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5.3 Nichtparetisches Schielen Das nichtparetische Schielen stellt den häufigsten Grund einer Augenmuskeloperation dar. Ziel der Operation ist, das Drehmomentgleichgewicht, welches präoperativ die Schielstellung des abweichenden Auges stabilisierte, in die Primärposition zu verlagern, ohne neue Störungen des Bewegungsapparats zu provozieren. Indikationsempfehlungen und Dosierungsrichtlinien ba- sieren auf den Erfahrungen früherer Operationsergebnis- se. Ergebnis einer Augenmuskeloperation ist einerseits die Verminderung des Schielwinkels um einen be- stimmten Winkel, andererseits die Verbesserung von Binokularsehen. Beide Folgen können kurzfristig sein oder lange andauern. Das Ausmaß einer funktionellen Besserung des Binokularsehens hängt vor allem vom zu- grunde liegenden Krankheitsbild (Ätiologie, Lebensalter, Visus, Korrespondenzverhalten, Fusionsvermögen usw.) ab. Auch eine Augenmuskeloperation mit falscher Dosie- rung bewirkt beim normosensorischen Spätschielen bin- okulares Einfachsehen, wenn der verbleibende Rest- schielwinkel kompensiert werden kann. Langfristige Be- obachtungen bezüglich der Qualität des erreichten Bin- okularsehens geben zwar Aufschluss über die Güte der gesamten Behandlung bei bestimmten Krankheitsbildern, nicht aber über den mechanischen Effekt einer bestimm- ten Augenmuskeloperation. Die Wirkung bestimmter Operationsmethoden und Do- sierungen lässt sich am besten prüfen, wenn die durch- schnittliche Veränderung des (mit dem alternierenden Abdecktest gemessenen) Schielwinkels als Folge einer be- stimmten Operationsdosierung an einer ausreichend gro- ßen Anzahl vergleichbarer Patienten berechnet wird. In idealer Weise wäre das möglich, wenn unter Ausschal- tung aller binokularen Einflüsse langfristige prä- und postoperative Winkelmessungen durchgeführt werden könnten. Da diese Bedingung kaum erfüllbar ist, stellen alle statistisch erarbeiteten Dosis-Wirkungs-Relationen einen Kompromiss dar und schließen nicht aus, dass vor der Untersuchung der postoperativen Schielwinkel bin- okulare Faktoren den Schielwinkel schon verändert hat- ten. Alle Veröffentlichungen zu Dosierungsfragen sind unter diesem Vorbehalt zu sehen. Bei der Untersuchung eines größeren Krankenguts wird für eine bestimmte Dosierung ein durchschnittliches Er- gebnis berechnet. Es ist selbstverständlich, dass diese durchschnittliche Schielwinkelreduktion nur ein statis- tischer Mittelwert ist, der je nach verwendeter Operati- onstechnik, Präzision der Durchführung und individuel- len Gegebenheiten des Patienten eine statistische Streu- ung aufweist. In der Regel wird die Dosierung angestrebt, die die größte Wahrscheinlichkeit bietet, den Schielwin- kel zu beseitigen. Folge dieser Dosierung werden an einem großen Krankengut ebenso viele Überkorrektionen wie Unterkorrektionen sein. Wer Überkorrektionen si- cher vermeiden will, muss eine Dosierung wählen, die mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Unterkorrektion bewirkt. Er muss also darauf verzichten, die Beseitigung des Schielwinkels zur wahrscheinlichsten Folge einer Operation zu machen. Dieses Vorgehen ist immer dann vorzuziehen, wenn die Überkorrektion eines Schielwin- kels unbedingt vermieden werden muss (z. B. wegen dro- hender Diplopiegefahr) und die Unterkorrektion zwar kein ideales, aber ein erträgliches Resultat wäre. Über- legungen dieser Art haben sich am betreffenden Krank- heitsbild zu orientieren und werden dort besprochen. Wenn im folgenden Text Dosierungsrichtlinien gegeben werden, liegt ihnen das Ziel zugrunde, mit größter Wahr- scheinlichkeit den Schielwinkel zu beseitigen. Diese Richtlinien sind mitunter höherrangigen Überlegungen unterzuordnen. Merke Die Dosierung, die mit der größten Wahrscheinlich- keit den Schielwinkel beseitigt, bewirkt ebenso viele Überkorrektionen wie Unterkorrektionen. Eine Operationsmethode ist dann einer anderen vor- zuziehen, wenn ein Schielwinkel mit geringerem opera- tiven Aufwand oder größerer Genauigkeit um das ge- wünschte Ausmaß verringert wird und dieses Ergebnis von größerer Dauerhaftigkeit ist. Soweit Untersuchungen dazu vorliegen, wird deshalb bei den einzelnen Operati- onsverfahren angegeben, welche Streuungen der Ergeb- nisse beschrieben werden und ob über Langzeitergebnis- se berichtet wird. 5.3.1 Ergebnisse verschiedener Operationsverfahren Operationen an Horizontalmotoren Die Ergebnisse der Rücklagerungen eines Horizontal- motors zeigen eine Effektivität, die je nach Indikation und operiertem Muskel zwischen 0,7°/mm und 1,3°/mm Operationsstrecke liegt (115, 117, 136, 241). Darüber hi- naus tritt eine Duktionseinschränkung in Zugrichtung des operierten Muskels auf, die (wegen der kürzeren Ab- rollstrecke) am M. rectus medialis ausgeprägter ist als am M. rectus lateralis. Die Adduktionseinschränkung nach Rücklagerung des M. rectus medialis ist gleichbedeutend mit einer fast immer erwünschten Einschränkung der Konvergenz, insbesondere bei beidseitigen Operationen. 576 Augenmuskeloperationen aus: Kaufmann u. a., Strabismus (ISBN 9783131297242) © 2012 Georg Thieme Verlag KG

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Page 1: 5.3 Nichtparetisches Schielen - bücher.de · 2015. 8. 15. · Nichtparetisches Schielen Das nichtparetische Schielen stellt den häufigsten Grund einer Augenmuskeloperation dar

5.3Nichtparetisches SchielenDas nichtparetische Schielen stellt den häufigsten Grundeiner Augenmuskeloperation dar. Ziel der Operation ist,das Drehmomentgleichgewicht, welches präoperativ dieSchielstellung des abweichenden Auges stabilisierte, indie Primärposition zu verlagern, ohne neue Störungendes Bewegungsapparats zu provozieren.

Indikationsempfehlungen und Dosierungsrichtlinien ba-sieren auf den Erfahrungen früherer Operationsergebnis-se. Ergebnis einer Augenmuskeloperation ist einerseitsdie Verminderung des Schielwinkels um einen be-stimmten Winkel, andererseits die Verbesserung vonBinokularsehen. Beide Folgen können kurzfristig seinoder lange andauern. Das Ausmaß einer funktionellenBesserung des Binokularsehens hängt vor allem vom zu-grunde liegenden Krankheitsbild (Ätiologie, Lebensalter,Visus, Korrespondenzverhalten, Fusionsvermögen usw.)ab. Auch eine Augenmuskeloperation mit falscher Dosie-rung bewirkt beim normosensorischen Spätschielen bin-okulares Einfachsehen, wenn der verbleibende Rest-schielwinkel kompensiert werden kann. Langfristige Be-obachtungen bezüglich der Qualität des erreichten Bin-okularsehens geben zwar Aufschluss über die Güte dergesamten Behandlung bei bestimmten Krankheitsbildern,nicht aber über den mechanischen Effekt einer bestimm-ten Augenmuskeloperation.

Die Wirkung bestimmter Operationsmethoden und Do-sierungen lässt sich am besten prüfen, wenn die durch-schnittliche Veränderung des (mit dem alternierendenAbdecktest gemessenen) Schielwinkels als Folge einer be-stimmten Operationsdosierung an einer ausreichend gro-ßen Anzahl vergleichbarer Patienten berechnet wird.

In idealer Weise wäre das möglich, wenn unter Ausschal-tung aller binokularen Einflüsse langfristige prä- undpostoperative Winkelmessungen durchgeführt werdenkönnten. Da diese Bedingung kaum erfüllbar ist, stellenalle statistisch erarbeiteten Dosis-Wirkungs-Relationeneinen Kompromiss dar und schließen nicht aus, dass vorder Untersuchung der postoperativen Schielwinkel bin-okulare Faktoren den Schielwinkel schon verändert hat-ten. Alle Veröffentlichungen zu Dosierungsfragen sindunter diesem Vorbehalt zu sehen.

Bei der Untersuchung eines größeren Krankenguts wirdfür eine bestimmte Dosierung ein durchschnittliches Er-gebnis berechnet. Es ist selbstverständlich, dass diesedurchschnittliche Schielwinkelreduktion nur ein statis-tischer Mittelwert ist, der je nach verwendeter Operati-onstechnik, Präzision der Durchführung und individuel-len Gegebenheiten des Patienten eine statistische Streu-ung aufweist. In der Regel wird die Dosierung angestrebt,

die die größte Wahrscheinlichkeit bietet, den Schielwin-kel zu beseitigen. Folge dieser Dosierung werden aneinem großen Krankengut ebenso viele Überkorrektionenwie Unterkorrektionen sein. Wer Überkorrektionen si-cher vermeiden will, muss eine Dosierung wählen, diemit größerer Wahrscheinlichkeit eine Unterkorrektionbewirkt. Er muss also darauf verzichten, die Beseitigungdes Schielwinkels zur wahrscheinlichsten Folge einerOperation zu machen. Dieses Vorgehen ist immer dannvorzuziehen, wenn die Überkorrektion eines Schielwin-kels unbedingt vermieden werden muss (z. B. wegen dro-hender Diplopiegefahr) und die Unterkorrektion zwarkein ideales, aber ein erträgliches Resultat wäre. Über-legungen dieser Art haben sich am betreffenden Krank-heitsbild zu orientieren und werden dort besprochen.Wenn im folgenden Text Dosierungsrichtlinien gegebenwerden, liegt ihnen das Ziel zugrunde, mit größter Wahr-scheinlichkeit den Schielwinkel zu beseitigen. DieseRichtlinien sind mitunter höherrangigen Überlegungenunterzuordnen.

Merke

Die Dosierung, die mit der größten Wahrscheinlich-keit den Schielwinkel beseitigt, bewirkt ebenso vieleÜberkorrektionen wie Unterkorrektionen.

Eine Operationsmethode ist dann einer anderen vor-zuziehen, wenn ein Schielwinkel mit geringerem opera-tiven Aufwand oder größerer Genauigkeit um das ge-wünschte Ausmaß verringert wird und dieses Ergebnisvon größerer Dauerhaftigkeit ist. Soweit Untersuchungendazu vorliegen, wird deshalb bei den einzelnen Operati-onsverfahren angegeben, welche Streuungen der Ergeb-nisse beschrieben werden und ob über Langzeitergebnis-se berichtet wird.

5.3.1Ergebnisse verschiedenerOperationsverfahren

Operationen an Horizontalmotoren

Die Ergebnisse der Rücklagerungen eines Horizontal-motors zeigen eine Effektivität, die je nach Indikationund operiertem Muskel zwischen 0,7°/mm und 1,3°/mmOperationsstrecke liegt (115, 117, 136, 241). Darüber hi-naus tritt eine Duktionseinschränkung in Zugrichtungdes operierten Muskels auf, die (wegen der kürzeren Ab-rollstrecke) am M. rectus medialis ausgeprägter ist als amM. rectus lateralis. Die Adduktionseinschränkung nachRücklagerung des M. rectus medialis ist gleichbedeutendmit einer fast immer erwünschten Einschränkung derKonvergenz, insbesondere bei beidseitigen Operationen.

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Augenmuskeloperationen

aus: Kaufmann u. a., Strabismus (ISBN 9783131297242) © 2012 Georg Thieme Verlag KG

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Die Rücklagerung des M. rectus medialis vermindert denNahschielwinkel mehr als den Fernschielwinkel. Die ana-loge größere Fernschielwinkelreduktion nach Rücklage-rung des M. rectus lateralis ist weniger ausgeprägt.

Resektionen zeigen eine etwas größere Wirkung, über-schreiten aber auch eine Relation von 1,3°/mm auf Dauernicht. Lediglich in der Gruppe der beidseitigen Resektio-nen des M. rectus medialis ist diese Effektivität bei grö-ßerer Standardabweichung höher.

Die Genauigkeit rücklagernder oder resezierender Ein-griffe an einem Muskel, ausgedrückt als Standardabwei-chung der Schielwinkelreduktion nach einer bestimmtenDosierung, beträgt etwa ±4° bis ±5° und ist weitgehendunabhängig von der Operationsstrecke.

Die kombinierte Operation an den Horizontalmotorenreduziert Fernschielwinkel und Nahschielwinkel etwagleichermaßen (115, 117, 136, 241) (▶ Tab. 5.1). Der Ef-fektivität der Operation beträgt etwa 1,7°/mm Gesamt-operationsstrecke für Konvergenz- und Divergenzopera-tionen. Diese Effektivität sinkt innerhalb der folgenden 3Monate für die Konvergenzoperationen um 0,1°/mm, fürdie Divergenzoperationen aber um 0,3°/mm und ver-deutlicht die häufigere Wiederzunahme des Schielwin-kels bei Strabismus divergens.

Das Ziel, die Dosierung immer weiter zu verfeinern, wirdauf unterschiedlichen Wegen angestrebt. Roth verändertdie Dosierung nach prä- oder intraoperativen Messungender Elastizitätsverhältnisse von Muskulatur und „passi-vem orbitalen Gewebe“ (234). Die Effektivität der Opera-tion in °/mm ist umso größer, je kleiner der Durchmesserdes operierten Bulbus ist. Der Einfluss der Augenlängefolgt aus grundlegenden physikalischen Erwägungen(228, 262) und ist bei kombinierten Konvergenzoperatio-nen größer als bei kombinierten Divergenzoperationen(91, 168).

Merke

Das größte Problem nach kombinierter Konvergenz-operation ist der verbleibende Konvergenzexzess.

Postoperativ ist eine erneute Schielwinkelzunahme häufig(132) (▶ Tab. 5.1, ▶ Tab. 5.2). Sie kann nicht prinzipielleinem nachlassenden Effekt der Operation gleichgesetztwerden. Bei einigen Schielerkrankungen gehört eine wei-tere Winkelzunahme zum Wesen der Erkrankung, in an-deren Fällen bewirkt anomale Korrespondenz eine Win-kelzunahme.

Merke

Postoperativ nimmt der Schielwinkel innerhalb vonMonaten wieder zu, durchschnittlich nach Konvergenz-operation um 1°, nach Divergenzoperation um 3°.

Postoperative Inkomitanzen nach kombinierten Operatio-nen sind fast immer vorhanden, aber bei höheren Dosie-rungen größer (139). Die Inkomitanz nimmt im Laufe vonMonaten ab, verschwindet aber nicht völlig. StörendeAusmaße nimmt sie nur dann an, wenn sie bei Fällenmit normaler binokularer Sensorik Diplopie bewirkt. Vorallem Patienten, die wegen Exophorie operiert wurden,geben oft Diplopie bei Abduktion des operierten Augesan, weil die Fusionsfähigkeit nicht ausreicht, die für diesePatienten völlig ungewohnten konvergenten Schielwinkelzu kompensieren. Die Beschwerden verschwinden in derRegel, weil die Inkomitanz geringer wird und weil oftauch divergente Fusionsbreite erlernt wird.

Tab. 5.1 Schielwinkel vor und nach kombinierter Konvergenzoperation. Die Dosierung wurde nach dem Giessener OP-Schema (▶ Abb. 5.17) vorgenommen. Präoperativ zeigten über 90% einen Schielwinkel von > 10° für Ferne und Nähe. Etwa 2/3der Fernschielwinkel lagen postoperativ zwischen -5° und +5°. Divergente Schielwinkel waren selten. Nach 3 – 6 Monaten warendie Operationseffekte insgesamt zurückgegangen. Unbefriedigend war das Resultat nach 3 Monaten bei 20% wegen eineskonvergenten Nahschielwinkels von > 10°. Da in diesen Fällen der Konvergenzexzess bereits vor der Konvergenzoperationbestand, waren diese Patienten bereits über die Wahrscheinlichkeit einer 2. Operation (beidseitige Medialis-Myopexie) auf-geklärt.

Präoperativ (2637 Fälle) Bei Entlassung (2637 Fälle) Nach 3 Monaten(1293 Fälle)

Schielwinkel Ferne Nähe Ferne Nähe Ferne Nähe

Mittelwert 19,5° 22,8° 2,0° 4,5° 2,8° 5,3°

Median 18° 22° 2° 4° 3° 4°

-5° bis 5° 0% 1% 71% 54% 63% 52%

konv. Schielw. > 10° 93% 95% 5% 13% 7% 20%

div. Schielw. > 10° 0% 0% 1% 1% 2% 2%

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5.3 Nichtparetisches Schielen

aus: Kaufmann u. a., Strabismus (ISBN 9783131297242) © 2012 Georg Thieme Verlag KG

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Merke

Postoperative Diplopie ist nach Divergenzoperationenhäufiger als nach Konvergenzoperationen, weil derAnteil der Patienten mit Binokularsehen bei Exodevia-tionen (40%) größer ist als bei Esodeviationen (5%).

Kombinierte Operationen höherer Dosierung (Gesamtope-rationsstrecke 14 – 18mm) zeigen ähnliche Ergebnisse(150), bewirken aber häufiger postoperative Inkomi-tanzen.

Die Genauigkeit kombinierter Eingriffe, ausgedrückt alsStandardabweichung der Schielwinkelreduktion nacheiner bestimmten Dosierung, beträgt etwa ± 3° bis ± 5°und ist weitgehend unabhängig von der Dosierung.Damit zeigen die Ergebnisse nach kombinierter Operati-on an den Horizontalmotoren unter allen Augenmuskel-eingriffen die beste Reproduzierbarkeit.

Abb. 5.17 Dosierungsschema bei Strabismus convergens. Bei kombinierten Operationen (z. B. 5/7) gibt die erste Zahl die Rück-lagerungsstrecke am M. rectus medialis in mm und die zweite die Resektions- oder Faltungsstrecke am M. rectus lateralis in mm an. DieDosierungen 6/7 und 6/8 werden nur verwendet, wenn eine Amblyopie vorliegt oder aus anderen Gründen mit einer Operation einbesonders hoher Effekt angestrebt wird. Sie bewirken häufiger eine postoperative Inkomitanz. R5e bedeutet eine reine Rücklagerungdes M. rectus medialis um 5mm, die nur selten durchgeführt wird. Bei den Myopexien (F) sind nur einige Dosierungen angegeben. DieZahlen bezeichnen die Dosierung der beidseitigen Myopexie (s. auch ▶ Tab. 5.4). Bei der Indikation werden die Schielwinkel zugrundegelegt, die mit dem alternierenden Prismenabdecktest bei Fernblick bzw. bei Nahblick auf ein akkommodationsanregendes Fixierobjektgemessen werden. Den Dosierungstabellen liegt eine Augenlänge von 22mm zugrunde. Es ist empfehlenswert, bei Rücklagerungen,Resektionen und Faltungen die Dosierung bei abweichender Augenlänge proportional zu ändern, bei einer Augenlänge von 20mm alsoum 10% (91). Bei Myopexien sollte die Dosierung für je 2mm Abweichung der Bulbuslänge vom Normwert (ca. 22mm im eigenenKrankengut) um 1mm geändert werden. Einer Dosierung von 13mm bei einer Bulbuslänge von 22mm entspricht also eine Dosierungvon 12mm bei einer Bulbuslänge von 20mm bzw. eine Dosierung von 14mm bei einer Bulbuslänge von 24mm (168). Da die Wirkungder Myopexie vor allem von dem Winkel der Retroäquatorialität der Fixationsstelle abhängt, erfolgt im eigenen Krankengut dieAbmessung der Fadenfixationsstelle vom Limbus (bei einer Dosierung von 13mm wird die Fixationsstelle in 18,5mm Limbusabstandgelegt). Um Verwirrung zu vermeiden, wird aber die gewohnte Dosierungsangabe (in diesem Beispiel 13mm) beibehalten.

Nah

schi

elw

inke

l

Fernschielwinkel

0

5

10

15

20

25

0 5 10 15 20 25

F12

R5e

F13

4/3

3/33/4

F14

4/4

5/4

4/5

5/55/6

5/7

6/76/8

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Augenmuskeloperationen

aus: Kaufmann u. a., Strabismus (ISBN 9783131297242) © 2012 Georg Thieme Verlag KG

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Merke

Das größte Problem nach kombinierter Divergenzope-ration ist die Wiederzunahme des divergentenSchielwinkels.

Während Resektionen und kombinierte Operation derHorizontalmotoren den Fern- und den Nahschielwinkeletwa in demselben Ausmaß reduzieren, führen hoch do-sierte Rücklagerungen und Myopexien am M. rectus me-dialis zu einer überproportionalen Verminderung desNahschielwinkels, also zu einer Verminderung des Konver-genzexzesses. Die beidseitige Myopexie des M. rectusmedialis gilt als zuverlässigste Methode zur Beeinflus-sung des Konvergenzexzesses und ist darin der beidsei-tigen Rücklagerung des M. rectus medialis überlegen.

Daneben bewirkt diese Operation auch die Verminderungder Schielwinkelschwankungen und eine Veränderung desSchielwinkels im Seitblick, also eine Inkomitanz.

Die beidseitige Rücklagerung des M. rectus medialis warneben der kombinierten Konvergenzoperation Standard-eingriff beim kindlichen Strabismus convergens. Die Me-thode wurde nach Einführung der beidseitigen Myopexiedes M. rectus medialis an vielen Kliniken verlassen, weilnach Medialis-Myopexie eine deutlich bessere Verringe-rung des Konvergenzexzesses mit einer geringeren Häu-figkeit postoperativer Divergenz einherging (45, 46, 50,120, 134, 141, 143). Diese Entwicklung war vor allem inEuropa erkennbar, während in den amerikanischen Län-dern häufig an der beidseitigen Medialis-Rücklagerungfestgehalten oder zu dieser Methode zurückgekehrtwurde (211). Bis heute empfehlen 2 operative Schulen

Tab. 5.2 Schielwinkel vor und nach kombinierter Divergenzoperation. Die Indikation wurde nach dem Giessener Op-Schema (▶ Abb. 5.18) vorgenommen. Präoperativ zeigten etwa 90% der Fälle einen divergenten Schielwinkel von > 10° fürFerne und Nähe. Etwa ¾ der Fernschielwinkel lagen postoperativ zwischen -5° und +5°. Nach 3 – 6 Monaten waren dieOperationseffekte insgesamt zurückgegangen. Unbefriedigend war das Resultat nach 3 Monaten bei etwa 10% wegen einesdivergenten Schielwinkels von > 10°, die mehrheitlich erneut operiert wurden.

Präoperativ (1361 Fälle) Bei Entlassung (1361 Fälle) Nach 3 Monaten(686 Fälle)

Schielwinkel Ferne Nähe Ferne Nähe Ferne Nähe

Mittelwert –14,9° -16,3° 0,3° 0,2° –2,6° –2,8°

Median –15° –16° 0° 0° –2° 3°

-5° bis 5° 0% 1% 82% 75% 65% 57%

konv. Schielw. > 10° 0% 0% 1% 2% 1% 1%

div. Schielw. > 10° 87% 90% 1% 4% 8% 11%

Abb. 5.18 Dosierungsschema bei Strabis-mus divergens. Bei kombinierten Operatio-nen (z. B. 4/4) gibt die erste Zahl die Resekti-ons- oder Faltungsstrecke am M. rectus me-dialis in mm und die zweite die Rücklage-rungsstrecke amM. rectus lateralis in mm an.R5 e bedeutet eine reine Rücklagerung desM. rectus lateralis um 5mm, e bezeichneteine einseitige, b eine beidseitige Rücklage-rung. Bei der Indikation werden die Schiel-winkel zugrunde gelegt, die mit dem alter-nierenden Prismenabdecktest bei Fernblickbzw. bei Nahblick auf ein akkommodations-anregendes Fixierobjekt gemessen werden(zu diagnostischer Okklusion und Prismen-trageversuch siehe Text). Den Dosierungs-tabellen liegt eine Augenlänge von 22mmzugrunde. Es ist empfehlenswert, bei Rück-lagerungen, Resektionen und Faltungen dieDosierung bei abweichender Augenlängeproportional zu ändern, bei einer Augenlängevon 20mm also um 10% (91, 168).

4/5

Nah

schi

elw

inke

l

Fernschielwinkel

0

5

10

15

20

25

0 5 10 15 20 25

R5e

R5b

4/3

3/3 3/4

5/4

4/4

5/5 5/6

6/5 6/66/7

2/2

3,5/3,5

4,5/4,5

5,5/5,5

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5.3 Nichtparetisches Schielen

aus: Kaufmann u. a., Strabismus (ISBN 9783131297242) © 2012 Georg Thieme Verlag KG

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verschiedene Operationsstrategien. Vergleichende Studi-en von Autoren, die über hinreichende Erfahrung mitbeiden Verfahren verfügen, fehlen. Zweifellos bietet diebeidseitige Medialis-Rücklagerung den Vorteil der leich-teren Durchführung und der besseren Revisionsmöglich-keit, aber auch den Nachteil der geringeren Reduktiondes Konvergenzexzesses und der häufigeren postoperati-ven Divergenz (▶ Tab. 5.3).

Nach beidseitiger Medialis-Myopexie beträgt das Verhält-nis der Nah- zur Fernschielwinkelreduktion durchschnitt-lich 1,8/1. Der Anteil der postoperativen Schielwinkelzwischen +5° und -5° liegt um etwa 70% für den Fern-schielwinkel und etwa 60% für den Nahschielwinkel.Operative Technik und Indikation der häufig durch-geführten Operation können als weitgehend standardi-siert gelten (44, 52, 56, 77, 120, 131, 141, 143, 237).Zusätzliche Indikationen (beidseitige Myopexien mitgleichzeitiger Rücklagerung oder Verkürzung) wurden indas Standardrepertoire aufgenommen.

Die Schielwinkelverminderung ist umso ausgeprägter, jegrößer der präoperative Schielwinkel war (194, 264). DieReduktion des Nahschielwinkels entspricht etwa demQuotienten (½ präop. Nahschielwinkel +5°) (120). Das be-deutet, dass mit der Größe des präoperativen Schielwin-kels nicht nur der Effekt der Myopexie steigt, sondernauch der Restschielwinkel.

Schielwinkelschwankungen werden durch die beidseitigeMedialis-Myopexie ebenfalls gebessert (44, 131). Die pro-gressive Einschränkung der Adduktion bewirkt vor allemeine Verminderung der Amplitude der Schielwinkel-schwankung, d. h. eine Nivellierung auf dem Niveau deskleineren Winkels.

Merke

Das größte Problem nach beidseitiger retroäquatorialerHypopexie ist der divergente Fernschielwinkel.

Die postoperativen Schielwinkel zeigen die Grenzen derbeidseitigen retroäquatorialen Myopexie. Ihr dissoziieren-der Effekt auf die Verringerung von Fern- und Nahschiel-winkel ist zwar größer als der einer beidseitigen Media-lis-Rücklagerung, aber nicht groß genug, um Fern- undNahschielwinkel zu beseitigen. Würde man die Wieder-zunahme des divergenten Fernschielwinkels verhindernwollen, wäre die Folge eine Zunahme des verbleibendenKonvergenzexzesses.

Auch nach Myopexien ist nach Monaten eine Schielwin-kelzunahme zu beobachten (131), d. h. eine erneute Zu-nahme konvergenter Restschielwinkel und damit aucheine Abnahme divergenter Überkorrektionen. Die post-operative Schielwinkeländerung bleibt in den Grenzen,die auch nach kombinierten Operationen sichtbar wer-den. Bezüglich größerer Über- oder Unterdosierungenist die Myopexie anderen Operationsmethoden nicht un-terlegen. Untersuchungen, die 10 – 15 Jahre nach beidsei-tiger Myopexie durchgeführt wurden (120), zeigten gutelangfristige Ergebnisse hinsichtlich der Schielwinkel beiFern- und Nahblick, die von anderen Autoren bestätigtwerden (54, 56, 76, 79, 141, 182). Der Anteil langfristigerÜberkorrektionen (Strabismus divergens) des Schielwin-kels ist kleiner als nach beidseitiger Medialis-Rücklage-rung. Beim Vergleich mit anderen Operationsverfahrenist zu bedenken, dass Myopexien bei der prognostischungünstigsten Gruppe aller nichtparetischen Schiel-erkrankungen durchgeführt werden. Es ist einleuchtend,dass postoperativ divergente Fernschielwinkel dann häu-figer sind, wenn bei großem Konvergenzexzess der Nah-schielwinkel beseitigt wird (271).

Tab. 5.3 Schielwinkel vor und nach beidseitiger retroäquatorialer Myopexie nach Cüppers. Die Indikation erfolgte nach▶ Abb. 5.17, wobei der beidseitigen Myopexie oft bereits eine kombinierte Konvergenzoperation wegen einer großwinkligenEsotropie vorausgegangen war. Präoperativ zeigten 96% einen Nahschielwinkel > 10°. Etwa ⅔ der Schielwinkel lagen post-operativ zwischen -5° und +5°. Nach 3 – 6 Monaten waren die Operationseffekte insgesamt etwas zurückgegangen. Unbe-friedigend war das Resultat nach 3 Monaten bei 13% wegen eines divergenten Fernschielwinkels von > 10° und bei 6% wegeneines verbliebenen Konvergenzexzesses.

Präoperativ (1038 Fälle) Bei Entlassung (1038 Fälle) Nach 3 Monaten (562 Fälle)

Schielwinkel Ferne Nähe Ferne Nähe Ferne Nähe

Mittelwert 9,9° 20,2° –0,7° 2,9° –1,7° 2,6°

Median 9° 20° 0° 4° 0° 3°

-5° bis 5° 23% 0% 70% 58% 62% 57%

konv. Schielw. > 10° 37% 96% 0% 5% 1% 6%

div. Schielw. > 10° 0% 0% 8% 4% 13% 4%

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Augenmuskeloperationen

aus: Kaufmann u. a., Strabismus (ISBN 9783131297242) © 2012 Georg Thieme Verlag KG

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Myopexien vermindern das Drehmoment in Zugrichtungdes operierten Muskels und bewirken eine Duktionsein-schränkung (215, 216). Nach einer Myopexie am linkenM. rectus medialis bei Strabismus convergens nimmt derSchielwinkel vor allem bei Dextroversion ab. Die Myope-xie bewirkt also eine künstliche Winkelinkomitanz, mitderen Hilfe andererseits eine präoperative Winkelinko-mitanz ausgeglichen werden kann (Gegenparese). Beibeidseitigen Medialis-Myopexien resultiert eine sym-metrische Winkelinkomitanz (30), sodass der Operations-effekt im Seitblick größer ist als in Primärposition. Diesesymmetrische Winkelinkomitanz ist unvermeidlich,wenn das Ziel der Operation, die Einschränkung der Kon-vergenz, erreicht werden soll. Die Genauigkeit der Myo-pexie, ausgedrückt als Standardabweichung der Schiel-winkelreduktion, beträgt etwa ± 5°.

Die bei der Einführung der Myopexie nach Cüppers be-fürchteten Spätschädigungen am Augenhintergrund sindbislang ausgeblieben. Einschränkungen des Konvergenz-vermögens (bei ca. 10% auf einen Konvergenznahpunktvon mehr als 15 cm) oder des Adduktionsvermögens(bei ca. 10% auf unter 35°) waren zwar nach 10 – 15 Jah-ren nachweisbar, zeigten aber in keinem Fall ein stören-des Ausmaß (76, 120, 248).

Operationen an Vertikalmotoren

Die Ergebnisse der Operationen an geraden Vertikal-motoren entsprechen denen von Rücklagerungen undkombinierten Augenmuskeloperationen an den Horizon-talmotoren weitgehend. Operationen an einem Augen-muskel (Rücklagerungen oder Resektionen) vermindernden Schielwinkel etwa um ca. 1°/mm Operationsstrecke.Wie bei den Rücklagerungen oder Resektionen an Hori-zontalmotoren variieren die Ergebnisse mehr als nachkombinierten Operationen. Kombinierte Operationenan den geraden Vertikalmotoren zeigen eine durch-schnittliche Schielwinkeländerung von ca. 1,5°/mm Ge-samtoperationsstrecke bei einer Standardabweichungder Ergebnisse von ca. ± 5°. Der Effekt der Operationlässt im Verlauf von 3 – 6 Monaten um etwa 2° nach.

Auch an den schrägen Vertikalmotoren lassen sich ent-sprechende Operationseffekte nachweisen (19, 92, 148,149, 237, 252, 253). Es muss beim Vergleich der Ergeb-nisse verschiedener Operateure bedacht werden, dass ei-nige Autoren jeweils die prä- und postoperativen Ver-tikaldeviationen in Primärposition, andere die in Adduk-tion vergleichen.

Die Rücklagerung des M. obliquus inferior oder die Fal-tung der M.-obliquus-superior-Sehne vermindert dieVertikaldeviation in einer Adduktion von 25° um etwa1°/mm Operationsstrecke, wobei beide Eingriffe eine grö-ßere Reduktion des Schielwinkels in Elevation bewirken.Der Effekt der Faltung der M.-obliquus-superior-Sehne

lässt im postoperativen Verlauf deutlicher nach als nacheiner Rücklagerung des M. obliquus inferior. KombinierteOperationen (gleichzeitig an beiden schrägen Augenmus-keln eines Auges) zeigen auch hier größere Effekte, dieaber mit 1,3°/mm Gesamtoperationsstrecke etwas unterdenen der kombinierten Horizontaloperationen liegen.Die Zyklodeviation, deren Größe weniger stark mit derBlickrichtung variiert, wird mit einer durchschnittlichenEffektivität von 1°/mm Gesamtoperationsstrecke vermin-dert. Das sog. „postoperative Brown-Syndrom“ tritt nachkombinierter Obliquus-Chirurgie weniger ausgeprägt auf,weil die notwendige Verkürzung der Sehne des M. obli-quus superior geringer ist (s. S. 565). Ein V-Symptom wirddurch Operationen an den schrägen Augenmuskeln umca. 2° (bei einer einseitigen hinteren Tenotomie des M.obliquus inferior) bis zu ca. 20° (bei einer beidseitigenkombinierten Operation von 6mm an allen 4 schrägenAugenmuskeln) vermindert.

Die Effekte der Rücklagerungen des M. obliquus supe-rior auf die Vertikaldeviation in Adduktion von 25° liegenebenfalls bei 1°/mm. Der Einfluss dieser Eingriffe auf einA-Symptom reicht von ca. 2° (bei einer einseitigen hin-teren Tenotomie des M. obliquus superior) bis zu 10° (beieiner beidseitigen Operation von jeweils 8mm). Unterallen Operationswirkungen ist der Einfluss der Rücklage-rung des M. obliquus superior auf das A-Symptom amwenigsten genau vorhersehbar.

Eine gegenseitige Beeinflussung der Operationen an denschrägen Augenmuskeln beider Augen ist bezüglich derVerminderung der Vertikaldeviation in Adduktion zwarvorhanden, aber gering (124). Sehr häufig werden Ope-rationen an den schrägen Augenmuskeln mit der Opera-tion des Horizontalschielens verbunden. Die gegenseitigeBeeinflussung dieser Operationen bezüglich der resultie-renden Schielwinkel ist ebenfalls gering (124): Der Effekteiner Operation an den Horizontalmotoren ist bei gleich-zeitiger Operation an den schrägen Augenmuskeln nichtwesentlich anders als ohne diese. Ebenso wenig beein-flusst eine Operation an den Horizontalmotoren die Ef-fekte der Operation an den schrägen Augenmuskeln ineinem Ausmaß, das bei der Operationsindikation berück-sichtigt werden müsste.

5.3.2Indikation verschiedenerOperationsverfahren

Bestimmten mechanisch definierten Augenmuskelstö-rungen können bestimmte Operationsprinzipien zuge-ordnet werden. Die grundsätzliche Frage des Nutzenseiner Operation wird bei den verschiedenen Erkrankun-gen besprochen.

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5.3 Nichtparetisches Schielen

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Merke

Über die Indikation zur Operation entscheiden● Beschwerden des Patienten,● Wahrscheinlichkeit der Funktionsverbesserung oder-erhaltung,

● der mit dem (einseitigen) Abdecktest gemesseneSchielwinkel.

Die Wahl der Operationsmethode richtet sich nach● dem Schielwinkelverhalten in verschiedenen Blick-richtungen und -entfernungen.

Die Grundlage der Dosierung ist● der mit dem alternierenden Abdecktest gemesseneSchielwinkel.

Die Dosierung der Operation basiert üblicherweise aufden Ergebnissen bereits durchgeführter Operationen.Der Operateur sollte die Effektivität der eigenen, mög-lichst weitgehend standardisierten Technik kennen. DieGiessener Dosierungsschemata (▶ Abb. 5.17, ▶ Abb. 5.18,▶ Abb. 5.19) sind ein Beispiel dafür, wie aus der statisti-

schen Bearbeitung eines Patientengutes individuelle Do-sierungsrichtlinien entstehen können.

Merke

Augenmuskelchirurgie ist dosierbar → also kann eineDosierung auch falsch sein.

Nichtparetische Esodeviationen und Exodeviationen wei-sen prinzipielle Unterschiede der Okulomechanik nichtauf, sodass die Richtung der Schielabweichung zwar be-stimmt, welcher Muskel rückgelagert und welcher rese-ziert wird, die Gesamtoperationsstrecke aber fast gleichist. Die Schemata in ▶ Abb. 5.17 und ▶ Abb. 5.18 gebendementsprechend sowohl bei einem konvergenten alsauch bei einem divergenten Fernschielwinkel von 15°eine Gesamtoperationsstrecke von 9 – 10mm an, die aufdie beiden Horizontalmotoren etwa gleichmäßig verteiltwird.

Bei der Indikationsstellung wird zwischen der Operationdes Basiswinkels und der Operation der komplizieren-den Störungen unterschieden. Letztere umfassen die Ver-

Abb. 5.19 Dosierungsschema bei Strabismus sursoadductorius und V-Symptom. Auf der Ordinate ist angegeben die Vertikalde-viation in Adduktion von 25°, auf der Abszisse das Ausmaß des V-Symptoms, oben bei beidseitiger, unten bei einseitiger Operation anden schrägen Augenmuskeln. Bei kombinierten Operationen (6/6) gibt die erste Zahl die Rücklagerungsstrecke am M. obliquus inferiorin mm und die zweite die Faltungsstrecke am M. obliquus superior in mm an. R bedeutet eine reine Rücklagerung des M. obliquusinferior, die Zahl gibt die Rücklagerungsstrecke in mm an, hT bezeichnet eine Tenotomie der hinteren ⅔ der Sehne. Bei der Indikationwerden die Schielwinkel zugrunde gelegt, die mit dem alternierenden Prismenabdecktest bei Fernblick in einer Adduktion von 25°gemessen werden. Bei einem Strabismus sursoadductorius von 16° empfiehlt das Schema eine kombinierte Obliquus-Operation derDosierung 6/6. Bei dieser Dosierung ist mit einer Verminderung des V-Symptoms um 6° bei einseitiger bzw. um 15° bei beidseitigerOperation zu rechnen.

Vert

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atio

n in

Add

.

V-Symptom bei einseitiger Operation

V-Symptom bei beidseitiger Operation

0

5

10

15

20

2 3 4 65

5 7,5 10 1512,5

h.T.

R6

R8

R10

6/6

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Augenmuskeloperationen

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genzexzesse und -insuffizienzen, also die Schielwinkel-änderungen in verschiedenen Blickentfernungen und dieFunktionsstörungen der Vertikalmotoren, die zu Schiel-winkeländerungen in verschiedenen Blickrichtungen füh-ren.

Operation des horizontalen Basiswinkels

Bei der Operation des horizontalen Basiswinkels ist diekombinierte Augenmuskeloperation die Methode derWahl, weil sie möglichst geringe Operationsstrecken mitmöglichst großem Effekt, möglichst guter Genauigkeitund möglichst geringen Nebenwirkungen (Propulsionoder Retraktion des Bulbus, Lidspaltenveränderung,▶ Abb. 5.8) verbindet. Bei der Dosierung sollen die Ope-rationsstrecken möglichst gleichmäßig auf Agonist undAntagonist verteilt werden, die Relation von Rücklage-rung zu Vorlagerung/Resektion soll also bei 1:1 liegen,um die physiologische Kinematik des operierten Augesmöglichst wenig zu stören. Hierbei sind die maximalenRücklagerungs- und Resektionsstrecken der einzelnenMuskeln zu beachten.

Merke

Grundlage der Dosierung ist der mit dem alternieren-den Abdecktest gemessene Schielwinkel (mit derrichtigen Brillenkorrektion und bei Fixation eines ak-kommodationsanregenden Fixierobjekts).

Wenn Fern- und Nahschielwinkel ähnlich groß sind undkomplizierende Störungen (Konvergenzexzess, Alphabet-symptome, Strabismus sursoadductorius/deorsoadducto-rius) nicht vorliegen, ist die Operationsindikation bei He-terotropien und Heterophorien ähnlich.

Um einer durch anomale Korrespondenz bewirkten post-operativen Winkelzunahme vorzubeugen, wird oft derPrismenadaptationstest (s. S. 429) verwendet.

Bei kleinen Schielwinkeln reicht es aus, sich auf die Ope-ration an einem Muskel zu beschränken und die damitverbundene Spannungsänderung des Augenmuskelpaa-res in Kauf zu nehmen (s. Kap. 5.2.4). Da die Effektivitätdieser Einmuskelchirurgie geringer ist, müssen solcheEingriffe mit etwa 1°/mm Operationsstrecke dosiertsein. Bei Rücklagerungen müssen die maximalen Stre-cken beachtet werden, wenn Inkomitanzen verhindertwerden sollen.

Bei sehr großen Schielwinkeln müssen die Vor- undNachteile einer großen Operationsstrecke (mehr als12mm Gesamtoperationsstrecke bei einer kombiniertenOperation) abgewogen werden: Der Wunsch des Patien-ten nach ausschließlicher Operation am schielenden Augeist verständlich. In seltenen Fällen verweigert der Patient

die Operation am „guten Auge“ (bei Amblyopie, Zustandnach Verletzung oder einer Erkrankung des schielendenAuges). Geringe Diplopiegefahr (z. B. bei vorbestehendemStrabismus mit Exklusion oder Erblindung des schielen-den Auges), große präoperative Fusionsbreite, erhöhteGefährdung des Führungsauges (z. B. hohe Myopie, rezi-divierende Iridozyklitis) bei einer Operation werden fürgrößere Operationsstrecken am geführten Auge sprechen.Große Operationsstrecken sind unvermeidbar, wenn derSchielwinkel so groß ist, dass auch Operationen mit nor-malen Operationsstrecken an beiden Augen den Schiel-winkel nicht beseitigen können. Gesamtoperationsstre-cken von 13 – 18mm (z. B. 6/8) sind bei hochgradigerAmblyopie oder organischer Erkrankung des schielen-den Auges durchaus empfehlenswert (▶ Abb. 5.17,▶ Abb. 5.18), in Ausnahmefällen (z. B. große Bulbuslängebei hoher Myopie des schielenden, schlechtersehendenAuges und Wunsch des Patienten nach Verzicht auf eineOperation am führenden Auge) können auch Gesamtope-rationsstrecken von 20 – 30mm sinnvoll sein. Will mandie Operationsstrecke größer wählen, ist der Patient aufdie Nachteile dieser Dosierung (größere Einschränkungdes monokularen Blickfelds, größere Inkomitanz) hin-zuweisen.

Merke

Größere Operationsstrecken bewirken eine deutliche-re Einschränkung des monokularen Blickfelds undgrößere Inkomitanz. Sie sind trotzdem sinnvoll:● wenn wegen fehlenden Binokularsehens kein Diplo-pierisiko besteht,

● bei hochgradiger Amblyopie oder organischer Schä-digung eines Auges,

● wenn der Schielwinkel so groß ist, dass normaleOperationsstrecken an beiden Augen den Schielwin-kel wahrscheinlich nicht beseitigen,

● bei mangelnder Bereitschaft des Patienten zu einerOperation am „guten Auge“.

Die Wahl größerer Operationsstrecken bereitet bei Exo-deviationen weniger Probleme als bei Esodeviationen,weil wegen der großen Abrollstrecke des M. rectus late-ralis die Gefahr einer Inkomitanz geringer ist.

Operation der komplizierendenVergenzstörungen

Der Basiswinkel kann durch einen Vergenzexzess odereine Vergenzinsuffizienz kompliziert sein. Bei der Indika-tionsstellung ist abzuwägen, ob mit dem Basiswinkelauch die komplizierende Vergenzstörung gleichzeitigoperiert wird.

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5.3 Nichtparetisches Schielen

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Merke

Falls der horizontale Basiswinkel durch eine Vergenz-störung kompliziert ist, wird die Operationsindikationmodifiziert:● Geringe Unterschiede der Schielwinkel bei Fern- undNahblick werden bei der Dosierung der kombiniertenHorizontaloperation berücksichtigt.

● Große Unterschiede der Schielwinkel bei Fern- undNahblick erfordern zusätzliche Operationsverfahren.Bei einem Konvergenzexzess ist eine retroäquatorialeMyopexie empfehlenswert.

Geringe Unterschiede der Schielwinkel bei Fern- und Nah-blick (bis 5 – 7°) werden bei der Dosierung einer kom-binierten Operation durch eine geeignete Verteilung derGesamtoperationsstrecke auf Rücklagerung und Resekti-on berücksichtigt. Bei einem Strabismus convergens mitgrößerem Nahschielwinkel ist die Rücklagerungsstreckeam M. rectus medialis relativ größer zu wählen (diedann über eine Abrollstreckenverkürzung relativ mehrdie Adduktion vermindert), bei einem Strabismus diver-gens mit größerem Fernschielwinkel soll die Operations-strecke am M. rectus lateralis größer sein. Übersteigendie Differenzen zwischen Fern- und Nahschielwinkel5 – 7°, reichen diese Modifikationen der Dosierung nichtaus.

Die Operations-Indikation bei Konvergenzexzess (S. 238)hat Rücksicht zu nehmen auf die Art der Vergenzstörung.

Der hypoakkommodative Konvergenzexzess, der durcheine verminderte Akkommodationsbreite gekennzeich-net ist, erfordert Bifokalgläser, wobei häufig von Kindernsogar (kosmetisch unauffälligere) Progressivgläser akzep-tiert werden. Bei hypoakkommodativem Konvergenzex-zess ist eine Operation kontraindiziert, weil sie die Ursa-che und die Beschwerden nicht behebt und im günstigs-ten Fall eine überflüssige und nutzlose Therapie darstellt.

Merke

Beim hypoakkommodativen Konvergenzexzess isteine Operation nutzlos.

Bei akkommodativem Konvergenzexzess, bei dem durchVorsatz von Nahgläsern der Nahschielwinkel verschwin-det (reiner akkommodativer Konvergenzexzess) oder sichdem Fernwinkel angleicht (Esotropie mit akkommodati-vem Konvergenzexzess), kann die Verordnung von Bifokal-gläsern (mit Trennungslinie über der Pupillenmitte) aus-reichen. Eine Operation ist dann nur zur Korrektion desFernschielwinkels erforderlich. Besteht (schon primäroder nach Operation des Basiswinkels) normales Binoku-larsehen bei Fernblick, wird versucht, die Bifokalgläser im

Verlauf von Jahren abzuschwächen, sodass die Operati-onsentscheidung bis zum 15. Lebensjahr verschoben wer-den kann. Der Konvergenzexzess wird nur operiert, wenneine ausreichende und dauerhafte Verbesserung desSchielwinkels durch Bifokalgläser auch nach Jahrennicht gelingt (60).

Der Mikrostrabismus bei Fernblick mit akkommodativemKonvergenzexzess stellt einen Grenzfall dar, weil das ein-geschränkte Fusionsvermögen auch langfristig selten eineAbschwächung der Bifokalgläser erlaubt (143). In diesenFällen sollte der Entschluss zur Operation fallen, wenndie Bifokalgläser den Konvergenzexzess auch nach mehr-jährigem Tragen nicht ausgleichen können.

Merke

hypoakkommodativer Konvergenzexzess → Bifokal-gläser (evtl. Progressivgläser)akkommodativer Konvergenzexzess → Bifokalgläser(großer Nahteil!)nichtakkommodativer Konvergenzexzess → beidsei-tige Medialis-Myopexie (beidseitige Medialis-Rücklage-rung)

Der nichtakkommodative Konvergenzexzess23 ist erkenn-bar daran, dass er kaum abnimmt, wenn durch Vorsatzvon Nahgläsern die Akkommodationsanforderung ent-fällt. In diesem Fall ist die Verordnung von Bifokalgläsernwenig sinnvoll. Der nichtakkommodative Konvergenzex-zess ist fast regelmäßiger Bestandteil des frühkindlichenInnenschielens (s. S. 225) und oft von Schielwinkel-schwankungen begleitet. Operationsverfahren der Wahlist die beidseitige Medialis-Myopexie, die hier kaumdurch einen anderen Eingriff ersetzbar ist (▶ Tab. 5.4).

Seit vielen Jahren wird die beidseitige Rücklagerung desM. rectus medialis empfohlen. Ebenso alt wie die Metho-de sind auch die Bedenken vieler Autoren, insbesonderebezüglich der Gefahr einer postoperativen Divergenz.Dem Vorteil der einfachen technischen Durchführungsteht vor allem der Nachteil entgegen, dass die Reduktiondes Konvergenzexzesses geringer ist als bei einer Media-lis-Myopexie. Zweifellos aber kann in geeigneten Fällen(geringe Fern-/Nahschielwinkeldifferenz, gutes Fusions-vermögen) eine Rücklagerung der Mm. recti medialesausreichend sein.

23 Sprachlich verunglückte, aber übliche Bezeichnung füreinen Konvergenzexzess bei normaler Akkommodations-breite, dessen Ausmaß der Akkommodationsanforderungnicht entspricht. Die von Cüppers vorgeschlagene Be-zeichnung „Adduktionsexzess“ hat sich nicht durch-gesetzt.

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Augenmuskeloperationen

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Als bestgeeignete Operationsmethode gilt die beidseitigeretroäquatoriale Medialis-Myopexie nach Cüppers. Außerbei Strabismus monolateralis mit ausgeprägter Ambly-opie (d. h. wenn die Gefahr des Führungswechsels nichtbesteht) sollte dieser Eingriff bilateral durchgeführt wer-den, weil bei alternierendem Strabismus der postopera-tive Führungswechsel den Erfolg einer einseitigen retro-äquatorialen Myopexie zunichte macht. Die Myopexiekann bei größeren Schielwinkeln mit einer Rücklagerungkombiniert werden.

Die Wirkung der Myopexie ist von der jeweiligen Opera-tionstechnik abhängig, sodass Dosierungsrichtlinienimmer nur Anhaltspunkte liefern (▶ Abb. 5.17). Es istempfehlenswert, die Bulbuslänge in die Operationsdosie-rung einzubeziehen (▶ Abb. 5.13). Die ersatzweise Be-rücksichtigung der Refraktion ist ungenauer (91, 168).

Bei sehr geringem Basiswinkel einer Esotropie und einemausgeprägten Konvergenzexzess ist die beidseitige Myo-pexie mit gleichzeitiger Verkürzung des M. rectus medialismöglich (▶ Tab. 5.4). Diese Kombination hat den Vorteil,dass die Mm. recti laterales für eine eventuelle Nachkor-rektur frei bleiben.

Bei Fernschielwinkeln zwischen 10° und 15° mit nicht-akkommodativem Konvergenzexzess kann die gleichzei-tige Durchführung von Rücklagerung und beidseitigerMyopexie notwendig sein (▶ Tab. 5.4). Dieses Vorgehenerreicht aber nicht die Genauigkeit eines zweizeitigenVorgehens.

Die Reihenfolge der verschiedenen Operationen kann un-terschiedlich gewählt werden. Da bei vorangegangenerMyopexie eine Rücklagerung technisch schwierig ist,eine Myopexie durch eine vorangegangene Rücklagerung

dagegen eher erleichtert wird, ist es ratsam, entweder dieMedialis-Myopexie gleichzeitig mit der Rücklagerungoder danach durchzuführen. Eingriffe an den schrägenAugenmuskeln können mit allen Operationen an den Ho-rizontalmotoren kombiniert werden, ohne dass sie sich inihrer Wirkung wesentlich beeinflussen.

Merke

Bei komplizierter Esotropie (mit Konvergenexzess,Strabismus sursoadductorius und V-Symptom) ist fol-gendes Vorgehen empfehlenswert:● 1. Operation: kombinierte Konvergenzoperation mitbeidseitiger Obliquus-Operation zur Verbesserungvon Basiswinkel und komplizierender Obliquus-Stö-rung,

● 2. Operation: beidseitige Medialis-Myopexie zur Min-derung des Konvergenzexzesses.

Seltener als der Konvergenzexzess bei Esodeviationen istder sog. Divergenzexzess bei der Exotropie (s. S. 250). Beider Mehrzahl dieser Fälle verschwindet durch eine diag-nostische Okklusion der Unterschied zwischen Fern- undNahschielwinkel, sodass sie als Pseudodivergenzexzessentlarvt werden. Diese Fälle werden operativ behandeltwie eine Exotropie.

Andere Fälle, bei denen der Vergenzexzess bestehenbleibt, werden als Basisexotropie mit Konvergenzexzessaufgefasst und erfordern manchmal eine operative Ver-sorgung sowohl der Basisexotropie als auch des Konver-genzexzesses.

Die Reduktion des Fernschielwinkels nach Rücklagerungdes M. rectus lateralis ist zwar größer als die des Nah-

Tab. 5.4 Dosierung der beidseitigen retroäquatorialen Myopexie am M. rectus medialis. Alle Dosierungen sind aufBogenmaß bezogen.

Fernschielwinkel Nahschielwinkel Dosierung

3 – 7° 8 – 12° F12

5 – 9° 12 – 18° F13

7 – 11° 18 – 22° F14

< 5° > 12° F13/V3

10 – 14° > 15° F13/R3e*

14 – 18° > 20° F13/R3b*

> 20° > 30° F13/R5b*

Die mit * markierten Dosierungen werden ausschließlich bei sog. Frühoperationen angewendet, d. h. wenn bei Kindern im 1. und2. Lebensjahr ein typisches frühkindliches Innenschielen mit großem Schielwinkel besteht (s. Frühoperation beim frühkindlichenInnenschielen), ausnahmsweise auch dann, wenn andere (in der Regel nichtstrabologische) Gründe gegen eine zweizeitige Operationsprechen.F: MyopexieV: beidseitige gleichzeitige Verkürzung des M. rectus medialisR: beidseitige gleichzeitige Rücklagerung des M. rectus medialis

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5.3 Nichtparetisches Schielen

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schielwinkels, die Differenz ist aber gering und nurschlecht vorhersehbar. Diese Möglichkeit, den größerenFernschielwinkel und den kleineren Nahschielwinkeldurch beidseitige Rücklagerung der Mm. recti lateralesausreichend zu verbessern, sind auf Fälle mit Fernschiel-winkeln bis zu 12 – 15° begrenzt. Manche Fälle erforderneine operative Verminderung der Basisexotropie durchkombinierte Divergenzoperation und die Verbesserungdes resultierenden Konvergenzexzesses durch beidseitigeMyopexie an den Mm. recti mediales. Die gleichzeitigeDurchführung beider Eingriffe ist nur schwierig zu dosie-ren (im eigenen Krankengut wird die kombinierte Diver-genzoperation zuerst durchgeführt und in einem zweitenEingriff die beidseitige Myopexie, falls sie noch notwen-dig ist).

Die selteneren Fälle von Konvergenzinsuffizienz treten oftnur als Nahexotropie in Erscheinung und sind in anderenFällen mit einer Basisesotropie oder Basisexotropie ver-gesellschaftet. Naheliegend ist eine beidseitige Resektionder Mm. recti mediales, wenn ein präoperativer Pris-menausgleich den Unterschied zwischen Fern- und Nah-schielwinkel nicht verschwinden lässt (47). Wenn die Fu-sion diesen Unterschied beim präoperativen Prismenaus-gleich ausgleicht, ist eine kombinierte Divergenzoperati-on vorzuziehen.

Bei Überkorrektionen nach kombinierter Operation(s.▶ Tab. 5.1, ▶ Tab. 5.2) ist prinzipiell empfehlenswert,die ursprüngliche Operation zu revidieren und deren Ef-fekt zu vermindern. Unterkorrektionen lassen die Wahlzwischen einer Verstärkung des Ersteingriffs und einerOperation bislang nicht operierter Augenmuskeln. DieVerstärkung des Ersteingriffs ist vorzuziehen, wenn einezukünftige Schielwinkelvergrößerung möglich ist (Stra-bismus divergens intermittens, Heterophorie, Muskel-erkrankungen) oder eine Amblyopie besteht. Die Opera-tion am anderen Auge ist unumgänglich, wenn bei derersten Operation die maximalen Operationsstrecken be-reits erreicht waren und eine Schielwinkelinkomitanzvermieden werden soll.

Unterkorrektionen nach beidseitiger Myopexie(s.▶ Tab. 5.3) können den Basiswinkel und den Konver-genzexzess betreffen. Ist der Basiswinkel beseitigt, aberein Konvergenzexzess verblieben, hilft nur eine Verstär-kung der Myopexie. Ist der Konvergenzexzess beseitigt,besteht aber noch ein konvergenter Fernschielwinkel,reicht oft eine Resektion der Mm. recti laterales aus. Beieiner Überkorrektion des Fernschielwinkels nach beidsei-tiger Myopexie ist fast immer eine beidseitige Rücklage-rung der Mm. recti laterales erfolgreich (93). Bei einerÜberkorrektion des Nahschielwinkels ist eine Revisionder Myopexie unvermeidbar.

Operation der komplizierendenVertikalstörungen

Die Operationsindikation beim nichtparetischen Vertikal-schielen basiert auf dem Ausmaß der Vertikaldeviation inAdduktion, weil in dieser Blickrichtung die Vertikalfunk-tion der schrägen Augenmuskeln des jeweils anderenAuges am geringsten ist. Der Vertikalschielwinkel in Pri-märposition ist als Grundlage der Dosierung ungeeignet,weil er wesentlich vom Ausmaß einer gleichzeitigen Ho-rizontaldeviation beeinflusst wird (s. S. 151). Obwohl dieoperative Reduktion des Horizontalschielwinkels bei Eso-tropie bewirkt, dass wegen der geringeren Adduktion einStrabismus surso-/deorsoadductorius weniger auffällt,sollte prinzipiell nicht darauf verzichtet werden, Fehl-funktionen der schrägen Augenmuskeln soweit wie mög-lich zu normalisieren (1, 2, 115, 211). Die langfristigenfunktionellen Ergebnisse sind besser, wenn mit der Ver-kleinerung der Horizontaldeviation auch eine Verkleine-rung der Vertikaldeviation innerhalb des Gebrauchsblick-felds einhergeht.

Bei allen Fehlfunktionen der schrägen Augenmuskeln istbesondere Aufmerksamkeit der Frage zu widmen, ob einebeidseitige Störung vorliegt. Wird eine beidseitige, aberungleich ausgeprägte Störung nur an einem Auge ope-riert, ist eine postoperative Umkehr der Vertikaldeviationunausweichlich. Jeder Vorzeichenwechsel der Vertikalde-viation, auch bei extremem Seitwärtsblick, muss den Ver-

Tab. 5.5 Dosierung verschiedener Operationsverfahren(nach Rüssmann, 241). Die Zahlenangaben beziehen sichbei kombinierten Operationen auf die Gesamtoperations-strecke (Rücklagerungsstrecke + Resektionsstrecke), beiEinmuskelchirurgie auf die jeweilige Operationsstrecke andiesem Muskel.

Kombinierte Konvergenzoperation:● ARK-Dosis mm = 0,57 × Fernwinkel + 1,25● NRK-Dosis mm = 0,46 × Fernwinkel + 3,41

Beidseitige Medialis-Rücklagerung:● Dosis mm = 0,45 × (½ [Fernwinkel + Nahwinkel]) + 1,5

Beidseitige Lateralis-Resektion:● Dosis mm = 0,54 × Fernwinkel + 1,74

Medialis-Myopexie:● Dosis mm = 0,29 × Nahwinkel + 10 bzw.● Dosis mm = 0,29 × (Nahwinkel - Fernwinkel) + 10

Kombinierte Divergenzoperation:● ARK-Dosis mm = 0,37 × Fernwinkel + 3● NRK-Dosis mm = 0,37 × Fernwinkel + 3,88

Beidseitige Medialis-Resektion:● Dosis mm = 0,38 × (½ [Fernwinkel + Nahwinkel]) + 1,85

Beidseitige Lateralis-Rücklagerung:● Dosis mm = 0,23 × Fernwinkel + 3,27

Obliquus-Operationen:● Dosis mm = 0,47 × Vertikaldivergenz in Adduktion + 1,91

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Augenmuskeloperationen

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dacht auf eine beidseitige Störung wecken und erforderteine beidseitige Operation. Bei beidseitigen Fehlfunktio-nen der schrägen Augenmuskeln sollte man die Gesamt-dosierung am Ausmaß des Alphabetsymptoms und ander Zyklotropie ausrichten und die Differenz der Dosie-rung an beiden Augen an der Vertikaldeviation des stär-ker betroffenen Auges in Primärposition des anderen. DieOperationsstrecken sollten nicht mehr als 6 – 8mm diffe-rieren, auch dann nicht, wenn ein Vorzeichenwechsel derVertikaldeviation nur bei extremem Seitwärtsblick ein-tritt.

Bei einem Strabismus sursoadductorius (als Komplikati-on eines Horizontalschielens) mit weitgehender Kon-komitanz der Vertikaldeviation in Adduktion und einerVertikaldeviation bis 10 – 12° sind spannungserhöhendeEingriffe am M. obliquus superior (Resektion, Vorlage-rung, Faltung) und spannungsmindernde am M. obliquusinferior (Rücklagerung, partielle Tenotomie) ebenbürtigmit der Einschränkung, dass die Effekte der letztgenann-ten Eingriffe im postoperativen Verlauf sich als dauerhaf-ter erweisen (149). Der Operateur sollte den Eingriffdurchführen, den er besser beherrscht und ihn so dosie-

ren, dass für je 1° Vertikalschielwinkel in Adduktion von25° ca. 1mm Operationsstrecke gewählt wird(▶ Abb. 5.19, ▶ Tab. 5.6). Übersteigt die Vertikaldeviation12 – 15°, ist eine kombinierte Operation an den schrägenVertikalmotoren empfehlenswert, wobei die Dosierungso gewählt wird, dass 1mm Gesamtoperationsstrecke1,3° Vertikaldeviation in Adduktion entspricht. Voneiner Verkürzung der M.-obliquus-superior-Sehne ummehr als 10mm ist wegen der Gefahr des „postoperativenBrown-Syndroms“ abzuraten. Das in der Regel gleichzeitigbestehende V-Symptom wird durch die genannten Ope-rationen ebenfalls gebessert. Bei einem beidseitigen Stra-bismus sursoadductorius (bis etwa 10 – 12° Vertikaldevia-tion in Adduktion) mit V-Symptom (bis etwa 10° Winkel-differenz bei Hebung und Senkung von 30°) sind Opera-tionsstrecken bis 10mm (Rücklagerung des M. obliquusinferior oder Faltung der M.-obliquus-superior-Sehne) anbeiden Augen ausreichend. Bei größerer Vertikaldeviationist eine kombinierte Operation so zu dosieren, dass 1,3°Vertikaldeviation in Adduktion etwa 1mm entspricht(▶ Abb. 5.19).

Tab. 5.6 Dosierung der Operationen an den schrägen Vertikalmotoren, angegeben in mm und bezogen auf den präope-rativen Vertikalschielwinkel in einer Adduktion von 25° (basierend auf 92, 124, 142, 147, 149, 253, 252).

Vertikaldeviation.

Rücklagerung des M. obliquus inferior

bis 4° hintere Tenotomie ⅔

5 – 7° Rücklagerung 6mm

7 – 9° Rücklagerung 8mm

9 – 11° Rücklagerung 10mm

Vorlagerung/Faltung/Resektion des M. obliquus superior

5 – 7° Vorlagerung 6mm (Faltung 2 × 3mm)

7 – 9° Vorlagerung 8mm (Faltung 2 × 4mm)

kombinierte Operation

10 – 14° Gesamtstrecke 8mm

14 – 18° Gesamtstrecke 12mm

> 18° Gesamtstrecke 16mm

Rücklagerung des M. obliquus superior

bis 3° hintere Tenotomie ⅔

3 – 5° Rücklagerung 6mm

4 – 6° Rücklagerung 8mm

V-Symptom.

bis 4° eins. Rücklagerung des M. obliquus inferior (4 – 8mm)

4 – 8° eins. kombinierte Operation (8 – 16mm Gesamtstrecke)

5 – 10° beids. Rücklagerung des M. obliquus inferior (je 4 – 8mm)

10 – 20° beids. komb. Operation (je 8 – 16mm Gesamtstrecke)

A-Symptom.

bis 4° eins. Rücklagerung des M. obliquus superior (4 – 8mm)

5 – 10° beids. Rücklagerung des M. obliquus superior (je 4 – 8mm)

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5.3 Nichtparetisches Schielen

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Es ist selbstverständlich, dass eine genaue Abgrenzungdes Strabismus sursoadductorius vom dissoziierten Hö-henschielen erfolgen muss. Bestehen beide Störungengleichzeitig, wird man zuerst den Strabismus surso-adductorius operieren.

Ein Strabismus deorsoadductorius (als Komplikationeines Horizontalschielens), meist weniger ausgeprägt alsder Strabismus sursoadductorius, kann durch spannungs-mindernde Eingriffe am M. obliquus superior (Rücklage-rung, partielle Tenotomie) und spannungserhöhendeEingriffe am M. obliquus inferior (Resektion, Vorlage-rung, Faltung) vermindert werden. Der letztgenannteEingriff ist technisch schwieriger und wird auf Zweitein-griffe oder kombinierte Operationen beschränkt. DieseEingriffe sind auch indiziert bei einem A-Symptom. DieDosierung der Operation bei einer Rücklagerung der M.-obliquus-superior-Sehne oder einer Vorlagerung des M.obliquus inferior wird so gewählt, dass je 1° Vertikal-deviation ca. 1mm Operationstrecke entsprechen(▶ Tab. 5.6).

Andere Operationen (z. B. Verlagerung der Horizontal-motoren nach oben oder unten) sind hinsichtlich ihrerWirkung weniger sicher und den Eingriffen an den schrä-gen Augenmuskeln bezüglich der Vorhersagbarkeit derEffekte unterlegen. Sie können notwendig sein, wennbei einer Horizontaloperation eine kleine konkomitieren-de Vertikaldeviation ohne Zyklodeviation verringert wer-den soll – die Verlagerung nach oben oder unten wird mitca. 1mm/° Vertikaldeviation an beiden Horizontalmoto-ren dosiert).

Besonderheiten einzelnerKrankheitsbilder

Einige Krankheitsbilder weisen bezüglich der Operations-technik, des Operationszeitpunkts, der Reihenfolge ver-schiedener operativer Eingriffe oder der langfristigenOperationsergebnisse Besonderheiten auf.

Die Operationsindikation bei Heterophorie unterscheidetsich wenig von der bei einer unkomplizierten Heterotro-pie (s. Kap. 5.3.1). Sie erfordert präoperativ aber zusätzli-che Untersuchungen (s. Heterophorie, Fixationsdisparität).Die operativen Ergebnisse bezüglich des Schielwinkelsund der Binokularfunktionen sind primär sehr gut. Leiderentspricht die langfristige Prognose nicht immer diesemprimären Ergebnis. Heterophorien kehren manchmalwieder, nicht selten nimmt der Schielwinkel bis auf dieursprüngliche Größe zu. Es gibt einerseits Fälle, die post-operativ trotz kleinen Schielwinkels nicht kompensierenund andererseits solche, bei denen ein großer Hetero-phoriewinkel immer kompensiert wird.

Merke

Das Ausmaß der Beschwerden ist der Schielwinkel-größe nicht proportional!● Eine Heterophorie ohne Beschwerden (Normophorie)muss nicht operiert werden.

● Eine Heterophorie mit Beschwerden, die nach einer 3-tägigen Probeokklusion oder einem Prismenausgleichverschwindet, erfordert dagegen selbst dann eineBehandlung, wenn der Schielwinkel beim alternieren-den Abdecktest klein ist.

Basis der Indikation ist der Schielwinkel beim alternie-renden Abdecktest bzw. nach diagnostischer Okklusionoder einem Prismentrageversuch. Auf die Möglichkeitpostoperativer Inkomitanzen mit Diplopie im Seitblicksollte bei der präoperativen Aufklärung hingewiesenwerden.

Beim Strabismus divergens intermittens (s. Kap. 2.4.10)weist die Operationsindikation Besonderheiten auf hin-sichtlich der Aufklärung, des Operationszeitpunkts undder Prognose.

Der Patient nutzt den zentralen Bereich der Netzhaut desabweichenden Auges und baut ihn sinnvoll in sein beid-äugiges Sehen ein („Panoramasehen“). Er verliert dieseFähigkeit, wenn die Operation ständiges normales Bino-kularsehen bewirkt.

Merke

Falls bei Strabismus divergens intermittens präperativ„Panoramasehen“ besteht, sollte der Patient überdessen Verlust nach erfolgreicher Operation auf-geklärt sein.

Der Vorteil der kombinierten Operation besteht in derhohen Effektivität und Genauigkeit dieses Eingriffs. Beieiner Wiederzunahme des Schielwinkels ist eine Zweit-operation am anderen Auge ohne Revision möglich. Auchdie Möglichkeit, die Operation primär am (häufiger)schielenden Auge durchführen zu können, ist ein Vorteil,der das Gespräch mit dem Patienten oder den Eltern er-leichtert. Die beidseitige Rücklagerung des M. rectus la-teralis wird wegen der häufigeren Dekompensation beiFernblick empfohlen. Diese Operation ist aber nicht sehreffektiv und deshalb für große Schielwinkel ungeeignet.Die symmetrische beidseitige Resektion des M. rectusmedialis soll mehr als andere Eingriffe den Konvergenz-impuls dauerhaft erhöhen. Der Effekt der Resektion desM. rectus medialis lässt aber deutlicher nach als der einerkombinierten Operation. Die Entscheidung zu einer die-ser Operationsmethoden kann sich unabhängig von prin-zipiellen pathophysiologischen Erwägungen an der

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Augenmuskeloperationen

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Größe des Fern- und Nahschielwinkels orientieren, dieüblicherweise nach diagnostischer Okklusion gemessenwerden. Übersteigt der Fernschielwinkel nicht 12 – 15°,ist eine beidseitige Rücklagerung des M. rectus lateraliszu erwägen. Bei größeren Schielwinkeln ist eine kom-binierte Divergenzoperation vorzuziehen.

Merke

Der Patient sollte auf die Möglichkeit postoperativerDiplopie im Seitblick aufgeklärt werden.

Die Dosierung der Operation wird bei Rücklagerungendes M. rectus lateralis mit ca. 1°/mm, bei einer kom-binierten Divergenzoperation mit ca. 1,6°/mm und beibeidseitiger Resektion des M. rectus medialis mit2,0 – 2,5°/mm bemessen.

Eine postoperative Überkorrektion verbessert die lang-fristigen Ergebnisse. Diese Überkorrektion (von 3 – 5°)soll einige Tage anhalten und wird bei längerer Dauerund Diplopie mit Prismen ausgeglichen. Wegen der hö-heren Genauigkeit der kombinierten Operation ist dieseam besten geeignet, eine gezielte Überkorrektion zu be-wirken. Bei Kindern (< 6 Lebensjahre) sollte wegen dersensorischen Folgen von einer operativen Überkorrektionimmer abgesehen werden.

Merke

Der Operationszeitpunkt richtet sich weniger nach derGröße des Schielwinkels, sondern vor allem nach demZeitanteil der Dekompensation. Die Operation ist indi-ziert, wenn er die halbe Wachzeit übersteigt.

Die Gefahr des Verlusts binokularer Funktionen ist ge-ring, solange Dekompensation nur bei Fernblick oder Mü-digkeit nachweisbar ist. Deshalb kann angesichts der Ge-fahren, die eine postoperative Überkorrektion bei Kin-dern impliziert, eine Operation des Strabismus divergensintermittens meist bis zum 6. Lebensjahr aufgeschobenwerden. Dagegen ist es nicht lohnend, eine Operationaufzuschieben, wenn der Schielwinkel ca. 20° übersteigt,weil eine weitere Schielwinkelzunahme dann ohnehinnur durch Eingriffe an beiden Augen oder 2 Eingriffe zubeheben ist. In diesen Fällen kann auch Kindern ein auf-fälliger Schielwinkel erspart werden, ohne das Risikoeiner Überkorrektion einzugehen.

Postoperative Schielwinkelzunahme ist nicht selten. Ob-wohl der Schielwinkel (beim alternierenden Abdecktest)in manchen Fällen innerhalb eines Jahres wieder auf diepräoperativen Werte ansteigt, bleibt oft eine wesentlichbessere Kompensationsfähigkeit über längere Zeit beste-hen. Auch hier gilt, dass der Entschluss zur Reinterventi-

on sich vor allem nach der Häufigkeit der Dekompensati-onsphase richtet.

Der dekompensierte Strabismus sursoadductorius (DSS,Synonym: dekompensierte Obliquus-Störung, primäreObliquus-inferior-Überfunktion, s. S. 153) wird vor allemoperiert, um die störende und oft über Jahre zuneh-mende Kopfzwangshaltung zur Erhaltung des Bin-okularsehens zu beseitigen. Nicht selten klagen diePatienten auch über asthenopische Beschwerden. Diffe-renzialdiagnostisch muss eine Trochlearisparese aus-geschlossen werden (s.▶ Tab. 5.8). Dabei ist eine Unter-suchung der Motilität nach diagnostischer Okklusionempfehlenswert.

Merke

Der differenzialdiagnostische Ausschluss einer Troch-learisparese ist erforderlich, weil● ein DSS keiner weiteren neurologischen Abklärungbedarf,

● eine Spontanremission des DSS ausgeschlossen ist,● die Operation des DSS bald durchgeführt werdenkann.

Es ist empfehlenswert, sich alte Fotos vorlegen zu las-sen, auf denen bei DSS die Kopfzwangshaltung meistschon sichtbar ist.

Eine diagnostische Okklusion (1 – 2 Tage) zeigt oft eineZunahme der Zyklodeviation und eine Abnahme der Ver-tikaldeviation. Ursache ist möglicherweise, dass bei DSSdie vertikale Fusionsbreite besser erweitert werden kannals die Zyklofusion. Es ist denkbar, dass mit dem Zieleines größeren Fusionsblickfelds eine Ausgleichsinner-vation aufgebaut wurde mit Verkleinerung der Zyklode-viation und Vergrößerung der Vertikaldeviation. Auch dieInkomitanz der Vertikaldeviation in den verschiedenenBlickrichtungen nimmt nach diagnostischer Okklusionoft zu. Darüber hinaus kann die diagnostische Okklusiondie Gefahr vermindern, eine beidseitige Störung zu über-sehen.

Die Operationsindikation entspricht den Regeln beimnichtparetischen Vertikalschielen (▶ Tab. 5.6). Bei DSSwird eine Rücklagerung des M. obliquus inferior durch-geführt, die bei Vertikalschielwinkeln > ca. 12° (in Adduk-tion des betroffenen Auges von 25°) durch kombinierteObliquus-Operation ersetzt wird. Bei der Dosierung mussbeachtet werden, dass die (subjektiv gemessene) Zyklo-deviation oft kleiner ist als die Vertikaldeviation. DieRücklagerung des M. obliquus inferior ohne Wieder-anheftung des hinteren Sehnenanteils reduziert die Ver-tikaldeviation ohnehin mehr als die Zyklodeviation. Beigroßen Diskrepanzen zwischen Vertikal- und Zyklodevia-tion und zwischen objektiv und subjektiv gemessener

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5.3 Nichtparetisches Schielen

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Zyklodeviation kann darüber hinaus der Limbusabstandder Wiederanheftungsstelle variiert werden (92, 252,253).

Zeigt sich intraoperativ eine Aplasie der Sehne des M.obliquus superior, sollte geprüft werden, ob die Sehnein die Tenon-Faszie ausstrahlt. Falls dort die Sehne gefun-den wird, muss sie in 14mm Limbusabstand temporaldes M. rectus superior fixiert werden (155). Eine gleich-zeitige Rücklagerung des M. obliquus inferior ist anzu-schließen.

Bei einem dekompensierten Strabismus deorsoadducto-rius mit Binokularsehen, der wegen einer störenden Ver-tikaldeviation im Seitblick oder wegen des A-Symptomsund der damit verbundenen Diplopie operiert werdensoll, wird die Operationsindikation in analoger Weise ge-stellt (▶ Tab. 5.6). Beim beidseitigen Strabismus deorso-adductorius mit Binokularsehen des Erwachsenen isteine Rücklagerung der Sehne des M. obliquus superiorohne Wiederanheftung des hinteren Sehnenanteils emp-fehlenswert, wobei die vordere Naht in einem Limbus-abstand von 13mm reinseriert wird, um die Zyklodevia-tion weniger zu vermindern. Bei Binokularsehen mussvor kompletten Tenotomien der Sehne des M. obliquussuperior ohne Sicherungsfaden wegen des hohen Diplo-pierisikos gewarnt werden.

Das angeborene Brown-Syndrom (s. S. 453) verschwindethäufig spontan und wird nur dann operiert, wenn derVerlust des Binokularsehens droht oder eine nichtakzep-table Kopfzwangshaltung besteht. Üblicherweise wirdeine Rücklagerung der Obliquus-superior-Sehne um biszu 10mm durchgeführt. Ausnahmsweise kann auch dieTenotomie der Sehne des M. obliquus superior mit Siche-rungsfaden notwendig sein. Bei einem Jaensch-Syndrom(s. S. 451) ist am Hinterrand der Sehne ein unelastischerStrang darstellbar. Dieser Strang muss durchtrennt wer-den (201).

Das dissoziierte Höhenschielen (dissoziierte Vertikal-deviation = DVD, s. S. 227) ist meist Teilsymptom andererErkrankungen, vor allem des frühkindlichen Innenschie-lens. In diesen Fällen sollte man vor der Operation derDVD zuerst den Effekt der Operation an den schrägenAugenmuskeln abwarten, die wegen des Strabismus sur-soadductorius notwendig werden. Eine störende DVD(bis ca. 6°) erfordert eine Rücklagerung des M. rectussuperior (bis 6mm) oder eine Myopexie nach Cüppers(ca. 13mm) an diesem Muskel, bei sehr großem Winkelwerden beide Verfahren kombiniert (zum Muskelaus-tausch, s. ▶ Abb. 5.4). Die bei Strabismus alternans mitbeidseitiger DVD notwendige Operation an beiden Mm.recti superiores führt leider dazu, dass das jeweils schie-lende Auge postoperativ zwar schlechter gehoben wer-den kann, wegen der Operation am Führungsauge abermehr Innervation zur Hebung erhält (Gesetz von Hering),die den Operationserfolg mindert. In diesen Fällen ist ein

Strabismus monolateralis vorteilhaft, sodass nur eineOperation am schielenden Auge erforderlich ist. Deshalbsollte mit der Operation der DVD gewartet werden, bissich (meist im Jugendalter) eine eindeutige Führung he-rausgebildet hat.

Merke

Bei einem frühkindlichen Innenschielen mit beidseitigerDVD sollte man die Okklusion möglichst so steuern,dass zwar die Amblyopie weitgehend beseitigt, einespontane Alternation aber vermieden wird.

Die einseitige Heberschwäche mit Pseudoptosis zeigtmeist eine deutlich verminderte Elevationsfähigkeit,während die Ptosis bei maximaler Intention zur Elevation(also maximaler Elevation des anderen Auges) fast odergänzlich verschwindet. Wenn das betroffene Auge beimonokularer Prüfung die Primärposition überschreitenkann, ist eine „artifizielle Gegenparese“ am wirkungs-vollsten. Es ist zu empfehlen, eine Myopexie am M. rectussuperior des nichtbetroffenen Auges durchzuführen, diemit einer Rücklagerung dieses Muskels kombiniert wird,wenn schon in Primärposition des nichtbetroffenenAuges ein erheblicher Schielwinkel besteht. Erreicht dasbetroffene Auge bei monokularer Prüfung die Primär-position nicht, ist auch eine Operation dieses Auges un-umgänglich (160).

Das häufige frühkindliche Innenschielen (s. Kap. 2.4.3)zeigt unter allen nichtparetischen Schielformen die un-günstigste Prognose. Ziel der Operation ist die Verbes-serung der Esotropie, der begleitenden Vertikaldeviatio-nen, des Konvergenzexzesses und der Schielwinkel-schwankungen. Bei der Operationsindikation ist zuerstüber den Operationszeitpunkt zu entscheiden. Operatio-nen in den ersten beiden Lebensjahren werden Frühope-rationen genannt.

Merke

Vorteile einer Frühoperation:● Verkleinerung eines auffälligen Schielwinkels und diedadurch erreichte bessere Akzeptanz des Kindesdurch seine Umgebung,

Nachteile einer Frühoperation:● Der Schielwinkel ändert sich oft bis zum üblichenOperationsalter (4.– 5. Lebensjahr) erheblich oderverschwindet,

● die schlechtere Amblyopiekontrolle bei kleinemSchielwinkel,

● die Entstehung von Obliquus-Störungen (Alphabet-symptome, Vertikaldeviationen) erst im 3.– 4. Le-bensjahr.

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Augenmuskeloperationen

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Die bessere Prognose hinsichtlich erreichbarer Binokular-funktionen durch eine Frühoperation wurde nie bewie-sen. Würde man die Operation in die sensitive Phase derEntwicklung des Binokularsehens legen wollen, müssteman sie schon zu einem Zeitpunkt durchführen, zu demder Strabismus noch nicht bekannt oder nicht sichernachweisbar ist.

Von einer Frühoperation sollte aber auch nicht prinzipiellabgeraten werden, falls die notwendige Brillenkorrektiongetragen wird und eine gute Amblyopiekontrolle gewähr-leistet ist. Beim frühkindlichen Innenschielen wird unab-hängig vom Operationsalter Binokularsehen unterschied-licher Qualität (geprüft mit Streifengläsern nach Bagolini)in 50 – 60% der Fälle erreicht (45, 46, 50, 54, 56, 63, 134,141, 143, 209).

In einer multizentrischen, nicht randomisierten prospek-tiven Studie (Early vs. Delayed Infantile Strabismus Sur-gery Study – ELISSS, 263) wurde versucht zu klären, obeine Frühoperation, d. h. ein operativer Eingriff vor Ab-schluss des 2. Lebensjahrs, die Chance auf postoperativesBinokularsehen im Vergleich zu einer später durch-geführten Operation erhöht. Rekrutiert wurden ins-gesamt 532 Kinder, von denen 231 im Alter von 20 ± 8Monaten operiert wurden. Dem gegenüber standen 301Kinder, die zwischen dem 32. und 60.Monat operiertwurden (durchschnittliches OP-Alter 49,1 ± 12,7 Monate).Das Alter der Erstuntersuchung war in beiden Gruppenetwa 11 ± 3,7 Monate. Die Abschlussuntersuchung erfolg-te nach Abschluss des 6. Lebensjahrs. In der frühoperier-ten Gruppe erkannten 13,5% aller Patienten die Titmus-fliege im Vergleich zu 3,9% bei der spätoperierten Grup-pe. Bessere Binokularfunktionen wurden bei 3% derFrühoperierten bzw. 3,9% der Spätoperierten erreicht.Der Unterschied der besseren Binokularfunktion bei denFrühoperierten im Vergleich zu den Spätoperierten warstatistisch signifikant (ob er auch klinisch relevant ist, sollhier nicht diskutiert werden). Dieser Unterschied wurdestatistisch gesehen mit einer höheren OP-Zahl pro Patienterkauft (1,18 ± 0,67 Operationen bei den Frühoperiertenim Vergleich zu 0,99 ± 0,64 Operationen in der Gruppemit den Spätoperationen). Auffällig war weiterhin, dass20% (!) aller für eine Spät-OP rekrutierten Kinder wegeneiner spontanen Schielwinkelverkleinerung oder garwegen eines Verschwinden des Strabismus nicht operiertwerden mussten. Die entsprechende Zahl betrug bei denFrühoperationen 8,2%. Die ELISSS-Studie zeigt, wie pro-blematisch die Diagnose eines frühkindlichen Innen-schielens bei einem Kind im Alter von 4 – 6 Wochen ist.Der klinische Nachweis, dass eine Frühoperation beimfrühkindlichen Innenschielen mit besseren Binokular-funktionen einhergeht, ist bisher noch nicht erbrachtworden (263).

Merke

Eine Frühoperation ist nur indiziert, wenn● große Schielwinkel mit Kopfzwangshaltungen beste-hen,

● keine Refraktionsanomalie besteht oder die notwen-dige Brillenkorrektion getragen wird,

● gute Kooperation der Eltern eine hinreichende Am-blyopiekontrolle gewährleistet,

● Eltern eine Frühoperation ausdrücklich wünschen.

Es ist nicht erwiesen, dass die funktionellen Ergebnisseeiner Operation vor dem 2. Lebensjahr besser sind alsdie einer Operation im 3.– 6. Lebensjahr.

Beim frühkindlichen Innenschielen sind die Ergebnissenach kombinierten Konvergenzoperationen denen nachMyopexie des M. rectus medialis unterlegen (134). Emp-fehlenswert ist die beidseitige Myopexie des M. rectusmedialis, die bei Fernschielwinkeln über 10° mit einerbeidseitigen Rücklagerung des M. rectus medialis kom-biniert wird (s.▶ Tab. 5.4). Eingriffe an den schrägen Au-genmuskeln werden mit diesen Operationen kombiniert(zur Therapie des frühkindlichen Innenschielens mit Bo-tulinumtoxin s. Kap. 5.6).

Der Strabismus divergens nach Tenotomie des M. rectusmedialis erfordert wegen des großen Schielwinkels eineRevision. Bei der Indikationsstellung ist es falsch, diemangelnde Adduktionsfähigkeit durch primäre Rücklage-rung des M. rectus lateralis zu äquilibrieren. Folge wäreeine erhebliche Einschränkung des monokularen Blick-felds mit Propulsion des Bulbus. Ebenso falsch ist eineprimäre Operation am anderen Auge, um den Schielwin-kel zu verkleinern. Diese Operation käme einer iatroge-nen Blicklähmung gleich und kann eine Kopfzwangshal-tung bewirken. Wenn eine Adduktionseinschränkungdeutlich ist, muss der tenotomierte Augenmuskel auf-gesucht und wieder vorgelagert werden (s. S. 565). Einegleichzeitige Rücklagerung des Antagonisten ist nur sel-ten notwendig und wird allenfalls nach einem Intervallempfohlen. Die Ergebnisse der Revisionen einer Tenoto-mie sind gemessen am präoperativen Befund gut (8, 169).

Der Strabismus bei hoher Myopie (meist eine Eso-Hypo-tropie, seltener eine reine Esotropie oder eine Exo-Hypo-tropie, ▶ Abb. 5.20) ist Folge einer Verlagerung des M.rectus lateralis in den lateral-unteren Quadranten (57,105, 133, 152, 170, 172). Dieser Muskelverlauf entsprichtbei einem staphylomartig vergrößerten Bulbus dem kür-zesten Weg zwischen Ursprung und Ansatz. Eine kom-binierte Konvergenzoperation kann das Ausmaß der Eso-deviation zwar vermindern, bewirkt wegen der Verkür-zung des M. rectus lateralis aber auch eine Vergrößerungdes senkenden Drehmoments. Die operative Therapiemuss das Ziel verfolgen, die Ursache der Störung, denpathologischen Muskelverlauf, zu normalisieren. Die Ver-

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lagerung der Insertion des M. rectus lateralis nach oben,also an die Insertion des M. rectus superior genügt oftnicht. Wirksamer ist eine retroäquatoriale Myopexie desM. rectus lateralis im physiologischen Verlauf (133).

Nach einer großen Rücklagerung des M. rectus medialiswird der M. rectus lateralis freigelegt. Dieser zieht in ty-pischen Fällen unmittelbar hinter der Insertion nach un-ten, sodass er weit unter der Insertion des M. obliquusinferior verläuft. Nach Resektion des M. rectus lateraliswird sein Oberrand mittels einer Myopexie mindestens6mm oberhalb des Vorderrands der Obliquus-inferior-Insertion fixiert, sein Unterrand unmittelbar neben derInsertion des M. obliquus inferior. Diese Myopexien sindtrotz der großen Augenlänge und der damit einhergehen-den Verdünnung der Augenhüllen meist unbedenklich,weil die Anheftungspunkte in der Regel vor dem Beginnder deutlichen Skleraverdünnung liegen.

Bei der Operationsmethode von Yokoyama u. Mitarb.(285, 286) werden mittels eines nichtresorbierbaren Fa-dens (z. B. Polyester 5-0) die obere Hälfte des M. rectuslateralis und die temporale Hälfte des M. rectus superiormiteinander verbunden. Der Vorteil der Methode bestehtdarin, dass der physiologische Verlauf von M. rectus late-ralis und M. rectus superior wieder hergestellt wird, ohnedass die bei hoher Myopie problematische Skleranaht er-forderlich ist.

Das Anschlingen der Muskelhälften erfolgt etwa 15mmhinter der Muskelinsertion. Mit dieser Technik wird dernach unten dislozierte M. rectus lateralis nach oben ge-zogen und der häufig nach nasal dislozierte M. rectussuperior nach temporal verlagert, sodass sich der Bulbuspostoperativ wieder im Muskeltrichter befindet. DieMuskeln können auch in toto miteinander verbundenwerden. Zusätzlich kann eine Rücklagerung des M. rectusmedialis erfolgen.

Merke

Wichtigstes Ziel der Augenmuskeloperation bei Eso-Hypotropie und hoher Myopie ist die Normalisierungdes Muskelverlaufs des M. rectus lateralis.

Eine äußerst komplexe Störung des Binokularsehens ent-steht nach einer Makulatranslokation zur Erhaltung desSehvermögens bei altersbedingter Makuladegeneration.Bei dieser Operation wird die Netzhaut um die Papillegedreht, sodass der gesamte Sehraum um diesen Winkelverdreht wird. Die Drehachse der Netzhautrotation bildetmit der physiologischen Blicklinie einen Winkel von15 – 20°. Folge ist ein Winkel Kappa, der in einer schiefenEbene liegt. Monokular entsteht eine erhebliche Störungder egozentrischen Lokalisation. Der Patient empfindetmonokular den Außenraum als schief und das angeblick-te Sehobjekt als vertikal und horizontal verschoben. Fallsbinokulare Empfindung vorhanden ist, ist es horizontale,vertikale und rotatorische Diplopie. Binokularsehenwürde eine Genauigkeit der operativen retinalen Ver-schiebung im Bereich von ca. 1/2000mm erfordern undist mit Disparationen, die wie bei einer Makulatransloka-tion den Winkelminutenbereich überschreiten, nicht ver-einbar.

Merke

Beschwerdefreies Sehen mit beiden Augen nach Maku-latranslokation ist nur auf der Grundlage großer Exklu-sionsareale denkbar! Eine Adaptation der monokularenWahrnehmung ist aber möglich.

Ziel einer Augenmuskeloperation ist, die Störung der ego-zentrischen Lokalisation zu vermindern und die nach ei-niger Zeit eintretende Adaptation der egozentrischen Lo-kalisation zu fördern. Weil alle Augenmuskeloperationendas Auge aber um die Blicklinie drehen, ist bestenfallseine Verminderung des Fehlers möglich. Beschwerdefrei-es Binokularsehen nach Makulatranslokation ist unmög-lich.

Nachdem die Makulatranslokation zugunsten andererMethoden aufgegeben wurde, ist eine operative Rückdre-hung nicht mehr notwendig (zusammenfassende Darstel-lung der Operationsmethoden in 73).

Abb. 5.20 Esotropie und Hypotropie des rechten Auges beihochgradiger Myopie (Augenlänge 36mm). Oben: präopera-tiver Schielwinkel: Horizontaldeviation +45°, Vertikaldeviation+20°. Durchgeführt wurde eine Rücklagerung des M. rectusmedialis 10 und eine Faltung des M. rectus lateralis 10 mitretroäquatorialer Myopexie oberhalb der Insertion des M. obli-quus inferior. Unten: postoperativer Schielwinkel (3. Tag): Ho-rizontaldeviation +5°, Vertikaldeviation +5°.

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Augenmuskeloperationen

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