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Langenbecks Arch. Chir. 337 (KongreBbericht 1974) © by Springer-Verlag 1974 Besonderheiten 66. [ndikationen zur konservativen und operativen Knochenbruchbehandlung- Besonderheiten beim Kind R. Daum Kinderchirurgische Abteilung der Chirurgischen Universit~ts-Klinik Heidelberg Indications for Conservative and Operative Treatment of Fractures. -- Characteristics in Children Summary. The special characteristics of fractures in childhood are due to the nature of the growing bone. Therapy, especially in fractures of the diaphysis, is as a rule conservative. In order to prevent severe joint deformities, all juxta-articular fractures and joint fractures, e. g. fracture of the condylus humeri or of the head of the radius and fractures of the epi- physis, should be treated surgically. Due to the importance of the vascularization of the head of the femur, the relatively somewhat rare fracture of the neck of this bone in childhood is an absolute indication for surgical intervention. Key words: Fractures of the Diaphysis of the Femur -- Juxta-Articular Fractures Joint Fractures -- Fractures of the Epiphysis. Zusammen/assung. Die Besonderheiten der Frakturen im Kindesalter ergeben sich aus der Natur des wachsenden Knochens. Im Prinzip ist die Behandlung konservativ, insbesondere bei den Schaftfrakturen. Gelenknahe Frakturen und GeIenkfrakturen sollten zur Vermeidung schwerer Gelenkdeformierungen operativ behandelt werden, z.B. Frakturen eines Condylus humeri, RadiuskSpfchenfrakturen, Epiphysenfrakturen. Eine absolute Indikation ist bei den relativ seltenen Schenkelhalsfrakturen im Kindesalter gegeben, und zwar wegen der Besonder- heiten der Gef~Bversorgung des H/iftkopfes. SchliisselwSrter: Femurschaftfrakturen -- Gelenknahe Frakturen Gelenkfrakturen -- Epiphysenfrakturen. Die Besonderheiten der kindlichen Frakturen ergeben sich bekanntlich aus der Natur des wachsenden Knochens. Die Unterschiede zur Fraktur des Erwach- senen kann man in einer Trias zusammenfassen : 1. spontaner Ausgleich von Fehlstellungen, 2. Verwundbarkeit der Epiphyse, 3. Schnelle und ausgiebige Callusbildung und iiberschiissiges L~ngenwachstum. Gerade der Ausgleich von Achsenabweiehungen bei Kleinkindern und Schul- kindern hat nicht selten dazu verleitet, eine ausschlieBlich konservative Therapie durchzufiihren. Nachuntersuchungen haben jedoch gezeigt -- wie Dysfunktionen infolge Gelenkdeformierungen und Rotationsfehlern -- dab die Vorstellung vom Auswachsen schlecht oder unbefriedigend stehender Frakturen einer griindliehen Revision bedarf.

66. Indikationen zur konservativen und operativen Knochenbruchbehandlung —Besonderheiten beim Kind

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Page 1: 66. Indikationen zur konservativen und operativen Knochenbruchbehandlung —Besonderheiten beim Kind

Langenbecks Arch. Chir. 337 (KongreBbericht 1974) © by Springer-Verlag 1974

B e s o n d e r h e i t e n

66. [ndikationen zur konservativen und operativen Knochenbruchbehandlung-

Besonderheiten beim Kind

R. D a u m

Kinderchirurgische Abteilung der Chirurgischen Universit~ts-Klinik Heidelberg

Indicat ions for Conservat ive and Operat ive T r e a t m e n t of Fractures . - -

Characterist ics in Children

Summary. The special characteristics of fractures in childhood are due to the nature of the growing bone. Therapy, especially in fractures of the diaphysis, is as a rule conservative. In order to prevent severe joint deformities, all juxta-articular fractures and joint fractures, e. g. fracture of the condylus humeri or of the head of the radius and fractures of the epi- physis, should be treated surgically. Due to the importance of the vascularization of the head of the femur, the relatively somewhat rare fracture of the neck of this bone in childhood is an absolute indication for surgical intervention.

Key words: Fractures of the Diaphysis of the Femur -- Juxta-Articular Fractures Joint Fractures -- Fractures of the Epiphysis.

Zusammen/assung. Die Besonderheiten der Frakturen im Kindesalter ergeben sich aus der Natur des wachsenden Knochens. Im Prinzip ist die Behandlung konservativ, insbesondere bei den Schaftfrakturen. Gelenknahe Frakturen und GeIenkfrakturen sollten zur Vermeidung schwerer Gelenkdeformierungen operativ behandelt werden, z.B. Frakturen eines Condylus humeri, RadiuskSpfchenfrakturen, Epiphysenfrakturen. Eine absolute Indikation ist bei den relativ seltenen Schenkelhalsfrakturen im Kindesalter gegeben, und zwar wegen der Besonder- heiten der Gef~Bversorgung des H/iftkopfes.

SchliisselwSrter: Femurschaftfrakturen -- Gelenknahe Frakturen Gelenkfrakturen -- Epiphysenfrakturen.

Die Besonderhei ten der kindlichen F rak tu ren ergeben sich bekannt l ich aus

der Na tu r des wachsenden Knochens. Die Unterschiede zur F r ak tu r des Erwach- senen kann man in einer Trias zusammenfassen :

1. spontaner Ausgleich von Fehlstel lungen,

2. Verwundbarke i t der Epiphyse,

3. Schnelle und ausgiebige Callusbildung und iiberschiissiges L~ngenwachstum.

Gerade der Ausgleich von Achsenabweiehungen bei Kle inkindern und Schul- k indern ha t n icht selten dazu verlei tet , eine ausschlieBlich konserva t ive Therapie

durchzufi ihren. Nachunte rsuchungen haben jedoch gezeigt - - wie Dysfunkt ionen infolge Gelenkdeformierungen und Rota t ionsfehlern - - dab die Vorstel lung vom

Auswachsen schlecht oder unbefr iedigend s tehender F rak tu ren einer gri indliehen Revis ion bedarf.

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Das Prinzip von der konservativen Behandlung gilt zwar auch heute noch, Art und Lokalisation einer Fraktur, zus~tzliche Begleitverletzungen und ins- besondere das Alter der Kinder fordern jedoch nieht selten eine operative Inter- vention.

Lassen Sie mieh im folgenden einige Behandlungsrichtlinien geben, die sich aufgrund der Erfahrungen mit denen anderer Autoren weitgehend decken.

Zun~chst zur konservativen Behandlung.

Scha/t/rakturen

Die rein konservative Behandlung kommt nach wie vor bei den Schaftfrakturen zur Anwendung. Klassisches Beispiel hierffir ist die Femurschaftfraktur bis zum 6. Lebensjahr, die wir mittels vertikaler Heftpflasterextension behandeln, falls nicht zus~tzliche Begleitverletzungen wie Mehrfachtraumen oder Hirnkontusionen zum aktiven Vorgehen Veranlassung geben.

Bei den reinen Querbrtichen wird sich nicht immer eine exakte Fragment- einstellung erzielen lassen. Diese ist auch nicht erwiinscht, da bekanntlich durch das fiberschie~ende L~ngenwachstum prim~re Verkfirzungen von 1--1,5 cm spontan ausgegliehen werden. Achsenkniekungen bis zu 10 ° korrigieren sieh be- kanntlich spontan, um so besser, je jfinger das Kind ist, bedingt durch die Korrek- turpotenz einer schief belasteten Epiphysenfuge.

GrSBter Aufmerksamkeit bedarf jedoch die Dislocatio ad peripheriam, da Rotationsfehler so gut wie nie oder nur unwesentlich korrigiert werden. Die 6fters aufgestellte Forderung, Drehfehler unter allen Umst~nden zu vermeiden, darf ich noch einmal unterstfitzen.

Auch bei den Unterschenkelfrakturen steht die konservative Behandlung im Kindesalter an erster Stelle. Die beim Erwachsenen geffirchtete Immobilisierung der Gelenke mit den bekannten Nachteilen der partiellen Gelenkversteifung treten beim Kleinkind und Schulkind kaum in Erscheinung.

Bei den Schaftfrakturen der oberen Extremit~ten befolgen wir ebenfalls das Prinzip der konservativen Therapie, d. h. Reposition und Gipsverband bei den Unterarmfrakturen und Extension oder H~ngegips bei den Humerusschaftfrak- turen.

Kann bei Femurschaftfrakturen jenseits des 6. Lebensjahres die Heftpflaster- extension nicht mehr angewandt werden, legen wit bei Schr~g- oder Spiralfrak- turen die Drahtextension an, bei grSBeren Kindern mit Querbrfichen entschliel~en wir uns zur geschlossenen Femurmarknagelung.

Die Drahtextension ffihrt auch bei abrutschgef~hrdeten Tibiafrakturen oder komplizierten Unterschenkelfrakturen zu guten Ergebnissen. Nur ausnahmsweise, bei Weichteilinterpositionen, Mehrfachfrakturen sowie bei schweren Weichteil- defekten fiihren wir bei grSl~eren Kindern die Plattenosteosynthese durch.

Gelenknahe Frakturen (Abb. 1 a--e)

Bei gelenknahen Frakturen haben wir seit vielen Jahren die konservative Behandlung zugunsten eines aktiven Vorgehens verlassen. So ffihren wir bei sub- kapitalen Humerus/rakturen mit erheblicher Dislokation die percutane Bohrdraht- fixation durch. Besonders bew~hrt hat sich nns, wie auch vielen anderen Autoren,

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Abb.1. a Suprakondyl~ire Humerusfraktur bei einem 4jiihrigen Jungen; b, c Reposition, Bohrdrahtfixation; d, e Ergebnis 2 Jahre sp~iter

die transcutane Bohrdrahtfixation bei der per- und suprakondyldren Humerus- /raktur. Wir haben das Verfahren an 124 Patienten angewandt und konnten uns von der Brauchbarkeit dieser Methode fiberzeugen. Manche Autoren bevorzugen bei den suprakondyl~ren Frakturen im Kindesalter die rein konservative Behand- lung. Nach exakter Reposition erfolgt die Fixation in extremer Spitzwinkelstellung des Ellenbogengelenkes mittels Trikotschlauchbinde am Hals. Hierbei kommt es fiber den Zug des M. triceps zu einer Art Zuggurtung. Wir haben bisher nur wenige Frakturen nach dieser Methode behandelt, wollen jedoch in Zukunft grS~ere Er- fahrungen sammeln.

Bei den distalen, nicht epiphys~ren Radius- und Unterarm/rakturen gelingt die Reposition und Immobilisierung im Gipsverband nicht in allen F~llen. Hier ist nach unserer Erfahrung die offene Reposition und Bohrdrahtfixation oder Platten- osteosynthese bei ~lteren Kindern angezeigt.

Subtrochantere Femur/rakturen wurden in der letzten Zeit meist mit der ge- schlossenen Marknagelung behandelt, da bei den kurzen proximalen Fragmenten dcr Zug der Adductoren nicht ausreichend kompensiert werden kann.

Auch bei den suprakondyl£ren Femurfrakturen haben wir in den letzten Jahren mit sehr guten Ergebnissen die operative Versorgung durch Plattenosteosynthese vorgezogen, da durch Extensionsbehandlung die Abweichung des kurzen dista- len Fragmentes durch den Gastrognemiuszug oft nicht behobcn werden kann (Abb. 2 a-d).

W£hrend bei den genannten gelenknahen Frakturen manche Autoren die konservative Therapie naeh wie vor bevorzugen und unser operatives Vorgehen eine relative Indikation darstellt, kennen wir Frakturen, bei denen eine operative Therapie gefordert werden muG:

So ist eine absolute Indikation gegeben bei Kondylenfrakturen des distalen Humerus, bei Radiusk6pfchen- bzw. -halsfrakturen und bei Schenkelhalsfrakturen im Kindesalter.

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Abb. 2. a, b Abbruch des Condylus radialis humeri bei einem 3 j~hrigen Jungen, konservative Behandlung; c, d Ergebnis 7 Jahre sp~ter: erhebliche Gelenkdeformierung

Abb.3. a, b Suprakondyl~re Femurfraktur, 10j~hriger Junge; c, d Kompressions- osteosynthese

Bei den Epikondylus- und Kondylenfrakturen ist wegen der Abkippung der Fragmente die offene Reposition und Bohrdraht- oder Schraubenfixation ange- zeigt. Die rein konservative Behandlung fiihrt, wie im Falle eines 12ji~hrigen Jungen zu erheblicher Gelenkdeformierung (Abb. 3a--d) .

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Abb. 4 a--d. Epiphysenfraktur mit metaphys~rem Fragment, 13 j~hriger Junge. a, b Konser- vative Behandlung; c, d Kontrolle 6 Wochen sp~ter

Ebenso sollten Radiusk6pfchen- bzw. -halsfrakturen operativ angegangen werden. Bei Olecranonfrakturen mit Fragmentverschiebung hat sich wie beim Erwachsenen die Zuggurtung bew~hrt.

Eine Sonderstellung nimmt die Schenkelhals/raktur im Kindesalter ein. Zahlen- mi~Big treten diese Brfiche im Vergleich zu anderen Frakturen im Kindesalter zwar zurfick, der einzelne verffigt nut fiber geringe Erfahrungen, eine konservative Behandlung ffihrt jedoch wegen der Besonderheiten der Gef~Bversorgung in einem hohen Prozentsatz zur Kopfnekrose. Obwohl wir fiber Indikationen spreehen, sei mir erlaubt, darauf hinzuweisen, dab die operative Wahl bei der Schenkelhals- fraktur die schonende Reposition und Verschraubung ist. Durch Kapselfensterung und Ableitung des H~matoms werden ven6ser AbfluB und arterieller ZufluB der nicht verletzten Gef~Be zum Femurkopf gew~hrleistet, so dab die Quote der Kopf- nekrose verringert werden kann. Die operative Korrektur der Schenkelhals- frakturen sollte sogar als Notfalloperation vorgenommen werden.

Der Vollst~ndigkeit halber sei erw~hnt, dab in Heilung begriffene Frakturen mit schlechter Fragmentstellung operativ angegangen werden mfissen (z. B. erheb- liche Achsenknickungen, Rotationsfehler).

Ein besonderes Problem bieten die Epiphysen/rakturen. Sie nehmen bekannt- lich deshalb eine Sonderstellung ein, weil je nach AusmaB der Verletzung und in Abh~ngigkeit yon der Behandlung erhebliche Wachstumsst6rungen auftreten k6nnen.

Die reinen Epiphysen/rakturen machen meistens keine Schwierigkeiten, da die gesamte Wachstumsfuge mit dem Stratum germinativum erhalten ist. In diesen F~llen geniigt die konservative Behandlung. Bei ~lteren Kindern sollte die genaue Adaptation angestrebt werden, da spontane Korrekturen wie bei kleineren Kin- dern nicht mehr m6glich sind. Auch dei Epiphysen/rakturen mit Absprengung eines metaphysdren Fragmentes (Abb.4a--d) geniigt in der' Regel die Reposition und Fixation im Gipsverband. In seltenen F~llen ist eine Spickung mittels Kirschner-

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Abb.5. a Epiphysenfraktur mit metaphys~rem Fragment, 12j~hriger Junge; b, c percutane Bohrdrahtfixation; d Kontrolle 2 Jahre sparer

Dr~hten angezeigt (Abb.5a--d). Bei der zweiten Hauptgruppe der Epiphysen- frakturen, bei denen der Bruch durch die Epiphysenfuge geht, sollte man wesent- lich differenzierter vorgehen, da mit WachstumsstSrungen gerechnet werden muI3. Die Reposition mui3 hier sehr exakt erfolgen. Die Fixation wird yon uns mit Spickdr~hten vorgenommen, manche Autoren bevorzugen die Fixation mittels einer kleinen Spongiosaschraube.

Besonders problematisch ist die Einstauchung der Epiphysenfuge oder die sog. Crush-Sch~digung, da durch das Zugrundegehen des Stratum germinativum Wachstumsst6rungen so gut wie immer auftreten. Glficklicherweise sind diese Ver- letzungen extrem selten, so dal3 man in der t~glichen Praxis kaum damit konfron- tiert wird. Kontrollen und evtl. sp~tere Korrekturoperationen im Sinne einer Ver- l~ngerungsosteotomie sind meistens angezeigt.

Die Analyse unseres eigenen Krankengutes der letzten 10 Jahre mit fiber 1200 Frakturen im Kindesalter ergab, dab in rund 15°/0 operativ vorgegangen wurde. Dieser relativ hohe Prozentsatz spiegelt nicht ganz die wahren Verhiiltnisse wieder, da Frakturen, die sich konservativ stellen lie~en, nicht stationer auf- genommen wurden, das Patientengut somit eine gewisse Auslese darstellt. Die guten postoperativen Ergebnisse im Kindesalter und insbesondere die Ver- feinerung der Operationstechnik bei der Osteosynthese sollten nicht dazu verffihren, den Prozentsatz der Osteosynthese zu steigern, vielmehr die Indikation besonders streng zu stellen. Die S~tze yon Mfiller-Allg6wer und Willenegger im Vorwort des ,,Manual der Osteosynthese", dal3 Anh~nger ohne genfigend Selbstkritik ffir die Methode viel gef~ihrlicher als Skeptiker oder klare Gegner seien, treffen ins- besondere ffir die operative Knoehenbruehbehandlung im Kindesalter zu.

Prof. Dr. R. Daum Kinderchir. Abt. Chir. Univ.-Klinik D-6900 Heidelberg Kirschnerstr. 1 Bundesrepublik Deutschland