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66 / bergundsteigen #107 / sommer 19
Abb. 1
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von Markus Müller und Urs Gantner
Wir alle wollen die Berge und das Bergsteigen geniessen und denTeilnehmenden auf unseren Clubtouren Freude und Erfahrungen ver-mitteln. Wir wollen sicher unterwegs sein, mit anderen Worten Un-fälle vermeiden und mit Risiken bewusst umgehen. Das vielzitierteRestrisiko werden wir dabei nicht loswerden, mögen unsere risiko-verringernden Massnahmen noch so ausgeklügelt sein. Die Natur ist nicht vollends berechenbar und wo Menschen agieren, gesche-hen Fehler.
Etablieren wir eine Lernkultur in unseren Sektionen, so geht esdarum, ständig neue Zu-TATEN zu finden, die Bergerlebnis und Si-cherheitsbedürfnis in eine Balance bringen. Diese zwei Lernfelder,das Gestalten (und Geniessen) des Bergerlebnisses und der Um-gang mit Risiken, sind eng verknüpft. So ist die Führung stets einge-spannt zwischen Erwartungen und Hoffnungen (den Vorstellungeneines tollen Bergtages) und dem Spielraum der Natur. Dass wir diese Spannung (zu) oft mit Analyse und Optimierung desSpielraums lösen wollen und (zu) wenig mit Nachdenken über un-sere Erwartungen, ist Kennzeichen einer „Demut-freien“ Gesell-schaft.
Innerhalb der Sektionen können wir eine Kultur gestalten, die Ent-wicklungen in beiden Lernfeldern anregt, was neben einer besserenBalance von Erlebnis und Risiko sogar dazu führen könnte, dassBergsport entspannend in die Gesellschaft wirkt. Mit dem Ansatz„Positive Leadership“ (K. Cameron, 2012) finden wir Zu–TATEN zurStärkung einer solchen Kultur innerhalb der Sektionen.
Wir besprechen sie im Folgenden in den drei Kategorien Führungs-personen, Sektionsanlässe und Teilnehmende, wie in „4x3 der Lern-kultur“ in Abb. 2. dargestellt.
„Die Kultur verspeist die Strategie zum Frühstück.“
Abb. 1 Möglicher Intervisionsablauf. Um aus schwierigen Führungssituationen, vielleicht sogar Fast-Unfällen, gemeinsam zu lernen, braucht es eine Atmosphäre von Offenheit und Vertrau-en. Die skizzierte Intervisionsform hat sich diesbezüglich bewährt. In wenigen Stunden ist es möglich aus einer Breite von Situationengemeinsam Erkenntnisse zu erarbeiten.
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Peter F. Drucker (1909-2005), Ökonom
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Zu-TATEN Führungsperson
Die Führungsperson gestaltet die jeweilige Tour wie auch das Lernenauf einer Tour massgebend. Im Idealfall entsteht ein gemeinsamerRaum, in welchem sich alle frei fühlen zu äussern, was sie begei-stert, bewegt, bremst, beschäftigt, besorgt. Es werden Werte geäus-sert, Kompromisse geschmiedet und so das gemeinsame Erlebnis(Berg & Menschen) gestaltet. Alle Intelligenz und Erfahrung in derGruppe lässt sich in Verhalten umsetzen. Der Ort des grössten Sach-verstandes (oft bei der Führung) prägt die Entscheide.
Positives KlimaBeim positiven Klima geht es darum, den gemeinsamen Nenner be-züglich des guten Bergerlebnisses zu finden. Die Führungspersonsucht Einigung bezüglich „Begehungsstil“ (z.B. schnell oder genuss-voll?). Sie verdankt Kompromisse, verstärkt Gelungenes unter denTeilnehmenden und fördert Nachgiebigkeit und Verständnis. Dassind nur einige der vielen Zu-TATEN, um als Führungsperson ein ziel-dienliches Klima zu unterstützen.
Sinnvolle ZieleEinige Beispiele, um das Bergerlebnis zu thematisieren: „Was ist das Beste, das wir heute (eventuell auch bei einem Verzicht auf denGipfel), erleben können? Wer kann was dazu beitragen?“ „Ein Berg-abenteuer eignet sich bestens für schöne Erfolgserlebnisse und/oder das Lernen von Demut“. Weshalb nicht den Erfolg/Nutzen kurz-
und langfristig vergleichen. Zum Beispiel: „Wenn wir diesen Hangfahren, was haben wir davon in 10 Minuten, 10 Tagen, 10 Jahren?“
Positive BeziehungGemeinsam auf Augenhöhe unterwegs zu sein, ist die einzige Mög-lichkeit, den kritischen, wachen Geist in der Gruppe zu erhalten undzu pflegen. Selbst wenn die Führungsperson über mehr Wissen undKönnen verfügt, lohnt es sich, die anderen Meinungen abzuholenund zu prüfen. Vertrauen entsteht durch Echtheit sowie durch eineoffene und wertschätzende Haltung.
Positive KommunikationSchwächen und Stärken dürfen (und sollen) gezeigt werden. EigeneWertedilemmas - zum Beispiel etwas Tolles bieten wollen versusHauptauftrag „Sicherheit“ - sind transparent zu machen. Teilneh-mende mit einer Situation zu konfrontieren und bei Bedarf nein zusagen, kann die Beziehung stärken. Es gilt Entscheidungsprozesse zu moderieren, wie ein guter Richter,der den verschiedenen Parteien aktiv zuhört und im Abgleich mitseinem eigenen Wissen und seiner Einsicht den Entscheid fällt.
Zu-TATEN Sektion
Seit Kahnemans Bestseller „Schnelles Denken, langsames Denken“(2011, Siedler Verlag München) wissen wir, dass sich der persönliche
Zu-TATEN Lernkultur
Führungsperson
Sektion
Teilnehmende
Positives Klima
Gutes Beispiel vorlebenAufmerksamkeit lenkenInteresse an Fachfragenwecken
Werte transportierenIntervision zur Analyse riskanter Situationen
Persönlichkeit einbringenHumor pflegen!Gemeinsamen Nenner mittragenNeugier kultivieren
Sinnvolle Ziele
Eigene Motive klärenInnere Glaubenssätze kennen!Von Machbarkeit zu De-mut (und Zurückhaltung)?
Sport oder Inspiration?Leistungskultur und/oderLernkultur?Werte transportieren
Entwickeln von Fähigkei-ten Genuss und Achtsam-keit übenGlück im stoischen Sinn:Freude an dem, was mög-lich ist.
Positive Beziehung
Gelingendes verstärkenMotive in der Gruppe abholenErwartungen verstehen(aber nicht zwingend annehmen)
Freude am gemeinsamenErlebnis statt Anerken-nung kultivieren
Führung akzeptieren / verstehenEmpowern von anderenKompromisse suchen
Positive Kommunikation
Meine Bedürfnisse undjene der Gruppe im BlickBeobachtung / Interpretation trennenKlar und freundlich
Weiterbildung, vom Flaschenzug bis zur KommunikationGutes Beispiel abgeben
Bedürfnisse ausdrückenWertschätzung ausdrückenSkepsis ausdrücken
Abb. 2 Das 4x3 der Lernkultur mit seinen Zu-TATEN.
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Denkstil der Umgebung anpasst. Damit bietet sich der Sektion dieChance, das Denken und damit das Verhalten der Mitglieder positivzu beeinflussen.
Positives KlimaEs könnten Werte für Führungspersonen und Teilnehmende geklärtwerden. Neugier und Fortschritt lassen sich fördern: Die Tourenlei-tenden erhalten attraktive Weiterbildungsangebote. Die Offenheit imUmgang mit Schwierigkeiten wird unterstützt, zum Beispiel mit demFormat einer Intervision (s. Abb. 1) oder im ständigen Traktandum„Lernkultur“ an der Tourenleiter-Versammlung.
Sinnvolle ZieleFür viele ist der Begriff „Freiheit“ ein Teil des Bergerlebnisses. Da wiraber oft am Seil oder auf einem schmalen Grat gehen, kann es sichdabei nur um Gedankenfreiheit handeln. Diese Gedankenfreiheit beiunseren Mitgliedern und Tourenleitenden zu kultivieren, ist ein wun-derbares Ziel. Dies kann bedeuten, Leute zusammenzubringen, diesich ganz „flex-ibel und elastisch“ auf ein Bergabenteuer einlassen.Ohne die Konstrukte von „heute muss man fast oder sollte zumin-dest...“ hätte dann wiederum der Tourenleiter ein Minimum an Leis-tungsdruck. Dafür aber hätte er ein Maximum an Spielraum, umMenschen (inkl. sich selbst) und Umgebung (wie Wetter und Ge-lände) zu einem passenden Gesamtwerk zu kombinieren.
Positive BeziehungDie Sektion stärkt die Führungspersonen, indem zum Beispiel ein„Knigge“ für die Teilnahme an Touren erarbeitet wird. Neue Touren-
leitende werden gefördert, zum Beispiel mit Aspirantentouren. Da-bei werden Motive für Führungsarbeit thematisiert und so eine Kul-tur der „Freude am Gemeinsamen“ statt vielleicht an „Status und Anerkennung“ gefördert. In der Sektion wird geprüft, ob die vorge-schlagene Tour auf die leitende Person „passt“ und es entsteht einstärkender Austausch darüber.
Positive KommunikationZur positiven Kommunikation gehören die Lernkultur in der Sektionwie auch die periodische Weiterbildung der Tourenleitenden, welchezusätzlich zu den technischen Aspekten Führung inkl. Kommunika-tion beinhalten soll.
Zu-TATEN Teilnehmende
Positives Klima und sinnvolle ZieleWann kehrt man glücklich von Bergtouren zurück? Wenn man ge-lernt hat, das zu wollen, was unter den vorhandenen Gegebenhei-ten wie zum Beispiel Verhältnisse (Wetter, Routenzustand), eigeneGruppe, Leiter und andere Gruppen möglich ist, würden die Stoikersagen. Als Teilnehmer kann man die Aufmerksamkeit auf Gelingendes, Faszinierendes, Schönes legen. Davon findet man auf jeder Berg-tour genug. Wer diese Beobachtungen dann noch teilt, trägt zu Erlebnis und Risikomanagement bei.
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Positive BeziehungDie Teilnehmenden einer Tour haben eine Mitverantwortung und sie sollten sich dessen bewusst sein und sie dürfen - bzw. sollen (!) -die Entscheide des Leitenden hinterfragen. Die grosse Herausforderung dabei ist es, gleichzeitig den Tourenlei-tenden zu stärken. Am besten gelingt dies zweistufig: � Erster Satzteil > Beziehung stärken: z.B. mit den Worten „Ich erlebedich sehr umsichtig beim Führen, …“� Zweiter Satzteil > Entscheid hinterfragen: z.B. „… doch es hat michschon zweimal elektrisiert; sollten wir vielleicht wegen Blitzgefahrumdrehen?“
Positive Kommunikation und AusbildungDie Sektionen bieten Ausbildungskurse und Ausbildungselemente in den Touren an, mit dem Ziel, die alpinistische Kompetenz und dieEigenverantwortung der Teilnehmenden zu erhöhen.
Feedback KulturEs ist von zentraler Bedeutung zu lernen, die eigene Kondition unddie eigenen technischen Fähigkeiten etc. richtig einzuschätzen, umdie entsprechende Clubtour auszuwählen. Nachfragen zum Erlebtenund Vergleichen von Schlüsselstellen am Abend, hilft den Teilneh-menden dabei.
Zum Schluss
Wenn Unfälle tatsächlich oft aufgrund einer Aneinanderreihung un-günstiger Umstände erfolgen, sollten die Abbruchkriterien - also dieHürde umzudrehen - tief gehalten werden. Ein Beitrag dazu ist es,wenn das Naturerlebnis, das gemeinsam Draussen-Sein und das eigene Lernen wesentlich den Erfolg ausmachen. Gerade auf Sek-tionstouren soll dies ein Plädoyer zu Demut, Genuss und zu Lern-oder Erlebniszielen (statt Leistungszielen) sein.
Zu-TATEN gibt es genügend, sowohl als Tourenleiter, als gesamteSektion und als Teilnehmende. In diese Entwicklung zu investierenscheint uns wichtig, insbesondere auch mit den steigenden Mitglie-derzahlen und der Zunahme an Anonymität in den Sektionen. Ein weiteres Ziel ist der konstruktive, lösungsorientierte Umgang mit„kleinen“ Fehlern. Denn sie sind unsere Chance, als Bergsportlerin-nen und Bergsportler besser zu werden. Bei „grossen“ Fehlern ist esoft zu spät zum Lernen. Nutzen wir also die Gruppenerfahrung und machen wir „Was-wäre-wenn-Gedankenspiele“. Dieses Potential darf man sich als Tourenlei-ter und Sektion fast nicht entgehen lassen!
Und arbeiten wir auf ein positives Bild hin – es gilt, eine Lernkulturzu schaffen, denn wir wollen sicher und mit Freude unterwegs sein.
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