3
8 | Elektrotechnik 2/15 Aus- und Weiterbildung In elektrischen Anlagen mit einer hohen Leistung kommt es vor, dass parallel geschaltete Leiter verlegt werden müssen. Die korrekte Leiterdimensionierung, Anordnung und Verlegeart sowie die empfohlenen Schutzeinrichtungen geben in diesem Zusammenhang Anlass zu Fragen, die der Fokus Elektrosicherheit in dieser und der nächsten ET-Ausgabe basierend auf der NIN 2015 weitgehend beantworten wird. Parallel geschaltete Leiter, Teil 1 Einleitung Ein einzelner Leiter oder ein mehradri- ges Kabel mit einem sehr grossen Querschnitt kann in der Installations- praxis kaum verlegt werden. Er ist für diesen Zweck zu starr. Aus diesem Grund werden in leistungsstarken elek- trischen Anlagen oft mehrere parallel geschaltete Leiter anstelle eines einzel- nen Leiters mit einem sehr grossen Querschnitt verlegt. Die NIN 2015 enthält Empfehlun- gen für parallel geschaltete Leiter, die insbesondere zwei Themenbereiche be- treffen und die den Hauptkapiteln un- serer Artikelserie entsprechen: 1. Anordnung und Verlegeart der Leiter (NIN-Kapitel 4.3.3.4 und 4.3.4.4) 2. Schutz von parallel geschalteten Lei- tern bei Überstrom (NIN-Kapitel 5.2.3.5). 1. Anordnung und Verlegeart der Leiter Bei zwei oder mehr parallel geschalte- ten Leitern pro Pol empfiehlt sich eine gleichmässige Aufteilung des Belas- tungsstroms auf die jeweiligen Leiter: Verseilt (verdrillt) angeordnete Leiter mit gleichem Querschnitt, gleicher Länge und aus demselben Werkstoff, die keine Verzweigungen auf der ge- Anordnung, Verlegung und Schutz Peter Bryner* samten Stromkreislänge aufweisen, dürfen parallel geschaltet werden. Anders verhält es sich bei einadrig isolierten Leitungen oder Kabeln mit eng gebündelter oder ebener Anord- nung sowie mit nur beschränkter Ver- drillung. Hier ist eine parallele Schal- tung der Leiter erst ab einem Quer- schnitt von 70 mm 2 (2 × 35 mm 2 ) Cu erlaubt. Hinzu kommen beson- dere Verlegemassnahmen, die die Phasenfolge der Aussenleiter und räumliche Anordnung der unter- schiedlichen aktiven Leiter betreffen. Bei sämtlichen Verlegearten dient der mit * bezeichnete Leiter in allen Lei- tungen gleichzeitig als Schutzleiter, PEN oder N in Verbindung mit separat verlegtem Schutzleiter (Bilder 1 bis 3). 1.1 Parallelschaltung der Leiter von mehradrigen Kabeln: Bei parallel ge- schalteten Leitern von mehradrigen Leitungen sollten die Aussenleiter gleich lang sein und den gleichen Quer- schnitt aufweisen. Dadurch wird der Strom gleichmässig auf die einzelnen Leiter verteilt. Der geometrische Auf- bau der Leitungen (Verdrillung) verhin- dert, dass sich die parallel geschalteten Leiter gegenseitig magnetisch beein- flussen (Bild 1). 1.2 Parallelschaltung einzelner Leiter: Bei einer Parallelschaltung von einzelnen Leitern werden die drei Aussenleiter (L1, L2, L3) zu einer Leitung zusam- mengefasst. Auch bei dieser Verlegungs- art sollten die Aussenleiter gleich lang sein und den gleichen Querschnitt auf- weisen. Um den grossen mechanischen Kräften im Kurzschlussfall standhalten zu können, sollten die Leiter ausreichend befestigt bzw. gebündelt sein. 1.3 Anordnung im Dreieck: Die Aus- senleiter (L1, L2, L3) werden pro Lei- tung in einem Dreieck angeordnet und fixiert, sodass sie ihre Lage nicht verän- dern können (Bild 2). Aus der Anord- nung der PE-, PEN- und N-Leiter sollte klar hervorgehen, zu welcher Lei- tung sie gehören (Bild 2). 1 * Peter Bryner, dipl. Elektroinstallateur/MAS FHNW Energieexperte ist bei Electrosuisse ver- antwortlich für Projekte im Bereich Niederspan- nungs-Installationen und den Fachbuchverlag. 2

750 0029 1810576 Inhalt 8toolbox.electrosuisse.ch/_files/downloads/Anordnung_Verlegung_und... · – IEC 60287-1-3:2003-10-15. Kabel – Berechnung der Strombelastbarkeit. Quellen

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: 750 0029 1810576 Inhalt 8toolbox.electrosuisse.ch/_files/downloads/Anordnung_Verlegung_und... · – IEC 60287-1-3:2003-10-15. Kabel – Berechnung der Strombelastbarkeit. Quellen

8 | Elektrotechnik 2/15

Au

s- u

nd W

eite

rbild

ung

In elektrischen Anlagen mit einer hohen Leistung kommt es vor, dassparallel geschaltete Leiter verlegt werden müssen. Die korrekteLeiterdimensionierung, Anordnung und Verlegeart sowie die empfohlenenSchutzeinrichtungen geben in diesem Zusammenhang Anlass zu Fragen,die der Fokus Elektrosicherheit in dieser und der nächsten ET-Ausgabebasierend auf der NIN 2015 weitgehend beantworten wird.

Parallel geschaltete Leiter, Teil 1

EinleitungEin einzelner Leiter oder ein mehradri-ges Kabel mit einem sehr grossenQuerschnitt kann in der Installations-praxis kaum verlegt werden. Er ist fürdiesen Zweck zu starr. Aus diesemGrund werden in leistungsstarken elek-trischen Anlagen oft mehrere parallelgeschaltete Leiter anstelle eines einzel-nen Leiters mit einem sehr grossenQuerschnitt verlegt.

Die NIN 2015 enthält Empfehlun-gen für parallel geschaltete Leiter, dieinsbesondere zwei Themenbereiche be-treffen und die den Hauptkapiteln un-serer Artikelserie entsprechen:1. Anordnung und Verlegeart der Leiter

(NIN-Kapitel 4.3.3.4 und 4.3.4.4)2. Schutz von parallel geschalteten Lei-

tern bei Überstrom (NIN-Kapitel5.2.3.5).

1. Anordnung und Verlegeart der LeiterBei zwei oder mehr parallel geschalte-ten Leitern pro Pol empfiehlt sich einegleichmässige Aufteilung des Belas-tungsstroms auf die jeweiligen Leiter:• Verseilt (verdrillt) angeordnete Leiter

mit gleichem Querschnitt, gleicherLänge und aus demselben Werkstoff,die keine Verzweigungen auf der ge-

Anordnung,Verlegung und Schutz

Peter Bryner* samten Stromkreislänge aufweisen,dürfen parallel geschaltet werden.

• Anders verhält es sich bei einadrig isolierten Leitungen oder Kabeln miteng gebündelter oder ebener Anord-nung sowie mit nur beschränkter Ver-drillung. Hier ist eine parallele Schal-tung der Leiter erst ab einem Quer-schnitt von �70 mm2 (2 × 35 mm2)Cu erlaubt. Hinzu kommen beson-dere Verlegemassnahmen, die diePhasenfolge der Aussenleiter undräumliche Anordnung der unter-schiedlichen aktiven Leiter betreffen.

Bei sämtlichen Verlegearten dient dermit * bezeichnete Leiter in allen Lei-tungen gleichzeitig als Schutzleiter,PEN oder N in Verbindung mit separatverlegtem Schutzleiter (Bilder 1 bis 3).

1.1 Parallelschaltung der Leiter vonmehradrigen Kabeln: Bei parallel ge-schalteten Leitern von mehradrigenLeitungen sollten die Aussenleitergleich lang sein und den gleichen Quer-schnitt aufweisen. Dadurch wird derStrom gleichmässig auf die einzelnenLeiter verteilt. Der geometrische Auf-bau der Leitungen (Verdrillung) verhin-dert, dass sich die parallel geschaltetenLeiter gegenseitig magnetisch beein-flussen (Bild 1).

1.2 Parallelschaltung einzelner Leiter:Bei einer Parallelschaltung von einzelnenLeitern werden die drei Aussenleiter(L1, L2, L3) zu einer Leitung zusam-mengefasst. Auch bei dieser Verlegungs-art sollten die Aussenleiter gleich langsein und den gleichen Querschnitt auf-weisen. Um den grossen mechanischenKräften im Kurzschlussfall standhaltenzu können, sollten die Leiter ausreichendbefestigt bzw. gebündelt sein.

1.3 Anordnung im Dreieck: Die Aus-senleiter (L1, L2, L3) werden pro Lei-tung in einem Dreieck angeordnet undfixiert, sodass sie ihre Lage nicht verän-dern können (Bild 2). Aus der Anord-nung der PE-, PEN- und N-Leitersollte klar hervorgehen, zu welcher Lei-tung sie gehören (Bild 2).

1

* Peter Bryner, dipl. Elektroinstallateur/MASFHNW Energieexperte ist bei Electrosuisse ver-antwortlich für Projekte im Bereich Niederspan-nungs-Installationen und den Fachbuchverlag.

2

Page 2: 750 0029 1810576 Inhalt 8toolbox.electrosuisse.ch/_files/downloads/Anordnung_Verlegung_und... · – IEC 60287-1-3:2003-10-15. Kabel – Berechnung der Strombelastbarkeit. Quellen

1.4 Anordnung in einer Ebene: Mittelseiner geometrischen Anordnung (Pha-senfolge) der Aussenleiter (L1, L2, L3)auf gleicher Ebene hebt sich die gegen-seitige magnetische Beeinflussung prak-tisch auf (Bild 3). Leitungen mit einerLänge � 20 m sollten hingegen ge-kreuzt werden, um die magnetische Be-einflussung auszugleichen (Bild 4).

1.5 Symmetrische Anordnung: Einesymmetrische Anordnung der Leiterverkleinert ebenfalls deutlich das Mag-netfeld bei gleicher Stromstärke (Bild 5).Wir empfehlen ebenso diese Verlegeart,auch wenn sie in der NIN nicht explizitaufgeführt ist (Bryner, Schmucki (2013),S. 260).

2. Schutz von parallel geschaltetenLeitern bei ÜberstromGrundsätzlich können parallel geschal-tete Leiter einzeln oder durch eine ge-meinsame Überstrom-Schutzeinrichtunggegen Überstrom geschützt werden.

Eine gemeinsame Schutzeinrichtungbei mehreren parallel geschalteten Lei-tern ist nur zulässig, wenn diese keineAbzweige- oder Trenn-/Schalteinrich-tungen enthalten. Nur so kann ein aus-reichender Schutz aller parallel geschal-teten Leiter gewährleistet werden.

Die Anforderungen an den Über-stromschutz sind bei zwei Leitern, dieannähernd den gleichen Strom führen,relativ einfach zu handhaben. Andersverhält es sich bei komplexeren Leiter-anordnungen, wo die ungleiche Strom-aufteilung zwischen den Leitern unddie Strompfade bei Mehrfachfehlern indas Überstromschutzkonzept miteinbe-zogen werden müssen.

2.1 Schutz von parallel geschalteten Lei-tern bei Kurzschluss: Eine gemeinsameSchutzeinrichtung kann parallel ge-schaltete Leiter effektiv vor Überlastund Kurzschluss schützen. Dies setztein korrektes Auslösen bzw. wirksamesAnsprechen der Schutzeinrichtung vor-aus, wenn ein Fehler an der kritischstenStelle in einem der parallel geschaltetenLeiter auftritt. Da eine Fehlerstelle vonbeiden Enden der parallel geschaltetenLeiter gespeist werden kann, sollte eineallfällige Aufteilung der Kurzschluss-ströme zwischen den beiden Leitern indie Planung ihrer Schutzeinrichtungmiteinbezogen werden. Falls eine ein-zelne Schutzeinrichtung eine wirksame

3

LA: Leitungsanfang, LE: Leitungsende.

4

5

Page 3: 750 0029 1810576 Inhalt 8toolbox.electrosuisse.ch/_files/downloads/Anordnung_Verlegung_und... · – IEC 60287-1-3:2003-10-15. Kabel – Berechnung der Strombelastbarkeit. Quellen

Au

s- u

nd W

eite

rbild

ung

10 | Elektrotechnik 2/15

Auslösung nicht sicherstellen kann,braucht es zusätzlich eine oder mehrereder folgenden Massnahmen:a) Kurzschlusssichere Wahl und Verle-

gung der Kabel/Leitungen: Redu-ziert in jedem der parallel geschalte-ten Leiter das Kurzschlussrisiko bzw.die Wahrscheinlichkeit eines Feuersoder Personen-/Sachschadens aufein Minimum (z. B. durch Schutz ge-gen Beschädigung).

b) Einrichtung zum Schutz vor Kurz-schluss an der Versorgungsseite einesjeden parallel geschalteten Leiters(bei 2 parallel geschalteten Leitern).

c) Einrichtung zum Schutz vor Kurz-schluss an der Versorgungs- undLastseite eines jeden parallel ge-schalteten Leiters (bei � 3 parallelgeschalteten Leitern).

Grundsätzlich gilt bei parallel ge-schalteten Leitern: Die Anordnung ei-ner Schutzeinrichtung sollte möglichstoptimal auf die möglichen Auswirkun-gen eines Kurzschlusses innerhalb desparallel geschalteten Abschnitts abge-stimmt sein. Zu beachten sind Fälle, wounabhängig wirkende Schutzeinrich-tungen gegebenenfalls einzelne Leiterin einer Parallelschaltung nicht genü-gend gegen Kurzschluss sichern. Fol-gende (alternative) Anordnungen vonSchutzeinrichtungen sollten hier jenach Eintrittswahrscheinlichkeit einesFehlers verwendet werden:• Einrichtungen zum Schutz vor Kurz-

schluss an der Versorgungs- undLastseite eines jeden parallel geschal-teten Leiters

• Miteinander gekoppelte Einrichtun-gen zum Schutz vor Kurzschluss ander Versorgungsseite eines jeden pa-rallel geschalteten Leiters

Die Entscheidung für die jeweilige An-ordnung der Schutzeinrichtungen istabhängig je nach Eintrittswahrschein-lichkeit eines Fehlers.

Exkurs: Stromflüsse bei Fehlern inparallel geschalteten LeiternIn parallel geschalteten Leitern könnenStrompfade aufgrund von mehrerenFehlern auftreten, die zu einer andau-ernden Speisung der einen Seite desFehlerortes führen. Verhindern könnendies Schutzeinrichtungen zum Schutzbei Kurzschluss auf der Versorgungssei-te (s) und auf der Lastseite (l) eines je-den parallel geschalteten Leiters (ein-zeln geschützte Leiter).

Ein Überstrom fliesst in den Leitern1, 2 und 3 beim Auftreten eines Fehlersim parallel geschalteten Leiter 3 an derStelle x. Vom Ort der Fehlerstelle hän-gen das Ausmass des Überstroms sowieder Anteil des Überstroms ab, der überdie Schutzeinrichtungen cs und clfliesst. In Bild 6 wurde angenommen,dass der grösste Anteil des Überstromsdurch die Schutzeinrichtung cs fliesst.

Nachdem die Schutzeinrichtung csangesprochen hat, fliesst der Stromweiter zur Fehlerstelle x über die Leiter

1 und 2. Da diese parallel geschaltetsind, reicht der sich aufteilende Stromallenfalls nicht aus, um die Schutzein-richtungen as und bs zum Ansprechenzu bringen. Deshalb braucht es die zu-sätzliche Schutzeinrichtung cl, durchdie jedoch ein Strom fliesst, der kleinerist als derjenige, der cs zum Ansprechenbringt. Wenn die Fehlerstelle nah ge-nug bei cl liegt, wird diese zuerst an-sprechen. Die gleiche Situation entstän-de bei einem Fehler in den Leitern 1oder 2. Aus diesem Grund sind dieSchutzeinrichtungen al und bl notwen-dig (Bild 7).

Nachteile einer Einrichtung zumSchutz vor Kurzschluss an der Versor-gungs- und Lastseite eines jeden paral-lel geschalteten Leiters (Bild 7) gegen-über einer Schutzeinrichtung, dielediglich an der Versorgungsseite einesLeiters angebracht ist:1. Abhängig von der Fehlerimpedanz

besteht das Risiko, dass der Fehlerund die daraus entstehende Überlas-tung der Leiter 1 und 2 nicht erkanntwerden. Wenn nämlich das Auslösender Schutzeinrichtungen cs und clden Fehler in x beseitigt, dann wirdder Stromkreis weiterbetrieben, wo-bei die Leiter 1 und 2 die Last tragen.

2. Es besteht die Gefahr, dass aufgrunddes Fehlers in x der Leiter zwischencl und x abbrennt, wodurch die Feh-lerstelle unentdeckt und somit wei-terhin unter Spannung bleibt.

Eine Alternative zu den sechs Schutz-einrichtungen sind sich gegenseitig aus-lösende Schutzeinrichtung(en) auf derVersorgungsseite (siehe Bild 8). Diesverhindert den weiteren Betrieb desStromkreises unter Fehlerbedingungen.

Ein geringeres Bemessungsausschalt-vermögen ist zulässig, wenn eine andereSchutzeinrichtung, die an der Versor-gungsseite errichtet wird, das geforder-te Kurzschlussausschaltvermögen auf-weist. In diesem Fall müssen dieCharakteristiken der Einrichtungen soaufeinander abgestimmt sein, dass dieGesamtdurchlassenergie beider Ein-richtungen nicht die Durchlassenergieüberschreitet, welche von der Einrich-tung auf der Lastseite und von den zuschützenden Leitern ohne Schadenüberstanden wird. ■

Stromfluss bei Fehlerbeginn.

6

7

Gekoppelte Schutzeinrichtungen.

8

– Electrosuisse (2015). Niederspannungs-Installati-onsnorm (NIN) SN 411000.

– Bryner Peter, Schmucki Josef (2013). Sicherheit inelektrischen Anlagen. Verlag Electrosuisse.

– IEC 60287-1-3:2003-10-15. Kabel – Berechnungder Strombelastbarkeit.

Quellen