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Der Personalmanager als interner Businesscoach 8.105 PersonalEntwickeln 220. Erg.-Lfg., August 2017 8.105 Seite 1 8.105 Der Personalmanager als interner Businesscoach In diesem Beitrag erfahren Sie, wieso internes Businesscoaching für Personalmana- ger heute und in Zukunft ein wichtiges Aufgabenfeld darstellt, welchen Beitrag Personalmanager als interne Business- coaches leisten können, welche Grenzen Personalmanagern als interne Busi- nesscoaches gesetzt sind, welche Coachingtechniken für das Personalmanage- ment praxisrelevant sind. Die Autorin Isabel Brandau, Inhaberin von sinnhaft Prozessberatung & Coaching, ist Dip- lom Pädagogin, zertifizierte Kommunikationstrainerin und zertifizierter Business- coach. Seit sieben Jahren begleitet sie Unternehmen und deren Mitarbeiter bei Veränderungsprozessen in der Personal- und Organisationsentwicklung. Dabei arbeitet sie intensiv mit Personalmanagern und Personalentwicklern zusammen. Seit 2015 bildet sie in einem kompakten Format Personalmanager in praxisrele- vanten Coachingtechniken aus. Sie ist aktives Mitglied des größten deutschsprachigen Think Tanks zur Zukunft der Arbeit und modernen Unternehmensführung, dem intrinsify.me Netzwerk. Die vielseitigen Ideen und innovativen Ansätze, die im Austausch mit Unternehmern, Führungskräften, Wissenschaftlern, Angestellten und Selbstständigen geteilt und neu entwickelt werden, sind zu einem großen Wissens- und Erfahrungsschatz her- angewachsen, der sich stets am Puls der Zeit befindet. Dieses Wissen teilt Isabel Brandau mehrfach im Jahr in Vorträgen und Workshops auf Fachtagungen und Kongressen für Personalmanager. Kontakt: sinnhaft Prozessberatung & Coaching, Isabel Brandau, Greifswalder Straße 23, 10405 Berlin, Tel.: 0151-20626576 E-Mail: [email protected], Internet: www.sinn-haft.de, www.hr-busines- scoaching.de

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  • Der Personalmanager als interner Businesscoach 8.105

    PersonalEntwickeln 220. Erg.-Lfg., August 2017 8.105 Seite 1

    8.105 Der Personalmanager als interner BusinesscoachIn diesem Beitrag erfahren Sie,

    • wieso internes Businesscoaching für Personalmana-ger heute und in Zukunft ein wichtiges Aufgabenfeld darstellt,

    • welchen Beitrag Personalmanager als interne Business-coaches leisten können,

    • welche Grenzen Personalmanagern als interne Busi-nesscoaches gesetzt sind,

    • welche Coachingtechniken für das Personalmanage-ment praxisrelevant sind.

    Die AutorinIsabel Brandau, Inhaberin von sinnhaft Prozessberatung & Coaching, ist Dip-lom Pädagogin, zertifizierte Kommunikationstrainerin und zertifizierter Business-coach. Seit sieben Jahren begleitet sie Unternehmen und deren Mitarbeiter bei Veränderungsprozessen in der Personal- und Organisationsentwicklung. Dabei arbeitet sie intensiv mit Personalmanagern und Personalentwicklern zusammen. Seit 2015 bildet sie in einem kompakten Format Personalmanager in praxisrele-vanten Coachingtechniken aus.

    Sie ist aktives Mitglied des größten deutschsprachigen Think Tanks zur Zukunft der Arbeit und modernen Unternehmensführung, dem intrinsify.me Netzwerk. Die vielseitigen Ideen und innovativen Ansätze, die im Austausch mit Unternehmern, Führungskräften, Wissenschaftlern, Angestellten und Selbstständigen geteilt und neu entwickelt werden, sind zu einem großen Wissens- und Erfahrungsschatz her-angewachsen, der sich stets am Puls der Zeit befindet. Dieses Wissen teilt Isabel Brandau mehrfach im Jahr in Vorträgen und Workshops auf Fachtagungen und Kongressen für Personalmanager.

    Kontakt: sinnhaft Prozessberatung & Coaching, Isabel Brandau, Greifswalder Straße 23, 10405 Berlin, Tel.: 0151-20626576 E-Mail: [email protected], Internet: www.sinn-haft.de, www.hr-busines-scoaching.de

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  • 8.105 Der Personalmanager als interner Businesscoach

    PersonalEntwickeln 8.105 Seite 2 220. Erg.-Lfg., August 2017

    Inhalt Seite

    1 Einleitung: Der Personalmanager als Businesscoach – die Zeit ist reif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

    2 Zeitenwende für Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52.1 Vom Industrie- zum Informationszeitalter . . . . . . . . . . . 52.2 Kompliziert versus komplex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

    2.2.1 Rot und Blau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82.2.2 Rot macht heute den Unterschied . . . . . . . . . . 11

    3 Der Personalmanager als interner Coach . . . . . . . . . . . . . . . . 123.1 Was ist Coaching und was ist es nicht? . . . . . . . . . . . . 133.2 Angrenzende und abzugrenzende Disziplinen . . . . . . . 13

    3.2.1 Coaching versus Training . . . . . . . . . . . . . . . . . 143.2.2 Coaching versus Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . 163.2.3 Coaching versus Psychotherapie . . . . . . . . . . . 163.2.4 Coaching versus Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . 18

    3.3 Notwendige Fachkompetenzen für seriöses Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203.3.1 Coachinganlässe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233.3.2 Coaching Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233.3.3 Coaching „en passant“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

    4 Coachingtechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324.1 Fragetechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354.2 Reframing – neue Bewertungen schaffen . . . . . . . . . . . 384.3 Destruktive Muster unterbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404.4 Visualisierungstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

    4.4.1 Post-its / Karten legen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444.4.2 Maßnahmenplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474.4.3 Prototyping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

    5 Schlussbetrachtung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

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  • Der Personalmanager als interner Businesscoach 8.105

    PersonalEntwickeln 220. Erg.-Lfg., August 2017 8.105 Seite 3

    1 Einleitung: Der Personalmanager als interner Businesscoach – die Zeit ist reif

    Fragt man in den USA eine Führungskraft, ob sie ihre Mitarbeiter coacht, dann wird man vermutlich eine Gegenfrage gestellt bekommen: „Was sollte wohl sonst die Aufgabe von Führung sein, wenn es nicht Coaching ist?“ In der Tat, seit den späten 1970er Jahren wird im US-amerikanischen Management unter Coaching ein ziel- und entwicklungsorientierter Füh-rungsstil verstanden, der von einem rein fachlichen Führungsverständ-nis absieht (vgl. Roth 2016). Auch in Deutschland ist das Konzept „Die Führungskraft als Coach“ nicht neu und bis heute selbstverständlicher Teil einer modernen Personalentwicklung in vielen Unternehmen. Würde man jedoch eine deutsche Führungskraft fragen, ob sie ihre Mitarbeiter tatsächlich coacht, dann bekäme man mit großer Wahrscheinlichkeit eine differenziertere Antwort: „Coaching? Ja, klar, irgendwie schon, man muss seine Leute ja entwickeln. Wir binden da in der Regel auch die Perso-nalentwicklung mit ein, um die Mitarbeiter individuell weiterzuentwickeln. Aus einem Pool externer Coaches wird dann der passende vermittelt. Ich selbst habe seit Jahren meinen eigenen Businesscoach, der mir dabei hilft, meine Ziele zu erreichen.“

    Coaching in Deutschland? Das übernehmen bei uns in den meisten Fäl-len externe, selbstständige Coaches mit einer zumeist zeitlich und finan-ziell sehr aufwendigen Ausbildung. Coaching ist ein globales Thema, das weiter wächst und insbesondere aus dem Businesskontext nicht mehr wegzudenken ist. Deutschland ist im internationalen Vergleich jedoch mehr und mehr eigene Wege gegangen. Der Wunsch nach Professio-nalisierung und der Definition eines einheitlichen Coaching-Verständnis-ses ist höher ausgeprägt als im Ausland, was die vielen verschiedenen Verbände und deren Zertifizierungen und Gütesiegel bestätigen. Nach den USA und Großbritannien bietet Deutschland die drittgrößte Anzahl an Coaches (vgl. Roth 2016), was den hohen Stellenwert dieser Bera-tungsform hierzulande aufzeigt. Diese Vielzahl an Coaches verstehen sich als selbstständige Externe, die vor allem auf das Format Einzelcoa-ching spezialisiert sind. Wieso sollten also Personalmanager bei diesem Überangebot selbstständiger, bestens ausgebildeter Businesscoaches selbst als interne Coaches tätig werden? Welchen Mehrwert kann das für Unternehmen schaffen? Wo liegt der Bedarf?

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    Der Bedarf, Coaching-Kompetenzen in den Unternehmen aufzubauen und nicht nur extern nach individuellem Bedarf einzukaufen, liegt zum einen darin begründet, dass wir mehr und mehr Wissensarbeiter beschäf-tigen, die andere Rahmenbedingungen für ihre Potenzialentfaltung benö-tigen, als Maschinenarbeiter. Zum anderen befinden wir uns heute in einer Zeit, die von Globalisierung, Digitalisierung hoher Dynamik geprägt ist und sich kurz VUKA-Welt nennt (VUKA=Volatilität, Unsicherheit, Kom-plexität und Ambiguität). Die damit einhergehenden tiefgreifenden Verän-derungen sowie steigende Verunsicherung ziehen sich quer durch die Organisationen.

    Personalmanager können dabei eine sehr wertvolle Rolle einnehmen, wenn sie sich vom internen Dienstleister zum Sparringspartner auf Augen-höhe für Fach- und Führungskräfte entwickeln. Diese Rolle beschreibt vor allem die Funktion, eine permanente Selbstreflexion der Organisation zu provozieren und die zunehmenden Widersprüche einer komplexen Welt auszuhalten und ergebnisoffen mit allen Stakeholdern zu moderieren.

    Das klassische Personalmanagement, ebenso die Personalentwicklung, nehmen heute zumeist noch eine eher reaktive und ausführende Rolle ein, die sich mit nach innen gerichteten Maßnahmen und standardisierten Instrumenten oft weit weg vom eigentlichen Geschäft befindet. Das Prob-lem ist noch gar nicht identifiziert, doch die Lösung ist bereits gefunden: „Wir brauchen ein einheitliches Führungsleitbild“, „uns fehlt eine Feed-backkultur“, „wir brauchen eine Projektmanagementschulung / ein Inno-vationsmanagement“ uns so weiter.

    Dieses klassische Vorgehen entstammt einer linearen Denkhaltung, die im 20. Jahrhundert in der Hochphase der auf Effizienz getrimmten Mas-senindustrie als große Errungenschaft der modernen Wirtschaft galt. Unternehmen als Maschine zu denken, in der alle Zahnräder nur pass-genau ineinandergreifen müssen, damit alles wie geschmiert läuft und somit maximaler Output erzielt werden kann, beschreibt den Zeitgeist der Industrialisierung. Diese Geisteshaltung stößt nun zunehmend an ihre Grenzen und mit ihr die traditionelle Personalarbeit und -entwicklung, die mit einfachen Standardlösungen hochkomplexe Probleme zu bearbeiten versucht und damit oftmals scheitert.

    Welchen Beitrag Coaching für das Personalmanagement in der VUKA-Welt leisten kann, erfahren Sie in diesem Beitrag. In Kapitel zwei wird das Ende des Industriezeitalters beschrieben und welche Auswirkungen das

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    auf die gängigen Instrumente und Managementpraktiken in der Unter-nehmenssteuerung von Prozessen, ebenso von Führung und Personal-entwicklung hat. In Kapitel drei wird geklärt, wie und in welcher Form Coaching eigentlich in Abgrenzung zu verwandten Disziplinen, wie zum Beispiel dem Training oder der Mediation im Rahmen der Personal- und Organisationsentwicklung eingesetzt werden kann. Ebenso werden die Chancen und Risiken des Personalmanagements als interne Business-coaches beleuchtet. In Kapitel vier werden Techniken und Instrumente für die interne Coachingpraxis vorgestellt. Hier geben diverse Praxisbeispiele eine Orientierung. In Kapitel fünf erfolgt eine abschließende Betrachtung.

    2 Zeitenwende für Organisationen

    Das Konzept, Unternehmen als Maschinen zu denken, geht auf den ame-rikanischen Ingenieur Frederick Winslow Taylor (1856-1915) zurück, der ein überaus erfolgreiches Konzept zur Organisation industrieller Massen-produktion erdachte, das heute unter dem Begriff „Taylorismus“ vor allem die arbeitsteilige, hierarchische Organisationsform beschreibt. Auch im Jahr 2017 stellt die überwiegend anzutreffende Organisationsform eine arbeitsteilige Hierarchie dar, ganz gleich, ob es sich dabei tatsächlich um ein produzierendes Industrieunternehmen, ein Beratungsunternehmen, eine NGO oder eine Stadtverwaltung handelt. Oben in der Hierarchie befinden sich die, die denken, strategisch planen und steuern, und ganz unten befinden sich die ausführenden Hände, die jederzeit austauschbar in ihrem klar abgrenzten Aufgabenbereich Anweisungen von oben aus-führen. Aus der ökonomischen Perspektive betrachtet, war der Tayloris-mus für die Industrie genau das richtige Konzept zur richtigen Zeit. Taylors Modell verdanken wir den materiellen Wohlstand, der uns heute ebenso selbstverständlich vorkommt, wie die arbeitsteilige Hierarchie.

    2.1 Vom Industrie – zum Informationszeitalter

    Um Organisationen wie Maschinen zu konzipieren, braucht es nach-einander aufgebaute Prozesse, die immer in der gleichen Abfolge funk-tionieren. Ursache und Wirkung müssen klar erkennbar sein, damit sich jeder einzelne Arbeitsschritt optimal einpassen und je nach Bedarf kon-tinuierlich verbessert werden kann. Ausgefeilte Messinstrumente liefern alle relevanten Kennzahlen, um den größtmöglichen Output liefertreu und

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    zum besten Preis zu erzielen. Diese eben beschriebenen linearen Orga-nisationsstrukturen kommen trägen Massenmärkten also sehr entgegen. Doch wie haben sich unsere Märkte in den vergangenen 30 Jahren ver-ändert? Hierzu liefert die sogenannte Taylorwanne (vgl. Wohland 2012) ein passendes Bild (Abbildung 1).

    Abb. 1: Taylorwanne (vgl. Wohland 2012, S. 20 und Pfläging 2015, S.18)

    Bis etwa ins Jahr 1900 finden Märkte vor allem lokal statt und das Ange-bot der Konkurrenz befindet sich auf engem Raum. Es fehlten zu der Zeit günstige und schnelle Transportmittel, um Waren über weite Strecken zu transportieren. Es war das Zeitalter der Manufakturen, die hoch indivi-dualisierte Produkte herstellten. Hersteller und Kunde befanden sich im direkten Kontakt. Ein Produkt, wie beispielsweise ein Schrank, ein Stuhl, Kleider oder Kutschen wurden individuell nach Auftrag produziert, was eine hohe Dynamik bedeutete und kreativer Lösungsfindung bedurfte. Massenproduktion gab es damals nicht.

    Dies änderte sich um 1900 durch technische Innovationen, die eine maschinelle Herstellung ermöglichten und den Gütertransport zunächst über Schienen und Schiffe, später über die Straße und die Luft organi-sierten. Durch die Industrialisierung konnten neue Märkte erschlossen werden und die Produktion gelang schneller und in zunehmend höhe-

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    rer Stückzahl. Fabriken wurden gebaut, die viele Arbeitskräfte brauchten, die wieder ihren Lohn für die günstig produzierten Waren ausgaben. Der Wohlstand stieg kontinuierlich an. Konkurrenz gab es kaum und wenn doch, dann störte man sich nicht daran. Kam man sich in die Quere, wich man sich aus und fand seine Marktposition eben woanders oder ließ den Preis entscheiden. Die Märkte verloren an Dynamik und wurden träge, da es kaum echten Konkurrenzdruck gab. „Die Kreativität der Unternehmen wendet sich nach innen, auf Produkte, Prozesse und Kosten. Die kun-denorientierte Flexibilität der Manufaktur ist jetzt nutzlos“ (Wohland 2012, S. 20). Taylor fand hier die richtigen Antworten auf die drängenden Fragen der jungen Industrialisierung. Die Produktivität stieg um das Hundertfache bis etwa in die 1970/80er Jahre (vgl. Wohland 2012).

    Die Märkte sind inzwischen wieder spürbar enger geworden, der Konkur-renzdruck ist gestiegen. Ehemalige Weltmarktführer werden von Startups aus dem Silicon Valley zu Fall gebracht, die in der Lage sind, sich eine Monopolstellung zu erobern. Überall auf der Welt tummeln sich immer mehr extrem schlank aufgestellte Unternehmen mit einem einfachen digi-talen Geschäftsmodell, die es schaffen, flexibel und zügig ganz individu-elle Kundenwünsche zu einem guten Preis zu erfüllen. Oder sie entwickeln so innovative Angebote und Lösungen, auf die die ganze Welt scheinbar nur gewartet hat, wie zum Beispiel die intuitive Bedienung eines Touch-Screens belegt. Märkte zu „disruptieren“ ist für die einen Marktspieler zum obersten Ziel ausgerufen worden, während auf der anderen Seite in ganzen Branchen Panik vor dem Untergang herrscht. Wieder andere mussten bereits dran glauben und es werden ihnen in den kommenden Jahren weitere Giganten folgen.

    Unternehmen stehen mehr und mehr vor komplexen Problemstellungen, die nicht mit den gleichen Denkweisen gelöst werden können, wie vor 30 Jahren. Diese alten Denkweisen beschreibt Fabian Scheidler (2015) in seinem Buch „Das Ende der Megamaschine“ als die „Tyrannei des line-aren Denkens“. Lineares Denken beruht auf der Annahme, dass sich die Welt nach berechenbaren Gesetzen von Ursache und Wirkung verhält, und folglich beherrschbar ist (vgl. Scheidler 2015). Die Unternehmens-maschine lässt sich aber nicht mehr beherrschen. Sie ist aus der Zeit gefallen, weil sich die Umwelt stark verändert hat. Heute sprechen wir von Organisationen als lebendigen Systemen, die in der Lage sind, sich ihren Umwelten flexibel anzupassen.

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    PersonalEntwickeln 8.105 Seite 8 220. Erg.-Lfg., August 2017

    2.2 Kompliziert versus Komplex

    Das K für Komplexität in der oben genannten Abkürzung „VUKA“ beschreibt die Herausforderung, dass Unternehmen aufgrund der stei-genden Vielfalt an undurchschaubaren, gegenseitigen Abhängigkeiten, Zufällen und Überraschungen ausgesetzt sind, die eben nicht linear erfol-gen und somit weder plan- noch steuerbar sind. Durch die Globalisierung und die Ausweitung digitaler Geschäftsmodelle und Produkte bewegen sich Unternehmen heute nicht mehr in klar abgegrenzten Märkten. Es existiert also (noch) kein Wissen, wie mit neuen Situationen umgegan-gen werden soll, sonst wären sie ja keine Überraschung. Im Taylorismus waren die meisten Herausforderungen „nur“ kompliziert. Kompliziert sind beispielsweise Maschinen oder Prozesse, die einer kausalen Logik folgen und deshalb von außen zielgerichtet gesteuert werden können. Unsere Märkte sind volatil geworden, was das Gegenteil der Stabilität beschreibt, die unserer westlichen Wirtschaftswelt im vergangenen Jahrhundert die-sen enormen Wohlstand gebracht hat. Volatilität (Flüchtigkeit) – wenn ein Problem plötzlich und zum ersten Mal auftritt und danach vielleicht nie wieder, dann wird ein Raum hoher Unsicherheit erzeugt, dem mit Stan-dardlösungen oder ausgefeilten Plänen nicht erfolgreich begegnet wer-den kann.

    2.2.1 Rot und Blau

    Um diesen gewichtigen Unterschied zwischen komplizierten und kom-plexen Vorgängen in Unternehmen weiter zu verdeutlichen, bediene ich mich an einem Farbenspiel, welches auf Gerhard Wohland (2012) zurück-geht und auf das sich in diesem Beitrag immer wieder zur Verdeutlichung bezogen wird.

    Stellen Sie sich vor, dass alle standardisierten Prozesse, die Prozess-handbücher, Daten, Informationen, sonstige Regelwerke, ebenso techni-sche Geräte in der Farbe Blau gehalten sind. Blau deswegen, weil es sich um die nicht lebendigen Anteile in einer Organisation handelt. Das heißt, dass sich ohne äußeres, aktives Zutun bei den blauen Anteilen innerhalb einer Organisation nichts in Bewegung setzt. Eine Regel zum Beispiel muss von jemandem aufgestellt, eingehalten und kontrolliert werden. Eine Maschine muss von jemandem eingeschaltet werden oder zumin-dest so programmiert sein, dass sie sich automatisch ein- und abschaltet.

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    Die blauen Anteile folgen monokausalen Wenn-dann-Wirkungsmus-tern und sind daher immer nur kompliziert. Blau ist also all das, was der Mensch erst erschaffen muss. Es existiert nicht von sich aus und befindet sich auch nicht in Interaktion mit anderen, wenn der Mensch nicht dafür sorgt. Hier haben wir die Maschinenfunktion, die Zahnräder, die ineinan-dergreifen oder die Prozesse, die aufeinander folgen – sie alle sind erst durch den Menschen geschaffen worden.

    Blaue Problemstellungen können immer mit vorhandenem Wissen gelöst werden. Wenn das Wissen zur Lösung in der Organisation oder einer Per-son nicht vorhanden ist, dann kann ein Experte beauftragt werden, der die Lösung kennt. Best Practices eignen sich hier also sehr gut, ebenso Handbücher, Gebrauchsanweisungen oder Youtube-Tutorials, wenn die Software mal wieder nicht das tut, was sie soll.

    Die lebendigen Anteile in Organisationen erhalten hingegen die Farbe Rot. Rot ist feurig, lebendig und damit von Natur aus nicht mit Best-Practice-Wissen beherrschbar. Rot ist alles, was komplex ist, wie zum Beispiel die kulturellen Aspekte in Organisationen, auf die man nicht direkt Einfluss nehmen kann. Dazu gehören Werte, Kommunikationsmuster oder das Mindset der Mitarbeiter, das viele Unternehmenslenker so gerne ändern möchten. Doch Kultur entwickelt sich von selbst weiter, ohne Anfang und ohne Ende und ist somit komplex. Seliger (2014, S.32) schreibt: „Lebende (nicht-triviale) Systeme sind eigen-sinnig, selbst-gesteuert, unberechen-bar und zu ungeahnten Entwicklungen fähig. Das unterscheidet sie von nicht-lebenden (trivialen) Systemen (Maschinen), deren lineare und mechanistische Logik das Weltbild der letzten fünfhundert Jahre geprägt hatte.“

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    PersonalEntwickeln 8.105 Seite 10 220. Erg.-Lfg., August 2017

    Abb. 2: Kompliziert versus komplex

    Kompliziert(blau, trivial, linear, mechanisch)

    Komplex(rot, eigensinnig,

    selbstgesteuert, VUKA)

    – Prozesse

    – Hardware

    – Software

    – Daten

    – Informationen

    – Regeln

    – Verhalten

    trainieren

    optimieren

    kontrollieren

    entscheiden

    – Kultur allgemein

    – Werte

    – Innovationen

    – Führung

    – Kommunikationsmuster

    – Motivation

    – Mindset/Haltung

    coachen

    moderieren

    beobachten

    experimentieren

    Tab. 1: Gegenüberstellung von roten und blauen Merkmalen und Verhalten

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    PersonalEntwickeln 220. Erg.-Lfg., August 2017 8.105 Seite 11

    Die Tabelle zeigt in der linken Spalte die komplizierten blauen nichtleben-digen Anteile in Organisationen, auf die man z. B. mit direktiven Entschei-dungen zielgerichtet Einfluss nehmen kann. Wir können entscheiden, ob Regeln oder Prozesse eingeführt, geändert oder beibehalten werden. Die roten komplexen Anteile in der rechten Spalte können hingegen nicht zielgerichtet beeinflusst werden. Hier braucht es vielmehr eine experi-mentelle Form mittels Versuch-Irrtums-Schleifen, um der Komplexität und Dynamik der Problemstellung gerecht zu werden. Doch genau das pas-siert in etablierten Unternehmen nach wie vor viel zu selten. Im Gegenteil, greift die Unsicherheit um sich, wird plötzlich hektisch geplant, werden noch mehr Kennzahlen gemessen, an Strategien getüftelt, Entscheidun-gen nicht getroffen oder wenn doch, dann von den Falschen. In der Folge werden Schuldige gesucht, die durch neue Helden mit Vorschusslorbee-ren ersetzt werden.

    Wir dürfen gespannt sein, wie viele Schuldige und Retter der Flughafen BER noch verbrauchen wird, bis er doch irgendwann feierlich als Milliar-dengrab eröffnet wird. Ebenso werden wir den Volkswagenkonzern die nächsten Jahre dabei beobachten können, wie er sein Betrugssystem weiter manifestieren wird oder irgendwann die Erkenntnis wächst, dass der Fehler im System selbst liegt, für das nicht eine Person das Gesicht hinhalten und auch nicht im Alleingang Heldentaten vollbringen kann. Dafür ist der Fall zu komplex. Ursache und Wirkung sind nicht darstell-bar und helfen auch gar nicht weiter. „Solange Schuldige (oder Helden) gebraucht werden, um eine Situation plausibel zu erklären, ist sie noch nicht verstanden“ (vgl. Wohland 2012, S. 24). Lösungen für komplexe Situ-ationen sind niemals einfach, das liegt in der Natur der Sache.

    2.2.2 Rot macht heute den Unterschied

    In der Zeit, in der die Massenindustrie insgesamt sehr stabilen Märkten ausgesetzt war, gab es auch sowohl blaue, komplizierte als auch rote, komplexe Anteile in Organisationen. Das Bild der Maschine entsprach auch in Zeiten des Taylorismus nicht der Realität. Organisationen waren immer schon lebendige Systeme. Doch das lebendige Rote war in der Industrialisierung deutlich weniger relevant für den Unternehmenserfolg. Wichtig war, dass die blauen Prozesse wie geschmiert liefen und später dann dank Entwicklungen wie das Toyota Lean-Production-System konti-nuierlich verbessert wurden. Der Effizienzgedanke ist auch in der VUKA-Welt nach wie vor ein wichtiges Thema, denn das lineare Blaue bleibt

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    natürlich Teil des Organisationssystems (siehe Abbildung 2). Unterneh-men sind immer gleichzeitig kompliziert und komplex).

    Doch entscheidender ist es heute, wie Organisationen der Komplexität ihrer Umwelt begegnen, wie es ihnen gelingt, trotz hoher Unsicherheit robuste Entscheidungen zu treffen. Wie gehen Organisationen heute mit Problemen um, für die es kein Prozesshandbuch, also irgendwann einmal eingefangenes und aufbereitetes Wissen gibt? Wie flexibel können Orga-nisation auf plötzliche Veränderungen auf dem Markt oder auf individuelle Kundenwünsche reagieren? Ebenso erfolgskritisch ist es, wie die Orga-nisation mit Ambiguitäten umgeht, für die richtig oder falsch kein Maß-stab ist. Rot macht also den Unterschied für gegenwärtige und zukünftige Unternehmenserfolge und Misserfolge.

    3 Der Personalmanager als interner Coach

    Wie in der Einleitung bereits erwähnt, coachen in deutschen Unterneh-men klassischerweise externe Businesscoaches. Interne Businesscoa-ches treten hierzulande noch eher selten in Erscheinung. Während Füh-rungskräfte aufgrund ihrer Position als Vorgesetzte, die im Zweifel immer das letzte Wort haben, sehr schnell an ihre Grenzen geraten, bietet sich die besondere Rolle der Personalmanager und -entwickler dafür gera-dezu an. Das Personalmanagement hat ohnehin eine interne Berater-funktion und ist hierarchisch weniger in persönlichen Machtgefügen ver-strickt. Personalmanager kennen die Kultur des Unternehmens, ebenso die Beschäftigten, wissen wo Konflikte herrschen und der Druck am stärk-ten ist und wo es starke Veränderungen zu bewerkstelligen gibt. Sie sind gerade nah genug dran, um Situationen zügig einschätzen zu können und weit genug entfernt, um nicht Teil des jeweiligen Teamkosmos zu wer-den. Das ermöglicht es ihnen in der Regel, eine professionelle emotionale wie inhaltliche Distanz zu den Kollegen und den einzelnen Subsystemen im Unternehmen einzunehmen. Doch dieses Potenzial wird noch selten ausgeschöpft. Vielleicht liegt es an der Unwissenheit über das Tätigkeits-feld und darüber, was Coaches wirklich leisten und was nicht.

    3.1 Was ist Coaching und was ist es nicht?

    Coaching ist eine professionelle Begleitung von Menschen auf Prozes-sebene in beruflichen und privaten Kontexten. Im Businesskontext ist

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    Coaching eine Personalentwicklungsmaßnahme, die für die individuelle Veränderungsarbeit eingesetzt wird. Coaching leistet Unterstützung bei Entwicklungsaufgaben von Einzelpersonen, zumeist Personen mit Füh-rungsaufgaben, und Teams.

    3.2 Angrenzende und abzugrenzende Disziplinen

    Coaching wird als Begriff immer wieder synonym zu anderen, durchaus verwandten Disziplinen verwendet, wie Abbildung 3 verdeutlicht. Das ist nachvollziehbar, da sich Coaching an Techniken aus allen dargestellten Dis-ziplinen bedient, aber trotzdem eine ganz eigene Beratungsform darstellt.

    Abb. 3: Angrenzende Disziplinen

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    3.2.1 Coaching versus Training

    Im Sport werden die Begriffe Coaching und Training zumeist synonym verwendet, was eine Erklärung dafür liefern könnte, weshalb auch im Businesskontext eine Vermischung vorzufinden ist. Spricht man in Deutschland meistens noch vom Trainer der deutschen Fußballnational-mannschaft, wird die gleiche Funktion im englischsprachigen Ausland als Coach bezeichnet. Im Business ist die Unterscheidung jedoch wichtig.

    Trainings kommen immer dann zum Einsatz, wenn es in einem Bereich eines Expertentums bedarf, das es mit sehr viel Training zu erreichen gilt. Um wirklich gute Software zu schreiben, brauchen Programmierer beispielsweise sehr viel Übung. Ebenso werden Menschen, die beruf-lich viel präsentieren und vor großen Gruppen sprechen, mit zunehmen-der Übung immer besser. Auch Coachingtechniken werden im Training vermittelt und der Coach wird immer sicherer, je mehr Übung er in der Gesprächsführung hat. Im Training gibt es also Best Practices und der Trainer weiß, wie der Trainee dahin kommt. Trainer haben das Know-how und die Kompetenz, das dem Trainee in den Anfängen noch fehlt, und sind in der Lage, die Kompetenz mit entsprechenden Trainingsmethoden zu vermitteln. Best Practices sind immer ein Hinweis darauf, dass ein Pro-blem mit Wissen und Übungserfahrung gelöst werden kann. Deshalb sind Trainings ein Werkzeug, das die blauen, komplizierten Anteile in Unter-nehmen bearbeiten kann.

    Der Coach hat im Vergleich zum Trainer keine Best-Practices, mit deren Hilfe er den Klienten den richtigen Weg weist. Im Coaching wird ergeb-nisoffen gearbeitet und dabei werden tiefe innere Überzeugungen und Verhaltensmuster beim Klienten hinterfragt. Der Coach bietet verschie-dene Perspektiven an, die wichtige Suchprozesse beim Klienten auslösen können. Die ergebnisoffene Herangehensweise stellt keinen Widerspruch zur Ziel- und Lösungsorientierung dar. Denn das jeweilige Ziel, das der Klient erreichen möchte, wird in der Regel erst im Verlauf des Coachings erarbeitet und geht vom Klienten aus und nicht vom Coach. Es ist das Ziel des Klienten und nur für ihn richtig und relevant und nicht auf andere Individuen im Sinne einer Best-Practice übertragbar.

    Coaching setzt darüber hinaus an der inneren Haltung oder der inneren Landkarte jedes Individuums an, wie es Milton Erickson, ein bedeuten-der Vertreter der modernen Hypnotherapie, bildlich beschrieben hat. Trai-ning arbeitet dagegen am Verhalten. Aus Verhalten kann Haltung entste-

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    hen und aus Haltung auch Verhalten, die Herangehensweise ist jedoch verschieden. Wenn die innere Haltung nicht zum Verhalten passt, dann könnte man ein Verhaltenstraining auch als Dressur bezeichnen.

    Führungskräfte nehmen beispielsweise an einem Training zum Thema „Führen von Feedbackgesprächen“ teil. Die Intention der Personalent-wicklung ist es, die Kommunikation und die Beziehung zwischen Füh-rungskräften und ihren Mitarbeitern zu verbessern und letztlich deren Motivation zu erhöhen. Die Führungskräfte trainieren im Rollenspiel Ich-Botschaften statt Du-Botschaften zu senden, weil Kommunikations-experten davon ausgehen, dass diese Feedbacktechnik wertschätzender ist und der Feedbacknehmer kritische Rückmeldungen auf diese Weise besser annehmen kann.

    Dabei handelt es sich jedoch lediglich um eine Gesprächstechnik, die trainiert wird. Passt die innere Haltung nicht zum Verhalten, weil die Füh-rungskraft zwar die Technik anwendet, sich jedoch im Gespräch stark beherrschen muss, dann ist das Dressur. Im besten Fall war die Bezie-hung zu den Mitarbeitern schon vor dem Training entspannt, dann wissen die Mitarbeiter, wie sie das neuerdings seltsame Verhalten des Vorge-setzten einordnen müssen: „Der war beim Training, das geht vorbei.“ Im schlimmsten Fall gefährdet dieses trainierte Verhalten sogar die Bezie-hung zu den Mitarbeitern, weil es dem Vorgesetzten fortan an Authenti-zität mangelt und er nun noch schwieriger einzuschätzen ist. Wenn man sich um die Motivation der Mitarbeiter sorgt, dann handelt es sich um ein hochkomplexes rotes Problem, das mit einer einfachen Gesprächstechnik aus dem blauen Anteil als Best-Practice nicht hinreichend gelöst werden kann.

    Zusammenfassend gilt: Mit Trainings bedient die Personalentwicklung die blauen Anteile der Organisation und mit Coachings können die roten Anteile bearbeitet werden. Trotzdem kann es im Coaching auch Trai-ningsansätze geben, wenn beispielsweise ein wichtiges Gespräch mit der Führungskraft vorbereitet werden soll und Coach und Klient dieses Gespräch im Rollenspiel durchgehen. Der Klient kann sich ausprobie-ren und reflektiert dabei, was sich für ihn gut anfühlt und was nicht. Das können Ich-Botschaften sein, aber auch etwas vollkommen anderes, das nicht im Lehrbuch steht.

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    3.2.2 Coaching versus Mediation

    Mediatoren sind die Experten, wenn es um die Schlichtung von Konflikten geht, bei der sich am Ende alle Konfliktparteien noch oder wieder in die Augen sehen können und jede Seite ihr Gesicht wahren konnte. Bei einer Mediation sind stets beide Konfliktparteien anwesend und der Mediator garantiert eine allparteiliche Haltung. Er sorgt dafür, dass aus dem Kon-flikt keine Gewinner und Verlierer hervorgehen, stattdessen Interessen ausgehandelt und die dahinterliegenden Bedürfnisse identifiziert werden, sodass alle Parteien am Ende gewinnen und der Kontakt aufrechterhal-ten werden kann. „Mediation ist ein Weg der Konfliktlösung mithilfe eines allparteilichen und der Sache neutralen Dritten, der von allen Beteiligten akzeptiert wird“ (Köstler 2010, Kapitel 1, E-Book).

    Konfliktcoaching unterscheidet sich von der Mediation dahingehend, dass der Coach immer nur die eine Seite der Konfliktpartei im Setting zu Gesicht bekommt und der andere Konfliktpartner gar nichts davon weiß, dass ein Coach auf der anderen Seite eingebunden ist. Der Coach unterstützt seinen Klienten dabei, seine Rolle im Konflikt zu reflektieren, die Perspektive des Konfliktpartners einzunehmen und konkrete Schritte für eine realistische Lösung für den Konflikt zu erarbeiten. Die Media-tion bedient ebenfalls die roten Anteile in Organisationen, denn Konflikte sind hochkomplexe soziale Erscheinungen, die nicht mit monokausalem Wenn-Dann-Denken gelöst werden können.

    3.2.3 Coaching versus Psychotherapie

    Die meisten Coachingansätze begründen sich in der psychotherapeuti-schen Arbeit. Die Psychotherapie ist hinsichtlich der Wirkung der thera-peutischen Maßnahmen, auch dank der neueren Hirnforschung, zuneh-mend besser empirisch erforscht. Wir wissen heute mehr und mehr, was in unserer Psyche kognitiv und emotional passiert und sind noch lange nicht am Ende. Für das Coaching fehlen hingegen aussagekräftige empi-rische Erkenntnisse über die Wirkung. Daher ist es folgerichtig, dass Coa-ching sich aus den vorhandenen Erkenntnissen und Interventionstechni-ken dieser sehr verwandten Disziplin bedient.

    Coaching möchte ebenso wie viele psychotherapeutischen Ansätze dazu beitragen, die Selbstwirksamkeit der Klienten zu erhöhen. Selbstwirk-samkeit bedeutet die Fähigkeit, aus eigener Kraft selbstgesteckte Ziele zu

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    erreichen, aus eigener Kraft Handlungen durchzuführen, die der eigenen Entwicklung dienlich sind und das eigene Leben zum Positiven verän-dern. Ebenso soll der Klient dabei unterstützt werden, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, jederzeit für sich selbst sorgen zu können und keine sich selbst begrenzenden Abhängigkeiten einzugehen, beziehungsweise sich aus eben solchen zu lösen.

    Coaching und Psychotherapie möchten das Potenzial der Klienten wie-der- oder neu entdecken. Beide adressieren eine Steigerung der Selbstre-flexionsfähigkeit, also das Erkennen eigener Denk- und Handlungsmus-ter, und bieten dem Klienten verschiedene Perspektiven an, durch die er eingeladen wird, eine gewisse Distanz zu sich und seinem Problem aufzubauen. Daraufhin werden Lösungen erarbeitet, die mitunter dadurch entstehen, dass der Klient durch das Coaching oder die Therapie in der Lage ist, sein Problem anders zu bewerten und Zugang zu seinen Res-sourcen zu finden. Dieser Vorgang kann enorme Energien freisetzen, die die Chance erhöhen, ein bestimmtes Ziel zu erreichen oder eine wichtige Entscheidung zu treffen und sich dadurch weiterzuentwickeln.

    Es ist jedoch wichtig die Intensität der psychologischen Arbeit zu unter-scheiden. „Die Förderung der ergebnisorientierten Selbst- und Problemre-flexion wird zwar als ein wesentliches Merkmal professionellen Coachings verstanden, sie ist jedoch nicht bei allen Problemstellungen ausreichend. Themen, die das Organisationssystem betreffen, sowie weniger tieflie-gende Konflikte, können auf diese Weise gut bearbeitet werden. Für die Lösung vieler personenbezogener Probleme bedarf es jedoch eines ver-tieften Verständnisses der menschlichen Psyche und therapeutisch-orien-tierter Interventionen“ (Roth 2016, Kapitel 12.3, E-Book).

    Diese schwerwiegenden personenbezogenen Probleme können sich in einer überdauernden Depression, selbstzerstörerischem Verhalten wie dem intensiven Konsum von Rauschmitteln und Medikamenten oder auch in Essstörungen oder gewalttätigem Verhalten zeigen. Für Coaches stel-len diese Problemstellungen kein seriöses Tätigkeitsfeld dar. Eine psy-chotherapeutische Ausbildung basiert auf einem umfangreichen Studium der klinischen Psychologie und einer zusätzlichen mindestens dreijäh-rigen Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten, bevor ein Psychotherapeut eine Praxis eröffnen und Klienten nach seiner Fachrich-tung behandeln kann. Diese intensive Ausbildung ist nicht vergleichbar mit einer ein bis zweijährigen Coachingausbildung, die jedem Akademiker

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    zugänglich ist, ob er nun von Hause aus Ingenieur, Betriebswirt oder Päd-agoge ist.

    Zum anderen muss die Entscheidung, eine Therapie zu machen, nicht zwingend in den oben aufgezählten, sehr drastischen Symptomen zum Ausdruck kommen. Sich wiederholende Muster von Selbstsabotage, missglückten privaten und beruflichen Beziehungen oder ein tiefsitzen-der Frust im Job durch einen Karriereknick können Menschen selbst-verständlich auch dazu bewegen, diese Muster in der Tiefe im Rahmen einer Therapie bearbeiten zu wollen, obwohl sie zeitgleich ihr Leben nach den Normen unserer westlichen Leistungsgesellschaft im Griff zu haben scheinen.

    Für Migge (2011) zeigt sich der Unterschied zwischen beiden Disziplinen auch in der konkreten Auftrags- und Kontextbezogenheit, wie dem berufli-chen Umfeld, das die Familie und die Kindheit nicht ins Zentrum des Busi-nesscoachings stellt. Ein Businesscoaching ist zeitlich begrenzt, was von einer einmaligen, anlassbezogenen Coaching-Sitzung bis zu etwa sechs Sitzungen gestaltet werden kann. In diesem Zeitraum können Probleme im Rahmen von Coaching erschöpfend bearbeitet werden. Der Zeitraum von Therapien hingegen kann Monate oder Jahre in Anspruch nehmen.

    3.2.4 Coaching versus Beratung

    Coaching ist eine Form der Prozessberatung, die sich vom Expertenbera-ter klar abgrenzt (vgl. Migge 2011, S. 12).

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    Abb. 4: Prozessberatung vs. Expertenberatung

    Das Bild der „Hebamme“ trifft den Kern der Coachingrolle sehr gut. Wenn man sich als Fortführung der Metapher das Baby im Bauch der Mutter als Idee vorstellt, dann reift diese Idee in einer Person, in einem Team oder in einer Organisation schon eine ganze Zeit lang heran. Sie wird so groß, dass sie nicht mehr ignoriert werden kann, wenn alles Denken und Handeln sich nur noch um dieses eine Thema dreht. Das „Baby im Bauch“ kann auch ein Problem sein, das erstmal raus an die Öffentlichkeit muss, um es in Augenschein nehmen zu können und zu beurteilen, wie groß und schwer es wirklich ist. Oftmals reift auch eine Lösung für einen gewünsch-ten Zustand im Bauch heran, die nun zur richtigen Zeit ans Licht der Welt gelangen möchte. Vielleicht ist es auch einfach ein Wachstumsprozess für sich genommen, auf den die Baby-Metapher anspielt, wie ein Lern- und Entwicklungsprozess. Der Problem-, Lösungs- oder Ideenbesitzer muss sein „Baby“ natürlich selbst auf die Welt bringen und zwar zum für ihn und das „Baby“ richtigen Zeitpunkt.

    Der Coach sorgt dafür, dass alles möglichst reibungslos ablaufen wird, macht auf mögliche Risiken aufmerksam und prüft in regelmäßigen Abständen, ob alles noch in die richtige Richtung geht. Er ist für den Prozess verantwortlich, nicht für das Ergebnis. Der Coach erkennt, was

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    dem Klienten während des „Geburtsvorgangs“ zugemutet werden kann und was kontraproduktiv ist. Wenn unerwartete Komplikationen auftau-chen, hat der Coach genug Erfahrung, um souverän zu bleiben, mit dem Klienten einige Experimente auszuprobieren, die in der Situation wei-terhelfen könnten, und weitere Ressourcen zu aktivieren. Es gibt auch brenzlige Situationen, die ein beherztes Eingreifen des Coaches notwen-dig machen. Wenn der Klient beispielsweise im Begriff ist, eine Situation stark zu unterschätzen oder sich zu überschätzen oder sich unwissentlich rechtswidrig zu verhalten. Der Coach weiß, dass jede „Geburt“ anders verläuft, was eine flexible Anpassung an die jeweilige Situation erfordert.

    Der Computer ist abgestürzt und alle Daten sind weg? Da gilt es, Ruhe zu bewahren und einen Computerexperten anzurufen. Hier kann ein Coach nicht weiterhelfen, denn die Lösung steckt nicht im Computernutzer und es gibt auch nichts auf die Welt zu holen. Manchmal fühlt man sich ein wenig unbeholfen oder sogar dumm, wenn der Experte ein hochkompli-ziertes Problem, das man selbst nicht im geringsten versteht, in 30 Sekun-den erledigt hat. Was die Kompetenz für das jeweilige Expertenproblem angeht, befinden sich Berater und Klient nie auf Augenhöhe. Der Experte weiß es einfach besser und führt die Operation natürlich selbst durch. Der Expertenberater hilft bei blauen Problemstellungen, nicht bei roten.

    3.3 Notwendige Fachkompetenzen für seröses Coaching

    Nach wie vor wird an der Beratungsform Coaching kritisiert, dass der Begriff nicht geschützt ist und sich praktisch jeder Mensch als Coach bezeichnen kann, weswegen Personalentwickler und potenzielle Klien-ten daher oft nicht einschätzen können, welches Coachingangebot seriös und wirksam ist. Die Medien warnen immer mal wieder vor „Scharlatane-rie“, wenn Führungskräfte von selbsternannten Coaches zu Selbsterfah-rungsinterventionen eingeladen werden, zu denen sie nicht bereit sind bzw. die Folgen daraus nicht abschätzen können.

    Der Sender 3sat strahlte am 3. November 2016 eine Dokumentation mit dem Titel „Der Coaching-Wahn“ aus. Die erste Szene zeigt bereits einen Schamanen, der mit Trommeln, Federn und Feuer verspricht, dass jeder Teilnehmer durch dieses Ritual seinen Umsatz verzehnfachen kann. Er nennt sich selbst „Business-Schamane“ und tummelt sich ebenfalls auf dem Coachingmarkt. Laut Dokumentation kann sich der Schamane über zahlreiche und zahlfreudige Kunden freuen, die bereit sind, für derartige

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    Versprechungen eine spirituelle Gruppenerfahrung um ein Lagerfeuer einzugehen.

    Der Coachingmarkt ist divers. Wer jedoch ein Erlebnisevent mit einem Schamanen für seine Vertriebsmitarbeiter bucht oder für die Nachwuchs-führungskräfte eine Bergbesteigung als Grenzerfahrung sucht, weiß ver-mutlich im Vorfeld, dass hier ungewöhnliche Erfahrungen gemacht werden und dass es auch genau darum geht. Eine Steigerung der Performance im jeweiligen Businesskontext, die auf das Erlebnisevent zurückzuführen wäre, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen.

    Schwieriger einzuschätzen ist es, wenn im Rahmen eines gewöhnlichen Coachingsettings ein emotionales „Fass“ beim Klienten aufgemacht wird. Im privaten Personalcoaching, Paarcoaching oder Familiencoaching ist das nicht ungewöhnlich, sondern vielmehr die Basis von Entwicklung. Ein professioneller (Business-)Coach weiß, was er tut und kann starke emoti-onale Reaktionen einfangen und so regulieren, dass das „Fass“ am Ende einer Sitzung soweit wieder geschlossen ist, dass der Klient wieder in seinen Alltag entlassen werden kann.

    Im Businesskontext existiert eine große Skepsis vor Interventionen, die stark therapeutisch wirken, wie zum Beispiel der systemischen Organisa-tionsaufstellung oder Elementen der Hypnose oder Trance sowie Medita-tionen und Traumreisen. Diese Techniken wollen vor allem die Emotionen ansprechen und einen (spirituellen) Zugang zu sich selbst und den eige-nen Ressourcen ermöglichen. Emotionen spielen im Coaching fast immer eine große Rolle. Nicht jedes Problem lässt sich nur durch kognitive Ein-sicht lösen. Es hängt sehr viel von der persönlichen Reife des Coaches ab, ob er emotionalen Reaktionen des Klienten gewachsen ist.

    Umso wichtiger ist es, dass (Business)Coaches eine entsprechende Ausbildung absolvieren. Wenn sich der Coach im Rahmen seiner Aus-bildung vor allem intensiv mit sich und seinen eigenen Mustern ausein-andergesetzt hat, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, sich selbst und sein Wertesystem distanziert betrachten zu können und sich nicht emotional mit dem Klienten zu verstricken. Migge (2011) ist davon überzeugt, dass seriöse Coaches eine Selbsterfahrung durchlaufen haben müssen, um vor allem die eigenen „Begrenzungen, Möglichkeiten und Muster kennen-zulernen“ (Migge 2011, S. 15).

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    Des Weiteren sollten Coaches eine solide Grundkenntnis der Psychothe-rapie erworben haben, um psychische Störungen beim Klienten erkennen zu können und auch, um einschätzen zu können, welche Wirkungen die jeweilige Intervention erzeugen kann.

    Bei diesem Coachingverständnis geraten interne Businesscoaches schnell an ihre Grenzen. Wenn Kenntnisse in der Psychotherapie eine Vor-rausetzung für Coaching darstellen, dann kommt schnell die Befürchtung auf, übergriffig zu werden und seine Zuständigkeiten zu überschreiten. Dieser Gedanke ist absolut angemessen und nachvollziehbar. Deswegen braucht es für interne Businesscoaches auch einen anderen Maßstab, der angibt, in welcher Form und zu welchen Anlässen und Fragestellun-gen internes Coaching überhaupt ein geeignetes Werkzeug ist.

    Das Ausbildungsangebot für angehende (Business)Coaches bereitet die Teilnehmer auf eine Tätigkeit als externe Coaches vor. Meiner Erfahrung nach können die meisten Absolventen, die sich nach der Coachingausbil-dung weiterhin in einem Beschäftigungsverhältnis als Führungskraft oder Personalmanager befinden, das Gelernte nur selten anwenden. Zu groß sind die Hemmungen, mit einem Kollegen in einem Eins-zu-Eins-Setting in die Tiefe zu gehen und das Gegenüber auch mit seinen destruktiven Seiten zu konfrontieren. Man möchte ja nochmal entspannt zusammen Mittag essen gehen können. Im Zweifel können interne Coaches auch eine hundertprozentige Verschwiegenheit nicht garantieren. Die eigene Abgrenzung zum jeweiligen Coachinganlass verlangt viel von internen Coaches, wenn sie in erster Linie ihrem Arbeitgeber verpflichtet sind. Für interne Businesscoaches braucht es aus meiner Erfahrung solide Grund-kenntnisse in folgenden drei Bereichen:

    1. Coaching-Ethik (siehe Abschnitt 3.3.2)

    2. Grundlagen der Systemtheorie und der systemischen Perspektive (siehe Kapitel 4)

    3. Coachingtechniken:

    – Fragetechniken (siehe Abschnitt 4.1)

    – Musterunterbrechung – ein Grundverständnis von komplexen Interaktionsmustern (siehe Abschnitt 4.3)

    – Visualisierungstechniken (siehe Abschnitt 4.4)

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    3.3.1 Coachinganlässe

    Im Businesskontext gibt es zahlreiche rote Anlässe, für die Coaching ein geeignetes Setting darstellt. Für die folgenden Anlässe ist ein tiefenpsy-chologisches Wissen nicht zwingend notwendig, wie zum Beispiel:

    – rein fachliche / strategische / taktische Fragestellungen,

    – die kurzfristige Arbeit an beruflichen Zielen oder komplexen Entschei-dungssituationen,

    – Karriereplanung und Standortbestimmung,

    – Teamzusammensetzung und Aufgabenverteilung,

    – Mitarbeiterführung, zum Beispiel Vorbereitung auf ein kritisches Gespräch,

    – akute Konflikte mit Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten oder im gesamten Team.

    Diese Anlässe sind gleichermaßen für externe, wie interne Business-coaches geeignet und können mit soliden Frage- und Visualisierungs-techniken lösungsorientiert bearbeitet werden. Eine Herausforderung für interne Coaches stellen vor allem die ethischen Bedingungen dar, die ein externer Coach, wenn er professionell arbeitet, stets berücksichtigen muss und in der Regel auch problemlos einhalten kann.

    3.3.2 Coaching-Ethik

    Der deutsche Fachverband Coaching (DFC) sieht die folgenden ethi-schen Grundsätze als Bedingungen für ein erfolgreiches Coaching (vgl. Migge 2014, S. 32):

    – Coaching ist herrschaftsfrei und freiwillig: Coaching ist keine Führung und findet außerhalb eines Rahmens von Abhängigkeit oder Führung statt.

    – Coaching ist prozesshaft: Coaching ist keine Fach- oder Expertenbe-ratung. Coaching befähigt Klienten dazu, selber zu entscheiden, ver-tieft zu reflektieren und zu handeln.

    – Coaching ist vertrauensvoll und verschwiegen: Coaching bedarf eines vertrauensvollen, freiwilligen Rahmens.

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    – Coaching ist unabhängig: Der Coach verfolgt lediglich das Ziel, Klien-ten zur Verwirklichung ihrer Ziele zu befähigen. Der Coach darf hierbei nicht abhängig oder durch Fremdinteressen oder wirtschaftliche Not gesteuert sein.

    – Coaching ist dialogisch und interaktionell: Coaching entwickelt sich in einer authentischen Begegnung zweier Menschen, nicht durch einen Vortrag, Training oder Tools.

    Personalmanager, die bereits eine Coachingausbildung absolviert haben, befinden sich häufig in dem Dilemma, die Ethikstandards im Unterneh-menskontext nicht absolut gewährleiten zu können. Insbesondere die Freiwilligkeit, Verschwiegenheit und Unabhängigkeit stellen interne Coa-ches vor große Herausforderungen, gerade wenn die Geschäftsführung und Führungskräfte wenig über diese Ethikstandards und ihre Notwendig-keit wissen, wie das folgende Praxisbeispiel verdeutlichen soll:

    Die Geschäftsführung eines internationalen Konzerns befürchtet, mit der Belegschaft die Herausforderungen der Zeit nicht meistern zu können. Vor allem die langjährigen Mitarbeiter hätten es sich in der berühmt-be-rüchtigten „Komfortzone“ so gemütlich gemacht, dass niemand mehr Verantwortung übernehmen wolle. Sie seien zu risikoscheu und zu passiv. Kreativität und frische Ideen? Fehlanzeige! Der Geschäftsführer weiß, dass eine der Personalmanagerinnen vor Jahren vom Unterneh-men eine Coachingausbildung finanziert bekommen hat und beauftragt diese, mit den Führungskräften der zweiten Ebene in Einzelgesprächen die jeweilige Ist-Situation zu besprechen und mit Coaching Lösungen zu erarbeiten, wie die Führungskräfte ihre Teams auf die Anforderungen einer digitalisierten Arbeitswelt vorbereiten können.

    Der Geschäftsführer hat konkrete Vorstellungen, wie dieser Coachingpro-zess ablaufen soll. Als erstes werden alle Führungskräfte im Namen der Geschäftsführung und der Personalabteilung zu einem Einzelcoaching eingeladen. Dieses Einzelcoaching ist ein Pflichttermin für die Führungs-kräfte, den sie im 2. Quartal des laufenden Geschäftsjahres umsetzen müssen. Die Personalmanagerin protestiert, dass Coaching kein Pflicht-termin sein dürfe, die Einladung müsse als freiwilliges Angebot kommu-niziert werden. „Ach da kommt doch keiner. Wir machen das auf meine Weise, vertrauen Sie mir“, argumentiert der Geschäftsführer. Die Perso-nalmanagerin interveniert ein weiteres Mal und versucht, ihren Chef, den Personalleiter, davon zu überzeugen, dass dieses Vorgehen mit Coaching

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  • Der Personalmanager als interner Businesscoach 8.105

    PersonalEntwickeln 220. Erg.-Lfg., August 2017 8.105 Seite 25

    nicht mehr viel zu tun habe. Der Personalleiter hält Rücksprache mit dem Geschäftsführer und lässt sich davon überzeugen, dass das Coaching ein Pflichttermin zu sein hat. Die Personalmanagerin gibt nach.

    Als die ersten beiden Gespräche mit den Führungskräften erstaunlich offen und lösungsorientiert verlaufen sind, ist die Personalmanagerin optimistisch gestimmt, dass sie trotz Pflichtterminen einen wertvollen Beitrag für die Führungskräfte und das Unternehmen leisten kann.

    Als die Führungskräfte nach und nach beginnen, mit ihren Teams die geplanten Vorhaben umzusetzen, beispielsweise der gemeinsame Besuch einer Open-Space-Konferenz, um Selbstorganisation live zu erleben, oder das neu eingeführte „Daily-Stand-up“, um die Kommunika-tion im Team zu verbessern, werden die Führungskräfte der ersten Ebene allmählich unruhig. Sie wenden sich nach und nach an die Personal-abteilung, um herauszufinden, was denn da mit ihren Führungskräften besprochen wurde, wo das hinführen soll und wer das alles genehmigt hat. Der Personalleiter verspricht im Rahmen eines Meetings, den Füh-rungskräften der ersten Ebene die Dokumentation der Einzelgespräche zukommen zu lassen.

    Als die Personalmanagerin den Auftrag ihres Chefs erhält, die Gesprächs-dokumentationen an die jeweiligen Vorgesetzten zu mailen, ist ihr Entset-zen groß. Sie gibt zu bedenken, dass die Führungskräfte im Gespräch sehr offen zu ihr waren, und das nur, weil sie ihnen garantiert habe, dass das Besprochene nicht nach außen dringt. Wie sie darauf käme, solche Versprechungen zu machen, fragt der Personalleiter seine Mitarbeiterin. Ihr müsse doch klar gewesen sein, dass die Führungskräfte der ersten Ebene und auch die Geschäftsführung ein Anrecht darauf hätten zu erfahren, was die Führungskräfte beschäftigt und was sie zu tun geden-ken, um ihre Teams auf Kurs zu bringen. Auch dieses Mal gibt die Perso-nalmanagerin mit großen Bauchschmerzen nach. Die letzten Pflichtter-mine absolviert die Personalmanagerin mit den Führungskräften in einer Dienst-nach-Vorschrift-Haltung. Die Aussagen der Führungskräfte wirken gebrieft. Sie hört immerzu, dass eigentlich alles in bester Ordnung sei.

    Dieses Beispiel zeigt, in welch ungünstige Lage interne Coaches kom-men können, wenn das Wissen über Coaching und in welchem Rahmen es ein sinnvolles Werkzeug ist, nicht ausreichend in der Organisation vor-handen ist.

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  • 8.105 Der Personalmanager als interner Businesscoach

    PersonalEntwickeln 8.105 Seite 26 220. Erg.-Lfg., August 2017

    Fischer-Epe (2015, S. 26) vergleicht die Chancen und Risiken interner und externer Coaches in der folgenden Tabelle:

    Externer Coach Interner Coach (z.B.

    Personalmanager)

    Führungskraft als Coach

    Aufgabe Prozessuale, anlassbezogene Beratung von Fach- und Füh-rungskräften

    Prozessuale/situa-tive Beratung von Führungskräften und Projektverantwortli-chen sowie Mitarbei-tern aller Ebenen

    Führungsaufgabe und Führungsstil: Fördern und fordern der Mitarbeiter

    Chan-cen

    Neutralität, Diskretion, Augenhöhe, andere / Außen- Perspektiven, ggf. spezielle Expertise

    Fach- und Feld-kenntnis, Einbettung in Maßnahmen der internen Personal-entwicklung, immer ansprechbar vor Ort

    Fach- und Feld-kenntnis, Transfer-nähe, natürliche Gesprächssituation, meistens ansprech-bar vor Ort

    Risiken Fehlende Fach- und Feldkompetenz, Terminfindung, wenn Unterstüt-zung im Moment gebraucht wird

    Fehlende Akzeptanz, gegenseitige Abhän-gigkeit, Augenhöhe und Freiwilligkeit fraglich, Betriebs-blindheit, systemi-sche Verstrickung

    Fehlende Neu-tralität, fehlende Gesprächskom-petenz, nicht auf Augenhöhe, Frei-willigkeit fraglich, Betriebsblindheit, systemische Verstri-ckung

    Tab. 2: Chancen und Risiken internen und externen Coachings

    Um die Chancen als interner Coach zu nutzen und die Risiken zu minie-ren, benötigen Personalmanager das Bewusstsein und die Fähigkeit, sowohl die Organisation als lebendiges System und die Menschen wie sich selbst aus einer Distanz heraus beobachten zu können. Dafür braucht es ein Verständnis davon, wie Kommunikations- und Interaktionsmuster entstehen, ob diese konstruktiv oder destruktiv wirken, wie menschliche Psychen miteinander agieren und sich im Rahmen des vorgegebenen Kontextes verhalten. Personalmanager brauchen dafür die persönliche

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  • Der Personalmanager als interner Businesscoach 8.105

    PersonalEntwickeln 220. Erg.-Lfg., August 2017 8.105 Seite 27

    Reife, komplexe Situationen, Konflikte und widersprüchliche Zustände differenziert betrachten zu können, und sich nicht dem Druck zu beugen, schnelle, einfache Antworten zu liefern.

    3.3.3 Coaching „en passant“

    Das folgende Fallbeispiel beschreibt den Wirkungsgrad interner Coaches und die Chance, nachhaltige Lösungen zu generieren:.

    Simone Peters ist die disziplinarische Führungskraft eines siebenköpfi-gen Teams. Ihr Mitarbeiter Dieter Schröder wurde in Folge einer Restruk-turierung aus dem Team heraus zur fachlichen Führungskraft des Teams ernannt. Frau Peters und Herr Schröder teilen sich nun die Führungsver-antwortung, dennoch ist Frau Peters nach wie vor die disziplinarische Vorgesetzte auch von Herrn Schröder. Diese geteilte Führungsverantwor-tung erzeugt zunehmend Konflikte, weswegen sich Frau Peters an die Personalabteilung wendet, um eine Unterstützung für die Konfliktlösung anzufragen.

    Der zuständige Personalmanager schaut in seinen Instrumentenkoffer und will Frau Peters damit weiterhelfen, beispielsweise eine Offsite-Team-entwicklungsmaßnahme zu buchen. Hier sollen die internen Konflikte im Team mit einem Trainer für gewaltfreie Kommunikation in einem Semi-narhotel mit Seeblick bearbeitet und der Teamgeist bei der Überquerung des Sees mit einem selbstgebauten Floß gestärkt werden.

    Ein klassisches Vorgehen, das das hochgradig rote Problem im Team von Frau Peters mit einem blauen Standard-Instrument zu lösen versucht, dem Kommunikationstraining mit Erlebnisfaktor. Der kausale Schluss, der hier gezogen wird, ist laut Vollmer (2014) ein „Wrong turn“. Er besagt, dass die Annahme „wenn man nur weiß, wie man gewaltfrei kommuniziert und dazu auch noch ein vertrauensvolles Miteinander beim Floßbau ent-steht, dass das Vertrauen dadurch auch am Arbeitsplatz entsteht und die Konflikte sich auflösen“, als kausaler Schluss falsch ist. Es ist nicht ausge-schlossen, dass sich nach dem Training im Team von Frau Peters irgend-was verändert, doch was genau, kann im Vorfeld nicht gesteuert werden. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird jedoch alles beim Alten bleiben. Denn die Zusammenarbeit am Arbeitsplatz ist eben etwas vollkommen ande-res, als eine harmonische Zeit im Seminarhotel und beim Floßbau zu verbringen.

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  • 8.105 Der Personalmanager als interner Businesscoach

    PersonalEntwickeln 8.105 Seite 28 220. Erg.-Lfg., August 2017

    Viele Menschen machen im Privaten die Erfahrung, dass der mitgebrachte Rotwein, den man jeden Abend im Urlaub an der Côte d´Azur genossen hat, im heimischen Wohnzimmer ohne Meerblick und Sonnenuntergang gar nicht mehr so unwiderstehlich schmeckt. Auch wirken die geflochtenen Armbändchen, die man sich in der kleinen süßen Strandboutique gekauft hat, im herbstlichen Deutschland deplatziert. In der Regel verschwinden sie für immer im Schmuckkästchen. Rotwein und Flechtschmuck können theoretisch auch in der Heimat überzeugen, aber die Stimmung, die man im Urlaub mit diesen Artefakten verbunden hat, kann selten in den Alltag mitgenommen werden.

    Zurück zum Fallbeispiel: Der Personalmanager hat noch andere Mög-lichkeiten, um Frau Peters zu beraten. Er könnte sie spontan zu einem Gespräch einladen:

    Personalmanager: „Seit wann besteht der Konflikt?“

    Frau Peters: „Seit entschieden wurde, dass Dieter die fachliche Führung des Teams übernimmt.“

    Personalmanager: „Was hat sich seitdem verändert?“

    Frau Peters: „Mein Führungsstil ist eher kollegial und Dieters eher Top down. Wenn ich höre, in welchem Ton Dieter mit unseren Leuten spricht, bekomme ich eine Gänsehaut. So kann man doch nicht mit erwachsenen Menschen umgehen, oder?“

    Personalmanager: „Wie reagieren die Mitarbeiter auf diese Veränderung?“

    Frau Peters: „Ich habe das Gefühl, dass die meisten damit erstaunlich wenig Probleme haben. Also die wehren sich halt, wenn es zu viel wird. Sie kennen Dieter ja auch schon seit ein paar Jahren als Kollegen und da war er auch nicht immer einfach. Ich denke, man mag Dieter oder man mag ihn eben nicht. Er ist nicht der Typ, der Everybody`s Darling sein will.“

    Personalmanager: „Weshalb glaubst du, ist Dieter in diese Führungsrolle gekommen?“

    Frau Peters: „Hm, vielleicht genau deswegen? Weil er fachlich sehr gut aufgestellt ist und es aushalten kann, wenn die Leute anderer Meinung sind als er? Aber trotzdem will ich nicht, dass so ein Bestimmerton in meinem Team herrscht.“

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  • Der Personalmanager als interner Businesscoach 8.105

    PersonalEntwickeln 220. Erg.-Lfg., August 2017 8.105 Seite 29

    Personalmanager: „Weiß Dieter eigentlich, wie du über sein Verhalten in der neuen Rolle denkst?“

    Frau Peters: „Ich bin ja ständig in Meetings und in der Zentrale in Zürich. Deshalb ist Dieter ja der Ansprechpartner vor Ort für alle fachlichen The-men. Aber nein, ich habe noch nicht mit ihm gesprochen, wenn du darauf hinauswillst.“

    Personalmanager: „Ist es nur die Zeit, die dich davon abhält oder noch etwas anders?“

    Frau Peters: „Zeit muss man sich nehmen, mit dir spreche ich jetzt ja auch gerade. Naja, wenn ich ehrlich bin, ich hatte schon immer Schwierigkei-ten gegenüber Dieter im Gespräch zu bestehen. Er überrollt einen dann regelrecht. Es ist nicht leicht, mit ihm ruhig und konstruktiv zu sprechen.“

    Personalmanager: „Fällt es nur dir nicht leicht mit ihm ruhig und kons-truktiv zu sprechen oder würden die anderen im Team das genauso beschreiben?“

    Frau Peters: „Ja, das stimmt. Mir fällt es schwer, sehr schwer sogar.“

    Personalmanager: „Dann geht es also nicht um einen Konflikt in deinem Team, sondern um ein Verhalten, das dich bei Dieter stört?“

    Frau Peters: „Ja, ich habe ein Problem mit seinem Verhalten und ich befürchte, dass er mich nicht respektiert.“

    Personalmanager: „Woran machst du das fest?“

    Frau Peters: „Er kritisiert mich vor dem Team und fällt Entscheidungen im Alleingang. Das lässt mich nicht gut aussehen.“

    Personalmanager: „Was unternimmst du dagegen?“

    Frau Peters: „Was soll ich denn da machen?“

    Personalmanager: „Wenn du weiterhin nichts unternimmst, was würde dann passieren?“

    Frau Peters: „Die Geschäftsführung, das Team, Dieter und vermutlich auch ich würden sich irgendwann die Frage stellen, was meine Rolle überhaupt ist. Welchen Mehrwert biete ich eigentlich?“

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  • 8.105 Der Personalmanager als interner Businesscoach

    PersonalEntwickeln 8.105 Seite 30 220. Erg.-Lfg., August 2017

    Personalmanager: „Welchen Mehrwert möchtest du denn gerne bieten? Wie soll deine Rolle aussehen, damit du auch in der neuen Doppelspitze einen Beitrag leistest?“

    Frau Peters: „Puh, darüber muss ich mir Gedanken machen.“

    Personalmanager: „Was hältst du davon, wenn wir das hier erstmal sacken lassen und uns nächste Woche noch mal hier zusammensetzen und schauen, was du dir bis dahin überlegt hast?“

    Frau Peters: „Finde ich eine gute Idee. Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast. Mir wäre es sehr lieb, wenn das alles hier unter uns bleiben könnte.“

    Personalmanager: „Das ist selbstverständlich.“

    Was ist hier passiert? Der Personalmanager hat 20 Minuten seiner Zeit in ein Gespräch investiert, bei dem die Einsicht gewonnen werden konnte, wo genau und zwischen wem der Konflikt eigentlich besteht. In der ers-ten Variante, dem Teamtraining im Seminarhotel, wären alle Teammitglie-der involviert gewesen, doch Frau Peters hätte ihr eigenes Problem in dem Setting nicht lösen können, vermutlich hätte sie es gar nicht selbst erkannt. Durch die mehrperspektivischen Fragen des Personalmanagers konnte das dahinterliegende Problem sichtbar werden, sodass die Füh-rungskraft zumindest einen Ansatzpunkt für sich gefunden hat, den Kon-flikt zu bearbeiten.

    Die Führungskraft wurde in dem Beispiel gecoacht, sie wurde nicht ein-fach beraten á la „na dann sprich doch mal mit Dieter, ihr müsst das halt klären“. Der Personalmanager hat weder Frau Peters, noch den Kollegen oder den Konflikt an sich bewertet. Frau Peters kam selbst zu einer wich-tigen Erkenntnis, die sie einen Schritt weitergebracht hat. Nicht an einer Stelle ist das Wort Coaching gefallen und trotzdem wurde gecoacht.

    Meine Empfehlung ist, dass Personalmanager als interne Coaches ein-fach coachen, aber es nicht offiziell so benennen sollten. Dafür habe ich den Begriff „Coaching en passant“ erfunden. Jeder, der Coachingtechni-ken beherrscht, kann diese anwenden, wann immer es sinnvoll ist. Das kann in einem Gespräch in der Mittagspause sein, im offiziellen Vier-Au-gen-Gespräch oder auch mit der befreundeten Kollegin, die gerade über den Job lästert und man eben nicht einfach mitlästert, sondern eine neue Perspektive anbietet, wenn das angebracht erscheint.

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  • Der Personalmanager als interner Businesscoach 8.105

    PersonalEntwickeln 220. Erg.-Lfg., August 2017 8.105 Seite 31

    Hätte der Personalmanager offiziell angeboten: „Was hältst du davon, wenn ich dich bei dem Thema coache, morgen um 8 Uhr?“, wäre das sich so spontan ergebende Gespräch zu etwas Offiziellem geworden. Frau Peters hätte sich vermutlich im Vorfeld viele Gedanken gemacht und sich im Gespräch gefragt, was das Ziel vom Personalmanager ist und ob sie ihm vertrauen kann. „Coaching en passant“ passiert einfach ohne großes Getue und wirkt dadurch sehr authentisch. Selbstverständ-lich müssen alle ethischen Voraussetzung auch hier eingehalten werden. Meiner Erfahrung nach fällt das sogar deutlich leichter. Denn „Coaching en passant“ ist nicht offiziell und somit kein Personalentwicklungsinstru-ment, das nach zuvor definierten Kriterien eingesetzt und später sogar evaluiert wird.

    Als externer Coach führt man ein Vorabgespräch mit dem Klienten, in dem es vor allem um das Matching zwischen Coach und Klient geht. Ein exter-nes Coaching ist im Business-Kontext immer offiziell. Immerhin wurde das Coaching beantragt und genehmigt und vom Arbeitgeber finanziert. Es wissen also mindestens die jeweilige Führungskraft und die Personalab-teilung davon, in vielen Fällen auch der Einkauf oder die Buchhaltung, die die Rechnung bezahlt. Es werden entsprechende Erwartungen an das Coaching gelegt. Es soll sich schließlich etwas verändern. Der Klient ist nicht selten nervös beim Kennenlerntermin. Der Coach hat die Aufgabe, ihm seine Fragen zu beantworten, transparent aufzuführen, was der Kli-ent erwarten kann und was nicht und ihm mögliche Befürchtungen zu nehmen. Wenn eine Grundsympathie vorhanden ist, besteht die Chance auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Und in vielen Fällen ist es absolut sinnvoll, externe Coaches als Unterstützung mit ins Boot zu holen.

    Je nach personeller Auslastung kann es eine Personalabteilung auch gar nicht leisten, permanent in offizielle Coachings involviert zu sein. Der-artige Situationen wie im Bespiel oben sind jedoch Gelegenheiten, in denen „Coaching en passant“ viel schneller Lösungsansätze in komple-xen Situationen bieten kann. Nicht bei jedem kleinen Konflikt muss gleich ein externer Experte gerufen werden, der sich mühsam in die Strukturen und Muster des Unternehmens einfinden muss. Es ist jedoch nicht aus-geschlossen, dass im Beispiel von Frau Peters ab einem gewissen Punkt trotzdem ein externer Coach dazu geholt wird.

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  • 8.105 Der Personalmanager als interner Businesscoach

    PersonalEntwickeln 8.105 Seite 32 220. Erg.-Lfg., August 2017

    4 Coachingtechniken

    Eine fragende Grundhaltung im Coaching einzunehmen, ist das erste Kriterium, das den Prozessberater vom Expertenberater unterscheidet. Es gibt verschiedene Coachingansätze, die alle gemein haben, dass sie einen Lösungsfokus einnehmen und dazu beitragen wollen, die Selbstre-flexionsfähigkeit und Selbstwirksamkeit des Klienten zu steigern. Jeder Ansatz erfolgt dabei aus der fragenden Haltung heraus (vgl. Schein 2013).

    Wenn man sich mit der Denkschule des Konstruktivismus befasst, kann man sich die Frage stellen, wieso man nur im Coaching oder in der The-rapie eine fragende Haltung einnehmen sollte und nicht grundsätzlich, wenn man sich mit Menschen beschäftigt. Vertreter des Konstruktivismus gehen davon aus, dass jeder Mensch in seiner Vorstellung ein ganz eige-nes Modell der Welt besitzt. Diese subjektive Vorstellung von der Welt ist weder objektiv für alle gleich noch im allgemeinen Sinne wahr. Subjektive Wahrnehmung ist ein aktiver Konstruktionsprozess, der durch die indivi-duellen Lebenserfahrungen des betrachtenden Subjekts beeinflusst wird. Der Grundgedanke des Konstruktivismus ist, dass objektive Erkenntnis unmöglich ist, weil sie eben immer an das erkennende Subjekt gebunden ist (vgl. Fischer- Epe 2015; Simon 2015).

    Der systemische Coachingansatz basiert auf der konstruktivistischen Theorie und besagt, dass „Menschen, ihr Verhalten, Erleben und ihre Ziele nur im Kontext ihrer sozialen Bezüge und Rollen sowie ihrer Kom-munikation und Interaktion“ (Fischer-Epe 2015, S. 28) verstanden werden können, wie folgendes Beispiel zeigen soll:

    Ein und dieselbe Person geht Freitagabend mit den Kumpels auf die Südtribüne ins Fußballstadion. Sie singt, grölt und jubelt 90 Minuten lang sehr ausgelassen. Am Samstagabend besucht die gleiche Person ein Konzert in der Philharmonie. Mit Anzug, Krawatte und einem Glas Sekt in der Hand tauscht sie sich im Foyer in einem kleinen intellektuellen Smalltalk über den Dirigenten aus. Das jeweilige Verhalten lässt sich nur im jeweiligen Kontext verstehen, den die Person vorfindet. Wer mit Anzug und Sektglas einen feingeistigen Austausch auf der Südtribüne zu füh-ren versucht, muss damit rechnen, auf brutale Weise in seine Schran-ken verwiesen zu werden. Systemtheoretisch wird dieses Phänomen als „Anschlussfähigkeit“ bezeichnet. Das Verhalten muss anschlussfähig an das jeweilige System, an den Kontext sein. Wenn es das nicht ist, dann

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  • Der Personalmanager als interner Businesscoach 8.105

    PersonalEntwickeln 220. Erg.-Lfg., August 2017 8.105 Seite 33

    sorgt das jeweilige System (Sportstadion oder Konzertsaal) dafür, dass man aus dem System rausgeworfen wird, wenn man nicht bereit ist, sich anzupassen. Würde die gleiche Person in der Philharmonie nach jedem Stück enthusiastisch Beifall klatschen, dabei auf den Fingern pfeifen und andere zu einer La-Ola-Welle anstacheln, ist es sehr wahrscheinlich, dass ein Ordner dieser Person ein Hausverbot erteilt. Die meisten Men-schen wissen, wie man sich wo zu verhalten hat, um möglichst entspannt durch das Leben zu kommen. Dieses Wissen entstammt der Erziehung und Sozialisierung.

    Dieses Phänomen existiert natürlich auch in jedem Unternehmen. Der Kontext, den eine Organisation vorgibt, führt zu einem systemkompatiblen Verhalten derjenigen, die dort arbeiten. Das fängt mit der Kleiderordnung an. Ein Bankangestellter ist mit T-Shirt und Basecap im Bankkontext nicht anschlussfähig. Ein Anzugträger würde im hippen Start-up auch für große Irritationen sorgen. Neu eingestellte Mitarbeiter wissen schon nach kurzer Zeit, was in ihrem Unternehmen geht und was nicht, mit wem man spre-chen muss und wen man besser meidet. Bevor sich die Geschäftsfüh-rung also über das Mindset der Mitarbeiter beklagt, sollte der vorhandene Kontext in Augenschein genommen werden, der das jeweilige Mindset hervorbringt, bestätigt und anzieht. Denn es scheint genau das richtige Mindset für das bestehende System zu sein. Wäre das Mindset nicht anschlussfähig gewesen, hätte es sich nicht etablieren können.

    Da Menschen sich kontextabhängig verhalten, lässt sich das Zusammen-spiel von Menschen in Organisationen erst vor dem Hintergrund bestehen-der Strukturen, Hierarchien, Aufgaben, Grenzen oder Regeln begreifen. Der Kern der systemischen Betrachtungsweise ist, dass lineares Kausal-denken (wenn-dann) zugunsten eines zirkulären Denkens aufgeben wird. In komplexen lebendigen Systemen gibt es keine Täter und Opfer oder Aktionen, die auf eine eindeutige Ursache zurückgeführt werden können. Es gibt nur Prozesse und Interaktionsmuster, die einander bedingen und im gegebenen Kontext einen eigenen Sinn ergeben, also anschlussfähig sind. Daher wird im systemischen Coaching eine „mehrperspektivische“ Betrachtungsweise gefördert (vgl. Fischer-Epe 2015). Der systemische Ansatz möchte der Komplexität der Fragestellungen gerecht werden und Interaktionen in ihrer Wirkung und Wechselwirkung verstehen, um daraus angemessene Lösungen zu erarbeiten.

    Die folgende Tabelle bietet eine Zusammenstellung von Aussagen über die Haltung der konstruktivistisch-systemischen Theorie:

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  • 8.105 Der Personalmanager als interner Businesscoach

    PersonalEntwickeln 8.105 Seite 34 220. Erg.-Lfg., August 2017

    Konstruktivistische Theoriegrundlagen

    Systemische Theoriegrundlagen

    Niemand kann objektiv beobach-ten – Beobachter sind Teil ihrer Beobachtung – mit jeder Sicht-weise, die wir als Coach einbringen, kommen unsere höchst subjektiven Einstellungen zutage.

    Systemisches Denken ist ziel-, nicht ursachen- und vergangenheitsori-entiert – das Problem hat nichts mit der Lösung zu tun.

    Menschen „sind“ nicht, sondern sie „verhalten“ sich – sie können sich im nächsten Augenblick auch ganz anders verhalten und sich „als neuen Menschen“ präsentieren.

    Systemisch denken heißt zirkulär denken – alles hat wechselseitig Einfluss aufeinander. Es gibt daher keine eindeutigen „Ursachen“ oder „Schuldigen“, sondern nur Beteili-gungen unterschiedlicher Art und Ausmaßes.

    Probleme entstehen durch prob-lemhafte Beschreibungen, Erklä-rungen und Bewertungen – wenn es uns gelingt, eine neue Beschrei-bung, Erklärung oder Bewertung einzuführen, kann das Problem bereits dadurch gelöst werden.

    Menschen denken in ihren urei-genen Mustern – als Coaches unterstützen wir dabei, weniger hilf-reiche Denkmuster beim Klienten zu unterbrechen bzw. neue zu finden.

    Wir können die Probleme anderer weder verstehen noch lösen – wir sollten stets davon ausgehen, dass die Probleme des Klienten in einer Sprache präsentiert werden, die wir nicht verstehen.

    Problemlösungen können durch hilfreiche Verstörung von außen angeregt werden – wir übernehmen als Coach stets die Verantwortung für die Intensität und Art der Verstö-rung.

    Probleme bedürfen angemesse-ner Anerkennung, Akzeptanz und Wertschätzung – daher sollten wir Probleme nie als „klein“, „unbe-deutend“ oder „nicht existierend“ disqualifizieren.

    Systemische Arbeit bedeutet Prozessarbeit – der Klient bleibt Experte für die Inhalte (Problem- und Lösungswelt), während der Coach für die Gestaltung des Pro-zesses verantwortlich ist.

    Tab. 3: Konstruktivistische und systemische Theoriegrundlagen (vgl. Radatz 2013, S. 78 ff.)

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  • Der Personalmanager als interner Businesscoach 8.105

    PersonalEntwickeln 220. Erg.-Lfg., August 2017 8.105 Seite 35

    Vor diesem Hintergrund sind die enormen Anstrengungen in Unterneh-men erstaunlich, Objektivität in der Leistungsbeurteilung der Mitarbeiter herzustellen, wenn objektive Erkenntnis ohnehin nicht möglich ist. In der tayloristischen Fabrik ist objektive Leistungsmessung keine große Her-ausforderung. Wie viele Teile ein Arbeiter am Fließband in welcher Zeit herstellt, lässt sich leicht berechnen. Zahlen sind objektiv. Ob jemand hin-gegen als Wissensarbeiter mehr Kreativität zeigen sollte, sich als team-fähig und kommunikativ erweist oder nicht, ist hochgradig subjektiv in der Bewertung und darüber hinaus vom jeweiligen Kontext abhängig, in dem sich Menschen aufhalten. Deshalb ist es ratsam, Menschen und allen anderen lebendigen Systemen stets mit einer fragenden Grundhaltung zu begegnen und vorschnelle Bewertungen und Urteile zu vermeiden.

    4.1 Fragetechniken

    Coaching lebt vom Fragen und der Coach ist ein Experte für Fragen. Mit gezielten Fragen lädt der Coach dazu ein, die gewohnten Denkbahnen zu verlassen und sich auf die Suche nach neuen, bisher noch nicht gedach-ten Antworten zu begeben, was sich in komplexen Umwelten anbietet.

    Die fragende Haltung bietet jedoch nur dann einen Mehrwert, wenn der Coach die Antwort auf die Fragestellung tatsächlich selbst nicht kennt und auch keine eindeutige Meinung dazu hat. Wenn dem doch so ist, dann würden wir uns im blauen Bereich befinden, weil es offenbar vorhan-denes Wissen zur Beantwortung der Frage gibt. Wenn Personalmanager in einer Gesprächssituation ein Gegenüber zu einem bestimmten Thema „befragen“, und die Antwort oder die Lösung bereits kennen, dann soll-ten sie die fragende Haltung verlassen, denn dann brauchen sie nicht zu coachen. Mit der fragenden Haltung in einem nicht ergebnisoffenen Sach-verhalt zu agieren, schafft eine künstliche Situation, die eher an Theater erinnert als an Coaching, wie folgender Dialog zeigt:

    Führungskraft: „Im Grunde ist alles klar. Ich bin nur nicht sicher, ob Dr. Krüger uns dabei unterstützen wird.“

    Personalmanager: „Wie können Sie mehr Sicherheit gewinnen?“

    Führungskraft: „Wir sollten ihn vielleicht früher miteinbeziehen. Ich denke, ich werde ihn anrufen.“

    Personalmanager: „Was versprechen Sie sich davon?“

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  • 8.105 Der Personalmanager als interner Businesscoach

    PersonalEntwickeln 8.105 Seite 36 220. Erg.-Lfg., August 2017

    Führungskraft: „Naja, dass er eben frühzeitig miteinbezogen wird und uns unterstützt. Oder wie meinen Sie das?“

    Personalmanager: „Ich habe gestern Abend mit Dr. Krüger gesprochen. Die Finanzierung hat sich von seiner Seite aus erledigt.“

    In diesem Fall wäre es sinnvoller gewesen, der Führungskraft nicht fra-gend zu begegnen, sondern sie direkt zu informieren. Der Personalmana-ger ist eindeutig inhaltlich in den Sachverhalt involviert und schafft durch die fragende Haltung eine künstliche Situation, die nicht auf Augenhöhe stattfinden kann, wenn einer von beiden einen Informationsvorsprung hat und den anderen zunächst im Dunkeln lässt. Ähnlich verhält es sich, wenn das Problem mit dem Expertenwissen des Personalmanagers gelöst wer-den kann, wie zum Beispiel in arbeitsrechtlichen Fragestellungen. Auch hier braucht es kein Coaching, sondern eine Expertenberatung. Ob sich Coaching oder Expertenberatung im Gespräch anbieten, entscheidet immer die Fragestellung. Dies kann in einem einzelnen Gespräch auch mehrfach wechseln.

    Im Coachinggespräch werden vor allem offene Fragen gestellt. Diese las-sen großen Spielraum für die Antworten und regen zur Exploration eines Themas an. Offene Fragen lösen Suchprozesse beim Gegenüber aus, geschlossene Fragen führen zu Entscheidungen und Klärungen. Die fol-gende Tabelle zeigt verschiedene Fragearten auf, die im Coaching ange-bracht sein können:

    Fragen Beispiele

    Klärende Fragen

    – signalisieren aktives Zuhören (Paraphrasieren),

    – dienen der Erkundung der Ansichten und des Anliegens des Klienten.

    „Habe ich Sie richtig verstanden, dass …“, „Sie sagten gerade, … ist das so?“, „Wenn ich das noch mal zusammenfassen darf, … stimmt das so?“

    Fragen zur Konkretisierung

    – Exploration der Bedeutung von Worten / Sätzen des Klienten,

    – Auflösen von Verzerrungen und Pauschalisierungen.

    „Was?“ „Wer?“ „Wann genau?“ „Wie genau?“ „Wer ist man?“ „Was bedeutet immer?“ „Gar nichts?“ „Keiner?“ „Nie?“ „Welche Ausnah-men gibt es?“

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  • Der Personalmanager als interner Businesscoach 8.105

    PersonalEntwickeln 220. Erg.-Lfg., August 2017 8.105 Seite 37

    Fragen Beispiele

    Ziele-Fragen

    – Intensivierung des Zielzustan-des,

    – Zielzustand sinnesspezifisch erleben.

    „Was möchten Sie erreichen? „Woran erkennen Sie, dass Sie Ihr Ziel erreicht haben? Woran merken es die anderen?“

    Zirkuläre Fragen

    – Ursprung in der systemischen Therapie,

    – mehrperspektivisch, ermöglicht die Betrachtung des Systems aus einer Außenperspektive.

    „Wie würde wohl die Projektleiterin die Situation einschätzen?“, „Was denken Sie, was es bei Frau Schrö-der auslöst, wenn sie sieht, wie Herr Mayer im Meeting von Ihnen übergangen wird?“

    Paradoxe / Verschlimmerungsfragen

    – sorgen für Provokation und Irritat