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Beispielanalyse und Interpretation Das Selbstverständnis der Aufklärer am Beispiel eines Fabelvergleichs – „Der Tanzbär“ (Gellert/Lessing)
Fabeln erreichten eine neue Blütezeit in der Epoche der Aufklärung (1720-‐1800), deren Ziel es war selbstbewusste und kritische Bürger zu "formen", sie zu belehren und aufzuklären. Genau in diesem Zeitalter entstanden die zwei Fabeln von Christian Fürchtegott Gellert und Gotthold Ephraim Lessing, die beide den selben Titel "Der Tanzbär" tragen. Bevor ich zum Vergleich der beiden Fabeln komme, möchte ich ganz kurz erläutern, warum es sich bei Fabeln handelt. Fabeln sind epische Erzählungen in Vers-‐ oder Prosaform mit lehrreichem Inhalt, in welchen personifizierte Tiere die Hauptrolle spielen. Den Abschluss von Fabeln bildet zumeist eine Moral, die oft eine Lebensweisheit beinhaltet. Es werden Andeutungen auf das menschliche Handeln und Denken, sowie auf die sozialen und gesellschaftlichen Probleme gemacht. Dies wird auch durch satirische Elemente und durch eine belehrende Erzählweise veranschaulicht. Viele dieser Elemente sind in den beiden Texten nachweisbar, wie zum Beispiel dass sie epische Texte in Versform darstellen, personifizierte Tiere, in diesem Fall Bären, enthalten, sowie auch, dass sie mittels einer Moral abgeschlossen werden, was ein sehr bedeutsames Merkmal einer Fabel ist. Auf den ersten Blick würde man meinen, dass beide Texte vom Gleichen handeln und die selbe Moral enthalten, da sie den gleichen Titel tragen, es stimmt aber nicht ganz, denn sie unterscheiden sich in der Handlung im Wesentlichen, außerdem ist die Moral jeweils eine ganz andere. In beiden Fabeln jedoch flieht ein Tanzbär aus der Gefangenschaft, worauf er zu seinen Gesellen in den Wald zurückkommt und anfängt von seinen Abenteuern zu erzählen (Vgl., Text 1: Z. 1-‐9/ Text 2: Z. 1-‐2). In Gellerts Fabel fängt der Bär während seiner Rede an zu tanzen, worauf ihm die anderen das mit Mühe nachmachen wollen, es aber nicht schaffen und dem Tanzbären unterstellen, er glaube, er wäre besser als sie: "Du Narr, willst klüger sein als wir?" (Z. 22) und ihn schließlich davonjagen (Z.23). Lessings Fabel hingegen stellt die Situation anders dar. Der Tanzbär provoziert die anderen Bären, indem er selbstbewusst seinen Tanz als "Kunst" (Z. 5) und als "Meisterstück" (Z. 3) bezeichnet. Daraufhin wird er von einem alten Bären brummend zum Gehen aufgefordert. Hier lässt sich schon ein deutlicher Unterschied zwischen den beiden Fabeln erkennen, denn in Gellerts Fabel wird der Tanzbär als gut, gegebenfalls als neutral dargestellt, und die anderen Bären werden als neidisch und schlecht gekennzeichnet. Ganz umgekehrt ist es jedoch in Lessings Version der Fabel. Da wird der Bär als provokant und eingebildet, als ein zu sehr von sich selbst überzeugter Charakter vorgestellt, wobei der alte Bär als gelassen dargestellt wird, da er auf die
Provokationen des Tanzbären nicht eingeht und ruhig bleibt. Man könnte meinen, es ist eine Gegenüberstellung von Gut und Böse, wobei die Rollen sich in den beiden Fabeln vertauschen. Die Moral der beiden Fabeln könnte sich kaum mehr unterscheiden, denn in Gellerts Variante liegt der Fokus mehr auf dem Neid der Artgenossen auf das Talent eines anderen, wobei hier die Formulierung: "Dem Ruhm folgt der Neid" (vgl. Z. 29ff.) ausgezeichnet zu passen scheint. Der Fokus in der Moral von Lessings Fabel liegt mehr auf dem höfischen Leben, wobei er hier ganz deutlich einen gesellschaftlichen Bezug herstellt, der ja in den Fabeln der Aufklärung generell hergestellt wird. Lessing betrachtet aber bereits im Fabeltext selbst die gesellschaftliche Position des Hofmanns kritisch (Z. 14-‐19), indem er den Hofmann als eine außerordentlich negative, man könnte schon sagen, verlogene Person darstellt. Das wird sichtbar durch ironisch gemeinte Andeutungen, wie z.B. die Bezeichnung "großer Hofmann" (Z. 13; 19), die im Zusammenhang mit negativen Begriffen deutlich erkennbar wird. Was jedoch ganz untypisch für eine Fabel ist, ist der Übergang von der Tierwelt in die gesellschaftliche menschliche Sphäre, welche in Lessings Fabel vorkommt. Der deutlich erkennbare Übergang dient zur Hervorhebung der Kritik an der Stellung des Hofmanns, oder gar am Adel selbst, der auch die Ständeordnung zu seinen Gunsten nutzte, denn die damalige Ständeordnung war unveränderlich, d.h., wenn man in einen Stand hineingeboren wurde, konnte man ihn nicht mehr verlassen, denn man war der Meinung, dass diese Ordnung Gottes Wille sei. Dies ist eines der Themen, die in zahlreichen Fabeln aufgenommen und satirisch bearbeitet wurden. Die Autoren der Aufklärung fanden zahlreiche gesellschaftliche Bezüge für ihre Kritik, die sich z.B. auf die damalige Herrschaftsform oder eben die Ständeordnung bezog. Europa war in der Zeit der Aufklärung in Fürstentümer aufgeteilt, die absolutistisch regiert wurden, was so viel bedeutet, als dass die Mitregentschaft der Stände, wie sie noch im Mittelalter vorgesehen war, an Bedeutung verlor, also dass der Monarch sich zu einem uneingeschränkten Alleinherrscher entwickelte. Er kontrollierte alle drei Staatsgewalten: Exekutive, Legislative und Judikative, d.h., es gab keine Gewaltenteilung. Legitimiert wird dieser Anspruch dadurch, dass der Monarch von Gott eingesetzt worden sei, und daher hatte auch niemand das Recht seine Position und Entscheidungsgewalt in Frage zu stellen. In ganz Europa steht die Epoche der Aufklärung im Zeichen des Bürgertums und seiner Auseinandersetzung mit dem Absolutismus, der den bürgerlichen Aufstieg zunächst förderte, dann hemmt. Die gesellschaftliche Schicht der Bürger in den Städten vor allem war ökonomisch aufgestiegen und verlangte nun auch politische Mitspracherechte. In England beginnen im Laufe des 18. Jh. die industrielle
Beispielanalyse und Interpretation Das Selbstverständnis der Aufklärer am Beispiel eines Fabelvergleichs – „Der Tanzbär“ (Gellert/Lessing)
Revolution und die Ausbildung der parlamentarischen Monarchie, die beide das Bürgertum in den Vordergrund treten lassen, da sie Mitsprache der Bürger im Parlament ermöglichten. In Frankreich wird seit 1789 auf revolutionärem Wege die Monarchie beseitigt. Der dritte Stand, und hier vor allem das Bürgertum bzw. Großbürgertum, ergreift die Macht. In Deutschland ist infolge der politischen Zersplitterung in viele absolutistisch regierte, kleine Staatsgebilde das bürgerliche Element in seiner politischen und wirtschaftlichen Entfaltung eingeengt. Trotz aller Hindernisse gewinnt auch im Deutschland des 18. Jahrhunderts das Bürgertum allmählich an wirtschaftlicher und kultureller Kraft. Gegenüber dem Barock (17. Jh.) wächst in der Aufklärung somit auch der Anteil bürgerlicher Autoren an der deutschen Literatur. Autoren wie Gottsched, Lessing, Lenz sind bürgerlich geprägte, selbstbewusste und gebildete Vertreter aufklärerischer Ideen. Denn für ihre Texte prägender noch als ihre Herkunft ist die bürgerliche Gesinnung der meisten Autoren. Dem Selbstverständnis der Aufklärer zufolge, geht es darum, dass jeder Einzelne sich seiner Vernunftfähigkeiten – also seiner logischen Denkfähigkeiten bewusst wird. Dies bedeutet auch, dass gerade Literaten diesen Leitaspekt in ihren Texten repräsentieren, im Sinne einer Erziehung des Menschen zu dieser Mündigkeit. Somit besteht die Gesinnung der bürgerlichen Autoren in der Schätzung aller Menschen nach Verdienst und Persönlichkeit, nicht nach Herkunft. Der Mensch wird als freies Individuum angesehen. Bildung wird daher auch ein Schlagwort der Aufklärer. Das wirkt sich zunächst im Schulwesen aus – vor allem in Form der Einführung der allgemeinen Volksschulpflicht oder auch im Ausbau der humanistisch bestimmten Schulen. Gerade in diesem Zusammenhang dienen Fabeln, etwa laut der Fabeltheorie G.E. Lessings, der lehrreichen und zugleich gut verständlichen Kritik an allen Gesellschaftsschichten im Sinn der aufklärerischen Ideen. In der Fabel "Der Tanzbär" von Gellert steht der erzieherische Gedanke der Aufklärung im Vordergrund, da hier die Verhaltensweisen der Bären und deren Folgen aufgezeigt werden, man kann also behaupten, dass Kritik an gesellschaftlichen Zuständen geübt wird. In Gellerts Fabel wird etwa davor gewarnt, sich seiner gesellschaftlichen Position allzu sicher zu sein. Erfolg ist nicht garantiert und wird zudem schnell den Neid Anderer hervorrufen. Es scheint hier ein Leistungsgedanke hinter der Warnung vor Neidern verborgen zu sein. Zu einer gesellschaftlichen Position kommt man eben nicht durch strahlende Auftritte, sondern durch demütige und vorsichtige, ja strategische Arbeit an der Karriere. Allzu glanzvolle Aufstiege sind mit schnellem Fall verbunden. Gotthold Ephraim Lessing hingegen wird in seiner Fabel deutlicher in Bezug auf die
Gesellschaftskritik. Er kritisiert die Ständeordnung in konkreter Form, verkörpert durch den adligen „Hofmann“. Damit greift Lessing an den gesellschaftlichen Wurzeln an, er kritisiert nämlich somit die Stellung des Adels und des Klerus gegenüber dem dritten Stand, denn wie kann ein Mann, der "[...] durch Kabalen steigt" (Z. 15) und "mit Wort und Schwur als Komplimenten spielt" (Z. 18) höheren Standes sein als ein Bauer, der sein Geld hart und ehrlich verdient? Der Hofmann in Lessings „Tanzbär“ erscheint als der Prototyp eines unaufgeklärten Charakters, der sich seine Position nicht erarbeitet, sondern „erschleicht“, ähnlich der Höflinge an den absolutistischen Höfen Europas. Demzufolge scheinen die Leser hier zum aufklärerischen Denken geradezu angeregt zu werden. Dabei geht es aber nicht um einen gewaltsamen Umsturz der Verhältnisse, so könnte man etwa das Brummen des alten Bären deuten, sondern darum, dass sich in der Öffentlichkeit (des Waldes) die Überzeugung durchsetzt, das nicht künstliches Auftreten und große Worte, sondern „Witz und Tugend“ -‐ also echtes Talent und wirkliche Leistung, mit einer höheren gesellschaftlichen Position belohnt werden sollten. Wie nun zu erkennen ist, sind die jeweiligen Aussageabsichten der Verfasser ganz unterschiedlich, obwohl der Kern der Fabeln der gleiche ist, doch das Handeln und die Reaktionen der Charakter verändern den Ausgang der Fabeln, was zur einer anderen Moral, also einer anderen Lehre führt.