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Arbeitskreis Begabungsforschung und Begabungsförderung e.V. ABB-Information Jahresheft 2013 Rostock, September 2013

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ABB-Information 2013 – – – 1

Arbeitskreis Begabungsforschung und Begabungsförderung e.V.

ABB-InformationJahresheft 2013

Rostock, September 2013

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2 – – – ABB-Information 2013

I N H A L T

Vorwort .................................................................................................... 4

Zu dieser Ausgabe ................................................................................... 5

Projekte und Berichte ....................................................................... 6

Roya Klingner: Aktionswoche – Gemeinsam für hochbegabte Kinder in Deutschland (3.–9. Juni 2013) ............................................................ 6

Gabriele Hartl: Abenteuer Gymnasium für besonders und hoch begabte Underachiever – eine Zwischenbilanz nach zwei Jahren OKO Private School – Talentschule Hamburg ......................................................... 9

Franziska Buschhaus, Katrin Werner, Heidrun Stöger & Albert Ziegler: Online-Wege zur Begabtenförderung: E-Mentoring für Mädchen im MINT-Bereich ...................................................................................... 18

Forschungsstudien ........................................................................... 27

Ines Müller, Wolfgang Lehmann & Vanessa Hettwer: Förderung mathematisch befähigter Vorschulkinder durch einen spielerischen Umgang mit anspruchsvollen mathematischen Aufgaben ............................................................................................ 27

Karina Dartsch: Förderung hochbegabter Schülerinnen und Schüler in Regelklassen und Förderklassen für Hochbegabte in Mecklenburg-Vorpommern – Evaluation von Förderkonzepten und Ableitungen für die Unterrichtspraxis ........................................................................... 34

Claas Wegner & Wiebke Kalläne: Erfassung motivationaler Konstrukte in der Sekundarstufe II – Welche Auswirkungen hat die Motivation auf SchülerInnen und LehrerInnen in Projektphasen .......................... 46

Claas Wegner & Lea Brönneke: Förderung kognitiver Fähigkeiten von naturwissenschaftlich begabten Schülerinnen und Schülern im Rahmen des Projektes Kolumbus–Kids. Vorstellung eines Studienvorhabens ............................................................................... 59

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Claas Wegner & Ole Sven Fischer: Veränderung und Vergleich erkenntnistheoretischer Überzeugungen naturwissenschaftlich begabter Schüler im Projekt Kolumbus-Kids und an Bielefelder Gymnasien ......................................................................................... 71

Claas Wegner & Sven Grügelsiepe: Schülergeleitetes Forschen als Förderangebot für Schülerinnen und Schüler der Einführungsphase 86

Wolfgang Lehmann & Inge Jüling: Mathematische Kompetenzen nach fünf Jahren gymnasialer Schulzeit in einem mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Gymnasium (MINT-Gymnasium) und in einem Regelgymnasium ........................................................... 98

Magazin .............................................................................................. 109

Thomas Hofer: Begabtenförderung im Rahmen der Pädagogischen Inklusion. Bleiben unsere Klugen auf der Strecke? ............................ 109

Sabine Schraml: Die Geschichte einer ehrenamtlichen Institution im Bereich Hochbegabung: Forum Hochbegabung, Hof/Saale (Bayern, Oberfranken ........................................................................................ 115

Brigitte Heink: Der Mann mit dem Hut und dem Oktavheft. Laudatio für Prof. Dr. Lange .................................................................................... 123

Tagungseinladungen – Vorträge / Interviews und Publikationen von Prof. Dr. Kurt A. Heller 2012–2013 .............................................................. 129

ÖZBF-Kongress 2013 begabt • lernen • exzellent • lehren 7.–9. November 2013 in Salzburg ............................................................... 132

Der ABB – Arbeitskreis für Begabungsforschung und Begabtenförderung e.V. ............................................................... 133

Impressum ......................................................................................... 134

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4 – – – ABB-Information 2013

Vorwort

Liebe Kolleginnen und Kollegen,die ABB-Information 2013 unseres „Arbeitskreises Begabungsforschung und Begabungsförderung e.V.“, die Sie in Händen halten, ist die zweite Ausgabe des im vergangenen Jahr neukonzipierten Rundbriefs unseres Vereins. Wir haben auf den letztjährigen Rundbrief sehr positive Reaktionen bekommen, was uns ermutigt hat, die neue Form im Wesentlichen beizubehalten. Den Vorstand bzw. die Redaktion haben sogar Anfragen nach weiteren Heften auch schon für die neue Ausgabe 2013 erreicht, denen wir im Rahmen der allerdings beschränkten Möglichkeiten unseres Vereins gerne nachkommen. Wie Sie sehen, konnte auch das diesjährige Jahresheft mit einem bunten Strauß an interessanten Beiträgen aus den Reihen der Mitglieder gut gefüllt werden und wird wohl auch außerhalb der Mitgliedschaft des ABB viele Leser finden.

Dem Jahresheft kann damit eine von der Verbreitung her wie auch inhaltlich gute Entwicklung attestiert werden. Sie werden mir sicher zustimmen, dass es der Redaktion auch in diesem Jahr gelungen ist, eine attraktive Mischung aus Projekten aus der Praxis der Hochbegabtenförderung, Forschungsberichten und anderen Dingen zusammenzustellen. Es wäre schön, wenn das ABB-Jahresheft sich auch künftig als Plattform für Informationsaustausch zwischen Forschung und Praxis etablieren könnte. Dazu benötigt die Redaktion aber auch in Zukunft Ihre Zuarbeiten. Wie ich im vergangenen Jahr schon angemerkt habe, wäre es wünschenswert, wenn noch mehr Berichte über Unterrichtsprojekte ihren Weg in das ABB-Jahresheft fänden.

Für tagesaktuelle Nachrichten und kurze Informationen kann nach wie vor unsere Homepage genutzt werden. Sie können dort kurze und aktuelle Meldun-gen und Hinweise nachlesen, aber auch einstellen lassen. Nutzen Sie dieses Medium, binden Sie den Link auf unsere Homepage in Ihre Internetseiten ein oder weisen Sie möglicherweise Interessierte darauf hin.

Allen Helfern beim Korrekturlesen und bei allen anderen Tätigkeiten im Zu-sammenhang mit der Erstellung des Jahresheftes 2013, besonders aber na-türlich der Redaktion des Heftes, danke ich sehr für Ihren Einsatz und ihr gro-ßes Engagement. Es wäre schön, wenn auch künftig das Jahresheft in dieser Qualität erscheinen könnte und sich das Engagement vieler Mitglieder unseres Vereins darin manifestieren würde.

Mit den besten Grüßen

Christoph Perleth

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ABB-Information 2013 – – – 5

Zu dieser Ausgabe

Vor Ihnen liegt die 2. Ausgabe unseres Jahresheftes ABB-Information und wir bedanken uns auch diesmal für Ihre Beiträge. Sie wissen, unser Jahresheft kann nur dann vielfältig, interessant und informativ sein, wenn Sie alle als Mitglieder oder auch (noch?) Externe zum Gelingen einer solchen Veröffentlichung beitra-gen.

In Projekte und Berichte erfahren Sie Neues über die Nachwuchsförderung der Bildungs-Initiative „Campus of Excellence“ und über eine Aktionswoche des „Global Center for Gifted and Talented Children“. Eine private „Talentschule“ in Hamburg informiert Sie über ihre zweijährige Zwischenbilanz, und schließlich wird ein E-Mentoringprogramm für begabte Mädchen im MINT-Bereich vorge-stellt.

Unter der Rubrik Forschungsstudien finden sie eine vergleichende Studie zu einer Regel- und einer Förderklasse für Hochbegabte aus Mecklenburg-Vor-pommern. Gleich vier Forschungsprojekte erreichen uns aus der Universität Bielefeld, allesamt aus dem breit angelegten und sehr erfolgreichen außerschuli-schen naturwissenschaftlichen Förderprojekt Kolumbus-Kids. Schließlich stellen wir Ihnen eine weitere vergleichende Studie vor, diesmal aus Sachsen-Anhalt. Untersucht werden Fördereffekte bei Schülern eines regulären Gymnasiums ei-nerseits und eines speziellen MINT-Gymnasiums andererseits.

Aktuelles bietet Ihnen wieder unser Magazin. So wird die Frage gestellt, ob in der aktuellen Inklusionsdebatte möglicherweise „unsere Klugen auf der Strecke“ bleiben. Aus Bayern erreicht uns die Geschichte des ehrenamtlichen „Forum Hochbegabung“. Eine Laudatio lenkt den Blick auf den „Mann mit dem Hut und dem Oktavheft“. Alle kennen ihn, nicht zuletzt durch sein verdienstvolles Enga-gement im ABB. In eigener Sache melden sich abschließend Prof. Dr. Heller sowie das ÖZBF.

Das Redaktionsteam der ABB-Information Jahresheft 2013 wünscht Ihnen eine spannende Lektüre.

Volker Brandt Dr. Claas Wegner Dr. Wilfried Manke

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6 – – – ABB-Information 2013

Projekte und Berichte

Aktionswoche – Gemeinsam für hochbegabte Kinder in Deutschland (3.–9. Juni 2013)Roya Klingner

Anfang Juni 2013 organisierte das „Global Center for Gifted and Talented Child-ren“ (http://www.gcgtc.com) die „Aktionswoche – Gemeinsam für Hochbegabte Kinder in Deutschland“. Ziel war es, auf die Situation der Hochbegabten auf-merksam zu machen und über das Thema zu informieren. Jeden Tag wurden neue Interviews, Blogs und Beiträge von Professoren, Erziehern, Beratern und Verbänden aus aller Welt online gestellt.

Am ersten Tag gab es neben Interviews mit Prof. Peter Csermely aus Un-garn, Präsident des European Council for High Ability (ECHA), und Prof. Dr. Albert Ziegler aus Deutschland auch Artikel von Peter Lydon aus Irland und Anke Elisabeth Ballmann, M.A., Deutschland. Prof Csermely stellte in dem Interview ECHA vor und forderte, Begabte nicht gleich zu behandeln, sondern jeden nach seinen Fähigkeiten und Begabungen individuell zu fördern, was aber leider zur Zeit noch in kaum einem Land durchgängig praktiziert wird. Auch Prof. Dr. Zieg-ler stellte die Wichtigkeit der individuellen Förderung heraus und schlug als eine der besten Methoden Mentoring vor. Peter Lydon interviewte in seinem Artikel Roya Klingner, die Leiterin des GCGTC, zur Aktionswoche. Auch Anke Elisa-beth Ballmann betonte ihre Einstellung zur Hochbegabung und in ihrer Arbeit mit begabten Kinder, dass jeder Mensch ein Recht darauf hat, je nach seinem Entwicklungsstand die Möglichkeit zu haben, sich weiter zu entwickeln, und es daher auch wichtig sei, auch Hochbegabten die gerechte Förderung zukommen zu lassen, um für das Kind die bestmögliche Entwicklung anzustreben.

Am Dienstag berichtete Prof. Steven Pfeiffer, USA, über seine Arbeit zum Thema „Emotionale Intelligenz und Hochbegabung“. Er erklärte, dass es oft zu Missverständnissen zwischen „normalen“ und hochbegabten Kindern kommt, da Hochbegabte emotional völlig andere Bedürfnisse und Verhaltensmuster haben. Kari Kolberg aus Norwegen zeigte in ihrem Blog, dass Hochbegabte nicht au-tomatisch auch Hochleister sind, sondern durchaus auch ihre ganz speziellen Probleme haben können. Der „Arbeitskreis Begabungsforschung und Bega-bungsförderung e.V.“ war Thema des Interviews mit Prof. Dr. Christoph Perleth, Deutschland. Ziel des Arbeitskreises ist es, die Begabungsforschung und -för-derung in Deutschland zu unterstützen und auch Nachwuchsforscher für das Thema zu begeistern.

Im ersten Interview am Mittwoch unterstrich Prof. Dr. Dagmar Bergs-Winkels, wie wichtig es ist, mit der Förderung begabter Kinder nicht erst in der Schule zu

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beginnen, sondern schon im Kindergarten. In Ihrem Blog berichtete ein 16 jäh-riges hochbegabtes Mädchen, wie sie ihre Situation erlebt. Sie meint, es wäre zwar einiges an den Schulen besser geworden, aber es müsste auch noch ei-niges gemacht werden. Auch Dr. Monita Leavitt, USA, lässt in ihrem Artikel zur Aktionswoche einen 16-jährigen Jungen in einem Brief über seine Erfahrungen in der Schule berichten. Zum Abschluss des Tages stellte die „Deutsche Gesell-schaft für das hochbegabte Kind e.V.“ (DGhK), ein Verein von Eltern hochbegab-ter Kinder, ihre Forderungen zur Bildungspolitik vor. Prof. Javier Touron war am Donnerstag der erste Interviewpartner. Seiner Meinung nach ist Talent, das nicht gefördert wird, verlorenes Talent. In Bezug auf die Probleme Hochbegabter sag-te er, dass in Fortbildungen, die Lehrer und Erzieher zu dem Thema besuchen, viele Vorurteile abgebaut werden können. Eltern der irischen Vereinigung „Gifted Advocacy und Support“ (GAS), ein Pendant zum DGhK, berichten, dass das Leben mit Hochbegabten zwar die reinste Achterbahnfahrt ist, aber es in jedem Fall wertvoll ist. Im Anschluss stellt Oberstudienrat Dipl. paed. Thomas Hofer das Portal „Genius – Hochbegabung“ vor, das mit seinem breiten Angebot an Informationen und Literatur eine der wichtigsten deutschen Informationsquellen zum Thema Hochbegabung geworden ist.

Das israelische Programm „Leading for Excellence“ wurde am Donnerstag von Hava E. Vidergor, Ph.D. vorgestellt. Das Programm basiert auf modernen Lehr- und Lernmethoden und soll Schüler auf ihr Leben im 21. Jahrhundert vorbereiten. Es wurde zusammen mit verschiedenen amerikanischen Institu-ten entwickelt. Hélène Ribeiro, eine französische Lehrerin und Spezialistin für Kinder mit besonderen Anforderungen, diskutiert in ihrem Artikel verschiedene Ursachen für Underachiever. Hauptauslöser sind ihrer Erfahrung nach Perfekti-onismus und Langeweile. „Europa als Entwicklungsland beim Thema Hochbe-gabung“ – zu diesem traurigen Schluss kommt Prof. Roland S. Persson. Seiner Meinung nach gibt es immer noch zu wenig Ausbildung für Lehrer in Europa zu dem Thema. Wichtig seien vor allem aber auch Akzeptanz, Verständnis und Un-terstützung für die begabten Schüler. Dr. Margret Sutherland, Schottland, berich-tet in ihrem Artikel, wie sie versucht, das Interesse am Thema Hochbegabung bei Lehrern in der Ausbildung zu wecken, indem sie sie ganz bewusst ermutigt, darüber nachzudenken und zu forschen. Das Thema „Mädchen in MINT-Beru-fen“ ist eines der zentralen Anliegen des „Deutschen Ingenieurinnen Bundes e.V.“, das von Dipl. Ing. Silvia Kegel vorgestellt wird. Prof. Dr. Michael F. Shaug-nessy, USA, hat seine Erfahrungen in vielen Büchern und Artikeln für Lehrer, Erzieher und Eltern veröffentlicht. Er meint, dass die Identifikation Hochbegabter zwar sehr wichtig ist, aber auch das Umfeld der Kinder genau untersucht wer-den muss, da in einer Förderung alle Faktoren berücksichtigt werden müssen. Roya Klingner beschreibt in ihrem Blog zur Aktionswoche, warum sie begabten Kindern hilft. Zum Abschluss der Woche beschreibt Prof. James T. Webb, Ph.D., Gründer des amerikanischen Verbandes „Supporting Emotional Needs of Gifted Children“ (SENG), wie wichtig es ist, hochbegabte Kinder nicht nur intellektuell

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zu fördern, sondern auch ganz speziell auf emotionale Bedürfnisse einzugehen, da diese häufig vernachlässigt werden. Diese Situation führe leider sehr oft zu Fehldiagnosen und einer potentiellen Falschbehandlung und Fehlmedikation der Kinder.

Das „Global Center for Gifted and Talented Children“ bedankt sich ganz herz-lich bei allen Beteiligten für die interessanten Interviews, Artikel und Blogs. Wir hoffen, Lehrern, Erziehern, Eltern und anderen Betroffenen und Interessierten einen kurzen Überblick über das Thema und mögliche Unterstützungsmöglich-keiten gegeben zu haben. Alle Beiträge können unter der URL http://gcgtc.com/services/projects/the-1st-gifted-awareness-week-germany-2013/ nachgele-sen werden.

Roya KlingnerGlobal Center for Gifted and Talented ChildrenMachtlfingerstr. 2681379 Freising

[email protected]

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Abenteuer Gymnasium für besonders und hochbegabte Underachiever – eine Zwischenbilanz nach zwei Jahren OKO Private School – Talentschule HamburgGabriele Hartl

Zwei Jahre offizielle Beschulung von besonders und hochbegabten Schülerin-nen und Schülern der Klassenstufen 5 bis 10 in einem staatlich genehmigten Gymnasium in Hamburg – das ist keine leichte Aufgabe, zumal wenn einer der Tätigkeitsschwerpunkte bei der Arbeit mit den Underachievern liegt. Die inhalt-liche Ausrichtung dieser Talentschule basiert auf einem von dem ehemaligen Leiter der Hamburger „Beratungsstelle besondere Begabungen“, Wilfried Man-ke, entwickelten pädagogischen Konzept (vgl. hierzu auch Manke, 2013, S. 202–216). Angetreten mit dem Wunsch, eine anregende, offene Schule für diese Kinder zu führen, in der Enrichment und Compacting genau so selbstverständ-lich zum Schulalltag gehören wie soziales Lernen, Vermeidung von Wiederho-lungen, selbstständiges Erarbeiten von Stoff und eine für alle Beteiligten offe-ne Schul-Polis, begegneten wir als neu gegründete Schule einer heterogenen Schüler- und Elternschaft, die sich zunächst vor allem aus denjenigen mit einer negativen Schulkarriere speiste, in deren Folge Kinder und Eltern litten und psy-choreaktive Folgeerscheinungen aufzeigten, die eine gemeinsame Beschulung eigentlich unmöglich erscheinen ließen.

Die Mädchen und Jungen, die an die OPS kamen, waren schwierige und sehr unterschiedliche „Fälle“. Mit 45 Kindern im Alter von 8 bis 15 Jahre, darunter ge-rade mal 8 Mädchen (also ein Anteil von weniger als 20%), alles Underachiever, nahm sich ein hoch motiviertes Lehrteam dieser Aufgabe an und wurde schnell unterstützt durch ein inzwischen auf zwei Psychologinnen und zwei Sozialpäda-goginnen angewachsenes Beratungsteam. Die erste Aufgabe bestand darin, die Schülerinnen und Schüler in ihren individuellen Leistungsständen zu erfassen, die mit wenigen Ausnahmen erwartungsgerecht weit unter dem ihrer Klassenstu-fen lagen. Dies machte uns wenig Sorgen, waren wir uns doch sicher, dass die Lücken relativ zügig aufgearbeitet werden können, wenn die Kinder erst einmal wieder lernfähig sind. Schnell zeigte sich, dass der Schwerpunkt zunächst tat-sächlich auf die Herstellung der Lernfähigkeit gelegt werden musste, was eine multiple Aufgabenstellung nach sich zog. Viele der Schüler zeigten eine große Unruhe, häufig Aggressionen, besaßen kaum Anstrengungsbereitschaft, waren nach kurzer intensiver Lernzeit erschöpft und nicht mehr konzentrationsfähig. Nur wenige besaßen Lernstrategien und konnten sie anwenden. Fast alle Schü-ler hatten Mobbingerfahrungen – sei es durch Mitschüler oder auch durch Lehrer. Diese Erfahrungen gingen einher mit einem oftmals schon vorher vorhandenen (durch Kindergartenerfahrung z.B. hervorgerufenen) geringem Selbstwertgefühl und geringer Selbstachtung.

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Exemplarisch stellen wir einige „Fälle“ (alle Namen geändert) vor: Susanna, 4. Klasse, mochte nicht mehr lernen, weil das Lernen in der alten Schule nicht anerkannt wurde und die Lehrer nicht mit ihrer Hochbegabung umgehen konn-ten. Sie hat sich die OPS selbst gewählt und hoffte, dass sie endlich wieder Schule mögen würde. Laurenz, 6. Klasse, gelang das Überleben in der alten Schule nur dadurch, dass er sich zum Hilfslehrer machte und seinen Lehrern wie ein Hündchen hinterher lief. Unterstützung und Förderung bzw. Forderung durch die Lehrer fand er nicht, im Gegenteil, die Lehrer waren mit ihm und seiner Lebendigkeit überfordert. Max, 5. Klasse, verbrachte zwei Schuljahre außerhalb der Klasse auf einem „Max-Stuhl“ und stellte fest, dass Putzen und Schimpf-wörter der härtesten Art ihm eindeutig halfen Aufmerksamkeit zu gewinnen. Für ihn war Schule anstrengend, er stellte die Mitarbeit ein und tauchte ab. Louis, 4. Klasse, war vom Verhalten nicht auffällig, ging aber in die innere Immigrati-on und war emotional sehr aufgewühlt. Marie, 7. Klasse, ging einfach gar nicht mehr zur Schule, weil die Schule sie nicht verstand. Ihr fehlte die Anerkennung und sie wurde gemobbt. Jakob, 8. Klasse, fiel durch ständige Störereien auf und wurde in der Schule abgelehnt. Ihm fehlte es an Arbeitsverhalten und Konzent-ration. Mats, 7. Klasse, machte ähnliche Erfahrungen und sagte nur, nie wieder an seine alte Schule. Jannis, 8. Klasse, wurde als verhaltensgestört bezeichnet und sollte einfach nur weg von der Schule. Eine adäquate Förderung fand nicht statt, seine vorhandene Kreativität verlor sich. Mark, 6. Klasse, war seit einem Jahr nicht mehr in der Schule, er wurde zu Hause betreut bzw. hatte zwei Mal in der Woche zwei Stunden Unterricht bei REBUS (Regionale Beratungs- und Unterstützungsstelle der Schulbehörde Hamburg, heute ReBBZ – Regionale Bil-dungs- und Beratungszentren). Was das Lernen in einer Klasse war, wusste er mit seinen 13 Jahren gar nicht mehr. Später kam noch David dazu, der auf die Hauptschule abgestuft werden sollte.

Ein überaus engagiertes Lehrerteam nahm sie in Empfang und begann, eine Schule „der anderen Art“ zu etablieren. Damit die Individualisten überhaupt erst einmal Fuß fassen konnten, wurde philosophiert, gesprochen und ein großes Klimaprojekt in Angriff genommen. Sehr zügig entwickelten die Schüler Regeln im Umgang miteinander, die sie allerdings nicht immer einhielten. Auffallend war, dass alle einen starken Gerechtigkeitssinn besaßen, sich ständig von den ande-ren ungerecht behandelt fühlten, aber selbst keine Rücksicht nahmen. Entspre-chend kam es zu Reibereien und sogar im Laufe der Zeit zu Mobbing. Schnell wurde deutlich, dass zunächst die Kinder seelisch aufgebaut werden mussten, bevor überhaupt an richtiges Lernen zu denken war. Insofern gab es neben der einmal wöchentlich stattfindenden psychologischen Betreuung regelmäßige Ge-spräche mit Einzelnen, in Kleingruppen und in der Großgruppe. Dabei wurden von Anfang an die Meinung und der Ideenreichtum der Schüler berücksichtigt. Sie hatten immer wieder gute Einfälle, um verfahrene Situationen zu lösen und auch ihre Kameraden einzubeziehen.

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Eine weitere Änderung im Verhalten gelang dadurch, dass nur noch die po-sitiven Eindrücke verstärkt, die negativen dagegen (fast) ausgeblendet wurden. Stück für Stück wurde die Aufmerksamkeitsspanne bei allen größer, die Ablenk-barkeit nahm ab, das Selbstvertrauen zu. Die regelmäßigen wöchentlichen Prä-sentationsaufgaben trugen ihren Teil dazu bei. Die Kinder wählten sich in einem vorgegebenen Themenrahmen ihre Einzelsujets selbst und trugen sie dann der Lerngruppe oder auch der gesamten Schülerschaft vor. Anfangs noch zögerlich und scheu, inzwischen voller Selbstverständlichkeit und Selbstvertrauen. Der gleich darauf folgenden Bewertung (Feedbackrunde) durch die anderen lernten sie sich zu stellen und sie auszuhalten, genauso wie sie begriffen, dass Kri-tik nicht verletzend sein darf, sondern sachlich geboten sein sollte. Inzwischen haben die Schüler gelernt, aufeinander einzugehen, einander zuzuhören und trotzdem ihrer Kreativität nachgehen zu können.

Die größte Aufgabe war und ist, aus allen Individualisten eine Gruppe zu festigen und soziale Kompetenzen einzuüben. Ein starkes Hilfsmittel ist dabei die Musik. Zunächst gab es eine eigene OKO Schülerband. Inzwischen gibt es mehrere Gesangsgruppen, die von Mitschülern begleitet werden. Das gemein-same Musizieren zwingt die Mitglieder, aufeinander zu hören, Rücksicht zu neh-men und ggf. damit zu leben, dass man von einer Probe ausgeschlossen wird, wenn man sich nicht entsprechend verhält. Einen gleichen Effekt hat die Thea-tergruppe. Beide, Bands wie Bühnenensemble, werden von Schülern geleitet, und diese sind dabei, diese Verantwortung mit schulischer Unterstützung Stück für Stück zu übernehmen. Im kommenden Schuljahr wird daher gemeinsam mit den Schülern ein eigenes Musical geplant.

Das AufnahmeverfahrenAufgenommen werden allgemein besonders und hochbegabte Kinder und Ju-gendliche; auch und gerade jene, die trotz hoher Begabung keine entsprechen-den schulischen Leistungen erzielen. Diese durchlaufen ein mehrstufiges Auf-nahmeverfahren, um zu prüfen, ob sie für die Schule geeignet sind und ob die OPS für sie geeignet ist. Sind sie aufgenommen, werden Eltern und Schüler verpflichtend in einem Seminar über die Schule und die geltenden Schulregeln aufgeklärt.

Das SchullebenDer Schultag hat verlässliche Rituale und Zeitstrukturen, die sowohl den Bedürf-nissen der Kinder nach organisierter Lernzeit und herausfordernden Angeboten als auch nach individuellen Rückzugsmöglichkeiten Rechnung tragen. Grund-sätzlich werden folgende, in der Regel täglich wiederkehrende schulische Ar-rangements mit für die Schülerinnen und Schüler ausgewogenen „Pflicht- und

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Küranteilen“ unterschieden: – Unterricht in grundlegenden Lernbereichen,

– Arbeit in Talentgruppen,

– schulisches Enrichment-Modell, Compacting, Drehtürmodell,

– Tutorenzeit für tägliche Besprechungen,

– Freizeitangebote und/oder Rückzugszonen in der Mittagspause.

Das Zusammenwachsen der Kinder zu Schülern einer neuen Schule war eine große Herausforderung, denen sich Lehrer wie auch das Beratungsteam mutig stellten. Strukturen für ein neues pädagogisches Konzept mussten geschaffen werden, Schule von Grund auf neu gedacht werden. Manches wurde verwor-fen, manches muss noch weiter entwickelt werden. Eine familiäre Schulgemein-schaft ist entstanden, an der die Kinder aktiv und kreativ teilnehmen, Eltern offen eingebunden sind und Anregungen von allen Seiten kommen. Kennzeichnend dafür ist, dass unsere Schüler Fremden gegenüber immer wieder äußern, dass sie gern in diese Schule gehen. Viele bleiben häufig nach Schulschluss da oder kommen in den Ferien in die Schule. Die Schüler genießen das Gefühl, endlich als Mensch angenommen zu werden und akzeptieren in diesem Rahmen auch gesellschaftliche Regeln.

Gearbeitet wird in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen, die max. 16 Schü-ler umfassen. Um Halt zu geben, haben die Schüler einen klar strukturierten Stundenplan sowie einen relativ großen Wahlpflichtbereich, den sie unter Vor-gaben selbst gestalten. Die Schule legt Wert auf eigenverantwortliches Arbei-ten, die Fähigkeit dazu wird aber nur von wenigen mitgebracht, so dass dieses systematisch mit den Schülern erarbeitet werden muss. Dazu dienen u.a. das Mittel der Assignments im Sinne der reformpädagogischen Daltonplanmethode von Helen Parkhurst, aber auch Wochenplanarbeiten, Präsentationen und so genannte EVA-Zeiten (EVA = eigenverantwortliches Arbeiten).

Weiterhin legen wir Wert auf eine praxisnahe Ausbildung, das heißt durch Ausflüge, etwa in Labore und Museen, können die Kinder ihr Wissen direkt an-wenden, sich neue Anregungen holen und diesen gleich nachgehen. Ebenso ergänzen Fachleute, die die OPS besuchen und über ihre Berufe berichten, das Angebot. Dieses Zusammenspiel aus Theorie und Praxis fördert nicht nur die Kreativität unserer Schüler, sondern es ermöglicht ihnen auch die Teilhabe an einer Gesellschaft, die sie zuvor meist ausgrenzte.

Das Thema Mobbing nahm zunächst einen größeren Raum ein, was zu Be-ginn nicht erwartet war, wir lernten aber sehr schnell und klar zu reagieren und neue Verhaltensweisen durch gezielte Maßnahmen aufzubauen. Ganz ist dieser Prozess noch nicht abgeschlossen, auch wenn er zurzeit kaum noch eine Rolle spielt. Es ist jedoch deutlich, dass lang eingeschliffene Verhaltensweisen bei

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aller schnellen Reaktion nicht einfach zu beseitigen sind und bis heute ein erhöh-tes Maß an Aufmerksamkeit und Flexibilität seitens der Lehrer gefordert ist. Ein Aspekt, der längst überall zum Schulalltag zählt, doch umso mehr berücksichtigt werden muss, als er die Lernsituation behindert und daher zügig geklärt werden muss.

Insgesamt hat sich daher bestätigt, dass der eingeschlagene Weg aus pas-sender Didaktik, psychologischer Unterstützung und individueller Betreuung be-sonders für sehr und hochbegabte junge Menschen der richtige ist. Denn die Tatsache, dass diese Spezies erst durch solch ein Gesamtspektrum aufblüht, es ihnen auf ihrem persönlichen Weg in die Welt hilft, belegt, dass sich ihr Potenzial eben erst mittels gezielter Maßnahmen entfaltet. Eine Chance, die staatliche Schulen im Rahmen ihrer Profile schlicht nicht leisten können.

Es ist jedoch umso wichtiger, dass gerade in frühen Lebensjahren ein päda-gogisches Fundament vorhanden ist. Je später diese Kinder erkannt werden, umso schwieriger gestaltet sich eine Reintegration, umso eher wächst auch die Gefahr für psychische und physische Schäden. Es ist jedoch eine wahre Freude, ihre Talente zu entdecken und zu sehen, was in ihnen steckt und nun langsam ans Tageslicht kommt!

Trotz bzw. gerade wegen vieler Hürden und Widrigkeiten, mit denen wir alle oft konfrontiert sind, wuchs die „OPS-Familie“ bereits zu einer sozialen Gemein-schaft zusammen. Jeder Einzelne sieht dabei seine Verantwortung und Mitwir-kung für den anderen. So gründeten beispielsweise die Eltern einen Verein und übernahmen Aufgabengebiete wie Fundraising oder Pressearbeit, die OPS-Schüler haben untereinander viele Freundschaften geschlossen und unterneh-men auch nachmittags vieles gemeinsam.

OPS-StatementsWie erleben Schüler, Eltern und Lehrer den Alltag an der OPS? Was bedeutet

ihnen der persönliche Neuanfang an dieser Schule?

„Die OPS ist uns SCHÜLERN wichtig, weil …... ich an der Grundschule nicht mehr lernen wollte, denn das hat niemand an-

erkannt. Deshalb wollte ich zur OPS, damit mir Schule wieder Spaß macht.“

... ich in meiner alten Schule zu lebhaft war. Ich bin jedem Lehrer hinterher ge-laufen, damit die mich mal unterstützen und mir neue Aufgaben geben, aber das war denen zu viel.“

... ich mich früher nur noch zurückgezogen habe, bis ich eigentlich nicht mehr da war. Aber das war eine totale Belastung. Inzwischen tauche ich wieder auf.“

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... ich zwei Jahre außerhalb der Klasse auf einem Stuhl sitzen musste. Ich hab’ dann auch nicht mehr mitgemacht, sondern angefangen, ganz viel zu putzen, und habe nur noch geschimpft. Jetzt wird das besser, weil ich mich nicht mehr so aufregen muss.“

... ich als verhaltensgestört galt und mich die alte Schule sowieso nicht mehr haben wollte. Irgendwann hatte ich das Interesse an allem verloren und Lust zu gar nichts mehr.“

... ich einfach nicht mehr zur Schule gegangen bin. Denn ich hab’ den Betrieb da überhaupt nicht verstanden und der mich auch nicht. Es war, als würde mich niemand sehen.“

... ich vor der OPS ein Jahr gar nicht mehr in der Schule war, sondern zuhau-se und von REBUS betreut und unterrichtet wurde. Ich hatte keine Ahnung mehr, wie das Lernen in einer Klasse geht.“

... ich am Gymnasium als ‚hirngestört‘ ausgelacht wurde, die Lehrer für mich keine Zeit hatten und ich mich schließlich selbst als Versager fühlte. Das hat mich viel krank gemacht. Jetzt bin ich wieder fröhlich, weil ich neue Freunde habe, die so sind wie ich.“

„Die OPS ist uns ELTERN wichtig, weil …... das Hamburger Regelschulsystem begabte Kinder mit ihren Ansprüchen und

Problemen ausschließt.“

... der staatlich verordnete Scherbenhaufen unsere Kinder psychisch und phy-sisch ruiniert.“

... diese Schüler nicht ‚falsch‘ sind, sondern nur zu gut. Deshalb werden sie abgelehnt, weil sie nicht passen und zu anstrengend sind.“

... uns die Stadt als Eltern in dieser Situation völlig allein lässt. Wir müssen uns selbst organisieren und schaffen nun eine Alternative.“

... wir auch eine Verantwortung für die Gesellschaft und das Recht haben, zu ihr zu gehören.

... es dumm ist, solche Talente zu verschleudern, statt sie zu fördern.“

„Die OPS ist uns LEHRERN wichtig, weil …... wir es als pädagogischen Auftrag begreifen, Begabte zu ‚be-gaben‘ statt sie

damit allein zu lassen. Denn diese Kinder sind mit ihrem Potenzial oft über-fordert und brauchen Hilfe.“

... Regelschulen für Besonderheiten kaum Zeit haben.“

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... uns das Spaß macht, die vielen Talente aufzubauen und wachsen zu sehen.“

... es für unseren Berufsstand auch eine Herausforderung ist, langfristig das Schulwesen mitzugestalten.“

... wir uns ständig fortbilden, um dieser Lücke gerecht zu werden.“

SchlussbemerkungManche Wissenschaftler und auch die Behörde für Schule und Berufsbildung Hamburg haben den Start der OPS skeptisch gesehen. Sie befürchteten, dass die Schüler in einer Enklave aufwachsen und sich in der Realität und in der Gesellschaft nicht zurecht finden. Wir haben das Gegenteil bewiesen. Aus vie-len Underachievern sind bereits Achiever und sogar Hochleister geworden. (Das bestätigen auch die Ergebnisse der Lernstandserhebung KERMIT 9 für die 9. Klasse, bei denen die OPS-Schüler insgesamt über dem Niveau aller Hambur-ger Gymnasien lagen und eine Reihe von Teilergebnissen hatten, bei denen ihre Schüler zu den besten 5 % der gymnasialen Schülerschaft Hamburg zählten). Inzwischen gibt es zudem erste wissenschaftliche Erkenntnisse, die unsere Er-fahrungen bestätigen:

Die Frage, die die Wissenschaftler am meisten interessierte, war: Zeigen Schüler in speziellen Hochbegabtenklassen bessere Leistungen als Schüler in Regelklassen? Eindeutiges Ergebnis: Ja. „Schüler der Hochbegabtenklassen zeigen in all unseren Tests einen deutlichen Leistungsvorsprung“, sagt Prof. Wolfgang Schneider, Universität Würzburg. Diesen Vorsprung zeigten sie auch im Vergleich zu ebenfalls überdurchschnittlich begabten Kindern in Regelklas-sen, was nicht unbedingt erwartet worden war.

Egal, ob Deutsch, Mathematik, Englisch oder Biologie (Natur und Technik): In all diesen Fächern schnitten Schüler aus Hochbegabtenklassen besser ab. Über den Zeitraum der Untersuchung nahm ihre Lesegeschwindigkeit deutlich stärker zu als bei Kindern in den Vergleichsklassen. Dabei zeigten sich kaum Unter-schiede zwischen den Geschlechtern: Mädchen und Jungen aus Hochbegab-tenklassen zeigten gleich gute Leistungen, lediglich im Fach Englisch schnitten Mädchen etwas besser ab. Darüber hinaus waren in den Begabtenklassen das Bedürfnis nach kognitiver Herausforderung und die Freude am Denken deutlich höher ausgeprägt.“ 1

Die Erfahrungen an der OPS sind vergleichbar. Die Schüler fühlen sich sofort wohl und vor allem angenommen, sie haben ähnliche Interessen. Ihnen allen ist ein hohes Denktempo gemein sowie die Neigung zu vertiefendem Lernen. Waren viele von ihnen vorher eher Einzelgänger, so haben sie an der OPS Freundschaften geschlossen und erfahren häufig zum ersten Mal, Teil einer Ge-

1 Bartsch, G., ebd.

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meinschaft zu sein, nicht ein Ausgeschlossener davon. Ebenfalls erfahren sie, ein normaler Schüler zu werden, nicht ein Exot. Dieser Erfahrung stehen sie oft hilflos gegenüber und reagieren abwehrend darauf, weil diese Möglichkeit für sie durch ihre bisherigen Schulerfahrungen unvorstellbar war. Für viele be-ginnt damit die Phase der „Entschulung“. Unter diesem Begriff wird an der OPS verstanden, dass die Schüler ihre negativen Schulerfahrungen aufarbeiten und damit bewältigen. In dieser Zeit sind sie häufig nicht leistungsfähig, nehmen aber weiterhin regelmäßig am Unterricht teil. In dieser Phase großer Unsicherheit und Orientierungslosigkeit versuchen sie, sich zu helfen, in dem sie ihre Erfahrungen an anderen auslassen – sie können aggressiv werden, beginnen zu mobben, verbal zu entgleisen oder auch Stunden zu schwänzen. Durch die sofortigen Gegenmaßnahmen, die das Beratungsteam ergreift, werden diese psychischen Schwankungen so gut es geht aufgegriffen und mit den Eltern zusammen aufge-fangen. Am Ende dieser unterschiedlich lang dauernden Phase ist der Schüler wieder offen für Lernen und Leisten und kann sich dem jetzt vollkommen wid-men. Versäumter Unterrichtsstoff wird schnell aufgeholt und der Leistungsstand der entsprechenden Lerngruppe in kurzer Zeit erreicht. Ähnliche Erkenntnisse hat die oben zitierte PULSS-Studie gezeigt: Das Vorurteil, dass Hochbegabten-klassen eine Ansammlung schwieriger Charaktere und ein Hort permanenter Konflikte sind, konnte die Studie nicht bestätigen – im Gegenteil. „Schüler dieser Klassen fühlen sich in der Regel dort wohl. Viele von ihnen sagten, dass sie nun wieder gerne zur Schule gingen, nach eher negativen Erfahrungen in der Grundschule“, erklärt Schneider. In ihren Klassen spürten sie eine größere sozi-ale Anerkennung als ebenfalls hochbegabte Schüler in Regelklassen; die große Mehrheit von ihnen fühlte sich sehr gut in die Klassengemeinschaft inte griert.“ (Bartsch, ebd.) Diese Erfahrungen führen ebenfalls zu einer Entspannung inner-halb der Familie, die bis dahin von dem Thema Schule negativ beherrscht wurde und das Familienleben so unter Druck geriet, dass ein Leben außerhalb von Schule nicht mehr vorstellbar war. Die positiven Eindrücke der Schüler führen dazu, dass das Thema Schule gar nicht mehr oder kaum noch in der Fami-lie thematisiert wird2. Bei manchen Familien führt es dazu, dass dieses Thema vollständig ausgespart wird, was – da die Schüler eine Arbeitshaltung erst ent-wickeln müssen – durchaus erwartungswidrige Ergebnisse zeugt. (Der Schüler/die Schülerin ist inhaltlich noch nicht am notwendigen Lernstand angekommen.) Durch eine schnelle Intervention wird hier Abhilfe geschaffen.

Abschließend bleibt festzustellen, dass die OPS trotz eingeschränkter Res-sourcenlage, wie es für neu gegründete Schulen nicht unüblich ist, ihr pädago-gisches Konzept konsequent verfolgt und das als bewusst lernende Schulorga-nisation (vgl. hierzu ausführlicher Hartl, 2013, S. 217–233 und Manke a.a.O.). Die OPS kann inzwischen auf eine zweijährige Erfolgsgeschichte zurücksehen, während der die höchst komplizierte Schülerklientel, die überwiegend aus dem

2 Bartsch, G., ebd.

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staatlichen Regelsystem herausgefallen ist, zu neuer Lernfähigkeit und Lern-verantwortung hingeführt werden konnte. Über die Lernerfolge hinaus hat sich außerdem im Sinne der Konzeption des Schul-Polis-Gedankens eine offene Schulgemeinschaft herausgebildet, die es ermöglicht, dass den Schülern und El-tern eine Lern- und Lebensheimat gegeben werden kann. Diese durchaus nicht gewöhnlichen Erfolge betrachten wir als Zwischenstufe, von der aus wir uns mit aller uns zur Verfügung stehenden Kraft weiter auf unser Entwicklungsziel hinbewegen werden.

Literatur – Bartsch, G. (2013). Gute Noten für Hochbegabtenklassen. PULSS: „Projekt

für die Untersuchungen des Lernens in der Sekundarstufe“ (unter der Be-teiligung von Prof.Dr. Franzis Preckel, Universität Trier, und Prof. Dr. Albert Ziegler, Universität Erlangen-Nürnberg). In http://www. uni-wuerzburg.de/ sonstiges/meldungen/single/artikel/gute – noten – 2/,Stand: 28.07.2013).

– Hartl, G. (2012). Eine Talentschule für Hamburg. Die OKO-Private-School als Beispiel für eine begabungsfördernde Schule. In Trautmann, Th., Manke, W. (Hrsg.), Begabung – Individuum – Gesellschaft. Begabungsförderung als pä-dagogische und gesellschaftliche Herausforderung (S. 217–233). Weinheim: Beltz-Juventa

– Manke, W. (2012). Schule als begabungs- und talentförderndes Haus des Lernens. In Trautmann, Th., Manke, W. (Hrsg.), Begabung – Individuum – Gesellschaft. Begabungsförderung als pädagogische und gesellschaftliche Herausforderung (S. 202–216). Weinheim: Beltz-Juventa.

Gabriele HartlOPS Talentschule HamburgSaarlandstr. 3022303 Hamburg

E-Mail: [email protected]

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Online-Wege zur Begabtenförderung: E-Mentoring für Mädchen im MINT-BereichFranziska Buschhaus, Katrin Werner, Heidrun Stöger & Albert Ziegler

Experimentieren mit den Elementen, kryptische Formeln lösen oder mit eigenen Programmen den Computer zum Laufen bringen – die sogenannten MINT-Fä-cher1 halten viele spannende Aufgabenstellungen und spannende Anwendungs-möglichkeiten bereit. Auch viele (hoch-)begabte Schülerinnen fasziniert der so-genannte MINT-Bereich mit all seinen Facetten und Erprobungsvarianten häufig. Doch naturwissenschaftliche und technische Studiengänge sowie entsprechen-de Berufsfelder werden von Mädchen und jungen Frauen immer noch selten gewählt. Dies scheint insofern verwunderlich, als dass nicht nur ihre in Studien festgestellten Begabungen, sondern auch ihre schulischen Leistungen denen ihrer männlichen Peers durchaus entsprechen und die MINT-Arbeitsbereiche zukunftsträchtige Möglichkeiten bieten.

Interessanterweise gibt es unter den Mädchen eine Subgruppe, die trotz ho-her Interessen den MINT-Bereich meidet. Hier spielen sowohl verschiedene Fak-toren in den Aktiotopen2 der Mädchen (z.B. mangelnde Unterstützung in Schule und Familie) als auch gesamtgesellschaftliche Aspekte (bspw. Geschlechter-Stereotype) eine Rolle (vgl. Stöger et al., 2012). Zudem wird der MINT-Bereich immer noch mit unweiblichen und somit für die Schülerinnen unattraktiven Ei-genschaften verbunden. Folglich finden viele begabte und interessierte Schü-lerinnen wenig Anregungspotential und Bestärkung im eigenen Lebenskontext und sind kaum motiviert, entsprechenden Aktivitäten nachzugehen beziehungs-weise sich beruflich in MINT zu orientieren (vgl. Quaiser-Pohl, 2012; Kessels, 2012). An dieser Problematik setzt das E-Mentoringprogramm CyberMentor an: Schülerinnen der 6.–12. Klassen aus ganz Deutschland erhalten ein Jahr lang kostenfrei die Möglichkeit, sich auf einer geschützten Webplattform mit Mento-rinnen aus Wissenschaft und Wirtschaft auszutauschen. Dies ermöglicht den Mädchen, weibliche Rollenvorbilder zu erfahren, ihren eigenen Wissensstand zu erweitern und sich hinsichtlich möglicher Studiengänge zu informieren. Darüber hinaus erhalten die Teilnehmerinnen auf der Webplattform Projektideen, wei-terführendes Informationsmaterial sowie verschiedene Möglichkeiten, um sich online zu vernetzen. Der so ganzheitlich gewählte Ansatz ermöglicht ihnen die vielseitige und nachdrückliche Aneignung eigener MINT-Interessen.

1 Das Akronym MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Tech-nik.

2 Als Aktiotop wird das System aus Person und ihrer materiellen, sozialen und informa-tionellen Umwelt verstanden, mit der sie handelnd interagiert.

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Zur Bedeutung des Mentorings für begabte Mädchen im MINT-BereichDurch die bereits skizzierten gesellschaftlichen Kontextfaktoren (Stereotype, fehlender Rückhalt in der Peer-Group) entwickeln viele Mädchen und Frauen ein negatives Selbstkonzept bezüglich der MINT-Fächer und haben nur ein geringes Vertrauen in ihre diesbezüglichen Fähigkeiten. Ursula Kessels (2012, S. 163) identifiziert hinsichtlich dieser Thematik »[...] die [selbst] wahrgenommene Pas-sung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer zu zentralen Aspekten des eigenen Selbst« als einen zentralen Prädiktor für ein Engagement im MINT-Bereich. Die Unterrepräsentanz von Frauen und Mädchen in MINT wird somit dadurch erklärt, dass diese im Vergleich zu Männern und Jungen eher dazu neigen, ihre Fähigkeiten im MINT-Bereich zu unterschätzen und dass ein weib-liches Engagement in diesem Bereich mit dem Bild eines „echten“ Mädchens beziehungsweise einer „echten“ Frau kollidieren würde, da der MINT-Bereich immer noch als Männerdomäne gilt (vgl. Kessels, 2012, S. 163). Um gerade jun-gen Mädchen und Frauen hier Anregung und Unterstützung zu bieten, ermögli-chen Mentorings die Begleitung bei der Entwicklung der eigenen Interessen und Fähigkeiten.

Grundsätzlich wird Mentoring verstanden als „eine zeitlich relativ stabile dy-adische Beziehung zwischen einem/einer erfahrenen MentorIn und seinem/r/ihrem/r weniger erfahrenen Mentee. Sie ist durch gegenseitiges Vertrauen und Wohlwollen geprägt, ihr Ziel ist die Förderung des Lernens und der Entwicklung sowie das Vorankommen des/der Mentees“ (Ziegler, 2009, S. 11).

Wichtige Merkmale des Mentorings sind also einerseits die persönliche Be-ziehung zwischen den Beteiligten, andererseits die Ausrichtung an einem Lern- oder Entwicklungsziel sowie außerdem die zeitliche Dauer.

Speziell bei der Entwicklung von MINT-Begabungen können Mentorinnen in drei verschiedenen Bezugsfeldern unterstützende Funktion gegenüber den He-ranwachsenden einnehmen (vgl. Callahan & Kyburg, 2005, 425ff.). Zum einen können Begabte durch das Mentoring den notwendigen Raum zur Exploration und Vertiefung der begabungsbezogenen Fähigkeiten und Kenntnisse erhalten (vgl. dazu auch Ziegler, 2009; Ziegler & Stöger, 2009; Grassinger, 2012). Häufig können spezifische Begabungen im Rahmen der Regelschule oder durch grup-penorientierte Begabungsförderungen nicht ausreichend fokussiert werden. Mit-unter fehlen die Erfahrungen und das Wissen auf Seiten der Lehrkraft oder die infrastrukturellen Kapazitäten erlauben keinen individuellen Zuschnitt. Erfahrene Mentorinnen können diesem Defizit durch variable, auf die Person bezogene fachliche Anregungen begegnen. Zum zweiten können Mentorinnen Begabte im Bereich sozialer und emotionaler Kompetenzen stärken. Einige Begabte begeg-nen aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten sozialer Ausgrenzung oder Unver-ständnis, was die Entwicklung der Begabungen hemmen kann. Die Aufgabe der Mentorinnen ist es hier, die Kinder und Jugendlichen zu ermutigen und Verhal-

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tensstrategien aufzuzeigen. Schließlich besteht laut Callahan und Kyburg (vgl. Callahan & Kyburg, 2005, S. 427) eine dritte Aufgabe in der Funktion als Rollen-modell. Mentorinnen mit ähnlichen Erfahrungen können so als Ratgeberinnen fungieren, Strategien vermitteln und bei Unsicherheiten authentisch bestärken. Alle drei Schwerpunkte werden im Mentoring durch die angestrebte persönliche Beziehung und die Individualisierung besonders stark angesprochen.

Positive Effekte auf die Entwicklung von Begabungen durch eine Teilnahme an Mentoringprogrammen wurden beispielsweise von Arnold (1995) aufgezeigt. Die Studie untersuchte die Berufswahl von 46 begabten Frauen zu unterschied-lichen Zeitpunkten im Verlauf ihrer Karrieren nach dem Verlassen der High School. Insgesamt verbanden diejenigen Frauen, die eine Karriere in den Natur-wissenschaften anstrebten, ihre Berufswahl mit den Rollenmodellen und der Un-terstützung durch Mentorinnen, denen sie im Programm begegneten. So wurden die Mentorinnen als wesentlicher Einflussfaktor klassifiziert, die unterschiedliche Berufe sowie eine mögliche Integration in individuelle Lebensverläufe erst greif- und nachvollziehbar machten. Ähnliches berichten Packard und Nguyen (2003), deren Studie die Berufsorientierungen von Frauen in MINT nach Besuch eines Sommercamps für Naturwissenschaften und Mathematik untersuchte. Frauen, die eine Karriere im MINT-Bereich anstrebten, gaben an, dass das Mentoring wichtiger Einflussfaktor für ihre Berufswahl war.

Als besondere Form bietet das E-Mentoring zusätzliche Vorteile, stellt gleich-zeitig jedoch auch Herausforderungen für alle Beteiligten dar. E-Mentoring um-fasst Angebote, die zum Austausch zwischen Mentee und Mentorin die Mög-lichkeiten onlinebasierter Kommunikation und Kollaboration nutzen, also etwa E-Mail, Chat oder Webkonferenzen. Dabei werden diese Formate teilweise ge-wählt, weil der „Face-to-Face“-Kontakt nicht möglich ist, teilweise aber auch, um die konkreten Vorteile der Internetkommunikation gezielt zu nutzen (vgl. Stöger, 2009; Miller & Griffiths, 2005). Zu den Herausforderungen des E-Mentorings zählen beispielsweise das Fehlen nonverbaler Hinweisreize und Kontextinfor-mationen, etwa Mimik und Gestik der Gesprächspartnerinnen aufgrund der Re-duktion auf schriftbasierte Kommunikation. Hier sind hohe Ausdrucks- und In-terpretationskompetenzen auf beiden Seiten zentral, um einen funktionierenden Austausch zu ermöglichen (vgl. Stöger, 2009, S. 231 f.). Um also ein erfolgrei-ches Mentoring zu etablieren, bedarf es vertiefter Medienkompetenzen, die nicht allein die funktionalen Kompetenzbereiche der Bedienung umfassen, sondern sich ebenso auf Interpretations- und Artikulationsdimensionen beziehen (vgl. Schorb, 2005, S. 258 f.).3 Außerdem resultiert die Konzentration auf die Online-Kommunikation bisweilen in einem Mangel an Verbindlichkeit und Verpflichtung,

3 Medienkompetenz leitet sich dabei aus der kommunikativen Kompetenz ab und kann beispielsweise als Zusammenspiel der Dimensionen Medienwissen, Medienbewer-tung sowie Medienhandeln verstanden werden (vgl. Schorb, 2005, S. 259).

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so dass ein Ausstieg aus dem Programm leichter fällt als bei persönlichem Kon-takt vor Ort (vgl. Stöger, 2009, S. 234).

Dem gegenüber stehen jedoch auch einige Potentiale und Vorteile des E-Mentorings, die einen Einsatz solcher Formen trotz der genannten Herausfor-derungen rechtfertigen. Dies sind vor allem strukturell-organisatorische Aspekte, etwa die zeitliche und örtliche Unabhängigkeit der Beteiligten, die jeweils ihre Partizipation am Programm - ohne strikte Taktung und die Notwendigkeit von Präsenztreffen – weitestgehend individuell gestalten und in ihren (Arbeits-)Alltag integrieren können. Gerade für Schülerinnen, wie im hier vorgestellten Projekt CyberMentor, stellt dies einen besonderen Vorteil dar. Durch den onlinebasierten Zugang steht ihnen der Zugang zu Mentorinnen offen, die aus ganz Deutschland kommen und die sie andernfalls aus Zeit- und Kostengründen nicht ebenso re-gelmäßig kontaktieren könnten. Daher eröffnen sich Mentoringpotentiale auch für Mädchen aus infrastrukturell benachteiligten Gebieten. Zusätzlich hat sich gezeigt, dass die onlinevermittelte Kommunikation per Chat und E-Mail hierar-chische und soziale Hemmschwellen negieren und somit zu einem angst- und störärmeren Austausch führen kann (vgl. Stöger, 2009; Döring, 2003). Es bietet sich also die Chance, dass die Mentees bei CyberMentor weniger Hemmungen bei der Ansprache ihrer Mentorinnen haben können, als dies bei Präsenzformen der Fall ist.

CyberMentor als ganzheitliche Mentoringmaßnahme zur Förderung von MINT-begabten MädchenWie genau werden nun aber diese Förderansätze bei CyberMentor umgesetzt? Im Rahmen des Projektes können sich die Mädchen ein Jahr lang mit einer Men-torin, die im MINT-Bereich tätig ist, austauschen. Dazu steht ihnen eine Internet-plattform zur Verfügung, auf der sie chatten und private Nachrichten schreiben oder Forendiskussionen durchführen können. Neben dem 1:1-Austausch mit der persönlichen Mentorin stehen den Mädchen und Frauen außerdem allgemei-ne Foren und onlinebasierte Interaktionsmöglichkeiten zur Verfügung, die einen übergreifenden Austausch und eine vielseitige Vernetzung ermöglichen. Überge-ordnetes Ziel des Projektes ist es, die Teilnehmerinnen in ihren MINT-Interessen und -Begabungen zu fördern und dabei Explorations- und Erfahrungsräume zu bieten, die ihnen in ihrer alltäglichen Umwelt so nicht zur Verfügung stehen. Zu-dem sollen die Mädchen Informationen über MINT-Studiengänge und -Berufe er-halten. Dies soll den Teilnehmerinnen die Erweiterung des eigenen Handlungs-repertoires ermöglichen und sie dadurch zu mehr MINT-Aktivitäten motivieren (z. B. Lesen von MINT-Büchern und -Artikeln, gemeinsames Experimentieren, Teilnahme an MINT-Wettbewerben). Längerfristig betrachtet strebt CyberMentor damit an, Mädchen und Frauen zu vermehrter Partizipation im MINT-Bereich zu ermutigen und damit auch dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken.

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Die Teilnehmerinnen von CyberMentor zeichnen sich durch ihre besonders hohe Motivation und herausragendes Interesse am MINT-Bereich im Vergleich mit ihren Altersgenossinnen aus. So wurde durch eine Fragebogen-Erhebung zu Beginn des Projektjahres festgestellt, dass sie mit ihrem Interesse an MINT, ebenso mit dem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und ihrer Orientierung hin-sichtlich MINT-Aktivitäten deutlich über den Werten der Mädchen-Kontrollgruppe lagen. Einige Werte waren mit denen der befragten Jungen vergleichbar, zum Teil zeigten sie aber auch deutlich höhere Werte als ihre männlichen Peers. Zudem lagen auch die Noten in Mathematik und den Naturwissenschaften der Teilnehmerinnen über denen der weiblichen Kontrollgruppe und ähnelten oder übertrafen die der Jungen (vgl. Stöger et al., 2012).

Insgesamt konnten durch das Programm CyberMentor für die Gesamtgrup-pe der Teilnehmerinnen positive Effekte erzielt werden. So steigerte sich bei den Mentees im Verlauf und zu den unterschiedlichen Messzeitpunkten zum Beispiel das Vertrauen in die eigenen MINT-Fähigkeiten und die Bereitschaft, MINT-Aktivitäten durchzuführen, während beide Werte bei der Kontrollgruppe sanken. Zusätzlich wurden sowohl das Wissen über entsprechende Studiengän-ge als auch die Berufswahlintention erhöht (vgl. Stöger et al., 2012). Selbst bei Teilnehmerinnen mit ungünstigen Einflussfaktoren (sowohl individuell, etwa ge-ringem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, als auch umweltbedingt, zum Bei-spiel wenigen Gesprächspartnerinnen zum Thema MINT) zeigten sich positive Effektstärken hinsichtlich einer Zunahme der eigenen MINT-Aktivitäten und der Berufsorientierungssicherheit (vgl. Buschhaus et al., 2013, S. 50 f.).

Zwischen Austausch, Ausprobieren und Anwenden: Von CyberMentor zu CyberMINT-CommunitiesDurch das CyberMentor-Programm und auf der dazugehörigen Online-Plattform bieten sich den Teilnehmerinnen auf verschiedenen Wegen Anregungen und In-formationen zur Verfolgung ihrer MINT-Interessen. Ziel ist es dabei, ihnen online Handlungsbereiche aufzuzeigen, in denen sie MINT anwenden können und die sie schließlich in ihrem Alltag aufsuchen und explorieren können (vgl. Ziegler et al., 2010).

1:1 Austausch mit der eigenen MentorinWie bereits aufgezeigt, ist ein zentrales Merkmal des Programms der Austausch der Schülerinnen mit ihren persönlichen Ansprechpartnerinnen. Konkret bedeu-tet dies, dass Mädchen und Mentorinnen mit ähnlichen MINT-Interessen bei Cy-berMentor bereits zu Beginn der Runde ein Mentoring-Paar bilden. Diese feste Gruppierung bleibt über eine gesamte CyberMentor-Periode, die ein Jahr dauert, bestehen und bietet stets eine konkrete Ansprechmöglichkeit für die Schülerin-

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nen. In der Anfangsphase des Projekts lernen sich Mentorin und Mentee kennen, finden heraus, welche Interessen die Partnerin hat und was sie gemeinsam bei CyberMentor tun möchten. Diese Initialphase ist wichtig, um die persönliche Be-ziehung zwischen Mentorin und Mentee aufzubauen und auch Möglichkeiten der Förderung auszumachen. Durch den ersten Kontakt per Chat oder E-Mail kann die Mentorin beispielsweise herausfinden, welche MINT-Aktivitäten die Mentee in ihrer Freizeit bereits durchführt, ob sie Unterstützung in ihrer Lebenswelt fin-det oder nicht. Für die Mentee kann es hier bereits interessant sein, Arbeitsfeld und -ablauf der Mentorin kennen zu lernen und so bereits erste Informationen zu einem MINT-Berufsfeld zu erfahren. Durch die eigene Erfahrung können die Mentorinnen besonders authentisch und praxisnah auf die Mädchen eingehen. In dieser Phase können beide zudem gemeinsam überlegen, welche Ziele bei CyberMentor erreicht werden sollen und wie sie dies angehen möchten.

Vielfältiger Austausch in der eigenen CyberMINT-CommunityNeben der eigenen Mentorin werden die Teilnehmerinnen zusammen mit ein bis zwei weiteren Mentoring-Pärchen einer sogenannten CyberMINT-Commu-nity zugeordnet. Wichtigstes Einzelkriterium bei der Zusammenstellung dieser Gruppen sind gemeinsame MINT-Interessen. So erhalten die Schülerinnen ne-ben dem Kontakt zur Mentorin auch die Möglichkeiten, sich mit Gleichaltrigen auszutauschen und zu kooperieren, die an ähnlichen Themen arbeiten möch-ten wie sie selbst. Während es vielen Mädchen an Gesprächspartnerinnen zum Thema MINT im eigenen Freundeskreis fehlt, merken sie nun, dass auch andere Schülerinnen an ähnlichen Themen interessiert sind. Dies kann sie positiv bestärken und ihr eigenes Selbstbild bzw. ihre Berufswahlorientierung bezüglich MINT verbessern (vgl. Stake & Nickes, 2005).

Des Weiteren werden im Community-Kontext die jeweiligen MINT-Perspekti-ven erweitert, da mit der Zahl der direkten Ansprechpartnerinnen auch die Viel-falt der beobachteten Interessen und Berufe zunimmt. Natürlich spiegelt eine solche Community auch verschiedene Persönlichkeiten wider, wodurch die Chancen steigen, für jede Schülerin die passende Ansprechpartnerin zu finden. Gemeinsam mit der Community bearbeiten die Mädchen MINT-Projekte, wo-bei sie sich auf die Unterstützung ihrer Mentorinnen verlassen können. Um ge-meinsam zu arbeiten und zu diskutieren, können sie ihre Arbeitsprozesse und Kommunikationswege den eigenen Bedürfnissen anpassen, also beispielsweise synchrone (Chat) oder asynchrone Wege (Forum, Mail) nutzen. Zusätzlich ste-hen ihnen Möglichkeiten der Projektpräsentationen im Wiki, in der plattformei-genen Online-Zeitung CyberNews oder dem plattformübergreifenden Forum zur Verfügung.

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Informationen, Tipps und Austausch im allgemeinen Community-Be-reich Für eine nachhaltige Förderung und ganzheitliche Entwicklung individueller Begabungen bedarf es nicht nur der Unterstützung durch Ratschläge und Er-fahrungsaustausch, sondern ebenso der Handlungsräume, in denen konkrete Kompetenzen erprobt und vertieft werden können (vgl. Ziegler & Stöger, 2009). Durch die vielfältigen MINT-Projekte, welche in den Communities durchgeführt werden, finden die Schülerinnen bereits Anregungen. Zusätzlich bietet die Cy-berMentor-Plattform unterschiedliche Bereiche zur Erkundung der MINT-Vielfalt. Hierzu zählt beispielsweise das allgemeine Forum, in dem nicht nur Berufe dis-kutiert, sondern auch MINT-Rätsel gelöst oder Bücher-Tipps gegeben werden. Weitere inhaltliche Förderung finden die Mentees in der CyberUni mit Links zu MINT-Websites, einem Wiki zur Abiturvorbereitung in den MINT-Fächern und zahlreichen Projektvorschlägen. All diese Angebote werden durch die Mentees und Mentorinnen aktiv mitgestaltet. So füllen sie sowohl das Abi-Wiki als auch die Link-Liste selbst mit Inhalten und können sich mit eigenen Artikeln an der Entstehung der CyberNews beteiligen.

Zusammenfassung und AusblickIm Sinne einer umfassenden Begabtenförderung in MINT kann CyberMentor als E-Mentoringprogramm vielen Ansprüchen gerecht werden. An MINT interessier-te Mädchen, die in ihrem Alltag oft Skepsis begegnen, können im abgeschirmten Bereich einer Online-Community mit Personen kommunizieren, die ihre Interes-sen teilen. Durch den persönlichen Austausch mit der eigenen Mentorin setzt die Förderung direkt an den individuellen Bedürfnissen der Mentees an. Gleichzeitig kann die Mentorin durch ihren Erfahrungsvorsprung der Schülerin Unterstützung bieten. Zusätzlich haben Mentee und Mentorin durch die Angebote der Online-Plattform konkrete Formate, um ihr Interesse praktisch umzusetzen, etwa durch eigene Experimente oder das Verfassen eigener Artikel für die CyberNews. Da-rüber hinaus bilden die interessengeleiteten CyberMINT-Communities soziale Netzwerke, in denen sich die Schülerinnen auch mit Gleichaltrigen über ihr Inte-resse austauschen können und wichtigen sozialen Rückhalt und Wertschätzung erfahren können. Von Vorteil erweist sich zudem der onlinebasierte Austausch; denn CyberMentor ermöglicht Mädchen aus ganz Deutschland den Zugang zur Plattform, unabhängig von Ort und Zeit. Dies ist sowohl für Mentorinnen als auch für Mentees von Vorteil und bietet auch über einen längeren Zeitraum Bestän-digkeit. Außerdem setzen medial vermittelte Formen des Mentorings auch an den jugendlichen Lebenswelten an. Somit bleibt das Mentoring nicht allein auf Austausch und Beratung begrenzt, sondern kann durch konkrete Aktivitäten all-mählich in die Lebenswelt der Mentees integriert werden.

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– Stöger, H., Ziegler, A., Greindl, T., Heilemann, M., Neubauer, T., Reutlinger, M., Schirner, S. & Sturm, K. (2012). Erfolgreich in MINT: Mentoring für Mäd-chen und Frauen. Köln: Häuser.

– Ziegler, A. & Stöger, H. (2009). Begabungsförderung aus einer systemischen Perspektive. In Journal für Begabtenförderung (9). S. 6–31.

– Ziegler, A. (2009). Mentoring: Theoretischer Hintergrund. In Stöger, H.; Zieg-ler, A. & Schimke, D. (Hrsg.), Mentoring: Theoretische Hintergründe, empi-rische Befunde und praktische Anwendungen. (S. 7–30). Lengerich: Pabst.

– Ziegler, A., Schirner, S., Schimke, D. & Stoeger, H. (2010). Systemische Mäd-chenförderung im MINT-Bereich: Das Beispiel CyberMentor. In C. Quaiser-Pohl & Endepohls-Ulpe, M. (Hrsg.), Bildungsprozesse im MINT-Bereich. Münster: Waxmann.

Note: Wer sich über CyberMentor informieren oder sich als Mentorin oder Mentee beteiligen möchte, findet unter der Adresse www.cybermentor.de weite-re Hinweise.

Franziska Buschhaus Katrin WernerFriedrich-Alexander-Universität Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg Erlangen NürnbergLehrstuhl Pädagogische Psychologie Lehrstuhl Pädagogische PsychologieRegensburger Str. 160 Regensburger Str. 16090478 Nürnberg 90478 Nürnberg E-Mail: franziska.buschhaus@ E-Mail: katrin.werner@ cybermentor.de cybermentor.de

Prof. Dr. Heidrun Stöger Prof. Dr. Albert ZieglerUniversität Regensburg Friedrich-Alexander-UniversitätLehrstuhl Schulpädagogik Erlangen NürnbergUniversitätsstr. 31 Lehrstuhl Pädagogische Psychologie93053 Regensburg Regensburger Str. 160 90478 NürnbergE-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected]

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ABB-Information 2013 – – – 27

Forschungsstudien

Förderung mathematisch befähigter Vorschulkinder durch einen spielerischen Umgang mit anspruchsvollen mathematischen AufgabenZur Bedeutung mathematischen Denkens im Vorschulalter

Ines Müller, Wolfgang Lehmann & Vanessa Hettwer

Wird von einer grundlegenden Definition der Mathematik als Wissenschaft von den Strukturen ausgegangen, so kann mathematisches Denken in jeder All-tagssituation gesehen werden. Auch Kinder im Vorschulalter begegnen diesen Situationen tagtäglich. Um mit ihnen die Strukturen auf spielerische Art zu ge-brauchen und zu verändern, ist es wichtig, an die natürliche Neugier und das Interesse der Kinder anzuknüpfen. Denken wir z.B. an Abzählreime, wie „eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, eine alte Frau kocht Rüben, eine alte Frau kocht Speck und du bist weg“, dann wird deutlich, dass Kinder frühzeitig gern mit Zahlen umgehen. Zahlen bilden jedoch nur einen Teil der Mathematik. Darüber hinaus erfordert alles, was mit der Anwendung von Strukturen zu tun hat, ma-thematisches Denken. Dazu braucht es keine umfangreichen Kenntnisse, wie es z.B. der Umgang mit den Naturwissenschaften, wie Physik oder Chemie, er-fordert. Stattdessen können alltägliche Situationen mathematisiert werden und zwar dem Niveau der Kinder entsprechend. Auf dieser Grundlage basiert un-ser Projekt „Früh übt sich … – gewusst wie!“ zur mathematischen Kompetenz im Vorschulalter. Folglich wurde im Rahmen unseres Projektes die Entwicklung der mathematischen Kompetenz nicht nur auf Zahlen und deren Umgang damit beschränkt, sondern der Begriff mathematische Kompetenz bereits im Vorschul-alter weiter gefasst. So haben sich auch faktorenanalytisch mehrere Fähigkeits-bereiche herauskristallisiert, die die mathematische Kompetenz gut beschreiben und auf denen unser Förderprogramm beruht: Zahlenverständnis, Mengenver-ständnis, Rechenfähigkeiten, räumliche Fähigkeiten, visuelle Differenzierungs-fähigkeit, Symbolverständnis sowie abstrakt-logisches Denken (Müller, Rade-macher & Lehmann, 2012).

Förderung mathematischer KompetenzAndere bislang bestehende Förderprogramme fokussieren eher auf Zahlen und deren Anwendung. Unsere Überlegungen zur Entwicklung mathematischer Fä-higkeiten im Vorschulalter heben diese Beschränkung insofern auf, als dass wir Raum, Zeit und Alltagsstrukturen in den spielerischen Umgang mit mathemati-schen Problemen mit einbeziehen. Im Folgenden werden einige Beispiele für all-tägliche Situationen aufgeführt, bei denen mathematische Probleme spielerisch

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gelöst werden können: – beim Kochen Mengen abmessen,

– Pudding beim Kochen nach Farben sortieren,

– Löffel und Gabel der Menge der Kinder zuordnen,

– Sitzordnungen variieren,

– Ordinalzahlen bei sportlichen Wettkämpfen und beim Vergleich von Füllmen-gen in Gläsern zuordnen,

– Formenstrukturen verschieden großer Blätter am Baum erkennen (Größen-vergleich von Blättern),

– rechts und links bei Ausflügen koordinieren,

– räumliche Verhältnisse durch Abschätzen erschließen lassen,

– balancieren und klettern,

– Autos zu verschiedenen PKW-Typen zuordnen (Struktur erfassen und sym-bolhaft denken),

– auf dem Spielplatz erkunden des Raumes (klettern, verstecken und fangen),

– im Sandkasten mit Formen und Mengen spielen,

– und schließlich kann man nicht umhin, auch mit abstrakt-symbolhaften Struk-turen zu arbeiten, wie das Bilden von logischen Reihen.

Die daraus resultierenden mathematischen Übungen sind für Kinder unter-schiedlicher Leistungsbereiche geeignet. Unsere Untersuchungen diesbezüg-lich haben ergeben, dass sich bei den Vorschulkindern im Bereich obiger ma-thematischer Fähigkeiten eine große Varianz abzeichnet (Müller, Rademacher & Lehmann, 2012; Rademacher, Trautewig, Günther, Lehmann & Quaiser-Pohl, 2005). Dies bestätigen auch Ergebnisse anderer Untersuchungen (Aster von, Schweiter & Weinhold-Zulauf, 2007; Hellmich & Jansen, 2008; Krajewski & Schneider, 2006; Stern, 1998; Weißhaupt, Peucker & Wirtz, 2006). Bei der frü-hen Förderung und Bildung geht es bislang jedoch vorrangig einerseits darum, Kinder im unteren Bereich der mathematischen Leistungsfähigkeit (Dyskalkulie) zu identifizieren, um sie für die Schule fit zu machen (z.B. Lorenz, 2006; Mer-dian, o.J.). Andererseits gibt es allgemeine Förderprogramme, mit denen alle Vorschulkinder undifferenziert gefördert werden können (z.B. Krajewski, Nieding & Schneider, 2008; Rademacher, Lehmann, Quaiser-Pohl, Günther & Trautewig, 2009). Für die besonders befähigten Kinder, also jene im oberen Leistungsbe-reich, finden sich bisher kaum spezielle Aufgaben, die dem kognitiven Niveau der Kinder entsprechen. Auch Textor (2006) verweist darauf, dass die etwa 15 bis 20 % der Kinder, die überdurchschnittlich begabt sind, bei der Förderung bislang völlig unzureichend berücksichtigt werden.

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Ein bereits existierendes Programm zur Förderung mathematisch besonders befähigter Kinder im Kindergarten ist das Programm „Mathematisch begabt“ (Quaiser-Pohl, Köhler & Sticker, 2012). Bei der Evaluation des Programms wur-den von den Erzieherinnen als besonders befähigt eingeschätzte Kinder wäh-rend mehrerer Übungseinheiten in den Bereichen Mengenverständnis, Zahlbe-griff, Rechenfähigkeiten und räumliches Vorstellen gefördert. Die nicht zu dieser Zielgruppe zählenden Kinder der untersuchten Kindergartengruppen wurden einer Kontrollgruppe zugewiesen. Mit ihnen wurde ein sozio-emotionales Trai-ning durchgeführt. Anschließend zeigte sich, dass sich die besonders begab-ten Kinder in ihren mathematischen Fähigkeiten verbessert hatten, dies bei der Kontrollgruppe jedoch nicht der Fall war (Quaiser-Pohl, Köhler & Sticker, 2012). Allerdings bleibt das beschriebene Programm auf die Bereiche des Zahlen- und Mengenverständnisses, der Rechenfähigkeiten sowie des räumlichen Vorstel-lens beschränkt. Somit werden die Kinder dadurch nicht in allen wesentlichen Bereichen der mathematischen Kompetenz gefördert. Zudem wurden für dieses Programm keine Itemkennwerte geprüft, so dass keine Rückschlüsse über die tatsächliche Aufgabenschwierigkeit und somit Angemessenheit der Aufgaben für die Zielgruppe der mathematisch begabten Kinder gezogen werden können. Demzufolge kann nicht gewährleistet werden, dass Kinder der Zielgruppe durch die Aufgaben unter- oder überfordert werden und sich somit durch die Aufgaben gelangweilt oder gestresst fühlen.

Aus diesem Grund wurden in einer aktuellen Arbeit Aufgaben zur Förderung insbesondere mathematisch besonders befähigter Kinder entwickelt, bei denen der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben anhand der Lösungswahrscheinlichkeiten geprüft wurde (Hettwer, in Vorb.). Dabei wurden für jeden der bereits benann-ten sieben Fähigkeitsbereiche der mathematischen Kompetenz eigene Aufga-benstellungen formuliert (Hettwer, in Vorb.). Im Folgenden werden einige Bei-spielaufgaben vorgestellt, die in der Studie eher selten gelöst wurden und somit einen hohen Schwierigkeitsgrad aufweisen.

BeispielaufgabenBei dieser Aufga-be sollen die Kinder alle in Abbildung 1 enthaltenen Wolken blau und alle Autos rot umranden. Die Schwierigkeit der Aufgabe beträgt p = .36 und wird von der Anzahl der Elemente Abb. 1: Aufgabe zur Wahrnehmungsdifferenzierung

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und der Ähnlichkeit dieser wesentlich mitbestimmt. Je mehr Elemente das Bild enthält und je ähnlicher sich die-se sind, desto schwieriger ist es, die Aufgabe zu lösen.

Die Kinder sollen bei dieser Auf-gabe die links in Abbildung 2 darge-stellte Figur gespiegelt auf der rech-ten Seite einzeichnen. Die Punkte dienen dabei als Orientierung. Bei dem sehr komplexen Beispiel liegt die Lösungswahrscheinlichkeit bei p = .08.

Die in Abbildung 3 dargestellten Punk-te, die für die Kinder auch als „Bälle“ be-zeichnet werden können, sollen so in vier gleiche Teile eingeteilt werden, dass in je-dem Teil gleich viele Bälle enthalten sind. Die Lösungswahrscheinlichkeit dieser Aufgabe liegt bei p = .24.

Die Abbildung 4 zeigt eine Perlen-kette, bei der einzelne Perlen mit Zah-len beschriftet sind. Die Kinder sollen

die noch fehlenden Zahlen auf den übrigen Perlen in der richtigen Reihenfolge ergän-zen. Auch hierbei handelt es sich mit einer Lösungswahr-scheinlichkeit von p = .15 um eine schwierige Aufgabe, die vor allem für mathematisch besonders befähigte Kinder geeignet ist, um die-se bereits im Vorschulalter ihrer Begabung entsprechen fördern zu können. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass durch die Variation der Aufgaben auch deren Lösungswahrscheinlichkeit verändert werden kann. So können damit auch we-niger befähigte Kinder gefördert werden, so dass durch das erfolgreiche Lösen auch bei ihnen frühzeitig Freude an der Mathematik entwickelt wird.

Möglichkeiten zur Einschätzung der mathematischen Begabung im KindergartenAuch wenn entsprechende Aufgaben zur Förderung mathematisch besonders befähigter Kinder zur Verfügung stehen, bleibt eine zweite Frage zu klären: Wie lassen sich diese Kinder (im Kindergartenalltag) identifizieren? Eine Möglichkeit besteht darin, die Erzieherinnen der jeweiligen Kindereinrichtung einen Kompe-

Abb. 2: Aufgabe zur Strukturerkennung

Abb. 3: Aufgabe zum Mengenverständnis

Abb. 4: Aufgabe zum Symboldenken

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tenzfragebogen ausfüllen zu lassen. Um einen solchen Fragebogen handelt es sich beispielsweise beim Beobachtungsbogen für 3- bis 6-jährige Kinder (BBK-3-6; Frey, Duhm und Althaus, 2007). Studien zeigen, dass eine Einschätzung der mittels des Fragebogens erfassten Kompetenzbereiche gut gelingt. So wurden in einer Studie die Erzieherinnen gebeten, die Kompetenzen der von ihnen seit ca. drei Jahren betreuten Kinder zu beobachten und anhand des Fragebogens einzuschätzen (Mayerosch, 2011). Zwischen den Einschätzungen der Erziehe-rinnen in Bezug auf die Fähigkeiten der Kinder im Lesen, Schreiben und Rech-nen und den Einschätzungen seitens eines Novizen, der die Kinder ca. zwei Wochen in der Kindertagesstätte begleitet hatte, zeigten sich dabei Zusammen-hänge von r = .81 und somit hohe Übereinstimmungen (Mayerosch, 2011). Da-rüber hinaus wurde deutlich, dass die im Vorfeld getroffenen Annahmen der Er-zieherinnen über die Kompetenzen der Kinder teilweise nicht zutrafen, sondern manche besonderen Begabungen bisher nicht entdeckt bzw. bei nicht in beson-derem Maße befähigten Kindern vermutet worden waren (Mayerosch, 2011). Ergebnisse einer weiteren Studie (Müller, in Vorb.) unterstreichen die Zuverläs-sigkeit der Einschätzungen seitens der Erzieherinnen mittels eines Fragebo-gens. In dieser Untersuchung wurde obiger Kompetenzfragebogen speziell auf die Erfassung mathematischer Fähigkeiten angepasst und erweitert. Zwischen den Einschätzungen der Erzieherinnen mittels des adaptierten Fragebogens und den Ergebnissen der mathematischen Tests, die mit den Kindern parallel in den Kindertagesstätten durchgeführt wurden, fanden sich Zusammenhänge in Höhe von r = .47. Da im Fragebogen nicht alle Fähigkeitsbereiche der ma-thematischen Kompetenz abgefragt wurden, die auch in den Tests erfasst wur-den, ist dieses Ergebnis als durchaus angemessen anzusehen (Müller, in Vorb.). Dieser Fragebogen wurde auch in der Untersuchung von Hettwer (in Vorb.) ge-nutzt. Hier fanden sich sogar starke Zusammenhänge im Bereich von r = .63. Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass das Urteil der Erzieherinnen in den Kin-dertagesstätten unter zwei Bedingungen durchaus treffend ist:

1 Die Erzieherinnen haben die Möglichkeit, die Kinder über einen Zeitraum von mindestens zwei bis vier Wochen kennen zu lernen.

2 Den Erzieherinnen sollte ein kurzes, leicht verständliches und einfach anzu-wendendes Beobachtungsinstrument zur Verfügung gestellt werden, anhand dessen die Einschätzung der Fähigkeiten der Kinder vorgenommen werden kann.

Literatur – Aster, M. G. von, Schweiter, M. & Weinhold-Zulauf, M. (2007). Rechenstö-

rungen bei Kindern. Vorläufer, Prävalenz und psychische Symptome. Zeit-schrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 39 (2), S. 85–96.

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– Hellmich, F. & Jansen, S. (2008). Diagnose mathematischer Vorläuferfähig-keiten im vorschulischen Bereich. In F. Hellmich & H. Köster (Hrsg.), Vor-schulische Bildungsprozesse in Mathematik und Naturwissenschaften (S. 59–81). Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.

– Hettwer, V. (in Vorb.). Förderung mathematischer Kompetenz im Vorschulal-ter anhand von selbst konstruierten Aufgaben zur Fähigkeitsdifferenzierung. Bachelorarbeit. Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

– Krajewski, K. & Schneider, W. (2006). Mathematische Vorläuferfertigkeiten im Vorschulalter und ihre Vorhersagekraft für die Mathematikleistungen bis zum Ende der Grundschulzeit. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 53, 4, S. 246–262.

– Lorenz, J. H. (2006). Förderdiagnostische Aufgaben für Kindergarten und Anfangsunterricht. In M. Grüßing & A. Peter-Koop (Hrsg.), Die Entwicklung mathematischen Denkens in Kindergarten und Grundschule: Beobachten – Fördern – Dokumentieren (S. 55–66). Offenburg: Mildenberger.

– Merdian, G. (o. J.). Training mathematischer Vorläuferfertigkeiten im Vorschul-alter. In M. R. Textor (Hrsg.), Kindergartenpädagogik – Online-Handbuch. http://www.kindergartenpaedagogik.de/ 489.html [Zugriff am 30.04.2013].

– Mayerosch, M. (2011). Kompetenzentwicklung im Vorschulalter. Eine empi-risch gestützte Darstellung eines Screening-Verfahrens mit Hilfe des „Beob-achtungsbogens für 3- bis 6-jährige Kinder“. Unveröffentlichte Bachelorar-beit. Helmut Schmidt Universität Hamburg.

– Müller, I. (in Vorb.). Mathematische Kompetenz im Vorschulalter. Familiäre Anregung und Merkmale des Kindes als Einflussfaktoren. Dissertation. Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

– Müller, I., Rademacher, J. & Lehmann, W. (2012). Förderung mathematischer Kompetenz im Vorschulalter. In: ABB - Arbeitskreis Begabungsforschung und Begabungsförderung (Hrsg.), ABB-Informationen. Jahresbericht 2012, (S. 93–100). Rostock: Universität Rostock.

– Rademacher, J., Lehmann, W., Quaiser-Pohl, C., Günther, A. & Trautewig, N. (2009). Mathematik im Vorschulalter. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

– Quaiser-Pohl, C., Köhler, A. & Sticker, E. (2012). Mathematisch begabt. Vor-schulkinder angemessen fördern. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

– Rademacher, J., Trautewig, N., Günther, A., Lehmann, W. & Quaiser-Pohl, C. (2005). Wie können mathematische Fähigkeiten im Kindergarten gefördert werden? Ein Förderprogramm und seine Evaluation. Report Psychologie, 30, (9), S. 360–367.

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– Stern, E. (1998). Die Entwicklung des mathematischen Verständnisses im Kindesalter. Lengerich: Pabst.

– Textor, M. R. (2006). Begabte Kinder in Tageseinrichtungen: Situation, Pro-bleme, Identifizierung. In M. R. Textor (Hrsg.), Kindergartenpädagogik– On-line-Handbuch. http://www.kindergartenpaedagogik.de/1916.html [Zugriff am 30.04.2013].

– Weißhaupt, S., Peucker, S. & Wirtz, M. (2006). Diagnose mathematischen Vorwissens im Vorschulalter und Vorhersage von Rechenleistungen und Re-chenschwierigkeiten in der Grundschule. Psychologie in Erziehung und Un-terricht, 53 (4), S. 236–245.

Ines Müller Prof. Dr. Wolfgang LehmannOtto-von-Guericke-Universität Helmut-Schmidt-Universität Magdeburg Holstenhofweg 85Institut für Psychologie I Gebäude H4Postfach 4120 22043 HamburgD-39016 Magdeburg E-Mail: [email protected]: [email protected]

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Förderung hochbegabter Schülerinnen und Schüler in Regelklassen und Förderklassen für Hochbegabte in Mecklenburg-Vorpommern Evaluation von Förderkonzepten und Ableitungen für die Unterrichtspraxis

Karina Dartsch

Ausgangspunkt und ZielstellungDie Umsetzung von Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention, also der gemeinsame Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung, ist laut Kultus-ministerkonferenz (KMK) auch 2013 eines der bedeutendsten Bildungsthemen. Die bildungspolitischen Konsequenzen der inklusiven Bildung werden von Po-litikern, Bildungswissenschaftlern, Lehrern und Eltern in den Bundesländern kontrovers diskutiert, und die entwickelten Konzepte der Länder weisen starke Variationen in ihrer (praktischen) zeitlichen, organisatorischen und personellen Struktur der Umsetzung auf. In Mecklenburg-Vorpommern wird der Prozess zur Entwicklung eines inklusiven Schulsystems bis 2020 von einer Expertenkommis-sion, die die Förderung aller Schüler1 anstrebt, begleitet (Expertenkommission Mecklenburg-Vorpommern, 2012). Die Empfehlungen zur schrittweisen Umset-zung der Inklusion zielen demnach ebenso auf die wohnortnahe Beschulung begabter und hochbegabter Schüler in inklusiven Schulen ab. Der Vorteil kurzer Beförderungswege zur Schule in einem Flächenland mit einer relativ geringen Einwohnerdichte wie Mecklenburg-Vorpommern liegt nahe. Aus begabungspsy-chologischer Perspektive ergeben sich auf dieser Grundlage vielfältige Frage-stellungen zur adäquaten Förderung Hochbegabter in integrativen Regelklas-sen. So stellt sich unter anderem die Frage, welche Konzepte zur Förderung hochbegabter Schüler in den inklusiven Regelklassen und den speziellen För-derklassen für Hochbegabte derzeit in Mecklenburg-Vorpommern existieren und wie die Fördermaßnahmen konkret im Unterricht umgesetzt werden. Um die Wirksamkeit der bisher initiierten Maßnahmen evaluieren zu können, werden die Bedingungen, die zur Entfaltung einer hohen intellektuellen Leistungsfähigkeit führen, untersucht. Hierzu zählen die kognitiven und nichtkognitiven Persönlich-keitsmerkmale der hochbegabten Schüler sowie die sozialen Umweltbedingun-gen (Joswig, 2001).

1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird teilweise nur die männliche Form ver-wendet. Alle Aussagen gelten selbstverständlich für beide Geschlechter gleicherma-ßen.

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ABB-Information 2013 – – – 35

Konzept der Studie

1 UntersuchungspopulationDie Untersuchungspopulation besteht aus 104 Schülern (64 Jungen, 40 Mäd-chen) aus 11 Klassen in Mecklenburg-Vorpommern. Davon besuchen 94 Schüler eine 8. Klasse in Schulen mit einem speziellen Konzept zur Beschulung Hoch-begabter und 10 Schüler eine 8. integrative Regelklasse. Die Diagnostik der Hochbegabten erfolgte durch den schulpsychologischen Dienst im jeweiligen Schulamtsbereich mit Unterstützung des Instituts für Pädagogische Psychologie der Universität Rostock im Bereich Rostock.

3

37

7

57

0

20

40

60

80

100

Regelklasse Förderklasse

männlichweiblich

Abb. 1: Probandenhäufigkeit, differenziert nach Geschlecht

2 UntersuchungsmethodeZur Analyse der Fördermaßnahmen für Hochbegabte wurden die kognitiven und nichtkognitiven Persönlichkeitsmerkmale der hochbegabten Schüler sowie die schulischen Bedingungen untersucht.

Kognitive Persönlichkeitsmerkmale

Die kognitive Leistungsfähigkeit und die Kreativität der Schüler werden mithilfe der standardisierten Münchener Hochbegabungs-Testbatterie (KFT-HB4-12h- Kognitiver Fähigkeitstest – MHBT-Version) für die Sekundarstufe (Heller & Per-leth, 2007) ermittelt.

Nichtkognitive Persönlichkeitsbedingungen

Zur Erfassung der nichtkognitiven Persönlichkeitsbedingungen (Leistungsmoti-vation, Erkenntnisstreben, soziale Kompetenz) werden die Fragebögen LM-S, FES, SK-S der MHBT von Heller und Perleth (2007) und die Frankfurter Selbst-konzeptskalen von Deusinger (1986) genutzt.

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Soziale Umweltbedingungen

Die Ermittlung der sozialen Bedingungen und der Merkmale der Unterrichtsge-staltung erfolgte mithilfe von Unterrichtshospitationen sowie Lehrer- und Eltern-fragebögen. Mittels Elternfragebogen wurde erfasst, wie zufrieden die Eltern mit dem Bildungsweg ihrer Kinder sind und wie sie die kognitive, soziale und mo-tivationale Entwicklung ihres Kindes einschätzen. Der eingesetzte Lehrerfrage-bogen basiert auf den von Heller & Hany (1996) erarbeiteten „Möglichkeiten der curricularen Anpassung“ an die Lernbesonderheiten Hochbegabter und auf den Erkenntnissen der „Visible Learning“-Studie von Hattie (2009). Der Lehrerfra-gebogen dient dazu, Einsicht in die Unterrichtsgestaltung und in die Anpassung der Unterrichtsmethoden an die Bedürfnisse hochbegabter Schüler aus Sicht des Lehrers zu gewinnen. Anhand von Unterrichtshospitationen wurden die im Unterricht verwendeten didaktisch-methodischen Möglichkeiten zur Förderung primärer Motivation nach Joswig (1995) erfasst. Durch die Untersuchung der Parameter Problemhaftigkeit und Wecken von Neugier, Schaffung von Erfolgser-lebnissen und Schaffung von Leistungs- und sozialer Kompetenz (Joswig, 1995) wird geprüft, inwiefern der Unterricht den motivationalen Besonderheiten hoch-begabter Schüler entgegenkommt. Im Rahmen der Unterrichtshospitation wird die Schüleraktivität in den jeweiligen Unterrichtsphasen mithilfe der Anzahl von Schülermeldungen erfasst. Des Weiteren wurden Fragebögen zur Erfassung des Schulklimas (SCHUL, MHBT von Heller & Perleth, 2007) eingesetzt. In der folgenden Tabelle werden die Untersuchungsschwerpunkte und die jeweiligen Methoden dargestellt.

FragestellungenDie Art der Beschulung der Hochbegabten (u.a. die Wahl der Unterrichtsmetho-den, das Lerntempo) hat Auswirkungen auf die kognitive, motivationale und so-ziale Entwicklung der Schüler. Daher stellt sich die Frage, wie die Förderung der Hochbegabten gestaltet ist und ob es in den Klassen Unterschiede hinsichtlich der Unterrichtsgestaltung gibt. Sollten signifikante Unterschiede bestehen, ist davon auszugehen, dass diese Lernbedingungen für die Begabungsentfaltung Bedeutung haben.

Fragestellung 1: Weisen die untersuchten Klassen einen Unterschied in der schulischen Lernsituation auf?

Fragestellung 2: Unterscheiden sich die Schüler hinsichtlich ihrer nichtkogni-tiven Persönlichkeitsmerkmale?

Fragestellung 3: Existieren Unterschiede in Bezug auf die kognitiven Persön-lichkeitsmerkmale der Schüler?

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ErgebnisseDie hier aufgeführten Ergebnisse beziehen sich auf die sozialen Lernbedingun-gen (Eltern- und Lehrerfragebogen) und die nichtkognitiven Persönlichkeits-merkmale (Selbstkonzept, FSKN), was dem bisherigen Ergebnisstand der Stu-die entspricht.

Das Selbstkonzept, erfasst mit den Frankfurter Selbstkonzeptskalen (Deu-singer, 1986), gibt Auskunft über das leistungsbezogene, psychosoziale, emo-tionale und selbstwertbezogene Verhalten der hochbegabten Schüler. Es ist davon auszugehen, dass die Schüler der Regelklasse in Auswirkung des „Fisch-teicheffekts“ (Marsh, 2005) ein positiveres leistungsspezifisches Selbstkonzept entwickelt haben, da der Vergleich mit ihrer Bezugsgruppe, den Mitschülern, günstiger ausfällt als in reinen Hochbegabtenklassen. Im Folgenden werden die Ergebnisse, die mithilfe des Mann-Whitney-U-Tests ermittelt wurden, gesondert dargestellt.

Tab.1: Übersicht zu den eingesetzten Methoden zur Untersuchung der Bedingungs-faktoren der Begabung

Bedingungsfaktoren der Begabung

KognitivePersönlichkeits–bedingungen

NichtkognitivePersönlichkeits–bedingungen

Soziale Umweltbedingungen (Schule)

– Kognitiver Fähigkeitstest (KFT 4-12/13)*

– Fragebogen zur Kreativität (KRT-S)*

– Fragebogen zur Leistungsmotivation (LM-S)*

– Fragebogen zum Arbeitsverhalten (AV-S)*

– Fragebogen zur Erfassung des Erkenntnisstrebens (FES)*

– Fragebogen zur Sozialen Kompetenz (SK-S)*

– Fragebogen zum Selbstkonzept (FSKN, Deusinger, 1986)

– Schulklima-Skala (SCHUL)*

– Unterrichtshospitationen in den Hauptfächern (12 Stunden)

– Hospitationsprotokoll (Joswig & Haack, 2004)

– Elternfragebogen zur Zufriedenheit mit der Schulsituation (Dartsch, 2013)

– Lehrerfragebogen zur Unterrichtsgestaltung (Heller & Hany, 1996 und in Anlehnung an Hattie, 2009)

[mit * gekennzeichnete Verfahren sind der MHBT (Heller, K.A. & Perleth, C. 2007) entnommen]

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Förderklasse

FörderklasseRegelklasse

Mitt

elw

ert

60

50

40

30

20

10

0

Gefühle und Beziehungen zu anderen

Irritierbarkeit durch andere

Wertschätzung durch andere

Soziale Kontakt- und Umgangsfähigkeit

Standfestigkeit

Empfindlichkeit und Gestimmtheit

Selbstwertschätzung

Verhaltens-und Entscheidungssicherheit

ProblembewältigungLeistungsfähigkeit

Legende

Seite 1

Abb. 2: Mittelwerte der 10 Selbstkonzeptskalen der FSKN (Deusinger, 1986), diffe-renziert nach Beschulungsart

Tab. 2: Vergleich der 10 Selbstkonzeptskalen in Regel- und Förderklassen

Selbstkonzeptskalen Mann-Whitney-U-Test unabhängiger Stichproben

Leistungsfähigkeit ,463 ns

Problembewältigung ,812 ns

Verhaltens- und Entscheidungssicherheit ,423 ns

Selbstwertschätzung ,122 ns

Empfindlichkeit und Gestimmtheit ,410 ns

Standfestigkeit ,141 ns

Soziale Kontakt- und Umgangsfähigkeit ,373 ns

Wertschätzung durch andere ,426 ns

Irritierbarkeit durch andere ,916 ns

Gefühle und Beziehungen zu anderen ,496 ns

Wie Tabelle 2 ausweist, sind keine signifikanten Unterschiede in den Selbst-konzepten der Schüler in Regelklassen und Förderklassen auszumachen. Dem-nach kann die erste Hypothese nicht bestätigt werden.

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In der Elternbefragung, die auf die Erfassung der Lernsituation und auf die soziale, motivationale und kognitive Entwicklung ihrer Kinder abzielt, konnten folgende Ergebnisse gesichert werden:

Klassentyp

FörderklasseRegelklasse

Mitt

elw

ert

2,5

2,0

1,5

1,0

,5

,0

LeistungsbereitschaftLernmotivationSoziales Miteinander

Denkfähigkeit und Lernverhalten

Förderung sozialer Kompetenzen

Schulklima

Herausfordernde Lernsituationen

Angemessene Leistungsanforderungen

Allgemeine schulische Fördeurng

Legende

Seite 1

Abb. 3: Mittelwerte der Elternbeurteilung, differenziert nach Beschulungsart

Tab. 3: U-Test-Vergleich der Einstellung der Eltern zur Lernsituation und Entwick-lung der Schüler in Regel- und Förderklassen

Mann-Whitney-U-Test unabhängiger Stichproben

Allgemeine schulische Förderung ,671 nsAngemessene Leistungsanforderungen ,296 ns Herausfordernde Lernsituationen ,880 nsSchulklima ,371 nsFörderung sozialer Kompetenzen ,163 nsDenkfähigkeit und Lernverhalten ,454 nsSoziales Miteinander ,874 nsLernmotivation ,796 nsLeistungsbereitschaft ,470 ns

Konkret werden keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen festgestellt, aber es kann eine Tendenz zur positiveren Wahrnehmung der Ange-messenheit von Leistungsanforderungen und der Förderung sozialer Kompeten-zen in den Förderklassen konstatiert werden, wie es in Abbildung 3 und Tabelle 3 zum Ausdruck kommt.

Mit dem Lehrerfragebogen wird erfasst, inwiefern die Lehrpersonen ihre Un-terrichtsgestaltung an die Bedürfnisse Hochbegabter anpassen. Dazu werden zunächst die von den Lehrern beobachteten Merkmale Hochbegabter betrach-

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40 – – – ABB-Information 2013

tet. Es ist davon auszugehen, dass die Lehrer eine ähnliche Ausprägung der Merkmale ihrer hochbegabten Schüler angeben.

Klassentyp

FörderklasseRegelklasse

Mitt

elw

ert

2,5

2,0

1,5

1,0

0,5

0,0

KreativitätKritikfähigkeitNeugier/PhantasieAusdauer/EnergieSprachfertigkeitenAbstrahierungsvermögenGedächtnisLerntempoLernbedürfnis

Legende

Seite 1

Abb. 4: Mittelwerte der beobachteten Merkmale Hochbegabter, differenziert nach Beschulungsart

Tab. 4: U-Test-Vergleich der Lehreraussagen zu beobachteten Merkmalen Hochbe-gabter in Regel- und Förderklassen

Lehrerfragebogen - Merkmale HochbegabterMann-Whitney-U-

Test unabhängiger Stichproben

Lernbedürfnis ,678 nsLerntempo ,516 nsGedächtnis ,118 nsAbstrahierungsvermögen ,024*Sprachfertigkeiten ,018*Ausdauer/Energie ,702 nsNeugier/Phantasie ,727 nsKritikfähigkeit 1,000 nsKreativität ,778 ns

Mittels Mann-Whitney-U-Test wurden signifikante Unterschiede beim Abstra-hierungsvermögens und der Sprachfertigkeiten der Schüler in beiden Beschu-lungsarten festgestellt. Neben diesen beiden Merkmalen nehmen die Lehrer der Regelschulen im Vergleich zu Lehrern der Förderklassen auch eine höhere Ausprägung des Lerntempos, des Gedächtnisses und der Kreativität wahr, diese

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Unterschiede sind jedoch nicht signifikant. Aus Sicht der Lehrer der Förderklasse sind das Lernbedürfnis, die Ausdauer und Energie, die Neugier und Phantasie ihrer Schüler etwas ausgeprägter.

In einem weiteren Auswertungsschritt wird analysiert, welche Möglichkeiten zur Unterrichtsgestaltung (nach Heller & Hany, 1996) von den Lehrpersonen der jeweiligen Beschulungsart genutzt werden und ob Unterschiede zwischen den Regelklassen und den Förderklassen bestehen.

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Regelklasse

Förderklasse

Abb. 5: Durchschnittliche Häufigkeit der Möglichkeiten curricularer Anpassung an die Bedürfnisse Hochbegabter, differenziert nach Beschulungsart

Tab. 5: U-Test-Vergleich der Lehreraussagen zur Nutzung der curricularen Anpas-sungsmöglichkeiten an die Bedürfnisse Hochbegabter in Regel- und Förderklassen

Möglichkeiten curricularer Anpassung

Signifikanz Mann-Whitney-U-Test unabhängiger Stichproben

Lernbedürfnis ,342 nsLerntempo ,034*Gedächtnis ,037*Abstrahierungsvermögen ,702 nsSprachfertigkeiten ,495 nsAusdauer/Energie ,396 nsNeugier/Phantasie ,396 nsKritikfähigkeit ,454 nsKreativität 1,000 ns

Die Datenauswertung zeigt, dass die Lehrpersonen der Förderklassen häufiger die von Heller und Hany (1996) angegebenen Möglichkeiten der cur-ricularen Anpassung an die Bedürfnisse Hochbegabter umsetzen. Signifikante Unterschiede lassen sich jedoch nur bei der Realisierung eines hohen Unter-richtstempos und bei der Beachtung der erhöhten Gedächtnisleistung (weniger

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Wiederholungen, breiteres und tieferes Wissen) in der Unterrichtsgestaltung feststellen.

DiskussionIn der folgenden Diskussion werden die Ergebnisse der Analyse im Zusammen-hang mit den Hypothesen bzw. Fragestellungen reflektiert.

Tab. 6: Übersicht zu Hypothesen/Fragestellungen und Testergebnissen

Hypothese/ Fragestellung Testergebnis Fazit

FSK

N

Schüler der Regelklassen weisen einen Unterschied in der Ausprägung des leistungsbezogenen Selbstkonzepts im Vergleich zu Schülern der Förderklasse auf.

Leistungsfähigkeit: ,463Problembewältigung: ,812Verhaltens- und Entscheidungssicherheit: ,423

Die Hypothese kann nicht bestätigt werden.

Elte

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boge

n

Unterscheidet sich die Sicht weise der Eltern in den Ver-gleichsgruppen?

Angemessene Leistungsanforderungen: ,296Förderung sozialer Kompetenzen: ,163

Es existieren keine signifikanten Unterschiede.

Lehr

erfr

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Die Lehrer nehmen eine ähn liche Ausprägung der Merk-male Hochbegabter in den Vergleichsgruppen wahr.

Abstrahierungsvermögen: ,024*Sprachfertigkeiten: ,018*

Die Hypothese kann teilweise bestätigt werden. Nur Abstrahie-rungsvermögen und Sprachfer tigkeit wird von Lehrern der Re-gelklasse ausgeprägter wahrge nommen.

Werden die Möglichkeiten curricularer Anpassung an die Merkmale Hochbegabter nach Heller und Hany (1996) unterschiedlich häufig ge nutzt?

Lerntempo: ,034*Gedächtnis: ,037*

Signifikante Unterschiede las-sen sich beim Unterrichtstempo und bei der Anpassung des Unterrichts an die Gedächtnis leistung der Schüler ausma chen.

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Die Ergebnisse der Frankfurter Selbstkonzeptskalen (FSKN) bestätigen nicht das Phänomen des „Fischteicheffekts“ (Marsh, 2005) und die Erwartung, dass die Schüler der Regelklasse durch den leistungsbezogenen Vergleich mit den Mitschülern ein positiveres akademisches Selbstkonzept aufweisen. Die Schüler beider Untersuchungspopulationen haben ein ähnliches (positives) leis-tungsspezifisches Selbstbild. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Schüler der Regelklasse ähnliche Leistungen erbringen wie ihre Mitschüler (und ihr Leis-tungspotenzial möglicherweise nicht voll ausschöpfen). Es ist auch denkbar, dass sich die Leistungsanforderungen der beiden Beschulungsarten auf einem ähnlich hohen Niveau befinden. Aufschlussreiche Erklärungen können die Test-ergebnisse der kognitiven Fähigkeiten der Schüler und die Auswertung der Hos-pitationsprotokolle in der jeweiligen Beschulungsart geben.

Die Auswertung des Elternfragebogens zeigt, dass die schulische Situation und die Entwicklung der Schüler überwiegend positiv wahrgenommen werden. Tendenzielle Unterschiede zwischen den Eltern der Regelklassen und der För-derklassen existieren lediglich in Bezug auf die angemessenen Anforderungen im Unterricht und die Förderung sozialer Kompetenzen. Dieser geringe Unter-schied wird möglicherweise durch die teilweise geringere Schülerzahl in den Förderklassen begünstigt.

Die Datenauswertung des Lehrerfragebogens verdeutlicht, dass die befrag-ten Lehrpersonen die Merkmale Hochbegabter nach Heller und Hany (1996) bei ihren hochbegabten Schülern beobachten können. Auffällig ist, dass die Lehrer der Regelklassen das Abstrahierungsvermögen und die Sprachfertigkeiten ih-rer hochbegabten Schüler signifikant höher einschätzen als die Lehrer der För-derklassen. Dieses Testergebnis könnte darauf hindeuten, dass die Lehrer das Leistungsniveau der inklusiv beschulten Hochbegabten durch den Vergleich mit der Bezugsgruppe, den Schüler der gleichen Klasse, wesentlich höher beurtei-len, d.h. dass die hochbegabten Schüler durch ihre Leistungsfähigkeit in diesen Teilbereichen aus der Gruppe herausstechen. Diese Beobachtung könnte eben-so mit dem Fischteicheffekt (Marsh, 2005) begründet werden. Die Befragungen zur Anpassung des Unterrichts an die Bedürfnisse hochbegabter Schüler (s. Heller und Hany, 1996) verdeutlichen, dass die Lehrpersonen der Förderklasse tendenziell häufiger Möglichkeiten zur curricularen Anpassung des Unterrichts nutzen. Die Gründe hierfür liegen u.a. in der konzeptionellen Spezialisierung der Schulen auf die Förderung Hochbegabter sowie in der Realisierung der im je-weiligen Schulkonzept verankerten Förderziele und in der Ausbildung und Erfah-rung des Lehrpersonals in der Förderung hochbegabter Schüler. Die signifikan-ten Unterschiede des Lerntempos und der Beachtung der Gedächtnisleistung deuten darauf hin, dass die Stoffvermittlung in kürzerer Zeit und die Erweiterung und Vertiefung des Wissens (Enrichment) die am häufigsten genutzten Unter-richtsmethoden in den Förderklassen sind.

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FazitDas nichtkognitive Persönlichkeitsmerkmal akademisches Selbstkonzept ist bei den Schülern der beiden Beschulungsarten in ähnlichem Maße ausgeprägt. Ausstehende Erklärungen hierzu bieten möglicherweise die Untersuchungen zu den kognitiven Fähigkeiten. Die sozialen Lernbedingungen werden von den Lehrern der jeweiligen Beschulungsart in einem vergleichbaren Maße gestaltet. Die Ergebnisse legen jedoch nahe, dass in Förderschulen tendenziell häufiger Maßnahmen umgesetzt werden, die den Bedürfnissen der hochbegabten Schü-ler im Unterricht entgegenkommen. Andere Maßnahmen der Unterrichtsgestal-tung, wie beispielsweise die Förderung der Kreativität und des Abstrahierungs-vermögens, besitzen eine eher untergeordnete Bedeutung. Um die Effektivität der Unterrichtsgestaltung in den untersuchten Schulen genauer beurteilen zu können, wird eine differenziertere Betrachtung der Hospitationsprotokolle und der kognitiven Persönlichkeitsmerkmale der Schüler folgen.

Literatur – Deusinger, I.M. (1986). Die Frankfurter Selbstkonzeptskalen (FSKN). Göttin-

gen: Hogrefe Verlag.

– Hany, E.A. (2001). Identifikation von Hochbegabten im Schulalter. In K.A. Heller (Hrsg.), Hochbegabung im Kindes- und Jugendalter. Göttingen; Toron-to; Zürich: Hogrefe.

– Hattie, J. (2009). Visible learning: a synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. London: Routledge.

– Heller, K.A. & Hany, E.A. (1996). Psychologische Modelle der Hochbegab-tenförderung. In F.E. Weinert (Hrsg.), Psychologie des Lernens und der In-struktion, Bd. 2 der Pädagogischen Psychologie (S. 477–513). Göttingen: Hogrefe.

– Heller, K.A. & Perleth, Ch. (2007). Münchner Hochbegabungs-Testbatterie für die Sekundarstufe (MHBT-S). Göttingen: Hogrefe.

– Joswig, H. (1995). Motivation und Begabung. Frankfurt am Main; Berlin; Bern; New York; Paris; Wien: Lang.

– Joswig, H. (2001). Möglichkeiten und Konzepte der Förderung begabter Schülerinnen und Schüler. Rostock: Universität Rostock, Philosophische Fa-kultät, Institut für Pädagogische Psychologie: Universitätsdruckerei.

– Joswig, H. & Haack, B. (2004). Erste Empirische Untersuchungsergebnisse zur Evaluation von Konzepten zur Förderung hoch begabter Schülerinnen und Schüler in Mecklenburg-Vorpommern. In Joswig, H. & Drewelow, H.

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(Hrsg.), Begabungsförderung: Von der Einzelfallberatung zur Lernkultur (S. 87–102). Rostock: Universitätsdruckerei.

– Marsh, H. W. (2005). Big-fish-little-pond effect on academic self-concept. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 19, S. 119–127.

InternetquelleZur Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems in Mecklenburg-Vorpommern bis zum Jahr 2020 – Bericht mit Empfehlungen der Expertenkommission „Inklu-sive Bildung in M-V bis zum Jahr 2020“: http://www.regierungmv.de/cms2/Re-gierungsportal_prod/Regierungsportal/de/bm/_Service Publikationen/index.jsp?&publikid=5862

Karina DartschPatriotischer Weg 7018057 Rostock

E-Mail: [email protected]

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Erfassung motivationaler Konstrukte in der Sekundarstufe II – Welche Auswirkungen hat die Motivation auf SchülerInnen und LehrerInnen in ProjektphasenClaas Wegner & Wiebke Kalläne

1 Theorie Im Rahmen einer einjährigen Studie im Begabten-Projekt Kolumbus-Youth wur-de untersucht, wie sich Motivation in unterschiedlichen Projektphasen verändert. Im Zentrum des Forschungsthemas standen die Motivationsbildung durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern sowie der Erhalt von Motivation seitens der Lernenden über den Projektzeitraum.

Das Begabten-Projekt dauert jeweils 14 Wochen und findet einmal wöchent-lich von 17.30 bis 19 Uhr an der Universität Bielefeld statt. Die Teilnehmerin-nen und Teilnehmer absolvieren den Kurs wöchentlich neben dem Schulalltag. Welche Lernmotivation Schülerinnen und Schüler für ihre Leistungen hierbei zu-grunde legen, muss von der Lehrperson ergründet werden, um ihre Motivation zu stärken und ihr Interesse zu wecken. Jeder Lernende hat eine andere Lern-motivation, die laut Gislinde Bovet (2008) ein psychologisches Konstrukt ist, das die „innere Bereitschaft [beschreibt], ein bestimmtes Wissen oder Können zu erlernen und damit verbundene Aufgaben zu erledigen“ (Bovet, 2008, S. 300).

Da Motivation nur eine angenommene „Wirkgröße“ (Bovet, 2008, S. 301) ist, die nicht messbar, anschaubar oder verortbar ist, kann im Projekt Kolumbus-Youth nicht offensichtlich erkannt werden, wer motiviert ist und was den Antrieb auslöst. Motivation wird generiert aus einem Motiv sowie einem Anreiz. Das Mo-tiv kann im Begabten-Projekt die Förderung eigener Fähigkeiten und Fertigkei-ten sein, sowie die Freude an biologischen Themen seitens der Schülerinnen und Schüler. Anreize bieten die Projektform und die Kleingruppenarbeit gemein-sam mit den studentischen Betreuerinnen und Betreuern. Gemessen werden kann in der Didaktik das Verhalten, das Motivation auslöst. In dieser Studie wird erhoben, wie die Lernenden die Kurstage bewerteten, ob sie gerne im Team an dem Projekt mitarbeiten, ob das Interesse gestärkt wurde und Ideen entstanden sind (vgl. Bovet, 2008, S. 300).

Die Kursleiterinnen und Kursleiter unterstützen die wissenschaftliche These, dass Schülerinnen und Schüler sich besonders dann einem bestimmten Gegen-standsbereich zuwenden, wenn ihre Bedürfnisse nach „Kompetenz, Autonomie sowie sozialer Eingebundenheit“ (Ruppert, 2004, S. 112) erfüllt sind. Da Perso-nen danach streben, sich in ihrer Umwelt effizient zu fühlen und Aufgaben zu meistern (Kompetenzbedürfnis, vgl. Ruppert, 2004), ist es im Projekt Kolumbus-Youth von Bedeutung, Aufgaben mit angemessenem Schwierigkeitsgrad zu stel-len. Ein weiterer Motivationskick lässt sich durch den freien Willen erleben, der

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bei Kolumbus-Youth durch die freie Forschungs- und Themenwahl gegeben ist. Personen, die Dinge aus freien Stücken angehen, sind motivierter als solche, die sich ihrer eigenen Freiheit beraubt sehen (Autonomie, vgl. Ruppert, 2004). Das dritte Bedürfnis wird durch die Arbeit in Kleingruppen mit maximal vier Personen erfüllt: Die Schülerinnen und Schüler erleben in der Gruppe ein Wir-Gefühl, weil Aufgaben in authentischen Lernumgebungen absolviert werden können und ein enger Kontakt zu den Lehrenden besteht (soziale Eingebundenheit, vgl. Rup-pert, 2004).

Aus diesen drei Bedürfnissen ergibt sich die grundlegende These dieser Stu-die, dass sich Motivation bei Schülerinnen und Schülern mit bestimmten Un-terrichtsformen herstellen oder auch senken lässt (vgl. Bovet, 2008, S. 302). Das Projekt Kolumbus-Youth, so ist die grundlegende These, kann hierbei als Verstärker der Motivation dienen, da keine zu genaue Stundenplanung wie im Schulalltag jegliche Autonomie raubt und die Lehrperson nicht durch Notenge-bung als bewertende Person betrachtet wird (vgl. Ruppert, 2004, S. 119). Die Lehrperson kann die Teilnehmer in den Kleingruppen gut zur Mitarbeit animieren und den thematischen Inhalt so aufbereiten, dass er „nicht nur verständlich ist, sondern auch attraktiv“ (Bovet, 2008, S. 300) für die Lernenden ist.

Der vorliegende Artikel stellt dar, ob die Zusammenarbeit zwischen studen-tischen Betreuerinnen und Betreuern und Lernenden zu Motivation führen kann und ob die Erfüllung der Kompetenzbedürfnisse durch den Lehrenden die Schü-lerinnen und Schüler motiviert.

2 StudieDie Intention der Studie ist es herauszufinden, wie Motivation bei Begabten entsteht und über 14 Wochen bei den Teilnehmern aufrecht gehalten wird. Im Mittelpunkt dieser Betrachtung steht der Einfluss der Lehrperson auf die Teil-nehmerinnen und Teilnehmer. Es wird angenommen, dass der enge Kontakt zu den studentischen Betreuerinnen und Betreuern eine Auswirkung auf die Moti-vationsbildung hat.

Um die Fragestellung zu beantworten, wurden Fragebögen viermal in einem Abstand von vier Wochen in dem 14-wöchigen Projekt ausgegeben, die von Schülerinnen und Schülern und Studentinnen und Studenten ausgefüllt wurden, um eine Einschätzung des Projekttages seitens der Befragten zu erhalten. Die Stichprobe umfasste zwei unterschiedliche Schülergruppen mit insgesamt 18 Schülerinnen und Schülern sowie drei Studenten. Im Sommersemester 2012 wurden insgesamt zehn Begabte befragt. Im Wintersemester 2012/13 zählten acht Schülerinnen und Schüler zur Stichprobe, die wiederum aus anderen Schu-len kamen. Sie waren zwischen 15 und 17 Jahren alt und in der zehnten Klasse der Gymnasien in und um Bielefeld.

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HypothesenbildungWolfgang Ruppert beschreibt in seiner Untersuchung, dass ein Zusammenhang zwischen der Erfüllung von Kompetenzbedürfnissen und der Entstehung von Motivation sowie Interesse besteht (vgl. Ruppert, 2004, S. 111 f.). In Anlehnung an diese wissenschaftliche Theorie wurde folgende erste Hypothese generiert:

H1: Durch offene Unterrichtsformen wie Projektmethoden lassen sich Schüle-rinnen und Schüler am besten motivieren, da ihre Kompetenzbedürfnisse von den Lehrkräften erfüllt werden können.

Die Lehrpersonen lassen den Schülerinnen und Schülern im Projekt Kolum-bus-Youth möglichst viele Freiräume, geben nur Anregungen und Hilfestellun-gen. Über 14 Wochen erfahren diese erstmalig eine freie Projektarbeit, bei der keine Lehrperson eine führende Rolle übernimmt.

Motivation und Kompetenzbedürfnisse der Schülerinnen und Schüler stehen in einem Zusammenhang: Die Variable Motivation ist abhängig von der unab-hängigen Variablen des Kompetenzbedürfnisses. Auf die Ausprägung der ab-hängigen Variablen hat der Forscher keinen Einfluss, das heißt die Motivation wird allein von der unabhängigen Variablen und von Störeinflüssen gesteuert (vgl. Bortz/Döring, 1995, S. 6).

Der enge Kontakt zu den Lehrenden führt zu der zweiten Hypothese:

H2: Die Motivation der Lehrerperson kann auf die Schülerinnen und Schüler abfärben und sie in ähnlicher Weise motivieren und ihr Interesse für Neu-es wecken.

Diese Hypothese beschreibt das Zusammenwirken der Stimmung der Lehr-kraft und der Stimmung des Schülers. Ist die Lehrkraft motiviert, ist auch der Schüler schneller angeregt mitzumachen. In diesem Zusammenhang ist es ebenfalls von Bedeutung, dass der Eindruck, den der Lehrende von der Pro-jektsituation hat, mit dem der Schülerinnen und Schüler übereinstimmt. Dies soll ebenfalls der Fragebogen darstellen, denn eine gute Fremdeinschätzung sei-tens der Lehrkraft ist maßgebend für den Lernerfolg des Schülers.

DurchführungDer eingesetzte Fragebogen wird zur Überprüfung der Hypothesen eingesetzt. Die Befragten wählten zwischen dem Grad der Zustimmung von 0 bis 100 Pro-zent in einer fünfteiligen Rating-Skala. Der Bereich der mittleren Tendenz ermög-licht es den Schülerinnen und Schülern, sich neutral zu äußern.

Als Beispiel werden in Tabelle 1 Items bezüglich des Konstrukts Interesse aufgeführt. Ebenfalls abgefragt wurden die Konstrukte Freude, Frustration und Langeweile.

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Die Items des Studenten-Fragebogens sowie des Schüler-Fragebogens stel-len eine Art Spiegel dar: Sie greifen dieselben Konstrukte auf und formulieren unterschiedliche Items dazu.

Tab. 1: Beispiele des Items des Konstrukts Interesse: Schülerinnen und Schüler und Studentinnen und Studenten im Vergleich aus dem eingesetzten Fragebogen an der Universität Bielefeld im Projekt Kolumbus-Youth

Items des Kurzzeitfragebogens (Schülerinnen und Schüler)

Items des Kurzzeitfragebogens (Studentinnen und Studenten)

1 Ich fand die heutige Stunde interessant.

1 Das Interesse meiner Gruppe war heute hoch.

2 Die Projektphase interessiert mich. 2 In der bisherigen Projektphase zeigen sich die Schülerinnen und Schüler interessiert.

3 Ich möchte noch mehr über unser Thema wissen.

3 Die Gestaltung der Stunde hat Interesse bei den Schülerinnen und Schülern geweckt.

Die folgende Abbildung 1 zeigt die Projektphasen sowie den Einsatz des Kurzzeitfragebogens.

3 ErgebnisseDie im Folgenden dargestellten Ergebnisse werden zunächst auf die aufgestellte Hypothese 1 geprüft und im Anschluss im Hinblick auf Hypothese 2 aufgezeich-net.

Abb. 1: Übersicht über den Einsatz des Kurzzeitfragebogens

(KZT) im Projekt Kolumbus-Youth im

Sommersemester 2012 und Winterse-

mester 2012/13 an der Universität Bielefeld

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H1: Durch offene Unterrichtsformen wie Projektmethoden lassen sich Schüle-rinnen und Schüler am besten motivieren, da ihre Kompetenzbedürfnisse von den Lehrkräften erfüllt werden können.

Abb. 2: Item des Konstrukts Freude: „Ich freue mich auf die nächste Stunde“ (Som-mersemester 2012). Fragebogenergebnisse der Umfrage an der Universität Biele-feld. Hierbei werden die Anzahl der befragten Personen dem Grad der Zustimmung zwischen 0 und 100 Prozent gegenüber gestellt. Die Legende stellt die Befragungs-

tage 08.03.2012, 19.04.2012, 24.05.2012 und 21.06.2012 dar.

Die Abbildung 2 zeigt, dass die Befragten bei jeder Befragung mit einem gu-ten Gefühl aus dem Kurs herausgegangen sind. Sie freuen sich auf die kom-mende Stunde und stützen damit die Hypothese 1, dass durch offene Unter-richtsformen Motivation generiert werden kann. Kein befragter Schüler hat mit einer negativen Einschätzung (0 bis 40 Prozent) geantwortet, auch der neutrale Bereich (40 bis 60 Prozent) wurde ausgelassen.

Abbildung 3 unterstützt die Hypothese 1, da ein Großteil der Schülerinnen und Schüler eine positive Bewertung abgegeben hat. Acht Personen haben sich neutral (40 bis 60 Prozent) geäußert. 20 Personen wählten eine durchweg posi-tive Einschätzung in Bezug auf ihr gewachsenes Interesse am Thema.

Bei der zweiten Hypothese wird genauer in den Blick genommen, wie die Rolle des Lehrenden auf die Schülerinnen und Schüler wirkt. Verglichen wer-den die Aussagen der studentischen Betreuerinnen und Betreuer mit denen der Schülerinnen und Schüler.

H2: Die Motivation der Lehrperson kann auf die Schülerinnen und Schüler abfärben und sie in ähnlicher Weise motivieren und ihr Interesse für Neues wecken.

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Abb. 4: Item des Konstrukts Freude: „Ich bin zufrieden mit der heutigen Stunde, weil wir das Stundenziel erreicht haben“ (Student)/“Ich bin zufrieden mit der heutigen

Stunde, weil wir unser heutiges Stundenziel erreicht haben“ (Schüler) vom 8. März 2012 an der Universität Bielefeld im Vergleich. Hierbei werden die Anzahl der

befragten Personen mit dem Grad der Zustimmung zwischen 0 und 100 Prozent gegenüber gestellt.

Das Erreichen des Stundenziels schafft in diesem Fall bei beiden Parteien Motivation. Die Ergebnisse der Fragebögen zeigen eine Korrelation. Der befrag-

Abb. 3: Item des Konstrukts Interesse: „Der heutige Tag hat mein Interesse an dem Forschungsvorhaben gestärkt“ (Sommersemester 2012). Fragebogenergebnisse der Umfrage an der Universität Bielefeld. Hierbei werden die Anzahl der befragten Personen mit dem Grad der Zustimmung zwischen 0 und 100 Prozent gegenüber

gestellt. Die Legende stellt die Befragungstage 08.03.2012, 19.04.2012, 24.05.2012 und 21.06.2012 dar.

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te Betreuer war vollauf mit der Stunde zufrieden. Auch zwei Schüler wählten diese Einschätzung. Die übrigen vier Befragten stimmten dem Item 60 bis 80 Prozent zu.

Gestützt wird die Hypothese 2 zudem von der Befragung der Gruppe aus dem Wintersemester 2012/13:

Abb. 5: Item des Konstrukts Freude: „Ich bin zufrieden mit der heutigen Stunde, weil wir das Stundenziel erreicht haben.“ (Student) / „Ich bin zufrieden mit der heuti-gen Stunde, weil wir unser heutiges Stundenziel erreicht haben.“ (Schüler) vom

31.10.2012

Um die Hypothese 2 zu stützen, ist der Eindruck seitens der Schülerinnen und Schüler sowie der Studentinnen und Studenten von der Gruppenarbeit wich-tig. Die Abbildung 6 verdeutlicht, dass beide eine angenehme Gruppenarbeit empfunden haben. Dies schafft zu der ersten Hypothese eine Verbindung, da

Abb. 6: Item des Konstrukts Freude: „Das Arbeiten in der Gruppe hat mir heute Spaß gemacht.“ (Schüler/innen, Student/innen, am 5.9.2012)

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die Abbildung auch die soziale Eingebundenheit und die daraus entspringende Motivation darstellt.

Weiterhin ist die Fremdeinschätzung des Betreuers in Bezug auf die Lernen-den wichtig. Erkennt die Lehrperson, dass sie Interesse wecken konnte?

Für diese Fragestellung wird ein Diagramm verwendet, das beide Halbjahre zusammenfasst (Abbildung 7).

Abb. 7: Item des Konstrukts Interesse: „Ich fand die heutige Stunde interessant.“ (Schüler)

Die Abbildung 7 zeigt, dass Interesse in jeder Befragungs-Stunde geweckt werden konnte. Die Zentrierung ist eindeutig im Bereich zwischen 60 und 100 Prozent. Nur zwei Personen wählten am 19. April und 31. Oktober 2012 die Ska-lierung von 40 bis 60 Prozent. Demgegenüber steht die Befragung der Betreuer an denselben Tagen:

Abb. 8: Item des Konstrukts Interesse: „Das Interesse meiner Gruppe war heute hoch.“ (Student)

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Im Vergleich mit den Aussagen der Betreuer wird zudem veranschaulicht, dass die Fremd- und Selbsteinschätzung der Befragten ähnlich ist. Auch hier liegt die Zentrierung im Bereich 60 bis 100 Prozent. Auffällig ist, dass kein Stu-dent an allen Befragungs-Tagen eine Einschätzung im schwächeren Bereich (0 bis 40 Prozent) abgegeben hat.

Abschließend zeigt Abbildung 9, dass an jedem Befragungstag im Sommer-semester 2012 eine Motivierung durch den Gruppenbetreuer stattgefunden hat:

Abb. 9: Item des Konstrukts Interesse: „Mein/e Gruppenbetreuer/in hat mich heute motiviert.“ (Schüler)

4 DiskussionDie Studie zeigt, dass sich durch offene Unterrichtsformen Interesse wecken lässt (siehe Abbildungen 2 und 3). Bezug genommen wurde in diesem Fall auf das Konstrukt der Freude, um zu erkennen, ob die Kompetenzbedürfnisse nach Ruppert erfüllt werden konnten. Mit weiteren Items konnte aufgezeigt werden, dass das Gruppengefühl gestärkt und die Autonomie im Forschungsverlauf wei-testgehend erfüllt werden konnten.

Motivation kann im Hinblick auf den Ergebnisteil durch Kompetenzerfüllung generiert werden und das auch über einen längeren Zeitraum, wie in diesem Fall 14 Wochen (siehe Abbildung 9). Diskutierbar ist, ob die Motivation durch den Lehrenden oder durch die Erfüllung der Kompetenzbedürfnisse generiert werden konnte. Je stärker die Kompetenzbedürfnisse für die Schüler ermöglicht werden, so nimmt die Theorie (vgl. Ruppert, 2004, S. 112) an, desto mehr wen-den sie sich einem bestimmten Gegenstandsbereich zu.

Zu beachten ist hierbei, dass die Einschätzung der Schülerinnen und Schüler heterogen ist und jeder andere Hinweise braucht, um den Inhalt der Stunde für sich nutzen zu können. Dennoch lässt sich die Tendenz feststellen, dass Au-tonomie im Lernprozess, eine gute Gruppenkonstellation sowie angemessene Aufgaben mehr Motivation schaffen können. Störfaktoren, die im Rahmen dieser Studie nicht beobachtbar waren, spielen in diese Ergebnisse zudem hinein.

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Weiterhin lässt sich, da jeweils Lehrende und Lernende befragt wurden, ein Zusammenhang zwischen den motivationalen Aussagen ziehen: Die Ansichten beider Parteien sind deckungsgleich (vgl. Abbildungen 4 und 5).

Wenn die Lehrperson das Erreichen des Stundenziels bei 80 bis 100 Prozent einschätzte, konnten auch die Schülerinnen und Schüler mit einem guten Gefühl nach Hause gehen (siehe Abbildung 4). Zufriedenheit wird hier generiert durch ein gesetztes Ziel, das erreicht wurde. Wenn jeder Teilnehmer das Ziel vor Au-gen hat, steigt auch die Bereitschaft (siehe Bovet, 2008, S. 300), sich für dieses Ziel einzusetzen. So kann wiederum Motivation generiert werden.

Der studentische Betreuer konnte gut einschätzen, wie hoch das Interesse der Schülerinnen und Schüler an den befragten Tagen war (siehe Abbildungen 7 und 8). Die Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern sowie der Lehrkraft war entsprechend eng, sodass eine gute Fremdeinschät-zung durch den Studenten erfolgen konnte. Durch die Arbeit in Kleingruppen wurde ein weiterer wichtiger Aspekt des Kompetenzbedürfnisses abgedeckt (vgl. Ruppert, 2004, S. 112): die soziale Eingebundenheit. Es konnte sich kein Schü-ler den Gruppenarbeitsphasen entziehen, weil bei einer Gruppengröße von ma-ximal vier Leuten die Aufmerksamkeit der Lehrperson auf allen gleichermaßen liegt. Diese Unterrichtssituation kam bei den Schülerinnen und Schülern gut an (siehe Abbildung 6). Lehrende und Lernende empfanden sogar Freude („Spaß“, siehe Abbildung 6) an der Gruppenarbeit.

Abschließend lässt sich aus der Hypothese 2 zusammenfassen, dass der studentische Betreuer das Interesse der Schülerinnen und Schüler passend ein-schätzen konnte und somit ein gutes Arbeitsklima herrschte. Durch ein gleich-berechtigtes Sozialgefüge untereinander, gemeinsame Experimente und ein lockeres Unterrichtsgespräch sowie das Ansprechen untereinander mit dem Vornamen wurde eine freundschaftliche Arbeitssituation möglich.

Dies kann mit aktiver Lenkung oder auch ohne geschehen. Ohne aktive Len-kung ist dies durch die Stimmung des Lehrers möglich. Denn allein die Tatsache, dass ein Betreuer für ein Thema offen ist und es gerne mit den Schülerinnen und Schülern bearbeitet, hat bereits eine Wirkung auf die Lernenden. Eine aktive Lenkung könnte die Hilfe bei der Themenwahl sein oder eine Exkursion, um den Teilnehmern mehr Einblicke in das wissenschaftliche Arbeiten, zum Beispiel im Labor, zu ermöglichen. Aktives Eingreifen kann positive wie negative Folgen haben. Greift der Lehrende zu stark ein, könnten die Lernenden das Gefühl be-kommen, dass sie selbst nicht in der Lage sind, sich frei zu entfalten. Dieses wiederum würde das akademische Selbstkonzept verringern und die Schülerin-nen und Schüler am Entwickeln von Neigungen und Interessen hindern. Wichtig ist aus Sicht der Lehrkraft, den Schülerinnen und Schülern möglichst viel Raum zu lassen und ihre Arbeit wertzuschätzen (vgl. Bovet, 2008, S. 302, vgl. Ruppert, 2004, S. 119). Ist die Lehrkraft zu sehr von sich und dem Thema eingenommen,

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könnte es negative Auswirkungen auf die Schülerinnen und Schülern haben. Die Lehrenden verfügen über mehr Kenntnisse als die Lernenden, dennoch sollte das Arbeitsumfeld nicht davon geprägt sein. Der Lehrende muss sich zurück-halten und den Lernenden die Chance geben, sich selbst weiterzubilden und zu fragen, wenn es Unklarheiten gibt. Überhebliches Verhalten verschlechtert das Arbeitsklima, ebenso, wenn die Schülerinnen und Schüler in schlechter Stim-mung gegenüber dem Betreuer sind. Obwohl die Lehrpersonen noch keine aus-gebildeten Lehrer sind, sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Projekts sich gegenüber den Betreuern respektvoll verhalten. Eine zufriedene Gruppe kann die Lehrkraft motivieren. Dies wiederum wirkt sich, wie oben ausgeführt, auf das Arbeitsverhalten und die Stimmung der Gruppe aus. Dieser Stimmungs-kreis ist schwierig in der Realität umzusetzen, aber es ist möglich, ihn für die Bildung von Motivation zu nutzen.

Aus diesem Ergebnis kann man schließen, dass die Stimmung der Lehrper-son den Unterricht maßgeblich beeinflussen kann.

5 AusblickAls Fazit kann geschlossen werden, dass die Lehrkraft, die die Schülerinnen und Schüler mitreißen möchte, bestenfalls mit guter Stimmung in den Unterricht gehen sollte. Dies ist nicht immer möglich, da Stimmungstiefs zum Alltag dazu-gehören. Doch Schülerinnen und Schüler sind sensibel und reagieren darauf, wenn die Lehrperson nicht hinter ihrem Thema steht. Sind die Lehrenden selbst motiviert, intensiver mit einem Thema zu arbeiten, steckt das auch die Schüle-rinnen und Schüler an. Idealerweise würden Lehrer nur die Themen behandeln, die sie selbst gut finden und die sie vertreten. Das Curriculum behindert diesen Ansatz allerdings. Dennoch muss die Lehrkraft versuchen, sich für jedes The-ma zu begeistern, da sonst die Inhalte keine Chance bei den Schülerinnen und Schülern haben werden.

Die Projektmethode überzeugt mit ihren Vorteilen, denn eine Lehrperson, die ein Projekt gestaltet, kann auch ihre eigenen Interessen in die offene Unter-richtsform einbringen und dadurch Schüler motivieren.

Ein gutes Arbeitsklima kann nur dann entstehen, wenn Individualität aner-kannt wird. Wer die Klasse nur als homogene Masse ansieht, kann den Interes-sen der Einzelnen nicht gerecht werden. Hier überzeugt das Projekt mit seinen kleinen Gruppen dadurch, dass die Lehrkraft viel mehr Aufmerksamkeit auf ei-nen Schüler lenken und sich eingehend mit ihm beschäftigen kann. Im Idealfall umfasst eine Gruppe vier Personen, so kann der betreuende Student sich mit allen Schülerinnen und Schülern eingehend befassen und sie kennenlernen.

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Das Projekt Kolumbus-Youth ermöglicht es den Studierenden, ein besonde-res Verhältnis zu den Schülern aufzubauen. Sowohl Lernende als auch Lehren-de haben ein vertrauteres Lernverhältnis, da sie auf engem Raum zusammen-arbeiten und nur eine kleine Gruppe sind. Stimmungsschwankungen fallen in diesem Rahmen besonders auf und lösen starke Reaktionen der übrigen Teil-nehmerinnen und Teilnehmer aus, da man sich nicht aus dem Weg gehen kann. Andersherum scheinen positive Gefühle ebenso starke Auswirkungen zu haben, sodass die Stimmung der Lehrkraft auf die der Schülerinnen und Schüler über-tragbar ist.

Offener Unterricht gehört zu den wichtigsten Impulsen zur Verbesserung von Schule und Unterricht der letzten Jahre. Als Subjekte werden die Lernenden in ihrer Rolle ernster genommen und ihnen wird mehr Verantwortung zugeschrie-ben. Die Lehrenden dagegen arrangieren eher und begleiten die Lernwege der Lernenden. Demnach benötigt diese Unterrichtsform Lehrende, die die Heraus-forderungen des offenen Unterrichts begreifen und ihnen gerecht werden (vgl. Edel/Popp, 2008, S. 136). Diese Studie soll Anlass bieten, sich intensiver mit der Lehrer- und Lernerrolle zu beschäftigen und die gefundenen Ansatzpunkte zur Stärkung derselben zu nutzen. Für eine weitere Testung des Projekts Kolumbus-Youth wäre ein dauerhafter Fragebogen sinnvoll, der in jeder Projektphase aus-geteilt würde, so kann jede Projektphase genau beschrieben werden. Zudem wäre ein stärkerer Bezug zu den inhaltlichen Themen und zu den sozialen For-men und Methoden, die in dieser Stunde angewendet wurden, von Vorteil. Dann wäre ein direkter Bezug zu Methoden und Motivation möglich und die Frage: „Wie werden Schüler motiviert?“ noch eindeutiger geklärt.

6 Literatur – Bortz, J. & Döring, N. (1995). Forschungsmethoden und Evaluation. 2. Aufla-

ge. Springerverlag: Berlin.

– Bovet, G. (2008). Lernmotivation. In Bovet, G. & Huwendiek, V. (Hrsg.) : Leit-faden Schulpraxis. Pädagogik und Psychologie für den Lehrberuf. 5. Auflage. (S. 299–321). Berlin: Cornelsen Scriptor.

– Edel, N. & Popp, M. (2008). Offener Unterricht. In Bovet, G. & Huwendiek, V. (Hrsg.), Leitfaden Schulpraxis. Pädagogik und Psychologie für den Lehrbe-ruf. 5. Auflage. (S. 110–138). Berlin: Cornelsen Scriptor.

– Ruppert, W. (2004). Welches Interesse haben Schüler an biologischen The-men? In Spörhase-Eichmann, U. & Ruppert, W. (Hrsg.), Biologie Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. (S. 107–123). Berlin: Cornel-sen Scriptor.

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Dr. Claas Wegner Wiebke KalläneUniversität Bielefeld Universität BielefeldAbt. Biologiedidaktik Abt. BiologiedidaktikUniversitätsstr. 25 Universitätsstr. 2533615 Bielefeld 33615 Bielefeld E-Mail: [email protected]

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Förderung kognitiver Fähigkeiten von naturwissenschaftlich begabten Schüler innen und Schülern im Rahmen des Projektes Kolumbus-Kids – Vorstellung eines StudienvorhabensClaas Wegner & Lea Brönneke

1 EinleitungZu den kognitiven Fähigkeiten, die in der Literatur auch oft als kognitive Pro-zesse bezeichnet werden, zählen Fähigkeiten wie das Erinnern, die Sprache und das Problemlösen. Solche kognitiven Prozesse sind in unserer täglichen Lebens- und Arbeitswelt allgegenwärtig und damit Voraussetzung für eine er-folgreiche Lebensbewältigung (vgl. z.B. Robinson-Riegler & Robinson-Riegler, 2012, S. 2). Vor dem Hintergrund dieser Bedeutsamkeit kognitiver Prozesse soll-te ein Ziel einer jeden schulischen sowie außerschulischen Lernumgebung die Förderung dieser kognitiven Prozesse sein. Das Projekt Kolumbus-Kids stellt eine außerschulische Lernumgebung dar. Es handelt sich um ein Projekt der Universität Bielefeld, das 2006 von Dr. Claas Wegner ins Leben gerufen wurde. Im Rahmen dieses Projekts kommen naturwissenschaftlich begabte Schülerin-nen und Schüler der vierten und fünften Klasse für ein Jahr einmal wöchentlich in die Universität und werden hier unter Anleitung und Betreuung von Studieren-den, die ihrerseits von geschulten Mitarbeitern aus dem Projekt betreut werden, im naturwissenschaftlichen Bereich gefördert. Mit Blick auf dieses Projekt und vor dem Hintergrund der Bedeutung der Förderung kognitiver Fähigkeiten in der Entwicklung von Heranwachsenden liegt dem im Folgenden vorgestellten Stu-dienvorhaben die Fragestellung zugrunde: „Können die kognitiven Fähigkeiten von begabten Kindern durch die Teilnahmen an dem Projekt Kolumbus-Kids ge-fördert werden?“

2 Theorie2.1 Kognition und kognitive ProzesseUm sich dem für dieses Studienvorhaben zentralen Begriff der Kognition zu nä-hern, erscheint es zunächst sinnvoll, bei der Wortbedeutung selbst anzusetzen. „Kognition“ lässt sich von dem lateinischen Verb cognoscere ableiten, welches mit erkennen übersetzt werden kann. Diese Herleitung findet sich in der Defini-tion des bekannten Psychologen Philipp G. Zimbardo (1995) wieder: „Kogniti-on ist ein allgemeiner Begriff für die Prozesse des Erkennens und Formen des Wissens“ (S. 392). Die Beschäftigung mit dem Begriff der Kognition nimmt in der Psychologie einen wichtigen Stellenwert ein. Mit der Kognitionspsychologie widmet sich die Psychologie diesem Begriff mit einem eigenen Fachgebiet. Da-her konzentrieren sich die folgenden Ausführungen verstärkt auf den Begriff der Kognition aus dem Blickwinkel der Kognitions psychologie.

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Kognitionspsychologie kann den beiden Psychologen Bridget Robinson-Riegler und Gregory Robinson-Riegler (2012) zufolge als „scientific study of mental processes“ (S. 1) definiert werden. Zwischen dieser Erläuterung und der oben angeführten Definition von Zimbardo lässt sich hinsichtlich des Begriffes der Kognition ein ähnlicher Grundgedanke finden: Kognition stellt demnach ei-nen Oberbegriff für eine Ansammlung von Prozessen dar, die in ihrer Gesamt-heit den Kognitionsbegriff definieren. Zimbardo bezeichnet diese Prozesse als Prozesse des Erkennens, B. und G. Robinson-Riegler sprechen von mentalen Prozessen. Um diese Idee zu untermauern, sei eine weitere Definition für Kogni-tion angeführt. Laut dem Psychologen Peter A. Frensch (2006) umfasst der Be-griff Kognition „ ,eine spezifische Sammlung von Themenbereichen‘, das heißt, […] beobachtbare oder theoretisch angenommene Phänomene, die in einem bestimmten Bereich der Psychologie (der Kognitionspsychologie) erforscht und diskutiert werden“ (S. 19). Der eben bereits benannte Gedanke des Sammelbe-griffs findet sich demnach in allen angeführten Definitionen und bildet daher die Grundlage für die Definition, die im Rahmen dieses Studienvorhabens für den Begriff der Kognition angenommen wird: Kognition als Sammelbegriff für zahlrei-che kognitive Prozesse.

Folgerichtig interessiert nun im Hinblick auf die vorliegende Studie die Frage, um welche Prozesse, die in der Definition als kognitive Prozesse angeführt wer-den, es sich konkret handelt. Diesbezüglich finden sich bei den bereits zur Erar-beitung der Definition herangezogenen Autoren Ausführungen, die sich teilweise überschneiden und ergänzen. Tabelle 1 stellt diese Ausführungen vergleichend dar.

Tab. 1: Auflistung verschiedener kognitiver Prozesse. Diese vergleichende Darstel-lung erfolgt auf der Grundlage der Ausführungen dreier Psychologen. Die Reihen-folge der Aufführung orientiert sich dabei nicht strikt an der der Autoren, sondern zielt auf eine Hervorhebung der Überschneidungen zwischen den verschiedenen Ausführungen ab.

Kognitive Prozessenach Zimbardo (1995) nach Frensch (2006) nach Robinson-Riegler &

Robinson-Riegler (2012)Wahrnehmung Perception

Aufmerksamkeit Aufmerksamkeit AttentionMustererkennung Identifying and Classifying

ObjectsErinnern Gedächtnis Immediate Memory

Long-Term MemoryAutobiographical MemoryMemory Distortion

Mitteilen von Ideen Sprache LanguageEntscheiden Decision MakingProblemlösen Problem Solving

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Der Sprache kommt unter allen kognitiven Prozessen eine besondere Be-deutung zu. Dieser besondere Charakter wird zunächst dadurch deutlich, dass die Sprache bei allen drei Autoren in mehr oder weniger deutlicher Form unter den kognitiven Prozessen aufgeführt wird (siehe Tabelle 1). Doch dies gilt auch für weitere kognitive Prozesse wie Aufmerksamkeit und Gedächtnis (siehe Ta-belle 1). Ein weitaus bedeutenderer Grund für die herausgehobene Stellung der Sprache liegt darin, dass nach Meinung verschiedener Autoren in der Sprache alle anderen kognitiven Prozesse vereint werden: „In many ways language is the culmination of all of our cognitive processes […]“ (Robinson-Riegler & Robinson-Riegler, 2012, S. 349; vgl. auch Zimbardo, 1995, S. 393). Um dies zu erläutern, erscheint es zunächst sinnvoll, sich mit dem Begriff der Sprache eingehender zu beschäftigen.

Sprache weist eine hierarchische Struktur auf. Das kleinste Level in dieser Struktur stellen die Buchstaben dar, in einer nächsten Ebene bilden diese Wör-ter. Alle Wörter, die eine Person kennt, werden unter dem Begriff des mentalen Lexikons zusammengefasst (vgl. z.B. Robinson-Riegler & Robinson-Riegler, 2012, S. 350 und S. 373 oder Rummer & Engelkamp, 2006, S. 592). Das men-tale Lexikon umfasst verschiedenste Informationen über ein gespeichertes Wort: phonologische Informationen über die Lautstruktur, graphemische Information über die Buchstabenstruktur, morphologische Information z.B. über die Wortart, semantische Informationen über die Wortbedeutung sowie motorische Informa-tionen über die Schreib- und Sprechmotorik des Wortes (vgl. z.B. Robinson-Riegler & Robinson-Riegler, 2012, S. 350 und Rummer & Engelkamp, 2006, S. 592). Mit Hilfe der Grundsätze zur Kombination werden diese Wörter in einer nächsthöheren Hierarchiestufe zu Sätzen. „Sätze verbinden Wörter zu größeren Bedeutungszusammenhängen und bilden eine wichtige Grundeinheit der Spra-che“ (Irmen, 2006, S. 601). In einer letzten Hierarchiestufe bilden zahlreiche Sätze einen Text. Neben diesen Hierarchiestufen wird in der Literatur, die sich mit der Thematik „Sprache“ befasst, häufig zwischen Eingangs- und Ausgangs-systemen unterschieden (vgl. z.B. Robinson-Riegler & Robinson-Riegler, 2012, S. 358 sowie Rummer & Engelkamp, 2006, S. 593). Unter dem kognitiven Pro-zess „Sprache“ wird also einerseits verstanden, Sprache wahrzunehmen und zu verstehen und andererseits selbst Sprache zu produzieren. Innerhalb des Ein-gangs- und Ausgangssystems findet eine weitere Differenzierung in ein visuelles und ein akustisches System (vgl. ebd.) statt.

Anhand dieser Unterscheidungen und der angeführten Beispiele wird be-reits die enge Verknüpfung zwischen dem kognitiven Prozess der Sprache und dem der Wahrnehmung sowie dem der Aufmerksamkeit deutlich. Das verbale Eingangssystem beruht auf visueller und akustischer Wahrnehmung sowie auf der Aufmerksamkeit für diese Signale. In der hierarchisch aufgebauten Sprach-struktur sowie anhand der Informationen, die über ein Wort im mentalen Lexikon gespeichert werden, wird die Wechselwirkung zwischen der Sprache und dem

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kognitiven Prozess des Identifizierens und Klassifizierens deutlich. Das mentale Lexikon stellt eine Verknüpfung zu dem kognitiven Prozess des Erinnerns bzw. des Gedächtnisses dar.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der kognitive Prozess der Spra-che einen Verknüpfungspunkt zwischen den verschiedenen kognitiven Prozes-sen darstellt, die in ihrer Gesamtheit den Kognitionsbegriff definieren. Vor dem Hintergrund dieser theoretischen Erkenntnisse wird es im nächsten Abschnitt um den Stellenwert der kognitiven Prozesse und damit um die Notwendigkeit der Förderung eben dieser gehen.

2.2 Die Bedeutung kognitiver Prozesse Die herausragende Bedeutung der kognitiven Prozesse liegt in ihrer Allgegen-wärtigkeit in unserem täglichen Leben. B. und G. Robinson-Riegler sprechen von der „Omnipräsenz der kognitiven Prozesse“ (vgl.; englisches Original: „The Omnipresence of Cognitive Processes“ 2012, S. 2). Lässt man nur einmal die Gedanken spielen, dann fallen einem schnell zahlreiche Situationen ein, die deutlich machen, welche entscheidende Rolle die kognitiven Prozesse in unse-rem alltäglichen Leben und im Berufsalltag spielen. Einige solcher Überlegun-gen seien im Folgenden beispielhaft angeführt.

Es steht außer Frage, dass die erfolgreiche Bewältigung der Schule und der darauffolgenden Ausbildung einen entscheidenden Ausgangspunkt für den wei-teren Lebensverlauf darstellt. Die Allgegenwärtigkeit der kognitiven Fähigkeiten in der Schule soll hier anhand einiger Beispiele (siehe Tabelle 2) erläutert wer-den, um zu verdeutlichen, welche entscheidende Voraussetzung das Beherr-schen dieser kognitiven Prozesse für einen erfolgreichen Schulabschluss dar-stellt.

Aber nicht nur in der Ausbildung spielen die kognitiven Prozesse eine wichtige Rolle. Auch für die erfolgreiche Bewältigung unseres Alltags ist das Beherrschen kognitiver Prozesse notwendig. Als Beispiel sei hier hinsichtlich des kognitiven Prozesses des Identifizierens und Klassifizierens eine alltägliche Handlung, nämlich die Erledigung eines Einkaufs, angeführt: Mit der Einkaufsliste laufe ich nicht wahllos durch den Supermarkt, sondern suche gezielt nach Oberkategori-en. Steht auf der Einkaufliste beispielsweise eine Paprika, dann weiß ich, dass ich bei dem Gemüse schauen muss und nicht etwa bei den Backwaren. Mit diesem Wissen funktioniert der Einkauf schnell und effizient.

Anhand dieser ausgewählten Beispiele wird deutlich, welche herausragende Bedeutung den kognitiven Fähigkeiten und somit der (Weiter-)entwicklung die-ser Fähigkeiten zukommt. An diesem Punkt setzt das vorliegende Studienvorha-ben an. Dazu werden im folgenden Abschnitt einige Überlegungen dargestellt,

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die sich damit befassen, inwiefern eine Förderung der kognitiven Fähigkeiten im Projekt Kolumbus-Kids stattfinden kann.

Tab. 2: Kognitive Prozesse in der Schule. Anhand von drei kognitiven Prozessen soll hier aufgeteilt nach den fachlichen Schwerpunkten verdeutlich werden, inwie-fern diese Prozesse im Schulalltag eine Rolle spielen. Dabei verfolgt diese Darstel-lung nicht das Ziel der Vollständigkeit, sondern soll lediglich als Gedankenanstoß dienen.

Kognitiver Prozess

Fachlicher Schwerpunkt Konkrete Erläuterung

Identifizieren und Klassifizieren

Sprachen

Wortarten klassifizierengrammatikalische Strukturen verstehen und anwendenTexte bestimmten literarischen oder historischen Epochen zuordnenStilmittel identifizieren und klassifizieren

Naturwissen-schaften

Vorgänge in und Zusammenhänge zwischen biologischen Stoffkreisläufen identifizieren und übertragenchemische Moleküle und Reaktionen, physikalische Gesetze sowie mathematische Figuren (z.B. Vielecke oder Körper) und mathematische Anwendungen (z.B. Rechen-wege) identifizieren und klassifizieren

Sprache

Gesellschafts-wisse n schaften

Texte zum Teil aus einer anderen historischen Epoche lesen, verstehen, zusammenfassen bzw. mit eigenen Wort wiedergebenfigurative Sprache (z.B. Ironie) erkennen und verstehen

Naturwissen-schaften

gerade in der voranschreitenden Schullaufbahn z.T. komplexe Aufgabenstellungen verstehen und Antworten sowie Lösungssätze fachlich korrekt und exakt formulieren

Sozial verhalten

soziale EingebundenheitKlassengemeinschaftKlassengespräche/ Unterrichtsgesprächmündliche Note

Probleme lösen

Naturwissen-schaften

Grundaufbau des Mathematikunterrichts [Aufgaben (Probleme) zu lösen]zu naturwissenschaftlichen Fragestellungen ein Experiment entwickeln (z.B.: Welche Komponenten braucht Feuer?)

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2.3 Förderung von kognitiven Prozessen im Rahmen des Projekts Kolumbus-Kids

Das Projekt Kolumbus-Kids, das im Jahre 2006 von Dr. Claas Wegner ins Leben gerufen wurde und in der Abteilung für Biologiedidaktik der Universität Biele-feld verankert ist, dient der außerschulischen Förderung naturwissenschaftlich interessierter und begabter Schülerinnen und Schüler der Primarstufe und der Sekundarstufe I. Die folgenden Ausführungen bilden eine Art „Brainstorming“ auf der Grundlage des Projekts Kolumbus-Kids sowie vor dem Hintergrund der Dar-stellung der diesem Studienvorhaben zugrundeliegenden Ausführungen zu den kognitiven Prozessen. Dazu sei zunächst ein kurzer Überblick über die grund-sätzliche Organisation des Projekts gegeben.

Das Projekt Kolumbus-Kids unterliegt dem Prinzip des problemorientierten, lösungszentrierten und handlungsorientierten Arbeitens. Dazu werden die Schü-lerinnen und Schüler mit Phänomenen der Natur und des Alltags konfrontiert. Hierbei werden Fragestellungen, wie beispielsweise „Warum haftet der Gecko an einer Glasscheibe fest?“ oder „Wie und warum lassen sich unsere Sinne täu-schen?“ aufgeworfen. Die Schülerinnen und Schüler sollen zu einem großen Teil eigenständig versuchen, diese natürlichen Phänomene zu deuten und auf der Grundlage selbstständig beschaffter Informationen sowie ihres im Verlauf des Kurses durch Versuche neu erworbenen Wissens zu erklären. Die Kolumbus-Kids arbeiten dabei überwiegend in Kleingruppen. Der gesamte Arbeitsprozess von der Fragestellung über die Durchführung verschiedener Versuche, die Be-obachtungen bis hin zu den Ergebnissen sowie dem Rückschluss auf die Fra-gestellung wird von den Kolumbus-Kids fachlich korrekt und exakt, wenn nötig mit Hilfe der Kursbetreuer, protokolliert und eventuell in Auszügen auch im Kurs präsentiert.

Im Hinblick auf die Förderung der kognitiven Fähigkeiten könnte vor dem Hintergrund der zuvor vorgestellten kognitiven Prozesse folgende Aufteilung vor-genommen werden (siehe Tabelle 3).

Durch das dem Kolumbus-Kids-Projekt zugrundeliegende Prinzip des prob-lemorientierten Arbeitens findet sich der Prozess des Problemlösens in dem Pro-jekt wieder. Das selbstständige Beschaffen und Verarbeiten von Informationen und das Protokollieren des Arbeitsweges beinhalten dagegen den kognitiven Prozess der Sprache, wobei erstgenannter Aspekt eher das Eingangssystem und letzterer eher das Ausgangssystem betrifft. Beide Aspekte lassen sich unter das visuelle System ordnen. Im Kolumbus-Kids-Projekt lässt sich ein weiterer Aspekt identifizieren, der sich unter das akustische System innerhalb des kog-nitiven Prozesses der Sprache ordnen lässt. So arbeiten die Kolumbus-Kids im Rahmen des Projekts häufig in Kleingruppen, was zum einen darin begründe-tet liegt, dass häufig Stationsarbeit stattfindet und zum anderen darin, dass die Untersuchungen und Versuche meist nicht alleine durchführbar sind, sondern jeder auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Absprachen und Verständigung zwi-

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schen den Kolumbus-Kids über Aufgabenverteilung und Zwischenergebnisse sind demnach absolut notwendig. Die Sprache stellt hier also eine wesentliche Voraussetzung für effektives Arbeiten innerhalb des Projekts dar. Weiter findet eine Förderung des akustischen Systems innerhalb des kognitiven Prozesses der Sprache durch das Präsentieren der gewonnenen Erkenntnisse statt.

Neben dem kognitiven Prozess des Problemlösens und der Sprache lässt sich der kognitive Prozess des Identifizierens und Klassifizierens in dem Projekt finden (siehe Tabelle 3). Dieser äußert sich in der Untersuchung und dem sich anschließenden Identifizieren und Klassifizieren von Tieren. Den Kolumbus-Kids stehen im Rahmen des Projektes zahlreiche Tiere zum Erforschen zur Verfü-gung. Dabei handelt es sich vor allem um Reptilien, Insekten und Meeresbewoh-ner aus der Meerwasseranlage der Universität. Die Schülerinnen und Schüler haben die Aufgabe die Tiere zu beobachten und dabei, stellenweise mit Hilfe von Lupen und Mikroskopen, Strukturen und Verhaltensweisen zu identifizieren. In einem zweiten Schritt können die Kolumbus-Kids die verschiedenen Tiere an-hand der identifizierten Strukturen und Verhaltensweisen in Bezug auf die Funk-tion, den Lebensraum und die evolutive Abstammung klassifizieren. Ein gutes Beispiel, um diesen Aspekt zu verdeutlichen, stellen die Laufbeine von Insekten dar. Diese sind in der Abfolge der Beinglieder identisch. Bei völlig verschieden aussehenden Insekten lassen sich die gleichen Glieder identifizieren (siehe Ab-bildung 1), sodass sie sich anhand derer leicht klassifizieren lassen.

Ob durch dieses methodische Vorgehen tatsächlich eine Förderung der ko-gnitiven Fähigkeiten stattfindet, soll im Rahmen dieses Studienvorhabens empi-risch ermittelt werden.

Tab. 3: Förderung kognitiver Prozesse im Projekt Kolumbus-Kids. Innerhalb des Kolumbus-Kids-Projekts lassen sich Aspekte finden, die sich verschiedenen kogniti-ven Prozessen zuordnen lassen.

Kognitiver Prozess Aspekte im Projekt Kolumbus-KidsProblemlösen grundsätzliches Prinzip: problemorientiertes Arbeiten

Sprache

Fachinformationen verstehen und im Hinblick auf die Fragestellung brauchbare Informationen herausfilternVorgehensweise fachlich korrekt und exakt protokollierenKleingruppenarbeit: Kommunikation und Verständigung als Voraussetzung für effektive ArbeitPräsentation der Vorgehensweise und der gewonnenen Erkenntnisse

Identifizieren und Klassifizieren

Untersuchung vorhandener Tiere: Strukturen und Verhaltensweisen identifizieren und hinsichtlich der Funktion, des Lebensraumes und der evolutiven Abstammung klassifizieren

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Abb.1: Beinglieder von Insekten a) Bein einer Stubenfliege (Musca domestica) b) Bein einer Totenkopfschabe (Blaberus craniifer) c) schematische Darstellung des Grundmusters [Coxa (Hüfte), Trochanter (Schenkelring), Femur (Schenkel), Tibia

(Schiene), Tarsus (Fußglied), Prätarsus (Krallenglied)]

3 Vorstellung des StudienvorhabensDas Studienvorhaben gliedert sich in eine bereits durchgeführte Vorstudie und eine geplante Hauptstudie. Die Vorstudie liefert einen ersten Überblick über die Förderung der kognitiven Fähigkeiten im Rahmen des Projekts und bildet damit eine Grundlage für die konkrete Konzeption der Hauptstudie. Das in dem Studi-envorhaben herangezogene Instrument zur Erfassung der kognitiven Fähigkei-ten der Kolumbus-Kids ist der „Kognitive Fähigkeitstest“ von Heller und Perleth, der im folgenden Abschnitt näher beschrieben werden soll.

3.1 Darstellung des Messinstruments Der Kognitive Fähigkeitstest (KFT), entwickelt von den beiden Psychologen Kurt A. Heller und Christoph Perleth, ist „ein differentieller Intelligenztest zur Ermitt-lung der kognitiven Ausstattung von Schülern der 4. bis 12. Klassen“ (vgl. Heller & Perleth, 2000, S. 8).2 Der KFT eignet sich sowohl für interindividuelle als auch für intraindividuelle Vergleiche (vgl. Heller & Perleth, 2000, S. 3). Im Kontext die-ses Studienvorhabens wird der KFT zum interindi viduellen Vergleich herangezo-gen, um die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten der Kolumbus-Kids während ihrer Teilnahme am Projekt zu erfassen.

Der Test besteht aus drei Testteilen. Der erste Teil ermittelt Informationen über das verbale Denken (V-Test), der zweite über das quantitative Denken (Q-Test) und der letzte über das nonverbal-figurale Denken (N-Test). Die Teile sind jeweils in drei Subtests unterteilt, sodass sich der gesamte KFT aus neun Subtests zusammensetzt (vgl. Heller & Perleth, 2000, S. 8), von denen zwei im

2 Bei dem in der vorliegenden Studie verwendeten Test handelt es sich um die dritte Auflage des KFT von 1974 (KFT 4–12 + R).

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Rahmen dieses Studienvorhabens erhoben werden sollen. Eine konkrete Ein-ordnung und Beschreibung dieser beiden Subtests ist Tabelle 4 zu entnehmen.

Tab. 4: Zwei Subtests aus dem KFT mit näheren Erläuterungen. Der KFT setzt sich insgesamt aus drei Testteilen zusammen, die sich ihrerseits aus jeweils drei Subtests zusammensetzen. Zwei von ihnen sind hier aufgeführt. Die Beschreibun-gen zu den Subtests sind nach Heller und Perleth (2000) zitiert (vgl. S. 10 sowie S. 220).

Testteil Subtest Beschreibung des Subtests

Verbaler Teil(V-Test)

Wortschatz(V-Test 1)

Gegeben ist jeweils ein Wort, zu dem aus einer Reihe von fünf weiteren Wörtern das jenige herauszufinden ist, das am ehesten zu dem gegebenen Wort paßt (Ober begriff oder Synonym).

Nonverbaler Teil(N-Test)

Figurenklas-sifikation(N-Test 1)

Gegeben ist eine Reihe von drei oder vier Figuren, die sich nach bestimmten Merk malen klassifizieren lassen (Form, Schraf fur, Lage …). Aus fünf weiteren Figuren ist diejenige herauszufinden, die zu der Klasse der vorgegebenen Figuren gehört.

Aufgrund der herausragenden Bedeutung der Sprache innerhalb der kogni-tiven Prozesse wird im Rahmen dieser Studie als einer der beiden Subtests der V-Test 1 aus dem verbalen Teil gewählt. Die Wahl für den N-Test 1 geschah vor dem Hintergrund der in Abschnitt 2.3 vorgestellten Aspekte des Kolumbus-Kids-Projekts (siehe Tabelle 3). Das Erkennen und Einordnen von Insektenbeinglie-dern bei verschiedenen Insekten beispielsweise ähnelt sehr der Figurenklas-sifikation, die von den Schülern im N-Test 1 gefordert wird (siehe Tabelle 4). Es lässt sich also festhalten, dass im Rahmen dieser Studie zur Erhebung die Subtests ausgewählt wurden, deren Inhalte auf der Grundlage der Konzeption des Kolumbus-Kids-Projekts gezielt gefördert werden.

3.2 Darstellung der Konzeption sowie der wesentlichen Erkenntnisse der Vorstudie

Bei der der Vorstudie zugrundeliegenden Stichprobe handelt es sich um die Schülerinnen und Schüler der Kolumbus-Kids-Kurse aus dem 2. Halbjahr im Schuljahr 2011/2012. Sie umfasst die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Viertklässlerkurses sowie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dreier Kurse der 5. Klasse. Innerhalb der Vorstudie gab es zwei Erhebungszeitpunkte. Die erste Erhebung fand im Februar 2012 in der ersten Stunde des jeweiligen Kolumbus-Kids-Kurses statt, die zweite Erhebung entsprechend in der letzten Stunde des Kurses im Juni 2012. Zwischen den beiden Erhebungen lagen abzüglich der Osterferien und weiterer Feiertage 15 Kursstunden, die jeweils 90 Minuten um-

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fassten. Erhoben wurden an den beiden Erhebungszeitpunkten, wie in Abschnitt 3.1 bereits erläutert, jeweils zwei Subtests aus dem „Kognitiven Fähigkeitstest“ von Heller und Perleth (2000), der V-Test 1 und der N-Test 1 (siehe Abbildung 2).

Abb. 2: Forschungsdesign der Vorstudie. Die Vorstudie umfasst zwei Erhebungs-zeitpunkte (Feb. 2012 und Juni 2012). Erhoben wurden jeweils zwei Subtests des „Kognitiven Fähigkeits tests“ von Heller und Perleth (2000) [Legende: KK = Kolum-

bus-Kids].

Die Ergebnisse dieser Vorstudie deuten darauf hin, dass im Projekt Kolum-bus-Kids vor allem im Bereich der nonverbalen Fähigkeit eine Förderung der kognitiven Fähigkeiten stattfindet. Der Mittelwertsunterschied zwischen den er-reichten Punktzahlen in der ersten und zweiten Erhebung ist bezüglich des N -Test 1 bei der 4. Klasse hochsignifikant (t(9) = -3.372, p < .01) und bei der 5. Klasse signifikant (t(41) = -2.635, p < .05). Die Entwicklung in den beiden Jahrgangsstufen ist dabei nicht signifikant verschieden (F(1) = 2,640, p > .05). Bezüglich der verbalen Fähigkeiten scheinen sich die Kolumbus-Kids hingegen abhängig von der Jahrgangsstufe signifikant verschieden zu entwickeln (F(1) = 13,973, p < .05). Der Mittelwertsunterschied hinsichtlich des V-Test 1 ist bei den Kolumbus-Kids der 4. Klasse signifikant (t(8) = -2.987, p < .05). Die entsprechen-den Mittelwertsunterschiede bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der 5. Klasse erweisen sich als nicht signifikant (t(37) = .199, p > .05). Die Förderung der verbalen Fähigkeiten scheint also in der vierten Klasse effektiver zu funktio-nieren als bei den Fünftklässlern.

Festzuhalten bleibt zunächst, dass vor dem Hintergrund dieser Daten grundsätzlich eine Förderung der kognitiven Fähigkeiten durch Kolumbus-Kids stattfindet. Gründe für die effektivere Förderung der verbalen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler der 4. Klasse könnten innerhalb des Projekts oder außerhalb des Projekts in der Schulsituation liegen. Bezogen auf die Schulsi-tuation ist der entscheidende Unterschied zwischen den beiden untersuchten Jahrgangsstufen die Schulform und damit einhergehend die Lerngruppe. Die

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Schülerinnen und Schüler der 4. Klasse lernen in der Grundschule in einer he-terogeneren Lernumgebung im Vergleich zu den Fünftklässlern auf dem Gym-nasium. Da sich das Projekt Kolumbus-Kids speziell an Kinder mit besonderer Begabung richtet, ist die Lerngruppe, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in dem Projekt vorfinden, sehr homogen. Für die Viertklässler ist diese homo-gene Lernumgebung nach den obigen Überlegungen ungewohnter als für die Schülerinnen und Schüler der 5. Klasse und könnte daher zu einer effektive-ren Förderung der verbalen Fähigkeiten führen. Bezogen auf die nonverbalen Fähigkeiten scheint diese Schulsituation jedoch keinen Einfluss zu haben, da hier kein Interaktionseffekt zwischen der Jahrgangsstufe und der Zeit gefunden wurde. Bezogen auf die Projektsituation finden sich allerdings ebenfalls Unter-schiede zwischen Jahrgangsstufen, die durch die grundsätzliche Organisation des Projekts bedingt sind. Die Viertklässler beginnen turnusmäßig mit Start der vierten Klasse im Sommer das Projekt, während die Fünftklässler mit Beginn des zweiten Halbjahres der 5. Klasse in das Projekt einsteigen. Die Daten der Viertklässler beziehen sich demnach auf die zweite Hälfte des Projekts, die der Fünftklässler dagegen auf das erste halbe Jahr. Auf der Grundlage der Ergebnis-se ist demnach auch zu vermuten, dass eine Förderung der verbalen Fähigkei-ten verstärkt in der zweiten Hälfte des Projekts stattfindet. Diese im Rahmen der Vorstudie gewonnenen Daten und Vermutungen sollen durch die Hauptstudie näher untersucht werden.

3.3 Darstellung der Konzeption der HauptstudieVor dem Hintergrund der Erkenntnisse der Vorstudie sieht die Hauptstudie vor, einen größeren Zeitraum in den Blick zu nehmen. Um die Entwicklung der ko-gnitiven Fähigkeiten der Kolumbus-Kids während ihrer einjährigen Teilnahme am Projekt zu untersuchen, wird zu drei Zeitpunkten innerhalb des Projekts der Stand der kognitiven Fähigkeiten der Kolumbus-Kids erhoben. Der erste Erhe-bungszeitpunkt liegt dabei vor Eintritt in das Projekt (t1), der zweite nach einer halbjährigen Teilnahme an dem Projekt (t2) und der letzte nach Beendigung des Projekts (t3).

Ziel der Hauptstudie ist es, empirisch die Entwicklung der kognitiven Fähig-keiten der Kolumbus-Kids über die gesamte Teilnahme am Projekt zu untersu-chen und dabei zu ermitteln, ob der in der Vorstudie gefundene Unterschied zwischen den Jahrgangsstufen bezüglich der verbalen Fähigkeiten weiterhin bestehen bleibt.

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4 Literatur – Frensch, P.A. (2006). Kognition. In Funke, J., Frensch, P.A. (Hrsg.), Hand-

buch der Allgemeinen Psychologie – Kognition. (S. 19–28). Göttingen [u.a.]: Hogrefe, .

– Heller, K.A., Perleth, C. (2000). Kognitiver Fähigkeitstest für 4. bis 12. Klas-sen, Revision (KFT 4-12+R). Göttingen: Hogrefe.

– Irmen, L. (2006). Satzverstehen. In Funke, J., Frensch, P.A. (Hrsg.), Hand-buch der Allgemeinen Psychologie – Kognition. (S. 601–611). Göttingen [u.a.]: Hogrefe, S. .

– Robinson-Riegler, B., Robinson-Riegler, G. (2012). Cognitive Psychology. Applying the science of the mind. 3rd edition. Boston [u.a.]: Person Educa-tion.

– Rummer, R., Engelkamp, J. (2006). Wortwissen und mentales Lexikon. In Funke, J., Frensch, P.A. (Hrsg.), Handbuch der Allgemeinen Psychologie – Kognition. (S. 592–600). Göttingen [u.a.]: Hogrefe.

– Zimbardo, P.G. (1995). Psychologie. 6., neu bearbeitete und erweiterte Aufla-ge. Berlin [u.a.]: Springer-Verlag.

Dr. Claas Wegner Lea BrönnekeUniversität Bielefeld Universität BielefeldAbt. Biologiedidaktik Abt. BiologiedidaktikUniversitätsstr. 25 Universitätsstr. 2533615 Bielefeld 33615 Bielefeld E-Mail: [email protected]

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Veränderung und Vergleich erkenntnistheoretischer Überzeugungen naturwissenschaftlich begabter Schüler im Projekt Kolumbus-Kids und an Bielefelder Gymnasien Claas Wegner & Ole Sven Fischer

1 EinleitungIn dieser Studie werden zwei Fragestellungen untersucht. Zum einen wird er-forscht, ob sich erkenntnistheoretische Überzeugungen von naturwissenschaft-lich begabten Schülern der 5. Klasse durch die Teilnahme am praktisch aus-gerichteten Begabtenförderungsprojekt Kolumbus-Kids positiv beeinflussen lassen. Zum anderen wird der Frage nachgegangen, ob sich erkenntnistheore-tische Überzeugungen der naturwissenschaftlich begabten und normalen Schü-lern unterscheiden.

2 TheorieZu Beginn gilt es, die Begrifflichkeit des untersuchten Konstruktes der erkennt-nistheoretischen Überzeugungen zu klären. Erkenntnistheoretische Ansichten sind Gegenstand der Epistemologie (griechisch. epistemé = das Verstehen), auch Erkenntnistheorie genannt. Daher werden sie in der Fachsprache häufig als epistemologische Ansichten bzw. Überzeugungen bezeichnet.

2.1 Was sind epistemologische Überzeugungen?Hofer und Pintrich (1997) definierten den Begriff „epistemologische Überzeu-gungen“ als persönliche Auffassungen über die Natur des Wissens (nature of knowledge) und über die Natur des Wissenserwerbs (nature of knowing) (vgl. Abbildungen 1 u. 2 sowie Hofer, Pintrich, 1997, S. 117).

Innerhalb der Natur des Wissens können zwei generelle Dimensionen (oder Themenbereiche epistemologischer Überzeugungen) unterschieden werden: Si-cherheit von Wissen und Einfachheit von Wissen. Die Dimension Sicherheit von Wissen beschreibt das Ausmaß, in dem das Wissen von einer Person als stabil (naive Vorstellung) oder als wandelbar und sich entwickelnd (erfahrene Vorstel-lung) angesehen wird (vgl. Hofer, Pintrich, 1997, S. 119–120). Es geht hier um die Vorstellung, inwiefern das Wissen als über die Zeit veränderbar wahrgenom-men wird.

Die Dimension Einfachheit von Wissen beschreibt die Ausprägung einer Per-son in der Hinsicht, ob das Wissen als eine Ansammlung von einfachen Fakten (naive Vorstellung) oder als ein zusammenhängendes Konzept (erfahrene Vor-

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stellung) beurteilt wird (vgl. Hofer, Pintrich 1997, S. 120). Diese Facette episte-mologischer Überzeugungen thematisiert demnach, wie Wissen aufgebaut ist.

Abb: 1: Schematische Darstellung Abb. 2: Schematische Darstellung der Auffassungen über die der Auffassungen über die Natur des Wissens Natur des Wissenserwerbs

Innerhalb der Natur des Wissenserwerbs können erneut zwei generelle Di-mensionen unterschieden werden: Quelle des Wissens und Rechtfertigung von Wissen. In Bezug auf die Dimension Quelle des Wissens kann angenommen werden, dass Wissen instruktivistisch durch externe Autoritäten vermittelt wird (naive Vorstellung) oder dass Wissen selbst und in Zusammenarbeit mit anderen konstruiert wird (erfahrene Vorstellung) (vgl. Hofer, Pintrich, 1997, S. 120). Die-se Dimension beschreibt demzufolge die Vorstellung, auf welche Art und Weise Wissen angeeignet wird.

Die Dimension Rechtfertigung von Wissen beinhaltet, wie Personen Wissen begründen. Dazu gehört unter anderem der Bezug auf externe Autoritäten (naive Vorstellung) oder der Gebrauch von empirischen Beweisen (erfahrene Vorstel-lung) (vgl. Hofer, Pintrich, 1997, S. 120). Hier geht es also darum, wie Wissen belegt werden kann.

2.2 Warum eine Veränderung von epistemologischen Überzeugungen?

Die Veränderung von erkenntnistheoretischen Ansichten wurde in dieser Studie untersucht, da bei einer Veränderung der epistemologischen Überzeugungen auch Veränderungen in anderen lernförderlichen Bereichen zu erwarten sind. Schommer (1990) wies zum Beispiel nach, dass die Ansichten über den Aufbau und die Aneignung von Wissen einen deutlichen Effekt auf den Lernerfolg und das Textverständnis von Studenten haben (vgl. Schommer, 1990, S. 503). Hofer stellte später ein Modell auf, nach dem sich erfahrene Auffassungen positiv auf die Motivation, die Wahl der Lernstrategie und damit auf die Lernleistung von Schülern und Studenten auswirken (vgl. Hofer, 2001, S. 372). Gruber und Sta-

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mouli (2009) hielten fest, dass eine positive Veränderung in den Überzeugungen der Schüler dazu führt, dass sie überlegter an den Erwerb und die Nutzung ihres Wissens herangehen, ihr Potential in Lerngelegenheiten besser ausschöpfen und sich aktiver am Lernprozess beteiligen (vgl. Gruber, Stamouli, 2009, S. 28). Diese Effekte deuten daraufhin, dass Personen, die erfahrene Auffassungen über die Natur des Wissens haben, intelligenter mit ihrem persönlichen Wissen umgehen. Daher sollte es Ziel jeden Unterrichts sein, diese Auffassungen positiv zu beeinflussen.

In ersten Untersuchungen zur Veränderbarkeit der Auffassungen über die Natur des Wissens wurde angenommen, dass sich die Auffassungen nur lang-fristig durch den Gewinn neuer Eindrücke und Erfahrungen beeinflussen und verändern lassen (vgl. Kienhues, Bromme, Stahl, 2008, S. 547). Doch neuere Studien belegen, dass Veränderungen auch durch relativ kurzfristige Interventio-nen herbeigeführt werden können (vgl. Bromme, Kienhues, 2007, S. 199).

In diesem Zusammenhang soll auf die Forschungsarbeit von Conley, Pin-trich, Vekiri und Harrison (2004) eingegangen werden, da sich die vorliegende Studie in ihrer Konzeption auf diese bezieht.

2.3 Beschreibung einer ausgewählten Studie zur kurzfristigen Veränderung von epistemologischen Überzeugungen

Conley et al. (2004) konzentrierten sich in ihrer Arbeit auf eine strukturelle Ver-änderung des Unterrichts, um eine Veränderung der epistemologischen Über-zeugungen bei Schülern der 5.Klasse hervorzurufen. Die Untersuchung wurde im Rahmen einer 9-wöchigen Einheit über die Eigenschaften von chemischen Stoffen durchgeführt und fand innerhalb der partizipierenden Schulen nach dem regulären Unterricht statt (vgl. Conley et al., 2004, S. 186). Die Autoren nahmen an, dass ein praktisch ausgerichteter Unterricht, der die Schüler an der Gestal-tung und Durchführung von Experimenten beteiligt, eine Veränderung in den epistemologischen Überzeugungen hervorrufen kann (vgl. Conley et al., 2004, S. 191). Aufgrund dieser Annahmen fand ein problem- und handlungsorientierter Unterricht statt, welcher das Erlernen von Fertigkeiten zum wissenschaftlichen Denken betonte. Dazu gehörte unter anderem die Vermittlung von Fähigkeiten, um selbstständig Experimente durchzuführen, Daten zu sammeln, Ergebnisse zu interpretieren und auf der Basis von Ergebnissen Schlussfolgerungen zu zie-hen.

Betreffend der Konzeption der Studie wurden die epistemologischen Überzeu-gungen der Schüler vor und nach der Intervention erhoben. Als Messinstrument wurde ein Fragebogen eingesetzt, der aus früheren Arbeiten mit Grundschulkin-dern abgeleitet wurde (vgl. Conley et al., 2004, S. 194). Der Test beinhaltet vier Dimensionen, die denen aus der Definition von Hofer und Pintrich (1997) ähneln.

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Genauer wird darauf in Kapitel 3.2 (Beschreibung des Testinstrumentes) einge-gangen, da der Fragebogen auch für die vorliegende Studie eingesetzt wurde.

Das Ergebnis der Untersuchung zeigt, dass sich die epistemologischen Über-zeugungen (von Zeitpunkt 1 zu Zeitpunkt 2) signifikant in Richtung erfahrener Überzeugungen veränderten (vgl. Conley et al., 2004, S. 196). In der Dimension Quelle des Wissens wurde nach der Intervention weniger an unfehlbare Autori-täten geglaubt (p = 0,000). In der Dimension Sicherheit von Wissen wurde das Wissen als weniger eindeutig eingeschätzt (p = 0,000) (vgl. Conley et al., 2004, S. 202–203). In der Dimension Entwicklung von Wissen beurteilten die Schüler nach der Intervention das Wissen als wandelbarer (p = 0,001) und bezüglich der Dimension Rechtfertigung von Wissen zeigte sich, dass die Schüler ein besse-res Verständnis für das Beweisen von Wissen erlangten (p = 0,009) (vgl. ebd.).

Neben der Veränderung von erkenntnistheoretischen Ansichten wird in die-ser Studie auch untersucht, ob sich normale und begabte Schüler in ihren epi-stemologischen Überzeugungen unterscheiden. Nach einer Literaturrecherche über den Datenbankanbieter „EBSChost“3 konnte diesbezüglich nur eine Studie ausfindig gemacht werden. Dies zeigt, wie unerforscht die Fragestellung bislang ist. Im Folgenden soll die gefundene Studie kurz dargestellt werden, da die vor-liegende Studie die Ergebnisse als Referenz verwendet.

2.4 Beschreibung einer ausgewählten Studie zu epistemologischen Überzeugungen bei normalen und begabten Schülern

Jerald Thomas untersuchte in seiner 2008 veröffentlichten Studie die Verände-rung von epistemologischen Überzeugungen unter begabten High-School-Schü-lern (von der 10. bis zur 12. Klasse). Daneben ging er auch anderen Fragestel-lungen nach. Zum einen untersuchte er, ob das Geschlecht und die ethnische Herkunft Einfluss auf die epistemologischen Überzeugungen der Schüler haben. Zum anderen interessierte ihn, wie sich die Auffassungen der begabten Schüler im Vergleich zu normalen Schülern von anderen High Schools verhielten (vgl. Thomas, 2008, S. 87). Die Untersuchungsgruppe bestand insgesamt aus 485 Schülern, die aufgrund ihrer Begabung ein spezielles Internat besuchten.

Die epistemologischen Überzeugungen wurden in Thomas‘ (2008) Studie mit dem von Griffith und Chapman (1982) entwickelten Fragebogen LCQ (Learning Context Questionnaire) erhoben. Damit werden epistemologische Überzeugun-gen nach einem Stufenmodell von Perry (1970) erfasst. Dieses verzichtet im Gegensatz zu Hofers und Pintrichs Definition (1997) auf die Unterscheidung ein-zelner Dimensionen (vgl. Kapitel 2.1). Allgemein durchlaufen Menschen nach Perrys Modell vier Stufen: Dualism (es wird von einer absoluten Wahrheit ausge-

3 Es wurde nach den Begriffen epistemological (Titel) + study (Abstract) + gifted (Abs-tract) gesucht.

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gangen), Multiplicity (es gibt drei mögliche Kategorien: richtig, falsch oder noch nicht bekannt), Relativism (Wissen, welche wird als relativ und kontextbezogen angesehen) und Dialectic (die Annahme der Richtigkeit von Wissen wird mora-lisch-ethisch begründet) (vgl. Gruber, Stamouli, 2009, S. 29).

Bei der Auswertung der Ergebnisse zeigte sich, dass sich die Schüler im Laufe der drei Jahre erfahrenere epistemologische Überzeugungen angeeignet hatten (p < 0,000). Demnach befanden sich die Teilnehmer zu Beginn in der Entwicklungsstufe Multiplicity und schlossen ihre Schullaufbahn dann nahezu in der Entwicklungsstufe Relativism ab. Beim Vergleich zu normalen Schülern der weiterführenden Schule zeigte sich, dass diese am Ende ihrer Schullaufbahn naivere Überzeugungen aufwiesen als die begabten Schüler. In einer Untersu-chung von Kelton und Griffith (1986) zeigte sich, dass ein Großteil der normalen Schüler bis zum Schulabschluss in der Entwicklungsstufe Multiplicity verweilte (vgl. Thomas, 2008, S. 93).

3 StudienbeschreibungDie vorliegende Studie untersucht zwei Fragestellungen. Zum einen wird er-forscht, ob sich erkenntnistheoretische Ansichten von begabten Schülern der 5. Klasse durch den Unterricht im Begabtenförderungsprojekt Kolumbus-Kids ver-ändern lassen. Zum anderen wird der Frage nachgegangen, ob sich epistemolo-gische Überzeugungen zwischen naturwissenschaftlich begabten und normalen Schülern unterscheiden.

3.1 HypothesenIm Hinblick auf die erste Fragestellung bezieht sich die Studie auf die Arbeit von Conley et al. (2004) (vgl. Kap. 2.3). Entsprechend ihrer Ergebnisse, die zeigen, dass eine handlungsorientierte unterrichtliche Intervention Veränderungen in den epistemologischen Überzeugungen von Schülern der 5. Klasse hervorru-fen kann, wird angenommen, dass sich dieser Effekt auch im Begabtenförde-rungsprojekt Kolumbus-Kids mit Schülern der 5. Klasse nachweisen lässt. Der Unterricht im Projekt weist dabei ebenfalls eine hohe Handlungsorientierung auf (vgl. Kap. 3.4). Allerdings wird im Gegensatz zu Conley et al. (2004) auch eine Kontrollgruppe eingesetzt, um zu überprüfen, ob der Effekt auf andere Faktoren zurückzuführen ist. Demnach lautet die erste Hypothese:

1 Über eine Zeitspanne von drei Monaten können signifikante Veränderungen der epistemologischen Überzeugungen von begabten Schülern der 5. Klasse im Begabtenförderungsprojekt Kolumbus-Kids erzielt werden, während sich die Überzeugungen von normalen Schülern im Regelunterricht nicht signifi-kant verändern.

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Im Hinblick auf die zweite Fragestellung bezieht sich die Studie auf die Arbeit von Thomas (2008) (vgl. Kap. 2.4). Er stellte unter anderem fest, dass sich begabte Schüler zum Ende der zwölften Klasse erfahrenere epistemologi-sche Überzeugungen angeeignet hatten als normale Schüler. Sie erreichten nahezu die Entwicklungsstufe Relativism, während die normalen Schüler in der Entwicklungsstufe Multiplicity (nach Perry, 1970) verweilten (vgl. Kap. 2.4). Die vorliegende Studie setzt sich zum Ziel, dieses Ergebnis auch für Schüler der 5. Klasse in Deutschland nachzuweisen. Die zweite Hypothese lautet dementsprechend:

2 Die naturwissenschaftlich begabten Schüler haben im Vergleich zu den nor-malen Schülern erfahrenere epistemologische Überzeugungen im Bereich der Biologie.

3.2 Beschreibung der VersuchsgruppenDie Untersuchung wurde sowohl im Begabtenförderungsprojekt Kolumbus-Kids, als auch an Bielefelder Gymnasien als Kontrollgruppe durchgeführt. Beide Ver-suchsgruppen bestehen aus Schülern der 5. Klasse.

Versuchsgruppe Kolumbus-Kids

Am Begabtenförderungsprojekt Kolumbus-Kids nehmen Schüler aus Bielefelder Gymnasien und Schüler aus Gymnasien der näheren Umgebung teil. Die Aus-wahl für das Projekt erfolgt über Fähigkeitstests, die eine naturwissenschaftliche Begabung feststellen. Nur begabte Schüler erhalten eine Einladung zum Projekt. Die einjährige Teilnahme erfolgt im Verlauf freiwillig. An dieser Untersuchung nahmen insgesamt 37 Schüler aus drei Kursen teil.

KontrollgruppeDie Kontrollgruppe besteht aus 82 Schülern (drei Klassen) aus drei Bielefelder Gymnasien. Die Auswahl der Gymnasien fand dabei zufällig statt.

3.3 Zeitlicher AblaufFür die Untersuchung wurde ein klassisches Pretest-Posttest-Design verwen-det. Die erste Erhebung fand dabei in der ersten Unterrichtsstunde des Begab-tenförderungsprojektes statt.

Da das Projekt jeweils im Frühjahr startet, war der erste Testzeitpunkt für beide Untersuchungsgruppen im Februar 2012.

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Nach einer dreimonatigen Projektteilnahme wurde die zweite Erhebung durchgeführt. Da die erste Erhebung Ende Februar durchgeführt wurde, war der zweite Testzeitpunkt für beide Gruppen Ende Mai bzw. Anfang Juni 2012.

In Bezug auf die Zeitspanne an Testzeitpunkt 2 sei angemerkt, dass die Er-hebungen für beide Untersuchungsgruppen nicht exakt an denselben Terminen, sondern leicht versetzt erfolgten. Während die begabten Schüler ohne Umstän-de im Rahmen des Projektunterrichtes getestet werden konnten, mussten die Schüler der Kontrollgruppe in ihren Klassen besucht werden, um eine Testung durchzuführen.

Die Unterrichtsdauer im Projekt betrug für die naturwissenschaftlich begab-ten Schüler 90 Minuten an einem Nachmittag in der Woche. Beide Versuchs-gruppen erhielten während ihrer Schulzeit pro Woche drei Schulstunden (45 Min.) Biologieunterricht.

3.4 UnterrichtsgestaltungInhaltlich werden im Projektunterricht Phänomene aus den drei Naturwissen-schaften Biologie, Chemie und Physik thematisiert, wobei die Biologie die Haupt-rolle einnimmt. In Bezug auf die didaktische Vorgehensweise setzt sich der Projektunterricht im Vergleich zum Regelunterricht in der Schule eine hohe Pro-blem- und Handlungsorientierung zum Ziel. Als Unterrichtsstruktur dient dabei der naturwissenschaftliche Erkenntnisweg. Es geht also darum, dass die Schü-ler – soweit es möglich ist – selbstständig Fragestellungen entwickeln, geeignete Experimente durchführen und die Ergebnisse interpretieren.

Konkret lässt sich jede Unterrichtsstunde des Projektes in drei übergeord-nete Phasen unterteilen: die Einstiegsphase, die Erarbeitungsphase sowie die Auswertungs- und Präsentationsphase.

In der Einstiegsphase wird eine kurze theoretische Einführung zu dem jewei-ligen Unterrichtsgegenstand gegeben (vgl. Abbildung 3). Dabei wirken die Schü-ler aktiv mit und können eigene Ideen und Vermutungen zum Thema äußern. Im weiteren Verlauf widmen sich die Schüler dem neuen Thema und entwickeln in Zusammenarbeit mit ihren Mitschülern und dem Lehrer eine Fragestellung.

Im Anschluss findet die Erarbeitungsphase statt (vgl. Abbildung 4). Diese un-terteilt sich wiederum in zwei Abschnitte. Im ersten Abschnitt besprechen die Schüler mit den Lehrern das Versuchsdesign zur Untersuchung der Fragestel-lung und stellen selbstständig Hypothesen über die Wirkungszusammenhänge auf. Im zweiten Abschnitt führen die Schüler anhand von Arbeitsblättern eigen-händig Experimente zur Überprüfung der aufgestellten Hypothesen durch. Die Lehrer stehen während dieser Phase unterstützend zur Seite, greifen aber nur ein, wenn dies unbedingt notwendig ist.

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Abschließend werten die Schüler in der Auswertungs- und Präsentationspha-se die gewonnen Ergebnisse in ihren Gruppen aus und stellen sie den anderen Kursteilnehmern vor.

3.5 TestinstrumentZur Erhebung der epistemologischen Überzeugungen wird eine deutsche Über-setzung des von Conley et al. (2004) ausgearbeiteten Testinstruments verwen-det. Conley et al. entwickelten einen auf den Ausführungen von Hofer und Pintrich (1997) aufbauenden Fragebogen, welcher vier Dimensionen epistemologischer Überzeugungen beinhaltet: Quelle des Wissens sowie Sicherheit, Entwicklung und Rechtfertigung von Wissen (vgl. Kap. 2). Zwei der Dimensionen von Conley et al. (2004) weisen dabei allerdings eine andere Namensgebung auf als die von Hofer und Pintrich (1997). Dies wird in Tabelle 1 zum Ausdruck gebracht. Da-nach entspricht z.B. die Dimension Sicherheit von Conley et al. (2004) inhaltlich der Dimension Einfachheit von Hofer und Pintrich (1997).

Tab. 1: Inhaltliche Entsprechung der Dimensionen im Fragebongen von Conley et al. (2004) sowie der Definition nach Hofer und Pintrich (1997)

Dimension Dimension Dimension DimensionDie Dimensionen nach Conley et al. (2004)...

Sicherheit von Wissen (Certainty)

Entwicklung von Wissen (Development)

Rechtfertigung von Wissen (Justification)

Quelle des Wissens (Source)

... entsprechen den Dimensionen nach Hofer und Pintrich (1997)

Einfachheit von Wissen (Simplicity of knowledge)

Sicherheit von Wissen(Certainty of knowledge)

Rechtfertigung von Wissen (Justification of knowing)

Quelle von Wissen(Source of knowledge)

Das Testinstrument ist so aufgebaut, dass jede Dimension fünf bis neun Items beinhaltet, die in Aussageform formuliert sind. Insgesamt ergeben sich so 26 Items. Innerhalb der Dimension Sicherheit existiert z.B. das Item „Alle Fragen in der Biologie haben eine richtige Antwort“ (vgl. Tabelle 2).

Die Aufgabe der Schüler besteht darin, zu überlegen, inwieweit sie den ein-zelnen Aussagen zustimmen. Ihnen stehen dazu pro Item vier Antwortmöglich-keiten zur Wahl: A „stimmt genau“, B „stimmt etwas“, C „stimmt eher nicht“, D „stimmt gar nicht“. Je nach Item entspricht dabei z.B. Antwort A „stimmt genau“ entweder einer erfahrenen epistemologischen Überzeugung (4 Punkte) oder ei-ner sehr naiven und unerfahrenen Ansicht (1 Punkt). In Bezug auf das Item „Bio-logisches Wissen ist immer richtig“ wäre beispielsweise die Antwort D „stimmt gar nicht“ mit 4 Punkten zu bewerten.

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Zuletzt sei in Bezug auf das Testinstrument angemerkt, dass sich die Aussa-gen der Items auf die Biologie beziehen, da diese im Begabtenförderungsprojekt im Mittelpunkt stehen. Im englischen Original beziehen sie sich hingegen auf Naturwissenschaften im Allgemeinen. Dies liegt darin begründet, dass im eng-lischsprachigen Raum „Science“ unterrichtet wird.

Tab. 2: Deutsche Übersetzung der Items aus dem Fragebogen von Conley et al. (2004)

QuelleJeder muss den Biologen (Wissenschaftlern in der Biologie) glauben.In der Biologie muss man an die Dinge glauben, welche im Lehrbuch stehen.Alles, was der Lehrer im Biologieunterricht erzählt, ist richtig.Wenn du irgendetwas in deinem Biologiebuch liest, kannst du dir sicher sein, dass es richtig ist.

SicherheitAlle Fragen in der Biologie haben eine richtige Antwort.Die wichtigste Sache beim Forschen in der Biologie ist es, die richtige Antwort zu finden.Biologen (Wissenschaftler in der Biologie) wissen fast alles über die Biologie; es gibt nicht viel mehr, was noch herauszufinden wäre.Biologisches Wissen ist immer richtig.Wenn Biologen (Wissenschaftler in der Biologie) einmal ein Ergebnis in einem biologischen Experiment erzielt haben, ist dies die einzige Lösung.Biologen (Wissenschaftler in der Biologie) sind sich immer darüber einig, was innerhalb der Biologie richtig ist.

EntwicklungManche aktuellen Vorstellungen innerhalb der Biologie unterscheiden sich von dem, was Biologen (Wissenschaftler in der Biologie) in der Vergangenheit angenommen haben.Vorstellungen in naturwissenschaftlichen Biologiebüchern verändern sich manchmal.Es gibt bestimmte Fragen in der Biologie, die sogar Biologen (Wissenschaftler in der Biologie) nicht beantworten können.Vorstellungen innerhalb der Biologie verändern sich manchmal.Neue Entdeckungen innerhalb der Biologie können das verändern, was Biologen (Wissenschaftler in der Biologie) für richtig halten.Manchmal verändern Biologen (Wissenschaftler in der Biologie) ihre Ansicht darüber, was in der Biologie als richtig angesehen wird.

Rechtfertigung Ideen für biologische Experimente entstehen durch Neugierde und durch das Nachdenken darüber, wie Dinge funktionieren. In der Biologie gibt es für die Biologen (Wissenschaftler in der Biologie) mehr als einen Weg, um ihre Vorstellungen zu überprüfen.

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Ein wichtiger Aspekt der Biologie ist das Durchführen von Experimenten. So bekommen die Biologen (Wissenschaftler in der Biologie) neue Ideen darüber, wie Dinge funktionieren.In der Biologie ist es sinnvoll, Experimente mehrmals durchzuführen, um zu überprüfen ob die Ergebnisse richtig sind.In der Biologie können gute Ideen von jedem stammen, nicht nur von Biologen (Wissenschaftlern in der Biologie).Um herauszufinden, ob innerhalb der Biologie etwas richtig ist, stellt das Durchführen eines Experiments eine gute Möglichkeit dar.Gute Antworten beziehen sich in der Biologie auf die Beweise vieler verschiedener Experimente.In der Biologie können neue Ideen auch aus deinen Fragen und deinen Experimenten entstehen.In der Biologie ist es sinnvoll, eine Idee zu haben, bevor man ein Experiment durchführt.

4 ErgebnisseNach Hypothese 1 wurde angenommen, dass der dreimonatige Projektunterricht eine signifikante Veränderung der epistemologischen Überzeugungen bei den begabten Schülern hervorrufen kann, während sich die Ansichten der normalen Schüler im Regelunterricht nicht signifikant verändern.

Den Abbildungen 2 und 3 können die Ergebnisse der durchgeführten Studie entnommen werden. Es wird ersichtlich, dass sich die epistemologischen Über-

Abb. 2: Schüler widmen sich während der Einstiegsphase einem neuen Thema

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zeugungen in den Dimensionen Quelle des Wissens und Sicherheit von Wissen stark in Richtung erfahrenerer Ansichten verändern. Das Ergebnis einer Varian-zanalyse liefert für alle Fälle signifikante Ergebnisse (p < 0,001 bis p < 0,008; vgl. Abbildung 4). Die nachgewiesenen Effekte bestehen allerdings sowohl für die Versuchs-, als auch für die Kontrollgruppe. Somit muss Hypothese 1 für die Dimensionen Quelle des Wissens und Sicherheit von Wissen verneint werden.

In Bezug auf die Dimensionen Entwicklung und Rechtfertigung von Wissen zeigt sich keine große Veränderung in der mittleren Punktzahl der jeweiligen Di-mension. Im Rahmen einer Varianzanalyse konnte nur für die Kontrollgruppe ein signifikanter Zeiteffekt in der Dimension Entwicklung von Wissen nachgewiesen werden (p < 0,10; vgl. Abbildung 5). Dementsprechend muss Hypothese 1 auch für diese Dimensionen verneint werden. Auffällig ist an den Ergebnissen die-ser Dimensionen allerdings, dass die mittlere Punktzahl in beiden Gruppen sehr hoch ist. Die Schüler besaßen demnach bereits zu Testzeitpunkt 1 erfahrene Überzeugungen in diesen Dimensionen.

Nach Hypothese 2 wurde angenommen, dass die naturwissenschaftlich be-gabten Schüler im Vergleich zu den normalen Schülern erfahrenere epistemolo-gische Überzeugungen im Bereich der Biologie besitzen.

An den in Abbildung 4 präsentierten Ergebnissen wird deutlich, dass diese Annahme für die Dimensionen Quelle des Wissens und Sicherheit von Wissen zutrifft. Die Punktzahlen beider Gruppen unterscheiden sich deutlich, wobei die begabten Schüler eine höhere Punktzahl aufweisen.

Eine durchgeführte Varianzanalyse bestätigt dies. In beiden Dimensionen sind die Unterschiede signifikant (p < 0,000 u. p < 0,004; vgl. Abbildung 4). Dem-entsprechend kann Hypothese 2 in diesem Fall angenommen werden.

Abb. 3: Schüler experimentieren

während der Erarbeitungsphase

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Abb. 4: Ergebnisse der Dimensionen Quelle des Wissens und Sicherheit von Wis-sen. Signifikante Ergebnisse wurden mit einem Stern kenntlich gemacht.

Abb. 5: Ergebnisse der Dimensionen Entwicklung und Rechtfertigung von Wissen. Signifikante Ergebnisse wurden mit einem Stern kenntlich gemacht.

Für die Dimensionen Entwicklung von Wissen und Rechtfertigung von Wis-sen fällt der Unterschied zwischen den Gruppen nicht so drastisch aus. Die naturwissenschaftlich begabten Schüler liegen in ihrer mittleren Punktzahl nur leicht über der der normalen Schüler. Das Ergebnis der Varianzanalyse zeigt allerdings, dass die Unterschiede statistisch signifikant sind (p < 0,12 u. p < 0,15; vgl. Abbildung 5). Hypothese 2 kann vor diesem Hintergrund somit auch für die-se Dimensionen angenommen werden.

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5 Diskussion und AusblickIn der Studie von Conley et al. (2004) wurden signifikante Veränderungen der epistemologischen Überzeugungen von Schülern der 5. Klasse während einer 9 wöchigen Unterrichtseinheit im naturwissenschaftlichen Unterricht nachgewie-sen. Die Schüler erzielten nach der unterrichtlichen Maßnahme in allen unter-suchten Dimensionen eine signifikant höhere mittlere Punktzahl (vgl. Kap. 2). Im Rahmen dieser Studie zeigte sich für die begabten Schüler nur in den Dimen-sionen Quelle des Wissens und Sicherheit von Wissen ein signifikanter Punk-tegewinn, der allerdings auch bei der Kontrollgruppe zu beobachten war. Beide Schülergruppen gingen nach dem Untersuchungszeitraum dementsprechend weniger von unfehlbaren Autoritäten und der Eindeutigkeit von Wissen aus.

In den Dimensionen Entwicklung von Wissen und Rechtfertigung von Wissen zeigten sich keine signifikanten Veränderungen, wohingegen bei der Kontroll-gruppe in der Dimension Entwicklung von Wissen eine signifikante Punktezu-nahme stattfand. Die begabten Schüler veränderten im Rahmen der Untersu-chung also nicht ihre Ansicht in Bezug auf den Wandel von Wissen und wie Wissen begründet werden kann. Hypothese 1 musste aufgrund dessen verneint werden.

Wie sind diese Ergebnisse weiter zu deuten? Zum einen muss darauf hinge-wiesen werden, dass Conley et al. (2004) in ihrem Versuchsdesign keine Kon-trollgruppe besitzen. Für die beobachteten Signifikanzen könnten damit auch andere Faktoren wie eine allgemeine Entwicklung in diesem Alter oder der Re-gelunterricht in der Schule verantwortlich gewesen sein. Die Ergebnisse dieser Studie legen diese Vermutung nahe, da beide Versuchsgruppen in den Dimen-sionen Quelle des Wissens und Sicherheit von Wissen eine signifikante Punkte-zunahme zeigten.

In den Dimensionen Entwicklung und Rechtfertigung von Wissen spielte wahrscheinlich noch ein anderer Effekt eine Rolle. Die geringe Punktezunah-me für beide Versuchsgruppen könnte damit erklärt werden, dass alle Schüler bereits zu Testzeitpunkt 1 sehr erfahrene Ansichten in beiden Dimensionen be-saßen. Sie gingen bereits zu Beginn davon aus, dass sich Wissen im Laufe der Zeit verändert und dass Vermutungen mithilfe von Experimenten bestätigt oder verneint werden. Eine Veränderung in Richtung erfahrener epistemologischer Überzeugungen ist unter diesen Bedingungen nicht so einfach zu erreichen wie bei einem niedrigen Ausgangsniveau.

Zusammenfassend gilt festzuhalten, dass weitere Forschungsarbeit nötig ist, um zu klären, ob die Veränderungen in der Studie von Conley et al. (2004) möglicherweise auf äußere Faktoren wie eine allgemeine Entwicklung oder den Regelunterricht in der Schule zurückzuführen sind. Die vorliegende Studie liefert zumindest einen Hinweis für diese Gegebenheit. Eine mögliche Versuchsanord-nung zur Untersuchung der neu entstandenen Fragestellung könnte so ausse-

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hen, dass die epistemologischen Überzeugungen von Schülern im Regelunter-richt sowie die Unterrichtsvorhaben der Lehrer erfasst werden. Auf diese Weise könnte festgestellt werden, ob sich bei allen Schülergruppen aufgrund einer all-gemein stattfindenden Entwicklung die gleichen Veränderungen ergeben oder ob der unterschiedlich stattfindende Regelunterricht in der Schule Auswirkungen auf die Ansichten der Schüler hat.

In Bezug auf den Unterschied der erkenntnistheoretischen Ansichten bei nor-malen und naturwissenschaftlich begabten Schülern zeigte sich in dieser Studie, dass die begabten Schüler in allen Dimensionen erfahrenere Überzeugungen besaßen als die normalen Schüler. Hypothese 2 konnte vor diesem Hintergrund verifiziert werden. Die Untersuchungsergebnisse von Thomas (2008) ließen sich dementsprechend auch für eine deutlich jüngere Altersgruppe und bei der Ver-wendung eines anderen Testinstrumentes bestätigen (vgl. Kap. 2).

Der Fragebogen, welchen Thomas (2008) in seiner Studie einsetzte, bezieht sich auf Perrys (1970) Theorie epistemologischer Überzeugungen (vgl. Kap. 2). Danach bilden die epistemologischen Überzeugungen der Schüler eine kohä-rente Theorie, die sich stufenweise verändert. Nach diesem Verständnis gibt es keine unterschiedlichen Dimensionen in den epistemologischen Überzeugun-gen, die sich unabhängig voneinander verändern können.

Im Rahmen dieser Studie konnte durch den Bezug auf die Definition nach Hofer und Pintrich (1997) hingegen gezeigt werden, dass sowohl die Versuchs-, also auch die Kontrollgruppe in den Dimensionen Entwicklung und Rechtferti-gung von Wissen erfahrenere Ansichten besaßen als in den anderen beiden Di-mensionen. Die Annahme eines zusammenhängenden Konstruktes epistemolo-gischer Überzeugungen nach Perry (1970) ist vor diesem Hintergrund zumindest in Frage zu stellen. Offenbar vollzieht sich die Entwicklung innerhalb der oben genannten Dimensionen schneller als in den Dimensionen Quelle des Wissens und Sicherheit von Wissen. Es könnte geschlussfolgert werden, dass jüngere Schüler noch stärker an Wissensautoritäten in Form ihrer Lehrer sowie an ein-deutiges Wissen glauben, während sie bereits gelernt haben, dass sich Wissen wandelt und mithilfe von Experimenten bewiesen wird. Ein Vergleich mit anderen Ländern, die andere kulturelle Gegebenheiten aufweisen, wäre an dieser Stelle interessant.

Dass naturwissenschaftlich begabte Schüler der 5. Klasse erfahrenere er-kenntnistheoretische Ansichten im Bereich der Biologie besitzen als die normal begabten Schüler, konnte in dieser Studie gezeigt werden. Dies bedeutet für sie, dass sie auch in Zukunft intelligent mit ihrem Wissen umgehen und gute Lernzu-wächse aufweisen (vgl. Kap. 2.2). Eine interessante Fragestellung für zukünftige Studien wäre in diesem Zusammenhang, ob die im frühen Kindesalter angeleg-ten epistemologischen Überzeugungen (z.B. durch die Eltern) möglicherweise einen positiven Einfluss auf das Lernen und die Begabung der Kinder gehabt

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haben oder ob die erfahreneren Überzeugungen lediglich eine weitere Äußerung ihrer Begabung ist.

6 Literatur – Bromme, R. & Kienhues, D. (2007). Epistemologische Überzeugungen. Was

wir von (natur-) wissenschaftlichem Wissen erwarten können. In J. Zumbach & H. Mandl (Hrsg.), Pädagogische Psychologie in Theorie und Praxis. Ein fallbasiertes Lehrbuch (S. 193–203). Göttingen: Hogrefe.

– Conley, A. M., Pintrich, P.R., Vekiri, I. & Harrison, D. (2004). Changes in epis-temological beliefs in elementary science students. Contemporary Educatio-nal Psychology, 29, pp. 184–204.

– Gruber, H. & Stamouli, E. (2009). Intelligenz und Vorwissen. In Wild, E. & Möller, J. (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (S. 28–46). Berlin – Heidelberg: Springer-Verlag.

– Hofer, B. K. (2001). Personal Epistemology Research: Implications for Lear-ning and Teaching. Journal of Educational Psychology Review, 13 (4), pp. 353–383.

– Hofer, B. K. & Pintrich, P. R. (1997). The development of epistemological theories: Beliefs about knowledge and knowing and their relation to learning. Review of Research in Education, 67 (1), pp. 88–140.

– Kienhues, D., Bromme, R., & Stahl, E. (2008). Changing epistemological be-liefs: The unexpected impact of a short-term intervention. British Journal of Educational Psychology, 78, pp. 545–565.

– Schommer, M. (1990). Effects of beliefs about the nature of knowledge on comprehension. Journal of Educational Psychology Review, 82 (3), pp. 498–504.

– Thomas, J. A. (2008). An analysis of Epistemological Change by Gender and Ethnicity Among Gifted High School Students. Gifted Child Quarterly, 52 (1), pp. 87–91.

Dr. Claas Wegner Ole Sven FischerUniversität Bielefeld Universität BielefeldAbt. Biologiedidaktik Abt. BiologiedidaktikUniversitätsstr. 25 Universitätsstr. 2533615 Bielefeld 33615 Bielefeld E-Mail: [email protected]

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Schülergeleitetes Forschen als Förderangebot für Schülerinnen und Schüler der Einführungsphase Claas Wegner & Sven Grügelsiepe

EinleitungKolumbus-Youth bietet Schülerinnen und Schülern1 der 10. Jahrgangsstufe die Möglichkeit, in Zusammenarbeit mit einer betreuenden Person entsprechend ihrer Interessen naturwissenschaftliche Forschungsfragen zu entwickeln und zu erforschen. Ein mit dem Projekt Kolumbus-Youth verbundenes Evaluations-vorhaben soll der Frage nachgehen, inwieweit Kolumbus-Youth einen Beitrag zur Förderung überfachlicher Kompetenzen leisten kann. Im Folgenden wird ein Überblick über die Entwicklung des Projektes Kolumbus-Youth gegeben und die bisher im Rahmen des Projektes durchgeführten Forschungsthemen vorgestellt. Anschließend wird der dem Evaluationsvorhaben zugrunde liegende Kompe-tenzbegriff, grundlegende Überlegungen zur Messung überfachlicher Kompe-tenzen sowie der Ablauf der Studie dargestellt. Es ist anzumerken, dass es sich bei dem Evaluationsvorhaben um ein geplantes Vorhaben handelt, dessen Um-setzung ab dem Wintersemester 2013/2014 erfolgt.

Das Projekt Kolumbus-Youth

Naturwissenschaftlich begabte Schüler (10. Jgst.) können schulhalbjahresbe-gleitend in Kleingruppen (3-5 Lernende) Forschungsprojekte zu grundlegenden Fachbereichen der Biologie (Bioche-mie, Genetik, Mikrobiologie, Neuro- und Verhaltensbiologie, Ökologie)2 an 14 Kurstagen (jeweils 90 Minuten) in den Räumlichkeiten der Universität Biele-feld entwickeln und durchführen. Dazu entscheiden sich die Lernenden am An-fang des Projektes für einen der zuvor genannten Fachbereiche und forschen in Kleingruppen mit Unterstützung ei-ner betreuenden Person an selbstent-wickelten Fragestellungen. Die Pro-

1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männ-licher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlechter.

2 Kooperationen mit anderen naturwissenschaftlichen Fächern wie Chemie oder Phy-sik werden ebenfalls unterstützt

Projektstruktur

Abb. 1: Schematische Darstellung der Konzeption von Kolumbus-Youth

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jektstruktur wurde durch die Synthese des strukturanalytischen Ansatzes zur Definition von Projektunterricht nach Petri (1991) sowie dem Projektverständnis von Jürgens (2009) und dem forschend-entwickelnden Unterrichtsverfahren von Schmidkunz & Lindemann (1999) entwickelt. Außerdem wird die Projektstruktur mit Methoden des Projektmanagements (z.B.: Projektstrukturplan) kombiniert3 und einer anschließenden Anpassung an die spezifischen Voraussetzungen von Kolumbus-Youth unterzogen (Abbildung 1). Der Verlauf des Projektes wird durch vier Forschungsphasen (Projektwahl, Problemlösung, Durchführung, Darstel-lung), welche jeweils in mehrere Forschungsschritte unterteilt sind, gegliedert. Im folgenden Abschnitt werden bereits entwickelte und durchgeführte Vorhaben innerhalb von Kolumbus-Youth zusammenfassend genannt und die Arbeit ein-zelner Gruppen exemplarisch vorgestellt.

Projektablauf in AktionKolumbus-Youth wird seit dem Wintersemester 2011/20124 in der hier darge-stellten Form angeboten. Insgesamt wurden bisher drei halbjährige Kurse (Win-tersemester 2011/2012, Sommersemester 2012, Wintersemester 2012/2013) durchgeführt.

Im ersten Kurshalbjahr waren die Fachbereiche der Biochemie und der Neu-ro- und Verhaltensbiologie vertreten (Abbildung 2).

Abb. 2: Auflistung der Gruppenthemen des Wintersemesters 2011 / 2012. Insge-samt wurden vier Gruppen, auf zwei Fachbereiche verteilt, gebildet.

Insgesamt verteilten sich jeweils zwei Forschungsgruppen auf beide Fach-bereiche. Eine der Biochemie-Gruppen untersuchte den Einfluss chemischer

3 Erleichtert die Steuerung und erhöht durch vorgegebene Handlungsweisen die Ver-gleichbarkeit der einzelnen Gruppen

4 Das Projekt verläuft schulhalbjahresbegleitend. Zur besseren Verständlichkeit wird die Bezeichnung Winter- und Sommersemester gewählt.

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und physikalischer Faktoren auf das Wachstum von Mikroorga-nismen (Abbildung 3). Dabei stellten sie unter anderem die sterilisierende Wirkung der UV-Strahlen des Sonnenlichts auf Wasser fest. Die Gruppe konn-te in diesem Zusammenhang beobachten, dass Glasbehält-nisse, anders als Plastikbehält-nisse, den für die sterilisierende Wirkung verantwortlichen Teil des Lichtes nicht transmittieren. Für Methoden der Wasserauf-bereitung ist dieses Untersu-chungsergebnis von großer Be-deutung.

Im Sommersemester 2012 waren drei Fachbereiche – Biochemie, Neuro- und Verhaltensbiologie und Mikrobiologie – vertreten (Abbildung 4).

Abb. 4: Auflistung der Gruppenthemen des Sommersemesters 2012. Drei For-schungsgruppen teilten sich auf drei Fachbereiche auf

Im Bereich der Biochemie stellten sich die Lernenden die Frage, wie Pflan-zen auf unterschiedliche Stressfaktoren reagieren. Dabei wählten sie den Mo-dellorganismus Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand) und entschieden sich, die Reaktion der Pflanze auf Stressfaktoren (z.B.: Salzkonzentration, Düngemit-tel, Herbizid Diuron) anhand der Fotosyntheserate zu bestimmen. Mithilfe einer „Mini-PAM“ konnten sie die Fotosyntheserate anhand von Fluoreszenzmessung an entsprechenden Teilen der Pflanze (Blatt, Stängel) ermitteln (Abbildung 5).

Abb. 3: Gruppe Biochemie 1 WS 2011/2012: Auswertung des Einflusses unterschiedlicher chemischer und physikalischer Faktoren auf

das Wachstum von Mikroorganismen

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Die Fachbereiche Mikrobiologie und Neuro- und Verhaltensbiologie bildeten die Gruppen des Wintersemesters 2012/2013 (Abbildung 6).

Abb. 6: Auflistung der Gruppenthemen des Wintersemesters 2012/2013

Die Schüler der Mikrobiologie-Gruppe gingen der Frage nach, welche Be-deutung Cyanobakterien für die Meerwasseranlage der Biologiedidaktik haben. Dabei gingen sie unterschiedlichen Fragestellungen nach: Wie kann man Cy-anobakterien erkennen? Ist eine Unterscheidung von Cyanobakterien und Algen mit dem bloßen Auge „vor Ort“ möglich? Wenn eine Unterscheidung von Algen möglich ist, wie kann man sicherstellen, dass es sich nicht um andere Bakteri-engruppen handelt? Stellen Cyanobakterien eine Gefahr für die Organismen der Meerwasseranlage dar? Wirken diese toxisch?

Dazu mussten geeignete Methoden gefunden, entwickelt und kombiniert werden, um Cyanobakterien zu erkennen, zu isolieren und zu züchten. Die Schülerinnen und Schüler setzten unter anderem eine Gramfärbung ein und ver-suchten, unterschiedliche Organismen aus genommenen Proben zu kultivieren (Abbildung 7).

Abb. 5: Gruppe Biochemie 1 SoSe 2012: Messung

der Fotosyntheserate an Blättern von Arabidopsis

thaliana unter Einfluss verschiedener Diuron

Konzentrationen

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Evaluationsvorhaben zur Messung überfachlicher Kompetenzen

Definition des KompetenzbegriffesDie Analyse des Kompetenzbegriffes internationaler Studien5 verdeutlicht das Vorhandensein unterschiedlicher Vorstellungen, was unter dem Begriff zu fas-sen sei (vgl. Buschor & Forrer, 2005, S. 40). In diesem Zusammenhang gibt Weinert an, dass in Wissenschaftsbereichen wie der Philosophie, Psychologie, Linguistik, Soziologie, Politikwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften eine breite Variabilität von Definitionen des Kompetenzbegriffes vorherrschend ist (vgl. Weinert 2001, S. 45). Diese Fachbereiche zeigen allerdings Gemein-samkeiten im Verständnis des Kompetenzbegriffes. Kompetenz wird hierbei als grob spezialisiertes System von Fähigkeiten und Fertigkeiten, welches zum Er-reichen eines bestimmten Zieles erforderlich ist, verstanden (vgl. ebd.). Aufgrund der breiten Variabilität des Kompetenzbegriffes stützt sich das hier vorgestellte Vorhaben auf eine der einflussreichsten Definitionen, welche im Zusammenhang internationaler Schulleistungsstudien6 häufig Gebrauch findet (vgl. ebd. S. 40). Sie bildete unter anderem die Grundlage des DeSeCo-Projektes7 zur Eruierung und Definition entscheidender Kompetenzen im Rahmen der PISA-Studie und stammt von Weinert (vgl. ebd.). Weinert versteht unter Kompetenz mehr als nur Fähigkeiten und Fertigkeiten (vgl. Weinert, 2002, S. 28). Kompetenz umfasst vor allem die Anwendung dieser Fähigkeiten und Fertigkeiten in unterschied-lichen Situationen und die damit verbundene Bereitschaft, diese anzuwenden (vgl. ebd.). Buschor & Forrer verweisen hierbei auf die Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz, wobei Kompetenz als Potenzial eines Individuums

5 z.B.: Carroll 1993, BMBF 1998, Leplat 1997, Hymes 1967, Elbers 19916 z.B.: Eidgenössische Jugendbefragungen „ch-x“ (jährlich ab 2002/2003) [1], PISA

(2000, 2003, 2006, 2009) [2], DeSeCo (2005) [3], Evaluation Mittelschulen – Über-fachliche Kompetenzen (2001) [4]

7 Definition and Selection of Competencies (DeSeCo) (Ende 1997 initiiert) – Ein Pro-jekt der OECD [3]

Abb. 7: Gruppe Mikro-biologie WS 2012/2013: Probenentnahme mögli-cher Cyanobakterien in der Meerwasseranlage

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zu verstehen ist, welches nicht in jeder Situation in gleichem Maße nutzbar sein muss (vgl. Buschor, Forrer, 2005, S. 14).8 Vielmehr drückt sich Kompetenz in einem spezifischen situativen Kontext in Form von Performanz aus, welche be-obachtbar und registrierbar ist, allerdings nur Rückschlüsse auf das Potenzial der Kompetenz zulässt. Um dieser Unterscheidung gerecht werden zu können, wird Weinerts Definition des Kompetenzbegriffes erweitert: „Unter Kompetenzen versteht man das bei Individuen verfügbare oder durch sie erlernbare Potenzial, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösun-gen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu kön-nen.“ (vgl. Weinert, 2002, S. 28)

Der folgende Abschnitt stellt grundlegende Überlegungen, die mit der Be-stimmung überfachlicher Kompetenzen einhergehen, vor.

Bestimmung überfachlicher Kompetenzen Mit der Bestimmung überfachlicher Kompetenzen, die innerhalb eines Bildungs-systems vermittelt werden, gehen zwei Problematiken einher (vgl. Grob & Maag Merki, 2001, S. 41, 42, 43; vgl. Weinert, 2001, S. 56, 57). Abbildung 8 fasst diese

8 Als erster unterscheidet der Sprachwissenschaftler Noam Chomsky Kompetenz und Performanz (vgl. Anderson, 2001, S. 416).

Abb. 8: Problematiken der Definition des Kompetenzbegriffes; Folgen der norma-tiven und nicht-normativen Problematik für das vorgestellte Forschungsvorhaben

(vgl. Grob & Maag Merki, 2001, S. 41, 42, 43; vgl. Weinert, 2001, S. 56, 57)

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Problematiken zusammen und zeigt die daraus resultierenden Folgen für das vorgestellte Forschungsvorhaben zur Messung überfachlicher Kompetenzen auf.

Zum einen besteht eine normative Problematik, da bei einer Bestimmung wünschenswerter Bildungssystemeffekte gleichzeitig Wertvorstellungen (z.B.: autoritäre / antiautoritäre Erziehung) und Grundhaltungen (z.B.: Kulturoptimis-mus / Kulturpessimismus) einfließen (vgl. ebd.). Fend (1981) gibt in diesem Zu-sammenhang zu bedenken, dass gerade Effekte, die besonders umfassend sind (wie z.B.: überfachliche Kompetenzen) kontroverser diskutiert werden als fachli-che Inhalte, die im Rahmen traditioneller Schulfächer wie Mathematik, Deutsch oder Fremdsprachen vermittelten werden. Fend begründet diese kontroverse Diskussion mit der Divergenz über Vorstellungen und Ziele von institutionalisier-ter Bildung in einer pluralistischen Gesellschaft (vgl. Fend, 1981, S. 377, 378). Außerdem muss betont werden, dass diese fachlichen und überfachlichen Kom-petenzen nicht völlig gesondert voneinander betrachtet werden können, da sie einander bedingen (vgl. [5] S. 14). Indikatoren zu überfachlichen Kompetenzen können nicht auf wertfreier Basis aufgestellt werden, deshalb scheint ein gleich-zeitig einhergehender normativer Diskurs unvermeidlich (vgl. Grob & Maag Mer-ki, 2001, S. 42). Die in diesem Forschungsvorhaben zu untersuchenden Kom-petenzen beschränken sich daher auf überfachliche Kompetenzen, die bereits in anderen Studien9 untersucht wurden und gleichzeitig in den Kernlehrplänen der Sekundarstufe II naturwissenschaftlicher Fächer (Biologie, Chemie, Physik) in Nordrhein-Westfalen aufgeführt werden.

Bei der zweiten Problematik handelt es sich um eine nicht-normative Proble-matik, welche mit dem derzeitigen Stand der Kompetenzforschung einhergeht. Eine ausführliche Definition des Kompetenzbegriffes müsste alle intellektuellen Fähigkeiten, bereichsspezifischen Kenntnisse, Handlungsstrategien und meta-kognitiven Vorgänge, die zum Erreichen eines bestimmten Ziels in unterschied-licher Weise beitragen, beinhalten (vgl. Weinert, 2001, S. 56). Dazu fehlt derzeit sowohl ausreichendes theoretisches als auch praktisches Wissen zur Struktur humaner Kompetenzen (vgl. Grob & Maag Merki, 2001, S. 42). Vielmehr zeigt sich in der Kompetenzforschung, dass als Folge des Wissens über die Kom-plexität des Menschen lediglich „hochspezifische Partialmodelle bestimmter hu-maner Kompetenzen“ entwickelt werden, deren lebenspraktische Relevanz von geringer Bedeutung sind (vgl. ebd., S. 43). Folglich erhebt das hier vorgestellte Forschungsvorhaben keinen Anspruch auf eine Untersuchung der gesamten hu-manen überfachlichen Kompetenzen. Dieses Vorhaben soll außerdem nur die

9 Als Grundlage dient der Katalog überfachlicher Kompetenzen der Projektleitung HSGYM (Hochschule und Gymnasium), welche im Auftrag der Zürcher Schulleiter-konferenz erstellt wurde und auf der Basis des Indikatorensystems überfachlicher Kompetenzen von Grob & Maag Merki (2001) entwickelt wurde (vgl. [1]).

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Kompetenzen erfassen, die einer Fremdeinschätzung zugänglich sind10, wo-durch die Auswahl zu untersuchender Kompetenzen weiter eingeschränkt wird.

Abb. 9: Schematische Darstellung der Einflussfaktoren auf die Auswahl zu untersu-chender überfachlicher Kompetenzen. Der linke Kreis, dessen genaue Ausdehnung unbekannt ist, stellt die Gesamtheit überfachlicher Kompetenzen dar (Gesamtheit nicht definierbar, da Humankonzept gesamter überfachlicher Kompetenzen nicht

existiert). Normative und methodische Einflussfaktoren bestimmen die Auswahl der zu untersuchenden überfachlichen Kompetenzen (rechter Kreis).

Abbildung 9 fasst die Faktoren, die die Wahl der zu untersuchenden über-fachlichen Kompetenzen bestimmen, abschließend zusammen.

Ablauf des Evaluationsvorhabens Der folgende Abschnitt stellt den geplanten Ablauf des Evaluationsvorhabens vor. Die Bestimmung und Auswahl der überfachlichen Kompetenzen, die inner-halb des Projektes untersucht werden sollen, bildet den ersten Schritt. Dieser Vorgang folgt den oben aufgeführten Überlegungen und beinhaltet die Analyse bereits durchgeführter Untersuchungen überfachlicher Kompetenzen geeigneter Studien sowie der Kernlehrpläne der Sekundarstufe II des Landes Nordrhein-Westfalens für den naturwissenschaftlichen Bereich (Biologie, Chemie, Physik). Nach der anschließenden Operationalisierung erfolgt die Kategorisierung der Zielformulierungen und Zuordnung zu psychologischen Modellen, um der An-nahme gerecht zu werden, Kompetenz gehe über reines Wissen hinaus (vgl. An-derson, 2001, S. 367). Anders als vergleichbare Studien11 sollen überfachliche

10 Bsp.: Kompetenzen wie Neugierde oder Selbstmotivation [5] können nicht erfasst werden

11 z.B.: „ch-x“ 2004/2005 [1], PISA (2000, 2003, 2006, 2009) [2], EVAMAR-Studie (2002-2005/ 2005-2008) [7], Zürcher Studie „Evaluation Mittelschulen – Überfachli-che Kompetenzen (2001) [8] (vgl. Buschor & Forrer 2005, S. 46)

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Kompetenzen ohne Selbsteinschätzung erfasst werden, weshalb die Testfragen in Form eines Situational Judgement Tests entwickelt werden. Bei diesem Test wird der Proband mithilfe einer schriftlichen Aufgabenstellung in eine Problemsi-tuation eingeführt, die er unter Anwendung entsprechender Kompetenzen lösen soll (vgl. Weekly & Ployhart, 2006, S. 1). Anhand der jeweiligen Antworten kann die Performanz der Probanden eingeschätzt werden. Die Auswertung erfolgt mithilfe auf rationaler und empirischer Basis generierter Lösungen (vgl. ebd., S. 2). Verschiedene Studien12 lassen vermuten, dass Situational Judgment Tests sowohl in ihrer Reliabilität als auch Validität genauer messen als vergleichbare kognitive Tests (vgl. ebd.). So schreiben Weekly und Ployhart „These studies suggest that SJTs are capturing something unique, something related to perfor-mance that is not captured by other traditional constructs“ (Weekly & Ployhart, 2005, S. 82). Die Validierung und Prüfung der Objektivität erfolgt mithilfe von Experteninterviews, die zum einen fachliche Inhalte der Testfragen auf ihre Rich-tigkeit prüfen und zum anderen eine methodische Überprüfung der Testfragen durch erfahrene Wissenschaftler im Zusammenhang mit der Anwendung von Situational Judgment Tests ermöglichen. Eine Reliabilitätsprüfung erfolgt durch Messung der internen Konsistenz.

Mithilfe eines Wartelistendesigns werden möglichst ähnliche Voraussetzungen der Probanden in Versuchs- und Kontrollgruppe generiert. Aus der gesamten Zahl der Bewerber werden die angenommenen Schüler gleichmäßig auf eine Treatment- und eine Kontrollgruppe verteilt.

Abb. 10: Schematische Darstellung der Gruppenzuordnung zu Kontroll- und Treat-mentgruppe in Abhängigkeit zus Verlaufs zweier Kurshalbjahre

Die Treatmentgruppe nimmt im ersten Halbjahr an dem Projekt teil (Abbil-dung 10). Im folgenden Halbjahr nimmt die Kontrollgruppe, welche im ersten Halbjahr als Kontrolle dient und den regulären Schulunterricht besucht hat, teil. Gruppe 1 (Treatmentgruppe des ersten Halbjahres) kann allerdings im zweiten

12 z.B.: McDaniel et al. (2001); Clevenger et al. (2001); Weekly & Ployhart (2005).

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Halbjahr nicht als Kontrollgruppe dienen, da sie nach der Teilnahme an Kolum-bus-Youth andere Voraussetzungen hat als Gruppe 2 (Kontrollgruppe des ersten Halbjahres). Getestet werden beide Gruppen jeweils zu Beginn (t1) und zum Abschluss (t2) der beiden Kurshalbjahre. So kann der Anteil, den die Schule auf die Entwicklung der überfachlichen Kompetenzen nimmt, eingeschätzt werden und die Kontrollgruppe des ersten Halbjahres ebenfalls am Projekt teilnehmen.

Literatur – Anderson, J.R. (2001). Kognitive Psychologie. Heidelberg: Spektrum, Akad.

Verlag.

– BMBF (1998). Kompetenz im globalen Wettbewerb (Competence in a global competition). Bonn: Bundesministerium für Bildung und Forschung.

– Buschor, C., B. & Forrer, E. (2005). Cool, kompetent und kein bisschen wei-se? Überfachliche Kompetenzen junger Erwachsener am Übergang zwi-schen Schule und Beruf. Zürich: Rüegger Verlag.

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Dr. Claas Wegner Sven GrügelsiepeUniversität Bielefeld Universität BielefeldAbt. Biologiedidaktik Abt. BiologiedidaktikUniversitätsstr. 25 Universitätsstr. 2533615 Bielefeld 33615 Bielefeld E-Mail: [email protected]

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Mathematische Kompetenzen nach fünf Jahren gymnasialer Schulzeit in einem mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Gymnasium (MINT-Gymnasium) und in einem RegelgymnasiumWolfgang Lehmann & Inge Jüling

Zur mathematischen Begabung Die Schüler sollten im Mathematikunterricht die folgenden drei Grunderfahrun-gen, die vielfältig miteinander verknüpft sind, erleben:

(1) Sie sollen Erscheinungen aus Natur, Gesellschaft und Kultur in einer spe-zifischen Art wahrnehmen und verstehen. Sie sind damit in der Lage, die Welt mit einer „Mathematikbrille“ anzuschauen und erkennen typische ma-thematische Fragestellungen innerhalb und vor allem auch außerhalb der Mathematik.

(2) Sie sollen mathematische Gegenstände und Sachverhalte, repräsentiert in Sprache, Symbolen, Bildern und Formeln, als geistige Schöpfungen, als eine deduktiv geordnete Welt eigener Art kennen lernen und begreifen. Sie sind dann in der Lage, Erscheinungen in ihrer Umwelt zu mathematisieren.

(3) In der Auseinandersetzung mit mathematischen Aufgaben erwerben die Schüler Problemlösefähigkeiten als heuristische Fähigkeiten wie Rück-wärtsschließen, Beschreiben von Strukturen, Erkennen von Zusammen-hängen (linear, nicht linear, periodisch), die über die Mathematik hinaus-gehen. Explizit erlernte heuristische Prinzipien, Strategien und Hilfsmittel können über die Mathematik hinaus in allen Bereichen der menschlichen Kultur angewandt werden (Winter, 1995).

In diesen Grunderfahrungen gibt es nun eine beträchtliche Varianz zwischen Schülern. Bereits im Vorschulalter kann ein erheblicher Leistungsunterschied im Lösen von mathematisch orientierten Aufgaben nachgewiesen werden (Rade-macher, Trautewig, Günther, Lehmann & Quaiser-Pohl, 2005). Was zeichnet nun aber die mathematisch besonders Befähigten aus?

Die mathematische Begabung zeichnet sich durch einen hochkomplexen Charakter aus, der durch viele verschiedene Facetten erklärt werden kann, und sie ist vor allem bereichsspezifisch zu erklären. Dies schließt aber nicht aus, dass ein mathematisch begabtes Kind auch auf anderen Gebieten (sprachlich, musisch, künstlerisch) besonders leistungsfähig sein kann. Es existieren mathe-matikspezifische Begabungsmerkmale wie schnelles Erkennen von Strukturen mathematischer Sachverhalte und Umkehren mathematischer Gedankengänge. Daneben sind begabungsstützende Persönlichkeitseigenschaften wie Anstren-gungsbereitschaft, Beharrlichkeit und Konzentrationsfähigkeit für mathemati-sche Leistungsexzellenz notwendig (Käpnick, 2013). Damit sollte sich jemand, der sich erfolgreich mit mathematischen Dingen auseinandersetzt, durch folgen-

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de Fähigkeiten auszeichnen: – Fähigkeit zum Abstrahieren, Klassifizieren, Verallgemeinern und Konkretisie-

ren

– Fähigkeit zum widerspruchsfreien Definieren

– Fähigkeit zum Strukturerkennen und zum Umstrukturieren

– Fähigkeit zum formalen Denken und zum Aufstellen abstrakt-formaler Struk-turen und Theorien

– Gründlichkeit und Genauigkeit im Denken

– Streben nach Perfektion und Eindeutigkeit (Käpnick, 1998)

Dieses Potenzial ist zum Teil genetisch bedingt und kann sich durch güns-tige intra- und interpersonale Katalysatoren weiter entwickeln (Käpnick, 2013). Wichtige Katalysatoren zum Erreichen mathematischer Leistungsexzellenz sind auch die schulischen Bedingungen. In diesem Beitrag geht es um mathematisch begabte und interessierte Schüler, die ein mathematisch-naturwissenschaftlich-technisches Gymnasium besuchen (Jüling & Lehmann, 1997).

Zum Verhältnis von Intelligenz und mathematischer Begabung wurde schon viel diskutiert. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass besondere Leistun-gen auf bestimmten Gebieten auf hohe allgemeine Intelligenz oder auf hoch ausgeprägte domänenspezifische Fähigkeiten zurückgeführt werden können. Überträgt man diese Überlegungen auf die Begabung für Mathematik, so sind prinzipiell drei theoretische Modelle möglich, um außergewöhnliche mathemati-sche Leistungen zu erklären: (1) Hohe Ausprägung spezifischer mathematischer Fähigkeiten, (2) hohe Ausprägung der allgemeinen Intelligenz, kombiniert mit spezifischen mathematischen Fähigkeiten, (3) hohe Ausprägung allgemeiner Intelligenz ohne die zusätzliche Annahme spezifischer Fähigkeiten (Heilmann, 1999; Lehmann, 2002). (1) und (2) heben das Spezifische einer mathematischen Begabung hervor, während (3) die Begabung für Mathematik mit allgemeiner Intelligenz gleichsetzt. So ist für Pollmer (1992) die mathematische Begabung lediglich eine hohe allgemeine intellektuelle Befähigung. Diese Annahme kann zu der Auffassung führen, eine hohe allgemeine Intelligenz als eine notwendi-ge Voraussetzung für gut entwickelte mathematische Fähigkeiten anzusehen (Mehlhorn, 1988). Wenn Interesse und andere motivationale Faktoren als Per-sonvariablen hinzukommen, reicht diese allgemeine Befähigung für exzellente mathematische Leistungen aus. Van der Meer (1985) hingegen ist der Ansicht, dass eine spezielle „mathematisch-naturwissenschaftliche Begabung“ existiert.

Wieczerkowski, Wagner und Birx (1987) fassen es „mathematisch“ zusam-men, indem sie postulieren, dass eine weit überdurchschnittliche Intelligenz eine vermutlich notwendige Bedingung für außergewöhnliche mathematische Leis-tungen ist, aber sie ist nicht hinreichend. Es müssen spezifische mathematische Fähigkeiten und Kenntnisse hinzukommen.

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Zu den besonderen Bedingungen eines mathematisch-naturwissen-schaftlich-technisch orientierten GymnasiumsIm Land Sachsen-Anhalt werden auf schulgesetzlicher Grundlage Maßnah-men zur unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Förderung interessierter und begabter Schülerinnen und Schüler angeboten. Zu diesen Angeboten ge-hören Gymnasien mit besonderen Ausbildungsprofilen, bezeichnet als Gymna-sien mit inhaltlichen Schwerpunkten. Ziel der gymnasialen Ausbildung ist, wie in regulären Gymnasien auch, das Erreichen der allgemeinen Hochschulreife. Zur Spezifik dieser Spezialgymnasien gehört unter anderem, dass Unterricht in bestimmten Fächern sowohl erweitert als auch vertiefend angeboten wird. Die Schwerpunktsetzung im MINT-Bereich schließt unter anderem entsprechende Arbeitsgemeinschaften und Spitzenförderung ein (z.B. Kooperation mit den Uni-versitäten).

Der Zugang zu den mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Gym-nasien ist mit Aufnahmeverfahren geregelt. Die Bewerberzahl übersteigt stets die administrativ vorgegebene Anzahl von aufzunehmenden Kindern. Die Krite-rien für die Aufnahme leiten sich aus dem theoretischen Standpunkt her, dass eine hohe Ausprägung der allgemeinen Intelligenz eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung zur Bewältigung der Anforderungen eines mathema-tisch-naturwissenschaftlichen Spezialgymnasiums ist. Deshalb müssen sich die Bewerber einem dreiteiligen Aufnahmeverfahren unterziehen. Allgemeine kognitive Fähigkeiten werden dabei mit einem Intelligenztest gemessen und spezifische mathematische Fähigkeiten mit einer von Experten erstellten Mathe-matikklausur. Die schulischen Leistungen gehen mit ausgewählten Noten des Halbjahreszeugnisses der 4. Klasse in das Aufnahmeverfahren ein. Kompen-satorisch werden mit einem gewichteten additiven Gesamtwert die Bewerber in eine Rangreihe gebracht, die dann über die Aufnahme entscheidet (Verord-nung über die Aufnahme in Schulen mit inhaltlichen Schwerpunkten vom 17. Juni 2010).

Zum Ziel und zur Methodik der UntersuchungZiel dieser Studie ist es, die mathematische Kompetenz der Schüler eines MINT-Gymnasiums im Vergleich zu Schülern eines regulären Gymnasiums in Klasse 9 zu erfassen. Dazu wird ein curricular valider Mathematiktest eingesetzt (DEMAT 9 - Deutscher Mathematiktests für neunte Klassen mit Ergänzungstest Konven-tions- und Regelwissen. Schmidt, Ennemoser & Krajewski, 2013).

Mit den gymnasialen Normwerten des Tests stehen Vergleichswerte einer bundesweiten Eichstichprobe zur Verfügung. Die Lehrereinschätzung der ma-thematischen Kompetenz der Schüler wird durch die Schulnote repräsentiert.

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In einer Unterrichtsstunde wurde in den jeweils drei neunten Klassen des MINT-Gymnasiums (N = 72, Nmännlich = 56, Nweiblich = 16) und des regulären Gymnasiums durchgeführt (N = 63, Nmännlich = 26, Nweiblich = 37).

Um die Größe des Unterschieds von Merkmalen zwischen Gruppen zu be-schreiben, wird oftmals die Effektstärke d nach Cohen verwendet (Cohen, 1977). Cohens d ist eine statistische Größe, mit der man den Mittelwertunterschied zwi-schen zwei Gruppen in der Einheit Standardabweichung angibt: d = (M2-M1)/s (M1, M2 - Mittelwerte in den beiden Gruppen, s – geschätzte Standardabwei-chung mit Hilfe der gepoolten Varianz).

( ) ( )

211

21

22

22

21

21

−+−+−

=NN

sNsNs

Dabei bedeutet in etwa: d < 0.20 - sehr geringer Effekt, 0.20 < d < 0.40 - ge-ringer Effekt, 0.40 < d < 0.60 - mittlerer Effekt, 0.60 < d < 0.80 - starker Effekt, d > 0.80 - sehr starker Effekt.

Zum DEMAT 9 mit Ergänzungstest Konventions- und Regelwissen (KRW)Der DEMAT 9 ist ein lehrplanorientiertes Verfahren zur Überprüfung mathemati-scher Kompetenzen in der 9. Klasse. Der Test dient einerseits zur Leistungsmes-sung und kann gleichzeitig als Instrument zur Qualitätssicherung von Unterricht und zur Ableitung von Fördermaßnahmen verwendet werden. Er setzt sich aus (1) curricular validen Aufgaben, dem eigentlichen DEMAT 9 und (2) aus dem Ergänzungstest Konventions- und Regelwissen (KRW 9) zusammen.

Im DEMAT 9 sind drei Inhaltsbereiche zu bearbeiten: Messen/Raum und Form (geometrische Flächen, geometrische Körper, Satz des Pythagoras), funktionaler Zusammenhang (Prozent- und Zinsrechnen, lineare Gleichungen, Zahlenrätsel, Dreisatz), Daten und Zufall (Datenbasis Diagramm, Datenbasis Tabelle). Grundlage für die Entwicklung der Testaufgaben bildete eine Analy-se von 48 Lehrplänen, um deren gemeinsame Schnittmenge mathematischer Inhalte zu bestimmen. Damit versuchten die Autoren die curriculare oder inhalt-liche Validität sicher zu stellen. Zum anderen wurden mit der Vereinbarung über einen einheitlichen Bildungsstandard (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 15.10.2004) die Länder verpflichtet, bestimmte mathematische Kompeten-zen zu einem bestimmten Zeitpunkt verbindlich festzulegen. Diese so genannten Leitideen bestimmten die inhaltliche Ausrichtung des DEMAT 9: Leitidee Zahl, Leitidee Messen/Raum und Form, Leitidee Funktionaler Zusammenhang sowie Leitidee Daten und Zufall.

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Der Ergänzungstest Konventions- und Regelwissen (KRW) soll eine in-haltsübergreifende Facette mathematischer Kompetenz erfassen in Form von grundlegendem Verständnis mathematischer Notation wie korrekte Verarbeitung von Operatorfolgen, die Berücksichtigung der Konventionen beim Rechnen mit Klammern, Dezimalstellen und Brüchen sowie das Verständnis des Wurzelzei-chens und der Potenzschreibweise. In Bezug auf die Bildungsstandards der KMK (2005) kann dieses Konventions- und Regelwissen mit allgemeiner ma-thematischer Kompetenz beschrieben werden, die beherrscht werden muss, um als Fertigkeit den Anforderungen im Mathematikunterricht der neunten Klassen genügen zu können.

ErgebnisseDie folgende Abbildung veranschaulicht die Testleistungen im DEMAT 9 und im KRW im MINT-Gymnasium und im Regelgymnasium.

Abb. 1: Histogramm der Testleistungen im DEMAT 9 und im Konventions- und Re-gelwissen für das MINT-Gymnasium und für das reguläre Gymnasium

Die Verteilung der Testwerte der Schüler des MINT-Gymnasiums gegenüber dem Regelgymnasium ist deutlich nach rechts verschoben. Weiterhin fällt auf, dass die Varianz der Testwerte im MINT-Gymnasium wesentlich kleiner ist als im regulären Gymnasium.

Um die Größe der Verschiebung der beiden Verteilungen einzuschätzen, be-trachten wir Cohens d als ein quantitatives Maß für den Unterschied zwischen den beiden Schülergruppen (M-Mittelwert, SD-Standardabweichung).

Für den DEMAT 9 ergibt sich: MMINT-Gymn. = 37.93, SDMINT-Gymn = 3.52, Mreg.Gymn. = 25.68, SDreg.Gymn = 6.67, SDgepoolt = 4.56. Damit erhält man d = 2.67. Dieser Wert signalisiert einen außerordentlich großen Leistungsunter-schied zwischen den beiden gymnasialen Gruppen.

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Ein ähnliches Leistungsbild ergibt sich für das Konventions- und Regel-wissen: MMINT-Gymn. = 44.10, SDMINT-Gymn = 6.21, Mreg.Gymn. = 31,92, SDreg.Gymn = 8.47, SDgepoolt = 7.36. Damit berechnet sich der Effekt zu d = 1.65. Das ist auch ein sehr starker Effekt, aber der Unterschied zwischen den beiden Gruppen ist in diesen mathematischen Grundfertigkeiten (KRW) um eine Standardabweichung geringer als beim DEMAT 9.

Verwendet man nun den Mittelwert der Schüler aus dem MINT-Gymnasium mit MMINT-Gymn. = 37.93 für den DEMAT 9 und fragt danach, wie viele Schüler aus dem regulären Gymnasium diesen Wert erreichen, kommt man auf 7,9%. Im Test Konventions- und Regelwissen liegt der Mittelwert des Spezialgymnasiums bei MMINT-Gymn. = 44.10. Diesen Wert erreichen oder übertreffen 9.5% der Schüler des regulären Gymnasiums.

Ein Vergleich der T-transformierten Rohwerte und der Prozentränge der Test-leistungen in den beiden gymnasialen Gruppen mit der Eichstichprobe (N = 552) demonstriert noch einmal die hohe mathematische Kompetenz der Schüler des MINT-Gymnasiums gegenüber Gymnasiasten eines Regelgymnasiums.

Tab. 1: Mittlere T-Werte und Prozentränge für die Ergebnisse im DEMAT 9 und sowie im Test Konventions- und Regelwissen (KRW)

MINT-Gymnasium Regelgymnasium

DEMAT 9 KRW DEMAT 9 KRWMittlere T-Werte 63.7 64.5 49.0 51.6Mittlere Prozentränge 92.2 89.4 46.3 55.5

Im Vergleich zur der gymnasialen Eichstichprobe liegen die Ergebnisse der Schüler des regulären Gymnasiums um den mittleren T-Wert von 50 (Der T-Wert ist so normiert, dass der Mittelwert 50 und die Standardabweichung 10 beträgt). Die Leistungen der Schüler des Spezialgymnasiums belegen den Bereich über-durchschnittlicher Testleistungen sowohl in der curricularen mathematischen Kompetenz (DEMAT 9) als auch in grundlegenden mathematischen Fertigkeiten (KRW). Die Schüler des MINT-Gymnasiums können etwa den oberen 8 bis 10% der Eichstichprobe zugeordnet werden (vgl. Tabelle 1).

Die hohen Testwerte im mathematisch-naturwissenschaftlichen Spezialgym-nasium werfen die Frage nach Deckeneffekten des verwendeten Mathematik-tests auf. Betrachtet man die Anzahl der Schüler, die im DEMAT 9 die Punktzahl 42 oder 43 erreichen (entspricht T-Werten von 69 und 70), so kommt man auf 15.3% der Schüler (2.8% der Schüler erreichen die Höchstpunktzahl und 12.5% erreichen 42 Punkte). Aber kein Schüler des regulären Gymnasiums erreicht die Decke des Tests. Im Konventions- und Regelwissen sind es im MINT-Gym-nasium 41.7%, die an die Decke stoßen (48 bis 50 Punkte entsprechen den T-

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Werten von 69 bis 71). Darin enthalten sind 15.3% mit der Höchstpunktzahl. Von den regulären Gymnasiasten sind es 4.8% mit 48 und 49 Punkten, die Höchst-punktzahl erreicht keiner.

Betrachtet man nun das Leistungsbild, das durch die Schulnoten in Ma-thematik (Halbjahr 9. Klasse) vermittelt wird, ergibt sich ein wesentlich gerin-gerer Unterschied zwischen den beiden Gruppen als bei den Testergebnissen: MMINT-Gymn. = 2.44, SDMINT-Gymn = 0.74, Mreg.Gymn. = 2.84, SDreg.Gymn = 0.95, SDgepoolt = 0.85. Daraus berechnet sich die Effektstärke von d = 0.47. Im Vergleich zu den Unterschieden in den Testleistungen der beiden gymnasia-len Gruppen kann nur von einem moderaten Unterschied in der Schulnotenver-teilung ausgegangen werden. Die Noten widerspiegeln nicht den Unterschied in der mathematischen Kompetenz, die aus den Testergebnissen hervorgeht.

Ordnen wir den Testleistungen für den DEMAT 9 und den KRW Noten nach dem Bewertungsschlüssel der Leistungsbewertung in Sachsen-Anhalt zu (Note 1: ab 93 v. H., Note 2: ab 75 v. H., Note 3: ab 60 v. H., Note 4: ab 40 v. H., Note 5: ab 20 v. H., Note 6: unter 20 v. H. nach dem Erlass zur Leistungsbewertung), so ergeben sich die folgenden statistischen Werte: MMINT-Gymn. = 1,69, SDMINT-Gymn. = 0.60, Mreg.Gymn. = 3.44, SDreg.Gymn = 0.88, SDgepoolt = 0.74. So-mit ergibt sich ein d = 2.36.

Schaut man sich die Notenverteilung an, die sich durch die Punktzahl des DEMAT 9 und des KRW sowie durch die Benotung durch den Mathematiklehrer ergeben, so werden erhebliche Diskrepanzen deutlich (vgl. Tabelle 2).

Tab. 2: Prozentuale Notenverteilung für die Ergebnisse im DEMAT 9 sowie im Test Konventions- und Regelwissen (KWR) und Schulnote Mathematik (Halbjahr 9. Klasse)

Note MINT-Gymnasium RegelgymnasiumDEMAT 9 KRW Schulnote DEMAT 9 KRW Schulnote

1 37.5 52.8 8.3 1.6 4.8 1.62 55.6 30.6 50.0 12.7 23.8 42.93 6.9 12.5 33.3 33.3 31.7 31.74 0.0 4.2 8.3 44.4 30.2 17.55 0.0 0.0 0.0 7.9 9.5 6.3

Die Tabelle macht unter anderem deutlich, dass in der Verteilung der Schul-noten in Mathematik zwischen den beiden Schülergruppen der Unterschied mo-derat ausfällt (d = 0.47). Im deutlichen Gegensatz dazu würden etwa 93% der MINT-Gymnasiasten nach den DEMAT 9-Leistungen die Note 1 oder 2 erhalten. Hingegen sind es nur etwa 15% der Gymnasiasten des Regelgymnasiums , die diese Noten erhalten würden. Während keinem Schüler aus dem MINT-Gymna-

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sium eine 4 oder 5 zugeordnet werden konnte, sind es über 50% der Schüler des Regelgymnasiums, die diesen unteren Bereich der Notenskala belegen.

Auch im KRW würden die meisten MINT-Schüler die Note 1 oder 2 erhalten, während etwa die Hälfte der Schüler des Regelgymnasiums die Note 2 oder 3 erhalten würde, aber etwa 40% bekämen die Noten 4 oder 5.

Geschlechtsspezifische Differenzen waren in beiden Gymnasien weder in den Testergebnissen noch in den Schulnoten nachzuweisen.

Im MINT-Gymnasium gibt es eine Menge von Schülern, die sich in Wettbe-werben und Olympiaden besonders hervorgetan haben. In der Klassenstufe 9 waren es im laufenden Schuljahr acht Schüler (nur Jungen), die in Landes- und Bundeswettbewerben (Mathematik, Physik, Chemie, Englisch) vordere Plätze belegten. Betrachten wir die Testergebnisse dieser Jugendlichen, so gehören sie zur Spitzengruppe ihrer Schule. Der Mittelwert im DEMAT 9 beträgt in dieser Gruppe 40.9 Punkte (37.9 in der gesamten MINT-Stichprobe), im KWR erreicht sie 48.1 Punkte (44.1 in der gesamten MINT-Stichprobe). Die zwei erfolgreichen Teilnehmer am Bundeswettbewerb Englisch erreichten im DEMAT 9 jeweils 42 Punkte und im KRW 50 bzw. 41 Punkte.

DiskussionWir konnten empirisch auf der Basis testdiagnostischer Ergebnisse gravieren-de Unterschiede in der mathematischen Kompetenz von Gymnasiasten neunter Klassen in einem MINT-Gymnasium und in einem regulären Gymnasium nach-weisen. Es stellt sich die Frage, wie diese Unterschiede zu erklären sind.

Es ist davon auszugehen, dass beide Gruppen ihre gymnasiale Laufbahn ab Klasse 5 mit unterschiedlichen Voraussetzungen in Mathematik und in der all-gemeinen Intelligenz begonnen haben. Für die Schüler des MINT-Gymnasiums, das den Auftrag hat, Begabtenförderung im MINT-Bereich zu realisieren, gab es spezifische Zugangsvoraussetzungen, die mit einer Auswahl von Schülern mit hoch ausgeprägten allgemeinen kognitiven und mathematikspezifischen Fä-higkeiten verbunden waren. In Mathematik war mindestens die Note 2 aus der Grundschule Klasse 4 erforderlich. Die Schüler der getesteten 9. Klassen des regulären Gymnasiums benötigten damals für die gymnasiale Laufbahnempfeh-lung unter anderem in Mathematik auch die Note 2, d.h. auch die Schüler des regulären Gymnasiums kamen mit zumindest guten Grundschulnoten in Mathe-matik zum Gymnasium. Andere Zugangsvoraussetzungen mussten diese Schü-ler für den mathematischen Bereich nicht erfüllen.

Es könnte sein, dass Gruppenunterschiede, die schon in Klasse 5 vorhanden waren, sich über fünf gymnasiale Schuljahre in dieser von uns festgestellten Größe erhalten haben. Damit wäre der Unterschied vor allem als ein Selekti-

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onseffekt zu interpretieren. Damit hätte das Aufnahmeverfahren dazu geführt, dass Klassen mit besonders hoher Leistungsfähigkeit zusammengestellt wer-den konnten. Andererseits ist aber auch denkbar, dass das Leistungsniveau in beiden Schülergruppen sich in der 5. Klasse nicht so gravierend unterschiedlich darstellte, wie es in Klasse 9 zu finden ist. Erst im Laufe der Jahre, in denen die Stichprobe des Regelgymnasiums ihr gymnasiales Durchschnittsniveau beibe-hält, könnte sich bei den Gymnasiasten des MINT-Gymnasiums die mathemati-sche Kompetenz auf höherem Niveau entwickelt haben. Damit würde die Schere bezüglich der mathematischen Kompetenz zwischen Schülern des MINT-Gym-nasiums und des regulären Gymnasiums auseinander gehen. Damit wäre der enorme Unterschied vor allem als Fördereffekt zu interpretieren. Unterrichtliche Bedingungen und andere Fördermaßnahmen kämen dafür als Begründung in Betracht.

Die MINT-Gymnasien in Sachsen-Anhalt mit ihrer begrenzten Kapazität kön-nen nur einen Teil der mathematisch besonders leistungsfähigen Schüler auf-nehmen. Es ist davon auszugehen, dass solche Schüler zum größten Teil Regel-gymnasien besuchen. In unserer Stichprobe konnten wir bei den Schülern des Regelgymnasiums keine Spitzenleistungen im Test registrieren. Damit bleibt die Frage offen, ob unter den schulischen Bedingungen des MINT-Gymnasiums die mathematische Kompetenz zumindest einiger Schüler hätte höher ausgeprägt werden können. Die PULSS-Studie (Pressemitteilung des Bayerischen Staats-ministeriums für Unterricht und Kultus vom 19.02.2013, Nr. 039) gibt Anlass zur Vermutung, dass spezielle Begabtenklassen gegenüber Regelklassen zu einem deutlichen Leistungsvorsprung führen.

Um die in der Diskussion aufgeführten Vermutungen über die großen Unter-schiede in der mathematischen Kompetenz zwischen den untersuchten Schüler-gruppen zu überprüfen, wäre eine längs- bzw. querschnittliche Studie über die Klassenstufen hinweg, notwendig. Mit den Neuerscheinungen DEMAT 5+ und DEMAT 6+ ist eine querschnittliche Untersuchung möglich, da es sich ebenfalls um curricular valide Tests handelt.

Setzt man die von uns nach den Testleistungen zugeordneten Noten in Beziehung zu den Schulnoten Mathematik (Halbjahr 9. Klasse), so muss man schlussfolgern, dass die Schüler des Regelgymnasiums in der Schulnote besser bewertet werden, während die Schüler des MINT-Gymnasiums „härter“ zensiert werden. Dieses Ergebnis ist ein Ausdruck des Bezugsgruppeneffektes in der Notengebung und damit auch ein Ausdruck des höheren Leistungsniveaus in den Klassen des MINT-Gymnasiums.

Die Autoren des DEMAT 9 haben festgestellt, dass der Test eine gute Leis-tungsdifferenzierung ermöglicht. Unsere Untersuchungsergebnisse in einem mathematisch-naturwissenschaftlich-technisch orientierten Gymnasium zeigen, dass auch für mathematisch besonders leistungsfähige Neuntklässler eine aus-

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reichende Differenzierung vorhanden ist, obwohl auch Deckeneffekte zu regis-trieren sind und die Varianz erheblich eingeschränkt ist. Aus unserer Sicht ist dieser Schulleistungstest auch ein geeignetes Instrument, um mathematische Kompetenz über verschiedene Schulsettings hinweg zu ermitteln.

Im Bereich Konventions- und Regelwissen sind die Deckeneffekte im MINT-Gymnasium erheblich ausgeprägter als im DEMAT 9. Wir werten dies als einen Ausdruck für den Entwicklungsstand mathematischer Fertigkeiten im Sinne von Effizienz und Automatisierungsgrad bei der Bearbeitung mathematischer Auf-gaben. Offensichtlich spielt in diesem Bereich auch die Speed-Komponente zu-gunsten der mathematisch leistungstärkeren Schülergruppe eine wichtige Rolle. Förderung auch mathematisch schwächerer Schüler bedeutet, diese allgemei-nen mathematischen Fertigkeiten zu sichern und zu trainieren.

Wenn es um die Beschreibung mathematischer Begabung geht, fanden wir Beispiele für Schüler, die in Wettbewerben außerhalb von Mathematik (Physik, Chemie, Englisch) erfolgreich sind, aber auch ein besonders hohes Niveau ma-thematischer Leistungsfähigkeit aufweisen. Das spricht dafür, dass mathemati-sche Begabung keine isolierte Befähigung ist, sondern eher als Kombination von spezifischen und allgemeinen kognitiven Fähigkeiten auftritt.

Literatur – Cohen, J. (1977). Statistical power analysis for behavioral science. New York:

Academic.

– Gesellschaft für Didaktik der Mathematik Nr. 61, S. 37–46.

– Heilmann, K. (1999). Begabung – Leistung – Karriere. Die Preisträger im Bundeswettbewerb Mathematik 1971–1995. Göttingen: Hogrefe.

– Jüling, I. & Lehmann, W. (1997). Zur Auswahl von Schülern für ein Gymna-sium mit mathematisch-naturwissenschaftlich-technischem Profil. Praktische Probleme pädagogisch-psychologischer Diagnostik. Psychologie in Erzie-hung und Unterricht, 44, S. 44–56.

– Käpnick, F. (1998). Mathematisch begabte Kinder. Frankfurt a. Main: Peter Lang.

– Käpnick, F. (2013). Was heißt es „mathematisch begabt zu sein?“. News and Science, 34/2013.

– Lehmann, W. (2002). Zur Leistungs- und Persönlichkeitsstruktur von Perso-nen mit Begabung für Mathematik – Theoretische und praktische Probleme der Diagnostik und Förderung. Schriftliche Habilitationsleistung. Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

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– Leistungsbewertung und Beurteilung an allgemeinbildenden Schulen und Schulen des Zweiten Bildungsweges der Sekundarstufen I und II. RdErl. des MK vom 26. 6. 2012 – 2-83200.

– Meer, E. van der (1985). Mathematisch-naturwissenschaftliche Hochbega-bung. Zeitschrift für Psychologie, 193, S. 229–258.

– Mehlhorn, H.-G. (1988). Persönlichkeitsentwicklung Hochbegabter. Berlin: Volk und Wissen.

– Pollmer, K. (1992). Intellektuelle Hochbegabung und mathematische Spe-zialbegabung – Theoretische Auffassungen, empirische Befunde, Konse-quenzen für die Förderung. In K. K. Urban (Hrsg.). Begabungen entwickeln, erkennen, fördern (S. 273–286), Hannover: Universität, FB Erziehungswis-senschaften I.

– Pressemitteilung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 19.02.2013, Nr. 039: http://www.km.bayern.de/pressemittei-lung/8397/nr-039-vom-19-02-2013.html.

– Rademacher, J., Trautewig, N., Günther, A., Lehmann, W. & Quaiser-Pohl, C. (2005). Wie können mathematische Fähigkeiten im Kindergarten gefördert werden? Ein Förderprogramm und seine Evaluation. Report Psychologie, 30, S. 366–376.

– Schmidt, S., Ennemoser, M. & Krajewski, K. (2013). DEMAT 9 – Deutscher Mathematiktest für neunte Klassen. Göttingen: Hogrefe.

– Verordnung über die Aufnahme in Schulen mit inhaltlichen Schwerpunkten, vom 17. Juni 2010. Gesetz- und Verordnungsblatt, Land Sachsen-Anhalt, S. 364.

– Wieczerkowski, W., Wagner, H. & Birx, E. (1987). Die Erfassung mathemati-scher Begabung über Talentsuche. Zeitschrift für Differentielle und Diagnos-tische Psychologie, 8, S. 217–226.

– Winter, H. (1995). Mathematikunterricht und Allgemeinbildung. Mitteilungen der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik, Nr. 61, S. 37–46.

Prof. Dr. Wolfgang Lehmann Dr. Inge JülingHelmut-Schmidt-Universität Landesschulamt Sachsen-AnhaltHolstenhofweg 85 Nebenstelle MagdeburgGebäude H4 Schulpsychologische Beratung22043 Hamburg Turmschanzenstr. 32 39114 MagdeburgE-Mail: [email protected] E-Mail: inge.jueling@ lscha.mk.sachsen-anhalt.de

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Magazin

Begabtenförderung im Rahmen der Pädagogischen Inklusion1 Bleiben unsere Klugen auf der Strecke?

Thomas Hofer

Im Dezember 2006 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung verab-schiedet.

In dieser UN-Konvention, die in Deutschland 2009 in Kraft trat, gibt es viele Bereiche, in denen sie der deutschen Gesetzgebung Hinweise und Impulse gibt.

Das trifft auch auf den Bereich der Bildung zu. Die UN-Konvention fordert von allen Vertragsstaaten erhebliche Anstrengungen im Schulbereich – Kinder mit und ohne Behinderung sollen in Zukunft gemeinsam in der Regelschule un-terrichtet werden können. Die Bundesländer sind daher verpflichtet, ihre Schul-gesetze anzupassen und Voraussetzungen für diesen gemeinsamen Unterricht zu schaffen.

Seither ist die inklusive Pädagogik stark in den Mittelpunkt der Betrachtung und Wertung durch Lehrer, Eltern, Erzieher, Politiker und Wissenschaftler ge-rückt, wird zudem sehr kontrovers diskutiert und bleibt wohl auch noch lange Zeit unter kritischer Begleitung aller Betroffenen, sowohl der Befürworter als auch der Gegner.

Das ist gut so und auch verständlich, schließlich ist Inklusion in der Pädago-gik nicht gesellschaftlich determiniert. Sie ist vielmehr ein sozialpolitisches Kon-strukt mit einer Stoßrichtung, die nicht nur humane Aspekte beinhaltet sondern – denken wir doch mal komplex und seien wir dabei ehrlich - auch in bestimmter Größenordnung ökonomische Prämissen tangiert, zum Beispiel die Haushalts-budgets der Bundesländer.

Die brennenden Befürworter mit solchen Thesen wie: „Es ist normal, ver-schieden zu sein“ oder „Jedes Kind ist besonders“, sagen uns doch nichts Neu-es. Schon bei der pädagogischen Grundausbildung erfährt jeder Student von der Verschiedenartigkeit und damit Einmaligkeit jedes Individuums.

Jede Lerngruppe, jeder Klassenverband ist vom Grundsatz her heterogen und lebt als sozialer Organismus letztlich auch durch die Interaktion zwischen seinen verschiedenen Teilen.

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Die oben genannten Thesen sind für die Begründung einer „Inklusionsfor-mel“, Regelklasse plus Schüler aus Förderklassen = Erfüllung der UN-Konventi-on, also völlig ungeeignet.

Ebenfalls ungeeignet ist eine Aussage der damaligen Beauftragten der Bun-desregierung für Belange behinderter Menschen, Frau Karin Evers-Meyer.

Frau Evers-Meyer äußerte am 06.Juni 2008 in einem Vortrag im Kleisthaus Berlin die Auffassung „Wer aussortiert, der stigmatisiert“. (Quelle : Wikipedia, Schulische Inklusion, 22.März 2013)

Diese Aussage ist mit Sicht auf die pädagogische Inklusion falsch.

Eine Stigmatisierung ist kein Handlungsprozess, wie etwa eine Aussortie-rung, sondern die Feststellung einer Andersheit. Es kommt ausschließlich darauf an, wie mit dieser Andersheit im Bildungs- und Erziehungsprozess umgegangen wird.

Wird sie diskriminierend gehandhabt, hat es negative Folgen in sozialpäda-gogischer Hinsicht, egal ob es in der Regel- oder Förderschule passiert.

Wird für diese Andersheit selektiv-fördernd gewirkt, hat es positive Folgen in sozialpädagogischer Hinsicht. Und das ist in erster Linie durch ein stimmiges Gesamtkonzept möglich, das von einer spezifischen Grundstruktur, sonderpä-dagogischem Wirken und spezieller Didaktik und Methodik getragen wird, was bisher nur in der Förderschule existent und zu leisten war.

Kann unsere Regelschule mit dem Entwicklungsstand von heute ohne Schä-den für die Persönlichkeitsbildung der anvertrauten Kinder - der leistungsmäßig mittleren, der begabten und der kognitiv oder körperlich behinderten Schüler – die großen Erwartungen an eine auf dieser genannten Grundlage funktionie-rende Inklusion erfüllen oder riskieren wir einen pädagogischen Teufelskreis ?

Nun, die inklusive Pädagogik ist natürlich momentan sowohl Ziel als auch Weg – also Prozess. Ein sehr komplizierter Prozess…

Vehement gefordert, einmal angeschoben - und das wohlgemerkt vorder-gründig administrativ durch mehr oder weniger schnelle Auflösung von Förder-klassen – das genügt nicht, so geht der Schuss nach hinten los. Zusätzlich zeigt sich dramatisch, dass wir hinsichtlich der Auswirkungen der pädagogischen In-klusion auf die einzelnen Individuen gegenwärtig keine empirischen Untersu-chungsergebnisse haben.

„Es ist aber längst eine psychologische Binsenwahrheit geworden, dass die gleiche Behandlung von Schülern mit ungleichen individuellen Lern- und Leis-tungsvoraussetzungen nachweislich zur Vergrößerung und nicht zur Verringe-rung von Begabungs- und Leistungsunterschieden in der Schule führt.“ (Quelle : Heller, K.A.,2008, Von der Aktivierung der Begabungsreserven zur Hochbegab-tenförderung, S. 267)

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Die Inklusionsidee setzt ganz selbstverständlich voraus, dass alle Lehrer in-dividuell auf jeden Schüler eingehen und ihn entsprechend seiner Gegebenhei-ten unterrichten. So lässt sich auf die Bedürfnisse des lernbehinderten Kindes ebenso adäquat reagieren wie auf die des Hochbegabten.

Das pädagogisch und didaktisch-methodisch zu meistern ist schon schwer in „normaler“ Zusammensetzung einer Klasse, also mit Leistungsstarken und Lernschwachen in der Regelschule. Es ist gegenwärtig kaum zu leisten, wenn dazu noch die dritte Kategorie der Behinderten kommt.

Also muss bildungspolitisch die Hauptsicht auf den Lehrer ausgerichtet sein, er ist der Multiplikator, er weiß, alle Schüler brauchen ihren Fähigkeiten entspre-chende Lernangebote.

Wenn sich also die aus dieser neuen Konstellation resultierenden Erwar-tungen an einen ganz anders zu steuernden Erkenntnisprozess erfüllen sollen, muss man dem Lehrer primär ein adäquates Bedingungsgefüge schaffen, das ihn sicher macht und ihm vor allem seine Zweifel an der eigenen Kompetenz nimmt, dieser enormen Aufgabe gewachsen zu sein.

Dieses adäquate Gefüge existiert an unseren Schulen zurzeit kaum, weil seine einzelnen Bestandteile nur mangelhaft an die neuen Anforderungen der Inklusion angepasst wurden.

Nehmen wir zum Beispiel die Qualifizierung der Lehrer für die Erteilung eines gemeinsamen aber differenzierten Unterrichts für Kinder mit unterschiedlichem Förderbedarf. Es ist unbestritten, dass sie meist dafür nicht ausgebildet sind.

Sie müssen also zwingend neue theoretische Grundlagen erwerben und auch Kenntnisse vermittelt bekommen, wie sie in der Praxis mit Schwierigkeiten umgehen können.

Die Kultusministerien haben das erkannt und wollen also ihre Lehrer durch Fortbildungsprogramme „fitter machen“ für die Inklusion.

Wie halbherzig und damit fragwürdig das unter Umständen geplant ist, zeigt das Beispiel des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern. Hier soll in diesem Kalenderjahr beginnend, über einen Zeitraum von 2 Jahren, für 200 von real mehr als 2000 Grundschullehrern ein Fortbildungsprogramm stattfinden. Es wer-den zunächst also erst einmal 10% der Lehrkräfte direkt von den Schulungen profitieren. Ein guter Anfang, der keine „Hauruck-Aktion“ darstellt, sondern der Inklusion als Prozess Rechnung trägt. - Aber man höre und staune, die Teil-nahme an diesen Kursen ist nicht verpflichtend. (Quelle: Ostsee-Zeitung vom 09.04.2013, S. 5, „Schwerin legt zuerst Programm für 200 Pädagogen auf“)

Hier wird mit einer fragwürdigen Freiwilligkeit ein eindeutig falsches bildungs-politisches Zeichen gesetzt.

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Nach der offiziellen Befürwortung der Inklusion durch alle Kultusministe-rien ist leider in den meisten wissenschaftlichen Darlegungen, in populärwis-senschaftlichen Veröffentlichungen und in der Schwerpunktsetzung von Fort-bildungsprogrammen eine überdeutliche primäre Fokussierung auf körperlich oder kognitiv behinderte Kinder entstanden. Unter diesem einseitigen und damit fehlerhaften Tatbestand ist um die Begabten- und Hochbegabtenförderung in der Regelschule zu fürchten.

2 Pädagogische Inklusion und BegabtenförderungWir wissen längst, im regulären Unterricht werden begabte Schüler dann nicht optimal gefördert, wenn das inhaltliche und didaktisch-methodische Angebot nicht ihren hohen Fähigkeiten, ihren spezifischen Bedürfnissen und Interessen entspricht.

Entwicklung einer inklusiven Schule bedeutet also, keine einseitige Fixierung auf die Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, nur weil hier momen-tan teilweise eine Art Kampagne zu beobachten ist, sondern sich öffnen für eine breite sowie fundierte Begabungsförderung.

Fakt ist doch Folgendes: Die Lehrer setzen gegenwärtig klare Prioritäten, konzentrieren sich nach dem Startschuss für die Inklusion eindeutig auf die kör-perlich und kognitiv behinderten Schüler. Zum Teil verständlich, denn hieran wer-den sie, zumindest temporär, in erster Linie gemessen.

Hinzu kommt, dass Schüler mit sozialen Defiziten im Interesse einer unge-störten Unterrichtsführung vordergründige Aufmerksamkeit und Zuwendung ver-langen und sie damit von den Begabten abziehen.

Damit läuft die Begabtenförderung im Unterricht Gefahr, in das Areal zurück-zutreten, aus dem sie mit viel Mühe und Einsatz gerade erst hervorgetreten ist, der Nische.

Um das zu verhindern, bedarf es gezielter Führungs- und Leitungsprozesse durch Schulleiter und Direktoren, der steuernde Impuls muss von hier ausgehen, und es bedarf eines komplexeren Herangehens bei Weiterbildungskursen für die Pädagogen.

Warum koppeln zum Beispiel Institute mit Kursangeboten zur Inklusion für Lehrer bei ihrer Themensetzung die Förderung von begabten Schülern vollkom-men aus? Warum wird hier die Ganzheitlichkeit des Förderprozesses verletzt, warum fallen wir zurück in eine Art Ressortdenken?

Weiterbildungsthemen lauten somit: – Förderung von Risikokindern – Förderung von aufmerksamkeitsgestörten Kindern – Förderung von hyperaktiven Kindern usw.

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Die Förderung von begabten und hochbegabten Kindern ist als Thema nicht existent. Dabei ist sie im Sach- und Situationszusammenhang der Inklusion ob-jektiv notwendiger Bestandteil.

Hier möchte man am liebsten das Credo verdeutlichen: Tue nichts auf Kosten anderer, grenze nicht neu aus, sei dir bewusst, dass du im inklusiven Lernpro-zess sonst den Begabten die soziale Geborgenheit nimmst, die du gerade für die Behinderten herzustellen gedenkst.

Prof.Victor Müller-Oppliger, Professor für Pädagogische Psychologie und Di-daktik an der Pädagogischen Hochschule der Nordwestschweiz, hat diese Auf-fassung bestärkt und folgendes ausgeführt:

„Die Berücksichtigung von Heterogenität und integrative Begabtenförderung sind anerkannte Qualitätskriterien der aktuellen Unterrichtsentwicklung. Die Schule ist deshalb gefordert, ein soziokulturelles Modell einer Gesellschaft ohne Ausgrenzungen zu entwickeln, in dem Anders-Sein und Verschiedenheit als Nor-malfall gelten und individuelle Unterschiede als Chance für die Einzelnen und als soziales Kapital für die Gesellschaft wahrgenommen werden.“

„Erste Umsetzungen lassen allerdings befürchten, dass gerade hochbegab-te Schüler Gefahr laufen, innerhalb der Heterogenitätsbestrebungen erneut aus dem Blickfeld zu geraten und die Förderung ihrer Hochleistungspotenziale nicht mehr erhalten.“ (Quelle: Vierter Münsterscher Bildungskongress, Symposium 14.09.2012)

Meinungen, die Lehrer und Eltern bisher in die Diskussion einbrachten, teilen diese Befürchtungen und müssen wegen ihres hohen Praxisbezugs sehr ernst genommen werden.

Zwei Aussagen mögen das verdeutlichen.

Lehrermeinung: „Damit die Inklusion nicht zu gravierenden Nachteilen für be-gabte Kinder führt, die vielleicht dadurch zu Verlierern dieses Systems werden, muss man uns ordentlich ausbilden und professionell begleiten. Der Begabte kann sich in dem komplizierter gewordenen sozialen Um-feld nicht mehr selbst helfen, und uns fehlen die Voraussetzungen für Begabtenförderung unter diesen völlig neuen Vorzeichen.“

Elternmeinung: „Manchmal geht es ja gut mit den Begabten in der Inklusion, oft aber leider nicht. Wenn sie immer mehr als Hilfslehrer im Unterricht eingesetzt werden, weil den Pädagogen Mittel, Wege und Zeit für die direkte Arbeit mit ihnen fehlen, weil sie sich auf die geistig behinderten Kinder konzentrieren müssen, dann haben wir schnell hohe Frustration.“

Das führt zwingend zu den beiden Kernfragen:

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1 Verstehen wir Inklusion eigentlich richtig als das, was sie wirklich ist, nämlich vieldimensional?

2 Wie sind Lernarrangements der Inklusion zu entwickeln, in der sowohl die breite Förderung aller Schüler, wie auch die speziellen Bedürfnisse Behinder-ter und überdurchschnittlich Begabter angemessen gefördert werden?

Diese Fragen gehören in den Mittelpunkt jeglicher bildungspolitischer Be-trachtungen, jeglicher schulischer Leitungstätigkeit und jeglicher Weiterbildung.

Thomas HoferStraße der Deutschen FreundschaftPostfach 129218522 Bergen / Rügen

E-Mail: [email protected]

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Die Geschichte einer ehrenamtlichen Institution im Bereich Hochbegabung:Forum Hochbegabung, Hof/Saale (Bayern, Oberfranken)

Sabine Schraml

„Das Forum Hochbegabung ist eine Beratungsinstitution und Interessengemein-schaft für betroffene Kinder und deren Familien, bzw. für Personen, die sich aus beruflichen oder persönlichen Gründen mit diesem Thema auseinandersetzen. Wir haben uns zur Aufgabe gemacht, die Interessen und Bedürfnisse aller Be-troffenen zu vertreten, Aufklärung zu betreiben und zu beraten.“ So steht es auf unserem Flyer und auf unserer Homepage – wie es dazu kam, das möchte ich hier erzählen.

Mein Name ist Sabine Schraml (54), ich bin die Gründerin und Leiterin des „Forum Hochbegabung“, Hof. Als staatlich anerkannte Erzieherin mit Zusatz-qualifikation arbeitete ich über zehn Jahre im Förderschuldienst mit geistig- und lernbehinderten sowie verhaltensauffälligen Kindern, danach sechs Jahre in ei-ner eigenen Praxis für individuelle Lernförderung und freiberuflich bis heute als Beraterin und Referentin im Bereich (Hoch-) Begabung. Dazu gehören auch Tä-tigkeiten im Projektmanagement bei Bildungsprojekten.

Wie alles begannIm Herbst 1998 wurden mein Mann und ich mit der Vermutung seitens der Schu-le konfrontiert, dass unser Sohn (1. Jgst.) hochbegabt sei, und man bat darum, ihn testen zu dürfen. Die Vermutung bewahrheitete sich, und damit fing alles an. Das Testergebnis wurde uns mitgeteilt, und auf die Frage, was nun zu tun sei, begann das große Schulterzucken. Man könne ihn ja eine Klasse überspringen lassen, was wir aber in Hinblick auf die erkennende, verständige und geliebte Lehrerin ablehnten. Auf unsere Bitte nach Informationen zum Thema wurden wir lediglich mit der Telefonnummer einer auch betroffenen Kollegin versorgt. Das war’s. Im Gespräch mit dieser Kollegin zeigte sich sehr schnell, dass es noch mehr betroffene Eltern mit vielen ungeklärten Fragen gab, und dass der Bedarf nach Austausch und Information über dieses Thema im oberfränkischen Raum faktisch nicht abgedeckt wurde. So entstand die Idee, dies selbst in die Hand zu nehmen. Mit Hilfe der Presse konnten wir eine erste Begegnungsveranstaltung in Hof organisieren, in der sich überraschend fast 50 Teilnehmer einfanden.

Die Sorgen und Klagen waren im Grunde immer die Gleichen: Die Kinder waren aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten getestet worden, hatten einen IQ von 130 +, und die meisten Eltern fühlten sich mit diesem Ergebnis allein ge-lassen und überfordert. Es gab für sie so gut wie keine Informationen seitens der Schule bzw. Schulberatung. Letztlich wurde ihnen empfohlen, sich über das

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Ergebnis zu freuen und bei Problemen bzw. Verhaltensauffälligkeiten eine Erzie-hungsberatungsstelle oder Kinder- und Jugendpsychologen/in oder Psychiater/in aufzusuchen. Einige Eltern folgten diesen Ratschlägen, waren aber letztlich zutiefst enttäuscht, weil sie erlebten, dass man sich auf die umschriebenen „Stö-rungen“ der Kinder stürzte, auf „Erziehungs- und Familienprobleme“, die attes-tierte Hochbegabung war kein Thema, Zusammenhänge zwischen diesem Per-sönlichkeitsmerkmal und dem Verhalten der Kinder wurden nicht gesehen, die Fachleute waren ein Stück weit fachfremd. Eltern und Kinder waren schließlich noch irritierter und hilfloser als vorher, der Wunsch nach Verstehen des Phäno-mens Hochbegabung und das Verständnis für die eigene Situation wurde als zentrales Bedürfnis deutlich.

Und so beschlossen wir, eine kleine Gruppe von drei Betroffenen (davon zwei Erzieherinnen), uns selbst zu organisieren. Wir gründeten eine Elterngrup-pe und trafen uns regelmäßig einmal im Monat mit anderen Eltern. Hier wurde aber sehr schnell deutlich, dass es nicht nur darum geht, sich auszutauschen und sich „gegenseitig zu bejammern“, sondern man wollte Fachinformationen. Damit begann die Zeit der ersten Vorträge, die wir organisierten. Gott sei Dank hatte ich durch meine Arbeit im Förderschuldienst gute Kontakte zu Schulpsy-chologen, die schon im Thema standen, und sich bereit erklärten, Vorträge zu halten, und mich mit Informationen und Literatur zu versorgen, sowie mir die Teilnahme an internen Fortbildungen zu ermöglichen. Dabei wurde mir rasch klar, dass die Probleme von Familien Hochbegabter Kinder sehr denen ähneln, mit denen ich in meiner Arbeit mit Minderbegabten zu tun hatte. Das Heraus-fallen aus einer Durchschnittsnorm – die zwei Seiten der gleichen Medaille. Mit dieser Erfahrung war der Grundstein gelegt, in diesem Bereich intensiver zu arbeiten, nicht nur als betroffene Mutter zu agieren. Dabei kam mir meine bis-herige berufliche Erfahrung zugute und ich erhielt wieder große Unterstützung seitens der damaligen Kollegen aus der Schulberatung. Im Jahre 2000 wurde das Forum Hochbegabung als Beratungsinstitution gegründet. Schnell konnten wir die Kinderärzte vor Ort sowie die Erziehungsberatungsstelle mit ins Boot holen. Die Schulberatung schien ein offener Kooperationspartner und es wurden gemeinsame Informationsabende veranstaltet. Ein guter Anfang! Und so wuchs die Gründungsgeneration gemeinsam heran, in den ersten vier Jahren meldeten sich ca. 100 Familien bei uns, manche, nur um Informationen zu bekommen, andere, weil es große Krisen in Familie und Schule gab und sie eine längerfris-tige Unterstützung und Begleitung suchten. Etwa die Hälfte der Kontakte nutzte beständig unsere Angebote.

So ging es weiterAber bald kristallisierte sich das nächste Problem heraus. Betroffene Eltern infor-mierten sich über alle möglichen Quellen zum Thema, lasen (Fach-)Bücher, gin-

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gen auf Fortbildungen, schauten sich Reportagen an – und – wollten ihr Wissen in ihrem Umfeld und in der Schule mit einbringen, um Verständnis für ihre Kinder zu wecken und ihnen zu helfen. Doch häufig stießen sie damit auf Ablehnung. Sie wurden als „Eisprinzessinnen-Eltern“ bezeichnet, die für ihre Kinder eine „Extrawurst“ erhalten wollten, wurden nicht ernst genommen mit ihrem „Luxus-problem“, wurden manchmal selbst als Problem betrachtet. Im Bereich Schule zeichneten sich zwei Tendenzen ab. Auf der einen Seite wurden Eltern mit ihren Sorgen und Nöten ignoriert, bzw. Schule, Schulberatung und Lehrer zogen sich auf den Standpunkt ihrer Ausbildung und der sich - in ihren Augen - damit auto-matisch erschließenden fachlichen Kompetenz zurück. Kooperation mit Eltern war teilweise extrem schwierig, manchmal regelrecht unerwünscht. Auf der an-deren Seite zeigten sich Lehrer offen unwissend und schickten die Familien zu uns, damit wir ihnen Tipps und Rat geben, was sie nun tun könnten. Das war für alle Beteiligten eine unbefriedigende Situation. Deshalb gingen wir einen Schritt weiter und boten Fortbildungen auch für Lehrer und Schulen an, zunächst mit externen Referenten.

Im Jahre 2002 ergab sich die Situation, dass ca. 10 Kinder aus der Grün-dergeneration vor dem Übertritt ins Gymnasium standen, Kinder, die teilweise persönliche und schulische Probleme hatten, und nicht unbedingt Hochleister waren. Im Laufe der Jahre wurde nämlich deutlich, dass sich gerade die Famili-en längerfristig an uns wenden, bei denen es nicht rund läuft. Deshalb entstand die Idee, für diese angehenden Gymnasiasten ein (Hoch-) Begabungsförder-projekt an einem Gymnasium zu starten. Gedankliches Ziel dabei war, aus den Problemen ein Projekt zu machen, und nicht die Kinder als „Einzelfälle“ an unter-schiedlichen Schulen zu haben. Wir wandten uns an das größte Gymnasium mit der breitesten Fächerkombination vor Ort, und die Idee wurde anfänglich sehr interessiert aufgenommen. Die Vorgespräche waren von Verständnis und Be-mühen geprägt, diesen Kindern und ihren eventuell vorhandenen Defiziten so-wohl im schulischen als auch im persönlichen Bereich ein Umfeld zu bieten, das hilfreich und förderlich ist. Das Kultusministerium genehmigte dieses Projekt mit zusätzlichen vier Wochenstunden zur individuellen Begabungsförderung in den Kernfächern. Doch leider stellte sich nach Schulbeginn in der Praxis sehr schnell heraus, dass die Organisation des Projektes an den Bedürfnissen der SchülerIn-nen vorbei geplant war. Man ging letztlich doch von Hochleistern aus, die durch die Individualisierungsstunden noch tiefer und schneller im Stoff vorankommen. Es fielen Sätze wie: „Solange du in meinem Fach keine 1 hast, gehst du nicht in die Förderung“. Begriffe wie „Underachievement“ oder „Motivationsentwicklung“ waren fremd. Man erwartete willige, leistungsfähige und von sich aus motivier-te SchülerInnen mit hervorragenden Lernstrategien und Leistungen. Der Begriff „Hochbegabung“ wurde definiert als Summe von hohem IQ + Leistung, nicht als Potential verstanden, das vielleicht erst in Leistung umgesetzt werden sollte – durch individuelle Anleitung im Projekt. Hinzu kam, dass sowohl Mitschüler als auch deren Eltern völlig unaufgeklärt blieben über dieses Projekt, und über das,

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was manche Schüler in der Klasse „extra“ bekommen. Der Unmut war vorpro-grammiert, und die teilnehmenden Kinder gerieten schon allein dadurch wieder in eine ausgegrenzte Sonderrolle, was man eigentlich gerade vermeiden wollte.

Das Projekt lief für alle Beteiligten äußerst frustrierend. Wir versuchten noch zu retten, und Verstehen zu wecken, indem wir eine schulinterne Fortbildung zum Thema durch einen in schulischen Begabungsförderprojekten und Hoch-begabtenklassen erfahrenen Schulpsychologen organisierten, doch es fruchtete leider nicht. Das Desinteresse an Aufklärung und Fortbildung zeigte sich letztlich auch daran, dass nicht alle in dem Projekt beteiligten Lehrer an der hausinternen Fortbildung teilnahmen, nicht einmal der an der Schule ansässige Schulpsycho-loge. Man blieb bei der Haltung, dass sich Hochbegabung dezidiert durch Hoch-leistung auszeichnet. Man machte daraufhin uns den Vorwurf, wir hätten ihnen „Kuckuckskinder“ ins Nest gelegt – Kinder, die zwar einen hohen IQ haben, aber psychisch gestört seien, keine erwarteten 1-Schüler, und damit nicht hochbe-gabt. Diese Haltung veranlasste uns schlussendlich, das Projekt nach einem halben Schuljahr einzustellen, vor allem, um die Kinder zu schützen. Die Enttäu-schung war groß und die Fronten verhärtet, was leider auch nach außen wirk-te. Man nahm uns seitens der Schulbehörden und Schulberatung nicht ernst, betrachtete unsere Arbeit als das Bemühen von verzweifelten, überengagierten Eltern gestörter Kinder. (PS: Unser Sohn geriet dadurch erst recht in den Fokus und hatte deshalb viel unter Mobbing und Kritik durch Mitschüler und Lehrer zu leiden, sodass er von sich aus nach der 8. Klasse die Schule wechselte – dafür entschuldige ich mich heute noch bei ihm…).

Aber genau diese Erfahrungen waren der Ansporn für uns, weiter zu machen, uns um Aufklärung bei Eltern, Gesellschaft und Schule zu bemühen. Ich be-schloss, mich im Rahmen meiner selbständigen Tätigkeit nun intensiv im Thema weiterzubilden. Fachliteratur, Kongresse, Kontaktaufnahme zu Universitäten und Professoren, die in Forschung und Lehre stehen, Aufbau eines Netzwerkes über die Grenzen Oberfrankens hinaus, um auf dem neuesten Forschungsstand zu stehen, und eine eigene Ausbildung in der Testung mit dem (damals noch) HA-WIK III sowie eine Zusatzqualifikation als Begabungspädagogin (IFLW) gehörten dazu. Heute studiere ich an der FernUni Hagen BA in Bildungswissenschaften.

Was sonst noch geschahDas Forum Hochbegabung entwickelte über die Jahre ein regelmäßiges Ange-bot für betroffene Eltern und Lehrer in Form von Elterngruppen in Hof, Bayreuth und der nördlichen Oberpfalz, sowie halbjährliche Fortbildungsveranstaltungen, die vom Kultusministerium als ergänzende Maßnahme anerkannt wurden.

Ein weiteres Betätigungsfeld war, die Kinder selbst aufzufangen, ihnen Mög-lichkeiten zu bieten, Gleichbefähigte kennenzulernen, die ihre Interessen teilen.

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Denn sehr häufig hatten die Kids große Schwierigkeiten, in ihrem Umfeld von Klassenkameraden oder Nachbarskindern Freundschaften aufzubauen. Die In-teressen und das Niveau der persönlichen Beschäftigungen waren oftmals so unterschiedlich, dass die hochbegabten Kinder immer wieder in Situationen von Ausgrenzung und Mobbing gerieten, womit sich ihre emotionale Situation noch-mals verschärfte. Deshalb fingen wir an, regelmäßig Angebote für die Kinder zu organisieren, in denen sie sich entspannt begegnen konnten, ihren Neigungen frönten, und die Möglichkeit zum Freundschaftsaufbau gegeben war.

Wir feierten unser 5-jähriges Jubiläum mit einer einwöchigen Veranstaltung und Mitmachausstellung zum Thema „Sinneswahrnehmung“, welche für die ge-samte Öffentlichkeit in Oberfranken zugänglich war.

Unser 10-Jähriges begingen wir wieder groß mit Veranstaltungen für die breite Öffentlichkeit zum Thema „Sinnestäuschungen“, und einem Symposium „Hochbegabung und Exzellenz“ – mit hochkarätigen Referenten (z.B. Prof. Neu-bauer aus Graz und Prof. Lehwald aus Leipzig)

Das Interesse und die Teilnehmerzahlen waren enorm, was uns für die wei-tere Arbeit neuen Mut und Antrieb gab.

Im Laufe der Jahre öffnete sich auch das Bayerische Schulsystem diesem Thema. Es wurden immer mehr Hochbegabtenklassen an Gymnasien etab-liert, (Hoch-)Begabtenförderung an einzelnen Schulen angeboten bzw. in das jeweilige Schulprofil aufgenommen. Im Grundschulbereich gab es für dort tätige Schulpsychologen bzw. Beratungslehrer Zusatzausbildungen zum „Experten für Hochbegabung“ mit dem Ziel, in jedem Schulamtsbezirk eine derartige Fachkraft zur Verfügung zu haben. Quantitativ ist dieses Ziel inzwischen erreicht. Man könnte meinen, dass sich nun alles zum Guten entwickelt hätte. Das stimmt teilweise. Es ist für viele Familien heute eine Erleichterung, dass das Thema „Hochbegabung“ aus der Ecke geholt wurde, die Hürden und Hemmschwellen sind niedriger geworden, das Angebot größer, die Bereitschaft auf Seiten der Lehrer, sich darüber zu informieren, ist gewachsen. Das ist ein Segen für die Kinder. Aber wie schon in der Hattie-Studie belegt: „Auf den Lehrer kommt es an“. Diese positive Entwicklung seitens des Kultusministeriums ist leider nicht überall an der Basis im Klassenzimmer angekommen – mit weitreichenden Kon-sequenzen für unsere Arbeit!

So ist es heuteNicht nur im Forum Hochbegabung, sondern auch an der staatlichen Schulbe-ratung sowie den zuständigen Schulämtern haben Generationswechsel stattge-funden. In Verbindung mit der Tatsache, dass sich das Kultusministerium (Hoch-)Begabtenförderung auf die Fahnen geschrieben hat, konnte mehr system intern geregelt und geholfen werden. Die Kooperationsbereitschaft auf Seiten der

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Schulberatung und Schulämter sank, denn „wir waren ja nun nicht mehr nö-tig“ – so zumindest unser Eindruck. Man versuchte, uns wieder in die Rolle als Selbsthilfegruppe von betroffenen (meist jammernden) Eltern zurückzudrängen, und wir erhielten keine Informationen mehr aus dem System. Als Partner in Kri-sensituationen wurden wir nicht mehr gerne gesehen.

Auf der anderen Seite hatte diese Entwicklung aber auch zur Folge, dass wir immer mehr mit Familien konfrontiert waren, die im Schul- und dazugehörigen Beratungssystem gescheitert waren. D.h. die Fälle wurden immer schwieriger und komplexer: Kinder, die mit 7 Jahren stationär in der Psychiatrie unterge-bracht waren, suizidale 15-Jährige, Hochbegabte auf Förderschulen, Kinder, die wegen zweimaligem Durchfallen aus der Schulart ausgeschlossen werden, Underachievement, vermeintlich ADS/ADHS, um nur einige wenige zu nennen. Diese Entwicklung zwang uns/mich dazu, sich noch intensiver und breiter fort-zubilden, Netzwerke vor Ort und bundesweit aufzubauen, um sich Rat, Unter-stützung und Informationen zu holen, bzw. Eltern an entsprechend geeignete Stellen verweisen zu können. Gott sei Dank ist durch die eigenen Fortbildungs-tätigkeiten und durch die neuen Medien ein tragfähiges und fachlich kompeten-tes Kontaktnetz entstanden, sodass wir in den meisten Fällen noch dort weiter machen können und Lösungen entwickeln können, wo das Schulsystem endet. Ein großer Dank gilt an dieser Stelle all unseren Partnern, die uns tatkräftig un-terstützen, mit Informationen versorgen und immer ein offenes Ohr für uns und unsere Familien haben! Darin liegt unseres Erachtens auch der große Vorteil, eine außerschulische Einrichtung zu sein – wir können über bestehende Länder- und Schulgrenzen hinweg handeln.

Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Hochbegabung“ ging also sehr schnell über das eigene Interesse als betroffene Mutter hinaus und stellt heute eine fachlich kompetente und wissenschaftlich aktuelle Grundlage für die bera-tende Tätigkeit im Forum Hochbegabung dar. Inzwischen betreuen wir regelmä-ßig ca. 40 Familien pro Jahr.

Unsere konkreten Angebote sehen derzeit folgendermaßen aus:Fachberatung für Eltern, Elterngruppen in Hof, Bayreuth und Weiden/Tirschen-reuth

– Halbjährliche Fortbildungen für Eltern, Lehrer und Erzieher

– Schulinterne Fortbildungen/Workshops

– Regelmäßige Veranstaltungen für die Kids

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Unsere (Ansprech-) Partner vor Ort

Kinderärzte, Psychologische Beratungsstelle, Sozialpsychiatrischer Dienst, So-zialpädiatrisches Zentrum, Frühförderung, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Ju-gendamt, Autismus-Kompetenzzentrum Oberfranken, Diakonie Hochfranken, Selbsthilfekontaktstelle, staatliche Schulberatung, Schulämter, MB für Gymnasi-en und Realschulen in Oberfranken, VHS Landkreis Hof, Psychosoziale Arbeits-gemeinschaft – Sektion Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hochfranken

Weitere Kontakte, die hier nicht alle explizit aufgeführt werden können – ein Überblick:

Universitäten mit dem Schwerpunkt Begabungsforschung, Begabungsförde-rung und Kompetenzentwicklung, ABB, ECHA, ÖZBF, Mensa, DGHK, IRATDE, WCGTC, CJD Braunschweig, BDP – Sektion Hochbegabung, LBFH, einzelne Schulen mit (Hoch-) Begabtenförderung, Schulämter und Schulberatung in an-deren Regierungsbezirken und Bundesländern, Karg-Stiftung, Bildung & Bega-bung, andere staatliche Netzwerke zur Begabtenförderung und NGOs in ande-ren Bundesländern …

Ein Blick in die ZukunftIm Jahr 2015 steht das nächste Jubiläum an. Auch dieses möchten wir wieder mit einer Fachtagung und Mitmachausstellung begehen.

Wir wollen nicht müde werden, das Anliegen, die Sorgen, Nöte und Probleme von Hochbegabten Kindern und ihren Familien aufzugreifen, sie zu beraten und unterstützend zu begleiten. Aufklärung über Mythen und Realitäten beim Thema „Hochbegabung“ ist immer noch notwendig. Das Forum Hochbegabung kann dazu seinen Beitrag leisten. In unserer Arbeit verbinden sich über 10 Jahre Er-fahrung in der Tätigkeit an der Basis mit permanenter Weiterbildung, um auf dem wissenschaftlich neuesten Stand zu bleiben. Es ist uns bewusst, dass wir selbst nicht die wissenschaftliche Grundlage bieten (können), umso mehr beziehen wir diese Informationen von entsprechenden Stellen. Jedoch unsere Erfahrung, Offenheit und aktive Auseinandersetzung mit neuen Herausforderungen, sowie unser umfangreiches Netzwerk ermöglichen uns, als Partner aufzutreten, auf Augenhöhe mit allen anderen Institutionen, schulischer oder außerschulischer Herkunft, als „Scharnier“ zwischen betroffenen Kindern, Eltern, Schule, außer-schulischen Bereichen und Gesellschaft. Und diese Arbeit möchten wir noch so lange wie möglich leisten.

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Zu guter LetztUnsere Arbeit erfolgt komplett auf ehrenamtlicher Basis, d.h., alle Beteiligten stellen Zeit und Geld in den Dienst der Sache. Das Alles wäre aber trotzdem nicht ohne finanzielle und organisatorische Unterstützung von außen möglich. Deshalb zum Schluss unser größter Dank an die Krankenkassen in Bayern, insbesondere die AOK Hof, die uns jährlich umfänglich bezuschussen, weil sie unsere Arbeit als Prävention im psychosozialen Bereich wertschätzen. Darüber hinaus Dank an die Diakonie Hochfranken und die Selbsthilfekontaktstelle, die uns mit kostenfreien Räumen und organisatorischer Unterstützung immer zur Seite stehen. Aber nicht zuletzt tragen die Eltern zum Erfolg bei, die uns vertrau-en, sich aktiv einbringen und diejenigen, die uns mit Spenden unterstützen. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass wir für unsere Arbeit im Forum Hochbegabung im Oktober 2010 zu unserem 10-jährigen Bestehen mit dem Ehrenamtspreis der Stadt Hof ausgezeichnet wurden.

Informationen über das Forum Hochbegabung finden Sie auf unserer Home-page

www.forumhochbegabung.de

Sabine SchramlForum HochbegabungMax-Reger-Str. 2195030 Hof/ Saale

E-Mail: [email protected]

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Der Mann mit dem Hut und dem OktavheftBrigitte Heink

Die Förderung besonders und hochbegabter Schülerinnen und Schüler im Sport hat eine sehr lange Tradition. Für musisch und sprachlich besonders Begabte ist die spezielle Förderung eine seit Langem praktizierte Möglichkeit, um her-ausragende Leistungen zu erreichen. Anders sieht es mit der Förderung von Kindern mit besonderen Begabungen im mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Bereich aus. Für jüngere Schüler wurde diese bis in die 1990iger Jahre von westlicher Seite als verfrüht und damit nutzlos abgelehnt. Lehrer, die sich in der DDR seit den frühen 1960iger Jahren erfolgreich in einer Vielzahl von Maßnahmen zur Förderung dieser Begabungen engagierten, sahen sich nach der Wende nicht selten ob ihres Tuns persönlichen Anfeindungen ausgesetzt.

Nur langsam änderte sich die Haltung zur Spitzenförderung und neben dem wissenschaftlichen Austausch wurde auch der Erfahrungstransfer intensiver. Nicht immer verliefen dabei die Diskussionen vorurteilsfrei und fair.

Während der ersten gemeinsamen Konferenzen und Beratungen nach der Wende fiel mir ein Teilnehmer auf der - meist mit Hut auf dem Kopf und Oktavheft und Stift in seinen Händen – offensichtlich in den Teilnehmerkreisen gut bekannt war und rege Gespräche führte. Immer wieder machte er dabei Notizen in sein Heftchen. Wenn wieder einmal Rede und Gegenrede in der allgemeinen Diskus-sion zu scharf wurden, meldete er sich zu Wort: „Meine Herren, ich verstehe gar nicht, worum sie sich streiten. Hier in meinem deutsch-deutschen Wörterbuch steht …“. Es folgten jeweils eine west- und eine ostdeutsche Bezeichnung, die – als unterschiedliche Begriffe – den gleichen Sachverhalt beinhalteten. (Vieles hatte sich in den 40 Jahren der deutschen Teilung parallel, die Sprache aber - auch die Fachsprache - auseinander entwickelt.)

Die Einwendungen zeigten starke Wirkung auf beiden Seiten. Einerseits konnte der anerkannte Wissenschaftler aus Oldenburg seine Kollegen dämpfen und andererseits stärkte er vor allem die Position der Praktiker aus dem Osten.

Wer ist dieser Mann und warum trat er so auf?

Prof. Dr. Otto Lange zum 85. GeburtstagAm 19. Februar 1928 wurde Otto Lange in Wesermünde (heute Bremerhaven) geboren. Schon 1930 zog seine Mutter mit ihm nach Wagelwitz, einem kleinen Dorf bei Mutzschen in Sachsen, um dort bei den Schwiegereltern eine Hühner-farm zu betreiben. Bald kam auch sein Vater, der die besseren Aussichten, wäh-rend der Weltwirtschaftskrise in den USA als Schlosser sein Geld zu verdienen, genutzt hatte.

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Ostern 1934 wurde Otto Lange eingeschult. Die Schule befand sich für alle Kinder des Kirchspiels im benachbarten Cannewitz. Die ers-ten beiden Jahrgänge wurden ge-meinsam in einem Klassenzimmer unterrichtet. Bei den Älteren waren es sogar drei Jahrgänge pro Klas-senraum. Herr Lange erinnert sich dankbar an seine ersten zwei Leh-rer, die es verstanden, unter die-sen schwierigen Bedingungen alle Schüler gut zu unterrichten und ihn selbst auf die Oberschule vorzube-reiten.

Nach einer mehrtägigen Auf-nahmeprüfung wurde er Ostern 1938 zur Herbert-Norkus- Schule in Grimma zugelassen. Er hatte nun einen langen Schulweg – mit der Kleinbahn, der Muldentalbahn und dem Fußmarsch vom Bahnhof zur Schule – und kam – weil die Klein-bahn nur selten fuhr – erst am spä-ten Nachmittag heim. Obwohl er die Grimmaer Schule nur kurze Zeit besuchte, erinnert er sich auch gut an einige seiner dortigen Lehrer, an das, was sie fachlich bewirkten, an ihre moralische Erziehung aber auch an Vorurteile derart, dass ein Kind aus der Dorfschule wohl kaum etwas Vernünftiges leisten könne.

Im ersten Kriegswinter 1939/40 verließ Otto Lange mit seiner Mutter Wagel-witz. Sie folgten seinem Vater, der eingezogen worden war und in Göttingen am Militärflugplatz eine Reparaturwerkstatt leitete.

Nach der Beendigung von „Kohleferien“ besuchte er nun die Göttinger „Ober-realschule für Jungen“. Auch da stieß er auf Vorurteile. Dieses Mal erklärte – auch wieder – der Lehrer seines Lieblingsfaches Mathematik, dass man mit allem, was aus dem Süden komme, bisher keine guten Erfahrungen gemacht habe. Dessen ungeachtet erinnert sich Herr Lange ebenfalls dankbar an viele seiner Lehrerinnen und Lehrer dieser Schule. Er weiß über deren unterschiedli-che politische Einstellungen zu berichten und viele ihrer „Anstöße zur kritischen Reflexion“. Dabei erzählt er auch über den Konfirmantenunterricht, der zu „brei-ter politischer Information“ beitrug.

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Nach seinen Worten begann sein „politisches“ Leben in der „Kinderschar“. Wie alle Jungen kam er dann mit zehn Jahren zum „Jungvolk“. Wegen seines langen Schulweges nach Grimma war er nur selten am Nachmittag zum „Jung-volkdienst“ schon zurück. In Göttingen änderte sich die Situation und er wurde „Hordenführer“ und bald auch „Jugenschaftsführer“. Sehr detailliert hat sich Herr Lange später mit den ideologischen Suggestionen dieser Aufgaben auseinan-dergesetzt, hat u.a. später als Zeitzeuge mit Jugendlichen darüber gesprochen. Für ihn ergaben sich mindestens zwei positive Konsequenzen: Er wurde nicht zum Reichsarbeitsdienst eingezogen, sondern „notverpflichtet“ und entging da-mit vielleicht dem Schicksal von Kameraden und Freunden, die nicht zurück-gekehrt waren. Außerdem erkannte er seine pädagogischen Fähigkeiten und entschied sich – weil ihm die Forstwirtschaft nach dem Krieg keine Perspektive bieten konnte – Lehrer zu werden.

Sein ehemaliger Biologielehrer, Liberaler, Pazifist und Leiter des Versuchs-gartens auf dem Brocken, wusste noch, dass er Förster werden wollte, und lud ihn in der Zeit zwischen Kriegsende und Wiederbeginn des Unterrichts zu bo-tanischen Exkursionen ein. „Auf den langen Wanderungen bekam ich ganz ne-benbei eine sehr individuelle politische Umerziehung.“ (Lange, 1999, S. 76) (Die westlichen Besatzungsmächte sprachen von „reeducation.“ ) Otto Lange schätzt sich glücklich, diesen persönlichen „Nachhilfeunterricht“ genossen zu haben. Die Umerziehung in der Schule war nicht immer so überzeugend, weil nicht alle Lehrer die neue Linie glaubwürdig vertreten konnten.

Mitglieder der „Studienstiftung des deutschen Volkes“ in Göttingen initiierten Ende der 1950iger Jahre die Bildung von studentischen Gruppen für die freiwil-lige Arbeit an Soldatenfriedhöfen im Ausland. Otto Lange gründete zu diesem Zweck die „Zelt-Akademie“ und organisierte mit dieser entsprechende Lager. „…diese Arbeit war für mich ein Stück innerer Notwendigkeit – von ähnlichem Gewicht vielleicht wie mein Entschluß, nach den Naturwissenschaften noch Phi-losophie zu studieren. Sicherlich hat bei der Gründung der Zelt-Akademie etwas Pazifismus eine Rolle gespielt - … Aber ich denke aus der Rückschau von heute, ich war vor allem durch ein ungeklärtes Schudgefühl als Überlebender dazu ver-anlaßt. …“ (a.a.O., S. 89), schreibt er 1999.

In einem Brief an einen ehemaligen Mitschüler stellte er seinen Werdegang ab Kriegsende kurz und bündig dar: „1944 habe ich ein Notabitur nachgeworfen bekommen, das nach dem Krieg natürlich nichts mehr galt. Zunächst Tiefbau, damit ich überhaupt Lebensmittelkarten bekam. Dann Forsteleve, denn ich woll-te damals noch in den Forstdienst gehen. Als die Schule wieder geöffnet wurde, erneut gebüffelt. Nach dem Abitur zunächst ein Praktikum in einem Elektro-Röh-ren-Betrieb, dann Studium der Mathematik, Physik, Chemie, Astronomie und Geophysik, mit dem Ziel, Gymnasiallehrer zu werden. Also musste ich auch eine Prüfung in Pädagogik und Philosophie absolvieren (das sog. Philosophikum), - was mich schließlich mehr ansprach, als ich zunächst vermutet hatte. Doktorar-

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beit in Philosophie … Dann bin ich eine Weile „auf Wanderschaft“ gegangen und habe dabei das westdeutsche Bildungswesen von verschiedenen Seiten ken-nengelernt: Assistent am Geometrie-Institut der TH München, Betreuung aus-ländischer Studenten an derselben TH, Lehrer für Mathematik und Physik an der Hermann-Lietz-Schule in Hohenwehrda (Internat, zwischen Bad Hersfeld und Fulda), Auslandsreferent der Universität Kiel, Dozent beim Landesverband der Volkshochschulen Schleswig-Holsteins („Wanderprediger“ für Philosophie und die damals neue Richtung der Mathematik: Mengenlehre und Strukturmathe-matik), dann wieder Lehrer (diesmal für Mathematik) an den Bundeswehrfach-schulen Kiel und Neumünster (parallel), wobei es sich auf meinen Wunsch so einrichten ließ, daß ich nebeneinander in Kursen für den Hauptschulabschluß, den Realschulabschluß und zur Studienreife unterrichtete. Als ich mich von dort aus an die PH (später: Universität) Oldenburg bewarb, erhielt dieses Hin und Her nachträglich einen guten Sinn, … Nun bin ich also schon über zwanzig Jahre in Oldenburg und versuche hier, künftigen Lehrer klar zu machen,was ich von die-sem Beruf halte (in den Sparten Allgemeine Pädagogik und Schulpädagogik).“ (a.a.O., S. 78 ff.)

Seine Neugier, die die oben genannte „Wanderschaft“ auslöste, ließ ihn in den Jahren 1969 bis 1972 weitere Aufgaben übernehmen: Mitarbeit in der Pla-nungsgruppe beim Schulamt der Stadt Kiel für die Gründung der Integrierten Ge-samtschule Kiel-Friedrichsort, Mitarbeit bei der Pädagogischen Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschulverbandes in Frankfurt/M. als Mitglied des Grundla-genausschusses für das VHS-Zertifikat „Mathematik A“, Mitarbeit im Beirat der Zeitschrift „Lernorientierter Unterricht“.

Bei soviel Wechsel könnte man eine gewisse Flüchtigkeit oder Oberfläch-lichkeit vermuten. Seine Zeugnisse belegen anderes: Z.B. folgte einer sehr gu-ten Note in Pädagogik und Philosophie in der Prüfung zum Staatsexamen die Aufnahme als Stipendiat in die Studienstiftung des deutschen Volkes. In den verbalen Zeugnissen seiner unterschiedlichen Tätigkeiten werden ihm äußerste Zuverlässigkeit, Tüchtigkeit, fachliche Kompetenz, jederzeitige Hilfsbereitschaft, ausgeprägtes Verantwortungsgefühl, Sorgfalt, Einfühlungsvermögen, … attes-tiert.

Zum Jahreswechsel 1970/71 trat Otto Lange seinen Dienst als Akademischer Rat im Fach Pädagogik an der Abt. Oldenburg der PH Niedersachsen - heute Universität Oldenburg – an. „Ich habe meine Tätigkeit mit der Absicht begon-nen, sowohl meine in verschiedenen Bereichen des Bildungswesens gesam-melten Erfahrungen als auch meine auf mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer sowie auf Geisteswissenschaften gegründete Vorbildung einzubringen. Daraus ergab sich für die Wahl der Themen meiner Veranstaltungen eine Po-larität, die ich unter wechselnden Umständen möglichst lange durchzuhalten versucht habe, indem ich einerseits unmittelbar praxisbezogene Probleme auf-griff (Unterrichtsorganisation, Leistungsbeurteilung, Gesamtschulkonzepte, Dif-

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ferenzierungsmodelle, Lehrerrolle u.ä.) und andererseits regelmäßig Kolloquien für höhere Semester über Fragen der Wissenschaftsmethodologie durchführte.“ (a.a.O., S. 95)

Im Zentrum seines wissenschaftlichen Interesses stand die Entwicklung von Problemlösefähigkeiten. Problemlöseverhalten und Begabungsförderung gehö-ren eng zusammen. Damit war es naheliegend, dass er sich auch der schuli-schen Förderung Hochbegabter zuwandte. So ist Otto Lange u.a. aktiver Mitbe-gründer des Arbeitskreises Begabungsforschung und Begabungsförderung e.V. (ABB), der 1990 von Wissenschaftlern und Praktikern aus Ost und West gegrün-det wurde. Er arbeitete mehrere Jahre im Vorstand des Vereins und engagierte sich als „Endredakteur“ der ABB-Informationen. Durch seine Mitarbeit bei ECHA, in weiteren Vereinen, Kommissionen und Gremien erreichte er Wissenschaftler und Lehrer gleichermaßen und gab zahlreiche Anstöße für weitere Arbeiten. Mit einer Vielzahl von Publikationen, Vorträgen, Vorschlägen (u.a. für die Lehrerfort-bildung), der aktiven Lehrerfortbildung und vor allem der Ausbildung von Lehr-amtsstudenten hat er wegweisend auf die Schulentwicklung eingewirkt.

Hohe Anerkennung verdienen Herrn Langes Aktivitäten in der Zusammen-arbeit mit ausländischen Kolleginnen und Kollegen sowie die Förderung und Unterstützung Studierender vieler Länder. Die schon vor der Wende von ihm geknüpften Kontakte in die Länder des „Ostblocks“ wurden nach 1989 intensiver und erleichterten den Beginn einer wirklichen gemeinsamen Arbeit.

In der Zeit, in die Otto Langes Jugend fiel, war eine geradlinige berufliche Entwicklung nicht möglich. Auch in seinem Privatleben gab es Tiefpunkte. Es verging viel Zeit, bis er sich nach dem sehr frühen Tod seiner ersten Liebe wie-der einer Frau zuwenden und binden konnte. 1969 wurde dann eine Tochter geboren. Das Glück der Familie zerbrach 1976, als seine erste Frau ebenfalls verstarb. Zum dritten Mal hat er sich glücklich gebunden mit einer Kollegin in Oldenburg. In seinem Ruhestand seit 1993 war Herr Lange weiter wissenschaft-lich aktiv und ehrenamtlich tätig, vieles Liegengebliebene will er noch auf- bzw. bearbeiten. Leider belasten jetzt gesundheitliche Probleme sowohl ihn als auch seine Frau und lassen manche Aktivität kaum noch zu. So verabschiedete er sich schweren Herzens von seiner langjährigen Redaktionstätigkeit für die ABB-Information.

Das Bestreben Otto Langes, empfangene Hilfe mit eigenen Kräften weiter-zugeben, war wahrscheinlich oft Antrieb für sein Tun und erklärt manche Verhal-tensweise. Ich bin mir sicher, dass sich viele seiner Studenten genau so dankbar an ihn erinnern wie er an seine Lehrer: „Viele meiner akademischen Lehrer ha-ben es verdient, ihrer besonders zu gedenken, weil sie nicht nur durch das, was wir bei ihnen studieren konnten, sondern auch durch ihre Persönlichkeit auf uns gewirkt haben.“ (a.a.O., S. 84) Das gilt auch für Otto Lange.

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Quellenverweise – Lange, O. (1999). Autobiographische Collage. In Möller, B. (Hrsg.), Ge-

schichte der Pädagogik an der Universität Oldenburg in Selbstdarstellungen, Band 1. Oldenburg: Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Ol-denburg.

– Pauls, R. (2003). Der „Endredakteur“ der ABB- Informationen. In: ABB – In-formationen 12; 43, S. 3–9.

– Wilde, G (o.D.). Autobiographische Einleitung zu einem Tätigkeitsbericht. (Entwurf aus Günter Wildes Nachlass – bearbeitet von Otto Lange). Olden-burg: Universität.

Dr. Brigitte HeinkKurt-Günther-Str. 404317 Leipzig

E-Mail: [email protected]

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Kurt A. Heller

1 Tagungseinladungen – Vorträge / Interviews und Publikationen – Hochbegabtenförderung im Gymnasium. Vortrag am Albert-Einstein-Gymna-

sium in Neubrandenburg am 15.3.2012. – Inklusive Pädagogik. Interview mit Caroline Liebow im Nordkurier Neubran-

denburg, Unabhängige Tageszeitung für Mecklenburg-Vorpommern, Ausga-be vom 31.3./1.4.2012, S. 4.

– Franz J. Mönks – Globetrotter in Hochbegabungsmission. Laudatio auf der akademischen Feier zum 80. Geburtstag von Franz J. Mönks am 20. April 2012 an der Universität Leipzig.

– Die Münchner Hochbegabungstestbatterie (MHBT) von K.A. Heller & Ch. Perleth. Vortrag auf der akademischen Feier zum 80. Geburtstag von Franz J. Mönks am 20. April 2012 an der Universität Leipzig.

– Exzellenz im Lichte der Hochbegabungs- und Expertiseforschung mit Anmer-kungen zu den Brüdern Humboldt. Vortrag auf der 50jährigen Jubiläumsver-anstaltung der Humboldt-Gesellschaft für Wissenschaft, Kunst und Bildung e. V. am 6. Mai 2012 an der HUB.

– Begabungsförderung und Schulleistungsentwicklung. Gastvortrag an der Universität Chemnitz am 8. Mai 2012.

– Begabungs- und lernpsychologische Überlegungen zum Bildungsauftrag des Gymnasiums im 21. Jahrhundert. Festvortrag auf der Hundertjahrfeier des Gymnasiums Ahlen / Westf. am 21. Juni 2012.

– Begabungsförderung und Schulleistungsentwicklung: Ideologische Irrtümer und wissenschaftliche Fakten. Hauptvortrag auf dem 4. Münsterschen Bil-dungskongress am 14. September 2012 an der Universität Münster.

– Muss eine inklusive „Schule für alle“ die Auflösung des gegliederten Schul-systems zur Folge haben? Positionsreferat auf dem Zweiten Inklusionskon-gress am 24.11.2012 an der Universität Rostock.

– Das Münchner Hochbegabungsmodell und seine Implikationen für die Iden-tifikation und Förderung hochbegabter Kinder und Jugendlicher. Gastvortrag an der Fachhochschule München am 8. Dezember 2012.

– Vortrag zur aktuellen Schulpolitik Baden-Württembergs am 8. Januar 2013 in der Stadthalle von Bad Saulgau.

– Die aktuelle Schul- und Bildungspolitik Baden-Württembergs auf dem Prüf-stand. Vortrag am Ottheinrich-Gymnasium in Wiesloch bei Heidelberg am 11. März 2013.

– Die aktuelle Schulpolitik Niedersachsens auf dem Prüfstand der Fördereffek-tivität und Bildungsgerechtigkeit. Einführungsreferat zur öffentlichen Anhö-rung der CDU-Landtagsfraktion am 14. Mai 2013 in Hannover.

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2 Aktuelle Publikationen (Stand: 31.05.2013)

Publikationen2011

– Hausamann, D. & Heller, K.A. (2011). MINT-Talentförderung. Editorial. jour-nal für begabtenförderung, 11, 1/2011, S. 4–6.

– Heller, K.A. (2011). Das Begabtenförderprogramm „Hector-Seminar“: Evalu-ationsbefunde einer achtjährigen Längsschnittstudie im MINT-Bereich. In M. Dresel & L. Lämmle (Hrsg.), Motivation, Selbstregulation und Leistungsexzel-lenz (S. 249–263). Berlin: LIT.

– Heller, K.A. (2011). Foreword. In Ai-Girl Tan (Ed.), Creativity. An Asian-Euro-African Perspective (pp. XIII-XIV). Singapore: Research Publishing.

– Heller, K.A. (2011). Vorwort. In Ch. Grosch, Langfristige Wirkungen der Be-gabtenförderung (S. XIII–XV). Berlin: LIT.

– Heller, K.A., Mönks, F.J. & Ziegler, A. (2011). MINT-Talentförderung im natio-nalen und internationalen Kontext. journal für begabtenförderung, 11, 1/2011, S. 7–17.

2012 – Heller, K.A. (2012). Begabungsförderung und Schulleistungsentwicklung. Teil

I: Begabungs- und lernpsychologische Bedingungen des Schulerfolgs. Ka-tholische Bildung, 113, H. 5/2012, S. 217–223.

– Heller, K.A. (2012). Begabungsförderung und Schulleistungsentwicklung. Teil II: Mythen und Fakten zum »längeren gemeinsamen Lernen«. Katholische Bildung, 113, H. 6/2012, S. 265–272.

– Heller, K.A. (2012). Begabungsförderung und Schulleistungsentwicklung. Teil III: Bildungspolitische Erfordernisse zur Qualitätssicherung im Schulwesen. Katholische Bildung, 113, H. 7-8/2012, S. 302–310.

– Heller, K.A. (2012). Begabungs- und lernpsychologische Überlegungen zum Bildungsauftrag des Gymnasiums im 21. Jahrhundert. In Mitteilungen 2012 der Abiturienten-Vereinigung Ahlen, Nr. 63, S. 10–15.

– Heller, K.A. (2012). Different research paradigms concerning giftedness and gifted education: shall ever they meet? High Ability Studies, 23, pp. 73–75.

– Heller, K.A. (2012). Evaluationsbefunde zum MINT-Enrichmentprogramm »Hector-Seminar«. In Ch. Fischer et al. (Hrsg.), Individuelle Förderung multi-pler Begabungen. Fachbezogene Forder- und Förderkonzepte (S. 225–239). Berlin: LIT.

– Heller, K.A. (2012). Excellenz im Lichte der Hochbegabungs- und Experti-seforschung mit Anmerkungen zu den Brüdern Humboldt. In Humboldt-Ge-

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sellschaft (HG) für Wissenschaft, Kunst und Bildung (Hrsg.), Festschrift zum 50jährigen Jubiläum der Humboldt-Gesellschaft 1962–2012 (S. 93–116). Roßdorf: TZ-Verlag.

– Heller, K.A. (2012). Identification: An Integral Part of Gifted Education. In A. Ziegler, Ch. Fischer, H. Stoeger & M. Reutlinger (Eds.), Gifted Education as a Lifelong Challenge. Essays in Honour of Franz J. Mönks (pp. 81–95). Berlin: LIT.

– Heller, K.A. (2012). Laudatio. In A. Ziegler, Ch. Fischer, H. Stoeger & M. Re-utlinger (Eds.), Gifted Education as a Lifelong Challenge. Essays in Honour of Franz J. Mönks (pp. 1–11). Berlin: LIT.

– Heller, K.A. (2012). Talentsuche für Hochbegabtenförderprogramme. In: Ch. Fischer et al. (Hrsg.), Individuelle Förderung multipler Begabungen. Allge-meine Forder- und Förderkonzepte (S. 293–299). Berlin: LIT.

– Heller, K.A. (2012). Umgang mit Heterogenität im Einheits- und gegliederten Sekundarschulsystem. Labyrinth, 35, S. 8–10.

2013 – Heller, K.A. (2013). Findings from the Munich Longitudinal Study of Gifted-

ness and Their Impact on Identification, Gifted Education and Counseling. Talent Development & Excellence, 5, pp. 51–64.

– Heller, K.A. (2013). Muss eine inklusive ‘Schule für alle’ die Auflösung des ge-gliederten Schulsystems zur Folge haben? In M. Brodkorb & K. Koch (Hrsg.), Zweiter Inklusionskongress M-V– Dokumentation (S. 49–70). Schwerin: Bil-dungsministerium.

– Heller, K.A. (2013). Perspectives on Gifted Education in the Third Millennium. In A.-G. Tan (Ed.), Creativity, Talent and Excellence (pp. 231–246). Singa-pore, Heidelberg, New York etc.: Springer Science.

– Heller, K.A. (2013). The „Hector Seminar“: A New Enrichment Program for MINT/STEM Talents. In A.-G. Tan (Ed.), Creativity, Talent and Excellence (pp. 187–200). Singapore, Heidelberg, New York etc.: Springer Science.

Prof. Dr. Kurt HellerUniversität MünchenLeopoldstr.1380802 München

E-Mail: [email protected]

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begabt • lernen • exzellent • lehren

ÖZBF-Kongress 20137.–9. November in Salzburg

Das Österreichische Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung (ÖZBF) veranstaltet von 7.–9. November 2013 den 8. Internationalen ÖZBF-Kongress. Im Fokus des Kongresses stehen das Lehren und Lernen in der Begabungs- und Exzellenzförderung.

Inhaltliche Schwerpunkte

• Differenzierendes Lehren und Fördern• Forschendes Lernen• Individualisiertes Lehren und Lernen• Fachdidaktik und Begabtenförderung• Begabungsfördernde Bildungsinstitutionen• Begabungs- und Exzellenzförderung an Hochschulen• Systemisch – Ganzheitlich – Vernetzt

Hauptvorträge

• Elsbeth Stern Wissen als der Schlüssel zum Können

• Heidrun Stöger Spezifische Lehr- und Lernvoraussetzungen Begabter

• Andreas Helmke „What works?“ – Internationaler Forschungsstand zu Bedingungen der Wirksamkeit schulischen Lernens

• Gabriele Weigand Schule der Person. Anthropologische Voraussetzungen und pädagogische Konsequenzen für die Begabtenförderung

• Albert Ziegler Aktiotope: Die Basis systemischer Begabungs förderung

Information und Anmeldung: www.oezbf.at/kongress2013

Frühbucherbonus bis 31. Mai 2013!

ÖZBF-Kongress 2013 begabt • lernen • exzellent • lehren

7.–9. November 2013 in Salzburg Das Österreichische Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung (ÖZBF) veranstaltet von 7.–9. November 2013 den 8. Internationalen ÖZBF-Kongress. Im Fokus des Kongresses stehen das Lehren und Lernen in der Begabungs- und Exzellenzförderung. Inhaltliche Schwerpunkte

• Differenzierendes Lehren und Fördern

• Forschendes Lernen

• Individualisiertes Lehren und Lernen

• Fachdidaktik und Begabtenförderung

• Begabungsfördernde Bildungsinstitutionen

• Begabungs- und Exzellenzförderung an Hochschulen

• Systemisch – Ganzheitlich – Vernetzt Hauptvorträge

• Elsbeth Stern: Wissen als der Schlüssel zum Können • Heidrun Stöger: Spezifische Lehr- und Lernvoraussetzungen Begabter • Andreas Helmke: „What works?“ - Internationaler Forschungsstand zu Bedingungen der

Wirksamkeit schulischen Lernens • Gabriele Weigand: Schule der Person. Anthropologische Voraussetzungen und pädagogische

Konsequenzen für die Begabtenförderung • Albert Ziegler: Aktiotope: Die Basis systemischer Begabungsförderung

Information und Anmeldung: www.oezbf.at/kongress2013. Frühbucherbonus bis 31. Mai 2013!

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Der ABB Arbeitskreis für Begabungsforschung und Begabungsförderung e.V.

Nach der Konferenz „Begabungen entwickeln, erkennen und för dern“, die im November 1990 in Hannover stattfand, empfand die Mehrheit der Tagungsteil-nehmer es als notwendig, den Bereich Begabungsforschung und Begabungs-förderung stärker zu unter stützen. Der Arbeitskreis Begabungsforschung und Bega bungsförderung wurde ins Leben gerufen.

Um für alle Heranwachsenden günstige Lern-und Entwicklungs bedingungen zu schaffen, ist das Entwickeln, Erkennen und Fördern von Begabungen ein we-sentliches Anliegen. Angemes sene Bedingungen für die Entwicklung von Bega-bung für alle Kin der sollten bereitgestellt und die Begabung schon möglichst früh und zu jedem Zeitpunkt der Persönlichkeitsentwicklung erkannt werden. Dabei sind die verschiedensten Arten und Ausprägungen zu berücksichtigen, um jedes Kind in seiner Begabung fördern zu können.

Die Nachwuchsförderung von Wissenschaftlern, die sich mit dem Thema Be-gabung auseinandersetzen, steht im Vordergrund der Arbeit des ABB. Hierbei spielt die Vernetzung von Theorie und Praxis eine große Rolle. Beide Seiten können bei dem Aus tausch von Theoretikern, wie z.B. Forscher an Hochschu-len, und Praktikern, z.B. von Psychologen, Lehrern und Ärzten, profitieren und die Arbeit der Begabtenförderung und –forschung enorm vo rantreiben.

Der ABB sieht seine Aufgabe darin, die wissenschaftliche Kommunikation und Kooperation zur Begabungsforschung und Begabungsförderung und die Konzipierung, Realisierung und wissenschaftliche Begleitung von Projekten zur Begabungs förderung zu unterstützen. Der Arbeitskreis möchte den Gedan ken, dass Begabungsförderung ein pädagogisches und psycholo gisches Grundanlie-gen ist, wissenschaftlich begründen und die sen Gedanken in der Lehrerschaft, in der Lehrerbildung und in der Öffentlichkeit verbreiten. Der Transfer von Er-gebnissen und Erkenntnissen aus der interdisziplinären Begabungsforschung soll gefördert werden und Eintritt in die psychologische und päda gogische Praxis und somit auch in die Bildungspolitik finden.

Rostock 2013

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134 – – – ABB-Information 2013

Impressum

ABB Information, Jahresheft 2013Herausgegeben von:ABB e.V., Universität Rostock

Institut für pädagogische Psychologie August-Bebel-Str. 28 18055 Rostock

Web: www.abb-ev.org ISSN 1619-1420

Redaktion: Volker Brandt, Dr. Wilfried Manke, Dr. Claas Wegner

Mitglieder des Vorstands

Mit Namen gekennzeichnete Artikel geben nicht notwendigerweise die Meinung des Herausgebers oder der Redaktion wieder.

© Arbeitskreis Begabungsforschung und Begabungsförderung e.V. 2013

Dr. Claas Wegner (Schriftführer)Universität Bielefeld in der Universitätsstraße 2533615 [email protected]

Erweiterter VorstandDr. Wilfried Manke, Hamburg

Hummelsbütteler Landstr. 3122335 [email protected]

Dr. Thomas Zech, KölnIm Ahorngrund 2850996 Kö[email protected]

Prof. Dr. Christoph Perleth (1. Vorsitzender)August-Bebel-Str. 2818051 [email protected]

Volker Brandt (komm. Schatzmeister)Marienburger Str. 9253340 [email protected]

Dr. Brigitte Heink (Stellvertretende Vorsitzende)K. Günther-Str. 404317 [email protected]

Prof. Dr. Helga Joswig (Stellvertretende Vorsitzende)Malchiner Str. 1918109 [email protected]