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Elisabeth Kübler-Ross Interviews mit Sterbenden

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Elisabeth Kübler-Ross

Interviews mit Sterbenden

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Elisabeth Kübler-Ross

Interviews mitSterbendenMit einem einleitenden Essayvon Prof. Dr. med. Dr. h.c. Christoph Student

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Dem Andenkenan meinen Vater undan Seppli Bucher

Titel der Originalausgabe: On Death and DyingCopyright © 1969 by Elisabeth Kübler-Ross, M.D.All rights reservedPublished by arrangement with the original publisher, Scribner, a Division of Simon & Schuster, Inc.

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2018(Neuausgabe der erw. Ausgabe 2009)Deutsche Übersetzung: © 1971 Kreuz VerlagAlle Rechte vorbehalten www.herder.de

Satz: de·te·pe, AalenHerstellung: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-451-61314-2

www.fsc.org

MIXPapier aus verantwor-tungsvollen Quellen

FSC® C083411

®

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Inhalt

Vorwort 7

Gibt es ein Sterben ohne Angst?Ein einleitender Essay von Prof. Dr. med. Dr. h.c. Christoph Student 9

Kapitel IDie Angst vor dem Tod 29

Kapitel IIVerhaltensweisen gegenüber Tod und Sterben 39

Kapitel IIIDie erste Phase: Nicht-wahrhaben-Wollen und Isolierung 68

Kapitel IVDie zweite Phase: Zorn 80

Kapitel VDie dritte Phase: Verhandeln 113

Kapitel VIDie vierte Phase: Depression 116

Kapitel VIIDie fünfte Phase: Zustimmung 139

Kapitel VIIIHoffnung 165

Kapitel IXDie Familie des Kranken 184

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Kapitel XInterviews mit Kranken im Endstadium 209

Kapitel XIReaktionen auf das Seminar über Tod und Sterben 271

Kapitel XIIDie psychische Behandlung Kranker im Endstadium 293

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Vorwort

Von dem Auftrag, ein Buch über Tod und Sterben zu schrei-ben, war ich im ersten Augenblick sehr angetan, doch so-bald ich mir überlegte, auf was ich mich damit eingelassenhatte, sah es schon anders aus: Wo sollte ich anfangen, waseinbeziehen? Was ließ sich dem unbekannten Leser über-haupt mitteilen, wie viel von dem, was ich mit sterbendenPatienten erlebt hatte, konnte ich weitergeben? Seit zwei-einhalb Jahren arbeite ich mit sterbenden Patienten; dasBuch soll vom Beginn dieses Versuchs berichten, der sichspäter als für alle Beteiligten sinnvoll und aufschlussreicherwies. Ich will weder ein Lehrbuch für den Umgang mitsterbenden Patienten noch eine umfassende PsychologieSterbender verfassen, sondern einfach über eine neue undwichtige Möglichkeit berichten, den Patienten als menschli-ches Wesen im Blickfeld zu behalten, ihn ins Gespräch zuziehen und von ihm zu erfahren, wo die Vorzüge oder dieSchwächen unseres klinischen Systems liegen. Wir habenden Patienten gebeten, unser Lehrer zu werden, damit wirmehr als bisher über die Endstation des Lebens wissen,über seine Ängste, Sorgen und Hoffnungen. Ich berichtehier einfach die Geschichte der Patienten, die ihre Kämpfe,Erwartungen und Enttäuschungen mit uns teilten, und ichhoffe, dass es andere ermutigt, den »Hoffnungslosen« nichtaus dem Wege zu gehen, sondern sie im Gegenteil aufzusu-chen, weil man ihnen in den letzten Stunden des Lebensviel helfen kann. Die wenigen Menschen, die dazu im-stande sind, werden merken, dass es beiden Seiten hilft; siewerden manches über die Funktionsweise des mensch-lichen Geistes erfahren, über die besonderen humanen As-pekte der menschlichen Existenz, sie werden bereichert ausmeinem Versuch hervorgehen und vielleicht auch etwasvon der eigenen Todesfurcht verloren haben.

E. K.-R.

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Gibt es ein Sterben ohne Angst?Ein einleitender Essay von Prof. Dr. med. Dr. h.c. Christoph Student1

»Erst wenn wir wirklich begriffen haben, dass wir auf Erden nureine begrenzte Zeit zur Verfügung haben – und dass es keinerleiMöglichkeit gibt, zu wissen, wann diese Zeit vorüber ist –, erstdann werden wir damit beginnen, jeden Tag so vollständig zu leben,als wäre es der einzige, der uns zur Verfügung steht.«Elisabeth Kübler-Ross

Der Anfang von etwas Neuem

In den USA war Elisabeth Kübler-Ross’ 1969 publiziertesBuch mit dem programmatischen Titel »On death and dying« schon längst ein Bestseller, als es 1971 in Deutsch-land vom Kreuz-Verlag unter dem Titel »Interviews mitSterbenden« erstmals veröffentlicht wurde. Ich erinneremich: Damals hatte ich gerade mein Medizinstudium ab-geschlossen und fühlte mich als frischgebackener Arztvon dem Buchtitel in seltsamer Weise zugleich fasziniertund abgestoßen. Der Gedanke, mit Sterbenden zu spre-chen, erschien mir damals als regelrecht absurd. Als Medi-ziner hatte ich gelernt, dass der Tod mein Feind sei, denich aufs äußerste zu bekämpfen hatte. Sterbende warenfür mich eigentlich schon Tote und ein Gespräch mit ihnenerschien mir schlicht als makaber. Schließlich war dieseine Zeit, in der Sterbende ihr Leben in Badezimmern undAbstellkammern beenden mussten.

Wenn Sie solche Sätze heute lesen, erschrickt Sie das viel-leicht. Dann zeigt dieses Erschrecken besonders deutlich

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1 Professor Dr. med. Dr. h.c. Christoph Student, Palliativ mediziner undPsycho therapeut, Deutsches Institut für Palliative Care, St. Gallener Weg 2,79189 Bad Krozingen, www.christoph-student.de

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die enorme Entwicklung, die der Umgang mit sterbens-kranken Menschen in den letzten 40 Jahren genommen hat.Vielleicht diskutieren wir heute gelegentlich über Detailsdes von Elisabeth Kübler-Ross entwickelten Konzeptes desUmgangs mit sterbenden Menschen. An der Notwendig-keit, sich mit unheilbar kranken Menschen fürsorglich zubeschäftigen, dürfte heute niemand mehr zweifeln.

Ganz anders war das am Ende der 1960er Jahre. Die ausder Schweiz stammende Fachärztin für Psychiatrie undjunge Professorin an einer amerikanischen Universität er-regte in höchstem Maße Anstoß bei Kolleginnen und Kol-legen, als sie sich nicht nur intensiv den »hoffnungslosenFällen«, den sterbenden Menschen zuwandte, sondern essogar wagte, mit ihnen in der Öffentlichkeit von Hörsälenvor Studierenden Gespräche zu führen, sich nach ihremBefinden zu erkundigen, nach ihren Bedürfnissen zu fra-gen, als sie sie von ihren versäumten Träumen sprechenließ und sie nicht zuletzt immer wieder ermutigte, auchvon ihren verbliebenen Hoffnungen zu berichten. Dabeizeigte sich: Nicht die sterbenskranken Menschen warenes, die sich zu sprechen scheuten, sondern die Zuhörerwaren es, denen diese Offenheit Angst machte.

Elisabeth Kübler-Ross hatte geahnt, dass ihr VorhabenWiderstand erwecken würde. Aber die Feindschaft, jader Hass, der ihr von Seiten der ärztlichen Kollegen ent-gegenschlug, hatte damals selbst sie überrascht. Denndie Aggres sionen, die sie erfuhr, waren nicht Ausdruckdes üblichen Kollegenneides, den der zu spüren bekommt,der etwas Neues, gar Aufsehenerregendes wagt. Die Ur -sachen dieser Aggression lagen tiefer, waren von elemen-tarerer Wucht. Sie wurzelten in den Ängsten, die Sterben,Tod und Trauer bei jedem Menschen auslösen – wennauch häufig nur unbewusst. Die Sozialpsychologen habenuns inzwischen längst in zahlreichen Studien bewiesen,dass diese Angst vor dem Tod nichts Abnormes ist, son-dern einen Teil unseres Menschseins ausmacht, so langewir in der Lage sind, vorauszudenken. Und diese Angst

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ist gerade bei jenen besonders groß, die beruflich mit demSterben sehr häufig konfrontiert sind, wie Ärzte, Pflege-kräfte und Seelsorger, aber auch bei jenen Ehrenamt-lichen, die sich in der Begleitung Sterbender engagieren.

Der Dammbruch

Mit diesem Buch, das erstmals ihre Erfahrungen aus denGesprächen mit sterbenskranken Menschen systematischaufbereitete, gelang es Elisabeth Kübler-Ross, einenDamm zu brechen: einen Damm, den die Angst vor demTod um sterbende Menschen gebaut hatte und der nahezuundurchdringlich geworden war. Der französische Histo-riker Philippe Ariès hat eindrücklich beschrieben, wie dieser Damm im 20. Jahrhundert aufgebaut worden ist.In den Jahrhunderten zuvor war, so Ariès, ein solch un -durch dringlicher Damm nicht notwendig gewesen. In allen Kulturen hatten und haben sich Menschen mit dertiefen Beunruhigung durch die Endlichkeit unseres Seinsauseinanderzusetzen. In der Regel entwickelten sich hier-bei religiös geprägte Rituale, die den Weg durch das Ster-ben sowohl für den Sterbenden selbst als auch für die(noch) Lebenden bahnten. Solche Rituale vermittelten Si-cherheit und Schutz. Sie halfen allen Beteiligten, ihreAngst im Zaum zu halten. Der Tod blieb damit nicht nuretwas Ängstigendes, sondern verhalf Menschen zugleichdazu, ihr Leben bewusster zu gestalten. Die ars moriendi,die Kunst des Sterbens, wie sie im Mittelalter genanntwurde, war nicht nur als Unterstützung für die Sterben-den gedacht, sondern mindestens ebenso als Kunst desrechten Lebens gemeint – im Angesicht des Todes.

Die »Verwilderung des Todes«

Von solchen Künsten hatte sich die Neuzeit mit dem be-ginnenden 20. Jahrhundert weit entfernt. Mit dem Zerbre-chen allgemein verbindlicher Religiosität entfiel zuneh-

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mend auch der Schutz bergender Rituale und neue warennicht in Sicht. Zudem hatte die Entwicklung der Medizineinen enormen Optimismus erzeugt: Krankheiten erschie-nen zunehmend als heilbar. Die kontinuierlich steigendeLebenserwartung der Menschen in den westlichen Indus-triestaaten wurde als Erfolg moderner Medizin gefeiert.Dass die Medizin hieran nur einen vergleichweise be-scheidenen Anteil hatte und es tatsächlich in erster Linieverbesserte Lebensbedingungen waren und sind, diemenschliches Leben verlängern, das wurde damals (wiegelegentlich auch heute) gerne übersehen. In ein solchesSzenarium passten Sterben und Tod nicht. Zwar war inder Mitte des 20. Jahrhunderts das Krankenhaus längstzum Sterbeort Nummer eins aufgestiegen. Aber von dendort Tätigen wurde unheilbare Krankheit als ein Angriffauf optimistische ärztliche Omnipotenzfantasien angese-hen, wurde der Sterbende in Badezimmer oder Abstell-kammern abgeschoben, den Blicken der Umwelt entzo-gen. Ariès geht so weit, von einer »Verwilderung« unseresUmgangs mit dem Sterben in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts zu sprechen. Sie sei, so Ariès, dadurch ge-kennzeichnet, dass das Sterben nicht nur vor den Augender Öffentlichkeit verborgen, sondern auch vor den Ster-benden selbst verheimlicht wurde und ihnen damit einTeil ihrer Menschenwürde genommen wurde.

Die Begegnung zwischen den kranken Menschen, ihrenAngehörigen und den Helfenden wurde damals systema-tisch verhindert – zum Schaden für alle Beteiligten. Indemden sterbenden Menschen die Kommunikation verwei-gert worden war, war ihnen ein sozialer Tod oft lange vordem körperlichen verordnet worden. Damit war ihnenzugleich ein wesentlicher Teil ihres Menschseins genom-men worden. Wir Menschen sind – wie der PhilosophMartin Buber in seinen Schriften immer wieder verdeut-licht hat – auf den Dialog miteinander angewiesen. DerMensch sei ein dialogisches Wesen und werde erst wirk -lich er selbst, wenn er in Beziehung zum anderen trete.

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Das ist es, was unser Menschsein ausmacht – auch imSterben.

Aber nicht nur die Philosophie, auch die Gesundheitsfor-schung macht die Bedeutung der Kommunikation deut-lich. Kleine Kinder, denen kein ausreichendes Kommuni-kationsangebot gemacht wird, werden krank und könnenan dieser Form der Vernachlässigung sogar sterben, weilihr Immunsystem einen solchen Mangel nicht aushält undKinder deshalb anfällig für schwere Infektionskrankheitenwerden. Und auch wir Erwachsenen brauchen das Ge-spräch mit anderen, um körperlich wie seelisch gesund zubleiben.

Das Wagnis des Gesprächs

Durch ihr Wagnis, das Gespräch mit Sterbenden zu su-chen, hat Elisabeth Kübler-Ross eine Tür aufgestoßen, diebis dahin fest verschlossen war. Aber durch ihre systema-tische Aufarbeitung ihrer Gesprächserfahrungen ist sienoch einen Schritt weiter gegangen. Indem sie zeigte, dasssterbende Menschen unterschiedliche Phasen durchlau-fen, hat sie Ansätze für eine Art neue, sozusagen »natürli-che« Rituale geschaffen. Diese von ihr erstmals beschrie-benen Phasen sind oftmals missverstanden worden: alseine Art Stufenleiter, die der Sterbenskranke bis zu seinemTod »erfolgreich« zu durchlaufen habe. Das hat ElisabethKübler-Ross niemals gesagt oder gemeint. Sie hat viel-mehr deutlich gemacht, dass in der Vielfalt menschlicherReaktionen auf Verluste, insbesondere den Verlust des ei-genen Lebens, wiederkehrende Verhaltens- und Kommu-nikationsmuster zu erkennen sind, deren Abfolge undDauer breit variieren kann.

Mit der Beschreibung dieser Muster gab sie den Helfen-den, aber auch den Sterbenden eine Orientierungshilfe andie Hand. Schauen wir beispielhaft einmal auf die wich-tige »Phase des Zorns«. Diese Phase ist eigentlich gut ver-ständlich, weil jeder Verlust in uns Menschen viel Wut

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und Ärger erzeugen kann. Dieser Zorn des Kranken istalso in erster Linie ein Zorn auf den Verlust. Aber Angehö-rige und Helfende werden dabei vom Kranken häufig alseine Art »Blitzableiter« benutzt. Sie fühlen sich ungerechtbehandelt, ziehen sich gekränkt zurück oder reagierenselbst aggressiv und übellaunig. Aber auch dem krankenMenschen geht es in dieser Zeit nicht gut. Er leidet unterseinen eigenen Launen, spürt, wie er andere vor den Kopfstößt, und kommt aus dem dadurch erzeugten Teufels-kreis doch nicht heraus. Indem uns Elisabeth Kübler-Rossdieses Muster aufdeckt, ermöglicht sie uns, zu verstehen.Das nützt den Helfenden, indem sie den Zorn nicht (nur)auf sich selbst beziehen müssen. Sie können die Wurzelndes Zorns begreifen und merken, dass sie in einer ähn-lichen Verlustsituation ähnlich gehandelt haben oder ähn-lich handeln würden. Das schafft Verbindung und ermög-licht sogar – trotz allem – wieder Nähe. Aber auch derkranke Mensch lernt auf diese Weise, sich selbst besser zuverstehen. Womöglich gelingt es ihm sogar, seinen Zornals gesunde Reaktion anzuerkennen, in dem Wissen, dasser eine Durchgangsphase ist, der andere Zeiten folgenkönnen. Kranke Menschen und Helfende können so wie-der aufeinander zugehen.

Das Phasenmodell ist also eine Erinnerung daran, dassmenschliche Einstellungen wandelbar und veränderbarsind. Wir entwickeln uns auch und gerade in Krisen. Diedabei durchlaufenen schmerzlichen Stadien markierenletztlich »Wachstumsschmerzen«, sind Zeichen für Ent-wicklung. So gesehen, gibt das Phasenmodell allen Betei-ligten – den Kranken, den Zugehörigen und den Helfen-den – etwas von jener Orientierung zurück, die durch denVerlust früherer Rituale verloren gegangen war. Damit istdas Phasenmodell auch ein Beitrag zur Angstbewältigungim Angesicht des Todes. Allerdings sollte es nicht als eineVorschrift missbraucht werden. Der Lebens- wie der Ster-bensweg eines Menschen ist etwas sehr Persönliches, Ei-genartiges, Einmaliges. Ihm diese Einmaligkeit streitig zu

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machen nimmt ihm seine Würde. Aber das Phasenmodellkann helfen, die Gemeinsamkeiten angesichts der Vielfaltmenschlicher Verhaltensmöglichkeiten zu erkennen undauf diese Weise Verbindungen zwischen Menschen zuschaffen und zu stabilisieren. Damit kann das Phasenmo-dell zur Würde sterbender Menschen beitragen.

Der Beginn der modernen Hospizarbeit

Fünf Jahre nach dem Erscheinen der Originalausgabe von»On death and dying« öffnete in den USA das erste Hospizseine Pforten. Hier trafen sich die unterschiedlichen Im-pulse, die von zwei großen Frauen ausgingen. Denn 1967hatte die britische Ärztin Cicely Saunders in einem Londo-ner Vorort einen andern Weg beschritten, um den Bedürf-nissen sterbender Menschen gerecht zu werden: Sie hatteein Haus speziell für Sterbende eröffnet, in dem sie in auf-sehenerregender Weise emotionale Unterstützung, kun-dige Pflege und moderne Medizin miteinander verband.Dieses Haus hatte sie Hospiz genannt. Der Synergieeffekt,der aus dem unterschiedlichen Wirken dieser zwei bedeu-tenden Frauen entstand, ermöglichte das entscheidendeÜberspringen des Hospizgedankens auf die USA, wo Eli-sabeth Kübler-Ross den Boden für die Akzeptanz einessolchen Konzeptes bereitet hatte. Hier entwickelte sich un-ter ihrem Einfluss innerhalb weniger Jahre eine reicheHospiz-Kultur, die später ähnliche Vorhaben weltweit ent-scheidend befruchtete.

Der wesentliche Unterschied zwischen dem britischenund dem nordamerikanischen Hospiz-Weg ist darin zusehen, dass in den USA der Schwerpunkt der Hospizar-beit klar im ambulanten Bereich lag, also in erster Liniedas Sterben zu Hause gefördert wurde, und dass in denUSA die Ehrenamtlichen (die im Angelsächsischen richti-ger »Volunteers« = »Freiwillige« heißen) eine dominie-rende Rolle spielen. Beide Aspekte habe etwas damit zutun, dass Elisabeth Kübler-Ross die Menschen von An-

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fang an und in erster Linie die Kommunikation gelehrthatte. Dadurch waren die Helfenden in besonderer Weisefür die Bedürfnisse der kranken Menschen sensibilisiertworden. Das machte es von vornherein leicht, zu erken-nen, dass die meisten Menschen den Wunsch haben, zuHause sterben zu dürfen, in der Geborgenheit der eigenenvier Wände. Stationäre Einrichtungen standen und stehensozusagen erst in der zweiten Linie, dann nämlich, wenndie Möglichkeiten der häuslichen Betreuung an unüber-windbare Grenzen stoßen. Und amerikanische Hospizemit ihrer großen Zahl gut ausgebildeter und sehr selbst-ständig agierender Freiwilliger standen auch in besonde-rer Weise für eine enge Einbindung der Kranken in dasGemeinwesen. Das aber setzte voraus, das die Angst vordem Sterben in der Gesellschaft als bewältigbar angese-hen wurde. Hierfür hatte Elisabeth Kübler-Ross durch ih-ren Einsatz den Weg gebahnt.

Vielleicht die wichtigste Mitgift, die die beiden »Mütter«der internationalen Hospizarbeit, Elisabeth Kübler-Rossund Cicely Saunders, dieser weltumspannenden Bewe-gung mit auf den Weg gegeben haben, sind die Lernbereit-schaft und die Lernfähigkeit. Am Anfang der Arbeit mitSterbenden hatte bei Elisabeth Kübler-Ross das Zuhörengestanden. Als Psychiaterin war sie es gewohnt gewesen,ihre Patientinnen und Patienten zum Sprechen zu bringenund deren Botschaften – auch die zwischen den Zeilen – zuentschlüsseln. Im Umgang mit sterbenden Menschen fielihr auf, wie leicht es war, von diesen Menschen zu erfah-ren, was sie sich wünschten: nämlich in vertrauter Umge-bung zu sterben, möglichst bis zuletzt ohne Beschwerden zu le-ben, »unerledigte Geschäfte« noch zu Ende zu bringen undspirituelle Fragen kritisch diskutieren zu dürfen. Und sie er-kannte: »Das Problem sind eigentlich weniger die sterben-den Menschen, sondern die Angehörigen und vor allemdie Helfenden.« Ein Satz, der ihr, vor allem von den beruf-lich Helfenden, oftmals übel genommen worden ist. Die-ses Übelnehmen war allerdings schon ein Indiz dafür, dass

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sie mit diesem Satz eine besonders empfindliche Stelle ge-troffen hatte: Denn nicht nur die sterbenden Menschen,sondern auch die Helfenden haben »unerledigte Ge-schäfte«. Diese unerledigten Geschäfte waren und sind es,die uns oftmals daran hindern, offen, vor allem mit offenenOhren, auf sterbende Menschen zuzugehen.

Vom Umgang mit unerledigten Geschäften

In ihren Gesprächen mit sterbenden Menschen war Elisa-beth Kübler-Ross aufgefallen, das diese sich oftmals be-sonders dann mit körperlichen und seelischen Beschwer-den herumschlagen mussten, wenn sie noch eine »offeneRechnung« hatten, etwas, das in ihrem Leben mit derarti-gen Schuld- und Schamgefühlen besetzt war, dass sie esnicht fertigbrachten, sich mit diesem Thema offen ausein-anderzusetzen. Vielfach waren es im Grunde genommenkeine großen Dinge, keine Morde oder Verbrechen, sonderndie scheinbaren Kleinigkeiten des Lebens, in denen wirMenschen uns schuldig fühlen: eine nicht gelungene Aus-einandersetzung mit den Eltern, unbewältigte Trauer, einBetrug am Lebenspartner, aber auch die Unfähigkeit, solcheSchuld anderen zu verzeihen. In langen Gesprächen gelanges Elisabeth Kübler-Ross oft, bei den Kranken eine ArtBeichte möglich zu machen, eine Katharsis auszulösen undihnen dann ein friedvolles Sterben zu ermöglichen.

»Aber«, so fragte sie sich, »warum gelingt das im Alltagnur so wenigen Helfenden?« Den Grund entdeckte sie beider Analyse ihrer eigenen Reaktionen: Immer dort, woKranke Probleme berührten, die ihren eigenen unerledig-ten Geschäften ähnelten, fiel ihr das Gespräch oft schwer –oder geriet sie in Versuchung, ihr eigenes Problem zu lö-sen, indem sie das Problem des anderen zu lösen bemühtwar. Dieses Phänomen kennt jeder erfahrene Psychothera-peut, und einen nicht geringen Teil unserer Ausbildungbringen wir damit zu, genau diese Fallen im Umgang mitunseren Klienten zu erkennen und künftig zu vermeiden.

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Voraussetzung dafür, dass dies gelingt, ist es nicht, dasswir alle Probleme bei uns selbst lösen, sondern dass wirunsere eigenen dunklen Stellen gut kennen und nicht ausdem Blick verlieren.

Indem Elisabeth Kübler-Ross diesen Gedanken konse-quent zu Ende dachte, fand sie heraus, dass die Angst vie-ler Menschen vor der Begegnung mit Sterbenden nichtnur daher kommt, dass sie selbst Angst vor dem Sterbenhaben, sondern auch daher, dass sie Angst vor sich selbsthaben. Begegnen wir nämlich einem Menschen, dessenLeben unweigerlich zu Ende geht, zwingt uns dies, auchunsere eigene Endlichkeit zu bedenken und die unsererAngehörigen. Es konfrontiert uns mit der Frage nach demSinn unseres eigenen Lebens. Es konfrontiert uns auch da-mit, dass all die unerledigten Dinge, die ungelösten Fra-gen in unserem Leben nicht endlos auf die lange Bank ge-schoben werden können. Es erinnert uns daran, dassirgendwann auch für uns die Stunde der Wahrheit kommtund wir uns ihr nicht entziehen können. Das macht Angstund solche Angst lässt uns fliehen – vor allem vor unsselbst. Dann suchen wir Ablenkung und Zerstreuung, wiewir es vielleicht schon ein ganzes Leben gemacht haben.Was wir auf dieser Flucht vor uns selbst allerdings am we-nigsten brauchen können, ist ein Mensch, der uns schonalleine durch seine bloße Existenz daran erinnert, dass eseinen Punkt in unserem Leben geben wird, der uns dieFlucht endgültig unmöglich macht: der eigene Tod. Unddieser Gedanke schließlich kann Wut und Ablehnunggegenüber denjenigen erzeugen, die uns ein Ausweichenvor uns selbst erschweren: den sterbenden Menschen.Hier, so die Überlegungen von Elisabeth Kübler-Ross,liegt eine wichtige Wurzel für die Vernachlässigung derschwerkranken und sterbenden Menschen.

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