missverständnissen sei betont, dass zu den eben behandelten (Be-)Wirkungen nicht die administrative Entscheidung als Output des Verwaltungshandelns gezählt werden soll. Zum Output gehört etwa der Erlass des Verwaltungsakts oder der Abschluss eines Verwaltungsvertrages selbst.94 Der Begriff der Bewirkungsformen soll vielmehr nur rechtlich „geformte“ Maßnahmen zur Erreichung der über die Schaffung solcher Rechtsakte hinausgehenden angestrebten Wirkungen erfassen. Er ist insbesondere auf die in der Rechtsordnung vorgesehenen Maßnahmen zur Sicherung der Bewirkungen ersten Grades bezogen.

Besonders schwierig ist die rechtliche Unterscheidung von Handlungs- und Bewirkungsebenen, wenn die (beabsichtigten) Wirkungen erst durch die Zwischenschaltung eines Dritten entstehen, wie etwa häufig bei staatlichem Informationsverhalten, das zu entsprechendem Verhalten (etwa der Konsumenten) führt, das letztlich nachteilig für weitere Personen (etwa Verkäufer oder Dienstleister) wirkt. Rechtliche Anforderungen können insoweit nur an die dem Staat zurechenbare Ausgangshandlung (etwa die Informationsgewährung) geknüpft werden, nicht etwa an das dadurch ausgelöste, im Belieben stehende Verhalten Dritter. Daher empfiehlt es sich nicht, die Einwirkungen durch diese zwischengeschalteten Dritten selbst der Rubrik der (staatlichen) Bewirkungsformen zuzuordnen.

Zielt das Informationshandeln (als Realhandeln bzw. schlichtes Verwaltungshandeln) auf die (meist nur mittelbare) Wirkung bei den weiteren Personen (in obigem Beispiel den Verkäufern oder Dienstleistern) oder nimmt es diese mindestens billigend in Kauf95, kann dieser Umstand auf die rechtlichen Voraussetzungen der Handlungsform (hier der Informationsgewährung) zurückwirken. Nach der Rechtsprechung sind die für Eingriffe maßgebenden rechtlichen Anforderungen auch einzuhalten, wenn eine staatliche Tätigkeit (prototypisch etwa eine Informationstätigkeit) in der Zielsetzung und in den Wirkungen Ersatz für eine staatliche Maßnahme ist, die als Eingriff zu qualifizieren wäre (funktionales Äquivalent eines Eingriffs).96 Das bedeutet nicht notwendig, _____________________________________________________________________________________

92 Darauf ist bei der Zuteilung von Entscheidungsverantwortung, insbes. der Zuordnung von administrativen Eigenständigkeiten und gerichtlicher Kontrolle, Rücksicht zu nehmen, → Rn. 120 sowie Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 83 ff.

93 Siehe aber auch unten → Rn. 119. 94 Siehe a. → Bd. I Voßkuhle § 1 Rn. 32, Franzius § 4 Rn. 70 f. 95 Siehe hierzu BVerfG, NJW 2011, S. 511 ff. 96 Dazu s. BVerfGE 105, 252 (273); 105, 279 (303); BVerwG, NJW 2006, S. 1303

(1304); die rechtliche Handhabbarmachung von Informationen wurde – insbes. durch die Gerichte – für den Fall von Eingriffen entwickelt und für Informationsansprüche durch neue gesetzliche Regelungen wie das Umweltinformationsgesetz, das Informationsfreiheitsgesetz oder zuletzt das Verbraucherinformationsgesetz begleitet.

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A. Orientierungen einer Formenlehre

Hoffmann-Riem 903

dass nur die ausdrücklich für solche Eingriffe verfügbaren Rechts- und Handlungsformen zur Erfüllung der öffentlichen Aufgabe eingesetzt werden dürfen, wohl aber, dass die für Eingriffe geltenden rechtlichen Restriktionen auch zu beachten sind, wenn Bewirkungen durch funktionale Äquivalente eines Eingriffs erzielt werden.97 Abzulehnen ist demgegenüber die Forderung, dass jegliche beeinträch-tigenden Wirkungen durch Realhandeln, also auch soweit es sich nicht um funktionale Äquivalente von Eingriffen handelt, den spezifischen rechtlichen Voraussetzungen von Eingriffen zu unterwerfen sind und deshalb in einer gesetzlichen Ermächtigung fundiert und entsprechend rechtlich geformt sein müssen.98

4. Kein Exklusivitätsverhältnis zwischen Rechts-, Handlungs- und

Bewirkungsformen Bei den Bemühungen um die Erfassung und Systematisierung der Erscheinungen

rechtlich ausgestalteter Formungen ist zu berücksichtigen, dass die (heuristischen) Begriffe Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen nicht derart im Exklusivitätsverhältnis zueinander stehen, dass ein Verwaltungshandeln stets nur durch eine der drei Formen geprägt oder gekennzeichnet ist. Es gibt Kumulationen, Überlappungen und fließende Übergänge; insbesondere ist zu beachten, dass der Begriff der Bewirkungsformen auf einer anderen Bezugsebene (der Bewirkungsdimension) angesiedelt ist als die beiden anderen Begriffe, die sich auf jedwedes Verwaltungshandeln beziehen können, also auch auf das Bewirkungshandeln. Der Begriff der Bewirkungsform soll die Aufmerksamkeit auf eine in der Dogmatik meist vernachlässigte, für die Arbeitspraxis der Verwaltung aber sehr wichtige Dimension richten.

Trotz Überschneidungen kann es bei der rechtlichen Durchdringung insbesondere komplexen Verwaltungshandelns sinnvoll sein, ein konkretes Verwaltungshandeln darauf zu besehen, welcher der Formungstypen verwendet, also insbesondere, welche Handlungsform gewählt wurde, wieweit eine spezifische Rechtsform genutzt wurde und ob zusätzliche Bewirkungsformen eingesetzt wurden. Durch die drei Begriffe werden die je spezifischen Fokussierungen der Blickrichtung gekennzeichnet. Der Umgang mit den verschiedenen Blickrichtungen wird allerdings schwierig, wenn Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen einander so überlagern, dass es allenfalls für analytische Zwecke und gegebenenfalls nur unter Einsatz von Fiktionen gelingt, sie auseinander zu halten. So enthalten die polizeilichen Standardmaßnahmen, wie etwa das Anhalten oder die Durchsuchung, neben der (gegebenenfalls fingierten) Grundverfügung zugleich vollstreckungsrechtliche Elemente.99 Ein andersartiges _____________________________________________________________________________________

97 Siehe auch → Rn. 113 sowie → Fn. 215. 98 Zu diesem Problemfeld s. → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 137; Christian Bumke,

Publikumsinformationen – Erscheinungsformen, Funktionen und verfassungsrechtlicher Rahmen einer Handlungsform des Gewährleistungsstaates, DV, Bd. 37 (2004), S. 3 ff., insbes. 11 ff.; → Bd. II Gusy § 23 Rn. 101 f., 104, Pitschas § 42 Rn. 87 f. S. aber demgegenüber auch Friedrich Schoch, Entformalisierung staatlichen Handelns, in: HStR III, § 37 Rn. 53 ff., insbes. 72 ff. m. w. N., der insoweit allerdings den Eingriffscharakter bejaht.

99 Vgl. Würtenberger/Heckmann, PolizeiR, Rn. 317. Näher zu Vollstreckungsvoraussetzungen und -mitteln → Bd. III Waldhoff § 46 Rn. 106 ff.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

904 Hoffmann-Riem

Beispiel möglicher Zuordnung von Handlungs- und Bewirkungsebene stellt der sofortige Vollzug oder die „unmittelbare Ausführung“ im Polizeirecht dar, bei denen ein Zwangseinsatz ohne vorausgehenden Verwaltungsakt erfolgt bzw. Grundverfügung und Zwangsmittel zusammenfallen.100

III. Vorbildfunktion des Verwaltungsakts für die überkommene Rechtsformenlehre bei einzelfallbezogenem Verwaltungshandeln

Die Einbettung der überkommenen Rechtsformenlehre in das Bemühen um die

Befriedigung rechtsstaatlicher Desiderata und die Ahnherrenschaft Otto Mayers101 machen verständlich, dass der Prototyp dieser Rechtsformenlehre im Hinblick auf einzelfallbezogenes Verwaltungshandeln der Verwaltungsakt ist (unter Einschluss der Allgemeinverfügung102, s. § 35 S. 2 VwVfG). Mit der Wahl dieser Rechtsform sind regelmäßig bestimmte Wirkungsfaktoren verbunden, die sich jedenfalls teilweise, aber doch auf kennzeichnende Weise von denen anderer Rechtsformen unterscheiden.103 Typisch für den Verwaltungsakt sind – wie oben angedeutet104 – beispielsweise bestimmte Bindungswirkungen105 (Verbindlichkeit für den Bürger, Bestandskraft gegenüber der erlassenden Behörde,106 Tatbestandswirkung für andere Hoheitsträger u. a.) sowie Möglichkeiten zur Aufweichung der Bindung (bedingt durch Nebenbestimmungen oder die allgemeinen Regeln über Widerruf und Rücknahme), aber auch Vollstreckungswirkungen (Titel- und Vollstreckungsfunktion des Verwaltungsakts107). Früher wurde auch die Rechtsschutz eröffnende Funktion betont;108 heute sind mit den Formen des

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100 Beide Rechtsinstitute sind in den verschiedenen Landespolizeigesetzen allerdings zum Teil unterschiedlich ausgestaltet: Zum Teil gibt es beide parallel, zum Teil nur eines von beiden, s. Erhard Denninger, Polizeiaufgaben, in: Lisken/Denninger (Hrsg.), HPolizeiR, E. Rn. 165 ff.

101 Siehe Mayer, VerwR I, S. 92 ff. Vgl. → Bd. I Stolleis § 2 Rn. 60 ff. 102 Zur Abgrenzung einer adressatenbezogenen Allgemeinverfügung gegenüber

einem Rechtssatz OVG Saarlouis, NVwZ 2011, S. 190 ff. 103 → Bd. II Bumke § 35 Rn. 2 und passim. Bumke betont in Rn. 81 ff. weiter die

Gestaltungs- und Stabilisierungsfunktion des Verwaltungsakts. In der Literatur werden etwa herausgearbeitet: Die Konkretisierungsfunktion, die Titel- bzw. Vollstreckungsfunktion, die Verfahrensfunktion und die Rechtsschutzfunktion (so etwa Kyrill-Alexander Schwarz, in: Hk-VerwR, § 35 VwVfG Rn. 65 ff.). Ferner werden beispielsweise benannt: Klarstellungs-, Rechtssicherheits-, Stabilisierungs- und Bindungsfunktionen.

104 → Rn. 2. Aus der Literatur s. statt vieler Ruffert, Bedeutung (Fn. 50), § 21 Rn. 7 ff.

105 → Bd. II Bumke § 35 Rn. 42 ff. 106 Diese ist aber in unterschiedlichen Rechtsgebieten unterschiedlich

ausgestaltet, so im Sozialrecht (§ 44 SGB X) anders als allgemein im Verwaltungsrecht (s. §§ 48 ff. VwVfG).

107 Siehe statt vieler Krause, Rechtsformen (Fn. 15), S. 184 f.; Udo Di Fabio, System der Handlungsformen und Fehlerfolgenlehre, in: Becker-Schwarze u. a. (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen (Fn. 45), S. 47 (49).

108 → Bd. II Bumke § 35 Rn. 13; Ruffert, Bedeutung (Fn. 50), § 21 Rn. 3 f. Diese Funktion hat heute unter der Geltung des Art. 19 Abs. 4 GG nicht mehr ihre ursprüngliche Bedeutung, s. BVerwGE 60, 144 (148); 77, 268 (274 f.).

30

A. Orientierungen einer Formenlehre

Hoffmann-Riem 905

Verwaltungsakts in prozessualer Hinsicht nur noch gewisse Weichenstellungen verbunden, so in Richtung auf die Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage.109

Die Zentralfunktion der Rechtsform des Verwaltungsakts begründet zugleich Ansatzpunkte der Kritik, so als Hans Zacher den Verwaltungsakt als „begriffsjuristischen Popanz in der Mitte des Systems des Verwaltungshandelns“ kritisierte110 oder Joachim Martens111 ihn als Relikt obrigkeitsstaatlicher Denktraditionen stigmatisierte. Da die rechtliche Formung des Verwaltungsakts auch Vergleichsmuster der Herausbildung anderer Rechts- und Handlungsformen geworden ist, kann Kritik an ihm auf die Rechtsformenlehre insgesamt ausstrahlen.112 Die Kritik der Verankerung des Verwaltungsakts in obrigkeitlichen Konzepten113 oder der Begriffsjurisprudenz sind allerdings bei der hier befürworteten Differenzierung unberechtigt; insbesondere übersieht sie die Vielfalt der Erscheinungsformen des Verwaltungsakts. Eher berechtigt ist die Kritik an dem (zu) hohen – von konkreten Aufgaben, Zwecken, Interessen und Wirkungen abgelösten und Differenzierungen nivellierenden – Abstraktionsgrad des Begriffs und der tatbestandlichen Einzelelemente sowie der ausgelösten Rechtsfolgen.114 Dies kann angesichts der gestiegenen Ausdifferenzierung der Rechtsordnung kontraproduktiv sein oder zumindest zur Ergänzung durch bereichsspezifische Rechts- und Handlungsformen – jedenfalls zur Herausarbeitung von spezifisch eingegrenzten Verwaltungsakts-Typen115 – nötigen.116 Auch die „Entfremdung von der Wirklichkeit“ wird als „Kehrseite der Perfektionierung der Formenlehre“ bezeichnet.117 Die oben befürwortete Ausweitung des Blicks auf Handlungs- und Bewirkungsformen soll gerade dazu beitragen, die rechtswissenschaftliche Formenlehre (wieder) mit der Wirklichkeit der sehr vielfältigen Praxis zu versöhnen. Dies setzt allerdings Weiterentwicklungen der traditionellen Formenlehre voraus.

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109 Vgl. dazu Ossenbühl, Handlungsformen (Fn. 3), S. 683 f.; Krause, Rechtsformen (Fn. 15), S. 176 ff.; → Rn. 57 sowie → Bd. II Bumke § 35 Rn. 73 mit Fn. 269.

110 Franz Zacher, Die Sozialversicherung als Teil des öffentlichen Rechts, in: FS Kurt Jantz, 1968, S. 29 (38).

111 Joachim Martens, Die Praxis des Verwaltungsverfahrens, 1985, S. 159 ff.; ders., Der Bürger als Verwaltungsuntertan?, KritV 1986, S. 104 ff.

112 Dabei ist allerdings zunächst zu klären, inwieweit die Kritik berechtigt ist, also z. B., ob der Verwaltungsakt sich zwischenzeitlich hinreichend von seinem obrigkeitsstaatlichen Element emanzipiert hat oder doch jedenfalls auch ohne Verhaftung an die Tradition nutzbar ist; so etwa zutreffend → Bd. II Bumke § 35 Rn. 41.

113 Zur Frage der Berechtigung der Kritik s. a. Ruffert, Bedeutung (Fn. 50), § 21 Rn. 1 mit Fn. 1.

114 Zur Kritik s. etwa Rainer Pitschas, Entwicklung der Handlungsformen im Verwaltungsrecht – Vom Formendualismus des Verwaltungsverfahrens zur Ausdifferenzierung der Handlungsformen, in: Willi Blümel/Rainer Pitschas (Hrsg.), Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994, S. 229 (244 ff.).

115 → Bd. II Bumke § 35 Rn. 87 ff. Zum – in der öffentlich-rechtlichen Literatur meist vernachlässigten – Justizverwaltungsakt s. etwa Sebastian Conrad, Der soge-nannte Justizverwaltungsakt, 2011.

116 Vgl. aber die Kritik von Krause, Rechtsformen (Fn. 15), S. 381: Die Aufgabe des Verwaltungsrechts, das Verwaltungshandeln prospektiv, institutionell und restriktiv einzufangen, ist noch nicht geleistet, wenn die Zuordnung zum Begriff des Verwaltungsakts gelungen ist.

117 → Bd. II Michael § 41 Rn. 3.

31

§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

906 Hoffmann-Riem

Der Abstraktionsgrad der traditionellen Formenlehre wird andererseits gerade wegen der dadurch bewirkten Distanzschaffung auch positiv bewertet.118 Es dürfte sachgerecht sein, die Rechtsformen gegenstands- oder problembezogen weiter auszudifferenzieren und zu systematisieren. So verschleiert der Verweis auf die übergreifende Rechtsform des Verwaltungsakts, dass es eine Vielfalt unterschiedlicher Typen von Verwaltungsakten gibt, die ihrerseits nach spezifischer Systematisierung und damit nach Ordnung rufen.119 Ferner ist darauf zu reagieren, dass die verschiedenen Teile des Besonderen Verwaltungsrechts eigenständige Ausformungen und Weiterentwicklungen erfahren haben120 und unterschiedliche Zuordnungen verschiedener Teilakte (etwa miteinander verkoppelte Stufungen121) kennen. Auch kann es sinnvoll sein, in je unterschiedlichen Referenzgebieten je unterschiedliche gebietsbezogene Rechts- und Handlungsformen herauszuarbeiten. Beispielsweise kennt das Recht der Netzwirtschaften die Rechtsform der Versteigerung (§ 61 Abs. 5 TKG). Die Versteigerung ist eine in einem gestuften Verwaltungsverfahren nutzbare Alternative des Verfahrens der Lizenzzuteilung.122 Die Teilhabe am Versteigerungsverfahren und damit auch die Zuschlagserteilung setzen die Prüfung der Mindestanforderungen an die Eignung voraus.123 An die

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118 So etwa Schmidt-Aßmann, Rechtsformen (Fn. 12), S. 536 f.; ders., Ordnungsidee, Kap. 6 Rn. 20.

119 → Bd. II Bumke § 35 Rn. 87 ff. Aus der allgemeinen Literatur vgl. statt vieler Achterberg, VerwR, § 20 Rn. 67 ff.; Maurer, VerwR, § 9 Rn. 44 sowie Schwarz, in: Hk-VerwR, § 35 VwVfG Rn. 20 ff. Vorgeschlagen bzw. referiert wird dort folgende Systematisierung: I. Systematisierung nach dem Inhalt des Verwaltungsakts. 1. Verwaltungsakte mit beschränktem Regelungsgehalt. a) Die Teilgenehmigung. b) Der Vorbescheid. c) Der vorläufige Verwaltungsakt (vgl. hierzu BVerwGE 135, 238). d) Der vorsorgliche Verwaltungsakt. 2. Verwaltungsakte, die von der Mitwirkung anderer abhängig sind. a) Der mehrstufige Verwaltungsakt. b) Der mitwirkungsbedürftige Verwaltungsakt. 3. Sonstige Formen des Verwaltungsakts. a) Der verfügende Verwaltungsakt. b) Der gewährende Verwaltungsakt. c) Der gestattende Verwaltungsakt. d) Der feststellende Verwaltungsakt. e) Der rechtsgestaltende Verwaltungsakt. f) Der streitentscheidende Verwaltungsakt. g) Der dingliche Verwaltungsakt. h) Der Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (zu letzterem gehören insbes. Verkehrszeichen: std. Rspr. BVerwG, NJW 2011, S. 1527 [1528]). II. Systematisierung nach der Form des Verwaltungsakts. 1. Schriftlicher oder beurkundender Verwaltungsakt. 2. Mündlicher Verwaltungsakt. 3. Konkludenter und fiktiver Verwaltungsakt. III. Systematisierung nach den Rechtswirkungen des Verwaltungsakts. 1. Der begünstigende Verwaltungsakt. 2. Der belastende Verwaltungsakt. 3. Der Verwaltungsakt mit Doppelwirkung. 4. Der privatrechtsgestaltende Verwaltungsakt. 5. Der „Schein“-Verwaltungsakt. 6. Der akzessorische Verwaltungsakt.

120 Pilotfunktion hatte insofern das Abgabenrecht, s. §§ 73 ff. RAO 1919. 121 Zu gestuften Verfahren s. u. → Fn. 273. 122 Zur näheren Ausgestaltung s. statt vieler Susanne Bumke, Frequenzvergabe

nach dem Telekommunikationsgesetz. Unter besonderer Berücksichtigung der Integration ökonomischer Handlungsrationalität in das Verwaltungsverfahren, 2006; Klaas Kruhl, Die Versteigerung knapper Frequenzen, 2003; Jörn A. Kämmerer, Gemeingüter unter dem Hammer, NVwZ 2002, S. 161 ff.; Winfried Wegmann, in: Franz J. Säcker (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Telekommunikationsgesetz, 2. Aufl. 2009, § 61 Rn. 31 ff.; Florian Becker, Die Versteigerung von UMTS-Lizenzen: eine neuartige Form der Allokation von Rechten, DV, Bd. 35 (2002), S. 1 ff.; Rüdiger Breuer, Verfassungsrecht und Versteigerungsverfahren nach § 11 Telekommunikationsgesetz, in: FS Hartmut Maurer, 2001, S. 25 ff.

123 Dazu vgl. Bumke, Frequenzvergabe (Fn. 122), S. 122 ff.

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A. Orientierungen einer Formenlehre

Hoffmann-Riem 907

Zuschlagserteilung knüpft die Frequenzzuteilung an (insbesondere §§ 55, 60 TKG). Zur Frequenzzuteilung darf es aber nur kommen, wenn zuvor die verschiedenen internationalen und nationalen Planungsstufen der Frequenzordnung durchlaufen sind (nach deutschem Recht: §§ 52 ff. TKG). Natürlich kann es in bestimmten Hinsichten (z. B. bei der Ermittlung der Klageart) Sinn machen, jeden Einzelakt einer abstrakten Rechtsform zuzuordnen, etwa die Frequenzzuteilung als Verwaltungsakt zu behandeln. Dessen inhaltliche Verzahnung mit den vorgelagerten Maßnahmen, die gegebenenfalls sehr komplex und höchst unterschiedliche Rechts- und Handlungsformen nutzen (z. B. Plan, Verordnung), muss dann aber anderweitig gesichert werden. Ähnlich komplex sind die Rechts- und Handlungsformen im Luftreinhalte- und Lärmschutzrecht (vgl. §§ 41 ff., 44 ff. BImSchG) oder im Geräte- und Produktsicherheitsrecht. Letzteres unterscheidet beispielsweise die Akkreditierung einer Zertifizierungsstelle von der Zertifizierung als Prüfungsbescheinigung. Die jeweiligen Regelungen knüpfen an diese Formen bestimmte Rechtsfolgen. Auch wenn sich Einzelelemente tradierter Rechtsformen wiederfinden lassen und dementsprechend traditionelle Klassifizierungen möglich erscheinen – so etwa die der Akkreditierung als Verwaltungsakt (§ 11 GPSG) –, sind mit einer solchen Qualifikation eines Teilakts keineswegs die wesentlichen Wirkungen in den Blick genommen124 – so etwa die Art der Gewährleistung von Produktsicherheit durch Einwirkung auf die Voraussetzungen der Ermöglichung der (privatrechtlichen) Zertifizierung seitens der akkreditierten Stelle.125

Der Verwaltungsakt dient allerdings in allen Bereichen des Verwaltungshandelns – also nicht nur bei der eingreifenden, sondern auch bei der leistenden, planenden oder Infrastruktur bereit stellenden Verwaltungstätigkeit –126 als Mittel, mit dem weiterhin typischen Entscheidungsergebnissen Form gegeben wird127 und mit dem weiterhin typische Rechtsfolgen verbunden sind. Die praktische Brauchbarkeit einer Rechtsformenorientierung wird sich allerdings am ehesten weiter ausbauen lassen, wenn die hohe Abstraktionsebene verlassen wird, sobald rechtsgebietsbezogene Sonderentwicklungen es angezeigt erscheinen lassen, entsprechende Differenzierungen und Modifikationen in der Rechtsformenlehre vorzunehmen und die Systematisierung nicht allein an den für (jeden) Verwaltungsakt typischen Rechtsfolgen, sondern an rechtsgebietsbezogenen typischen Rechtsfolgen auszurichten (z. B. im Bau-, Telekommunikations-, Energie-, Sozialrecht u. ä.) sowie evtl. auch tatsächliche Folgen einzubeziehen. Für Differenzierungen besteht auch angesichts der europäischen Integration Anlass, da ausländische Rechtsordnungen zum Teil andere Systematisierungen kennen, die spätestens dann für das deutsche Recht folgenreich werden, wenn administrative Akte anderer Rechtsordnungen transnationale Geltung erlangen.128 _____________________________________________________________________________________

124 Näher dazu Hermann Pünder, Zertifizierung und Akkreditierung – Private Qualitätskontrolle unter staatlicher Gewährleistungsverantwortung, ZHR 2006, S. 567 ff.; Andreas Voßkuhle, Strukturen und Bauformen ausgewählter neuer Verfahren, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 277 (310 ff., 318 ff.).

125 Ob diese Hoheitsträger ist, ist umstritten. Dafür etwa Voßkuhle, Neue Verfahren (Fn. 124), S. 313; a. M. Pünder, Zertifizierung (Fn. 124).

126 Zu den Grundmodi der Aufgabenwahrnehmung vgl. a. → Bd. I Schulze-Fielitz § 12.

127 Vgl. Schmidt-Aßmann, Rechtsformen (Fn. 12), S. 536. 128 → Rn. 83.

33

§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

908 Hoffmann-Riem

IV. Ausweitung auf Formen von Realhandlungen

und des schlichten Verwaltungshandelns Die rechtliche Formung des Verwaltungshandelns in Gestalt anderer öffentlich-

rechtlicher Willenserklärungen, des öffentlich-rechtlichen Vertrages – der als anerkannte Handlungsform erst relativ spät in die deutsche Verwaltungsrechtsdogmatik und das kodifizierte Recht aufgenommen worden ist – oder des Realakts ist meist geringer als die des Verwaltungsakts. Die begrenzte Formung kann an der Vielfalt von Erscheinungen studiert werden, die den Kategorien der Realhandlungen oder des schlichten Verwaltungshandelns129 oder auch des informalen Verwaltungshandelns130 zugeordnet werden. Zu erwähnen sind insoweit u. a.:131 – Vollzugs- und Erfüllungshandlungen (z. B. unmittelbarer Zwang); – vorbereitende Handlungen mit rein faktischen Wirkungen, etwa Verständigungen

im Vorfeld;132 – Wissenserklärungen (wie Auskünfte, Mitteilungen, Belehrungen, Hinweise);133 – Entwicklung von Konzepten und Strategien; – Überprüfung von Entwürfen;134 – Duldung rechtswidrigen Verhaltens;135 – öffentliche Aufklärung, etwa Information über Rechte und Pflichten oder über

Gefährdungslagen;136 – Empfehlungen und Warnungen;137 – Bekanntmachung von Standards, etwa im Arzneibuch138 oder im Deutschen

Lebensmittelbuch,139 als BVT-Merkblätter im Bereich des _____________________________________________________________________________________

129 → Bd. II Hermes § 39, dort (Rn. 23 ff.) auch „Bausteine einer Vertypung“. 130 → Bd. II Fehling § 38; Schoch, Entformalisierung (Fn. 98), § 37. 131 Siehe etwa Koch/Rubel/Heselhaus, VerwR, § 3 Rn. 79; Schuppert,

Verwaltungswissenschaft, S. 252 ff.; Martin Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln: verfassungs- und verwaltungsrechtsdogmatische Strukturüberlegungen am Beispiel des Umweltrechts, 1995, S. 38 ff.; Ehlers, Verwaltung und Verwaltungsrecht (Fn. 36), § 1 Rn. 61 f.

132 → Bd. II Fehling § 38 Rn. 28 f. Zu vorbereitenden Handlungen s. ferner Ulrich Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 168.

133 Dazu s. → Bd. II Hermes § 39 Rn. 52 f., Erbguth, VerwR, § 23 Rn. 2; Koch/Rubel/Heselhaus, VerwR, § 3 Rn. 79.

134 → Bd. I Eifert § 19 Rn. 72. 135 Zu dieser Problematik s. Georg Hermes/Joachim Wieland, Die staatliche Duldung

rechtswidrigen Verhaltens: Dogmatische Folgen behördlicher Untätigkeit im Umwelt- und Steuerrecht, 1988; s. aber auch Wolfgang Hoffmann-Riem, Verwaltungskontrolle – Perspektiven, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungskontrolle, S. 325 (354 ff.). S. a. → Bd. II Fehling § 38 Rn. 34, 130 mit Fn. 396.

136 Siehe z. B. § 40 LFGB. 137 Z. B. § 8 Abs. 4 Nr. 4, 10 GPSG; § 69 Abs. 4 AMG. Zu Empfehlungen und

Warnungen allgemein s. Christoph Gusy, Verwaltung durch Information – Empfehlungen und Warnungen als Mittel des Verwaltungshandelns, NJW 2000, S. 977 ff.; Markus Heintzen, Die öffentliche Warnung als Handlungsform der Ver-waltung?, in: Becker-Schwarze u. a. (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen (Fn. 45), S. 167 ff. S. a. → Bd. II Gusy § 23 Rn. 104 ff.

138 Siehe z. B. § 55 AMG. 139 Siehe z. B. § 15 LFGB.

34

A. Orientierungen einer Formenlehre

Hoffmann-Riem 909

Emissionsschutzrechts140 oder als Amtliche Sammlung von Untersuchungsverfahren141;

– dienstliche Beurteilungen; – Monitoring142; – Errichtung und Unterhaltung öffentlicher Verkehrswege und Plätze; – Errichtung und Betrieb öffentlicher Einrichtungen, wie etwa Schulen; – Aufbau von Informationssystemen wie Datenbanken,143 Registern144 etc.; – Unterhaltung von Kommunikationsnetzwerken.145

Die Leistungstauglichkeit solcher Kategorien besteht weniger in dem Zugriff auf typisiert feststehende Rechtsfolgen als in der systematisierenden Bündelung typischer Erscheinungen der Verwaltungspraxis, um spezifische Merkmale erkennen und ihre Rechtserheblichkeit diskutieren zu können. Auch diesen Kategorien können daher insbesondere Speicher- und Entlastungsfunktionen zugeschrieben werden. Allerdings fällt es erheblich schwerer, mit der Wahl einer sol-chen „Form“ administrativen Handelns sogleich typische Rechtmäßigkeitsvoraus-setzungen, Rechtswirkungen sowie Rechtsschutz- und Vollstreckungsmöglichkeiten zu identifizieren. Es fehlt weitgehend an entsprechenden rechtlichen „Konfektionierungen“. Sollen die bei den traditionell zur Rechtsformenlehre zählenden Vorteile rechtsstaatlicher Bestimmtheit u. ä. gleichwohl möglichst erfüllt werden, kann daran angeknüpft werden, ob/dass die Rechtsordnung zumindest die Voraussetzungen des Handelns näher regelt (insofern auch „formt“). Zu einer spezifischen, alle oder die meisten Erscheinungen auch abstrakt erfassenden Formenlehre sind die dogmatischen Bemühungen um die angesprochenen Erscheinungsformen des Verwaltungshandelns noch nicht gereift. Wohl aber wird an den jeweiligen Handlungsformen dieser Typen des Verwaltungshandelns gearbeitet.146

V. Formung von Normen Zwar wird meist – wie hier auch – darauf verwiesen, dass der Verwaltungsakt

Vorbildfunktion für die moderne Formenlehre hat. Dies ist insoweit richtig, als es um einzelfallbezogenes Verwaltungshandeln geht. Als ausgebildetes Rechtsinstitut älter und seit langem auch mit Formungsanforderungen verkoppelt sind

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140 Dazu vgl. Martin Spieler, Beste verfügbare Technik und Emissionsschutzrecht. Die BVT-Merkblätter und ihre Bedeutung im emissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, 2006.

141 Siehe z. B. § 55 a AMG; § 64 LFGB. 142 Etwa nach § 51 LFGB. 143 Siehe z. B. § 67 a AMG, § 33 MPG. Dazu s. a. → Bd. II Holznagel § 24 Rn. 55; bei

der Veröffentlichung personenbezogener Daten aus solchen Datenbanken setzt aber auch die Europäische Grundrechtecharta Grenzen, vgl. EuGH, verb. Rs. C-92/09 u. C-93/09, JZ 2011, S. 201 ff.

144 Das Strahlenschutzregister, s. § 112 StrlSchutzVO; → Bd. II Holznagel § 24 Rn. 51. Vgl. allg. → Bd. II Ladeur § 21 Rn. 30 ff.

145 → Bd. II Britz § 26, Holznagel § 24; Martin Eifert, Electronic Government. Das Recht der elektronischen Verwaltung, 2006; Hermann Hill/Utz Schliesky (Hrsg.), Herausforderung e-Government, 2009

146 Vgl. → Bd. II §§ 38–41.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

910 Hoffmann-Riem

Rechtsnormen147 – und zwar das im Rechtsstaat besonders wichtige Parlamentsgesetz148, aber auch die für die Verwaltung bedeutsamen untergesetzlichen Normen (Rechtsverordnung, Satzung). Rechtsnormen verdienen nicht nur als Rechtsquellen, sondern auch als Handlungsformen und als Steuerungsmittel die Aufmerksamkeit von Praxis und Theorie.

Unter Rechtsformaspekten ist das Gesetz als Handlungsform nicht besonders schwer zu bestimmen (vgl. z. B. Art. 78 GG)149 und die Gesetzesvorbehalte geben an, wo diese Handlungsform unverzichtbar ist. Weniger eindeutig ist die Lösung, wenn Gesetze private Regelwerke – wie Standards – durch gesetzliche Verweisformeln zu Rechtsnormen „erheben“.150 Soweit es Wahlmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen hoheitlichen Handlungsformen gibt, bedarf es einer konzeptorientieren Prüfung, wieweit die Form des Gesetzes – letzteres inhaltlich verstanden nicht nur als Ankoppelung der Exekutivgewalt an das volksgewählte Parlament, sondern auch als inhaltliche und verfahrensmäßige Gewährleistung einer hinreichenden Qualität staatlich verantworteter Aufgabenerfüllung151 – der administrativen Rechtsetzung überlegen ist. Ferner ist zu klären, wie das Verhältnis des Gesetzes zur exekutivischen Rechtsetzung – verstanden als Fortsetzung und Verdichtung der aufgegebenen Qualitätsgewährleistung durch gesetzesakzessorische Normen (Maßstabsergänzung)152 – am besten gestaltet wird. Wird – soweit es nicht um Grundrechtseingriffe geht – auch ein originäres

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147 Zum Begriff und zu den Arten s. statt vieler → Bd. I Ruffert § 17 Rn. 30 ff.; Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 18 ff.; Ehlers, Verwaltung und Verwaltungsrecht (Fn. 36), § 2 Rn. 7; Möstl, Handlungsformen (Fn. 18), § 19 und 20.

148 → Bd. I Reimer § 9. 149 Siehe aber BVerfGE 114, 196 (234 ff.): Qualifizierung der durch eine gesetzliche

Änderung einer Verordnung geschaffenen Rechtsform als Verordnung. 150 Dazu s. statt vieler Lothar Michael, Private Standardsetter und demokratisch

legitimierte Rechtsetzung, in: Hartmut Bauer u. a. (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, S. 431 ff. sowie aus der älteren Literatur Rüdiger Breuer, Direkte und indirekte Rezeption technischer Regeln durch die Rechtsordnung, AöR, Bd. 101 (1976), S. 46 ff.; Peter Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979; Matthias Schwierz, Die Privatisierung des Staates am Beispiel der Verweisungen auf die Regelwerke privater Regelgeber im technischen Sicherheitsrecht, 1986 sowie unten → Fn. 396. Vgl. weiterhin → Bd. I Ruffert § 17 Rn. 85 ff., Eifert § 19 Rn. 61 ff.; Gunnar Folke Schuppert/Christian Bumke, Verfassungsrechtliche Grenzen privater Standardsetzung – Vorüberlegungen zu einer Theorie der Wahl rechtlicher Regelungsformen (Regulatory Choice), in: Detlef Kleindiek/Wolfgang Oehler (Hrsg.), Die Zukunft des deutschen Bilanzrechts im Zeichen internationaler Rechnungslegung und privater Standardsetzung, 2000, S. 71 ff.; Steffen Augsberg, Rechtsetzung zwischen Staat und Gesellschaft, 2003; Florian Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005; ders., Staatlich-private Rechtsetzung in globalisierten Finanzmärkten, ZG 2009, S. 123 ff.; Anne Röthel, Lex mercatoria, lex sportiva, lex technica – Private Rechtsetzung jenseits des Nationalstaates?, JZ 2007, S. 755 ff.; Britta B. Wiegand, Die Beleihung mit Normsetzungskompetenzen, 2008; Klaus Rennert, Beleihung zur Rechtsetzung?, JZ 2009, S. 976 ff.

151 Dazu s. Wolfgang Hoffmann-Riem, Gesetz und Gesetzesvorbehalt heute. Zur Qualitäts-Gewährleistung durch Normen, AöR, Bd. 130 (2005), S. 5 ff.

152 Dazu s. → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 85 f.

A. Orientierungen einer Formenlehre

Hoffmann-Riem 911

Verordnungsrecht der Exekutive anerkannt,153 gibt es zusätzliche Austauschmöglichkeiten mit anderen Formen exekutivischer Rechtsetzung. Während Rechtsverordnungen als gesetzesakzessorische exekutive Normsetzung und Satzungen als Normsetzung im Zuge autonomer (nur zum Teil gesetzesakzessorischer154) Gestaltung durch Selbstverwaltungsträger155 seit langem durch die Art und den Inhalt der gesetzlichen Ermächtigungen und das Verfahren ihres Erlasses156 geformt sind, ist dies für Pläne,157 auch solche mit Normcharakter, oder für Verwaltungsvorschriften weniger der Fall. Soweit in der Literatur Formungserfordernisse für letztere behandelt werden, geschieht dies meist aus verfassungsrechtlicher Perspektive (etwa hinsichtlich der Frage, ob eine Verwaltungsvorschrift verfassungsrechtlich für die Herbeiführung der beabsichtigten Rechtsfolgen ausreicht). Verwaltungsvorschriften gibt es in großer inhaltlicher sowie terminologischer158 Vielfalt und die Fragen ihrer dogmatischen Einordnung159 und ihrer Rechtswirkungen160 für die Bürger (also nicht nur ihre unbestrittene Anleitungswirkung für die Verwaltung) führen noch immer zu erheblichen Kontroversen.161 Ihre Einsetzungsfelder überschneiden sich zum Teil

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153 → Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 24; Johannes Saurer, Die Funktionen der Rechtsverordnung, 2005, S. 354 ff.; Christian Seiler, Der einheitliche Parlamentsvorbehalt, 2000, S. 185 ff.

154 Insofern bestehen – etwa im Verhältnis zur Rechtsverordnung – Unterschiede der Intensität der Gesetzesakzessorietät, zu ihnen s. etwa → Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 33 ff.

155 Zum Unterschied von Verordnungen und Satzungen s. → Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 26; Markus Heintzen, Das Rangverhältnis von Rechtsverordnung und Satzung, DV, Bd. 29 (1996), S. 17 ff.; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Kap. 6 Rn. 84 ff.; ders., Die Rechtsverordnung in ihrem Verhältnis zu Gesetz und Verwaltungsvorschriften, in: FS Klaus Vogel, 2000, S. 477 ff.; Möstl, Handlungsformen (Fn. 18), § 29 Rn. 1 ff., 11 ff.; Koch/Rubel/Heselhaus, VerwR, § 3 Rn. 109 ff.; Erbguth, VerwR, § 26 Rn. 2. Umfassend zur autonomen Normensetzung durch die Verwaltung Fritz Ossenbühl, Autonome Rechtsetzung der Verwaltung, in: HStR V, § 104.

156 Dass hier aber noch weitere Strukturierungen möglich sind, zeigt beispielhaft der (allerdings folgenlos gebliebene) UGB-KomE (etwa §§ 24–30). Ob solche Feinarbeiten rechtspolitisch sinnvoll sind, ist eine andere Frage.

157 → Bd. II Köck § 37; s. statt vieler ferner Möstl, Handlungsformen (Fn. 18), § 19 Rn. 11; zu unterschiedlichen Plantypen und den Schwierigkeiten ihrer rechtlichen Einordnung s. etwa Maurer, VerwR, § 16. 158 → Bd. I Ruffert § 17 Rn. 67 benennt als Bezeichnungen: Runderlass, Richtlinie, Merkblatt, Verlautbarung, Mitteilung, Schreiben. Möstl, Handlungsformen (Fn. 18), § 19 Rn. 13 betont, dass auch Geschäftsordnungen als Verwaltungsvorschriften anzusehen sind.

159 Hier geht es insbes. um die Frage nach der Zuordnung von Binnenrecht der Verwaltung zum Außenrecht in der Staat-Bürger-Beziehung. S. → Bd. I Ruffert § 17 Rn. 15 ff. Grundsätzlich kritisch zum „Import der Außenrechtskonzeption in den staatlichen Innenraum“ sowie für eine systemtheoretische Neuordnung der Zuordnung Markus Pöcker, Die Verrechtlichung des staatlichen Innenraums, JZ 2006, S. 1108 ff. Zum Versuch einer Neubestimmung s. a. Armin v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 439.

160 Hier geht es insbes. um den über Art. 3 Abs. 1 GG bewirkten flexiblen (Ausnahmen von der Verbindlichkeit ermöglichenden) Geltungsmodus, s. Walter Schmidt, Staats- und Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1999, Rn. 180.

161 Siehe dazu → Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 38 ff., 46 ff.

§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

912 Hoffmann-Riem

mit denen anderer Normen162 bzw. es kommt zu arbeitsteiligen Verbundlösungen zwischen legislativen und administrativen Rechtsakten.163 Die Versuche zur Typisierung sind dabei insbesondere von dem Wunsch getragen, die Art der Bindungswirkung bestimmen zu können. So werden insbesondere unterschieden:164 – Organisationsnormen einschließlich Verfahrensnormen; – norminterpretierende Verwaltungsvorschriften; – ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften; – normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften; – gesetzesvertretende Verwaltungsvorschriften.

Wird die Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft verstanden, muss die Bedeutung der jeweils betroffenen Norm als administratives Steuerungselement nachdrücklich in den Blick geraten165 und dies kann zu der Frage führen, ob Formungen – und welche – angezeigt sind, um die mit der Norm verkoppelten Bewirkungschancen zu verbessern. Anders formuliert: Wie kann insbesondere die mit den Rechtsfolgen von untergesetzlichen Normen verbundene Orientierungsfunktion ausgebaut werden? Welche typischen Wirkungsfaktoren sind mit solchen Normen verbunden (etwa: Entstehungsvoraussetzungen, möglicher Regelungsgehalt, Abhängigkeit der Gültigkeit von Fehlern, Bindungswirkungen, Vertrauensschutz, Rechtsschutz, Vollstreckbarkeit)? Derartige Fragen sind an anderer Stelle ausgebreitet worden.166

Nicht die Rechtsnatur einer außenwirksamen Norm, wohl aber den Charakter einer abstrakt-generellen Orientierung für die Amtswalter können „weiche“ Steuerungsmittel wie Leitbilder,167 Verhaltenskodizes168, Konzepte und Strategien169 oder die aus Leistungs- bzw. Zielvereinbarungen u. a.170 _____________________________________________________________________________________

162 Siehe → Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 3 (dort auch der Hinweis auf wechselseitige Austauschmöglichkeiten).

163 Dazu s. → Bd. I Eifert § 19 Rn. 45. 164 → Bd. I Ruffert § 17 Rn. 72 ff.; Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 40 ff. 165 → Rn. 6. S. ferner grundlegend zu einem modernen Normenverständnis

Gunnar Folke Schuppert, Governance und Rechtsetzung. Grundfragen einer modernen Regelungswissenschaft, 2011. Vgl. Würtenberger/Heckmann, PolizeiR, Rn. 317. Näher zu Vollstreckungsvoraussetzungen und -mitteln → Bd. III Waldhoff § 46 Rn. 106 ff.

166 → Bd. I Ruffert § 17. 167 Dazu s. → Bd. I Voßkuhle § 1 Rn. 42, Franzius § 4 Rn. 23 ff., Ruffert § 17 Rn. 79,

Eifert § 19 Rn. 156; s. ferner Jan Karstens, Rechtliche Steuerung von Umweltinnovationen durch Leitbilder: Leitbilder als materieller Kern von regulierter Selbstregulierung, in: Martin Eifert/Wolfgang Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation und rechtliche Regulierung, 2002, S. 50 ff.; Jörg Knieling, Leitbilder als Instrument des Stadtmanagements: Planungstheoretische Bezüge, Praxisbeispiele, Potenziale und Restriktionen, in: Heidi Sinning (Hrsg.), Stadtmanagement, Strategien zur Modernisierung der Stadt-Region, 2006, S. 71 ff. Speziell zu „Staatsbildern“ s. → Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 61 m. w. N. in Fn. 510.

168 → Bd. I § 4 Franzius Rn. 29 f. 169 → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 117 f. 170 Dazu vgl. → Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 65 f., Bauer § 36 Rn. 55 ff., Pitschas § 42

Rn. 52 sowie Hermann Hill, Zur Rechtsdogmatik von Zielvereinbarungen in Verwaltungen, NVwZ 2002, S. 1059 ff. m. w. N. in Fn. 2; Janis M. Baumert, Die Leistungsorientierte Bezahlung im öffentlichen Dienst: auf Grundlage von § 18 TVöD (Bund) und dem LeistungsTV-Bund, 2010, Kapitel 5; Daniel Thym, Zielvereinbarungen im Schulrecht zwischen informeller Verwaltungspraxis und

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A. Orientierungen einer Formenlehre

Hoffmann-Riem 913

stammenden internen Vorgaben – aber auch die unter dem Begriff „soft law“171 gebündelten Erscheinungen – annehmen. Soweit derartige Orientierungen das Optionenverhalten der Verwaltung steuern (sollen), können sie – etwa auf dem Wege der administrativen Selbstbindung (Art. 3 Abs. 1 GG) – auch für den Bürger Rechtswirkungen entfalten. Besonderen Formungsanforderungen unterliegen sie aber regelmäßig nicht.

Während Gesetze üblicherweise der Ausführung durch die Verwaltung bedürfen, gibt es auch sogenannte Vollziehungsgesetze, in denen der Gesetzgeber die Vollzugsentscheidung selbst trifft und der Verwaltung allenfalls noch die Vollstreckungshandlung überlässt.172 Insbesondere bei Planungen von Großvorhaben hat der Gesetzgeber gelegentlich diese Handlungsform gewählt.173 Aber auch sonst stellt sich die Frage, ob und wieweit Normen gegebenenfalls auch ohne zusätzliche Vollzugsakte im Einzelfall wirken können (self-executing), wie z. B. gesetzliche Altershöchstgrenzen für bestimmte Berufe (vgl. § 9 SchornsteinfegerG) oder ein Bebauungsplan, der die Bebaubarkeit eines Grundstücks entfallen lässt.

Soweit die Befolgung der in Normen enthaltenen Verhaltensanforderungen auf zusätzliche Vollzugsakte angewiesen ist, bedarf es allerdings regelmäßig der Konkretisierung der Norm in einem Verwaltungsakt, so dass die Bürger auf ergänzende Orientierungen durch den Verwaltungsakt vertrauen dürfen.174 Angesichts der Steuerungswirkung von Normen wird sich künftig vermutlich vermehrt die Frage stellen, wieweit es sinnvoll ist und rechtsstaatlichen Anforderungen genügt, Normen so zu gestalten, dass es zusätzlicher Vollzugsakte oder gar gegebenenfalls ergänzender Vollstreckungsakte möglichst nicht bedarf.

VI. Berücksichtigung von Multipolarität

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rechtlicher Steuerung, RdJB 2009, S. 278 ff.; Volker Epping, Verwaltungsreform als Verwaltungsaufgabe. Akteure, Mechanismen, Instrumente, VerwArch, Bd. 99 (2008), S. 423 (441 ff.); Hans-Werner Laubinger, Beamtenrechtliche Zielvereinbarungen, in: FS Heinrich Siedentopf, 2008, S. 611 ff.

171 → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 12 mit N. in Fn. 76. 172 Zu solchen Gesetzen s. etwa Karl M. Meesen, Maßnahmegesetze,

Individualgesetze und Vollziehungsgesetze, DÖV 1970, S. 314 (317 ff.); Tanja Firgau, Exekutivgesetze: ein verfassungsmäßiger Weg zur Beschleunigung von Planungsabläufen?, 1996; Christine Reuschel-Czermak, Die Genehmigung von Großvorhaben durch Errichtungs- bzw. Investitionsmaßnahmegesetz statt durch Verwaltungsakt, 1997.

173 Vgl. etwa das Gesetz über den Bau der „Südumfahrung Stendal“ der Eisenbahnstrecke Berlin-Oebisfelde vom 29. 10. 1993, BGBl I, S. 1906 f. Dazu s. BVerfGE 95, 1 (15 ff.). Kritisch dazu statt vieler Willi Blümel, Fachplanung durch Bundesgesetz (Legalplanung), DVBl 1997, S. 205 (211); Ulrich Repkewitz, Beschleunigung der Verkehrswegeplanung, VerwArch, Bd. 88 (1997), S. 137 (154). S. auch Bernd Biervert, Der Missbrauch von Handlungsformen im Gemeinschaftsrecht. Eine Untersuchung des gemeinschaftsrechtlichen Handlungsformensystems unter Einbeziehung der Rechtsordnungen Deutschlands, Frankreichs und Englands, 1999, S. 38 ff.

174 Dies gilt gerade, wenn die Norm, insbes. als Eingriffsnorm, schwach operationalisierte Begriffe enthält. Zur Problematik s. etwa Christoph Enders u. a., Musterentwurf eines Versammlungsgesetzes, 2011, S. 53, 55.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

914 Hoffmann-Riem

Die tradierte Formenlehre des Verwaltungshandelns ist in erster Linie im Hinblick auf bipolare Rechtsbeziehungen entwickelt worden. Darin zeigt sich ihre Herkunft aus dem Eingriffsdenken, wie es für den am Modell der Trennung von Staat und Gesellschaft ausgerichteten liberalen Rechtsstaat prägend war. Die Rechtsordnung verarbeitet zunehmend multipolar ausgerichtete Verwaltungshandlungen, bei denen die Verwirklichung der Interessen des einen Betroffenen notwendig auf Kosten eines anderen geht175 oder in denen die Erbringung von Leistungen durch Dritte erfolgt.176 Auch auf solche multipolaren (Vieleck-)Beziehungen ist die Formenlehre auszurichten.177

Die Anerkennung rechtlicher Erheblichkeit von Wirkungen ist einer der Gründe, dass auch „Dritte“ in den rechtlichen Blick geraten, denen gegenüber Rechtsfolgen zwar nicht direkt gesetzt werden, aber denen gegenüber durch die an andere gerichtete Rechtsakte Wirkungen – für oder gegen sie – ausgelöst werden. Insbesondere die Ausweitung subjektiver Rechte178 und deren Zuerkennung auch an mittelbar betroffene Dritte schließt die Notwendigkeit ein, die Formen des Verwaltungshandelns auch mit Blick auf sie zu besehen und gegebenenfalls weiterzuentwickeln. Die Anerkennung des Verwaltungsakts mit Drittwirkung ist ein prominentes Ergebnis solcher Bemühungen.179 Ein wichtiger Ausgangspunkt für diese Ausweitung des Blicks auf multipolare Beziehungen ist die Berücksichtigung von Drittbetroffenen einschließlich faktischer Wirkungen in der Grundrechtsdogmatik. Die zunehmende Konstitutionalisierung der Rechtsordnung,180 also die (verfassungs-)rechtliche Durchdringung aller Rechtsbereiche, hat auch das Verwaltungshandeln erfasst. Infolge der Individualorientierung, insbesondere der Subjektivierung des Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und zwar tendenziell auch im Europarecht (s. Art. 263 Abs. 4 AEUV)181182, kommen vermehrt unterschiedliche Pole rechtlich geschützter

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175 So die Definition multipolarer Verwaltungsrechtsverhältnisse durch Matthias Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht. Das subjektive öffentliche Recht im multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnis, 2. Aufl. 2005. Auf S. 9 f. unterscheidet Schmidt-Preuß verschiedene Konstellationen solcher Rechtsbeziehungen. S. a. Wolfgang Hoffmann-Riem, Kontrolldichte und Kontrollfolgen beim nationalen und europäischen Schutz von Freiheitsrechten in mehrpoligen Rechtsverhältnissen, EuGRZ 2006, S. 249 ff.

176 So beispielsweise im Sozialrecht, s. dazu statt vieler Margarete Schuler-Harms, Einbindung Dritter in die Sozialleistungsgewährung, VSSR, Bd. 3 (2005), S. 135 ff.; dies hat weit reichende Folgen für Handlungsformen, s. a. a. O., S. 144 ff., 157 ff.

177 Vgl. etwa Di Fabio, Handlungsformen (Fn. 107), S. 49; → Bd. II Bumke § 35 Rn. 67. S. ferner unten → Rn. 110.

178 Dazu s. statt vieler Arno Scherzberg, Subjektiv-öffentliche Rechte, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), VerwR, § 12; → Bd. I Masing § 7.

179 Zu derartigen Verwaltungsakten s. → Bd. II Bumke § 35 Rn. 67; ein Beispiel für einen solchen Verwaltungsakt mit Drittwirkung ist die Stellenbesetzung öffentlicher Ämter, die in die Rechte der unterlegenen Bewerber aus Art. 33 Abs. 2 GG eingreift, BVerwG, NJW 2011, S. 695 ff.

180 Dazu s. etwa Brun-Otto Bryde, Konstitutionalisierung des Völkerrechts und Internationalisierung des Verfassungsrechts, Der Staat, Bd. 42 (2003), S. 61 ff.; Gunnar Folke Schuppert/Christian Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, 2000. S. a. → Bd. I Schmidt-Aßmann § 5 Rn. 1 ff., Ruffert § 17 Rn. 48 ff.

181 Noch zur alten Rechtslage bei Ex-Art. 230 Abs. 4 EGV EuGH, Rs. C-362/06, Slg. 2009, I-2903 – Sahlstedt.

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A. Orientierungen einer Formenlehre

Hoffmann-Riem 915

Interessen in den Blick. Eine bestimmte Verwaltungsmaßnahme – etwa eine Baugenehmigung – ist für den Bauwilligen ein begünstigender Verwaltungsakt, für den Nachbarn aber gegebenenfalls eine Belastung durch mittelbare Wirkung und angesichts eines nahe gelegenen Naturschutzgebiets können Auswirkungen auf objektiv-rechtlich geschützte Gemeinwohlzwecke einzubeziehen sein.

Verwaltungshandeln ist nicht darauf beschränkt, nur die zu subjektiven Rechten erstarkten Interessenpositionen in den Blick nehmen zu können. Die oben erwähnten Begriffe Outcome und Impact183 verweisen beispielhaft auf weitere Wirkungsdimensionen, die für die Verwaltung bei entsprechenden objektiv-rechtlichen Vorgaben verbindlich zu beachten sind oder die die Verwaltung jedenfalls beachten darf. Dadurch können gegebenenfalls auch weitere in ihren Interessen Betroffene – etwa entfernt wohnende Nachbarn, die subjektiv-rechtlichen Rechtsgüterschutz jedoch nicht in Anspruch nehmen können, oder Angehörige „zukünftiger“ Generationen – in das Aufmerksamkeitsfeld der Verwaltung bei ihrem Handeln geraten. Insofern ist beispielsweise zu klären, ob eine auf die je verschiedenen Betroffenen begrenzte isolierte Betrachtung der eingesetzten Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen angemessen ist oder ob dies zu einem Verlust an Komplexität der rechtlichen Erfassung führt. Eine Ausweitung des Blicks auf andere Interessenpositionen kann jedenfalls angezeigt sein, soweit Ermessens- und Gestaltungsentscheidungen nicht nur auf die Rechte direkt Betroffener ausgerichtet sind, sondern weitere Ziele, wie etwa die der Standortsicherung einer Gemeinde oder die Ankurbelung von Konjunktur, in den Blick nehmen (dürfen) – Bewirkungen dritten Grades –, gegebenenfalls selbst dann, wenn diese Ziele in der gesetzlichen Ermächtigung nicht aufgeführt sind, aber aufgrund anderer rechtlicher Vorgaben zulässigerweise verfolgt werden dürfen.

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182 Der Vertrag von Lissabon hat die Individualnichtigkeitsklage (Art. 263 Abs. 4 AEUV) modifiziert; zu den Änderungen s. Christoph Herrmann, Individualrechtsschutz gegen Rechtsakte der EU „mit Verordnungscharakter“ nach dem Vertrag von Lissabon, NVwZ 2011, S. 1352 ff.; Niklas Görlitz/Philipp Kubicki, Rechtsakte „mit schwierigem Charakter", EuZW 2011, S. 248 ff.; Matthias Kottmann, Plaumanns Ende: Ein Vorschlag zu Artikel 263 Abs. 4 AEUV, ZaöRV 2010, S. 547 ff.; Walter Frenz/Anna-Maria Distelrath, Klagegegenstand und Klagebefugnis von Individualnichtigkeitsklagen nach Art. 263 IV AEUV, NVwZ 2010, S. 162 ff.; Wolfram Cremer, Zum Rechtsschutz des Einzelnen gegen abgeleitetes Unionsrecht nach dem Vertrag von Lissabon, DÖV 2010, S. 58 ff.; Matthias Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011, S. 205 ff.; Wolfram Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 263 AEUV Rn. 30 ff.; Andreas Bartosch/Katja Michel, Widerspruchs- und Klageverfahren – der Rechtsschutz gegen Agenturverwaltungshandeln am Beispiel der ECHA, StoffR 2010, S. 72 ff. Für die unmittelbare Betroffenheit reicht – in Anlehnung an das französische Verwaltungsprozessrecht – jedes tatsächliche Interesse an der Aufhebung der angegriffenen Maßnahme aus; ein subjektives Recht ist insofern nicht erforderlich. Voraussetzung ist – mit Ausnahme von Art. 263 Abs. 4 Var. 3 AEUV – weiterhin aber eine „individuelle“ Betroffenheit; s. dazu die sogenannte Plaumann-Formel (EuGH, Rs. 25/62, Slg. 1963, 211 [238]; Rs C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677, Rn. 32 ff.). Eine Ausdehnung der Klagebefugnis auf Umweltschutzverbände unter Verzicht auf das Merkmal der individuellen Betroffenheit bei Art. 263 Abs. 4 AEUV lässt der EuGH nicht zu (EuGH, Rs. C-321/95 P, Slg. 1998, I-1635 – Greenpeace Council), allerdings kann eine Richtlinie den gerichtlichen Rechtsschutz für Umweltverbände erheblich erweitern (EuGH, Rs. C-115/09, NVwZ 2011, S. 801 ff. – Trianel Kohlekraftwerk Lünen).

183 → Rn. 23.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

916 Hoffmann-Riem

Noch verzweigter wird das Feld betroffener Interessen und Betroffener in komplexen Netzwerkbeziehungen,184 bei denen das Besondere der Vernetzung durch einen isolierten Blick auf eine Rechts-, Handlungs- oder Bewirkungsform oder durch deren Analyse in hierarchischen Rastern verfehlt werden würde.

VII. Erfahrungs- und Zukunftsorientierung einer Formenlehre Die Auseinandersetzung mit den Formen des Verwaltungshandelns ist

notwendigerweise ein Teil der aktuellen Diskurse über die Aufgaben der Verwaltung, über die Funktionen des Verwaltungsrechts und über die Rolle der Verwaltungsrechtswissenschaft bei der administrativen Bewältigung der je aktuell anstehenden Gemeinwohlaufgaben. Die in der Rechtsordnung normierten Voraussetzungen rechtlich geprägten oder jedenfalls rechtlich erlaubten Handelns strukturieren zugleich den Zugriff auf den normerheblichen Realbereich.185 Eine den heutigen Anforderungen gemäße Formenlehre bewährt sich daran, ob sie die erwünschten Ordnungs-, Speicher-, Orientierungs- und Entlastungsleistungen erbringen kann, ohne dass diese durch Verkürzungen bei der Problemwahrnehmung oder Defizite und Verzerrungen bei der Problembewältigung erkauft werden müssen. Solche Leistungen sind für eine Rechtsordnung umso wichtiger, je komplexer die zu bewältigenden Aufgaben, je vielfältiger die Wege der Problemlösung und je heterogener die zu berücksichtigenden Interessen und zu beteiligenden Akteure sind und je ungewisser die Aussicht auf eine befriedigende Problembewältigung ist.

Die in solchen Aufgabenfeldern einzusetzenden Rechts-, Handlungs- oder Bewirkungsformen können ein Ausdruck der Verarbeitung von Vergangenheit sein, beschränken sich aber darauf nicht. Die Herausbildung solcher Formen ist nämlich ein Zugriff auf Erfahrungsräume mit dem Ziel, Gegenwart und Zukunft zu bewältigen.186 Die Vorgehensweise ist traditionsbeladen und soll zugleich zukunftsoffen sein.187 Es wird Vergangenes geordnet, um Orientierungen für die

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184 Zu Netzwerken s. Martin Eifert, Electronic Government als gesamtstaatliche Organisationsaufgabe, ZG 2001, S. 115 passim; ders., Innovationen in und durch Netzwerkorganisationen: Relevanz, Regulierung und staatliche Einbindung, in: Martin Eifert/Wolfgang Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation und rechtliche Regulierung, 2002, S. 88 ff.; Arno Waschkuhn, Regimebildung und Netzwerke. Neue Ordnungsmuster und Interaktionsformen zur Konflikt- und Verantwortungsregulierung im Kontext politischer Steuerung, 2005; Sonderfragen der Vernetzung stellen sich etwa bei der Einbeziehung des so genannten Dritten Sektors in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben (dazu s. etwa Petra Follmar-Otto, Kooperation von Sozialverwaltung und Organisationen des Dritten Sektors – Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft am Beispiel der ambulanten sozialen Arbeit in Berlin und Hamburg, 2007) oder der Nutzung freiwilligen Engagements im Sozialrecht (s. z. B. §§ 12, 25 SGB VIII; § 29 SGB IX). S. dazu Max-Emanuel Geis, Die öffentliche Förderung sozialer Selbsthilfe, 1997.

185 Zu dem Begriff → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 14. 186 Dazu s. Reinhart Koselleck, „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“ – zwei

historische Kategorien, in: ders., Vergangene Zukunft: Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, 1. Aufl. 1979, S. 349 ff.

187 Ossenbühl, Handlungsformen (Fn. 3), S. 681 (682).

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A. Orientierungen einer Formenlehre

Hoffmann-Riem 917

Gegenwart und Zukunft zu gewinnen.188 In den bestimmte rechtlich geprägte Formen symbolisierenden Begriffen sind empirische Beobachtungen und normative Vorgaben kondensiert, die bei der konkreten Rechtsanwendung (bzw. der rechtswissenschaftlichen Analyse) durch Erfassung des jeweiligen Begriffsinhalts im Zuge einer „normativen Wirklichkeitskonstruktion“189 aktiviert werden. Der jeweilige Begriff verweist häufig auf eine Vielzahl von normativen und empirischen Prämissen aus der Entstehungs- und Anwendungsgeschichte der jeweiligen Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsform. Die zu leistende (Re-)Konstruktion der Begriffe sowie die mit ihrem Einsatz zu gewinnenden weiteren Erfahrungen können zugleich maßstabsbildend und rahmensetzend für die Bewältigung von Zukunft werden. Dies herauszuarbeiten ist insbesondere Aufgabe von Rechtsdogmatik,190 also der Erarbeitung eines in Wissenschaft und Praxis konsentierten, möglichst in einen systematischen Zusammenhang geordneten Bestandes der rechtlich die Steuerung auf der Herstellungsebene erfassenden und der für die Darstellung der Richtigkeit zugelassenen Argumentationsfiguren.

VIII. Zwischenfazit: Fortdauernde Berechtigung einer Formenlehre In einer Zwischenbemerkung lässt sich feststellen, dass kein Anlass besteht, die

bisherigen Bemühungen um eine Formenlehre des Verwaltungshandelns als überflüssig zu bezeichnen, dass es gleichwohl aber angezeigt sein kann, die verfügbaren Formen weiter zu modifizieren, insbesondere auszudifferenzieren und sie gegebenenfalls in größere (am ehesten ganzheitlich zu erfassende) Kontexte zu ordnen. Die herkömmlichen Zielsetzungen einer Formenlehre sind nicht überholt, also insbesondere ihre Ordnungs-, Speicher-, Orientierungs- und Entlastungsfunktion:191 Eine Formenlehre soll die Vielfalt des Verwaltungshandelns strukturieren; sie soll durch Bereitstellung rechtlicher „Bausteine“ entlasten; sie soll es erleichtern, das Verwaltungshandeln und evtl. das Handeln von ihm betroffener Privater an das Recht (materielles und Verfahrensrecht) zurückzubinden und insofern zu disziplinieren/rationalisieren und sie soll Weichen für auf bestimmtes Handeln aufbauende weitere Aktivitäten (insbesondere Implementationsmaßnahmen, Rechtsschutz, Bestandsschutzbegrenzungen) stellen.

Allerdings erfüllen die Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen diese Funktionen regelmäßig nur in mehr oder minder abstrakter Weise. Insbesondere bei einer Beschränkung des Blicks auf die traditionellen „Gussformen“ – wie Gesetz, _____________________________________________________________________________________

188 Vgl. dazu allgemein Peer Zumbansen, Ordnungsmuster im modernen Wohlfahrtsstaat – Lernerfahrungen zwischen Staat, Gesellschaft und Vertrag, 2000, S. 17.

189 Dazu vgl. Arno Scherzberg, Die Öffentlichkeit der Verwaltung, 2000, S. 28 ff.; Wolfgang Hoffmann-Riem, Methoden einer anwendungsorientierten Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden, S. 9 (30 f.).

190 Zu dem Begriff der Rechtsdogmatik vgl. statt vieler Winfried Brohm, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, VVDStRL, Bd. 30 (1972), S. 245 (246) m. w. N.; ders., Kurzlebigkeit und Langzeitwirkung der Rechtsdogmatik, in: FS Hartmut Maurer, 2001, S. 1079 ff.; Pöcker, Verrechtlichung (Fn. 159), S. 1112, bezeichnet Dogmatik als „differenzierten Kommunikationsraum“. S. ferner → Bd. I Möllers § 3 Rn. 35 ff., Voßkuhle § 1 Rn. 6.

191 → Rn. 3.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

918 Hoffmann-Riem

Verordnung, Satzung, Verwaltungsvorschrift, Verwaltungsakt, Vertrag – sind die Entlastungen und Orientierungen nur auf eine Grobstrukturierung ausgerichtet. Sie erlauben etwa Klärungen über grundsätzliche Formanforderungen (z. B. Zuständigkeit, Veröffentlichungserfordernis, Begründungsanforderungen), über die grundsätzliche Art möglicher Fehlerfolgen (z. B. Nichtigkeit, Anfechtbarkeit) oder über die grundsätzliche Verfügbarkeit von Rechtsschutz (z. B. Möglichkeit der Normenkontrollklage, Feststellungsklage, Anfechtungsklage, Notwendigkeit vorherigen Widerspruchs) oder der Vollstreckbarkeit. Wird nach den im jeweiligen Regelungsfeld spezifischen Anforderungen an die Rechtmäßigkeit, an spezifische Fehlerfolgen oder an Vorkehrungen der Vollstreckbarkeit gefragt, muss nach problemspezifischen Vorgaben gesucht werden. Denn es genügt nicht, dass die in Gestalt bestimmter Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen verfügbaren „Bausteine“ irgendwie orientieren, entlasten, disziplinieren etc. Entscheidend ist, dass dies in problemangemessener Weise geschieht, d. h., dass den „Bausteinen“ eine hinreichende Problemlösungskapazität zukommt. Die Bereitstellung von Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen ist kein Selbstzweck; es handelt sich um „Zweckschöpfungen“, nämlich Hilfsmittel zur bestmöglichen Erfüllung der Verwaltungszwecke. Erforderlich ist daher die Suche, ob in den spezifischen Regelungsfeldern, etwa des Besonderen Verwaltungsrechts, besondere Vorgaben auffindbar sind. Insoweit kann es erforderlich sein, das Anforderungsprofil an Formungen bereichsspezifisch zu diversifizieren, die verfügbaren Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen gebietsbezogen auszudifferenzieren und sie problemfeldbezogen typisierend zu systematisieren (Herausarbeitung gegenstandsspezifischer Formen-Typen). Eine größere Heterogenität (Pluralität) von Formen kann ebenso die Folge sein, wie ihr stetiger, insbesondere durch die Globalisierung und die Europäisierung beschleunigter, Wandel. Rechtswissenschaft ist aufgefordert, diesen Wandel fortlaufend zu beobachten und nach Antworten (gegebenenfalls Modifikationen) in der Formenlehre zu suchen. Dies setzt die fortwährende Beobachtung und Reaktion auf neue Herausforderungen voraus.

B. Veränderte Herausforderungen einer Formenlehre

So kann sich beispielsweise zeigen, dass einmal gebildete Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen im Laufe der Zeit eine früher wichtige Funktion einbüßen. Auch kann ein Perspektivenwechsel (etwa Relativierung der Darstellungs- und stärkere Betonung der Herstellungsebene)192 die Relevanzen verschieben. Auch die Ausdifferenzierung der Rechtsordnung, etwa die Herausbildung immer neuer Sondergebiete des Besonderen Verwaltungsrechts, kann bewirken, dass z. B. der mit der traditionellen Formenlehre angestrebte Nutzen abstrakt bestimmter, also grundsätzlich überall oder jedenfalls an verschiedenen Stellen einsetzbarer, Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen für die praktische Lösung rechtlich geprägter Aufgaben abnimmt oder zumindest das Angewiesensein auf gegenstandsspezifisch geprägte Handlungstypen bzw. Problemlösungsinstrumente zunimmt. Einige zurzeit besonders wichtige _____________________________________________________________________________________

192 Hoffmann-Riem, Methoden (Fn. 189), S. 9; → Bd. I ders. § 10 Rn. 30 ff.; Hans-Heinrich Trute, Methodik der Herstellung und Darstellung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden, S. 293 ff.

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B. Veränderte Herausforderungen einer Formenlehre

Hoffmann-Riem 919

Veränderungen sollen im Folgenden charakterisiert werden – ohne dass damit die Aussage verbunden wird, alle erwähnten Erscheinungen seien grundlegend „neu“. Es reicht, dass sie verstärkt in das Aufmerksamkeitsspektrum in Praxis oder Rechtswissenschaft geraten sind oder dass sie in der (jüngeren) Vergangenheit ausgebaut worden sind.

I. Von der Rechtsaktzentrierung zur Verhaltenszentrierung und zur Interaktionszentrierung

Für eine moderne Formenlehre von Bedeutung ist die Lösung des Verwaltungsrechts von seiner vorrangigen Gerichtsschutzperspektive und die verstärkte Hinwendung zur Arbeitsperspektive der Verwaltung. In der Folge wird, wie insbesondere Christian Bumke193 näher herausgearbeitet hat, die Rechtsaktzentrierung des Verwaltungsrechts überlagert und zum Teil abgelöst durch die Ausrichtung am problem- und wirkungsorientierten sowie prozessbezogenen Verhalten der Verwaltung.194 Dementsprechend verbreitert sich das Aufmerksamkeitsfeld der Verwaltungsrechtswissenschaft. Dies führt auch zu der Frage, ob die Formenlehre, wie bisher üblich, weiterhin rechtsaktzentriert (und damit auf den Output195 bezogen) konzipiert werden kann oder ob es angezeigt ist, den Problemlösungsauftrag der Verwaltung als Anlass dafür zu nehmen, dass eine Systematisierung von Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen verstärkt mit dem Blick auf das Entscheidungsverhalten und auch die in den Entscheidungsvorgang integrierte Berücksichtigung von Folgen (Outcome und Impact196) erfolgt.

Soweit die Problembewältigung in komplexen Interaktionszusammenhängen erfolgt – unter Beteiligung von oder in Kooperation mit unterschiedlichen privaten und hoheitlichen Akteuren mit zum Teil gegenläufigen Interessen, in zeitlich gestreckten bzw. gestuften Abläufen, unter Nutzung unterschiedlicher Wirkungspfade usw. –, reicht es auch nicht, auf individuelles Verhalten (etwa das einer Verwaltungsbehörde) zu sehen, wenn nicht auch dessen Eingewobensein in Verhaltensweisen anderer berücksichtigt wird. Soweit öffentliche Aufgaben – wie gegenwärtig vermehrt – in komplexen Arbeitszusammenhängen bewältigt werden, ist eine Interaktionszentrierung in der rechtlichen Betrachtung geboten.

Zur rechtlichen Erfassung modernen Verwaltungshandelns reicht es im Übrigen nicht, den Blick auf die rechtlichen Anforderungen an das zu findende Entscheidungsergebnis bzw. an dessen „Begründung“ (Darstellung der Gründe) zu richten. Vielmehr ist der Herstellungsprozess (das Entscheiden selbst) verstärkt in den Blick zu nehmen. Dementsprechend wird häufig die prozedurale Dimension des Verwaltungshandelns und der Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Bürger

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193 Christian Bumke, Relative Rechtswidrigkeit: Systembildung und Binnendifferenzierungen im öffentlichen Recht, 2004, S. 255 ff.; → Bd. II ders. § 35 Rn. 75 ff. zieht aus der Unterscheidung Folgerungen für die Behandlung der Rechtsfigur des Verwaltungsakts.

194 Vgl. auch → Bd. I Voßkuhle § 1 Rn. 15 m. w. N. in Fn. 105. 195 → Rn. 27. 196 → Rn. 23.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

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betont,197 die nicht nur dazu führen kann, Verfahrensfehler als rechtlich erheblich zu betrachten, sondern die vor allem auf die das Ergebnis mitbestimmende (steuernde) Wirkung der Ausgestaltung des Entscheidungsprozesses verweist. Bei einer „herstellungsorientierten“ Betrachtungsweise gerät eine Vielzahl von Steuerungsfaktoren in den Blick.198

Wichtig sind dabei die verschiedenen Phasen der Entscheidungsfindung, von der Entscheidungsvorbereitung über den Entscheidungsprozess i. e. S. – mit informellen oder formellen Zwischenentscheidungen und am Ende einem Entscheidungsergebnis – bis hin zum Vollzug und gegebenenfalls zur Revision.199 Die von der traditionellen Formenlehre entwickelten Erwartungen an die handlungsstrukturierende, kontrollermöglichende, disziplinierende und rationalisierende Kraft von Rechtsformen werden zum Teil in die Stadien des Entscheidungsprozesses vorverlagert und in die der Implementation – bis hin zum Einsatz von Verwaltungsvollstreckungsmitteln (etwa Verwaltungszwang) oder zur Sanktionierung von Normverletzungen (Ordnungswidrigkeiten, Strafen) oder auch von informellen Sanktionen200 – „nachverlagert“. Zwar können auch in den der Hauptentscheidung vor- und nachgelagerten Phasen klassische Rechtsformen zur Strukturierung hilfreich sein (etwa die Einordnung von polizeilichen Informationsermittlungen oder von Vollzugsmaßnahmen als rechtsschutzfähige Verwaltungsakte); durch sie allein kann aber das volle Spektrum der rechtserheblichen Voraussetzungen und Wirkungen entsprechender Maßnahmen und Folgemaßnahmen nicht erfasst werden.

II. Relativierung der Bedeutung der Formenlehre im Rechtsschutzbereich Für die Herausbildung des Rechtsstaats war die Bereitstellung einer

(Verwaltungs-)Gerichtsbarkeit für Rechtsstreitigkeiten über administratives Handeln besonders bedeutsam und die Rechts- und Handlungsformenlehre wurde auch mit dem Blick auf die Eröffnung von Rechtsschutz entwickelt. Angesichts der umfassenden Garantie effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG und im Justizgewährungsanspruch201 hat die Rechts- bzw. Handlungsform für den Rechtsschutz keine Weichen stellende Funktion mehr. Die im Prozessrecht vorgenommene Formung unterschiedlicher Rechtsbehelfsarten (Klagarten, _____________________________________________________________________________________

197 Siehe → Rn. 63 f.; Bd. II Schmidt-Aßmann § 27. Aus der älteren Literatur vgl. etwa Dirk Ehlers, Rechtsverhältnisse in der Leistungsverwaltung, DVBl 1986, S. 912 (914). Zur Prozeduralisierung des Rechts vgl. auch Rainer Pitschas, Allgemeines Verwaltungsrecht als Teil der öffentlichen Informationsordnung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform, S. 219 (257); Karl-Heinz Ladeur, Subjektive Rechte und Theorie der Prozeduralisierung – Vom Universalismus des Rechts zur rechtlichen Modellbildung unter Ungewissheitsbedingungen, KJ 1994, S. 42 ff.

198 → Rn. 61 ff. 199 Zu verschiedenen Stadien der Rechtsanwendung vgl. Wolfgang Hoffmann-Riem,

Ermöglichung von Flexibilität und Innovationsoffenheit im Verwaltungsrecht – Einleitende Problemskizze –, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation, S. 9 (31 ff.).

200 Z. B. den Ausschluss von zukünftigen Vertragsschlüssen (etwa im Rahmen des öffentlichen Beschaffungswesens bei Aufnahme in ein Korruptionsregister).

201 Zu ihm und zu seinem Verhältnis zu Art. 19 Abs. 4 GG s. BVerfGE 107, 395 ff.

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B. Veränderte Herausforderungen einer Formenlehre

Hoffmann-Riem 921

Rechtsmittel) ist allerdings für die Frage des „Wie“ von Rechtsschutz in Grenzen (so dort, wo – noch – ein Widerspruchsverfahren durchgeführt werden muss202) weiterhin erheblich. Wird z. B. die Feststellungsklage, wie es einer Tendenz sowohl des Bundesverwaltungsgerichts als auch des Bundesverfassungsgerichts entspricht,203 vermehrt zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von untergesetzlichen Rechtsnormen, wie der Rechtsverordnung, eingesetzt, verliert die Rechtsschutz steuernde Normierung über die (nur) begrenzte Verfügbarkeit des Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO an Bedeutung. Damit reduziert sich die rechtsschutzbezogene Sonderstellung der Rechtsform der Rechtsverordnung.

Soweit Problemlagen im Zusammenspiel öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen bewältigt werden oder entweder die öffentlich-rechtliche oder die privatrechtliche Vorgehensweise gewählt werden kann,204 können im gleichen Problemfeld unterschiedliche Gerichtsbarkeiten mit unterschiedlichen Rechtsschutzformen und unterschiedlichen Rechtsschutzkulturen zuständig sein oder zur Wahl stehen205 und zum Forum-Shopping verleiten. Auch durch solche Möglichkeiten verlieren Formungsentscheidungen traditioneller Art weiter an Gewicht. Zugleich weitet sich das Arsenal der Rechtsmittelformen aus, in dem nicht nur verwaltungsprozessuale, sondern auch zivilprozessuale Klagarten und Rechtsmittel in Betracht gezogen werden können.

Eine gewisse Abschleifung der Erheblichkeit bestimmter Formungen kann evtl. zumindest faktisch auch damit verbunden sein, dass die Fachgerichte dazu tendieren, Rechtsstreitigkeiten möglichst schon im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes abschließend zu bewältigen, das heißt dieses unter dem Aspekt einer summarischen Prüfung so (aber auch nur so) intensiv zu betreiben, dass in der Entscheidung deutlich erkennbar wird, dass auch ein Hauptsacheverfahren an dem Ergebnis nichts ändern würde.206 Mit dieser Aussage soll nicht die Annahme _____________________________________________________________________________________

202 Das Vorverfahren wurde in jüngerer Zeit in vielen Bundesländern weitgehend abgeschafft; siehe bspw. für NRW Rolf-Dieter Theisen, Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in NRW, DVP 2008, S. 63 ff.; für Bayern Harald Geiger, Die Neuregelung des Widerspruchsverfahrens durch das AGVwGO, BayVBl. 2008, S. 161 ff.; Thomas Holzner, Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens, DÖV 2008, S. 217 ff.; Klaus-Peter Dolde/Winfried Porsch, Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens – ein bedauernswerter Abbruch eines Grundpfeilers der VwGO?, VBlBW 2008, S. 428 ff.; Pascale Cancik, Vom Widerspruch zum informalen Beschwerdemanagement, DV 2010, S. 467 ff. (mit aufschlussreichen Hinweisen auf Kompensationsversuche in der Praxis, insbes. auf neue Arten des Beschwerdemanagements, s. S. 484 ff., 487 ff.); → Bd. I Wißmann § 15 Rn. 48a, 55. Zudem ist das Widerspruchsverfahren über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus entbehrlich, wenn dessen Zweck bereits Rechnung getragen wurde, vgl. BVerwG, NVwZ 2011, S. 501 ff.

203 Dazu s. BVerwGE 111, 276 (278 f.); 121, 152 (156); 136, 54; BVerfGE 102, 26 (32 f.); 115, 81 (95 f.).

204 → Rn. 69 f. sowie → Bd. I Burgi § 18. 205 Vgl. dazu Johannes Masing, Soll das Recht der Regulierungsverwaltung

übergreifend geregelt werden?, Verhandlungen des 66. DJT (2006), Bd. I, Teil D, S. 34 ff., 61 ff.; Stefan Storr, Soll das Recht der Regulierungsverwaltung übergreifend geregelt werden?, DVBl 2006, S. 1017 (1025).

206 Zur verstärkten Verlagerung des Rechtsschutzes in das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes s. Thomas Groß, Ökonomisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und des Verwaltungsprozessrechts, DV, Bd. 34 (2001),

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

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verbunden werden, die Anforderungen an rechtsstaatliche Bestimmtheit und die Relevanz der in der Rechtsordnung enthaltenen Formungen rechtserheblichen Verhaltens seien im einstweiligen Rechtsschutz suspendiert. Es soll nur darauf verwiesen werden, dass die – auch unter Entlastungsaspekten erfolgende – Verlagerung der gerichtlichen Überprüfung in ein Verfahren, das unter Beschleunigungsaspekten sich von dem Gedanken der nur summarischen Prüfung bestimmen lässt, dazu verleiten kann, streitige Zuordnungen zu bestimmten Rechtsformen nicht zu klären, sondern im Rahmen einer nur summarischen Prüfung, etwa wegen nur begrenzter Relevanz für bestimmte Rechtsfolgen, dahinstehen zu lassen.207

III. Relativierung der Regelung als Zentralbegriff der Formenlehre

Wesentliche, im Zentrum der in den letzten Jahrzehnten entwickelten Formenlehre208 stehende Rechtsinstitute – wie Verwaltungsakt und Rechtsverordnung – sind an ihrem Charakter als „Regelung“ orientiert,209 also an der Schaffung von „extern“ erheblichen Rechtsfolgen. Allerdings sind auch verwaltungsintern maßgebliche Handlungsformen – wie die Weisung oder die schlichte Verwaltungsanordnung in besonderen Pflichtenverhältnissen oder die Verwaltungsvorschrift – in die Formenlehre integriert worden. Angesichts der begrenzten Leistungskraft der Unterscheidung von „innen“ und „außen“210 ist den Rechtswirkungen der Formen des Verwaltungshandelns nachgespürt worden, einerlei ob sie vorrangig inneradministrativ wirken oder auf Außenwirkung ausgerichtet sind, und es sind Transformatoren entwickelt worden, wie Art. 3 Abs. 1

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S. 371 (390 f.); das Obsiegen im Verfahren der einstweiligen Anordnung berechtigt aber nicht dazu, die Ernennung eines Richters auf eine neu zu vergebende Stelle so schnell vorzunehmen, dass die Konkurrenten keine angemessene Zeit haben, um das BVerfG anzurufen, vgl. BVerwG, NJW 2011, S. 695 ff.

207 Nur ergänzend sei angemerkt, dass der Trend zu quasi endgültigen Entscheidungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes möglicherweise dazu führen muss, dass das Bundesverfassungsgericht seine auf dem Subsidiaritätsgrundsatz fußende Rechtsprechung relativiert, nach der die Verfassungsbeschwerde grundsätzlich nicht gegen Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz zulässig ist, es sei denn, dass im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes eigenständige, im Hauptsacheverfahren nicht korrigierbare Rechtsverletzungen erfolgt sind. Zu dieser Rechtsprechung s. Friedrich Schoch, Einstweilige Anordnung, in: FG 50 Jahre BVerfG, Bd. I, 2001, S. 695 ff.

208 So reserviert Pauly, Handlungsformenlehre (Fn. 45), S. 36 den Begriff der Rechtsform für Verwaltungshandeln mit „normativer“ Regelungsfunktion und -wirkung.

209 → Bd. II Bumke § 35 Rn. 22 ff. S. ferner Möstl, Handlungsformen (Fn. 18), § 19 Rn. 4; Ruffert, Bedeutung (Fn. 50), § 21 Rn. 24 ff.

210 → Bd. I Möllers § 3 Rn. 7, Ruffert § 17 Rn. 68, Jestaedt § 14 Rn. 11. Zu der Unterscheidung s. ferner Ernst-Wolfgang Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl. 1981, S. 376 ff.; Klaus Lange, Innenrecht und Außenrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform, S. 307 ff.

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B. Veränderte Herausforderungen einer Formenlehre

Hoffmann-Riem 923

GG als „Hebel“ zur Sicherung der Außenverbindlichkeit von Verwaltungsvorschriften qua „Selbstbindung der Verwaltung“.211

Die Konzentration des Verwaltungsrechts auf die systembestimmende Figur der „Regelung“ ist ferner durch die Erfassung von Realakten, schlichtem und informellem Verwaltungshandeln eingeschränkt worden.212 Ebenso hat die Anerkennung der schon mehrfach erwähnten Rechtserheblichkeit von mittelbaren und sogar nur faktischen Wirkungen – etwa in der Grundrechtsdogmatik213 – Auswirkungen auch in der Formenlehre gehabt (z. B. durch Herausbildung der Handlungsform der Subvention214 oder die Anerkennung des Tatbestands der Umgehung bzw. der Flucht aus dem Eingriffsregime215). Zwar sind es nicht die faktischen Wirkungen selbst – etwa die Benachteiligung des nicht subventionierten Konkurrenten –, die eine Einstandspflicht des Staates auslösen, sondern die dem Staat zuzurechnenden Maßnahmen,216 die Anlass für die weiteren rechtlichen Folgerungen sind. Diese Maßnahmen können zwar eine „Regelung“, also eine auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtete administrative Handlung sein, müssen es aber nicht (z. B. gezielte Informationsgewährung, von der Wirkungen erst durch Zwischenschaltung eines Dritten ausgehen; Schädigung durch die abirrende Kugel des am Manöver teilnehmenden Soldaten).

IV. Auswirkungen der Reregulierung

Die mit der in vielen Bereichen der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, mit den Ansätzen zur Beschleunigung staatlicher Überwachungsentscheidungen217 sowie mit der Schaffung neuer, insbesondere EU-induzierter Regelungskonzepte verbundenen Reregulierungen haben erhebliche Bewegung auch in das Regulierungsinstrumentarium des deutschen Rechts gebracht. Diese _____________________________________________________________________________________

211 Siehe statt vieler Dieter H. Scheuing, Selbstbindungen der Verwaltung, VVDStRL, Bd. 40 (1982), S. 153 ff.; Michael Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 40 Rn. 103 ff.

212 Siehe dazu statt vieler → Bd. II Hermes § 39 Rn. 8 ff., 20 ff.: Schlichtes Verwaltungshandeln als Handeln ohne Regelungswirkungen.

213 Dazu s. Hans-Ullrich Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte: ein Beitrag zum Begriff der Nebenwirkungen, 1970; Josef F. Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 493 ff.; Marion Albers, Faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen als Schutzbereichsproblem, DVBl 1996, S. 233 ff.

214 → Bd. I Schulze-Fielitz § 12 Rn. 45 f. 215 Darauf reagieren – wie oben (→ Rn. 28) erwähnt – das BVerfG und das BVerwG

mit der Konstruktion des funktionalen Äquivalents eines Eingriffs, das bei einem hoheitlichen Handeln bejaht wird, das sich nach seiner Zielsetzung und seinen Wirkungen als Ersatz für eine staatliche Maßnahme darstellt, die als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren ist (BVerfGE 105, 252 [273]; 105, 279 [303]; BVerwG, NJW 2006, S. 1303 [1304]). S. a. unten → Rn. 113. S. ferner Bumke, Publikumsinformationen (Fn. 98), S. 3 (28 ff.); Dietrich Murswiek, Das Bundesverfassungsgericht und die Dogmatik mittelbarer Grundrechtseingriffe, NVwZ 2003, S. 1 (6).

216 Auf das Erfordernis der Zurechnung verweist insbes. BVerwG, NJW 2006, S. 1303 (1304).

217 → Bd. I Eifert § 19 Rn. 36 Fn. 86; Bd. II Schmidt-Aßmann § 27 Rn. 86 ff.; Hermann Pünder, Verwaltungsverfahren, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), VerwR, § 13 Rn. 8, § 15 Rn. 45.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

924 Hoffmann-Riem

Reregulierung ist ihrerseits der Versuch einer Antwort auf die veränderten Anforderungen an staatliche Aufgabenerfüllung und den Wandel vom Wohlfahrts- und Interventionsstaat zum Gewährleistungsstaat.218 Auffällig ist der Befund, dass die unter dem Schlagwort der Deregulierung erfolgte Reregulierung nicht nur die Zahl und den Umfang von Gesetzen, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften u. a. erheblich ausgeweitet hat,219 sondern in Teilgebieten auch zu Veränderungen im Einsatz der von der überkommenen Formenlehre erfassten Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen geführt hat. Dabei werden zum Teil „neue“ Handlungsformen geschaffen (wie handelbare Zertifikate,220 Versteigerung von Lizenzen221 u. ä.) oder die Anwendungsfelder „alter“ Rechts- und Handlungsformen werden verändert, etwa durch den Abbau von Eröffnungskontrollen und deren Ersetzung durch Anzeigepflichten mit Überwachungs- und Untersagungsvorbehalten. Die Vielfalt der Regulierungsaktivitäten kann hier nicht dargestellt werden.222 Wohl aber soll beispielhaft an einem Regelungsfeld, dem Bauordnungsrecht, das traditionell mit Eröffnungskontrollen (Erlaubnis mit Genehmigungsvorbehalt) arbeitete, illustriert und zugleich betont werden, dass die Steuerungsmöglichkeiten durch Abbau der traditionellen Handlungsformen verändert werden.

Typisch für das Bauordnungsrecht jüngerer Zeit ist der Abbau präventiver Kontrolle selbst dort, wo noch an einer Baugenehmigung festgehalten wird.223 So sind vielfach Genehmigungsfreistellungen erfolgt,224 zum Teil aber auch nur vereinfachte Genehmigungsverfahren eingerichtet worden, die mit einer Genehmigungsfrist und einer Genehmigungsfiktion225 bei Fristablauf versehen sind.226 In Hamburg wurde zudem die Baugenehmigung mit Konzentrationswirkung auch für die Überprüfung der in anderen einschlägigen

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218 Dazu s. → Bd. I Schulze-Fielitz § 12 Rn. 13 ff. 219 Zur Verrechtlichungsdebatte und der Aufforderung zur Herabzonung des

Niveaus der Dramatisierung s. Nicolai Dose, Verrechtlichung und die Steuerungsfähigkeit von Recht, PVS, Bd. 36 (2006), S. 503 ff. m. w. N.

220 Siehe a. → Bd. II Sacksofsky § 40 Rn. 15, 61 f. Derartige neue Handlungsformen schlagen auch auf die Rechtsfolgen- und die Rechtsschutzebene durch, s. statt vieler Matthias Diehr, Rechtsschutz im Emissionszertifikate-Handelssystem. Eine Betrachtung des Treibhausgas-Emissionshandelssystems unter besonderer Berücksichtigung rechtsschutzrelevanter Fragen der Emissionsgenehmigung und der Zuteilung von Emissionsberechtigungen, 2006.

221 Dazu s. die Nachweise in Fn. 122. 222 Dazu s. → Bd. I Eifert § 19. Zu den Änderungen der Verwaltungsaufgaben s. a. →

Bd. I Baer § 11. 223 Siehe dazu den Überblick in Koch/Hendler, BauR, § 23 Rn. 54 ff. 224 Dazu vgl. z. B. Volker Kreuziger, Die Genehmigungsfreistellung im Baurecht,

1997. S. a. → Bd. I Voßkuhle § 1 Rn. 57 m. Fn. 299, Schulze-Fielitz § 12 Rn. 82, Burgi § 18 Rn. 76 m. Fn. 213; Bd. II Appel § 32 Rn. 14.

225 Siehe etwa Art 13 Abs. 4 DienstleistungsRL; § 42a VwVfG. Kritische Analyse dazu bei Pascale Cancik, Fingierte Rechtsdurchsetzung? DÖV 2011, S. 1 ff. Beispiele für Genehmigungsfunktionen finden sich a.a.O., S. 5. Kritisch auch Veith Mehde/Stefan Hansen, Das subjektive Recht auf Bauordnungsverfügungen im Zeitalter der Baufreistellung – Eine Bilanz, NVwZ 2010, S. 14 ff. (insbes. zu den Folgen für den Nachbarschutz).

226 Siehe etwa für Hamburg Hans-Joachim Koch, Recht der Landesplanung und des Städtebaus, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Hans-Joachim Koch (Hrsg.), Hamburgisches Staats- und Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2006, S. 211 (241).

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B. Veränderte Herausforderungen einer Formenlehre

Hoffmann-Riem 925

Regelungen des Besonderen Verwaltungsrechts vorgesehenen Anforderungen eingeführt227, mit der möglichen Folge, dass die in den jeweiligen anderen Gebieten enthaltenen Formungsanforderungen „eingeschliffen“ werden. Wird auf Eröffnungskontrollen ganz verzichtet, wächst die Notwendigkeit, bei Nichtbeachtung materieller Anforderungen repressive Kontrollvorkehrungen zu nutzen und gegebenenfalls eigenständige Vollzugsmöglichkeiten zu eröffnen – wenn mit der Änderung nicht auch Abstriche in der faktischen Maßgeblichkeit der Rechtmäßigkeitsanforderungen verbunden sein sollen. Vollzugsmittel, deren Einsatz vom Vorliegen eines vollzugsfähigen Verwaltungsakts abhängt, scheiden aber aus, wenn auf diesen verzichtet wird. Insoweit kann Ordnungswidrigkeitenrecht – gegebenenfalls auch Strafrecht228 – als Implementationshilfe nutzbar werden.

V. Abkehr von der Ausrichtung der Formenlehre allein an der Rechtmäßigkeit und Hinwendung auch zum

Maßstab administrativer Richtigkeit

Die überkommene Formenlehre ist auf das Handeln der Verwaltung mit dem Ziel bezogen, rechtlich verbindliche Vorgaben und rechtserhebliche Folgen typisiert erfassen zu können. Die Formungsanforderungen haben die Gestalt von Recht und dienen der Verwirklichung von Recht. Vorausgesetzt ist bei dieser Sichtweise die Möglichkeit, Recht von Nichtrecht trennen zu können. Die Grenzziehung zwischen dem Recht und dem Nichtrechtlichen wird aber zunehmend problematisch; insbesondere ist es nicht immer einfach zu bestimmen, welche präskriptive Orientierung zum Recht gehört und welche nicht und wieweit nichtrechtliche präskriptive Orientierungen im Bereich des Rechts maßgeblich werden dürfen.229 Selbst dort, wo präskriptive Orientierungen ausdrücklich in Rechtsnormen enthalten sind, können sie so weich und offen formuliert sein, dass Art und Intensität ihrer rechtlichen Verbindlichkeit schwer zu bestimmen sind. Die Erwägungsgründe in Rechtsakten der EU – nur beispielhaft seien die der Dienstleistungsrichtlinie benannt – geben dafür reichhaltiges Anschauungsmaterial.230 Präskriptive Orientierungen können in bestimmten Zusammenhängen – wie etwa das Ziel der Effizienz gem. § 7 BHO – als rechtserheblich ausgestaltet sein, in anderen aber nicht und dennoch als Maßstab an „richtiges“ Verwaltungshandeln angelegt werden.231 Dies führt zu der Frage, ob die Ausrichtung der Formenlehre am Rechtlichen solche Leistungen administrativen Handelns, die auch oder nur nichtrechtliche präskriptive Orientierungen heranziehen, erschweren und ob es in methodisch disziplinierter Weise möglich ist, derartige Orientierungen in die Arbeit mit dem Recht einzubeziehen. _____________________________________________________________________________________

227 Kritisch dazu Koch, Recht der Landesplanung (Fn. 226), S. 242. 228 → Rn. 71 ff. 229 → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 12 f. 230 Ähnliches gilt für die – nur an die EU gerichteten – Querschnittsklauseln der

Art. 8 ff. AEUV. 231 Dazu differenzierend → Bd. II Pitschas § 42. Zu § 7 BHO s. a. → Bd. III Korioth

§ 44 Rn. 68 ff.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

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Auch dann, wenn präskriptive (z. B. sozialnormative) Orientierungen232 nicht in den Rang von Recht oder gar von außenverbindlichem Recht erhoben worden sind, können sie ebenso wie rechtliche Vorgaben Erwartungen an die „Richtigkeit“ des Verwaltungshandelns strukturieren. Solche nichtrechtlich geprägten präskriptiven Orientierungen der Verwaltung sind dadurch gekennzeichnet, dass sie weder mit einer in Rechtsnormen (wohl aber evtl. anderweitig) angelegten Erwartung an ihre Einhaltung noch für den Fall ihrer Nichtbeachtung mit einer besonderen in der Rechtsordnung vorgesehenen und dort ausgestalteten Sanktionsdrohung verbunden sind. Demgegenüber umschreibt Recht die Art233 gesollten oder gedurften Seins, die von einem spezifischen, zu seiner Produktion legitimierten (nicht etwa zur Festlegung von Sitte, Moral, Konventionen oder von reinen Zweckmäßigkeitskriterien u. ä. zuständigen) Träger in einem dafür bestimmten Verfahren und unter Nutzung dafür vorgesehener Handlungsformen festgelegt ist.234 Typischer-(aber nicht notwendiger-)weise235 gehört zum Recht, dass bestimmte Instanzen, insbesondere Gerichte, befugt sind, auf die Missachtung des Gesollten oder die Überschreitung des Gedurften mit hoheitlicher Sanktionsgewalt zu reagieren. Insbesondere auf diese Möglichkeit hin sind die überkommenen Rechtsformen gebildet worden. Durch Recht in diesem engen Sinne aber wird Verhalten allein nicht beeinflusst, dies um so weniger, als sich in vielen Handlungsfeldern außer- und semirechtliche Regelungsformen mit eigenen Instrumenten entwickelt haben, die auf andere Wege der Sicherung von Befolgungsbereitschaft vertrauen, etwa die Aussicht der Beteiligten auf weitere zukünftige Kooperation.236 Zu verweisen ist auf das sog. soft law237, das zwar von der Literatur vorrangig im Bereich des Völker- und Europarechts behandelt wird, das aber auch im nationalen Rechtsraum beobachtbar ist (z. B. normersetzende Absprachen, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft238), im verwaltungsrechtlichen Kontext aber häufig nur als Erscheinungsform informellen Verwaltungshandelns behandelt wird.

Nicht bei den abstrakt umschriebenen Grundtypen der Rechts- und

Handlungsformen – wie etwa beim Verwaltungsakt –, wohl aber gegebenenfalls bei den in bestimmten Rechtsgebieten beobachtbaren Neuentwicklungen und den auf neuartige Handlungsformen oder gar das Feld des soft law bezogenen Erscheinungen wird jedoch zu prüfen sein, wieweit die Vielfalt präskriptiver Orientierungen bei der Bestimmung von Richtigkeitsanforderungen und Rechtsfolgen bedeutsam werden kann oder soll. Solche je nach Kontext rechtlich _____________________________________________________________________________________

232 Siehe auch oben → Rn. 38. 233 Sei es zwingend oder dispositiv oder nur empfehlender Art, sei es durch

Sanktionen erzwingbar u. ä. 234 Vgl. schon → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 12, dort m. w. N. S. ferner Ehlers,

Verwaltung und Verwaltungsrecht (Fn. 36), § 2 Rn. 2 ff.; Steffen Augsberg, Rechtsetzung zwischen Staat und Gesellschaft, 2003, S. 22 ff.

235 Es gibt auch objektiv-rechtliche Pflichten, die nicht mit einer subjektiven Rechtsstellung korrespondieren. Ferner ist es möglich, dass aus der Missachtung der Rechtsbindung bloß faktische Konsequenzen gezogen werden (z. B. Verweigerung weiterer Aufträge).

236 Hinweise bei Schuppert, Rechtsetzung (Fn. 165), S. 341 f. 237 → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 12 mit N. in Fn. 76. 238 → Bd. II Fehling § 38 Rn. 36 f.

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B. Veränderte Herausforderungen einer Formenlehre

Hoffmann-Riem 927

verbindlichen oder als nur politisch wichtigen, aber für eine „gute Verwaltung“239 immer bedeutsameren, gegebenenfalls in Leitbildern, Verhaltenskodizes etc. festgehaltenen Richtigkeitskriterien240, können insbesondere bei Optionenentscheidungen241 rechtlich erheblich werden (etwa bei Ermessensentscheidungen) oder zumindest kann es zulässig sein, sie dabei zu berücksichtigen. Darf die Verwaltung zwischen unterschiedlichen Rechts-, Handlungs- oder Bewirkungsformen wählen,242 dann kann ebenfalls der Auftrag, auch „weiche“ Richtigkeitskriterien zu berücksichtigen, für die Wahl bedeutsam werden.

Auch das Ziel des Problemlösungsverfahrens einer administrativen „Mediation“243 ist es, mehr als nur Rechtmäßigkeit (i. S. der Fehlerfreiheit bei der

_____________________________________________________________________________________

239 Dazu s. → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 35; Bd. II Schmidt-Aßmann § 27 Rn. 29 ff., Hill/Martini § 34 Rn. 62 m. w. N. in Fn. 392 f.; Bernd Grzeszick, Das Grundrecht auf gute Verwaltung – Strukturen und Perspektiven eines Charta-Grundrechts, EuR 2006, S. 161 ff.; Kai-Dieter Classen, Gute Verwaltung im Recht der Europäischen Union: eine Untersuchung zu Herkunft, Entstehung und Bedeutung des Art. 41 Abs. 1 und 2 der Europäischen Grundrechtecharta, 2008; Diana-Urania Galetta, Inhalt und Bedeutung des europäischen Rechts auf eine gute Verwaltung, EuR 2007, S. 57 ff.; Bernd Grzeszick, Das Grundrecht auf eine gute Verwaltung, EuR 2006, S. 161 ff.; Walter Klappstein, Das Recht auf eine gute Verwaltung, 2006; Matthias Ruffert, Das Recht auf eine gute Verwaltung: Ein Grundrecht im Zentrum des verwaltungsbezogenen Europäischen Verfassungsrechts, in: Hartmut Bauer (Hrsg.), Verfassungsprinzipien in Europa, SIPE 4, 2008, S. 273 ff.; Jill Wakefield, The Right to Good Administration, 2007; Pavlos-Michael Efstratiou, Der Grundsatz der guten Verwaltung als Herausforderung an die Dogmatik des nationalen und europäischen Verwaltungsrechts, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 281 ff.

240 Beispielsweise: – Praktikabilität – Effektivität (Wirksamkeit) – Effizienz (angemessene Aufwand-Nutzen-Relation) – Marktkonformität – Kohärenz (insbes. bei Regelungsverbünden bzw. der Nutzung unterschiedlicher

Rechtsregimes) – Verteilungsgerechtigkeit – Akzeptabilität – Implementierbarkeit – Nachhaltigkeit – Innovationsoffenheit – Revisionsoffenheit. S. ferner → Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 51, Pitschas § 42 Rn. 111 ff.

241 Siehe a. → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 83 ff. 242 Dazu → Rn. 96 ff.; vgl. auch → Bd. II Bumke § 35 Rn. 35 ff., Michael § 41. 243 Dazu vgl. Karsten-Michael Ortloff, Mediation im Verwaltungsprozess: Bericht

aus der Praxis, NVwZ 2006, S. 148 ff.; Ines Härtel, Mediation im Verwaltungsrecht, JZ 2005, S. 753 ff.; Ulrike Rüssel, Mediationsverfahren im öffentlichen Bereich, JA 2006, S. 470 ff.; Helge Rossen-Stadtfeld, Die verhandelnde Verwaltung – Bedingungen, Funktionen, Perspektiven, VerwArch, Bd. 97 (2006), S. 23 ff.; Pünder, Verwaltungsverfahren (Fn. 217), § 16; Joachim v. Bargen, Mediation im Verwaltungsrecht, BVDR-Rundschreiben 2004, S. 55 f.; Volkmar Wagner/Matthias Engelhardt, Mediation im Umwelt- und Planungsrecht als Alternative zur behördlichen oder gerichtlichen Streitbeilegung, NVwZ 2001, S. 370 ff.; Karsten-Michael Ortloff, Europäische Streitkultur und Mediation im deutschen Verwaltungsrecht, NVwZ 2007, S. 33 ff.; Raimund Wimmer/Ulrich Wimmer,

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

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Subsumtion) zu erreichen, sondern auch einige der „nichtrechtlichen“, für eine erfolgreiche Problembewältigung aber gleichwohl maßgebenden Faktoren einzubeziehen und/oder ein Ergebnis zu finden, das – gegebenenfalls unter Einbeziehen der Bewältigung auch anderer offener Streitfragen – gute Chancen hat, als angemessen akzeptiert und auf konstruktive Weise implementiert zu werden.244 Allerdings bedürfen die durch Mediation gefundenen Ergebnisse, soweit sie rechtlich folgenreich sein und insbesondere die Verwaltung binden sollen, der Umsetzung durch administratives Handeln. Dies geschieht meist dadurch, dass sie in überkommene Rechts- oder Handlungsformen „umgegossen“ werden (z. B. Verwaltungsakt, Vertrag).245 Soweit dabei aber das Risiko besteht, die angestrebte Problemlösung zu verkürzen, kann es angezeigt sein, die üblichen Rechts- oder Handlungsformen lösungsspezifisch anzureichern, evtl. sogar speziell auf die Umsetzung der Ergebnisse von Mediation gerichtete zu entwickeln.

Entsprechende Weiterungen können insbesondere für die vielfältigen Erscheinungsformen des sogenannten informalen Verwaltungshandelns angezeigt sein, vor allem soweit es gewählt wird, um mehr Flexibilität der Problembewältigung nutzen zu können, als es die üblichen Wege der Problemlösung erlauben.246 Heute aber empfiehlt es sich, das informelle Verwaltungshandeln nicht nur unter dem Aspekt der Informalität, sondern auch dem der Überschreitung der traditionellen Grenzen des Rechtlichen und der Einbeziehung semirechtlicher oder nichtrechtlicher Handlungs- und Bewirkungsformen in die Bewältigung von rechtlich geprägten Problemlagen einzubeziehen.247 _____________________________________________________________________________________

Verfassungsrechtliche Aspekte richterlicher Mediation, NJW 2007, S. 3243 ff.; Max-Jürgen Seibert, Mediation in der Verwaltungsgerichtsbarkeit – Erfahrungen und Überlegungen zu einer alternativen Streitbeilegung, NVwZ 2008, S. 365 ff.; Joachim v. Bargen, Konfliktlösung mittels richterlicher Mediation als Alternative zum konventionellen Verwaltungsprozess, DV, Bd. 43 (2010), S. 405 ff.; ders., Außergerichtliche Streitschlichtungsverfahren (Mediation) auf verwaltungsrechtlichem Gebiet in rechtsvergleichender Perspektive, in: Jürgen Schwarze (Hrsg.), Bestand und Perspektiven des Europäischen Verwaltungsrechts, 2008, S. 319 ff.; Jochen F. Bader, Gerichtsinterne Mediation am Verwaltungsgericht, 2009; Rainer Pitschas/Harald Walther (Hrsg.), Mediation im Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, 2008; Annette Guckelberger, Einheitliches Mediationsgesetz auch für verwaltungsrechtliche Konflikte?, NVwZ 2011, S. 390 ff.; Ulrich Battis, Mediation in der Bauleitplanung, DÖV 2011, S. 340 ff.; Rainer Pitschas, Mediation als kollaborative Governance, DÖV 2011, S. 333 ff.; Gerd Fuchs/Marcus Hehn/Jörg Wagner, Mediation im öffentlichen Bereich – Möglichkeiten und Grenzen, UPR 2011, S. 81 ff.; Roland Fritz/Heiner Krabbe, Gerichtsinterne Mediation – Der Faktor Zeit, NVwZ 2011, S. 396 (398 ff.); Benjamin Teubert, Mitarbeiter der Verwaltung als Mediatoren in Verwaltungsverfahren?, 2011. S. a. → Bd. II Appel § 32 Rn. 102 ff., Fehling § 38 Rn. 30 ff.

244 Zu der Ausweitung auf den „Problemlösungsgegenstand“ – über den Streitgegenstand hinaus – s. Stephan Breidenbach, Mediation: Struktur, Chancen und Risiken von Vermittlung im Konflikt, 1995, S. 36 ff.; Wolfgang Hoffmann-Riem, Justizdienstleistungen im kooperativen Staat, JZ 1999, S. 421 (425).

245 Zum Mediationsvertrag s. → Bd. II Bauer § 36 Rn. 62. 246 → Rn. 86 f., 88 f.; → Bd. II Fehling § 38. Zu den damit verbundenen

rechtsstaatlichen Problemen s. Wolfgang Hoffmann-Riem, Selbstbindungen der Verwaltung, VVDStRL, Bd. 40 (1981), S. 187 (203 ff.).

247 Zur Diskussion über soft law in der Literatur s. die Hinweise bei Schuppert, Rechtsetzung (Fn. 165), S. 341 ff. S. ferner → Fn. 9.

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B. Veränderte Herausforderungen einer Formenlehre

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„Weiche“ Richtigkeitsgaranten werden für administratives Handeln auch insoweit

immer wichtiger, als es der Verwaltung nicht nur um die Sicherung der den Rechtsstaat prägenden Ausrichtung an tradierten Vorstellungen formaler und materialer Rationalität geht. Praktisch wirken sich auch zusätzliche Rationalitätskriterien aus, die gegebenenfalls anderen Wissenschaftsdisziplinen entlehnt werden. So verweist die viel beobachtete (und auch kritisierte248) Ökonomisierung auf ökonomische Rationalitätskonzepte249 verwaltungsrechtlicher Steuerung. Auch die Ökonomisierung kann erhebliche Schubkraft bei der Ausweitung und Veränderung präskriptiver Orientierungen entfalten. Ferner können überkommene Rationalitätskonzepte unter Verarbeitung neuer kognitionstheoretischer u. ä. Überlegungen weiter ausgebaut werden. Möglicherweise zeigt sich dabei – etwa bei Modifikation des Rationalitätskonzepts in Richtung auf die „Klugheit des Entscheidens“250 –, dass die in Kategorien rechtsstaatlicher Disziplinierung konzipierten Rationalitätskonzepte der Rechtswissenschaft faktisch wichtige Faktoren wie etwa Emotion251 oder Intuition ausblenden und dadurch möglicherweise Kreativitätspotentiale unterdrücken, die wichtig sein können, um insbesondere unter Bedingungen hoher Komplexität betroffener Interessen und hoher Ungewissheit über mögliche Folgen angemessene Problemlösungen zu erzielen. Die starke Betonung des Formungsbedarfs in der Formenlehre, soweit sie in ihren Zielsetzungen (z. B. Entlastung durch Formung) in erster Linie an Vorstellungen formaler Rationalität ausgerichtet ist, muss relativiert werden. Die Diskussion um veränderte Rationalitätskonzepte als Weg zu einer „guten“ Verwaltung steht jedoch erst am Anfang, so dass es zu früh für konkrete Folgerungen ist. Wichtig aber ist: Formung darf kein Selbstzweck sein, sondern muss als Mittel zur Sicherung der Qualität der Problemlösung verstanden werden.

VI. Einbeziehung von Verfahrens- und Organisationsformen sowie Formen des Einsatzes von Personal und des Umgangs mit Ressourcen

Verwaltungshandeln ist regelmäßig durch die Verzahnung unterschiedlicher Steuerungsfaktoren gekennzeichnet, also durch seine Ausrichtung nicht nur an dem normativen Programm, sondern auch an strukturierenden und damit „ergebnisprägenden“ Faktoren wie Organisation, Verfahren, Personal und Ressourcen252 als Mittel der Kontext- und Struktursteuerung. Insofern stellt es – _____________________________________________________________________________________

248 Siehe etwa Andreas Voßkuhle, „Ökonomisierung“ des Verwaltungsverfahrens, DV, Bd. 34 (2001), S. 347 ff.; s. ferner Jens-Peter Schneider, Zur Ökonomisierung von Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, DV, Bd. 34 (2001), S. 317 ff.

249 Zu ihnen vgl. Gebhard Kirchgässner, Rationalitätskonzepte in der Umweltökonomik, 1998; Christina Reifschneider, Behavioral Law and Economics: Überlegungen zu den Konsequenzen moderner Rationalitätskonzepte für die Gestaltung informationellen Kapitalmarktrechts, 2004. S. a. → Bd. II Sacksofsky § 40 Rn. 36 ff.

250 So das Anliegen eines Erfurter interdisziplinären Projekts, dazu s. die Beiträge in Arno Scherzberg (Hrsg.), Kluges Entscheiden, 2006; ders. u. a. (Hrsg.)., Klugheit, 2008

251 Dazu vgl. Julia F. Hänni, Vom Gefühl am Grund der Rechtsfindung, 2011. 252 So schon Wolfgang Hoffmann-Riem, Rechtswissenschaft als

Rechtsanwendungswissenschaft, in: ders. (Hrsg.), Sozialwissenschaften im Studium

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

930 Hoffmann-Riem

wie schon erwähnt253 – eine Verkürzung dar, eine Formenlehre rechtsaktbezogen nur an den Entscheidungsergebnissen (den rechtlich geprägten Outputs) oder den Bewirkungen254 zu orientieren. Neben der anzuwendenden Rechtsnorm selbst sind auch weitere den Herstellungsprozess des Entscheidungshandelns255 steuernde Faktoren (als Inputs) verwaltungsrechtlich erheblich, und auch für diese stellt sich die Frage, ob sich Formungen mit Ordnungs-, Speicher-, Orientierungs- und Entlastungsfunktionen feststellen lassen bzw. ob auch insoweit ein Bedarf an „Formung“ besteht.

So kennen das Organisationsrecht und die Organisationspraxis bestimmte Formen für Organisationen.256 Beispielsweise hat das Öffentliche Recht andere Organisationsformen herausgebildet als das Privatrecht257 und das Europarecht zum Teil andere als das nationale Recht.258 Zu unterscheiden sind die organisatorischen Anforderungen an die europäische Eigenverwaltung von den europarechtlichen Anforderungen an die Organisation des nationalen Vollzugs.259 Hierarchisch-bürokratische Organisationen260 unterscheiden sich von kooperativ-kollegialisch strukturierten Organisationen.261 Unterschiedliche Organisationen können sich zu Organisationsverbänden zusammenschließen – auch auf unterschiedlichen Ebenen262 – oder sie können in Netzwerkstrukturen wirken.263 Organisationen sind häufig durch Binnendifferenzierung geprägt, so die traditionellen staatlichen Verwaltungsorganisationen, z. B. in Behörden und Ämter.264 Aus einer verwaltungsrechtswissenschaftlichen Perspektive kommen die (Verwaltungs-)Organisationen und das darauf bezogene (Verwaltungs-)Organisa-tionsrecht als eigenständige Steuerungsfaktoren in den Blick.265

Das Verfahrensrecht266 kennt unterschiedliche Typen von Verfahren. So unterscheidet es beispielsweise förmliche und nichtförmliche Verfahren und

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des Rechts: Verfassung und Verwaltungsrecht, 1977, S. 1 (7). S. ferner statt vieler Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 544 ff., 625 ff., 698 ff., 772 ff.; → Bd. I Franzius § 4 Rn. 50 ff., 64 ff. Zu den Steuerungsfaktoren Personal bzw. Finanzen vgl. a. → Bd. III Voßkuhle § 43 bzw. Korioth § 44.

253 → Rn. 47 ff. 254 → Rn. 16 ff., 27 f. 255 → Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 12 sprechen insofern vom „inneren Verfahren“.

Diese Terminologie erfasst den Herstellungsprozess, der sich auch auf die Interaktion mit den Bürgern bezieht, allerdings nicht in seiner Gesamtheit.

256 Zu den Rechtsformen der Verwaltungsorganisation → Bd. I Groß § 13; Martin Burgi, Verwaltungsorganisationsrecht, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), VerwR, §§ 7 bis 10.

257 → Bd. I Groß § 13 Rn. 43 ff. 258 Zur europäischen Dimension s. a. → Rn. 78 ff. 259 Dazu s. Burgi, Verwaltungsorganisationsrecht (Fn. 256), § 7 Rn. 31 ff. 260 → Bd. I Schuppert § 16 Rn. 40 ff. 261 → Bd. I Groß § 13 Rn. 49 ff. 262 → Bd. I Groß § 13 Rn. 35 ff. zu Mehrebenensystemen der

Verwaltungsorganisation. 263 → Bd. I Schuppert § 16 Rn. 134 ff. 264 → Bd. I Jestaedt § 14 Rn. 36 ff. 265 → Bd. I Schuppert § 16 Rn. 5, 8 ff. 266 Näher dazu → Bd. II §§ 27 bis 32. Zur Bedeutung des Verfahrens s. die Referate

von Elke Gurlit und Michael Fehling, Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, in: VVDStRL, Bd. 70 (2011), S. 227 ff. und S. 278 ff.

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B. Veränderte Herausforderungen einer Formenlehre

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allgemeine sowie besondere Verfahrensarten, etwa Planfeststellungsverfahren267 (§§ 72 ff. VwVfG), sonstige förmliche Verfahren (§§ 63 ff. VwVfG) sowie förmliche Verfahren in Sonderrechtsgebieten, wie etwa das Beschlusskammerverfahren im Telekommunikationsrecht,268 das Vergabeverfahren269 oder das immissionsschutz-rechtliche Genehmigungsverfahren,270 und besondere an die Verfahrensarten anknüpfende Rechtsfolgen (etwa hinsichtlich der Präklusion). Die Systematisierung kann nach unterschiedlichen Kriterien erfolgen.271 Dabei empfiehlt sich eine Systematisierung unter Zusammenschau von Rechts- und Handlungsformen und deren Verknüpfung mit Aufgaben sowie unter Berücksichtigung der in den jeweiligen Aufgabenfeldern zum Teil je unterschiedlichen Intensitäten staatlicher Verantwortungsübernahme.272

Verfahren kennen besondere Ablaufs- und Zuordnungsregeln – etwa bestimmte Stufungen bei sogenannten gestuften Verfahren273 – sowie verschiedene Verfahrensformen der Mitwirkung mehrerer (etwa Informationsaustausch, Benehmen, Einvernehmen274). Das europäische Recht hat besondere Formen von

_____________________________________________________________________________________

267 Dazu näher Pünder, Verwaltungsverfahren (Fn. 217), § 15 Rn. 2 ff. 268 Dazu s. Bernd Holznagel/Christoph Enaux/Christian Nienhaus,

Telekommunikationsrecht, 2. Aufl. 2006, S. 64 ff.; Christian Koenig/Sascha Loetz/Andreas Neumann, Telekommunikationsrecht, 2004, S. 225 f.

269 Näher hierzu Pünder, Verwaltungsverfahren (Fn. 217), § 15 Rn. 38. S. a. → Bd. II Röhl § 30 Rn. 13; Bd. III Korioth § 44 Rn. 112 f., Scherzberg § 49 Rn. 119 ff.

270 Dazu s. Pünder, Verwaltungsverfahren (Fn. 217), § 15 Rn. 39. 271 Siehe etwa Voßkuhle, Strukturen (Fn. 124), S. 284 (287 ff.); → Bd. II Schmidt-

Aßmann § 27 Rn. 48 ff., 77 ff., Schneider § 28 Rn. 158 ff. 272 Ich empfehle folgende (nicht abschließende) Unterscheidungen (s. Wolfgang

Hoffmann-Riem, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz – Einleitende Problemskizze, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren, S. 9, 36): – Verfahren realer Leistungsbewirkung (z. B. Realakte) – Planungsverfahren – Zulassungsverfahren (Eröffnungskontrolle unter Verzicht auf

Auswahlentscheidungen), etwa förmliche Genehmigungsverfahren vereinfachte Genehmigungsverfahren Freistellungsverfahren – Zuteilungsverfahren (etwa für Subventionen, Sozialleistungen) – Auswahl- und Verteilungsverfahren (Eröffnungskontrolle verbunden mit einer

Auswahl zur Verteilung knapper Güter in Konkurrenzsituationen), etwa Studienplatzvergabe; Verteilung von Standplätzen am Markt vergleichende Lizenzerteilung Vergabeverfahren Versteigerungsverfahren – Verfahren laufender Überwachung, z. B. Banken- und Kapitalmarktaufsicht und

Risikoaufsicht – Gewährleistungsverfahren (Verfahren zur hoheitlichen Wahrnehmung der

Gewährleistungs- und Auffangverantwortung in Bereichen gesellschaftlicher Selbstregulierung), etwa

Zertifizierungs- und Akkreditierungsverfahren Audit-Verfahren. S. aber a. → Bd. II Schneider § 28 Rn. 158 ff.

273 Dazu s. statt vieler Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 9 Rn. 43 f., § 72 Rn. 25 ff. 274 Dazu → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 24.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

932 Hoffmann-Riem

Kooperationsverfahren275 vorgesehen, etwa die Notifikation oder Konsultation im Verhältnis von europäischer Kommission und Mitgliedstaat. Die Verwaltungspraxis kennt auch Verfahren ohne nähere rechtliche Konturierung, wie das informelle Aushandlungsverfahren276 oder ad hoc strukturierte Mediationsverfahren.277 Die Wahl der Verfahrensform und die Ausgestaltung der Einzelschritte der Entscheidungsbildung können Folgen für die zu erzielenden Ergebnisse und daran anknüpfende Konsequenzen haben, so dass auch die Wirkungsebene von Verfahren Aufmerksamkeit verdient.278 Deshalb kann und muss es Gegenstand rechtswissenschaftlicher Dogmatik sein, die Verfahrensformen auch auf ihren Einfluss auf die Bewirkungen verschiedenen Grades zu besehen und gegebenenfalls gesondert zu systematisieren.

Ähnlich lassen sich Formungen beim Einsatz von Personal beobachten.279 So gibt es nicht nur unterschiedliche Typen der personellen Rechtsverhältnisse (z. B. Beamte, Angestellte und Arbeiter im Öffentlichen Dienst), sondern es sind auch ausgeprägte Rechtsinstitute des Öffentlichen Dienstrechts herausgebildet worden (wie Ernennung, Beförderung, Abordnung, Versetzung). Der Formung unterliegen Vorgaben der Personalplanung und der Personalführung bzw. – moderner formuliert – des Personalmanagements280 oder der Leistungsmessung.281 Verstärkt gesehen wird, dass die rechtliche Steuerung des Verwaltungshandelns auch auf dem Wege über die (rechtliche) Steuerung des Personals betrieben werden kann.282 Damit stellt sich die Notwendigkeit, die im Öffentlichen Dienstrecht entwickelten Rechts- und Handlungsformen auch aus der steuerungswissenschaftlichen Perspektive zu betrachten. Gleiches gilt, soweit die Verwaltung sich eines anderen als des in ihrem Organisationsbereich vorgesehenen Personals bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben bedient (Einsatz „Privater“).283

Steuerungswirkungen entfaltet auch der Umgang mit Ressourcen,284 so dass auch das ressourcenbezogene Recht in die Betrachtung einzubeziehen ist. So strukturiert das Haushaltsrecht den rechtlichen Rahmen der Verwendung von Finanzmitteln. Dieser ist zu beachten, erklärt aber allein nicht die Art des konkreten Umgangs mit Ressourcen, bei dem die Verwaltung erhebliche Gestaltungsspielräume vorfindet. Über die Zuweisung oder Verweigerung von Ressourcen lässt sich insbesondere anreizorientiert285 steuern und _____________________________________________________________________________________

275 Dazu vgl. → Bd. I Schmidt-Aßmann § 5 Rn. 38 f.; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 45), S. 333 ff.

276 → Bd. II Fehling § 38 Rn. 28 f. Zur Sinnhaftigkeit derartiger Verfahren Horst Bossong, Der Sozialstaat am runden Tisch – Entrechtlichung durch Verfahren, DV, Bd. 34 (2001), S. 145 ff.

277 Siehe die Nachweise o. → Fn. 243 f. 278 Zu erwähnen ist insbes. die These vom Grundrechtsschutz durch Verfahren, s.

dazu Wolfgang Kahl, Grundrechtsschutz durch Verfahren in Deutschland und in der EU, VerwArch, Bd. 95 (2004), S. 1 ff.

279 → Bd. III Voßkuhle § 43 Rn. 1; Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 60. 280 → Bd. III Voßkuhle § 43 Rn. 57 f. 281 → Bd. III Voßkuhle § 43 Rn. 59, 62 f. 282 → Bd. III Voßkuhle § 43 Rn. 1; Martin Eifert, Die geteilte Kontrolle, DV, Bd. 39

(2006), S. 309 ff. 283 Vgl. dazu → Bd. I Schuppert § 16 Rn. 196 ff. 284 → Bd. III Korioth § 44; s. a. → Bd. I Franzius § 4 Rn. 64 ff.; Bd. II Hill/Martini § 34

Rn. 63. 285 → Bd. II Sacksofsky § 40.

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B. Veränderte Herausforderungen einer Formenlehre

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dementsprechend ist das Haushaltsrecht, auch das Haushaltsverfahrensrecht,286 ebenfalls Steuerungsrecht. Auf die Steuerungsleistung wirkt auch ein, nach welcher „Haushaltsphilosophie“ das Haushaltswesen strukturiert ist. So macht es beispielsweise einen großen Unterschied, ob die Ressourcen im Rahmen des Neuen Steuerungsmodells oder der tradierten kameralistischen Haushaltsführung eingesetzt werden,287 die jeweils unterschiedliche Formen des Umgangs mit Haushaltsmitteln vorsehen und damit gegebenenfalls unterschiedliche Wirkungen anstreben; das Neue Steuerungsmodell beispielsweise – im Binnenbereich der Verwaltung – eine höhere Motivation für die Sorge um die Sachgerechtigkeit und Effizienz des Ressourceneinsatzes. Dies kann sich auch auf den Außenbereich der Ressourcenverfügbarkeit und -anwendung auswirken.

VII. Maßgeblichkeit von komplexen Regelungsstrukturen

Der Blick auf den administrativen Einsatz von Steuerungsfaktoren, deren

Erheblichkeit sich nicht in der rechtlichen Prägung erschöpft, wird für die Verwaltungsrechtswissenschaft insbesondere bedeutsam, wenn sie sich als Steuerungswissenschaft versteht288 und dabei den so genannten Governance-Strukturen Aufmerksamkeit zuwendet.289 Die Governance-Perspektive290 zielt, angewandt auf Verwaltungshandeln, auf das „Wie“ der Aufgabenerfüllung, also auf die Erfassung des Modus und der Qualität administrativen Vorgehens.291 Diese Perspektivenerweiterung ist insbesondere wichtig, soweit Verwaltungshandeln – wie es außerhalb der so genannten Massenverwaltung häufig der Fall ist – in komplexe Regelungsstrukturen eingebunden ist. Dieser Begriff292 kennzeichnet einen mehr oder minder vielfältigen Bestand an Steuerungsfaktoren, darunter die für die Problemlösung maßgebenden materiellen und formellen rechtsnormativen Programme, die spezifischen Wissensbestände und präskriptiven Orientierungen der handelnden Organisation und ihrer Mitglieder (etwa Verwaltungskulturen), die _____________________________________________________________________________________

286 → Bd. II Schmidt-Aßmann § 27 Rn. 62. 287 Dazu s. Hermann Hill, Neue Organisationsformen in der Staats- und

Kommunalverwaltung, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht, S. 65 (71 f.); Bernd Grzeszick, Öffnungsklauseln für die Kommunalverwaltung, DV, Bd. 30 (1997), S. 545 ff., Hermann Pünder, Nach Hundert Jahren Diskussion: Abschied von der Kameralistik, Die Gemeindekasse 2005, S. 79 ff. S. ferner → Bd. I Schuppert § 16 Rn. 117 ff.; Bd. III Korioth § 44 Rn. 57 ff.

288 → Bd. I Voßkuhle § 1 Rn. 17 ff. 289 Zur Governance-Diskussion → Bd. I Voßkuhle § 1 Rn. 68 f. 290 Zu ihr s. → Bd. I Schuppert § 16 Rn. 20 ff. Es gibt allerdings unterschiedliche

Sichtweisen auf Governance, s. dazu etwa Arthur Benz (Hrsg.), Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen, 2. Aufl. 2010.

291 Vgl. Hoffmann-Riem, Governance im Gewährleistungsstaat (Fn. 79), S. 196 (197). 292 Zum Begriff s. → Bd. I Voßkuhle § 1 Rn. 70, Hoffmann-Riem § 10 Rn. 5,

Schuppert § 16 Rn. 24 ff. S. ferner Hans-Heinrich Trute, Die Verwaltung und das Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, DVBl 1996, S. 950 ff.; ders./Wolfgang Denkhaus/Doris Kühlers, Regelungsstrukturen der Kreislaufwirtschaft zwischen kooperativem Umweltrecht und Wettbewerbsrecht, 2004. S. ferner – dort aber genutzt als analytische Kategorie in den Sozialwissenschaften – Renate Mayntz, Steuerung und Selbstorganisation in staatsnahen Sektoren, in: dies./Fritz Scharpf (Hrsg.), Gesellschaftliche Selbstregulierung und politische Steuerung, 1995, S. 9 (16).

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

934 Hoffmann-Riem

Entscheidungsstrukturierung durch Verfahrensvorgaben sowie begleitende negative oder positive Anreize (knappe oder reichliche Ressourcen, Karrieremuster u. ä.), gegebenenfalls unter Einbeziehung der Vernetzung mit anderen hoheitlichen oder auch privaten Akteuren. Die Herausarbeitung der Regelungsstrukturen zielt insbesondere auf die Erfassung des Zusammenspiels der verschiedenen Steuerungsfaktoren.293 Die rechtliche Analyse kann nämlich zu kurz greifen, wenn sie nur einzelne Steuerungsfaktoren in den Blick nimmt oder nur isoliert auf einzelne Akte sieht, ohne auf deren Zusammenspiel mit anderen zu achten. In komplexen Regelungsstrukturen werden meist auch unterschiedliche Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen gebündelt, deren nur isolierte Fassung zum Risiko führt, ihr Aufeinanderangewiesensein aus den Augen zu verlieren. Es kommt nicht nur darauf an, das Zusammenspiel auch im Hinblick auf die Funktionen einer Formenlehre zu erfassen, sondern auch zu fragen, ob es neue komplexe Regelungsformen gibt, die verschiedene Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen übergreifend erfassen und sich dabei gegebenenfalls auch nicht an traditionellen Gewaltengliederungskonzepten orientieren.294 Noch allerdings hat die Rechtswissenschaft keine Typisierungen herausgearbeitet, die es erlauben, im Hinblick auf komplexe Regelungsstrukturen typisierte komplexe Regelungsformen zu benennen oder auch nur typische Steuerungsarrangements zu kategorisieren. Gerade an Letzterem besteht ein hoher praktischer Bedarf.

C. Überlagerung und Verzahnung von Formungsangeboten

unterschiedlicher Rechtsgebiete Bisher wurde nach Formungserfordernissen und -angeboten oder -verzichten im

Bereich des (deutschen) Verwaltungsrechts gefragt. Modernes Verwaltungshandeln ist jedoch nicht auf die Institute des Verwaltungsrechts begrenzt, sondern kann gegebenenfalls auch auf Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen anderer Rechtsgebiete zurückgreifen. Dies wird im Folgenden am Zusammenspiel von Verwaltungsrecht und Zivilrecht (I.) sowie von Verwaltungsrecht und Strafrecht (II.) illustriert. Etwas anders gelagert sind Folgen der Trans- und Internationalisierung des Rechts, insbesondere des Zusammenspiels deutschen Rechts mit dem im europäischen Regelungsverbund maßgebenden Europarecht sowie dem Recht von Mitgliedstaaten (III.).

I. Privatrecht und Öffentliches Recht als wechselseitig

nutzbare Auffangordnungen295 Seit langem ist anerkannt, dass die Erfüllung öffentlicher Aufgaben in gewissen

Zusammenhängen auch in privatrechtlichen Formen geschehen kann und

_____________________________________________________________________________________

293 Siehe a. u. → Rn. 117. 294 Siehe dazu Martin Bullinger, Regulierung als modernes Instrument zur

Ordnung liberalisierter Wirtschaftszweige, DVBl 2003, S. 1355 (1357). 295 Siehe dazu die Beiträge in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.),

Auffangordnungen.

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C. Überlagerung und Verzahnung von Formungsangeboten

Hoffmann-Riem 935

zunehmend erfolgt.296 Dementsprechend sind die Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen des Privatrechts auch Gegenstand des Verwaltungshandelns und der Verwaltungsrechtswissenschaft.297 Dies betrifft zum einen den Befund, dass die Verwaltung für ihr eigenes Handeln auf derartige Formen aus dem Privatrecht zugreift (sogenanntes Verwaltungsprivatrecht).298 Hier stellt sich insbesondere die Frage, wieweit die Nutzung der Formen des Privatrechts, also ihre Verwendung im Bereich der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, durch Träger öffentlicher Gewalt oder durch Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP)299 zu Modifikationen führt (Publifizierung privatrechtlicher Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen),300 oder allgemeiner, wie dem rechtlichen Verbund der beiden Teilrechtsordnungen hier Rechnung getragen werden kann.301

Davon systematisch zu unterscheiden ist der Einsatz des Privatrechts durch Private bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben.302 Insbesondere in den oben angesprochenen Feldern kooperativen u. ä. Verwaltungshandelns kann sich bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben eine Verlagerung auf Privatrechtssubjekte und dabei auf Privatrecht insbesondere dann ergeben, wenn die Verwaltung mit Rücksicht auf privatrechtlich ausgestaltete Problemlösungen der beteiligten Träger gesellschaftlicher Verantwortung auf verwaltungsrechtliche Handlungsformen verzichtet. Die Formen des Privatrechts – also die vielen im Handlungsarsenal des

_____________________________________________________________________________________ 296 Zu den Bestimmungsgründen → Bd I Burgi § 18 Rn. 30 ff. sowie zu

Verbunderscheinungen von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Lösungen Rn. 34 ff.

297 Zur Kombination von Formen des Öffentlichen Rechts und des Zivilrechts vgl. Hans-Heinrich Trute, Verzahnungen von öffentlichem und privatem Recht – anhand ausgewählter Beispiele –, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Auffangordnungen, S. 167 ff. Zu Verzahnungen → Bd. I Burgi § 18 Rn. 44 ff.

298 Dazu → Bd. I Burgi § 18 Rn. 64 ff. Vgl. ferner statt vieler Ehlers, Verwaltung und Verwaltungsrecht (Fn. 36), § 3 Rn. 66 ff., 72 ff. Privatrechtlich handelt die Verwaltung auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Zur Grundrechtsbindung bei Vergaben unterhalb der Schwellenwerte s. den Beschluss BVerfGE 116, 135 ff.; allerdings kann die Verwaltung im Bereich des Verwaltungsprivatrechts grundsätzlich nicht auf die Regelungen des VwVfG zurückgreifen, vgl. BGH, NVwZ 2010, S. 531 ff.

299 So nennt der deutsche Gesetzgeber die meist Public Privat Partnerships (PPP) genannten Mischformen funktionaler Privatisierung, s. dazu das Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich-Privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für Öffentlich-Private Partnerschaften vom 1. September 2005. S. a. → Bd. II Bauer § 36 Rn. 42 ff.; Bd. I Schulze-Fielitz § 12 Rn. 96, 114, Groß § 13 Rn. 91.

300 Siehe dazu Hans C. Röhl, Verwaltung und Privatrecht – Verwaltungsprivatrecht?, VerwArch, Bd. 86 (1995), S. 531 ff.; Peter Unruh, Kritik des privatrechtlichen Verwaltungshandelns, DÖV 1997, S. 653 ff. Jüngst hat das BVerfG insofern in Übereinstimmung mit der h. M. jedenfalls eine Bindung der Verwaltung an Art. 3 Abs. 1 GG ausdrücklich bejaht, aber auch an andere Grundrechte anerkannt, wobei die Reichweite sonstigen Grundrechtsschutzes vom Gewährleistungsbereich der jeweiligen Grundrechtsnorm abhängt, s. BVerfGE 116, 135 (151 f.).

301 Vgl. → Bd. I Burgi § 18 Rn. 64 ff., der die herrschende Lehre zum Verwaltungsprivatrecht allerdings ablehnt (dort Rn. 71).

302 → Bd. I Schulze-Fielitz § 12 Rn. 91 ff.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

936 Hoffmann-Riem

BGB, HGB, Gesellschaftsrechts u. a. enthaltenen Rechts- und Handlungsformen303 – werden dann von den Privatrechtssubjekten bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben genutzt. Zum Gewährleistungsverwaltungsrecht zählt auch die administrative Sorge für die Leistungsfähigkeit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private. Damit aber treten mittelbar die vielen im Privatrecht entwickelten Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen in das Beobachtungsfeld der Verwaltung und werden mittel- und langfristig auch in systematische Darstellungen des Verwaltungsrechts integriert werden müssen. Dabei wird insbesondere herauszuarbeiten sein, ob und wieweit sie inhaltlich durch öffentlich-rechtliche Vorgaben „aufgeladen“ werden.304 Über die ohnehin durch die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte305 ausgelöste verfassungsrechtliche Durchdringung zivilrechtlicher Handlungsformen hinaus können verwaltungsrechtliche Vorgaben mittelbar für die Nutzung privatrechtlicher Handlungsformen maßgebend werden, wenn mit ihrer Hilfe öffentliche Aufgaben erfüllt werden.306 Eine solche Publifizierung des Privatrechts307 kann rechtliche Formungsbedürfnisse nur unter wechselseitiger Berücksichtigung privat- und öffentlich-rechtlicher Vorgaben befriedigen. Dies wird zugleich ein weiterer Schritt zur Überwindung des überkommenen Dualismus der beiden „großen“ Rechtsregimes308 und zu seiner Ablösung durch funktionsspezifische Differenzierungen sein – mit Folgen auch für die Formenlehre. _____________________________________________________________________________________

303 Hier sei generell auf die Literatur zum Zivilrecht verwiesen, s. ferner → Bd. I Schulze-Fielitz § 11 Rn. 91 ff.

304 Walter Leisner, Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Recht, JZ 2006, S. 869 ff. nimmt m. E. zu Unrecht an, das Vordringen des Privatrechts bedeute ein Ende der Publifizierungswelle und das ius publicum sei nur eine „Provinz“ des ius privatum. Treffender erscheint es, von einer wechselseitigen Annäherung zu sprechen, die problemspezifische Unterscheidungen allerdings nicht ausschließt und vor allem das Privatrecht im Gewährleistungsstaat nicht vor dem Eindringen von Gemeinwohlsicherungen immunisiert. Bei dieser Sichtweise ergeben sich auch Konvergenzen zu Rechtsordnungen, die den deutschen Dualismus so nicht kennen.

305 Dazu vgl. statt vieler Stefan Oeter, „Drittwirkung“ der Grundrechte und die Autonomie des Privatrechts, AÖR, Bd. 116 (1994), S. 529 ff.; Anne Roethel, Normkonkretisierung und Privatrecht, 2004, S. 67 ff., 114 ff. m. w. N.; für von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Privatrechtsform gilt sogar die unmittelbare Grundrechtsbindung BVerfG, NJW 2011, S. 1201 ff.; derartige Unternehmen können sich selbst nicht auf Grundrechte berufen, vgl. BVerfG, JZ 2009, S. 1069 ff.

306 Dazu s. Martin Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999, S. 331 ff.; Martin Schulte, Gefahrenabwehr durch private Sicherheitskräfte im Lichte des staatlichen Gewaltmonopols, DVBl 1995, S. 130 (134); Jan O. Merten, Private Entscheidungsträger und Europäisierung der Verwaltungsrechtsdogmatik, 2005, S. 224 ff. Vgl. auch Carola Glinski, Die rechtliche Bedeutung der privaten Regulierung globaler Produktionsstandards, 2011.

307 Vgl. de Wall, Anwendbarkeit (Fn. 32), S. 31 ff. Zum Verhältnis der beiden Rechtsgebiete und ihren Veränderungen s. auch Benjamin Gündling, Modernisiertes Privatrecht und öffentliches Recht, 2006.

308 Zu den relativ fruchtlosen Diskussionen über Theorien zur Abgrenzung von Öffentlichem und Privatrecht, aber auch zu weiteren Funktionen dieser Abgrenzung s. → Bd. I Burgi § 18 Rn. 19 ff. S. ferner statt vieler Leisner, Unterscheidung (Fn. 304), S. 869 ff. m. w. N.; zur Abgrenzung zwischen öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Verwaltungstätigkeit, vgl. BVerwG, NVwZ-RR 2010, S. 682 ff.; Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich bspw. auch bei der LKW-Maut, vgl. BVerwG, NVwZ 2011, S. 41 ff.

C. Überlagerung und Verzahnung von Formungsangeboten

Hoffmann-Riem 937

II. Strafrecht und Öffentliches Recht als wechselseitig nutzbare Auffangordnungen

Zunehmend wichtiger wird auch die Ergänzungs- und Auffangfunktion des

Strafrechts im Hinblick auf die Verfolgung administrativer Zwecke. Dabei lassen sich zum einen – wenn auch bisher nur punktuell – Beispiele dafür finden, dass Strafrecht vermehrt eingesetzt wird, um der Verwaltung ausgeweitete Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen, die sie sonst nicht oder nicht mit der gleichen Aussicht auf Erfolg hätte. Beispielsweise kann – vorbehaltlich rechtlicher Grenzen – Strafrecht genutzt werden, um strafprozessuale Ermittlungsbefugnisse ergänzend zu den im Verwaltungsrecht angesiedelten Ermittlungsbefugnissen auch für administrative Zwecke zu nutzen. Dies mag der Verwaltung vorteilhaft erscheinen, wenn die sonstigen administrativen Ermittlungsbefugnisse an strengere Voraussetzungen gekoppelt sind.309 Daneben gibt es seit längerem eine Tendenz zur verstärkten Pönalisierung bisher nur oder vorrangig verwaltungsrechtlich geregelter Pflichten. Dies deutet auf verwaltungsregulatorische Absichten im Einsatz von Strafrecht hin. Insbesondere durch den Prozess der Privatisierung und Deregulierung, aber auch der Globalisierung, verlieren die traditionellen regulativen Mittel des Staates an Steuerungskraft. Als eine Art Auffangordnung für Steuerungsversagen und zum Ausgleich bestimmter Bewirkungsdefizite im Verwaltungsrecht310 wird – neben dem Ordnungswidrigkeitenrecht – Strafrecht eingesetzt, dessen Anwendungsbereiche insoweit immer mehr mit dem Verwaltungsrecht verzahnt werden.311 Das Strafrecht als Implementationshilfe312 wird so zum Pool für Bewirkungsformen, die (auch) zur Durchsetzung administrativer Zwecke eingesetzt werden.

Dieser seit langem beobachtbare Prozess administrativ induzierter Pönalisierung wird auch durch die EU forciert, die europarechtlich zunehmend von den Mitgliedstaaten die Absicherung materiellen Rechts durch strafrechtliche Sanktionen – also durch strafrechtliche Bewirkungsformen – fordert.313 Dies hat viele Gründe, darunter auch den, dass das Verwaltungsvollstreckungsrecht – als Arsenal für Bewirkungsformen – in anderen Mitgliedstaaten nicht so ausgeprägt ist wie in Deutschland. So kennt beispielsweise Frankreich kein Selbsttitulierungsrecht

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309 Beispiele dazu in Wolfgang Hoffmann-Riem, Administrativ induzierte Pönalisierung – Strafrecht als Auffangordnung für Verwaltungsrecht, in: FS Heike Jung, 2007, S. 299 (304 ff.).

310 Vgl. auch die Zuordnungen von Peter-Alexis Albrecht, Kriminologie. Eine Grundlegung zum Strafrecht, 4. Aufl. 2010, S. 1 und passim; dort auch Aussagen zum Steuerungsversagen im Hinblick auf Strafrecht, S. 64 ff.

311 Beispiele dazu in Wolfgang Hoffmann-Riem, Pönalisierung (Fn. 309), S. 300 ff. 312 → Bd. I Burgi § 18 Rn. 92. 313 → Bd. III Waldhoff § 46 Rn. 196 ff.; zu den Grenzen einer solchen

europarechtlichen Kompetenz a. a. O., Rn. 198; zur Kompetenz des Unionsgesetzgebers für strafrechtliche Bestimmungen im Bereich des Umweltschutzrechts EuGH, Rs. C-440/05, Slg. 2007, I-9097.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

938 Hoffmann-Riem

der Verwaltung314 und vertraut stärker als das deutsche Recht auf die Steuerungskraft der strafrechtlichen Sanktionsanordnung und des Einsatzes der Sanktion als spezifische Bewirkungsform. Da die Europäische Union die treibende Kraft der Deregulierung im nationalen Recht ist und verstärkt auf Selbst- und Koregulierung vertraut, sucht sie nach ergänzenden Implementationshilfen und will sie im Strafrecht verankert sehen. Damit wird die in der Entwicklung des deutschen Rechtsstaats als Fortschritt verbuchte Zurückdrängung des „Polizeistrafrechts“ zugunsten eines eigenständigen Verwaltungsvollstreckungsrechts315 in gewisser Hinsicht wieder rückgängig gemacht.

Gelegentlich kommt es vor, dass Strafrecht nicht mit dem vorrangigen Ziel geschaffen wird, ein normwidriges Verhalten auch wirklich zu bestrafen – also die Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen des Strafrechts einzusetzen (Beweiserhebung, Einleitung des Ermittlungsverfahrens, Eröffnung der Hauptverhandlung, Bestrafung, Strafvollzug) –, sondern, um eine Norm verfügbar zu haben, die administrative Maßnahmen zur Bekämpfung des unerwünschten Verhaltens, insbesondere im Rahmen der polizeilichen Generalklausel (Absehbarkeit einer Verletzung des Strafrechts als Anlass zur Abwehr einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit), ermöglicht.316 Dann kommen zwar insoweit die Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen des Verwaltungsrechts zum Einsatz, sind aber angewiesen auf die Verfügbarkeit der Strafrechtsnorm.

Von Belang ist dabei auch die seit langem eingesetzte Technik, Blankettstrafnormen zu schaffen (also weitgehend von der strafrechtlichen Formung abzusehen) und die Ausfüllung der Strafandrohung anderen Rechtsgebieten, so dem Verwaltungsrecht, anzuvertrauen.317 Dies betrifft insbesondere Regelungsfelder, die durch große Komplexität und diverse Entgrenzungen gekennzeichnet sind und in denen es zugleich schwer fällt, das erwünschte Verhalten, zu dem durch die Strafrechtsnorm und Sanktionsandrohung _____________________________________________________________________________________

314 Siehe dazu Christian Waldhoff, Der Verwaltungszwang. Historische und dogmatische Studien zur Vollstreckung und Sanktion als Mittel der Rechtsdurchsetzung der Verwaltung, 2002, S. 526 ff.

315 Näher dazu Waldhoff, Verwaltungszwang (Fn. 314). 316 So der im Jahre 2005 neu geschaffene § 130 Abs. 4 StGB, der ausweislich der

Gesetzesmaterialien in erster Linie (folgt man den Äußerungen vieler Abgeordneter in den Bundestagsdebatten, s. insbes. die Beiträge in Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 15. Wahlperiode, Bd. 225, S. 14 817 f., 14 819 f., 14 823 f. sowie Bd. 226, S. 15 350 ff., 15 359 f.) geschaffen wurde, um über § 15 VersG Versammlungen neonazistischer Organisationen an bestimmten Orten verbieten zu können, s. dazu Hoffmann-Riem, Pönalisierung (Fn. 309), S. 308 f.; zur Verfassungsmäßigkeit des § 130 Abs. 4 StGB s. BVerfGE 124, 300 ff. Zur literarischen Diskussion s. statt vieler Andrea Kirsch, Rudolf-Heß-Gedenkmärsche, Volksverhetzung und die Meinungsfreiheit, NWVBl 2010, S. 136 ff.; Mathias Hong, Das Sonderrechtsverbot als Verbot der Standpunktdiskriminierung – der Wunsiedel-Beschluss und aktuelle versammlungsgesetzliche Regelungen und Vorhaben, DVBl 2010, S. 1267 f.; Tatjana Hörnle, Zur vom BVerfG angenommenen Vereinbarkeit des § 130 Abs. 4 StGB mit Art. 5 Abs. 1 und 2 GG aus strafrechtswissenschaftlicher Sicht, JZ 2010, S. 310–313; Wolfram Höfling/Steffen Augsberg, Grundrechtsdogmatik im Schatten der Vergangenheit, JZ 2010, S. 1088 ff.; Uwe Volkmann, Die Geistesfreiheit und der Ungeist – Der Wunsiedel-Beschluss des BVerfG, NJW 2010, S. 417 ff.; Wolfgang Hoffmann-Riem, Versammlungsfreiheit, in: HGR IV, Rn. 120 ff.

317 Dazu vgl. Irini Vassilaki, Technikstrafrecht, in: Schulte/Schröder (Hrsg.), Technikrecht, S. 385 (391 ff.). → Bd. III Waldhoff § 46 Rn. 153 ff.

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C. Überlagerung und Verzahnung von Formungsangeboten

Hoffmann-Riem 939

angeregt werden soll, hinreichend eindeutig und fundiert durch sichere Prognosen zu normieren. Diesem Problem begegnet der Einsatz der Rechtstechnik der Blankettstrafnormen. Die Strafandrohung wird zwar in den Strafgesetzen normiert; für die Voraussetzungen der Strafbarkeit wird aber auf Normen aus anderen Rechtsgebieten verwiesen, insbesondere auf die des Besonderen Verwaltungsrechts.318 Ziel der Strafrechtsnorm ist dann die Sicherung der Maßgeblichkeit dieser anderswo gesetzten normativen Vorgaben bzw. ihre Umsetzung in konkrete Verwaltungsmaßnahmen durch Nutzung der strafrechtlichen Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen. Dabei werden nicht nur staatliche Instanzen zur Ausfüllung solcher Blankettnormen herangezogen, sondern zum Teil auch Private bzw. private Verbände, so durch die Technik staatlicher Bezugnahme bzw. Verweisung auf privat gesetzte Standards:319 Kann die Missachtung privat gesetzter Standards nicht nur verwaltungsrechtlich maßgeblich und (etwa mit Hilfe des Verwaltungsvollstreckungsrechts) sanktioniert werden, sondern wird sie auch strafrechtlich geahndet, dann entscheiden letztlich Private nicht nur über die materiellen Standards für Ge- und Verbote, sondern damit zugleich über die Voraussetzungen verwaltungsrechtlicher Umsetzung und des Einsatzes strafrechtlicher Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen.320 Die Maßnahme selbst ist insoweit allerdings wieder in staatlicher Hand, sei es durch Verhängung der Strafsanktion, sei es durch die administrative Durchsetzung der verwaltungsrechtlichen Ge- und Verbote.

Da der Staat sich insbesondere mit der Ausweitung der Risikogesellschaft zunehmend mit diffusen Problemlagen und durch Entgrenzungen geprägten Situationen befassen muss, ist er bemüht, sich Wissen oder eine Wissensmöglichkeit „auf Vorrat“ zu verschaffen, um dieses gegebenenfalls im richtigen Zeitpunkt für abwehrende Maßnahmen verfügbar zu haben. Ein Prototyp einer solchen Wissensermittlung aus unterschiedlichen „Quellfeldern“ ist die

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318 Vgl. statt vieler Meinhard Schröder, Verwaltungsrecht als Vorgabe für Zivil- und Strafrecht, VVDStRL, Bd. 50 (1991), S. 196 (210 ff.); Fritz Ossenbühl, Verwaltungsrecht als Vorgabe für Zivil- und Strafrecht, DVBl 1990. S. 963 (969 ff.); Vassilaki, Technikstrafrecht (Fn. 317), S. 385; → Bd. III Waldhoff § 46 Rn. 163 ff. Vgl. zur Entwicklung im Umweltrecht etwa Rüdiger Breuer, Empfehlen sich Änderungen des strafrechtlichen Umweltschutzes insbesondere in Verbindung mit dem Verwaltungsrecht?, NJW 1988, S. 2072 ff. (2077 f.); Hans Dahs/Konrad Redeker, Empfehlen sich Änderungen im strafrechtlichen Umweltschutz insbesondere in Verbindung mit dem Verwaltungsrecht?, DVBl 1988, S. 803 ff. (810 f.); Wolfgang Winkelbauer, Die Verwaltungsabhängigkeit des Umweltstrafrechts, DÖV 1988, S. 723 ff. (729 f.). S. a. → Bd. I Burgi § 18 Rn. 92 ff.

319 → Rn. 92. S. statt vieler Ehlers, Verwaltung und Verwaltungsrecht (Fn. 36), § 1 Rn. 82, § 2 Rn. 73; Helmut Schulze-Fielitz, Technik- und Umweltrecht, in: Schulte/Schröder (Hrsg.), Technikrecht, S. 468 ff., 472 ff.; → Bd. I Ruffert § 17 Rn. 85 ff., Eifert § 19 Rn. 62 ff.

320 Zum Problemfeld s. aus der Literatur Michael Kloepfer/Thomas Elsner, Selbstregulierung im Umwelt- und Technikrecht, DVBl 1996, S. 964 ff.; Rüdiger Breuer, Direkte und indirekte Rezeption technischer Regeln durch die Rechtsordnung, AöR, Bd. 101 (1976), S. 46 ff.; Irene Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995; Christoph Gusy, Probleme der Verrechtlichung technischer Standards, NVwZ 1995, S. 105 ff.; Schulze-Fielitz, Technik und Umweltrecht (Fn. 319), S. 455, 461 ff., 468 ff., 472 ff.; Irini E. Vassilaki, Technikstrafrecht (Fn. 317), S. 385 (391 f.).

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

940 Hoffmann-Riem

Tatsachenermittlung im Rahmen einer Verzahnung präventiver und repressiver Bekämpfung von Normverstößen und dort insbesondere die Verlagerung der polizeilichen oder staatsanwaltlichen Tätigkeit in das Vorfeld der Verwirklichung von Gefahren. Dies betrifft nicht nur die Planung oder den Versuch von rechtsgüterverletzendem Handeln, sondern auch weiter vorgelagerte Bereiche (z. B. die bloße Vorbereitung zukünftiger Aktionen oder Handeln, bei dem noch nicht einmal erkennbar ist, ob es auf Rechtsgutverletzungen hinzielt, abstrakt gesehen aber die Potentialität dafür hat321). Die insbesondere im Polizeirecht zwecks Gefahrenabwehr herausgebildeten klassischen Rechtsformen des Polizeiverwaltungsakts und der Polizeiverordnung werden durch Formen schlichten Verwaltungshandelns – insbesondere bei der unter Einsatz moderner Kommunikationstechnologien erfolgenden Datenerhebung und -verarbeitung – ergänzt. Dies geschieht häufig in einer Weise, die nicht eindeutig erkennen lässt, ob die Informationserhebung für eine strafrechtliche Sanktionierung oder eine ordnungsbehördliche Präventionsmaßnahme genutzt werden soll. Die Informationen werden zum Teil mit der doppelten Zielsetzung erhoben, sowohl den Einsatz präventiver als auch repressiver Bewirkungsformen vorbereiten zu können.

Durch solche wechselseitigen Nutzungsmöglichkeiten von Vorfeld- und Gefahrenabwehraktivitäten (soweit sie überhaupt zulässig sind) droht die rechts-staatliche Sicherungsfunktion traditionellen Polizeirechts (und des Strafverfolgungsrechts), die durch Bestimmtheits- und Verhältnismäßigkeits-anforderungen auch Formungsdruck ausgesetzt war, zu erodieren.322 Auch werden polizeirechtliche Vorfeldaktivitäten manchmal parallel zu strafprozessualen ergriffen, oder Vorfeldaktivitäten – insbesondere die dort erfolgenden Datenerhebungen – verfolgen den doppelten Zweck der (administrativen) vorbeugenden Gefahrenabwehr und der Vorsorge für eine mögliche spätere Strafverfolgung.323 Dies kann zu einem Verlust der Formungsvorteile führen, die bisher im materiellen Polizeirecht einerseits (etwa seinen speziellen Anforderungen an die Erhebung, Speicherung und Verwertung von Daten) und dem

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321 Vgl. Ermächtigungen zur Datenerhebung im Vorfeld, z. B. (§§ 8, 9, 10 Hamb.PolDVG; §§ 31 Abs. 2, 32, 33 a Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG). Vgl. auch die vom BVerfG in seinen Entscheidungen BVerfGE 100, 313; 107, 299; 110, 33; 113, 348; 115, 320 (Rasterfahndung, „Schläfer“) behandelten Normierungen.

322 Soweit die Informationserhebung zu Grundrechtseingriffen führt, bedarf es eines zu schützenden Rechtsguts als Rechtfertigung der Vorfeldbefugnis. Angesichts des Grundsatzes der umgekehrten Proportionalität (vgl. BVerfGE 113, 348 (368); 115, 320 ff.) muss dieses Rechtsgut durch ein besonders hohes Gewicht geprägt sein, wenn nur eine geringe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und der Möglichkeit besteht, ihn durch nachfolgende Maßnahmen zu vermeiden. Der Rang des zu schützenden Rechtsguts wird häufig durch die Strafandrohung indiziert. Je höher diese Strafandrohung, desto leichter die Rechtfertigung der Vorfeldbefugnisse. Dies schafft einen (problematischen) Anreiz, nicht nur entsprechende Strafrechtsnormen bereitzuhalten, sondern auch einen hohen Strafrahmen vorzusehen.

323 Allerdings sind die Gerichte bemüht, die strafprozessualen und polizeirechtlichen Kompetenzen auseinander zu halten, BVerfGE 113, 348 (367 ff.); s. a. etwa BVerwG, NJW 2006, S. 1225 ff.; dies gilt – als notwendige prozessuale Konsequenz – auch für die Bestimmung des einschlägigen Rechtswegs, vgl. BVerwG, NVwZ-RR 2011, S. 710 ff.

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C. Überlagerung und Verzahnung von Formungsangeboten

Hoffmann-Riem 941

Strafverfolgungsrecht (mit anderen Anforderungen) andererseits324 entwickelt worden sind. Das Fehlen bereichsbezogener Festlegungen führt insbesondere dann zu Risiken rechtsstaatlicher Defizite, wenn die staatliche Maßnahme als schlichtes Verwaltungshandeln bzw. als Realakt – wie es etwa für die Informationserhebung meist zutrifft – selbst wenig geformt ist und dem Betroffenen nicht oder nur verspätet bekannt wird, so dass Rechtsschutz erschwert wird. 325

Da in vielen Bereichen – etwa in dem Recht der Gentechnik, dem Lebensmittel- oder Chemikalienrecht oder dem Recht der Stammzellenforschung – häufig unsicher ist, ob Gefahren sich unbeabsichtigt verwirklichen, sieht der Gesetzgeber – wie schon erwähnt – durch Schaffung von Beobachtungspflichten, Transparenzgeboten, Anzeigepflichten für die betroffenen Privaten,326 gegebenenfalls ergänzt um Revisionsvorbehalte, Handlungsermächtigungen schon für den Vorfeldbereich vor.327 Parallel damit geht teilweise eine Pönalisierung der Verletzung entsprechender Pflichten einher.328 Die Pönalisierung soll den Einsatz strafrechtlicher Bewirkungsformen ermöglichen und dadurch die Einhaltung der administrativ motivierten Pflichten stimulieren. Sie schafft darüber hinaus – vorbehaltlich von Verwertungsverboten329 – aber auch Möglichkeiten (oder auch nur Versuchungen), strafrechtliche Ermittlungsbefugnisse zur Informationserhebung auch für administrative Zwecke zu nutzen, selbst wenn entsprechende Befugnisse in dem jeweils betroffenen Bereich des Besonderen Verwaltungsrechts so nicht vorgesehen sind. Soweit die administrative Weiterverwertung von Erkenntnissen aus der Strafverfolgung rechtlich zulässig ist, bewirkt dies eine Relativierung der Bedeutung der im Verwaltungsrecht enthaltenen Vorgaben für verwaltungsrechtliche Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen, wenn die durch den Einsatz strafrechtlicher

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324 Speziell zur Kumulation unterschiedlicher Informationsbeschaffungsmaßnahmen nach Strafprozessrecht s. Jens Puschke, Die kumulative Anordnung von Informationsbeschaffungsmaßnahmen im Rahmen der Strafverfolgung, 2006; zu Informationsbeschaffungsmaßnahmen des Bundesamtes für Verfassungsschutz vgl. BVerwG, JZ 2011, S. 39 ff.

325 Beispiele relativ ungeformter polizeilicher Maßnahmen sind die Datenerhebung durch Observation oder polizeiliche Beobachtung, durch den Einsatz verdeckter technischer Mittel oder verdeckter Ermittler sowie Eingriffe in die Telekommunikation (vgl. z. B. §§ 9 ff. Hamb.PolDVG). Traditionelle Mittel waren z. B. §§ 15 und 16 Hamb. SOG sowie § 81 b StPO (erkennungsdienstliche Behandlung).

326 Gefahrenabwehr und -vorsorge ist aber nur ein möglicher Anknüpfungspunkt für Beobachtungs-, Berichts- u. ä. Pflichten, s. z. B. Masing, Regulierungsverwaltung (Fn. 205), S. 36 ff., 182 ff., für die Marktbeobachtung, Selbstbeobachtung und Berichtspflichten der Bundesnetzagentur im Vernetzungsfeld.

327 Siehe dazu Ivo Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge: zum Wandel der Dogmatik des öffentlichen Rechts am Beispiel des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung im Umweltrecht, 2005, S. 134 ff. BVerfG, NVwZ 2011, S. 94 (98 f.) betont die Notwendigkeit von Risikovorsorge nachdrücklich (dort zum Gentechnikrecht).

328 Siehe zur Inkorporation verwaltungsrechtlicher Pflichten in das Strafrecht etwa § 330 d Nr. 4 StGB i. V. m. §§ 324 ff. StGB.

329 Vgl. etwa BVerfGK 4, 105 ff.: Dort wird ein Verwertungsverbot jedenfalls im Bereich der Selbstbezichtigung angenommen; ob eine solche in der Erfüllung verwaltungsrechtlich begründeter Pflichten zur Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung liegen kann, bedarf weiterer Abklärung.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

942 Hoffmann-Riem

Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen erlangten Ergebnisse sich auch in anderen Bereichen nutzen lassen.

III. Trans- und Internationalisierung

1. Formungen im Bereich des europäischen Unionsrechts

Die Europäische Union nutzt für ihr eigenes Handeln, insbesondere den direkten Vollzug von Unionsrecht (Eigenverwaltungsrecht),330 besondere Rechts- und Handlungsformen331 mit jeweils spezifischen Rechtmäßigkeitsanforderungen und Bindungswirkungen.332 Zu berücksichtigen ist insofern, dass den Diskussionen um „Handlungsformen“ in der europäischen Debatte meist ein sehr weites Begriffsverständnis zu Grunde liegt, dem eine Abgrenzung etwa zu Instrumenten oder Typen des Tätigwerdens u. ä. nicht eigen ist.333 Im Zentrum der unions-rechtlichen Handlungsformen und damit insbesondere des unionsunmittelbaren (direkten) Vollzugs stehen Verordnung, Richtlinie, Beschluss, Empfehlung und Stellungnahme334, also jene in Art. 288 AEUV aufgeführten Rechtsakte, mit denen das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission ihre Aufgaben erfüllen können.335 Eine besondere Nähe zu den kennzeichnenden Merkmalen der Einzelfallregelung des deutschen Verwaltungsaktes hat der Beschluss (früher – in Art. 249 EGV – „Entscheidung“ genannt).336 Die Zentralbegriffe Verordnung, _____________________________________________________________________________________

330 Dazu und den anderen Formen des Europäischen Verwaltungsrechts s. statt vieler Martin Kment, Das Eigenverwaltungsrecht der Europäischen Union, JuS 2011, S. 211 ff.

331 Zu den Handlungsformen mit besonderem Blick auf die Rechtsetzung s. → Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 76 ff. sowie Ines Härtel, Handbuch der Europäischen Rechtssetzung, 2006. Zu einer europäischen Handlungsformenlehre s. ferner Jürgen Bast, Grundbegriffe der Handlungsformen der EU entwickelt am Beschluss als praxisgenerierter Handlungsform des Unions- und Gemeinschaftsrechts, 2006; ders., Handlungsformen, in: v. Bogdandy/Bast (Hrsg.), Europäisches VerfR, S. 489 ff.; Armin v. Bogdandy/Jürgen Bast/Felix Arndt, Handlungsformen im Unionsrecht. Empirische Analysen und dogmatische Strukturen in einem vermeintlichen Dschungel, ZaöRV, Bd. 61 (2002), S. 67 ff.; Biervert, Missbrauch von Handlungsformen (Fn. 173), S. 38 ff.; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 45), S. 297 ff.; Peter Szczekalla, Handlungsformen im Europäischen Verwaltungsrecht, in: Terhechte (Hrsg.), VerwREU, § 5. Speziell zu Handlungsformen für den informationellen Bereich s. Kristina Heußner, Informationssysteme im Europäischen Verwaltungsverbund, 2007, S. 237 ff., 277 ff. S. a. → Bd. I Ruffert § 17 Rn. 33 ff.

332 Dazu s. statt vieler Daniela Schroeder, Bindungswirkungen von Entscheidungen nach Art. 249 EG im Vergleich zu denen von Verwaltungsakten nach deutschem Recht, 2006.

333 Siehe v. Bogdandy/Bast/Arndt, Handlungsformen (Fn. 331), S. 81; Matthias Ruffert, Überlegungen zu den Rechtsformen des Verwaltungshandelns im europäisierten Verwaltungsrecht, in: FS Peter Krause, 2006, S. 215, 219 ff.

334 Zu den verschiedenen Handlungsformen und ihren Besonderheiten s. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 16 ff., 23 ff., 85 ff., 95 ff.

335 Dazu s. Szczekalla, Handlungsformen (Fn. 331), Rn. 28 ff.; sowie – zur alten Rechtslage nach Art. 249 EGV – Christian Bumke, Rechtsetzung in der Europäischen Gemeinschaft – Bausteine einer gemeinschaftsrechtlichen Handlungsformenlehre, in: Schuppert/Pernice/Haltern (Hrsg.), Europawissenschaft, S. 643 ff.

336 Szczekalla, Handlungsformen (Fn. 331), Rn. 31 ff.

78

C. Überlagerung und Verzahnung von Formungsangeboten

Hoffmann-Riem 943

Richtlinie und Beschluss können den Kategorien Gesetzgebungsakt (Art. 289 AEUV), delegierter Rechtsakt (Art. 289 AEUV) und Durchführungsrechtsakt (Art. 290 AEUV) zugeordnet werden. Dabei gehen Gesetzgebungsakte den delegierten Rechtsetzungakten und beide den Durchführungsakten vor.337 Daneben werden im AEUV noch eine Reihe weiterer Handlungsformen angesprochen.338 Art. 288 AEUV benennt neben verbindlichen Rechtsakten auch die Empfehlung und Stellungnahme und bezeichnet sie ausdrücklich als nicht verbindlich. Dadurch wird ihnen nicht die rechtliche Bedeutung grundsätzlich aberkannt,339 die sich etwa bei der Auslegung von Beschlüssen der Kommission auswirken kann. Auch können solche unverbindlichen Akte weisungsähnlich wirken.340 In der Praxis gibt es eine Vielzahl weiterer Handlungsformen ohne rechtliche Verbindlichkeit, so etwa die Veröffentlichung von Grün- und Weißbüchern, Berichten, Bekanntmachungen, Rundschreiben, Kodices usw.341 Sie verweisen auf die Relevanz von soft law.342

Realakte sind dem Unionssrecht ebenso wenig fremd wie informelles Verwaltungshandeln.343 Die den Organen Europäisches Parlament, Rat und Kommission nach Art. 288 AEUV zugänglichen Handlungsformen bewirken nicht, dass andere (ungeschriebene) Handlungsformen nicht herausgebildet werden dürfen.344 Vertragliches Handeln im Bereich der Eigenverwaltung, insbesondere im Dienstrecht345, ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen.346 Allerdings ist die Handlungsform des Vertrags im europäischen Primärrecht nur unvollkommen geregelt. Die EU-Organe genießen gemäß Art. 296 AEUV Wahlfreiheit hinsichtlich der Handlungsform, sofern die Art des zu wählenden Rechtsaktes nicht vorgesehen ist. Zu beachten sind aber Verfahrensvorschriften und inhaltlich insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

_____________________________________________________________________________________ 337 Vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 11 f., s.

aber auch Rn. 10. 338 Zu der früheren Rechtslage s. Bumke, Rechtsetzung (Fn. 335), S. 643 ff. 339 Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 95. 340 Szczekalla, Handlungsformen (Fn. 331), Rn. 44 f. 341 Siehe Szczekalla, Handlungsformen (Fn. 331), Rn. 45. 342 Vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 102 mit

Fn. 372. Zum soft law s. ferner → Fn. 9. 343 Siehe statt vieler Szczekalla, Handlungsformen (Fn. 331), Rn. 53, 56 ff. 344 Bumke, Handlungsformenlehre (Fn. 335). 345 → Bd. II Bauer § 36 Rn. 24 ff. 346 Vgl. Art. 272 AEUV sowie dazu Ruffert, Rechtsformen (Fn. 333), S. 226 f. Bauer

stellt in → Bd. II ders. § 36 Rn. 27 aber zu Recht fest, dass es ein allgemeines Unionsvertragsrecht nicht gibt und stellt die Schwierigkeiten seiner Herausbildung dar (a.a. O. Rn. 26 ff.).

§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

944 Hoffmann-Riem

79a Beim indirekten Vollzug des Unionsrechts durch die nationalen Handlungsträger (mitgliedstaatlicher Verwaltungsvollzug) kommen grundsätzlich die nationalen Vorgaben für Handlungsformen zum Einsatz. Der in Art. 4 Abs. 3 EUV normierte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen EU und Mitgliedstaaten zielt dabei darauf, gegenseitige Achtung und Unterstützung zu sichern. Dieser Grundsatz beeinflusst die Entscheidung über den Einsatz nationaler Handlungsformen ebenso wie andere für den indirekten Vollzug entwickelte Orientierungen, wie das Äquivalenz- und Effizienzgebot.347 Ein bedeutsames Beispiel für die Einwirkung des EU-Rechts auf die Nutzbarkeit nationaler Handlungsformen ist die EuGH-Rechtsprechung zu den Defiziten der deutschen Verwaltungsvorschriften als Handlungsform zur Umsetzung von EU-Richtlinien.348 Das Europarecht kann auch auf die Entscheidung einwirken, ob der indirekte Vollzug mit Hilfe informellen Verwaltungshandelns erfolgen darf.349

Bei einem Vergleich mit der deutschen Handlungsformenlehre hat Christian Bumke zum früheren Gemeinschaftsrecht festgestellt, dass die gemeinschaftsrechtlichen Handlungsformen manche Unterscheidungen in den Hintergrund rücken, die für die deutsche Rechtsordnung konstitutiv sind (so die Unterscheidung zwischen exekutiven und legislativen Rechtsakten) oder doch eine beträchtliche Bedeutung besitzen (wie die zwischen Einzelakt und Norm), während andere erheblich an Gewicht gewinnen, die für die deutsche Rechtsordnung nicht von zentraler Relevanz sind, wie die Unterscheidung zwischen Grundakt und Vollzugsakt.350 Dies ist grundsätzlich weiter richtig und verdeutlicht, wie sehr auch heute Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen „Zweckschöpfungen“ sind, deren Tauglichkeit zur Zweckerreichung sich nach dem jeweiligen rechtlichen und tatsächlichen Kontext richtet. Durch Kodifikation oder durch Dogmatisierung lassen sich zwar kontextabhängig bestimmte Strukturelemente oder Ordnungsprinzipien herausarbeiten, denen aber keine alle Rechtsgebiete oder Anwendungsfelder übergreifende Relevanz zukommen muss. Soweit die Organe der Europäischen Union im Eigenverwaltungs- und im Mehrebenenverwaltungsrecht auf das Handeln anderer Akteure steuernd Einfluss nehmen und ihre Tätigkeit als Mittel der Erfüllung öffentlicher Aufgaben einkalkulieren, fällt das starke Vertrauen auf gesellschaftliche Selbstregulierung – in der europarechtlichen Terminologie: Selbstregulierung und Koregulierung –351

_____________________________________________________________________________________ 347 Siehe dazu statt vieler v. Danwitz, Europäisches VerwR, S. 137 f., 483 ff.;

Carsten Nowak, Rechtsschutz im Europäischen Verwaltungsrecht, in: Terhechte (Hrsg.), VerwREU, § 13 Rn. 83.

348 EuGH, ABl. EG 1991, C 166 = DVBl. 1991, S. 869 ff.; ABl. EG 1991, C 294 = EuZW 1991, S. 761 ff. sowie aus der Literatur statt vieler Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 45), S. 310 ff. m. w. N. Vgl. a. → Bd. I Ruffert § 17 Rn. 71, 77; Bd. II Hill/Martini § 34, Rn. 45 sowie → Rn. 36.

349 Dazu s. Szczekalla, Handlungsformen (Fn. 331), Rn. 65 f. 350 Bumke, Handlungsformenlehre (Fn. 335), S. 689. 351 Nach Härtel, Rechtssetzung (Fn. 331), S. 446, unterscheidet die Kommission

folgendermaßen: Die Selbstregulierung (self-regulation) umfasse verschiedene Verfahren, gemeinsame Regeln, Verhaltenskodizes oder freiwillige Vereinbarungen von Wirtschafts- und Sozialakteuren, Nichtregierungsorganisationen oder anderen Gruppen, die diese auf freiwilliger Basis festlegen, um ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln. Die Koregulierung (co-regulation) kombiniere bindende Rechtssätze mit Maßnahmen privater Akteure. Der EG-Normgeber stecke also mit bindenden

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C. Überlagerung und Verzahnung von Formungsangeboten

Hoffmann-Riem 945

auf. Im europäischen Bereich werden gesellschaftliche Selbstregulierung und hoheitliche Steuerung in starkem Maße verkoppelt. Es geht um die Mobilisierung gesellschaftlicher Kräfte, denen die Verfolgung ihrer individuellen Interessen ermöglicht wird, dies auch mit dem Ziel, zugleich gemeinwohlverträgliche Ergebnisse zu erreichen.352 Im Zuge der verstärkten Wahrnehmung der Bedeutung von soft law bzw. der Herausarbeitung von „new modes of governance“353 sind insbesondere eine Reihe „weicher“ Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen entwickelt worden, darunter besondere Formen der Koordinierung,354 die etwa in der Setzung von Zielen und der Überprüfung der Zielerreichung, der Bereitstellung und Generierung von Wissen, der Unterstützung von Prozessen der Überzeugungsbildung, der Ermöglichung von Lernen, des Monitoring, der Zielanpassung u. ä. bestehen. Durch solche Steuerungsformen werden die Handlungsebene und – bezogen auf die Befolgung europarechtlicher Vorgaben im nationalen Recht, etwa bei der nationalen Umsetzung von Richtlinien – die Bewirkungsebene miteinander verzahnt und häufig rekursiv verkoppelt. Auf rechtliche Formung des Einsatzes solcher weichen Steuerungsfaktoren wird weitgehend verzichtet, nicht aber stets auf rechtliche „Umhegung“ durch Verfahrensregeln, Vorkehrungen für Leistungsvergleiche u. ä.

80a Europarechtlich sind ferner auf der Vollzugsebene zum Teil neue Bewirkungsformen entwickelt worden, so z. B. die Kaution zur Durchsetzung unionsrechtlicher Pflichten, etwa denen der Händler für den Fall der Nichterfüllung im Bereich der Agrarmarktordnungen.355 Ein anderes Beispiel ist das von der EU forcierte Erfordernis, Strafsanktionen als Bewirkungsformen zur Sicherung der Normenimplementation vorzusehen.356

2. Einwirkungen des europäischen Regelungsverbundes auf die für

deutsches Verwaltungshandeln maßgebenden Formungen Der europäische357 Verwaltungs- und Regulierungsverbund358 führt auch

über den engen Bereich des indirekten Vollzugs hinaus zur Entwicklung eines _____________________________________________________________________________________

Rechtsnormen den Rahmen ab, und die privaten Wirtschaftsteilnehmer füllten diesen Rahmen mit Maßnahmen aus. S. a. → Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 82i.

352 Näher dazu Härtel, Rechtssetzung (Fn. 331), S. 22 ff. 353 → Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 82g u. 82k m. w. N. 354 Vgl. Hermann Hill, Zur „Methode der offenen Koordinierung“ in der

Europäischen Union, in: Karl-Peter Sommermann/Jan Ziekow (Hrsg.), Perspektiven der Verwaltungsforschung, 2002, S. 139.

355 Dazu s. Schwarze, Europäisches VerwR I, S. 709 ff. 356 → Rn. 72. Dieses Erfordernis bekommt eine besondere Akzentsetzung auch

dadurch, dass die Einwirkungen der EU auf das nationale Strafrecht zu dessen Europäisierung beitragen; kritisch dazu etwa Stephan Beukelmann, Europäisierung des Strafrechts – Die neue strafrechtliche Ordnung nach dem Vertrag von Lissabon, NJW 2010, S. 2081 m. w. Hinw.

357 Auf völkerrechtliche Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen wird hier nicht eingegangen. Vgl. aber → Bd. I Ruffert § 17 Rn. 40 ff.

358 → Bd. I Schmidt-Aßmann § 5 Rn. 16 ff. (zum Verwaltungsverbund); Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 82 ff.; Wolfgang Kahl, Der Europäische Verwaltungsverbund. Strukturen – Typen – Phänomene, in: Der Staat, Bd. 50 (2011), S. 353 ff. Zur Unterschiedlichkeit der Begriffe Mehrebenenverbund und Regulierungsverbund s. Gabriele Britz, Vom Europäischen Verwaltungsverbund zum Regulierungsverbund?, EuR 2006, S. 46 (57); Karl-Heinz Ladeur/Christoph Möllers, Der europäische

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

946 Hoffmann-Riem

nationalen „europaoffenen“ Verwaltungsrechts.359, 360 Das deutsche Recht steht

unter dem Druck, sich den zum Teil fremden europarechtlichen Steuerungsformen anzupassen,361 sich auf die besonderen, durch die EU-Institutionen verfügbaren formellen und informellen362 Verfahrensvorkehrungen einzustellen und dabei auch die Sichtweise des Gerichtshofs der Europäischen Union über die rechtliche Qualität deutscher Rechtsformen u. a. zu integrieren.

Die Einfügung europarechtlich gestalteter Rechts- und Handlungsformen in das deutsche Recht fällt zum Teil schon deshalb schwer, weil das europäische Unionsrecht den für das deutsche Recht typischen Dualismus des öffentlichen und des privaten Rechts363 so nicht kennt,364 aber auch, weil es neue Instrumente in die Rechtsordnung eingebaut hat, etwa solche, die mit der verstärkten Ökonomisierung der Instrumente, aber auch der verstärkten Nutzung von Kooperationsformen365 oder Managementkonzepten366 zusammenhängen.367 Ferner bedeutet die Verlagerung europarechtlicher Entscheidungen vor die auf die deutsche Rechtsordnung bezogenen Entscheidungen deutscher Organe eine

_____________________________________________________________________________________

Regulierungsverbund der Telekommunikation im deutschen Verwaltungsrecht, DVBl 2005, S. 525 ff.

359 So die Formulierung von Thomas v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, 1996, S. 395. Zur Europäisierung s. etwa Friedrich Schoch, Die Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts und der Verwaltungsrechtswissenschaft, DV, Beiheft 2, 1999, S. 135 ff.; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 45), S. 299 ff.; Rainer Wahl, Herausforderungen und Antworten: Das Öffentliche Recht der letzten fünf Jahrzehnte, 2006, S. 94 ff.; Ruffert, Rechtsformen (Fn. 333), S. 235 f.

360 Aus der reichhaltigen Literatur s. statt vieler v. Danwitz, Europäisches VerwR; Jean-Bernard Auby/Jacqueline Dutheil de la Rochère, Droit administratif Européen, 2007; Paul Craig, EU Administrative Law, 2006; Terhechte (Hrsg.) VerwREU; Peter Axer, Das europäische Verwaltungsrecht in der Konsolidierungsphase: Systembildung - Disziplinierung – Internationalisierung, DV, Beiheft 10, 2010; Wolfgang Weiß, Der Europäische Verwaltungsverbund: Grundfragen, Kennzeichen, Herausforderungen, 2010; Thorsten Siegel, Entscheidungsfindung im Verwaltungsverbund: horizontale Entscheidungsvernetzung und vertikale Entscheidungsstufung im nationalen und europäischen Verwaltungsverbund, 2009.

Nur als Merkposten sei erwähnt, dass sich in unterschiedlichen Teilrechtsordnungen spezifische Probleme der Koordination bzw. des grenzüberschreitendes Handelns (etwa der Leistungsgewährung) ergeben. S. dazu – am Beispiel des Sozialrechts – Jens-Peter Schneider, Verwaltungsrechtliche Instrumente des Sozialstaates, VVDStRL, Bd. 64 (2005), S. 338, 241 ff. (zur Europäisierung der Solidargemeinschaften etc.).

361 Zu Erscheinungsformen s. etwa Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 45), S. 299 ff., 325 ff.

362 Zwischen beiden liegen z. B. die (relativ) unverbindlichen Leitlinien der Regulierung (good practice guidelines).

363 Der aber immer mehr zugunsten von Überschneidungen und Verbundlösungen aufgelöst wird, s. → Bd. I Burgi § 18 Rn. 34 ff.

364 In der Folge kann es dazu kommen, dass privatrechtliche Willenserklärungen gegebenenfalls sogar Gleiches für die Tatbestandswirkung eines Verwaltungsakts bewirken, vgl. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 45), S. 330.

365 Siehe Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 45), S. 333 ff. 366 Siehe dazu Schuler-Harms, Management (Fn. 63). 367 Übergreifend zu Änderungswirkungen s. Christoph Knill/Daniela Winkler,

Staatlichkeit und Europäisierung: Zur Abgrenzung und Systematisierung eines interdisziplinären Konzepts, Der Staat, Bd. 45 (2006), S. 215 (222).

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C. Überlagerung und Verzahnung von Formungsangeboten

Hoffmann-Riem 947

Reduktion der Entscheidungsmöglichkeiten nach deutschem Recht.368 Auch kann die Relevanz der üblicherweise mit den deutschen Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen verbundenen Rechtmäßigkeitsanforderungen und Rechtsfolgen reduziert werden.

Ein prominentes Beispielsfeld für neuartige Rechts- und Handlungsformen (zum Teil auch Bewirkungsformen) ist die Regulierung im Bereich der Netzwirtschaften, die in der deutschen Rechtsordnung früher einem hoheitlichen Regime unterworfen waren und infolge der Deregulierung nunmehr neuartigen Regulierungsinstrumenten ausgesetzt werden.369 Ebenso haben erhebliche Auswirkungen auf die deutsche Formentypik die europarechtlichen Vorgaben in vielen anderen Gebieten verursacht, so beispielsweise im Umweltrecht, im Arzneimittel- und Chemikalienrecht, im Produktsicherheitsrecht, im Gentechnikrecht oder im Luftreinhalte-, Lärmschutz- und Wasserrecht. Selbst wenn es z. B. gelingen sollte, die meisten unionsrechtlich gebotenen und ermöglichten konkret-individuellen Handlungsformen auch in Parallelität zum Verwaltungsakt zu deuten,370 heißt dies nicht, dass damit ein hinreichender Gewinn an Erkenntnis und Steuerungskraft verbunden ist. Es schließt insbesondere nicht aus, dass die Einordnung europarechtlich geprägter Rechts- und Handlungsformen zu erheblichen Modifikationen und Anreicherungen der Voraussetzungen und Folgen führen muss, wenn nicht nur die mit solchen Formen bisher nach deutschem Recht verkoppelten Funktionen, sondern auch weitere (insbesondere gegenstandsspezifisch geprägte) erfüllt werden sollen.

Zu den Herausforderungen einer „europäisierten“ Rechtsformenlehre gehört es auch, mit der Rechtsfigur transnational wirksamer Maßnahmen hoheitlicher Gewalt in anderen Staaten der EU umzugehen. Der eingebürgerte Begriff des transnationalen Verwaltungsakts371 darf allerdings nicht so missverstanden werden, als ob die transnationale Geltung zugleich bewirkt, dass die hoheitliche Maßnahme sich vollständig in die deutsche Dogmatik des Verwaltungsakts einordnen lässt. Solche (auch hier der Einfachheit halber so genannte) transnationalen Verwaltungsakte372 müssen vielmehr nach Maßgabe der _____________________________________________________________________________________

368 Dazu Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 45), S. 299 ff. S. a. → Bd. I Reimer § 9 Rn. 103.

369 → Rn. 94 f. S. ferner Dirk Wieddekind, Die Regulierung des Zugangs zu Telekommunikationsnetzen – Eine Analyse des gemeinschaftsrechtlichen Regulierungsrahmens für den Netzzugang unter besonderer Berücksichtigung wettbewerbsrechtlicher Regulierungsalternativen, 2007; Kamyar Abrar, Fusionskontrolle in der Telekommunikation – Notwendigkeit einer sektorspezifischen Fusionskontrolle oder Möglichkeiten einer Evaluierung nach geltendem Fusionskontrollrecht, 2007.

370 So die These von Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 45), S. 348. Ob damit wirklich hinreichend komplexe rechtliche Folgerungen verbunden sind, darf bezweifelt werden.

371 Er geht zurück auf Eberhard Schmidt-Aßmann, Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht, DVBl 1993, S. 924 (935). Zu ihm s. statt vieler Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35 Rn. 34 ff. m. w. N. in Fn. 55; Pünder, Verwaltungsverfahren (Fn. 217), § 15 Rn. 51 m. w. N.; Szczekalla, Handlungsformen (Fn. 331), Rn. 73; → Bd. II Bumke § 35 Rn. 119 ff.

372 Zu den Erscheinungsformen solcher transnationalen Verwaltungsakte s. Volker Neßler, Der transnationale Verwaltungsakt – zur Dogmatik eines neuen Rechtsinstituts, NVwZ 1995, S. 863 ff.; Matthias Ruffert, Der transnationale

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

948 Hoffmann-Riem

Rechtsordnung, aus der sie stammen, analysiert werden, aber zusätzlich muss mit ihnen im deutschen Recht so umgegangen werden, dass möglichst keine Brüche bei der Beachtung der Anforderungen (auch) des nationalen Rechts entstehen. Dies kann dazu führen, dass die von dem transnationalen Verwaltungsakt ausgehende Bindung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich ist.

D. Ambivalenzen von Formungen

Die Ordnungs-, Speicher-, Orientierungs- und Entlastungsleistung näher ausgestalteter Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen ist dann evident, wenn administratives Handeln ohne Verlust an Problemlösungskapazität auf die „konfektionierten Bausteine“ der Formenlehre zurückgreifen kann. Im Folgenden sollen Erscheinungen modernen Verwaltungshandelns benannt werden, bei denen dies nicht so selbstverständlich möglich ist, jedenfalls nicht so selbstverständlich wie etwa im klassischen Ordnungs- oder Polizeirecht. Der formale Rechtsstaat ist – wie Gunnar Folke Schuppert formuliert hat373 – eingebettet in ein „Meer von Informalität“; informelle Institutionen unterschiedlicher Art gedeihen im Schatten von formalen Governancestrukturen.374 Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass die Rechtsordnung einerseits Informalität als Mittel der Problemlösung akzeptiert und nutzt und andererseits Formungsleistungen erbringt, die aber vielfältiger und differenzierter ausfallen als die traditionellen Formen. Die Anlässe für neuartige (weniger „konfektionierte“) Formen oder für den Verzicht auf sie können sehr unterschiedlich sein. Im Folgenden soll die Problemfülle an Einzelerscheinungen illustriert werden.

I. Formung des Informalen

Der in den vergangenen Jahrzehnten in der Verwaltungsrechtswissenschaft viel

thematisierte Umgang der Verwaltung mit den Erscheinungsformen des Informalen375 verdeutlicht, dass die Verwaltung nicht notwendig auf Formung drängt. Die insoweit gelegentlich erhobene Forderung nach „Strukturierung durch Form“376 kann jedenfalls nicht durch ein Gebot zur Formalisierung des

_____________________________________________________________________________________

Verwaltungsakt, DV, Bd. 34 (2001), S. 453 ff.; ders., Bedeutung (Fn. 48), § 21, Rn. 69 ff.; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 45), S. 36 ff. m. w. N. in Fn. 100 ff.; Susanne Koch, Die grenzüberschreitende Wirkung von nationalen Genehmigungen für umweltbeeinträchtigende industrielle Anlagen, 2010, S. 129 ff.; Katja Lehr, Staatliche Lenkung durch Handlungsformen, 2010, S. 115 ff.

373 Gunnar Folke Schuppert, Der Rechtsstaat unter den Bedingungen informaler Staatlichkeit. Beobachtungen und Überlegungen zum Verhältnis formeller und informeller Institutionen, 2011, zusammenfassend S. 183.

374 A.a.O., S. 182. 375 → Bd. II Fehling § 38. 376 Schmidt-Aßmann, Rechtsformen (Fn. 12), S. 533 (541); zur Kritik s. Dieter

Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben und die Krise des Rechtsstaats, in: ders., Die Zukunft der Verfassung, 1991, S. 159 (174); Udo Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL, Bd. 56 (1997), S. 235 ff.

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D. Ambivalenzen von Formungen

Hoffmann-Riem 949

Informalen377 eingelöst werden, wenn nicht die in der Verwaltungspraxis insbesondere für den Bereich des Gewährleistungsverwaltungsrechts deutlich gewordenen Bedürfnisse nach Handlungsmöglichkeiten mit je unterschiedlicher Verfahrensoffenheit und Bindungsintensität unbefriedigt bleiben sollen.378 Die „Motive“ für Informalität379 lassen sich ja nicht – jedenfalls nicht stets – auf Umgehungsabsichten reduzieren und insoweit normativ diffamieren.380 Auch ist keineswegs selbstverständlich, dass der Bedarf an der Verrechtlichung des Informalen aus rechtsstaatlicher Sicht zwingend begründet ist. Die rechtlichen Vorgaben gelten grundsätzlich ohne Rücksicht darauf, ob rechtsförmig oder informell gehandelt wird, und auch informale Verfahren können ein Verwirklichungsmodus des materiellen Rechts sein.381 Stets wird zu fragen sein, ob die Formung – oder gar die Formalisierung – zur angemessenen Problemlösung einschließlich der Sicherung der Beachtlichkeit aller rechtlich maßgeblichen Interessen beiträgt oder dysfunktionale Folgewirkungen auslöst. Die Rechtsordnung kennt gewisse Teil-Formungen des informalen Verwaltungshandelns, so etwa das Scoping im Rahmen der UVP382 oder die Qualitätssicherung im Zuge des Umweltaudit (EMAS),383 oder sie hat früher eher informal gestaltete Verfahren formalisiert, wie das Vergabeverfahren oberhalb der Schwellenwerte.384

Die Maßgeblichkeit des Rechts auch für informale Problemlösungen lässt sich insbesondere über die ergebnisorientierten Formen der traditionellen Formenlehre nicht sichern, wohl aber – wie etwa an der Diskussion über und der Entwicklung von Mediation studiert werden kann385 – über Verfahrensabsprachen, _____________________________________________________________________________________

377 Allerdings gibt es gelegentlich – aus rechtsstaatlicher Sicht gut nachvollziehbare – Tendenzen zur Formalisierung des Informalen, s. dazu – statt vieler – Cancik, Widerspruch (Fn. 202), S. 485 ff., 498.

378 → Bd. II Fehling § 38 Rn. 89. 379 Dazu s. Eberhard Bohne, Der informale Rechtsstaat: eine empirische und

rechtliche Untersuchung zum Gesetzesvollzug unter besonderer Berücksichtigung des Immissionsschutzes, 1981; Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, 1990; Helmut Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat: aktuelle Beobachtungen des Verfassungslebens der Bundesrepublik Deutschland im Lichte der Verfassungstheorie, 1984; Schuppert, Informale Staatlichkeit (Fn. 373).

380 Vgl. dazu die Diskussion um informales Verwaltungshandeln → Bd. II Fehling § 38 Rn. 43 ff.; Hoffmann-Riem, Selbstbindungen (Fn. 246), S. 187 (191 ff.); Schulte, Verwaltungshandeln (Fn. 131), S. 71 ff.; Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 242 ff.

381 So → Bd. II Fehling § 38 Rn. 83. 382 Dazu s. Sparwasser/Engel/Voßkuhle, UmweltR, § 4 Rn. 10 ff., 104. → Bd. II

Fehling § 38 Rn. 84. S. a. → Bd. II Gusy § 23 Rn. 37, Schneider § 28 Rn. 19, Köck § 37 Rn. 26.

383 → Bd. II Appel § 32 Rn. 28, 83 sowie statt vieler Sparwasser/Engel/Voßkuhle, UmweltR, § 4 Rn. 52 ff. Vgl. a. → Bd. I Schuppert § 16 Rn. 91 ff., Eifert § 19 Rn. 90 ff.; Bd. II Michael § 41 Rn. 44.

384 Dazu vgl. §§ 97 ff. GWB sowie Martin Hollands/Ralf Sauer, Geteiltes oder einheitliches Vergaberecht?, DÖV 2006, S. 55 ff. S. a. → Bd. II Fehling § 38 Rn. 87. Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte s. BVerfGE 116, 135 (149 ff.). S. ferner EuGH, verb. Rs. C-147/06 und C-148/06, Slg. 2008, I-3565 – SECAP und Santorso; Rs. C-231/03, Slg. 2005, I-7287 – Coname; Rs. C-458/03, Slg. 2005, I-8585 – Parking Brixen.

385 Dazu s. o. → Fn. 243 f.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

950 Hoffmann-Riem

Transparenzgebote, Fairnesspflichten, Ratifikationsvorbehalte u. ä. Insoweit muss eine verhaltensorientierte Formenlehre im Übrigen berücksichtigen, dass Art und Intensität von Bindungen der Verwaltung nicht ausschließlich von entsprechenden rechtlichen Vorgaben abhängen. Bindungen entstehen insbesondere aus Erwartungen, die jedoch nicht ausschließlich in Rechtsnormen kondensiert sein müssen, sondern auch „faktisch“, etwa situativ im Interaktionsvorgang insbesondere bei kooperativen Akten, genährt werden können und deren Erfüllung zumindest Anforderungen administrativer „Klugheit“ entspricht, etwa mit Rücksicht auf den bevorstehenden Interaktionsfortgang in Dauerverhältnissen. Rücksichtnahmepflichten können aber auch durch Anerkennung von Vertrauensschutz386 verrechtlicht sein.

II. Formung von Flexibilität Angesichts des schnellen Wandels vieler Verhältnisse muss eine Formenlehre

Flexibilitätsbedarfen und gegebenenfalls Revisionsnotwendigkeiten Rechnung tragen. Neben dem Versuch zur Schaffung von Erwartungssicherheit durch Knüpfung bestimmter („fester“) Rechtsfolgen an eine bestimmte Rechtsform ist die traditionelle Rechtsformenlehre durchaus auch auf Flexibilitätsbedarfe ausgerichtet, so wenn die Formenwahl zugleich als Schleuse zur Nutzung spezifischer (also gegebenenfalls höchst unterschiedlicher) Anforderungen an eine Aufhebung oder Relativierung der gesetzlichen Bindungswirkung dient – etwa durch Nebenbestimmungen (Befristung, Widerrufsvorbehalt u. a.) oder durch Nutzung entsprechender gesetzlicher Rechtsinstitute (Widerruf oder Rücknahme eines Verwaltungsakts) oder durch Anpassung und Kündigung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages (§ 60 VwVfG). Auch ist es möglich, unterschiedliche zeitliche Regelungsgehalte von Verwaltungsakten herauszuarbeiten.387 Moderne Normierungen nutzen ein immer größeres Potential der Flexibilisierung, wie etwa an Beobachtungs- und Evaluationsvorkehrungen, an Rückholoptionen und Revisionsvorbehalten erkennbar ist,388 also an bestimmten Formungen der Eröffnung von Flexibilität.

III. Formung koordinierender, kooperativer

und konsensorientierter Entscheidungselemente

Der Ruf nach adäquaten Formungen kann auch koordinierende, kooperative und konsensorientierte Elemente im Entscheidungsprozess betreffen.389 Im Bereich des

_____________________________________________________________________________________

386 Dazu s. statt vieler Kyrill-Alexander Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip – Eine Analyse des nationalen Rechts, des Gemeinschaftsrechts und der Beziehungen zwischen beiden Rechtskreisen, 2002, S. 321 ff. sowie aus der Rechtsprechung etwa BVerfGE 45, 142 (167 f.); 59, 128 (164); BVerwGE 41, 277 (279).

387 Dazu s. Christian Steinweg, Zeitlicher Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes, 2006.

388 Siehe → Rn. 54 f., 77. 389 Zu ihnen vgl. statt vieler Jens-Peter Schneider, Kooperative

Verwaltungsverfahren, VerwArch, Bd. 87 (1996), S. 38 ff.; Hermann Hill, Integratives

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D. Ambivalenzen von Formungen

Hoffmann-Riem 951

europäischen Rechts werden für solche Erscheinungen bekanntlich die Begriffe der „Selbst- und Koregulierung“ genutzt,390 und es wird von den EU-Organen verdeutlicht, dass sie den entsprechenden Erscheinungsformen „Zukunft“ zusprechen. Eine der bisherigen Formenlehre nahekommende Systematisierung und entsprechende Vorkehrungen zur Sicherung der Ordnungs-, Speicher- und Entlastungsfunktion sind bisher allerdings noch nicht beobachtbar. Im Folgenden sei die Problemfülle nur unter Erwähnung einzelner Beispielsfälle illustriert.

Nachdem es entgegen anfänglichen Widerständen gelungen ist, durch Anerkennung der (am Vorbild des zivilrechtlichen Vertrages ausgerichteten) Figur des öffentlich-rechtlichen Vertrages und deren (wenn auch nur bruchstückhafte) Normierung im Verwaltungsverfahrensrecht391 eine auf Konsens angewiesene Handlungsform in die Formenlehre zu integrieren,392 steht eine entsprechende Ordnungsleistung allgemein für koordinierendes, kooperatives oder sonstiges konsensorientiertes Verwaltungshandeln noch aus. Sie fällt allerdings deshalb schwer, weil hier mit viel Ideenreichtum immer neue Gestaltungen oder Kombinationen unterschiedlicher Gestaltungen eingesetzt werden – auch, um verstärkt „weichen“ Richtigkeitsfaktoren zur Geltung zu verhelfen – und die Übergänge zu tradierten Rechtsformen fließend geworden sind. Beispiele dafür sind der „ausgehandelte“ Verwaltungsakt oder der subordinationsrechtliche Vertrag, die als zwei äußere Pole auf einer Skala von Mischformen von Verwaltungsakt und Vertrag gesehen werden können.393 „Selbst- und Koregulierung“ ist aber nicht auf diese rechtlich geprägten Handlungsformen begrenzt, sondern kann auch weitere „erfinden“ oder überkommene Formen auf neue Art kombinieren. Darüber hinaus gibt es diverse kooperative Strukturen auch bei der Normsetzung.394

Die Einsicht in die begrenzte Tauglichkeit einseitigen staatlichen Handelns – etwa für eine erfolgreiche Informationserfassung auch gegenüber den Privaten, die Zugang zu den dem Staat versperrten Informationen haben, oder für die Sicherung der Implementationsbereitschaft – führt zu Bemühungen um je angemessene Wege zur Nutzung des Wissens, der Werthaltungen, der Lösungsvorschläge und der Akzeptanzbereitschaften anderer als staatlicher Akteure, insbesondere solcher privater Akteure, auf deren Mitwirkung der Erfolg des administrativen Handelns auf der Wirkungsebene angewiesen ist. Dieses Wissen zu aktivieren und die Bereitschaft zu konstruktivem Mitwirken zu stimulieren, gelingt mit den tradierten

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Verwaltungshandeln – Neue Formen von Kommunikation und Bürgermitwirkung, DVBl 1993, S. 973 ff.; Appel, Entwicklungsvorsorge (Fn. 327), S. 502 ff. und passim.

390 So das Weißbuch „Europäisches Regieren“ vom 25. 7. 2001, KOM (2001) 428 endg., abgedruckt in: ABl. EG, Nr. C 287 vom 12. 10. 2001, S. 1 ff.; Härtel, Rechtssetzung (Fn. 331), S. 445 ff. sowie → Fn. 351.

391 Siehe §§ 54 f. VwVfG. S. a. z. B. § 53 SGB X. 392 Viele, auch historische, Hinweise dazu bei → Bd. II Bauer § 36. Für ein

illustratives Beispiel des praktischen Einsatzes von Verträgen s. Jan Freigang, Verträge als Instrumente der Privatisierung, Liberalisierung und Regulierung in der Wasserwirtschaft, 2009.

393 So → Bd. II Michael § 41 Rn. 5. 394 Siehe statt vieler Florian Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in

der Normsetzung, 2005; Lothar Michael, Rechtsetzende Gewalt im kooperativen Verfassungsstaat, 2002; zu ihm teilweise kritisch Wolfgang Hoffmann-Riem, Rezension der eben zitierten Arbeit von Michael, in: Der Staat, Bd. 44 (2005), S. 160 ff.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

952 Hoffmann-Riem

Handlungsformen häufig nicht, soweit sie auf einseitiges staatliches Handeln setzen. Dies erklärt u. a. die Zunahme konsensorientierter, auf Kooperation ausgerichteter, auch die Öffentlichkeit einbeziehender (transparenzorientierter) Vorgehensweisen.395

Es gibt auch Interessen an Formungen des wechselseitigen Miteinanders in administrativen und privaten Handlungszusammenhängen, insbesondere zwecks Stärkung der Verhaltenssicherheit. Ausdrücklich anerkannt wird dies z. B., wenn in der Rechtsordnung privat gesetzte, also zunächst nur gesellschaftlich verantwortete, Standards maßgebend werden sollen. Dafür werden Transformationsformeln (wie die Anknüpfung an den „Stand der Technik“ oder den „Stand der Wissenschaft“) genutzt oder die Rezeption wird durch ausdrückliche Transformationsnormen ermöglicht.396 Die Transformation kann auf einen gesonderten, sie aussprechenden Rechtsakt angewiesen sein – für diesen mögen dann wieder traditionelle Kategorien wie Verwaltungsakt oder administrative Normsetzung passen. Sie kann auch allgemein im Gesetz angeordnet sein mit der Folge, dass die normative Wirkung „automatisch“ an einen privaten Akt der Standardsetzung anknüpft, also ohne Zwischenschaltung einer besonderen Rechts- oder Handlungsform. Auf eine hoheitliche Handlungsform oder auch nur die Rezeption eines privaten Akteurs als (auch) hoheitlich maßgeblich wird sogar verzichtet, wenn der Staat auf Selbstverpflichtungen397 der Wirtschaft anstelle einer hoheitlichen Regelung vertraut. Als Garant der Einhaltung dient dabei gelegentlich die „Drohkulisse“ der Möglichkeit einer staatlichen Auffangregelung bei Nichteinhaltung.398 Die Art und Weise der Möglichkeit hoheitlicher Ersatzlösungen soll und kann auf die Art und Weise des privatrechtlichen Handelns zurückwirken. Deshalb ist es wichtig, dass entsprechende – unter Steuerungsaspekten häufig unverzichtbare – Drohwirkungen und Auffangmöglichkeiten399 ihrerseits rechtsstaatlich hinnehmbar, also auch gegebenenfalls rechtlich geformt sind, und dass dabei zugleich auf die Funktionalität dieses Zusammenspiels geachtet wird.

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395 → Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 16, Rossen-Stadtfeld § 29 Rn. 1 ff. Zu neuen Konzepten, etwa in der Chemikalienregulierung, s. die N. → in Fn. 416.

396 Dazu s. o. → Rn. 36 mit Fn. 150. Aus der Literatur s. ferner Lamb, Gesetzeskonkretisierung (Fn. 320); → Bd. I Ruffert § 17 Rn. 85 ff.

397 Dazu → Bd. I Eifert § 19 Rn. 73 ff. S. ferner statt vieler Härtel, Rechtsetzung (Fn. 331), S. 446 ff.

398 Dazu s. etwa die Regelungstechnik der Verpackungsverordnung und des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (Überblick dazu in Trute/Denkhaus/Kühlers, Regelungsstrukturen [Fn. 292]) oder im Telekommunikationsrecht die vorgehaltene Möglichkeit zur Auferlegung einer Universaldienstverpflichtung (§ 81 TKG). Auch Selbstverpflichtungserklärungen der Wirtschaft können durch die administrative Drohgebärde flankiert sein, bei ihrer Nichteinhaltung hoheitlich zu intervenieren. S. a. Andreas Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen als Instrumente des Umweltrechts. Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Voraussetzungen und Grenzen, 1999.

399 Vgl. auch das bei → Bd. II Bauer § 36 Rn. 81 genannte Beispiel der sozialrechtlichen Eingliederungsvereinbarungen.

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D. Ambivalenzen von Formungen

Hoffmann-Riem 953

Auch der Einsatz intermediärer Akteure (wie Beliehene, Verwaltungshelfer,

Beauftragte, Aktuare, benannte Stellen/zugelassene Stellen etc.)400 oder von sogenannten hybrid gestalteten Aufgabenträgern des öffentlichen wie des privaten Sektors401 kann die heranziehbaren Rechts- und Handlungsformen und ihre jeweiligen rechtlichen Qualitäten beeinflussen.402 Auch gibt es Wahlmöglichkeiten. So können Produktsicherheitszertifikate entweder von staatlichen oder von privaten Aufgabenträgern erstellt werden,403 mit gegebenenfalls unterschiedlichen Folgen für die einzusetzende Rechts- oder Handlungsform. Auch können hoheitliche und private Handlungsträger für die jeweiligen Teilakte mit unterschiedlichen Kompetenzen versehen sein. So ist die Akkreditierung zugelassener (benannter) Stellen im Geräte- und Produktsicherheitsrecht (§ 11 GPSG) zwar ein Verwaltungsakt, die ausgestellten Zertifikate dürften aber mangels Regelung kein Verwaltungsakt sein,404 auch wenn die Zertifizierung rechtliche Vermutungswirkungen auslöst.405

IV. Formung von Regulierung im Hinblick auf neu strukturierte Aufgabenfelder

Eine moderne Formenlehre muss sich auch Rechtsgebieten zuwenden, in denen

die zur Problemlösung vorgesehenen Instrumente sich von den überkommenen Handlungsformen, insbesondere von dem für den Verwaltungsakt maßgebenden Prototyp hoheitlicher Ge- und Verbote oder des Verwaltungsvertrages, derart weit entfernen, dass Zuordnungen zu tradierten Rechts- und Handlungsformen nur begrenzt gelingen oder nur begrenzt hilfreich sind. Beispielsfelder sind die Gebiete des Rechts der Netzwirtschaften (Telekommunikations-, Post-, Energierecht und Recht des Schienenverkehrs).406 Hier stellen sich neuartige Aufgaben der _____________________________________________________________________________________

400 Vgl. etwa Barbara Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, 2003; Eifert, Kontrolle (Fn. 282), S. 309 ff.; → Bd. I Schulze-Fielitz § 12 Rn. 104 ff., Groß § 13 Rn. 88 ff., Eifert § 19 Rn. 40 ff.

401 → Bd. I Schuppert § 16 Rn. 120 ff. 402 Vgl. am Beispiel der sozialen Dienste Follmar-Otto, Kooperation (Fn. 184). 403 Dazu vgl. Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 45), S. 329 ff. 404 So Pünder, Zertifizierung (Fn. 124), S. 578 ff. sowie mit Hinweisen zum

Streitstand in Fn. 56 bis 58. 405 Anders ist die Rechtslage z. B. nach dem Altersvorsorgeverträge-

Zertifizierungsgesetz (Riester-Rente), nach dem das Bundeszentralamt für Steuern das Zertifikat in Form eines Verwaltungsakts erlässt (§ 3 Abs. 2 AltZertG). Demgegenüber sind die vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) für informationstechnische Systeme ausgestellten Sicherheitszertifikate (§ 9 BSIG) nicht mit Rechtswirkungen versehen (so jedenfalls Pünder, Zertifizierung (Fn. 124), S. 589 ff.

406 Vgl. statt vieler Gabriele Britz, Behördliche Befugnisse und Handlungsformen für die Netzentgeltregulierung nach neuem EnWG, RdE 2006, S. 1 ff. S. ferner Jürgen Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften, 2004; Johannes Masing, Grundstrukturen eines Regulierungsverwaltungsrechts, DV, Bd. 36 (2003), S. 1 ff.; ders., Regulierungsverwaltung (Fn. 205); Bullinger, Regulierung (Fn. 294), S. 1355 ff.; Martin Burgi, Übergreifende Regelung des Rechts der Regulierungsverwaltung – Realisierung der Kodifikationsidee?, NJW 2006, S. 2439 ff.; Lehr, Handlungsformen (Fn. 372), Karsten Herzmann, Konsultationen, 2010, S. 49 ff.; Roland Broemel, Strategisches Verhalten in der Regulierung, 2010, S. 318 ff.; Michael Fehling, Das Recht der Eisenbahnregulierung, in: Jörn Lüdemann

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

954 Hoffmann-Riem

Regulierung,407 die mit zum Teil neuartigen Instrumenten bewältigt werden.408 Dabei wirken das Kartellrecht und das Fachregulierungsrecht häufig nebeneinander.409

Ziel ist insbesondere die Sicherung der Funktionsfähigkeit einer bestimmten Infrastruktur, die vorrangig über das Medium des Marktes erreicht werden soll und damit insbesondere auf die Erhaltung von Wettbewerb zielt.410 Auch wenn staatliche Maßnahmen sich auf einzelne Verhaltensweisen beziehen – etwa auf die Abwehr eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung bei der Festsetzung von Entgelten –, geht es der staatlichen Aktivität nicht nur um den Einfluss auf das konkrete Verhalten, sondern letztlich darum, den Marktprozess als solchen funktionsfähig zu halten. Auf Struktursteuerung aber ist die Rechtsform des an Rechtssubjekte adressierten Verwaltungsakts bisher nicht optimal eingestellt. Der Markt ist kein Rechtssubjekt, sondern ein Funktionszusammenhang. Wie komplex die staatliche Aufgabe ist und wie wenig sich die Tauglichkeit einer Maßnahme zur Aufgabenerfüllung durch Zuordnung zu einer bestimmten Rechts-, Handlungs- oder Bewirkungsform erfassen lässt, wird

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(Hrsg.), Telekommunikation, Energie, Eisenbahn, 2008, S. 118 (128 ff.); Kristina Schreiber, Zusammenspiel der Regulierungsinstrumente in den Netzwirtschaften Telekommunikation, Energie und Eisenbahnen, 2009; Claudio Franzius, Warum Governance?, KJ, Bd. 42 (2009), S. 25 (30 ff.).

407 Unter Regulierung verstehe ich – in Anlehnung an→ Bd. I Eifert § 19 Rn. 1 ff., 5 – die gewollte, staatlich verantwortete Beeinflussung gesellschaftlicher Prozesse, die einen spezifischen, über den Einzelfall hinausgehenden Gemeinwohlzweck verfolgt und die dabei im Zuge der Bewältigung spezifischer Probleme auf das Medium Recht zugreift, das sowohl Orientierung als auch Grenze sein kann. S. zu (zum Teil anders akzentuierten) Regulierungsbegriffen ferner Christian Berringer, Regulierung als Erscheinungsform der Wirtschaftsaufsicht, 2004, S. 80 ff. m. w. N.; Johannes Hellermann und Wolfgang Durner, Schutz der Verbraucher durch Regulierungsrecht, in: VVDStRL, Bd. 70 (2011), S. 366 (368 ff.); 398, (401 ff.). In der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion werden die Regulierungsbegriffe meist anders definiert als in der rechtswissenschaftlichen (vgl. statt vieler Torsten J. Gerpott, Innovationen und Regulierung in der Telekommunikationswirtschaft, Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, Sonderheft 54/06, S. 133 (136): „Unter Regulierung versteht man in den Wirtschaftswissenschaften über das allgemeine Wettbewerbsrecht hinausgehende branchenbezogene Eingriffe des Staates…, die sich unmittelbar auf Wettbewerbskonstellationen zwischen Anbietern oder/und das Verhalten mindestens eines Unternehmens der Branche auswirken … Sie ergänzen branchenspezifische staatliche Vorgaben an die Wirtschaft.“).

408 Siehe Schuppert, Rechtsetzung (Fn. 165), S. 314 ff. 409 → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 122; Eifert § 19 Rn. 142 f. Speziell zu Fragen

der Kontrolldichte s. Hinnerk Wißmann, Richterliche Kontrolldichte im öffentlichen Wirtschaftsrecht. Zur Harmonisierung von Regulierungs- und Kartellrechtsordnungen, in: FS Reiner Schmidt, 2006, S. 627 ff. 410 Vgl. → Bd. I Eifert § 19 Rn. 110 ff., 125 ff. Matthias Cornils, Staatliche Infrastrukturverantwortung und kontingente Marktvoraussetzungen, AöR, Bd. 131 (2006), S. 378 ff., verwendet – bezogen auf das Referenzfeld der Universaldienstleistungen im Telekommunikationsrecht – das Konzept des Gewährleistungsstaats nicht nur als Beschreibungsformel moderner Staatlichkeit, sondern wendet es bezogen auf Art. 87 f. GG normativ, indem er es beispielsweise zur Rechtfertigung eines normativen Grundsatzes der Subsidiarität staatlicher Eigenerfüllung heranzieht (a. a. O., S. 409 ff.). Diese normative Wendung ist nicht im Hinblick auf alle Erscheinungsformen des Gewährleistungsstaats möglich.

D. Ambivalenzen von Formungen

Hoffmann-Riem 955

auch daran deutlich, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen zusammenspielen müssen. So setzt die Marktregulierung die Marktdefinition und die Marktabgrenzung voraus (vgl. § 10 TKG), aber auch Marktanalysen (z. B. zur Ermittlung von Marktmacht, s. § 11 TKG), also die Erfassung und rechtliche Strukturierung eines häufig sehr dynamischen Feldes. Der Markt ist – wie die Netzwerkökonomie zu erklären sucht411 – durch besondere Erscheinungen, auch spezifische Defizite, geprägt, die die (nationalen oder supra- und internationalen) Hoheitsträger u. a. zu spezifischen Formen aktiver Marktbegleitung durch Regulierung veranlasst haben.412 Dazu zählen neben Maßnahmen der Marktdefinition und Marktanalyse (§§ 9 ff TKG), auch die der Markterschließung, der Markteröffnung und gegebenenfalls sogar der Marktsimulation.413 Die dafür genutzten – insbesondere dem angelsächsischen Regulierungsrecht entnommenen – Instrumente lassen sich, wenn überhaupt, dann nur mit erheblichen Mühen den im deutschen Recht tradierten Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen zuordnen.414 Die Schwierigkeiten mögen zum Teil auch den politischen Konflikten um diese Art der Regulierung, darunter den vielen Kompromissen zwischen den lobbyistisch aktiven Marktakteuren und der staatlichen Seite, geschuldet sein, sind aber im Kern in den besonderen Anforderungen der auf Netzwirtschaften ausgerichteten Infrastrukturregulierung begründet.

Aus den weiteren Feldern der Nutzung neuartiger Instrumente sei als „traditionelles“ Referenzgebiet neuer verwaltungsrechtlicher Forschung das Umweltrecht und aus ihm beispielhaft das (neuartige) sogenannte Stoffstrommanagement benannt.415 Kennzeichnend für dessen Handlungs- und Bewirkungsformen ist dort der Versuch, den gesamten Produktions-, Verwendungs- und Beseitigungsprozess zu überwachen und dafür nicht nur auf der Zeitachse abgestufte staatliche Maßnahmen vorzusehen, sondern den Betreibern auch dauerhafte Berichts-, Aufzeichnungs- und Auswertungspflichten aufzuerlegen. Das Kontrollmanagement ist in starker Weise prozess- und produktionsbezogen

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411 Siehe dazu Berringer, Regulierung (Fn. 407), S. 55 ff. sowie die Literaturangaben zum Stand der Medienökonomie im Anhang zu dem Beitrag von Jürgen Heinrich/Frank Lobigs, Reputation als Motivation! Der institutionenökonomische Reputationsansatz und welche Alternativen?, Medien & Kommunikationswissenschaft, 2005, S. 560 (564 ff.).

412 Dazu s. → Bd. I Eifert § 19 Rn. 125 ff. sowie Wolfgang Hoffmann-Riem/Martin Eifert, Regelungskonzepte des Telekommunikationsrechts und der Telekommunikationspolitik: innovativ und innovationsgeeignet?, in: Wolfgang Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation und Telekommunikation, 2000, S. 9 (29 ff.); Berringer, Regulierung (Fn. 407), S. 121 ff.

413 Näher → Bd. I Eifert § 19 Rn. 110 ff. sowie (noch zur alten Rechtslage) Hoffmann-Riem/Eifert, Regelungskonzepte (Fn. 412), S. 9 (30 ff.); Martin Eifert/Wolfgang Hoffmann-Riem, Telekommunikations- und Medienrecht als Technikrecht, in: Schulte/Schröder (Hrsg.), Technikrecht, S. 667 (696 f.). S. ferner die Literatur zum TKG, etwa Holznagel/Enaux/Nienhaus, Telekommunikationsrecht (Fn. 268), S. 38 ff.; Koenig/Loetz/Neumann, Telekommunikationsrecht (Fn. 268), S. 112 ff.; Raimund Schütz, Kommunikationsrecht – Regulierung von Telekommunikation und elektronischen Medien, 2. Aufl. 2011, Rn. 299 ff.

414 Illustrativ dazu Britz, Behördliche Befugnisse (Fn. 406), S. 1 ff. 415 Dazu vgl. Appel, Entwicklungsvorsorge (Fn. 327), S. 142 ff. Zur

Managementproblematik → Rn. 16a Fn. 63.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

956 Hoffmann-Riem

ausgestaltet. Ein anderes Beispiel einer neuartigen Regulierung zum Zwecke der verbesserten Generierung (Ko-Produktion) von Risikowissen und zur arbeitsteiligen Zuschreibung von Verantwortung für das Risikomanagement auf die verschiedenen Akteure der Wertschöpfungskette – bei gleichzeitiger Reduktion der behördlichen Kontrolle – findet sich im Bereich der Chemikalienregulierung infolge der REACh-Verordnung der EU416.

E. Optionenwahl, insbesondere Auswahl

von Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen

I. Optionen auf unterschiedlichen Ebenen Die Rechtsordnung stellt den Akteuren – dem Gesetzgeber, der Verwaltung, den

Bürgern u. a. – vielfach Optionen zur Verfügung und berechtigt sie zur Optionenwahl. Optionen können sich u. a. beziehen auf die Entscheidung417 – für eine bestimmte Regulierungsstrategie418 (etwa für eine hoheitliche

Eigenerfüllung, für eine hoheitlich regulierte Selbstregulierung oder für eine gesellschaftliche Selbstregulierung);

–für bestimmte Governancestrukturen419; – zwischen dem öffentlich-rechtlichen und dem privatrechtlichen Rechtsregime

(Rechtsregimewahl)420 und dort gegebenenfalls zwischen bestimmten Teilrechtsordnungen (z. B. Wettbewerbsrecht oder sektorspezifisches Fachrecht);

– innerhalb des öffentlich-rechtlichen Rechtsregimes für bestimmte administrative Ordnungsmuster (etwa des imperativen, stimulierenden, innovationsbezogenen oder informationsverarbeitenden sowie des informierenden Verwaltungshandelns);421

– für bestimmte Instrumente (etwa Telefonüberwachung, Subventionsgewährung, Vergabeentscheidung, Abgabenerhebung, Marktdefinition422);

– für bestimmte Rechts- und Handlungsformen423 bei der rechtlichen Umsetzung von Instrumenten und

– für bestimmte Bewirkungsformen424 hinsichtlich des Vollzugs und der Vollstreckung.

_____________________________________________________________________________________ 416 → Bd. II Röhl § 30 Rn. 42a, Appel § 32 Rn. 24a, 25a, Michael § 41 Rn. 45a.

Kritisch zu dieser Art der Regulierung etwa Jan B. Ingerowski, Die REACh-Verordnung, 2010; ders., Die REACh-Verordnung: Wirksames Mittel für einen verbesserten Schutz von Umwelt und Gesundheit vor chemischen Risiken?, in: Dokumentation zur 34. Wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e.V. Leipzig 2010, 2011, S. 169, insbes. 182 ff.

417 Die folgende Ebenenuntergliederung dient heuristischen Zwecken. Es handelt sich nicht um rechtsdogmatisch verfestigte Unterscheidungen.

418 → Bd. I Eifert § 19. 419 Siehe etwa Schuppert, Rechtsetzung (Fn. 165), S. 168 ff. 420 → Bd. I Burgi § 18 insbes. Rn. 28 f., 56 ff. 421 Zu diesen Kategorien s. → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 125 ff. 422 Gem. § 10 TKG. 423 → Rn. 11 ff. 424 → Rn. 16 ff.

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E. Optionenwahl

Hoffmann-Riem 957

Der Bürger kann auf die behördliche Optionenwahl teilweise Einfluss nehmen,

etwa durch die Stellung eines bestimmten Antrags, durch Ausübung von Wahlrechten425 oder durch seine Bereitschaft zu einer konsensualen Lösung. Auf der Bewirkungsebene kann er durch Erfüllung der Primärpflichten dem Einsatz besonderer Bewirkungsformen vorbeugen oder er kann zum Teil auf die Art der Bewirkung Einfluss nehmen. So kann er etwa, soweit dem Angebot eines Austauschmittels zu folgen ist – wie im Polizeirecht426 –, zwar nicht die Bewirkungsform, wohl aber die Art der Bewirkung beeinflussen, indem er etwa durch das Angebot des Austauschmittels Zwangsmaßnahmen als solche oder die zunächst vorgesehenen abwehrt.

Heute wird weitgehend der Grundsatz anerkannt, dass den Staatsorganen, soweit die Rechtsordnung keine Grenzen vorsieht, die Auswahl zwischen unterschiedlichen, ihnen grundsätzlich verfügbaren Formen der Problembewältigung freisteht. Die Problematik ist lange Zeit unter den Schlagworten der Formenwahlfreiheit und des Formenmissbrauchs diskutiert worden, so insbesondere im Hinblick auf die Wahl zwischen dem Rechtsregime des öffentlichen und des privaten Rechts,427 zwischen hoheitlich einseitigen und konsensualen Formen,428 zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Organisationsformen429 oder zwischen hoheitlichem und unternehmerischem Verhalten.430

Die normativen Vorgaben einer Optionenwahl für die jeweiligen Regelungsstrategien, Ordnungsmuster, Instrumente oder Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen, aber auch die Rechtsmacht für die Auswahlentscheidung selbst (regulatory choice, instrumental choice etc.)431 sind im Folgenden nicht

_____________________________________________________________________________________

425 → Rn. 8. 426 Siehe z. B. § 4 Abs. 4 Hamb. SOG. 427 Siehe statt vieler Christian Graf Pestalozza, „Formenmissbrauch“ des Staates,

1973; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, VerwR I, § 22 Rn. 1 ff.; VerwR III, § 91 f.; Hans-Heinrich Rupp, Formenfreiheit der Verwaltung und Rechtsschutz, in: FG 25 Jahre BVerwG, 1978, S. 539 (541 ff.); Bernhard Kempen, Formenwahlfreiheit der Verwaltung. Die öffentliche Verwaltung zwischen öffentlichem und privatem Recht, 1989, jeweils m. w. N. → Bd. I Burgi § 18 Rn. 6 ff.

428 Vgl. hierzu insbes. die Diskussion um Verhandlungslösungen und Absprachen Steffen Kautz, Absprachen im Verwaltungsrecht: Zulässigkeit, Grenzen und Folgen, 2002; Peter M. Huber, Konsensvereinbarungen und Gesetzgebung, ZG 2002, S. 245 ff.; Walter Frenz, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, 2001; Tobias Köpp, Normvermeidende Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft, 2001; Andreas Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen als Instrumente des Umweltrechts, 1999.

429 Dazu vgl. Wolff/Bachof/Stober, VerwR III, § 81 Rn. 21 ff. sowie Rn. 47 ff. zu Gestaltungsformen des Gesetzgebers und Rn. 52 ff. zur Wahlfreiheit der Exekutive; Roman Loeser, Wahl und Bewertung von Rechtsformen für öffentliche Verwaltungsorganisationen, 1988. S. a. → Bd. I Schuppert § 16 Rn. 182.

430 Dazu vgl. etwa Johannes Hellermann, Handlungsformen und -instrumentarien wirtschaftlicher Betätigung, in: Werner Hoppe/Michael Uechtritz (Hrsg.), Handbuch Kommunale Unternehmen, 2. Aufl. 2007, § 7 Rn. 183; Veith Mehde, Ausübung von Staatsgewalt und Public Private Partnership, VerwArch, Bd. 91 (2000), S. 540 ff.; Hartmut Bauer, Verwaltungsrechtliche und verwaltungswissenschaftliche Aspekte der Gestaltung von Kooperationsverträgen bei Public Private Partnership, DÖV 1998, S. 89 ff.

431 Vgl. → Bd. I Schuppert § 16 Rn. 174 ff.; ders., Staatswissenschaft, 2003, S. 591 ff. sowie – zur Wahl zwischen hard and soft law – 908 ff.; ders. Governance und

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

958 Hoffmann-Riem

umfassend anzusprechen. Hier geht es nur um die Frage, welche restringierenden oder ermöglichenden Vorgaben es speziell für die Wahl der Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen gibt. Die vorgeschaltete oder auch damit verwobene Frage, ob das jeweilige Rechtsregime, die Regelungsstrategie, das herangezogene Ordnungsmuster, das Instrument oder der jeweilige Regelungsansatz im jeweiligen Problemfeld gewählt werden dürfen, bleibt also ausgeklammert. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Möglichkeitsräume für die vorgeschalteten Entscheidungen auch dadurch bestimmt und gegebenenfalls eingeschränkt sein können, dass es Grenzen zulässiger Wahl von Rechts-,432 Handlungs- und Bewirkungsformen433 gibt434 und bei Nichtverfügbarkeit einer erwünschten Form gegebenenfalls die vorgeschaltete Wahlentscheidung anders ausfallen muss (z. B. Vorzugswürdigkeit einer privat-rechtlichen Lösung gegenüber einer öffentlich-rechtlichen). Die verschiedenen Wahlebenen sind insofern untereinander, gegebenenfalls rekursiv, verschränkt.

Derartige Wahlentscheidungen erfolgen nicht im rechtsfreien Raum, sondern sind rechtlich geleitet oder doch „umhegt“. Vorgaben für die rechtlichen Grenzen der Wahl finden sich insbesondere in Zuständigkeitsregeln,435 in den Grund-rechten oder in allgemein rechtsstaatlich wichtigen Grundsätzen wie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oder den Regeln zur Ausübung der Optionenwahl (des Ermessens), dabei insbesondere der Abwägung. Sie können im Europarecht436, im Verfassungsrecht oder im „einfachen“ Fachrecht verankert sein – dort in Gesetzen und untergesetzlichen Normen –, gegebenenfalls auch in „weichen“ normativen Vorgaben (Leitbildern, Verwaltungskulturen u. ä.). Derartige „weiche“ Vorgaben können über Transformatoren wie den Gleichheitssatz und

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Rechtsetzung (Fn. 165), S. 114 ff. S. ferner → Bd. I Eifert § 19 Rn. 153 ff.; Saurer, Rechtsverordnung (Fn. 153), S. 238 ff.

432 Ob eine bestimmte Rechtsform zur Verfügung steht, kann eine Frage der Auslegung sein, s. z. B. BVerwGE 72, 265 (268); 97, 117 (120) (betreffend die Frage, ob die Rechtsform des Verwaltungsakts verfügbar ist).

433 Ein Beispiel ist die – im Einzelnen allerdings umstrittene – Frage der Durchsetzung von Geldforderungen mittels Leistungsbescheids. Zur älteren Rechtsprechung s. BVerwGE 18, 283 (284 ff.); 19, 243 (245). Zum Diskussionsstand in der Literatur s. statt vieler Rupp, Formenfreiheit (Fn. 427), S. 542 ff.; Michael Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 28; § 44 Rn. 62; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35 Rn. 11. S. a. → Bd. III Waldhoff § 46 Rn. 82 m. Fn. 458; Hans-Günter Henneke, in: Knack/Henneke, VwVfG, Vor § 35 Rn. 39 f.; Maurer, VerwR, § 10 Rn. 7; Friedrich Schoch, Die behördliche Befugnis zum Handeln durch Verwaltungsakt, Jura 2010, S. 670 (674 f.); Christoph Druschel, Die Verwaltungsaktbefugnis, 1999; Bull/Mehde, VerwR, Rn. 681.

434 → Rn. 101 ff. 435 Besonders nachdrücklich auf die Bedeutung der Kompetenzverfassung für die

Wahl von Handlungsformen verweist Helmut Goerlich, „Formenmissbrauch“ und Kompetenzverständnis, 1987. Durch die starke Fokussierung an Gedanken der Gewaltenteilung entsteht allerdings das Risiko der Unterbewertung des Steuerungsaspektes bei der Formenwahl.

436 Zur unionsrechtswidrigen Beschränkung des Ermessens der Bundesnetzagentur durch den Bundesgesetzgeber EuGH, JZ 2010, S. 195 (197).

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E. Optionenwahl

Hoffmann-Riem 959

damit über die Selbstbindung der Verwaltung437 oder über das Gebot fairer und unbefangener Amtsausübung438 in bestimmten Kontexten rechtserheblich werden.

II. Optionenwahl speziell hinsichtlich der Rechts-,

Handlungs- und Bewirkungsformen Die Rechtsordnung erlaubt grundsätzlich – also vorbehaltlich von Restriktionen –

die Nutzung jeder der in einem Rechtsregime und in der jeweiligen Teilrechtsordnung verfügbaren Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen, ohne dass die Wahlfreiheit selbst ausdrücklich geregelt sein muss (Grundsatz freier Auswahl).439 Art. 296 AEUV normiert diesen Grundsatz ausdrücklich für Rechtsakte der Union. Die Verwaltung ist grundsätzlich auch bei der Kombination unterschiedlicher Formen frei.440 Selbstverständlich sind die für Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen allgemein bestehenden rechtlichen Anforderungen zu beachten (z. B. Art. 80 GG für Rechtsverordnungen, §§ 35 ff. VwVfG für Verwaltungsakte, §§ 54 ff. VwVfG für öffentlich-rechtliche Verträge), ebenso wie ergänzende allgemeine Prinzipien wie der Grundsatz der Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit bei der Problemlösung. Eine darüber hinausgehende Beschränkung der Wahlfreiheit ist begründungsbedürftig.

Absolute Grenzen der Wahlfreiheit gibt es, soweit die jeweilige Teilrechtsordnung entsprechende Formen nicht bereithält bzw. im konkreten Zusammenhang die Nutzung nur einer bestimmten Form erlaubt oder die Nutzung anderer verbietet oder Gebote für die Nutzung einer bestimmten Form enthält.

In allgemeiner Hinsicht können bestimmte Formen durch Einengungen auf vorangehenden rechtlichen Ebenen ausgeschlossen sein. So begrenzen der Anwendungsvorrang bzw. die unmittelbare Anwendbarkeit des europäischen Unionsrechts441 die Nutzbarkeit kollidierenden mitgliedstaatlichen Rechts und damit auch der in ihm sonst verfügbaren Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen. Administrative Handlungsformen scheiden aus, soweit der Justizvorbehalt reicht, sei es, dass es sich um rechtsprechende Tätigkeit im Sinne von Art. 92 GG handelt, sei es, dass der Richter auch außerhalb der Rechtsprechung i. e. S. notwendig einzuschalten ist, etwa kraft Verfassungsrechts442 oder kraft

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437 → Rn. 38. 438 Siehe dazu Michael Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und

Gestaltungsaufgabe, 2001. Vgl. a. → Bd. II Schneider § 28 Rn. 32 ff. 439 Siehe statt vieler Loeser, System I, § 1 Rn. 58. Zur Wahl im Hinblick auf

unternehmerisches Handeln s.→ Bd. I Schulze-Fielitz § 12 Rn. 130 m. w. N. in Fn. 393. BVerfGE 114, 196 (224) zählt die Bestimmung bzw. Auswahl der zur Verfügung stehenden Handlungsformen zum Verwaltungsverfahren und nimmt insoweit implizit den Grundsatz der Nichtförmlichkeit des Verfahrens in Bezug, s. §§ 9 ff. SGB X.

440 → Bd. II Michael § 41. S. auch die Beispiele bei → Bd. II Bauer § 36 Rn. 81 ff. über Kombinationsformen unter Einschluss von Verträgen.

441 → Bd. I Ruffert § 17 Rn. 121 ff. Zu verweisen ist auch auf Verschränkungen mit EU-Vorgaben im nationalen Recht selbst, so etwa in §§ 10–14 TKG (Marktdefinition und Marktanalyse), wodurch der Handlungsrahmen der Bundesnetzagentur europarechtlich eingebunden wird.

442 Vgl. Art. 13 Abs. 2 bis 5, Art. 104 Abs. 2 GG.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

960 Hoffmann-Riem

einfachen Rechts.443 Einengungen erfolgen ferner durch die Wahl eines bestimmten Rechtsregimes. So stehen hoheitliche Handlungsformen grundsätzlich nicht bereit, wenn Lösungen im Bereich des Privatrechts angestrebt werden. Die Rechtsordnung kennt auch innerhalb des administrativen Handlungsrahmens (Rechts-, Handlungs- und Bewirkungs-)Formsperren, die sich als Verbote des Einsatzes anderer Formen oder als Einengungen der Wahlmöglichkeit auf eine oder auf bestimmte Formen darstellen, sofern ein bestimmter Erfolg erreicht werden soll. Der hierfür häufig benutzte Begriff der Rechtsformgebote ist allerdings insofern irreführend, als er suggeriert, eine bestimmte Form müsse eingesetzt werden: Dies hängt aber davon ab, ob die Verwaltung überhaupt handeln will und ob sie zur Problembewältigung ein Regelungsregime nutzt, das diese Form bereitstellt. Insofern handelt es sich allenfalls um relative Rechtsformgebote.

Ein Beispiel für eine Rechtsformensperre ist § 54 Abs. 1 VwVfG. Diese Norm beschränkt die Nutzbarkeit öffentlich-rechtlicher Verträge auf Felder, in denen der Vertragsform „Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen“. Das Gesetz geht also vom Bestehen bereichsspezifischer Vertragsformverbote444 aus. Diese ergeben sich etwa durch Auslegung von einzelnen Vorschriften des Beamtenrechts: Vertragsformverbote sind für die Beamtenernennung445 und für die Beamtenentlassung446 anerkannt. Betroffen sind davon verwaltungsaktersetzende Verträge, nicht aber zwingend auch Verpflichtungsverträge, etwa betreffend eine Beförderung.447 Ein anderes Beispielsfeld ist das Staatsangehörigkeitenrecht (Vertragsformverbot für die Einbürgerung oder Entlassung aus der Staatsbürgerschaft).448 Vertragsformverbote finden sich auch im Abgabenrecht.449 Bereichsspezifische Rechtsformverbote ergeben sich zum Teil im Umkehrschluss daraus, dass für ein bestimmtes Handeln nur eine Rechtsform – etwa die des Verwaltungsakts – zulässig ist (relatives Rechtsformgebot). So kann ein gemeindliches Vorkaufsrecht gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 BauGB nur durch Verwaltungsakt ausgeübt werden. Das erwähnte Vertragsformverbot etwa für die Beamtenernennung ist mit dem Verwaltungsaktsformgebot für diese Maßnahme verbunden. Zum Teil gibt es nur Einengungen der Rechtsformenwahl, so wenn alternativ nur zwei Formen verfügbar sind, etwa entweder der Verwaltungsakt oder der öffentlich-rechtliche Vertrag.450

Die Rechtsordnung kennt ausnahmsweise auch Vorrangregeln für die Wahl einer Rechtsform, so etwa im Baurecht451 oder im Telekommunikationsrecht.452 _____________________________________________________________________________________

443 Siehe die Hinweise o. in → Fn. 54. 444 Zu ihnen Dirk Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 242; Walter

Krebs, Verträge und Absprachen zwischen Verwaltung und Privaten, VVDStRL, Bd. 52 (1993), S. 248 (274); Elke Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, 2000, S. 271 f.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 54 Rn. 52.

445 Vgl. §§ 10 ff. BBG; §§ 8 ff. BeamtStG. 446 Vgl. § 30 ff. BBG; §§ 21 ff. BeamtStG. 447 Vgl. Maurer, VerwR, § 14 Rn. 28; Michael Fehling, in: Hk-VerwR, § 54 VwVfG. 448 §§ 16, 23 StAG. S. ferner Jan Ziekow/Thorsten Siegel, Entwicklung und

Perspektiven des Rechts des öffentlich-rechtlichen Vertrages, VerwArch, Bd. 94 (2003), S. 593 (605); Utz Schliesky, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 54 Rn. 17.

449 Siehe Gurlit, Verwaltungsvertrag (Fn. 444), S. 254 ff. 450 So etwa für die Förderungszusage nach § 13 Abs. 3 Satz 1

WohnraumförderungsG. 451 Beispiele sind z. B. § 87 Abs. 2 BauGB: Vorzugswürdigkeit einer Einigung für

eine Enteignung; § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB: Festlegung als städtebaulicher

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E. Optionenwahl

Hoffmann-Riem 961

Starre Zuordnungsverhältnisse – etwa die Subsidiarität imperativer vor konsensualen Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen – gibt es vorbehaltlich gegenläufiger Regelungen allerdings nicht. Dementsprechend steht der Behörde grundsätzlich auch die Wahl zwischen öffentlich-rechtlichem Vertrag453 und der Entscheidung durch Verwaltungsakt frei.454 Vorrangbeziehungen können sich aber aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben.455 Auch gilt für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, soweit der Staat sie wahrnimmt und er zur Aufgabenerfüllung nicht hoheitliche Befugnisse einsetzen muss, kein grundsätzlicher Vorrang privatwirtschaftlicher Betätigung des Staates vor hoheitlicher Eigenerfüllung oder umgekehrt.456

Soweit das Bestehen von Rechtsformsperren vom Ergebnis einer Auslegung abhängt, kann ein Blick auf die oben457 im Zusammenhang mit den „Funktionen“ von Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen benannten Eigenheiten bestimmter Formen weiterhelfen. So kann gefragt werden, ob die an bestimmte Formen geknüpften Rechtmäßigkeitsbedingungen, Rechtswirkungen, Rechtsschutz- und Vollstreckungsmöglichkeiten es nahe legen oder gebieten, in dem betroffenen Regelungsbereich nur bestimmte Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen verfügbar zu machen, etwa um die für eine Rechtsform (z. B. Verwaltungsakt oder Rechtsverordnung) geltenden Regeln über die Bestandskraft oder über Rechtsschutz aktivieren zu können. Soweit die traditionellen Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen aber Orientierungen etc. nur auf einer sehr abstrakten Ebene erlauben,458 führt diese Fragerichtung häufig noch nicht zum Ziel. Vielmehr sind mögliche weitere Beschränkungen der Wahlfreiheit bereichsspezifisch zu ermitteln. So können besondere Gründe – etwa die Einsicht in die Systemwidrigkeit oder Missbrauchsanfälligkeit von bestimmten konsensualen Lösungen und insoweit die Nichtverhandelbarkeit der rechtlichen Vorgaben – für eine Begrenzung auf einseitiges hoheitliches Handeln (etwa in Form des Verwaltungsakts) sprechen. Die Notwendigkeit der Eröffnung effektiven Rechtsschutzes kann die Freiheit der Wahl zwischen Einzelakt und Rechtsverordnung begrenzen oder die Sicherung der Effektivität beim Rechtsschutz

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Entwicklungsbereich, wenn die Ziele durch städtebauliche Verträge nicht erreicht werden können. S. a. → Bd. II Bumke § 35 Rn. 37.

452 Vgl. § 16 TKG. 453 Dass an die Wahl der Vertragsform bestimmte Voraussetzungen und

Rechtsfolgen gekoppelt sind (s. insbes. §§ 54 ff. VwVfG) ist dabei zu berücksichtigen – sie bewirkt aber als solche keine Aussage über Vorrangverhältnisse.

454 Siehe statt vieler Heribert Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9 Rn. 167. S. a. Gurlit, Verwaltungsvertrag (Fn. 444), S. 21 ff., 252 ff., 272 ff.; dies., Verwaltungsvertrag, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), VerwR, § 32 Rn. 6.

455 → Rn. 116. 456 Eine Regelung wie Art. 87 f Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 GG (betr.

Telekommunikationsdienstleistungen) bedeutet nur eine scheinbare Ausnahme: Das Grundgesetz erklärt die Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen nicht zur öffentlichen Aufgabe, wohl aber die Sorge dafür, dass flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen erbracht werden. S. a. → Bd. I Burgi § 18 Rn. 57; Bd. II Appel § 32 Rn. 53 ff.; Bd. III Waldhoff § 46 Rn. 46 f.

457 → Rn. 3. 458 → Rn. 45.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

962 Hoffmann-Riem

auch für Dritte kann informellen bilateralen Abklärungen durch Aushandlungen entgegenstehen.459

Sperren für einzelaktbezogene Formen ergeben sich insoweit, als die beabsichtigten Ziele am besten durch eine Norm erreicht werden können.460 Darüber hinaus bewirkt der Gesetzesvorbehalt ein spezifisches Rechtsformgebot, da er ein Vorbehalt des formellen (Parlaments-)Gesetzes ist.461 Zur weiteren Konkretisierung normativer Vorgaben462 können allerdings untergesetzliche Normen, insbesondere Rechtsverordnungen, in Selbstverwaltungsbereichen auch Satzungen,463 eingesetzt werden. Ein relatives Rechtsformgebot bewirkt auch der Vorrang des Gesetzes:464 Im Regelungsbereich eines formellen Gesetzes sind ab-weichende Regelungen ebenfalls nur in der Form des Gesetzes möglich (Abweichungs- und Gesetzesverwerfungsverbot).465 Ein relatives Rechtsformverbot466 folgt aus dem europäischen Unionsrecht in Konstellationen, in denen der Europäische Gerichtshof für die Umsetzung von EU-Richtlinien die Rechtsform der Verwaltungsvorschrift nicht ausreichen lässt.467 Damit ist allerdings die Rechtsform der Verwaltungsvorschrift nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sondern nur insoweit, als das nationale Recht bestimmte Anforderungen an Verwaltungsvorschriften nicht erfüllt (so hinsichtlich der Veröffentlichung, der Rechtssicherheit und Einklagbarkeit).468 Im deutschen Recht wird als Folge dieser _____________________________________________________________________________________

459 Allgemein zu notwendigen Sicherungen insbes. bei informellen Abklärungen s. Hoffmann-Riem, Selbstbindungen (Fn. 246), S. 187 (220 ff.).

460 Auf die Frage, welche Inhalte eine Norm haben darf – insbes. die Frage nach der Rechtmäßigkeit von Einzelfall-, Maßnahme- und Vollziehungsgesetzen – kann hier nicht eingegangen werden, s. dazu statt vieler Biervert, Missbrauch von Handlungsformen (Fn. 173), S. 35 ff. m. w. N. Zu der Frage, ob Rechtsverordnungen mit Änderungsvorbehalt des Gesetzgebers ergehen dürfen, s. Biervert, a. a. O., S. 47 ff. sowie umfassender zur Möglichkeit gesetzgeberischen Handelns in Verordnungsform s. Hartmut Bauer, Parlamentsverordnungen, in: FS Reiner Schmidt, 2006, S. 237, 239 ff. S. ferner BVerfGE 114, 196 (234 ff.) mit der Aussage, dass eine gesetzliche Änderung oder Ergänzung einer Rechtsverordnung bewirkt, dass das dadurch entstandene Normgebilde insgesamt als Rechtsverordnung zu qualifizieren ist.

461 → Bd. I Reimer § 9 Rn. 23 ff., 26. 462 Nach umstrittener, m. E. aber zutreffender Auffassung stehen

Rechtsverordnungen als Rechtsformen auch ohne vorherige gesetzliche Ermächtigung zur Verfügung, soweit inhaltlich keine Eingriffe erfolgen, s. dazu statt vieler Saurer, Rechtsverordnung (Fn. 153), S. 220 ff. m. w. N.; Seiler, Parlamentsvorbehalt (Fn. 153), S. 185 ff.

463 Die Satzungshoheit gilt nur im Rahmen der Gesetze – allerdings ist Art. 80 GG für Satzungen nicht anwendbar, s. statt vieler Fritz Ossenbühl, Satzung, HStR III, 2. Aufl. 1996, § 66 Rn. 12 ff.

464 → Bd. I Reimer § 9 Rn. 73 ff. 465 → Bd. I Reimer § 9 Rn. 76. 466 Verfehlt die Zuordnung der Problematik zu dem Thema „Missbrauch von

Verwaltungsvorschriften“ etwa bei Biervert, Missbrauch von Handlungsformen (Fn. 173), S. 51 f.

467 EuGH, ABl. EG 1991, C 166 = DVBl 1991, S. 869 ff.; ABl. EG 1991, C 294 = EuZW 1991, S. 761 ff. Vgl. dazu auch Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 45), S. 310 ff.

468 Siehe auch Rainer Wahl, Verwaltungsvorschriften: Die ungesicherte dritte Kategorie des Rechts, in: FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 571 (590 f.); Thomas v. Dannwitz, Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften und Gemeinschaftsrecht, VerwArch, Bd. 84 (1993), S. 73 (81 ff.); Anja Baars,

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E. Optionenwahl

Hoffmann-Riem 963

Rechtsprechung der Weg gewählt, die Richtlinien durch Rechtsverordnung umzusetzen,469 nicht aber die Rechtsform der Verwaltungsvorschrift mit entsprechenden Rechtswirkungen auszustatten.470

Restriktionen des Formeneinsatzes gibt es auch auf der Bewirkungsebene.471 Zu nennen sind relative Vollzugssperren.472 So scheidet eine verwaltungseigene Vollstreckung regelmäßig aus, wenn als Grundverfügung kein Verwaltungsakt vorliegt. Die Ersatzvornahme ist nur zur Erzwingung vertretbarer Handlungen möglich (vgl. § 10 VwVG). Insoweit besteht eine begrenzte Wahlfreiheit: Ist die Ersatzvornahme „untunlich“, kann stattdessen ein Zwangsgeld festgesetzt werden.473

Relative Grenzen der Optionenwahl bestehen, soweit die Nutzung einer bestimmten Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsform an bestimmte verfahrensmäßige oder materiellrechtliche Voraussetzungen geknüpft ist. Derartige Voraussetzungen beziehen sich allerdings meist umfassend auf das jeweilige Regelungsinstrument: Wann darf z. B. die Polizei im Bereich präventiver oder repressiver Tätigkeit eine Durchsuchung, die Überwachung oder Aufzeichnung der Telekommunikation, die Weitergabe von Daten an andere Behörden vornehmen? Sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, scheidet diese Vorgehensweise und damit auch die entsprechende Rechts-, Handlungs- oder Bewirkungsform aus.

Soweit die Rechtsordnung zum Handeln ermächtigt, aber keine speziellen Vorgaben für die Wahl einer Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsform enthält, so dass der Grundsatz freier Verfügbarkeit dieser Formen gilt,474 ist die Verwaltung in dem für solche Formen verfügbaren Korridor zur Optionenwahl475 berechtigt – auch hinsichtlich der Kombination unterschiedlicher Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen. Als eigenständige Staatsgewalt476 bedarf sie speziell für die Art des Einsatzes einer der ihr zum Handeln verfügbaren Formen keiner zusätzlichen Ermächtigung. Zu beachten sind allerdings die rechtsstaatlich fundierten allgemeinen _____________________________________________________________________________________

Rechtsfolgen fehlerhafter Verwaltungsvorschriften, 2010, S. 21 ff.; Johannes Saurer, Die neueren Theorien zur Normkategorie der Verwaltungsvorschriften, VerwArch, Bd. 97 (2006), S. 249 ff.; Thomas Sauerland, Die Verwaltungsvorschrift im System der Rechtsquellen, 2005, S. 273 f.; Christof Häfner, Verantwortungsteilung im Genehmigungsrecht, 2010, S. 518 ff.

469 Vgl. Johannes Saurer, Verwaltungsvorschriften und Gesetzesvorbehalt, DÖV 2005, S. 587, 588; ders., Normkategorie der Verwaltungsvorschriften (Fn. 468), S. 251 f. S. a. → Bd. I Ruffert § 17 Rn. 71, 77; Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 45.

470 Siehe auch BVerwGE 121, 103; dazu s. Saurer, Verwaltungsvorschriften (Fn. 469), S. 589 ff. Vgl. a. → Bd. I Ruffert § 17 Rn. 67 ff.; Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 46 ff.

471 Zu ihr → Rn. 16 ff. S. a. oben → Fn. 433. 472 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Kap. 6 Rn. 37 („Bewirkungssperren“); Ziekow,

VwVfG, § 35 Rn. 13 u. 29. 473 Siehe etwa Pieroth/Schlink/Kniesel, PolizeiR, § 20 Rn. 13. 474 → Rn. 100. 475 Diese betrifft – stets unter dem Vorbehalt der Verfügbarkeit der Form im

konkreten Fall – z. B. auch die Wahl zwischen einem Bündel von Verwaltungsakten oder dem Erlass einer Allgemeinverfügung (vgl. Ulrich Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 267). Zur Rechtsprechung über Wahlmöglichkeiten s. etwa U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 35 Rn. 18. Zur Formenwahl im Bereich von Planungen s. U. Stelkens, a. a. O., § 35 Rn. 263 ff. Zu den Anforderungen an eine ordnungsrechtliche Allgemeinverfügung vgl. VGH BW, NVwZ-RR 2010, S. 55 (56 ff.).

476 → Bd. I Hoffmann-Riem § 10.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

964 Hoffmann-Riem

Grundsätze der Optionenwahl, wie sie für die Ermessensausübung (etwa § 40 VwVfG) markiert sind.477 Dies führt insbesondere zu einer Orientierung an den Zwecken, die mit der Wahl einer Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsform verfolgt werden dürfen und sollen. Der Grundsatz der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens (§ 10 VwVfG; § 9 SGB X) ist nicht selbst Grundlage der Optionenwahl nach Ermessen, wohl aber eine Bestätigung insofern, als auch vom Verwaltungsverfahrensrecht keine besonderen Einengungen ausgehen. Normen wie § 10 VwVfG sollen Effektivität und Effizienz des Verwaltungshandelns und damit die Problemlösungsfähigkeit im Verfahren sichern. Die in § 10 S. 2 VwVfG benannten Grundsätze der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Zügigkeit – teilweise aufgegriffen in Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Recht auf eine gute Verwaltung478) – sind Konkretisierungen dieses Leitsatzes. Die Wahlfreiheit hinsichtlich der Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsform dient auch der Umsetzung dieser Ziele und ermöglicht insbesondere die dafür erforderliche Flexibilität.

III. Zur Problematik von Missbrauchs- und Fluchtformeln Eine über die Anwendung derartiger Grundsätze hinausgehende, überall

einsetzbare allgemeine Lehre der Wahl von Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen gibt es nicht. Wegen ihrer Einseitigkeit wenig hilfreich für Auswahlentscheidungen sind manche in der Literatur übliche Warntopoi, so für den Bereich der Wahl eines Rechtsregimes etwa der Topos des Verbots der „Flucht in das Privatrecht“.479 Diese Formel enthält einen richtigen Ansatz, soweit sie auf das Verbot der Nutzung bestimmter (hier privatrechtlicher) Handlungsformen verweist, durch die unabdingbare rechtsstaatliche Sicherungen vereitelt zu werden drohen, die mit öffentlich-rechtlichen Handlungsformen verbunden sind (etwa die Grundrechtsbindung oder die Verfügbarkeit verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes). Vergleichbar in der Stoßrichtung ist die Redeweise vom Verbot des Formenmissbrauchs480 oder der Rechtsformenmanipulation.481 Derartige Formeln sind – wie der Kontext ihres Gebrauchs zeigt – meist auf bilaterale Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Bürger bezogen und sind insbesondere _____________________________________________________________________________________

477 Vgl. Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Kap. 6 Rn. 38. 478 → Bd. II Schmidt-Aßmann § 27 Rn. 29 f., 41. Grundsätze guter Verwaltung

werden im europäischen Bereich nicht nur allgemein formuliert, sondern auch im Hinblick auf spezielle Teilgebiete, so etwa des Sozialrechts, s. dazu Tettinger, Verwaltungsrechtliche Instrumente (Fn. 6), S. 230. Zu § 10 S. 2 VwVfG s. a. → Bd. II Schneider § 28 Rn. 27, Pitschas § 42.

479 Das Flucht-Schlagwort hat eine alte Tradition, s. Fritz Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 326.

480 Dazu grundlegend Pestalozza, „Formenmissbrauch“ (Fn. 427), dort auch Hinweise über die historische Entwicklung der Rezeption der Missbrauchsfigur. Pestalozza verweist insbes. auf Fälle des Formenmissbrauchs durch Manipulation des Sachverhalts oder des Rechtsinhalts sowie der Rechtsgeltung (betreffend die Wahl zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht), a. a. O., S. 143 ff., 166 ff. S. ferner Biervert, Missbrauch von Handlungsformen (Fn. 173), insbes. S. 31 ff.

481 Dazu s. Joachim Burmeister, Verträge und Absprachen zwischen der Verwaltung und Privaten, VVDStRL, Bd. 52 (1993), S. 190 (233). Eine überzogene Missbrauchsperspektive wählt Willy Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, 1994, für die Wahl öffentlich-rechtlicher Verträge.

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E. Optionenwahl

Hoffmann-Riem 965

Folgerungen aus der Abwehrfunktion der Grundrechte. Sie vernachlässigen aber infolge ihrer einseitigen Richtung gegen den Staat die Komplexität mancher Problemlagen, so wenn sie ohne hinreichende Differenzierungen auch auf multidimensionale und multipolare Konfliktlagen angewandt werden, in denen eine Abwägung und Zuordnung unterschiedlicher subjektiv-rechtlicher und gegebenenfalls objektiv-rechtlicher Interessen – und damit letztlich eine ausgleichende Optimierung – zu erreichen ist. Dann ist es keineswegs selbstverständlich, dass die Wahl eines bestimmten Rechtsregimes oder einer bestimmten Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsform schon allein deshalb rechtswidrig (missbräuchlich) ist, weil die Interessen eines der Beteiligten nicht maximal befriedigt werden. Vor einem nicht die Gesamtrechtslage einbeziehenden oder gar inflationären Umgang mit derartiger Flucht- und Missbrauchsrhetorik ist jedenfalls zu warnen. Es bedarf zunächst der Klärung, warum die Nutzung der Flexibilität, die die Verfügbarkeit unterschiedlicher Formen ermöglicht, „Missbrauch“ sein soll oder als „Flucht“ stigmatisiert werden darf. Hat die Verwaltung gute Gründe, warum sie im Interesse der Problemlösungsfähigkeit eine bestimmte Form wählt, ist dies grundsätzlich Gebrauch der Rechtsmacht zur optimalen Problembewältigung, nicht Missbrauch.

Insbesondere für den Bereich des Gewährleistungs(verwaltungs)rechts sind entsprechende Wahlmöglichkeiten unabdingbar, um den jeweiligen Steuerungsaufgaben in den nicht auf staatliche Eigenerfüllung ausgerichteten Problemfeldern gerecht werden zu können. Hier muss der Staat im Interesse sachgerechter Aufgabenerfüllung über vielfältige Möglichkeiten der Nutzung unterschiedlicher, auch privatrechtlicher, Gestaltungsmöglichkeiten verfügen, die sich sowohl hinsichtlich der Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen als auch in organisatorisch-institutioneller Hinsicht auswirken können und dürfen.482 Ohne Flexibilität für das Handeln in den Kooperationsbeziehungen mit Privaten und damit auch bei der Wahl geeigneter Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen wäre der Staat häufig in Gefahr, keine adäquaten Steuerungsimpulse setzen oder nicht auf angemessene Weise – auch nicht mit hinreichender Handlungsmacht – auf die Strategien oder Instrumente und den Ideenreichtum der (zum Teil machtvollen) privaten Akteure reagieren zu können.483

Es deutet auch nicht zwingend auf Missbrauch oder Flucht hin, wenn der Staat Rechts-, Handlungs- oder Bewirkungsformen wählt, die beispielsweise andersartigen Rechtsschutz ermöglichen als er bei der Nutzung anderer Formen gegeben wäre. Art. 19 Abs. 4 GG bzw. der allgemeine Justizgewährungsanspruch484 garantieren effektiven Rechtsschutz, aber nicht eine bestimmte oder gar überall gleiche Art des Rechtsschutzes. So kann Sekundärrechtsschutz den Anforderungen genügen, auch wenn die Betroffenen Primärrechtsschutz vorziehen würden.485 Zutreffend hat das Bundesverfassungsgericht seit jeher betont, dass Art. 19 Abs. 4

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482 Dass auch der Gesetzgeber über entsprechende Wahlkompetenzen verfügt, zeigen etwa die Entscheidungen BVerfGE 114, 1 ff.; 114, 73 ff. (betreffend die Austauschbarkeit zivilrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Instrumente beim Verbraucherschutz im Bereich der Lebensversicherung).

483 Siehe a. → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 108. 484 Zu ihm s. BVerfGE 107, 395 (401 ff.). 485 Vgl. BVerfGE 116, 1 (18 ff.); 116, 135 (148 f.).

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

966 Hoffmann-Riem

GG keinen Anspruch auf bestmöglichen Rechtsschutz garantiert.486 Auch bei der Entscheidung über angemessenen Rechtsschutz können gegenläufig wirkende Schutzgüter zu berücksichtigen sein, die bestimmte Sicherungen administrativer Handlungsfähigkeit oder der Zügigkeit einer Entscheidung erfordern, so dass Zuordnungen im Rahmen der Herstellung praktischer Konkordanz angezeigt sind. Gleiches gilt, wenn die zur Wahl stehenden Rechts-, Handlungs- oder Bewirkungsformen unterschiedliche Möglichkeiten der Verfahrensbeteiligung der Bürger eröffnen.

Selbstverständlich muss der Staat seine Wahlentscheidung an rechtlich legitimen Zielen ausrichten. So muss es, wie bei allem Staatshandeln, auch für die Wahlentscheidung Gründe geben, also etwa für den Verzicht auf hoheitliche Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen oder für die Bevorzugung von Formen des schlichten Verwaltungshandelns gegenüber rechtlichen Regelungen. Dabei ist auch zu klären, ob der Staat durch die Wahlentscheidung ohne hinreichende Rechtfertigung rechtlichen Bindungen ausweicht, die an bestimmte Rechtsregimes oder an bestimmte Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen gebunden sind.487 Ein solches Ausweichen liegt heute allerdings vielfach nicht (mehr) vor. So durchwirken die Grundrechte auch das Privatrecht und sie binden darüber hinaus je nach ihrem spezifischen Schutzbereich488 gemäß Art. 1 Abs. 3 GG auch bei privatrechtlichem Handeln der öffentlichen Gewalt. Entfällt verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz mangels öffentlich-rechtlicher Gestaltung, sichert der allgemeine Justizgewährungsanspruch489 gleichwohl effektiven Rechtsschutz.490 Verfolgt der Hoheitsträger seine Zwecke durch schlichtes Verwaltungshandeln unter Vermeidung eines Grundrechtseingriffs, so schützt ihn dies vor der Geltung des grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts und der entsprechenden grundrechtlichen Bindungen dann nicht, wenn es sich nach Zielrichtung und Wirkung um einen Ersatz für eine staatliche Maßnahme handelt, die als Grundrechtseingriff zu qualifizieren wäre.491 Das Kriterium funktionaler _____________________________________________________________________________________

486 Siehe BVerfGE 10, 89 (105); 70, 35 (56). Zur literarischen Diskussion hierzu s. Thorsten Siegel, Effektiver Rechtsschutz und der Vorrang des Primärrechtsschutzes, DÖV 2007, S. 237 ff.; Marian Niestedt/Franz J. Hölzl, Zurück aus der Zukunft? Verfassungsmäßigkeit der Primärrechtsschutzbeschränkung im Vergaberecht oberhalb bestimmter Schwellenwerte, NJW 2006, S. 3680 ff.; Matthias Knauff, Vertragsschließende Verwaltung und verfassungsrechtliche Rechtsschutzgarantie, NVwZ 2007, S. 546 ff.; Sebastian Hirschberger, Bewegte Zweiteilung im Vergaberecht – Effektiver Rechtsschutz im Unterschwellenbereich –, BayVBl. 2007, S. 741 ff.

487 Näher → Bd. I Burgi § 18 insbes. Rn. 44 ff. Dies bedeutet aber nicht, dass stets die gleichen rechtlichen Bindungen bestehen. Missverständlich daher die Formulierung von Burmeister, Verträge (Fn. 481), S. 190, 218: „Austauschbar sind die Rechtsformen, indisponibel dagegen die Rechtsmaßstäbe, denen die Verwaltung bei ihrem Handeln unterliegt.“.

488 Auf dessen Maßgeblichkeit für die Grundrechtsbindung des Staates auch bei privatrechtlichem Handeln verweist BVerfGE 116, 135 (146, 148 f.). S. ferner BVerfG, NJW 2011, S. 1201 ff. – Fraport.

489 Dazu vgl. BVerfGE 107, 395 ff. 490 Dies bedeutet allerdings nicht notwendig auch primären Rechtsschutz, s. o. →

Fn. 485. 491 Dazu vgl. BVerfGE 105, 252 (273). Auch hier ist die Missbrauchsperspektive

verfehlt, die aber z. B. Biervert, Missbrauch von Handlungsformen (Fn. 173), bemüht.

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E. Optionenwahl

Hoffmann-Riem 967

Äquivalenz kann auf weitere Problemfelder erstreckt werden, wenn es um die Klärung geht, ob die Optionenwahl in nicht gerechtfertigter Weise zur Vermeidung an sich maßgeblicher rechtlicher Vorgaben führt.492

Da grundrechtliche und allgemeine rechtsstaatliche Bindungen nicht (mehr) exklusiv auf bestimmte Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen begrenzt sind, ist bei der rechtlichen Überprüfung der Auswirkung der Optionenwahl nicht in pauschalisierender Weise von den erwähnten Flucht- und Missbrauchsformeln oder gar von entsprechenden Flucht- und Missbrauchsvermutungen auszugehen, sondern von den allgemein für Entscheidungen in Optionenräumen maßgebenden Grundsätzen, und zu fragen, wieweit die Ermächtigung zu diskretionärem Handeln reicht bzw. wieweit die Optionenwahl gerichtlicher Kontrolle zugänglich ist.493 Für ein grundsätzliches Misstrauen der Fehlerhaftigkeit der Ausübung von Optionen besteht im Rechtsstaat des Grundgesetzes ebenso wenig Anlass wie für ein grundsätzliches Vertrauen, rechtliche Bindungen würden schon aus administrativem Eigeninteresse eingehalten. Die rechtsstaatlichen Vorkehrungen für die Beachtung aller maßgeblichen Interessen schon im Entscheidungsverfahren sowie die Vorkehrungen für Eigen- und Fremdkontrolle unter Einschluss von Rechtsschutz kalkulieren die nicht nur theoretische Möglichkeit der fehlerhaften Wahlentscheidung ein. Am Beispiel informellen und kooperativen Verwaltungshandelns lässt sich die Fehleranfälligkeit aufzeigen, die sich etwa aus Asymmetrien in den Macht- und Interessenverhältnissen, einem problematischen Distanzverlust zwischen Staat und Privaten bis hin zur corporatistic capture,494 der Konzentration der Streitbewältigung auf einzelne Betroffene (unter Außerachtlassung der Interessen der nicht am Verfahren Beteiligten) sowie der Vereitelung von Kontrolle ergeben können.495

Derartige Risiken legen es nahe, und können es bei starker Fehleranfälligkeit gegebenenfalls rechtsstaatlich gebieten, ergänzende verfahrensrechtliche Schutz-vorkehrungen vorzusehen, etwa zur Schaffung von Zugangssicherungen, von Transparenz und Formenwahlklarheit. Selbstverständlich gilt auch bei der Formenwahl das Willkürverbot – und damit ein in ihm verwurzeltes Verbot des Formenmissbrauchs.496

Maßgeblicher Bezugspunkt für die Optionenwahl ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dessen Maßstabskriterien (Eignung,

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492 Den Gedanken funktionaler Äquivalenz hat das BVerfG auch in anderer Hinsicht der Sache nach angewandt, als es im Rahmen einer Prüfung nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO den als Gesetz erlassenen hamburgischen Bebauungsplan in eine Satzung umgedeutet und dadurch der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterstellt hat, vgl. BVerfGE 70, 35 (57). Diese Entscheidung ist allerdings auf Kritik gestoßen; s. schon das Sondervotum von Helmut Steinberger, S. 59 ff.

493 Dazu → Bd. I Hoffmann-Riem § 10, insbes. Rn. 83 ff.; zurückhaltend ist die gerichtliche Kontrolle bei der Überprüfung von Auskunftsverweigerungsgründen nach dem IFG, vgl. BVerwG, JZ 2010, S. 568 ff.

494 Begriffsbildung nach Gunnar Folke Schuppert, Koordination durch Struktursteuerung als Funktionsmodus des Gewährleistungsstaats, in: FS Klaus König, 2004, S. 287, 288. S. a. → Bd. I ders. § 16 Rn. 17.

495 Dazu s. schon Hoffmann-Riem, Selbstbindungen (Fn. 246), S. 187 ff. Zu Gefahrenpotenzialen speziell bei der Sachverständigenberatung durch Private s. Andreas Voßkuhle, Sachverständige Beratung des Staates, in: HStR III, § 43 Rn. 50 ff.

496 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Kap. 6 Rn. 77.

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

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Erforderlichkeit, Angemessenheit) und Abwägungsauftrag zur rechtsstaatlichen Mäßigung der Staatsgewalt, aber auch zur Sicherung administrativer Handlungsfähigkeit taugen. In diesem Zusammenhang können Konzeptvorgaben oder die Entwicklung administrativer Strategien497 oder Aktionspläne498 u. ä. hilfreich oder gar geboten sein.

Soweit Kombinationen unterschiedlicher Formen gewählt werden – sei es kumulative, sei es konsekutive –, ist zu klären, ob die Kombination rechtlich erhebliche Nachteile – etwa hinsichtlich der Regelungsklarheit, der Rechtssicherheit, der Kontrollierbarkeit – bewirkt, die nicht in angemessener Weise durch Vorteile bei der Aufgabenerfüllung ausgeglichen werden.499 Das auf die Kombination bezogene Erfordernis einer Gesamtbetrachtung und damit auch der Sicherung einer Gesamtverhältnismäßigkeit, das schon für die Instrumentenkombination betont worden ist,500 kann auch für die Kombination von Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen wichtig werden, soweit speziell mit einer solchen Kombination Belastungen oder Begünstigungen verbunden sind. Auch ist Sorge zu tragen, dass unterschiedliche Maßnahmen und die mit ihnen verbundenen Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen in ihrer Gesamtheit aufeinander abgestimmt sind (Konsistenzgebot).501 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und zugleich das Gebot effektiven Rechtsschutzes werden verletzt, wenn eine rechtserhebliche Entscheidung mit anderen Rechtsakten so verzahnt wird, dass der Betroffene dadurch ohne eine problem- und aufgabenbezogene Rechtfertigung zusätzlich belastet wird oder folgenreichen Rechtsschutz nicht erlangen kann. Rechtsschutzdefizite können in umgekehrter Richtung eintreten, wenn eine Entscheidung in unterschiedliche Teilakte mit unterschiedlichen Rechts- und Handlungsformen aufgeteilt wird, deren Zusammenspiel eine eigenständige Belastung auslöst, gegen die der Betroffene sich aber durch Rechtsschutz gegen die Teilakte nicht hinreichend wehren kann.502 Der Verwaltung ist aus rechtsstaatlichen Gründen aufgegeben, die durch die Wahl und gegebenenfalls Kombination unterschiedlicher Formen aktivierte Steuerungskraft administrativ zu beherrschen und damit Verwaltungsverantwortung auch hinsichtlich der Wahrung der Interessen Betroffener behalten zu können und darauf bezogenen Rechtsschutz zu ermöglichen.503 Dies kann die Verwaltung daran hindern, unterschiedliche Formen beliebig zu kombinieren – etwa im Wege von trial and error: irgendetwas werde schon wirken.

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497 Zur Kohärenzsicherung durch solche Vorkehrungen s. → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 115 ff.; Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 58; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Kap. 2 Rn. 24; Kap. 6 Rn. 95, 98 f.

498 → Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 59. 499 Derartige Fragen stellen sich insbes., wenn Probleme innerhalb komplexer

Regelungsstrukturen (→ Rn. 67) bewältigt werden. 500 Dazu Wolfgang Hoffmann-Riem, Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts:

Vorüberlegungen, DVBl 1994, S. 1381 (1384 f.). 501 So ausdrücklich § 27 Abs. 2 Satz 1 TKG. 502 Zum Problemfeld s. statt vieler BVerwGE 61, 256 ff.; 104, 36 ff. (Rechtsschutz bei

Teilgenehmigung). 503 Vgl. – wenn auch für die gesetzliche Steuerung – → Bd. I Eifert § 19 Rn. 163.

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E. Optionenwahl

Hoffmann-Riem 969

IV. Orientierung an den Funktionsbedingungen modernen Verwaltens

Die Orientierung der Wahl von Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen an den allgemeinen Grundsätzen optionalen Verwaltungshandelns504 verpflichtet die Verwaltung, nicht nur punktuell-situativ Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen und umzusetzen, sondern sich auch in problemangemessener Weise an den grundlegenden Strukturen und Zielbestimmungen des nationalen und des europäischen Verfassungsrechts505 zu orientieren und diese im konkreten Fall auf die Funktionsbedingungen modernen Verwaltungshandelns herunterzubrechen. Dabei kann und muss insbesondere Rücksicht genommen werden – auf die Fortentwicklung des Rechts der Ordnungs-, Leistungs- und

Infrastrukturverwaltung zum Gewährleistungsverwaltungsrecht; – auf die Pluralisierung und Segmentierung gesellschaftlicher Teilkomplexe; – auf Erscheinungen der „Krisen“ des Ordnungs- oder Planungsrechts; – auf Möglichkeiten ganzheitlicher Problembewältigung (Beispiele: Aktionspläne,

Stoffstrommanagement); – auf die rechtliche Bindungen ergänzenden „weichen“ Richtigkeitskriterien; – auf das Mit- und Gegeneinander von „hard law“ und „soft law“; – auf Möglichkeiten und Schwierigkeiten effektiver kooperativer und

konsensorientierter Steuerung und dabei auch – auf die Sicherung einer wirkmächtigen Handlungsfähigkeit des Staates

insbesondere im Verhältnis zu gesellschaftlichen Machtträgern; – auf die Einbettung nationalen Verwaltungsrechts in den europäischen und

globalen Kontext der zu bewältigenden Probleme und rechtlichen Vorgaben sowie auf viele weitere Kontextbedingungen. Soweit Fragen wie die Eignungswirksamkeit einer wählbaren Option oder die Relation zwischen dem notwendigen Einsatz von Ressourcen und dem zu erwartenden Erfolg oder den zu erwartenden Folgen (Effizienz) zu beantworten sind, besteht insbesondere Raum für den trans- und interdisziplinären Zugriff auf Einsichten anderer wissenschaftlicher Disziplinen,506 die sich gegebenenfalls auch auf die Wahl der Rechts-, Handlungs- und Bewirkungsformen auswirken können. Berücksichtigungsfähig sind ferner richtungsweisende Leitbilder und sonstige Rahmenbedingungen des Verwaltungshandelns wie die Einbettung in Neue Steuerungsmodelle, in Managementsysteme oder in das Electronic Government.507

Auch ohne eine abrufbare allgemeine Theorie der Optionenwahl gibt es gleichwohl nutzbare präskriptive Orientierungen und empirische Wegmarkierungen. Es wäre allerdings eine Überforderung der jeweils handelnden administrativen Akteure, müssten sie diese jeweils neu erfassen.508 Soweit entsprechende Orientierungen nicht durch Rechtspraxis und -wissenschaft zu praktisch handhabbaren Rechtsanwendungsbausteinen und insofern zu _____________________________________________________________________________________

504 → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 61 ff., 83 ff. 505 → Bd. I Schmidt-Aßmann § 5. 506 → Bd. I Voßkuhle § 1 Rn. 37 ff. 507 → Bd. I Voßkuhle § 1 Rn. 49 ff.; Bd. II Britz § 26. 508 Vgl. zu notwendigen Stoppregeln bei der Wirklichkeitserfassung Hoffmann-

Riem, Methoden (Fn. 189), S. 64 ff. S. auch BVerfGE 128, 1 (37 ff.).

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§ 33 Rechtsformen, Handlungsformen, Bewirkungsformen

970 Hoffmann-Riem

Rechtsdogmatik oder zu Musterrechtsformen (vergleichbar etwa den Mustersatzungen509) oder zu Standards verdichtet sind, ist es hinnehmbar, wenn die Akteure die Optionenwahl auf der Grundlage eigener plausibler Einschätzungen und gegebenenfalls unter Rückgriff auf einschlägige Verwaltungskulturen vornehmen. Der insoweit anzuerkennende „Vorbehalt des Möglichen“ reagiert auch auf Begrenzungen kognitiver Möglichkeiten, auf Anforderungen an die Zeitgerechtigkeit einer Entscheidung oder auf Beschränkungen verfügbarer Ressourcen.510 Die Gerichte sind grundsätzlich zur Kontrolle berufen, wenn auch – soweit der durch Rechtsbindungen markierte Korridor seitens der Verwaltung beachtet ist – nur zu einer die Plausibilität nachvollziehenden Kontrolle, dann aber grundsätzlich nicht zu einer die administrative Optionenwahl durch eine judikative Optionenwahl ersetzenden Entscheidung berechtigt.511

Die bei komplexen Entscheidungen nicht immer vermeidbaren Risiken rechtsfehlerhafter Optionenwahl und -kombination werden minimiert, wenn der Rechtsschutz über die Möglichkeit der Kontrolle aus Anlass bilateraler Betroffenheit hinaus auch multilaterale und vernetzte Betroffenheiten umfasst und wenn das kontrollierbare Recht über den Bereich des Schutzes subjektiven Rechts hinaus objektivrechtliche Bindungen einschließt. Diese Ausweitung des rechtlichen Blickwinkels erleichtert zudem die Kohärenz mit den rechtlichen Vorkehrungen im Europarecht und in den Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

Leitentscheidungen

EuGH, Rs. C-361/88, Slg. 1991, I-2567 – Umsetzung einer Richtlinie durch Verwaltungsvorschrift. BVerfGE 115, 81 (91 ff.)– Rechtsschutz gegen Rechtsverordnungen. BVerwGE 72, 300 (306 ff.) – Konzeptvorbescheid, Teilgenehmigungen. BVerwGE 110, 262 (265 ff.) – Veröffentlichung eines Mietspiegels als Realakt. BVerwGE 121, 103 (105 ff.) – verfassungsrechtliche Anforderungen an Beihilfevorschriften. BVerwGE 122, 264 (268 ff.) – Veröffentlichung von Verwaltungsvorschriften mit Außenwirkung.

Ausgewählte Literatur

Bast, Jürgen, Grundbegriffe der Handlungsformen der EU – entwickelt am Beschluss als praxisgenerierter Handlungsform des Unions- und Gemeinschaftsrechts, Berlin 2006.

Becker-Schwarze, Kathrin/Köck, Wolfgang/Kupka, Thomas u. a. (Hrsg.), Wandel der Handlungsformen im Öffentlichen Recht, Stuttgart 1991.

Biervert, Bernd, Der Missbrauch von Handlungsformen im Gemeinschaftsrecht. Eine Untersuchung des gemeinschaftsrechtlichen Handlungsformensystems unter Einbeziehung der Rechtsordnungen Deutschlands, Frankreichs und Englands, Baden-Baden 1999.

v. Bogdandy, Armin/Bast, Jürgen/Arndt, Felix, Handlungsformen im Unionsrecht. Empirische Analysen und dogmatische Strukturen in einem vermeintlichen Dschungel, ZaöRV, Bd. 62 (2002), S. 77–161.

Bohne, Eberhard, Der informale Rechtsstaat, Berlin 1981. v. Danwitz, Thomas, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, Tübingen 1996. Härtel, Ines, Handbuch der Europäischen Rechtssetzung, Berlin 2006. _____________________________________________________________________________________

509 → Bd. II Hill/Martini § 34 Rn. 29. 510 Soweit es nicht verfassungsrechtlich geboten ist, die Ressourcen zur Sicherung

verfassungsrechtlich vorgegebener Leistungsfähigkeit entsprechend zu erhöhen. 511 Näher → Bd. I Hoffmann-Riem § 10 Rn. 81 ff.

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Ausgewählte Literatur

Hoffmann-Riem 971

Kadelbach, Stefan, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, Tübingen 1999. Kempen, Bernhard, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung. Die öffentliche Verwaltung zwischen

öffentlichem und privatem Recht, München 1989. Knauff, Matthias, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, Tübingen 2010. König, Klaus/Dose, Nicolai (Hrsg.), Instrumente und Formen staatlichen Handelns, Köln 1993. Kormann, Karl, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte. Verwaltungs- und prozessrechtliche

Untersuchungen zum allgemeinen Teil des öffentlichen Rechts, Berlin 1910. Krause, Peter, Rechtsformen des Verwaltungshandelns. Überlegungen zu einem System der

Handlungsformen der Verwaltung mit Ausnahme der Rechtsetzung, Berlin 1974. Müller, Nikolaus, Rechtsformenwahl bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, Köln 1993. Ossenbühl, Fritz, Die Handlungsformen der Verwaltung, JuS 1979, S. 681–687. v. Pestalozza, Christian, „Formenmissbrauch“ des Staates. Zu Figur und Folgen des „Rechtsmissbrauchs“

und ihrer Anwendung auf staatliches Verhalten, München 1973. Pitschas, Rainer, Entwicklung der Handlungsformen im Verwaltungsrecht – Vom Formendualismus des

Verwaltungsverfahrens zur Ausdifferenzierung der Handlungsformen, in: Willi Blümel/Rainer Pitschas (Hrsg.), Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, Berlin 1994, S. 229–256.

Ruffert, Matthias, Überlegungen zu den Rechtsformen des Verwaltungshandelns im europäisierten Verwaltungsrecht, in: FS Peter Krause, Berlin 2006, S. 215–236.

Rupp, Hans-Heinrich, Formenwahlfreiheit der Verwaltung, in: FG BVerwG, München 1978, S. 539–550. Sauerland, Thomas, Die Verwaltungsvorschrift im System der Rechtsquellen, Berlin 2005. Saurer, Johannes, Die Funktionen der Rechtsverordnung. Der gesetzgeberische Zuschnitt des Aufgaben-

und Leistungsprofils exekutiver Rechtssetzung als Problem des Verfassungsrechts, ausgehend vom Referenzgebiet des Umweltrechts, Berlin 2005.

Schmidt-Aßmann, Eberhard, Die Lehre von den Rechtsformen des Verwaltungshandelns, DVBl 1989, S. 533–541.

Schuppert, Gunnar Folke, Governance und Rechtsetzung. Grundfragen einer modernen Regelungswissenschaft, Baden-Baden 2011.

– Der Rechtsstaat unter den Bedingungen informaler Staatlichkeit. Beobachtungen und Überlegungen zum Verhältnis formeller und informeller Institutionen, Baden-Baden 2011.

Szczekalla, Peter, Handlungsformen im europäischen Verwaltungsrecht, in: Terhechte (Hrsg.), VerwREU, § 5