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TAGUNGSBERICHT VOM GEROT LANNACH SCIENTIFIC ROUNDTABLE Wien, 13. März 2015 Acetylsalicyl- säure in der Krebsprävention

Acetylsalicyl- säure · Komplexe Pathophysiologie von kolorektalen Karzinomen In der Entstehung von kolorektalen Adenomen und Karzinomen spielen Genmutationen, die Zellteilung, Apoptose

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TAGUNGSBERICHT VOM GEROT LANNACH

SCIENTIFIC ROUNDTABLEWien, 13. März 2015

Acetylsalicyl- säure

in der Krebsprävention

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Am 13. März 2015 fand ein Scientific Round-table zum Thema „Schützt ASS vor Krebs? Neue Potentiale eines bewährten Wirkstoffes“statt. Rund 150 geladene Gäste aus dem In-und Ausland kamen nach Wien, um sich überden aktuellsten Stand der Entwicklungen hinsichtlich der chemopräventiven Wirkungvon Acetylsalicylsäure (ASS) zu informieren. Die weltweit führenden Experten Prof. PeterRothwell (Oxford), Prof. Jack Cuzick (London)und Prof. Karsten Schrör (Düsseldorf) referier-ten über ASS in der Krebsprävention, möglicheWirkmechanismen und die Wirkung von ASSauf die Krebsinzidenz und die Entstehung vonMetastasen. Bei der darauffolgenden Podiums-diskussion nahmen noch Prof. Heinz Hammer(Graz) und Prof. Werner Scheithauer (Wien)teil. Mit dem Expertengremium aus verschie-denen Fachrichtungen (Statistik und präven-tive Medizin, Pharmakologie, Neurologie,Gastroenterologie, Onkologie) ergaben sich in der Folge interessante sowie fächerüber-greifende Diskussionen aus verschiedenenBlickwinkeln.

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Die Pharmakologie von ASSAcetylsalicylsäure (ASS) ist ein Derivat der Salicylsäure, die in der Weidenrinde (Salix alba) vorkommt. ASS wirkt je nach Dosierung analgetisch, entzündungshemmend, fiebersenkend oder plättchen -aggregationshemmend.

Klinische Verwendung ASS Dosis

Niedrig Antiplättchen Wirkung 100 mg/d

dosiert (chemopräventive Wirkung) (Erhaltungsdosis)

Hoch Analgetisch 500-1000 mg als Einzeldosis

dosiert Antiphlogistisch 6-8 g/d

Toxisch ≥ 30 g als Einzeldosis

Tabelle 1: Dosis-Wirkungs-Beziehung von ASS. Quelle: Adaptiert nach Schrör K. Acetylsalicylsäure. Dr. Schrör Verlag, Frechen 2011, S. 49.

Diese Wirkungen werden durch zwei Bestand -teile des Moleküls bestimmt: Die Acetyl-gruppe und die Salicylsäure (Salicylat), sind zwei bioaktive Stoffe in einem Molekül. Der reaktive Acetatrest und Salicylat (Primärmetabolit von ASS) entstehen ineinem äquimolaren Verhältnis durch enzy-matische oder spontane Hydrolyse. Die Cyclooxygenasen (COX) werden durch ASSgehemmt: ASS inaktiviert die COX-1 und moduliert die COX-2-Aktivität durch Acety-lierung. In der Folge wird die Prostaglandin-Synthese gehemmt. ASS wirkt auch an anderen Angriffspunkten wie z.B. auf sekundäre Mediatoren (S1-P), bei der Antiapoptose, Angiogenese,sowie auf Onkogene (k-ras), Zytokine etc.

Der Wirkmechanismus von ASS wurde im Jahr 1971 von Sir John Vaneund seinem Team beschrieben, der dafür auch den Nobelpreis erhieltund mit zwei der Vortragenden in Verbindung steht: John Vane war überviele Jahre am Institut Barts tätig, wo nun Jack Cuzick als Direktor desInstitute of Preventive Medicine agiert. Prof. Schrör war in der Arbeits-gruppe von Sir John Vane tätig und diskutierte in seinem Beitrag (sieheSeite 9) diverse Wirkansätze von ASS in Bezug auf dessen anti-onkogeneEffekte. Bei dem Roundtable waren also führende ASS-Experten am Podium, die sich zwar mit den Wirkungen einer altbewährten Substanzbeschäftigen, aber nach wie vor neue Wirkmechanismen und Wirkungenvon ASS entdecken. Dieser Tagungsbericht beschäftigt sich primär mitniedrig dosierter ASS.

Acetylgruppe

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ZUSAMMENFASSUNG DER VORTRÄGE

Prof. Cuzick

Neue Evidenz zeigt chemopräventive Wirkung von ASS

Die Wirkungen von ASS in der Sekundärprävention von kardiovaskulärenErkrankungen sind unumstritten, während die Effekte in der Primär-prävention kontrovers diskutiert werden. Die Frage der Bedeutung vonASS in der Chemoprävention von Krebs wird derzeit aufgrund von aktueller Evidenz erneut diskutiert. Auf den ersten Blick zeigt ASS in derKrebsprävention keine Erfolge, denn in den ersten 3 bis 5 Jahren der Einnahme ist der Schutz vor Krebserkrankungen nicht eindeutig. Dem Team von Jack Cuzick ist es allerdings gelungen, bei der Auswer-tung von langfristig durchgeführten Studien eine deutliche Reduktion der Inzidenz von Krebserkrankungen und deren Mortalität aufzuzeigen.In der kürzlich erschienenen Publikation von Cuzick et al. (2015) wurdendiese wissenschaftlichen Daten zusammengefasst und gemeinsam bewertet, um ein Nutzen-Risiko-Verhältnis für ASS hinsichtlich kardio-vaskulärer und Krebserkrankungen in der Allgemeinbevölkerung zu definieren.

ASS reduziert sowohl die Krebsinzidenz als auch die Mortalität

Eine langfristige Einnahme von ASS reduziert die Krebsinzidenz, jedochist der Effekt auf Todesfälle aufgrund von Krebserkrankungen nochdeutlicher ausgeprägt: 40% der Todesfälle durch kolorektale Karzinome,50% bei Speiseröhrenkarzinomen und 35% bei Magenkarzinomen könntendurch ASS verhindert werden. Die Reduktion der Todesfälle durch Lungen-,Prostata- und Mammakarzinome ist weniger ausgeprägt und liegt bei 5-15%. Im Vergleich dazu reduziert sich die Krebsinzidenz bei kolorektalen Krebserkrankungen um 35% und bei Speiseröhren- und Magenkrebs jeweils um 30%. Die Reduktion der Inzidenz war beiweiteren Krebsarten ebenfalls gegeben, die Effekte waren jedoch kleiner(5-10% für Lungen-, Prostata- und Mammakarzinome). Die Reduktionder Krebsinzidenz und Mortalität wurde nach 3-5 Jahren manifest undnahm mit der Dauer der ASS-Einnahme noch weiter zu. Das Risiko fürMyokardinfarkte und Insulte war ebenfalls deutlich reduziert (siehe Tabelle 2). In Langzeitstudien blieb der positive Einfluss auf die Mortalitätüber bis zu 20 Jahre erhalten, auch nach Beendigung der prophylak-tischen Verabreichung von ASS.

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Ereignis Inzidenz Mortalität

Kolorektalkrebs 0,65 0,60

Ösophaguskrebs 0,70 0,50

Magenkrebs 0,70 0,65

Lungenkrebs 0,95 0,85

Prostatakarzinom 0,90 0,85

Mammakarzinom 0,90 0,95

Myokardinfarkt 0,82 0,95

Insult 0,95 1,21

Tabelle 2: Einschätzung der Risiko-Verhältnisse der Inzidenz und Mortalität von Krebserkrankungen durch ASS-Einnahme (vgl. Cuzick et al., 2015).

Blutungen als Risiken von ASS

Bei Gegenüberstellung des Nutzens der ASS-Einnahme zu den Risiken isteine erhöhte Inzidenz von Blutungen, insbesondere von gastrointestinalenBlutungen und gastrischen Ulcera, zu beobachten. In absoluten Zahlentreten schwerwiegende Blutungen mit einer thrombozyten aggre ga tions-hemmenden niedrigen ASS-Dosierung jedoch sehr selten auf und kommenauf zusätzliche 0,2 bis 0,5 Fälle pro 1000 Personen pro Jahr. Aufgrundder Tatsache, dass Blutungen im höheren Lebensalter gehäufter auftreten,wird empfohlen, die prophylaktische ASS-Einnahme bis zum 70. Lebens-jahr abgeschlossen zu haben. Das Risiko für einen hämorrhagischen Insultaufgrund der Einnahme von ASS kann durch die Kontrolle des Blutdruckswesentlich gesenkt werden.

Empfehlungen auf Basis des Nutzen-Risikoverhältnisses: ASS-Einnahmeüber 10 Jahre

Auf Basis der wissenschaftlichen Daten empfiehlt Prof. Cuzick eine Einnahme von ASS ab dem 50. Lebensjahr über 10 Jahre. Bis zum 50.Lebensjahr ist das Risiko einer Krebserkrankung gering, daher wird esnicht als notwendig erachtet, eine Prävention in der Allgemeinbevölke-rung vor dem 50. Lebensjahr zu veranlassen. Da sich der Effekt von ASSerst nach 3-5 Jahren zeigt, startet die schützende Wirkung von ASS mitdem Zeitpunkt des Anstiegs der Krebsinzidenz. Ab dem 70. Lebensjahrsteigt das Blutungsrisiko an, daher sollte die Einnahme von ASS spätes-tens zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen sein. Die krebspräventive Wir-kung von ASS bleibt auch für weitere 10 Jahre nach einer langfristigenEinnahme erhalten, somit überwiegt das Risiko von Blutungen ab dem70. Lebensjahr dem Nutzen von ASS.

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ASS könnte jährlich 441 Todesfälle in Österreich verhindern

Der Nutzen von ASS ist alters- und geschlechtsabhängig. Wenn Personenmit einem Durchschnittsrisiko zwischen dem 50. und 65. Lebensjahrüber 10 Jahre ASS einnehmen, könnte das relative Risiko einer Krebser-krankung, eines Myokardinfarktes und eines Insultes über eine Periodevon 15 Jahren um 9% bei Männern und um 7% bei Frauen gesenkt werden.Männer scheinen mit ASS einen besseren Schutz zu erreichen, da dieKrebsarten, auf die ASS einen deutlichen Effekt zeigt, bei Männern statistisch häufiger vorkommen. Jedoch ist der Nutzen von ASS auch fürdas weibliche Geschlecht gegeben. Aufgrund des steigenden Krebsrisikosmit dem Alter ist die Prävention vor Krebsinzidenz und -mortalität inden älteren Personengruppen weit deutlicher gegeben.

In Österreich könnten 441 Todesfälle pro Jahr verhindert werden, wenndie gesamte Bevölkerung ab dem 50. Lebensjahr für 10 Jahre ASS ein-nehmen würde. Dies entspricht etwa der Zahl der Todesfälle aufgrundvon Verkehrsunfällen im Jahr 2014. Im gesamten europäischen Raumkönnten durch eine 10-jährige Einnahme von ASS ab dem 50. Lebens-jahr etwa 50.000 Todesfälle verhindert werden. Die einzige noch wesent-lichere Maßnahme zur Krebsprävention wäre mit dem Rauchenaufzuhören. In Österreich sind derzeit etwa 38% Raucher (BMG-Rauch-verhalten in Ö, Statistik Austria). Für die restlichen 62% Nichtraucherrückt folglich die ASS-Einnahme an die erste Stelle der Krebsprävention.

Entität Reduktion Österreich UK Europader Mortalität(%)

Kolorektal 40 285 2.116 29.816

Magen 35 98 518 14.437

Oesophagus 50 57 1.294 7.595

Gesamt 441 3.929 51.848

Tabelle 3: Reduktion der Todesfälle (wenn alle Personen ab 50 Jahren zehn Jahre lang ASSeinnehmen; unter der Annahme, dass die Wirkung nach Absetzen der ASS-Verabreichungzehn Jahre erhalten bleibt).

Betrachtet man die gesamte präventive Wirkung einer prophylaktischen10-jährigen ASS-Einnahme auf alle Krebsarten, Myokardinfarkt und Insulte über einen Zeitraum von 15 Jahren und auf Todesfälle übereinen Zeitraum von 20 Jahren, könnte man mit dieser Maßnahme eine4%ige Reduktion aller Todesfälle bewirken.

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Prof. Schrör

ASS: ein Wirkstoff mit zwei aktiven Wirkzentren

Der Wirkstoff ASS besitzt zwei aktive Wirkzentren und weist somit mehrals einen Wirkmechanismus auf. Ursprünglich wurde die Wirkung vonASS der Salicylgruppe zugeschrieben, was insbesondere bei hohen Dosierungen eine Rolle spielt. Die Acetyl-Gruppe hat die Fähigkeit andereMoleküle, z.B. Proteine, DNA oder Transkriptionsfaktoren, zu acetylieren.Obwohl ASS eine relativ kurze Halbwertszeit von 20 bis 30 Minuten hat,ist die Acetylierung des Zielproteins irreversibel und daher über die gesamte Lebensdauer des jeweiligen Proteins gegeben (z. B. 20 Tage fürAlbumin, 1 Woche für Thrombozyten, 3 Monate für Erythrozyten). DieAcetylierung ist für die klinischen Effekte von ASS in der thrombozyten-aggregationshemmenden Dosierung (etwa 100 mg pro Tag) verantwortlich.

Komplexe Pathophysiologie von kolorektalen Karzinomen

In der Entstehung von kolorektalen Adenomen und Karzinomen spielenGenmutationen, die Zellteilung, Apoptose und DNA-Reparatur der Zellekontrollieren, eine Rolle. Besonders relevant sind Mutationen am Adeno-matösen Polyposis Coli (APC) Gen, welches ein Tumor-Suppressor-Gendarstellt und die Apoptose reguliert. Durch Mutationen zerstörte Reparaturmechanismen resultieren in einem veränderten bzw. verkürz-ten APC Protein. Das Signalmolekül β-Catenin des Wnt-Signalwegs wirdaufgrund von fehlenden Bindungsstellen am APC Protein nicht mehr abgebaut und akkumuliert im Cytosol. In weiterer Folge wird β-Cateninin den Nukleus transloziert und agiert dort als Co-Faktor für die Stimulationder onkogenen Gentranskription, einschließlich der Synthese von Onko-genen (z.B. KRAS) und Cytokinen, sowie einer Hochregulation von COX-2. Eine erhöhte COX-2-Expression ist typisch in Tumorzellen undinduziert eine gesteigerte Synthese von Prostaglandin E2 (PGE2) als dominierendes Prostaglandin. PGE2 fördert das Tumorwachstum bzw.die Metastasenbildung, wirkt immunsuppressiv, antiapoptotisch, auf die Androgenese und kann gleichzeitig das APC-Protein beeinflussen.

Ein weiterer wesentlicher Faktor der Karzinogenese ist das hauptsächlichin Thrombozyten vorhandene Enzym COX-1, welches das für die Throm-bozytenaggregation verantwortliche Thromboxan A2 (TXA2) sezerniert.TXA2 weist auch zahlreiche inflammatorische Aktivitäten auf, darunterauch die Freisetzung von Mediatoren (z. B. Sphingosin-1-phosphat), diewiederum die COX-2-Expression und damit die Tumorgenese stimulieren(Abbildung 1).

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Abbildung 1: Multiple onkogene Effekte von ASS (Copyright Dr. Schrör-Verlag, Frechen, 2015)

ASS greift an zahlreichen Stellen der onkogenen Pathogenese ein

Die Wirkmechanismen von ASS in der Prävention von Krebserkrankungensind noch nicht vollständig geklärt. Die bisher aufgestellten Hypothesensollen die komplexen Wirkungen von ASS veranschaulichen und die Relevanz von ASS in der Chemoprävention unterstreichen.

ASS greift an zahlreichen Stellen der onkogenen Pathogenese ein: einerelevante aber nicht die einzige Funktion ist die Inhibierung von COX-1,wodurch die Synthese der Prostaglandine PGE2 und TXA2 bzw. in weitererFolge Sphingosin-1-phosphat unterdrückt wird. Zusätzlich hemmt ASSdurch eine Acetylierung COX-2. Die Folge ist nicht nur eine reduzierteAusschüttung des tumorfördernden PGE2, sondern auch die Bildungeines Lipidmediators „Aspirin-triggered Lipoxine (ATL)“ welcher eine antiinflammatorische und wahrscheinlich auch endothelprotektive Funk-tionen aufweist und sämtliche pathologischen Effekte hemmt. Um die positive Wirkung von ASS auf die Onkogenese zu verstehen, ist die Tatsa-che, dass COX-2 nicht in gesunden Epithelzellen des Colons exprimiertwird, relevant. Hingegen ist COX-2 in einer hohen Konzentration in Tumorzellen vorhanden und weist multiple Effekte auf das Tumor-wachstum und die Bildung von Metastasen auf.

TCF: T-Zell-Faktor

LEF: „lymphoid enhancer factor“

Hereditäre und erworbene Mutationen in tumor fördernden

Genen (APC)

Insuffi ziente MMR (mismatch repair)- oder

Mikrosatelliten-Instabilität

Akkumulation von freiem β-Catenin im Zytosol

Direkte Effekte

Sekundäre Mediatoren (S1-P)

Onkogene (KRAS), Zytokine

Wachstum/InvasionAntiapoptoseAngiogenese

ATL

+

Dysfunktionales APC-Protein

Unzureichende Anzahl an β-Catenin-Bindungsstellen

Beeinträchtigte β-Catenin- Degradation im Zytosol

PGE2

COX-1

TXA215-PGDH

15-K-PGE2

AC

COX-2

ASS

ASS

β-Catenin

Wnt-respondierende Gene

TCF / LEF

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die chemopräventive Wirkung von ASS könnte auf Basis der vorgestell-ten Hypothese die Inhibierung von COX-1 bzw. die damit verbundene re-duzierte Synthese von TXA2 wesentlicher sein. Der chemoprotektiveEffekt von ASS in der Primärprävention ist wahrscheinlich in einerthrombozytenaggregationshemmenden Dosierung von 10 µM im Plasmagegeben, dies entspricht einer Tagesdosis von 100 bis 300 mg ASS pro Tag.

Studien an Patienten mit familiären APC Gen und malignen Tumoren zeigenstark erhöhte TXA2-Konzentrationen in den intestinalen Zellen. Bei Ver-abreichung von ASS in einer Dosierung etwas über 300 mg wurde dieTXA2-Synthese deutlich reduziert. TXA2 könnte also als Biomarker vononkogenen Prozessen angesehen werden. Prof. Schrör sieht in dem Mediator TXA2 ein Bindeglied zwischen dem Antiaggregationseffekt beikardiovaskulären Erkrankungen und dem Anti-Tumor-Effekt. Dement-sprechend zeigen überlappende Wirkmechanismen präventive Effektevon zwei gravierenden Gesundheitsproblemen mit ähnlichen Risiko-faktoren: bei kardiovaskulären Erkrankungen (Sekundärprophylaxe) alsauch in der Chemoprävention von Krebserkrankungen (Primärprophylaxe).

Prof. Rothwell

Die Wirkungen einer regelmäßigen ASS-Einnahme auf Krebs

ASS besitzt nicht nur die bereits erwähnten Langzeit-Effekte auf Inzidenzsowie Mortalität von Darmkrebs und anderen Krebsarten, sondern zeigtauch kurzfristige Wirkungen auf Krebserkrankungen: ASS wirkt auf dieEntstehung von Fernmetastasen. Außerdem scheinen sich Krebserkran-kungen unter ASS auch weniger bösartig zu entwickeln.

Langzeit-Effekte auf Inzidenz und Mortalität von Darmkrebs und anderen Krebserkrankungen

Mitte der 80er-Jahre wurde erstmals ein möglicher Effekt von ASS aufDarmkrebs aus einer australischen Fall-Kontroll-Studie beschrieben.Seither wurden umfassende Daten aus Fall-Kontroll-Studien sowie auchKohorten-Studien ausgewertet, die gezeigt haben, dass ASS oder NSARseine Wirkung auf Darmkrebs ausüben. Da Fall-Kontroll-Studien keineverlässliche Evidenz liefern, haben Gastroenterologen Studien durchge-führt, um die Wirkungen von ASS auf das Wiederauftreten von Polypenzu untersuchen. Sie haben tatsächlich eine 20-30%ige Reduktion bei rezidivierenden Polypen über 2-3 Jahre gefunden. Die Wirkung auf Poly-pen lässt sich allerdings nicht zwangsläufig auf eine Wirkung auf Darm-krebs übertragen. Da diese Studien eine Beobachtungszeit von 2-3Jahren aufwiesen, konnte keine Wirkung auf Krebs gezeigt werden.

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Nachdem die zwei größten randomisierten Studien mit ASS, die Physicians‘Health Study (PHS) und die Women’s Health Study (WHS), mit einerNachbeobachtungszeit von bis zu 10 Jahren keine Auswirkungen aufDarmkrebs fanden, haben Rothwell et al. Daten aus zentralen Krebsre-gistern und zentralen Todeszertifikaten über einen Zeitraum von 20 Jahrenausgewertet und schlussendlich einen verzögerten Effekt von hoch dosierter ASS (300 mg, 500 mg, 1200 mg) auf das Langzeit-Risiko vonDarmkrebs beobachtet. Nach ungefähr 10 Jahren war in den ASS-Gruppen jedoch bei beiden Auswertungen eine signifikant geringere Anzahl von Darmkrebsfällen zu verzeichnen. Da diese hohen Dosierungenjedoch nicht klinisch relevant waren, haben Rothwell in Zusammenarbeitmit Tom Meade und Bo Norrving Studien mit niedrig dosierter ASS übereinen Zeitraum von 18-20 Jahren untersucht und konnten dasselbe Sig-nal, also einen Nutzen hinsichtlich Darmkrebsmortalität und Inzidenznach 10 Jahren, finden. Im Zuge der Datensammlung war die Lokalisationdes Darmkrebses (proximales oder distales Kolorektum) auffällig: dieWirkung von ASS auf die Darmkrebsinzidenz war im proximalen Kolon,vor allem bei Patienten, die ASS für 5 Jahre erhielten, am größten. Diesist insbesondere von Bedeutung, da Darmkrebs-Screening mittels Darm-spiegelung besser vor Darmkrebs im distalen Kolon als im proximalenKolon schützt, da Darmkrebs im proximalen Kolon aus anatomischenGründen schwieriger mittels Darmspiegelung (Koloskopie oder Sigmoido-skopie) zu diagnostizieren ist. Die Behandlung mit ASS braucht also zumindest 5 Jahre, um ihre Wirksamkeit zu entfalten.

Es gibt auch aus anderen Studien Evidenz, die diese Wirkung untermau-ert: John Burn hat mit der CAPP2-Studie bei Patienten mit Lynch-Syndrom bzw. hereditärem non-polypösem kolorektalem Karzinom mithoch dosierter ASS (600 mg) einen verzögerten Nutzen beobachtet. Auchdie bereits erwähnte WHS fand in den ersten 10 Jahren nichts, jedochkonnte nach einer Nachbeobachtung von 17 Jahren ein Effekt beobachtetwerden, der nach 10 Jahren der Therapie manifest wurde.

So ergab sich anhand der Daten aus unterschiedlichen Studien ein rechtkonsistentes Bild von ASS auf Inzidenz und Mortalität von Krebserkran-kungen: Wenn man all diese Studien gesamt betrachtet, ohne Rücksichtauf Dosierung, Behandlungsdauer oder Einnahmefrequenz, ergibt daseinen signifikanten Nutzen. Bis jetzt ist es unklar, ob der Effekt längerals 20 Jahre anhält, da die Nachbeobachtung noch nicht dieses Stadiumerreicht hat. Mit Sicherheit lässt sich ein Effekt auf Darmkrebs über 5-10Jahre beobachten.

Es gibt jedoch auch Studien, die andere Krebsarten untersuchten. Beob-achtungsstudien deuten auch auf eine Wirkung bei anderen Krebsartenhin (z.B. Magenkrebs, Ösophaguskrebs).

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ASS wirkt also nicht nur im unteren, sondern auch im oberen Gastro-intestinaltrakt. ASS wirkt in niedrigen plättchenaggregationshem-menden Dosierungen auf Krebserkrankungen im gastrointestinalenLumen.

Ein sogenannter Blutungs-Bias kann ausgeschlossen werden: die Patientenwerden nicht aufgrund von Symptomen im oberen und unteren Gastroin-testinaltrakt häufiger untersucht, in der Folge die Krebserkrankung bereits häufiger im Frühstadium diagnostiziert und behandelt, denn Vitamin K-Antagonisten zeigen überhaupt keine Wirkung auf Mortalitätaufgrund von gastrointestinalen Krebserkrankungen. Tatsächlich zeigtedie TPT-Studie (thrombosis prevention trial) sogar eine höhere Rate angastrointestinalen Blutungen mit Vitamin K-Antagonisten als mit ASS.

ASS hat jedoch nicht nur langfristige, also krebspräventive Effekte, sondern wirkt auch kurzfristiger auf das Krebswachstum und dieMetastasenbildung.

Kurzfristige Wirkungen von ASS auf Krebswachstum und Metastasen

In den späten 60er-/frühen 70er-Jahren wurde von Gasic GJ & Gasic TBdie Bedeutung von Blutplättchen für die Metastasenbildung im Tierver-such nachgewiesen. Anschließend wurde auch in nicht randomisiertenHumanstudien ein thrombozytenabhängiger Effekt auf die Metastasen-Bildung bei Krebserkrankungen beobachtet. Empirische Evidenz deutetalso darauf hin, dass ASS auch beim Menschen eine Wirkung auf Metas-tasen entfaltet.

Bei den kardiovaskulären Primärpräventions-Studien zeigte ASS – entge-gengesetzt den Erwartungen – keine Wirkung auf vaskuläre Mortalität,jedoch war interessanterweise eine Reduktion der nicht-vaskulären Mortalität, v.a. durch Reduktion der Krebserkrankungen, zu verzeichnen.Die Wirkung von ASS auf nicht-vaskuläre Mortalität kann bei allen Artenvon Studien beobachtet werden: bei Studien mit niedriger oder hoherASS-Dosierung, bei Primär- oder Sekundärpräventionsstudien. Sie beginnt nach 3 Jahren und wird nach 5 Jahren signifikant. Ein Großteildieser Wirkung beruht auf einer Reduktion der gastrointestinalenKrebserkrankungen. Prof. Rothwell und sein Team untersuchten und beschrieben diese Effekte im Detail:

ASS hatte Auswirkungen auf Krebserkrankungen mit oder ohne bereits bestehenden Metastasen. Sobald Krebspatienten ASS erhielten,schien die Weiterentwicklung der Krebserkrankungen beeinflusst.

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Bei Patienten in der ASS-Gruppe war eine geringere Tendenz der Metas-tasenbildung zu beobachten. ASS hat also einen unmittelbaren Effekt aufdie weitere Entwicklung von Krebserkrankungen, die bei der Randomi-sierung bereits präsent, aber noch nicht diagnostiziert waren. Im Detailzeigte sich eine signifikante Reduktion relativ früh bei hämatogenenFernmetastasen, während sich keine entsprechende Wirkung für Knochen-metastasen zeigt. ASS erhöht also die Wahrscheinlichkeit, dass derTumor lokal bleibt und nicht metastasiert. Ist dies jedoch ein Effekt, derauf alle Krebsarten zutrifft? Die Wirkung auf die Entstehung von Fern-metastasen war bei Darmkrebs im Gegensatz zu anderen Krebserkrank-ungen eindeutig signifikant. Insgesamt scheint es jedoch einenallgemeinen Effekt auf den Prozess der Metastasenbildung selber zugeben.

Kann ASS das Rezidivrisiko reduzieren und das Gesamtüberleben auchbei anderen Krebserkrankungen verlängern?

Um diese Fragestellung zu untersuchen, werden derzeit Studien wie z.B.die ASCOLT-Studie (Aspirin for Dukes C and High Risk Dukes B Colo-rectal Cancers) oder die Add-Aspirin-Studie durchgeführt, die den Nut-zen einer adjuvanten Gabe von ASS zur Krebstherapie erforschen.Ergebnisse sind noch ausständig und werden einen wichtigen Beitragzur Bewertung der ASS-Primärprävention beitragen.Diese kurz- und langfristigen Wirkungen addieren sich zum vaskulärenNutzen und haben somit Einfluss auf den Gesamtnutzen der Primärprä-vention mit ASS.

KEY MESSAGES

ASS besitzt vielseitige Wirkungen, die sich mit der Dauer der ASS-Einnahme verändern:

Die Langzeit-Wirkungen auf Krebserkrankungen zeigen sich frühestensnach 5 Jahren, während die Effekte auf vaskuläre Ereignisse mit derZeit abnehmen. Das Blutungsrisiko ist innerhalb der ersten paar Jahrehöher, nimmt jedoch mit der Dauer der ASS-Einnahme ab – nach 5 Jahrenist das Blutungsrisiko nicht mehr erhöht. Daher ist es wichtig, die zeitli-chen Entwicklungen der ASS-Wirkungen zu berücksichtigen.

Zwei Fliegen mit einer Klappe: ein Wirkstoff für die Prävention von zweiErkrankungen

Die präventiven Wirkungen auf Krebserkrankungen werden mit der Zeitgrößer, der vaskuläre Nutzen nimmt im Laufe der Zeit wahrscheinlichgemeinsam mit dem Blutungsrisiko ab. Betrachtet man vaskuläre Ereig-

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nisse, Krebs und Blutungen gemeinsam, ergibt sich ein Gesamtnutzen,welcher sich in einer Reduktion der Gesamtereignisse (vaskuläre Ereignisse, Krebsinzidenz, fatale Blutungen) um 12% äußert.

ASS sollte Bestandteil jeder Krebsprävention sein. Die Empfehlung lautet,ASS ab dem 50. Lebensjahr über 10 Jahre in niedriger Dosierung einzu-nehmen. Diese Prävention sollte vor dem 70. Lebensjahr abgeschlossensein.

ASS ist ein kostengünstiger Wirkstoff mit bekannten Nebenwirkungen,denen vorgebeugt werden kann (weitere Details sind in der Zusammen-fassung der Podiumsdiskussion zu finden).

Abgesehen von diesen langfristigen krebspräventiven Wirkungen besitztASS auch relativ unmittelbare positive Effekte auf die Bildung von Metastasen: das Risiko für eine Fernmetastasen-Bildung wird reduziert,und die Metastasierung verläuft unter ASS weniger bösartig.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass diese neuen Datenden Gesamtnutzen des bewährten Wirkstoffes ASS revolutionieren.

Literatur ist bei Gerot Lannach erhältlich.

PODIUMSDISKUSSION

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion wurden Themen der Fach-vorträge und des Publikums von Experten aus verschiedenen Fachrich-tungen diskutiert.

Wie viele Patienten müssen mit ASS behandelt werden, um eine Krebser-krankung zu verhindern?

Prof. Cuzick eröffnete die Podiumsdiskussion mit der Frage über die Anzahl der notwendigen Behandlungen mit ASS, um ein Ereignis zu verhindern. Hintergrund dazu ist, dass er häufig zum Gesamtnutzen vonASS in der Krebsprävention und auch spezifisch zur aus seinen Auswer-tungen berechneten Number needed to treat (NNT) gefragt wird. LautProf. Cuzick ist die NNT von ASS beeindruckend und gleichwertig odersogar niedriger im Vergleich zu anderen Medikationen zur Präventionvon Zivilisationskrankheiten wie z.B. Statine. Die NNT ist mitunter alters- und geschlechtsabhängig: es müssten 40-50 Männer bzw. 80-100Frauen mit ASS behandelt werden, um einen Krebsfall innerhalb von 10Jahren zu verhindern. Die niedrigere NNT bei Männern resultiert ausder höheren Häufigkeit von Darmkrebserkrankungen bei Männern im

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Vergleich zu Frauen. Im Vergleich: die NNT von Statinen zur Verhinderungeines nicht-fatalen Herzinfarktes über einen Zeitraum von 5 Jahren beträgt 104, bzw. zur Verhinderung eines Schlaganfalls 154.

Was muss vor Start der Chemoprävention mit ASS beachtet werden?

Vor einer Chemoprävention mit ASS sind ein Bluthochdruck-Screeningsowie ein Helicobacter pylori-Screening des Magens unbedingt anzuraten.Eine Eradikation von Helicobacter pylori reduziert das Magenblutungs-risiko um mindesten ein Drittel (siehe auch nächste Frage).

Wie wird das Blutungsrisiko bewertet?

Auch Prof. Rothwell äußerte sich zur Blutungsthematik: sein Haupt-interesse ist die Prävention von Schlaganfällen und TIA sowie die vasku-läre Prävention. Die Ereignisse Schlaganfall oder TIA treten häufig imAlter von 80 bis 90 Jahren auf. All diese älteren Patienten bekommenohne Bedenken ASS verordnet. Tatsächlich wurden alle randomisiertenStudien von ASS in der Sekundärprävention von Schlaganfällen bei 50-bis 60-jährigen durchgeführt. Das Blutungsrisiko ist jedoch bei 80- bis90-jährigen Patienten ungefähr 20-mal so hoch! Während Bedenkenbezüglich der Verschreibung von ASS bei 40- bis 50-jährigen Patienten(mit niedrigem Blutungsrisiko) in der Primärprävention bestehen, ist derSchaden bei 80- bis 90-jährigen Patienten in der Sekundärpräventionweit größer. In diesem Zusammenhang hat Prof. Rothwell auch daraufhingewiesen, dass das Blutungsrisiko zu Beginn der ASS-Therapie in denersten 2 Jahren zwar ansteigt, jedoch nach 5 Jahren gänzlich abnimmt.Für Prof. Cuzick ist es derzeit noch unklar, ob ab einem Alter von 70Jahren die Einnahme fortgesetzt werden soll. Dies hängt auch davon ab,wie lange der sogenannte Carry-over Nutzen der ASS-Prävention nachBeendigung der Einnahme anhält. Unter 70 Jahren zeigt die Datenlageeindeutig einen Nutzen der ASS-Einnahme.

Wer braucht einen Magenschutz, wer ein Helicobacter pylori-Screening?

Laut Empfehlungen soll erst ab dem 60. Lebensjahr zusätzlich zu ASSein Protonenpumpeninhibitor (PPI) dazu verschrieben werden. Wenn dieChemoprävention ab dem 50. Lebensjahr begonnen wird, muss also inden ersten 10 Jahren kein PPI als Magenschutz dazu genommen werden,vorausgesetzt der Patient hat keine Ulkus-Anamnese. Schwerwiegende Blutungen treten in der Praxis sehr selten auf. Prof.Cuzick schätzt, dass eine einzige Blutung pro 3000 Jahre ASS-Anwen-dung auftritt. Möglicherweise stellen Blutungen in der Praxis ein gerin-geres Problem dar und daher ist eine adjuvante PPI-Verordnung nichtzwingend notwendig. Vor unkritischer PPI-Verordnung sei also gewarnt.

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Prof. Cuzick hat des Weiteren darauf hingewiesen, dass 20% der euro-päischen Bevölkerung im Alter von 60 Jahren mit Helicobacter pyloribesiedelt, jedoch asymptomatisch sind. Das Risiko dieser Patienten füreine Magenblutung ist mehr als doppelt so hoch als das Risiko derjenigen,die ASS einnehmen und keine Helicobacter pylori-Besiedelung aufweisen.Soll daher ein Routinescreening auf Helicobacter pylori-Infektion vorTherapiebeginn durchgeführt werden? Eine Helicobacter pylori-Infektion,egal ob symptomatisch oder asymptomatisch, ist Ko-Faktor von gastroin-testinaler Toxizität aller NSARs und außerdem das wichtigste Karzinogenim Magen. Daher wird als Ulkus-Prophylaxe vor einer NSAR-Behandlungein nicht-invasives Helicobacter pylori-Screening gefolgt von einer Helicobacter pylori-Eradikation bei positiven Patientenbefürwortet. Außerdem empfiehlt die European Helicobacter Society beiihrem rezenten Treffen in Maastricht generell für alle asymptomatischen Patienten eine Helicobacter pylori-Eradikation zur Prävention eines Magenkarzinoms, egal ob sie ASS erhalten sollen oder nicht.

Tägliche versus alternierende ASS-Einnahme? Soll ASS vor oder nachdem Essen eingenommen werden? Bringen magensaftresistenteDarreichungsformen einen Vorteil?

Für Prof. Rothwell ist die tägliche ASS-Einnahme sinnvoll. Bei einer alternierenden ASS-Einnahme jeden 2. Tag ist die Reduktion des Blutungs-risikos nicht eindeutig gesichert, jedoch ist eine Verringerung der krebs-protektiven Wirkung möglich. In diesem Zusammenhang wurden auchdie Einnahmemodalitäten von ASS in Bezug auf das gastrointestinaleBlutungsrisiko diskutiert. Sind gastrointestinale Blutungen bei einerEinnahme nach dem Essen reduziert? Im Magen selbst werden beinicht magensaftresistenten Darreichungsformen nur etwa 10% resor-biert. D.h. der Magen ist eigentlich ein Störfaktor. Je schneller oder ungestörter er passiert wird, desto besser. ASS ist außerdem bei pH 1-2schlecht löslich, wodurch lokal höhere Konzentrationen von ASS entstehen,die die Magenschleimhaut reizen können. Daher sind magensaftresis-tente Darreichungsformen vorteilhaft; die Tabletten setzen ASS erst imDünndarm frei, wo der Wirkstoff rasch resorbiert wird. Prof. Schrörweist darauf hin, dass vergleichende Langzeitstudien mit magensaftre-sistenter ASS versus nicht magensaftresistenten Formen fehlen. Bei magensaftresistenten Tabletten fällt die lokaltoxische Wirkung von ASSweg, nicht aber die systemische, die durch die Prostaglandinhemmungzustande kommt.

Gibt es genetische Unterschiede im Hinblick auf die chemopräventiveWirkung von ASS?

Diskutiert wurde auch, ob eine genetische Prädisposition die Chemo-

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prävention mit ASS beeinflussen kann. Bestimmte Subgruppen profitierendefinitiv von einer Chemoprävention: aus 7 prospektiven, randomisiertenStudien kann abgeleitet werden, dass die Rezidivwahrscheinlichkeit beiPatienten mit einer Mutation von PIK3CA auf die Hälfte abnimmt. Ungefähr 15% aller Kolorektalkarzinom-Patienten haben diese Mutation.Auch bei einer Überexpression von 15-Hydroxyprostaglandindehydro-genase halbiert sich das Rezidivrisiko; auch das sind ungefähr 15% allerKolorektalkarzinom-Patienten. Weitere 15% aller Kolorektalkarzinom-Patienten haben ein proinflammatorisches Milieu im Tumor, was präoperativ sehr leicht über einen erhöhten CRP-Wert oder ein verrin-gertes Albumin zu diagnostizieren ist. Auch diese Patienten profitierendurch die offenbar antiinflammatorische Wirkung von ASS: das Rezidiv-risiko konnte um 50% reduziert werden. Insgesamt weisen also etwa40% der Patienten eine der oben angeführten Mutationen auf. Globalwar daher die Empfehlung beim GI World Congress im Jahr 2014, dassman keinem Patienten, der ein Kolorektalkarzinom hatte, die ASS-Gabevorenthalten sollte.

Wie ist die Datenlage der Sekundärprävention im Vergleich zu Primär-prävention?

Die Sekundärprävention ist differenziert von der Primärprävention zubetrachten, daher wurde die zur onkologischen Standardtherapie adjuvanteASS-Behandlung von bereits bestehendem Kolorektalkarzinomdiskutiert. Ein zusätzlicher Nutzen von ASS könnte durch die Hemmungder Bildung von hämatogenen Metastasen durch die Aggregations-Hem-mung der Blutplättchen zustande kommen. Bei der Sekundärpräventiongibt es genügend Hinweise wie z.B. die erhöhte Expression von COX-2als Indikator für die Bösartigkeit. Ein entsprechender Indikator istsowohl bei der Primärprävention von Krebserkrankungen als auch vonkardiovaskulären Erkrankungen schwierig zu identifizieren.

Wird ASS adjuvant in der Krebstherapie eingesetzt?

Sind wir bereits in der Lage, ASS für die Behandlung von Kolorektalkar-zinom zu empfehlen oder müssen wir Ergebnisse von Studien abwarten?Prof. Scheithauer empfiehlt als Onkologe seinen Krebspatienten bereitsroutinemäßig die Einnahme von ASS.

Ökonomie

Bei der Kosten-Nutzen-Analyse ist es wichtig, dass die Behandlungskostenund Schutz vor einer auftretenden Blutung dem Nutzen der reduziertenZahl an Krebserkrankungen gegenübergestellt werden. Die Kosten von 3Cent pro ASS-Tablette pro Tag können kein Hindernis für die Verord-

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nung darstellen. Auch die zusätzliche Verordnung von PPIs stellt kein Gegenargument dar: Ulkus-Prophylaxe bei negativer Ulkus-Anamnesewird in Österreich erst ab einem Alter von 60 Jahren empfohlen. Das bedeutet, dass nicht jeder Patient, der ASS erhält, automatisch einenPPI dazu nehmen sollte, sondern dass die empfohlene ASS-Einnahmeüber einen Zeitraum von 10 Jahren vor dem kritischen Alter für gastrointestinale Blutungen abgeschlossen sein kann.

Gibt es eine Dosis-Wirkungs-Beziehung in der Chemoprävention?

Die bisherige Evidenz zeigt, dass sich der optimale Nutzen bei einerDosis von 100 mg ASS entfaltet. Dosierungen von z.B. 30 mg erscheinenzu niedrig für eine Wirkung, bei höheren Dosierungen steigt das Blutungsrisiko, nicht jedoch die Wirkung, da das Wirkungsmaximum bei100 mg ASS erreicht ist. Die Professoren am Podium waren sich jedocheinig, dass Dosierungen über 300 mg für die präventive Anwendungnicht empfehlenswert sind.

Gibt es Geschlechtsunterschiede bei der chemopräventiven Wirkung?

Der Anteil an gastrointestinalen Krebserkrankungen ist bei Männernund Frauen verschieden. Bei Frauen sind nur ungefähr 10% der Krebs-erkrankungen gastrointestinal, während bei Männern der Anteil eher20-25% ausmacht. Wenn die ASS-Wirkung auf gastrointestinale Krebser-krankungen beschränkt bliebe, was jedoch nicht sicher ist, dann wäreder Effekt bei Männern größer als bei Frauen. Es gibt jedoch auch geringe Effekte auf Brustkrebs und andere gynäkologische Krebserkran-kungen, die insgesamt die Geschlechterunterschiede ausgleichen könn-ten.

Der relative Nutzen von ASS wird bei Männern und Frauen sehr ähnlicheingeschätzt, eventuell profitieren Männer etwas mehr. Die absolutenUnterschiede sind jedoch aufgrund der größeren Inzidenz der gastroin-testinalen Krebserkrankungen bei Männern im Vergleich zu Frauendeutlich.

Ersetzt ASS die Koloskopie oder einen gesunden Lebensstil?

Alle Professoren am Podium sind sich einig, dass ASS nur ein Zusatz,aber kein Ersatz zur Koloskopie und zu einem gesunden Lebensstil sind.Ein gesunder Lebensstil kann das Krebsrisiko laut Prof. Scheithauer umbis zu 70% reduzieren. Prof. Rothwell argumentiert, dass die Koloskopienicht so effektiv vor Karzinomen im proximalen Kolon schützt. Auch beieiner detaillierten Koloskopie könnten proximale Kolonkarzinome über-sehen werden, da diese aus anatomischen Gründen nur schwer detek-

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Page 18: Acetylsalicyl- säure · Komplexe Pathophysiologie von kolorektalen Karzinomen In der Entstehung von kolorektalen Adenomen und Karzinomen spielen Genmutationen, die Zellteilung, Apoptose

tierbar sind. Proximale Kolonkarzinome sind nicht polyploid, sondernhäufig flach angeordnet, wachsen sehr schnell und metastasieren zwischen den regulären Koloskopie-Abständen. Außerdem nimmt dieInzidenz von proximalen Kolonkarzinomen zu. Da ASS vor allem vor proximalen Kolonkarzinomen schützt, wäre die Kombination einer regelmäßigen Koloskopie und einer ASS-Einnahme eine synergistischeProphylaxe.

Sollen Allgemeinmediziner mit ihren Patienten über eine mögliche ASS-Chemoprävention sprechen?

Laut den Teilnehmern der Podiumsdiskussion ist es für konkrete Routine-Empfehlungen noch zu früh, dafür sind Stellungnahmen vonprofessionelle Organisationen oder Public Health-Gruppen notwendig.

Prof. Scheithauer ist jedoch der Meinung, dass Ärzte das Thema in Patientengesprächen aufgreifen könnten und die Patienten darüber informieren, dass man mit einer ASS-Einnahme täglich das Krebsrisikoum fast 10% senken könnte. Der Roundtable hat laut Prof. Cuzick dazubeigetragen, in der Bevölkerung und bei den Ärzten ein Bewusstsein fürdie Chemoprävention zu schaffen.

Prof. Hammer veranschaulichte abschließend noch einmal die Problematikder Lebensstiländerung: vielen Patienten haben für eine Gesundheits-prophylaxe nur eingeschränkt Zeit. Wahrscheinlich ist daher der Marktan Nahrungsergänzungsmittel derart riesig. Diese Entwicklung sei zwarnicht wünschenswert, entspricht aber der Realität. Als Arzt versuchtProf. Hammer für seine Patienten ein Optimum an Nutzen mit einem Minimum an Lebensintervention zu erreichen. Wenn der Patient die Prophylaxe wünscht, ist er bereit diese anzubieten.

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DIE VORTRAGENDEN & PODIUMSDISKUSSIONSTEILNEHMER

Prof. Jack Cuzick, PhD, FMedSci,FRCP(hon)

Centre for Cancer Prevention, Queen Mary University of London, GB.

Prof. Cuzick ist Direktor des Wolfson Institutsfür präventive Medizin in London sowie Leiterdes Zentrums für Krebsprävention und JohnSnow Professor in Epidemiologie an der QueenMary Universität in London. Er ist Doktor der

Mathematik und hat an der Oxford University und Columbia Universityin New York gearbeitet. Seine momentanen Arbeiten umfassen die Epidemiologie von Krebs und klinische Studien, mit besonderem Interessean Prävention und Screening (u.a. Darmkrebs, Brustkrebs, Prostata-krebs). Er hat mehrere Auszeichnungen und Preise erhalten, ist Autorvon 520 wissenschaftlichen Publikationen und hat in allen bedeutendenmedizinischen Journalen publiziert.

Univ.-Prof. Dr. med. Karsten Schrör

Ehemaliger Direktor des Instituts für Pharma-kologie und klinische Pharmakologie, Universi-tätsklinikum Düsseldorf, Deutschland.

Prof. Schrör ist Facharzt für Pharmakologieund Toxikologie und klinische Pharmakologieund hat auch mehrere Jahre in den USA (u.a.beim Nobelpreisträger Sir John R. Vane, demEntdecker des analgetischen und anti-inflam-

matorischen Wirkmechansimus von ASS durch Prostaglandine) verbracht.Er ist Autor von ungefähr 500 Publikationen, Reviews und Büchern,unter anderem über die Pharmakologie der Plättchenaggregation, Prostaglandine sowie Pharmakologie und Klinik von ASS.

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Prof. Peter Rothwell, MD, PhD, FRCP

Centre for Prevention of Stroke and Dementia,University of Oxford, GB.

Peter Rothwell ist derzeit Vorstand und ActionResearch Professor of Neurology in Oxford. ImJahr 2000 gründete er die Forschungseinheitfür Schlaganfallprävention mit mittlerweile 40Mitarbeitern und hat über 400 wissenschaftlichePublikationen und einige Bücher veröffentlicht.

Seine Forschungsinteressen umfassen u.a. Primär- und Sekundär- prävention von Schlaganfall und vaskulärer Demenz, Hypertonie und das Gehirn, sowie den Nutzen und die Risiken von ASS. Er ist Fellow und Forscher in verschiedenen Akademien und Stiftungen und hat einigeherausragende Auszeichnungen und Preise erhalten.

Univ.-Prof. Dr. med. univ. Werner Scheithauer

Klinische Abteilung für Onkologie, MedizinischeUniversität Wien.

Die Fachgebiete von Prof. Scheithauer sindGastroenterologie, Hämato-Onkologie und Innere Medizin. Er ist seit 1998 Professor fürInnere Medizin an der Abteilung für Onkologie,ehemaliger Leiter der Fachgruppe „Gastroin-

testinale Onkologie“ und ist neben der Klinik auch in seiner Privatordi-nation tätig. Seine medizinischen Schwerpunkte sind metastasiertekolorektale Karzinome, sowie Pankreas- und Gallengangskarzinome. Er ist Mitglied, Beirat und Gutachter bei diversen wissenschaftlichen onkologischen Gesellschaften, Zeitschriften und Editorial Boards.

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ao. Univ.-Prof. Dr. med. univ. Heinz Hammer

Klinische Abteilung für Gastroenterologie undHepatologie, Medizinische Universität Graz.

Prof. Hammer ist Gastroenterologe und hat imZuge seiner Ausbildung mehrere Jahre in denUSA, an der Baylor University im Medical Centerin Dallas sowie der Mayo Clinic in Rochesterverbracht. Seine Fachkenntnisse umfassen die

Qualitätssicherung Koloskopie, die Kohlenhydratmalabsorption, die gastrointestinale Motilität und Sensibilität sowie FODMAP (fermentier-bare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole). Er ist mehrfacherPreisträger, Mitglied und Funktionär diverser internationaler wissen-schaftlicher gastroenterologischer Gesellschaften.

Personen von links nach rechts: Dr. Christof Wachter, Prof. Peter Rothwell,Prof. Karsten Schrör, Dr. Martin Bartenstein, Prof. Jack Cuzick, Prof. WernerScheithauer, Prof. Heinz Hammer, Dr. Doris Lechner

(Foto: Roman Zach-Kiesling)

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