1
„DAS SIEHT ABER UNAUFGERÄUMT AUS!“ Lara Weiser Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, FachdidakHk Biologie Kinder verbringen heute einen Großteil ihrer Zeit in Innenräumen (Zucchi 2002) und sind in ihren Ak>vitäten häufig fremdbes>mmt (vgl. Zeiher 2010). Gerade weniger strukturierte, naturnahe Räume können sich jedoch sehr posi>v auf das Spiel (Blinkert et al. 2008) und die gesamte Entwicklung von Kindern auswirken (Gebhard 2014). Um Kindern das selbstbes>mmtere Lernen in Naturräumen auch im Grundschul- und Kindergartenalltag stärker zu ermöglichen und das Interesse an der Natur zu fördern, werden im Rahmen dieser Forschungsarbeit Materialien und didak>sche Handreichungen entwickelt. Diese sollen nicht nur praxistauglich sein, sondern die Kinder auch beim AuXau einer posi>ven Beziehung und von Vertrauen zu ihrer Umwelt und somit auch zur Natur unterstützen. Im Sinn des Forschenden Lernens (Ga[ & Scheersoi 2014) sollen die Kinder gemeinsam mit ihren pädagogischen Fachkrä]en gerade ungestaltete Lernorte wie etwa Wälder, Wiesen und Parkanlagen erkunden können. Diese sind von jeder Einrichtung aus schnell zu erreichen und ermöglichen den Kindern außerdem das Erleben und Untersuchen von alltäglichen Naturphänomenen in ihren authen>schen Kontexten aus erster Hand. HINTERGRUND Wie müssen Angebote und didak>sche Handreichungen gestaltet sein, um das Forschende Lernen an außerschulischen Lernorten und dadurch die Interessenentwicklung der Kinder (3 bis 8 Jahre) an der Natur zu unterstützen? FRAGESTELLUNG METHODE Im Rahmen dieser Design-Based Research Studie (DBR Collec>ve 2003 bzw. PIB, Scheersoi & Hense 2015), wurden Materialien und didak>sche Angebote für Kindergarten- und Grundschulgruppen entwickelt und unter realen Bedingungen in der Vermi[lungspraxis eingesetzt und evaluiert. Während der Interven>onen kamen insbesondere die Methode der teilnehmenden Beobachtung (Hussy et al. 2010, N=24 Exkursionen) und LeiNadeninterviews (Hussy et al. 2010) mit Kindern (N=22, 3 bis 9 Jahre) und pädagogischen Fachkrä]en (N=28) zum Einsatz. Die Expert*innen der Bildungspraxis also Kinder, Erzieher*innen und Lehrkrä]e waren zu jedem Zeitpunkt der Erhebung eingebunden. So konnten ihre Bedürfnisse, Erfahrungen und Beobachtungen bei der Entwicklung, Analyse und schri[weisen Anpassung der Interven>onen berücksich>gt werden. Blinkert, B., Reidl, K. & Schemel, H.-J. (2008). Naturerfahrungsräume im besiedelten Bereich – Ergebnisse eines Forschungsprojektes. In: Schemel, H.-J. & Wilke, T. (Hrsg.): Kinder und Natur in der Stadt. Spielraum Natur: Ein Handbuch für Kommunalpoli>ker, Planer sowie Eltern und Agenda-21-Ini>a>ven. Bundesamt für Naturschutz Bonn, 119-136. DBR Collec>ve (2003). Design-based research: An emerging paradigm for educa>onal inquiry. Educa>onal Researcher 32(1), 5-8. Ga[, S. & Scheersoi, A. (2014). Editorial note. Inquiry in primary science educa>on (IPSE) 1, 2-4. Gebhard, U. (2014). Wie viel „Natur“ braucht der Mensch? „Natur“ als Erfahrungsraum und Sinninstanz. Nachdruck von: Gebhard, U. (1994): Wie viel Natur braucht der Mensch? Psychologische Befunde und umweltpädagogische Konsequenzen. Die Zukun] der Umwelterziehung. Hamburg, Kramer. Hussy, W., Schreier, M. & Echterhoff, G. (2010). Forschungsmethoden in Psychologie und Sozialwissenscha]en. Berlin: Springer. Scheersoi, A. & Hense, J. (2015). Kopf und Zahl – Praxisorien>erte Interessenforschung in der Biologiedidak>k (PIB). Biologie in unserer Zeit 45, 214-216. Zeiher, H. (2010). Childhood in German Sociology and Society. Current Sociology 58 (2), 292-308. Zucchi, H. (2002). Naturen r remdung bei Kindern und was wir entgegen setzen müssen. In: Gerken, B. & Görner, M. (Hrsg.): Planung contra Evolu>on? Natur- und Kulturlandscha] 5. Höxter/Jena. LITERATUR Abb. 1: Gemeinsam und gleichzeiHg individuell entdecken Kinder an ungestalteten Lernorten biologische Vielfalt hautnah und werden sensibel für Erscheinungen, die für sie bislang verborgen waren . Abb. 2: ForschungsnoHzen ja oder nein? Die AZrakHvität einer Methode ist stark abhängig davon, wie alltäglich sie von den Kinder genutzt wird bzw. werden muss. Eine Ablenkung vom Originalobjekt sollten sie jedoch nie darstellen. KINDERN DIE WILDE WELT DA DRAUßEN ERÖFFNEN ERGEBNISSE Die Studien zeigen, dass sich das Forschende Lernen sehr gut an ungestalteten Lernorten durchführen lässt und dabei den altersspezifischen Bedürfnissen der Kinder in hohem Maße gerecht wird: Die Kinder erhalten die Möglichkeit, geleitet von individuellen Vorlieben und Interessen eigenen Fragen nachzugehen, Phänomene sinnlich und in Bewegung zu erkunden und sich gemeinsam mit anderen Kindern und Erwachsenen auszutauschen. Dabei spielt auch die besondere Atmosphäre solcher Orte eine wich>ge Rolle für die Lernprozesse der Kinder. So bieten naturnahe Räume etwa eine beruhigende Geräuschkulisse und Rückzugsorte, die sich insbesondere auf solche Kinder förderlich auswirken, die in lauten und überfüllten Innenräumen Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren und sich Inhalten zu öffnen. Darüber hinaus zeigt sich, dass gerade die forschende Auseinandersetzung mit der Natur einen sehr posi>ven Einfluss auf deren Wertschätzung hat: Aus einem anregenden Abenteuerspielplatz wird ein Lebensraum für Tiere und Pflanzen, auf die man Rücksicht nehmen aber mit denen man sich gleichzei>g auch neugierig auseinander setzen möchte. Um dies zu ermöglichen, benö>gen einige Kinder jedoch eine intensive Begleitung und Anregung . Gerade Kinder, die bislang nur sehr wenige oder sogar nega>ve Erfahrung mit Natur gemacht haben, brauchen posi>ve Bestärkung, um Berührungsängste und Ekelgefühle abzubauen. Erst dann kann es gelingen, dass die Kinder einen körperlichen und kogni>ven Zugang zur Natur herstellen, posi>ve Gefühle entwickeln und eine wertschätzende Haltung gegenüber ihrer wilden Umwelt auXauen. Kein Boden ist der beste, weil es auch verschiedene Tiere gibt. Weil im Wasser können Fische leben, im Schlamm Kröten und auf Steinen ganz viele Tiere die an Land leben. Ich finde der Boden mit viel Wasser ist der beste, weil die Tiere ernähren sich auch von dem Wasser. Abb. 3: Angeregt durch ein Angebot zum Forschenden Lernen diskuHeren Zweitklässler*innen über die Bedeutung von Böden . Foto: L. Weiser Foto: L. Weiser

„DAS SIEHT ABER UNAUFGERÄUMT AUS!“ · „DAS SIEHT ABER UNAUFGERÄUMT AUS!“ Lara Weiser Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Fachdidakk Biologie Kinder verbringen

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: „DAS SIEHT ABER UNAUFGERÄUMT AUS!“ · „DAS SIEHT ABER UNAUFGERÄUMT AUS!“ Lara Weiser Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Fachdidakk Biologie Kinder verbringen

„DASSIEHTABERUNAUFGERÄUMTAUS!“

LaraWeiserRheinischeFriedrich-Wilhelms-UniversitätBonn,FachdidakHkBiologie

Kinder verbringen heute einen Großteil ihrer Zeit in Innenräumen(Zucchi2002)undsindinihrenAk>vitätenhäufigfremdbes>mmt(vgl.Zeiher2010).Geradewenigerstrukturierte,naturnaheRäumekönnensich jedoch sehr posi>v auf das Spiel (Blinkert et al. 2008) und diegesamteEntwicklungvonKindernauswirken(Gebhard2014).UmKinderndasselbstbes>mmtereLerneninNaturräumenauchimGrundschul-undKindergartenalltagstärkerzuermöglichenunddasInteresse an der Natur zu fördern, werden im Rahmen dieserForschungsarbeit Materialien und didak>sche Handreichungenentwickelt. Diese sollen nicht nur praxistauglich sein, sondern dieKinder auch beim AuXau einer posi>ven Beziehung und vonVertrauenzuihrerUmweltundsomitauchzurNaturunterstützen.ImSinn des Forschenden Lernens (Ga[ & Scheersoi 2014) sollen dieKinder gemeinsam mit ihren pädagogischen Fachkrä]en geradeungestaltete Lernorte wie etwa Wälder, Wiesen und Parkanlagenerkunden können. Diese sind von jeder Einrichtung aus schnell zuerreichenundermöglichendenKindernaußerdemdasErlebenundUntersuchen von alltäglichen Naturphänomenen in ihrenauthen>schenKontextenausersterHand.

HINTERGRUND

Wie müssen Angebote und didak>sche Handreichungen gestaltetsein,umdasForschendeLernenanaußerschulischenLernortenunddadurchdie InteressenentwicklungderKinder(3bis8Jahre)anderNaturzuunterstützen?

FRAGESTELLUNG

METHODEIm Rahmen dieser Design-Based Research Studie (DBR Collec>ve2003 bzw. PIB, Scheersoi & Hense 2015), wurdenMaterialien unddidak>sche Angebote für Kindergarten- und Grundschulgruppenentwickelt undunter realenBedingungen inderVermi[lungspraxiseingesetzt und evaluiert. Während der Interven>onen kameninsbesonderedieMethodederteilnehmendenBeobachtung(Hussyetal.2010,N=24Exkursionen)undLeiNadeninterviews(Hussyetal.2010) mit Kindern (N=22, 3 bis 9 Jahre) und pädagogischenFachkrä]en(N=28)zumEinsatz.DieExpert*innenderBildungspraxis– also Kinder, Erzieher*innen und Lehrkrä]e – waren zu jedemZeitpunktderErhebungeingebunden.Sokonnten ihreBedürfnisse,Erfahrungen und Beobachtungen bei der Entwicklung, Analyse undschri[weisenAnpassungderInterven>onenberücksich>gtwerden.

Blinkert,B.,Reidl,K.&Schemel,H.-J.(2008).NaturerfahrungsräumeimbesiedeltenBereich–ErgebnisseeinesForschungsprojektes.In:Schemel,H.-J.&Wilke,T.(Hrsg.):KinderundNaturinderStadt.SpielraumNatur:EinHandbuchfürKommunalpoli>ker,PlanersowieElternundAgenda-21-Ini>a>ven.BundesamtfürNaturschutzBonn,119-136.DBRCollec>ve(2003).Design-basedresearch:Anemergingparadigmforeduca>onalinquiry.Educa>onalResearcher32(1),5-8.Ga[,S.&Scheersoi,A.(2014).Editorialnote.Inquiryinprimaryscienceeduca>on(IPSE)1,2-4.Gebhard,U.(2014).Wieviel„Natur“brauchtderMensch?„Natur“alsErfahrungsraumundSinninstanz.Nachdruckvon:Gebhard,U.(1994):WievielNaturbrauchtderMensch?PsychologischeBefundeundumweltpädagogischeKonsequenzen.DieZukun]derUmwelterziehung.Hamburg,Kramer.Hussy,W.,Schreier,M.&Echterhoff,G.(2010).ForschungsmethodeninPsychologieundSozialwissenscha]en.Berlin:Springer.Scheersoi,A.&Hense,J.(2015).KopfundZahl–Praxisorien>erteInteressenforschunginderBiologiedidak>k(PIB).BiologieinunsererZeit45,214-216.Zeiher,H.(2010).ChildhoodinGermanSociologyandSociety.CurrentSociology58(2),292-308.Zucchi,H.(2002).NaturenrremdungbeiKindernundwaswirentgegensetzenmüssen.In:Gerken,B.&Görner,M.(Hrsg.):PlanungcontraEvolu>on?Natur-undKulturlandscha]5.Höxter/Jena.

LITERATUR

Abb.1:GemeinsamundgleichzeiHgindividuellentdeckenKinderanungestaltetenLernortenbiologischeVielfalthautnahundwerdensensibelfür

Erscheinungen,diefürsiebislangverborgenwaren.

Abb.2:ForschungsnoHzenjaodernein?DieAZrakHvitäteinerMethodeiststarkabhängigdavon,wiealltäglichsievondenKindergenutztwirdbzw.werdenmuss.EineAblenkungvomOriginalobjektsolltensiejedochnie

darstellen.

KINDERNDIEWILDEWELTDADRAUßENERÖFFNEN

ERGEBNISSEDie Studien zeigen, dass sich das Forschende Lernen sehr gut anungestalteten Lernorten durchführen lässt und dabei denaltersspezifischenBedürfnissenderKinder inhohemMaßegerechtwird:Die Kinder erhaltendieMöglichkeit, geleitet von individuellenVorliebenund Interesseneigenen Fragennachzugehen, Phänomene sinnlichund inBewegung zuerkundenund sich gemeinsammit anderenKindernundErwachsenenauszutauschen.DabeispieltauchdiebesondereAtmosphäresolcherOrteeinewich>geRollefürdieLernprozessederKinder.SobietennaturnaheRäumeetwaeineberuhigendeGeräuschkulisseundRückzugsorte,diesichinsbesondereaufsolcheKinderförderlichauswirken,dieinlautenundüberfülltenInnenräumenSchwierigkeitenhaben,sichzukonzentrierenundsichInhaltenzuöffnen.Darüberhinauszeigtsich, dass gerade die forschende Auseinandersetzung mit der Natur einen sehr posi>ven Einfluss auf derenWertschätzung hat: Aus einemanregendenAbenteuerspielplatzwirdeinLebensraumfürTiereundPflanzen,aufdiemanRücksichtnehmenabermitdenenmansichgleichzei>gauchneugierigauseinandersetzenmöchte.Umdies zuermöglichen,benö>geneinigeKinder jedocheine intensiveBegleitungundAnregung.Gerade Kinder, die bislang nur sehr wenige oder sogar nega>ve Erfahrung mit Natur gemacht haben, brauchen posi>ve Bestärkung, umBerührungsängsteundEkelgefühleabzubauen.Erstdannkannesgelingen,dassdieKindereinenkörperlichenundkogni>venZugangzurNaturherstellen,posi>veGefühleentwickelnundeinewertschätzendeHaltunggegenüberihrerwildenUmweltauXauen.

KeinBodenistderbeste,weilesauchverschiedeneTieregibt.

WeilimWasserkönnenFischeleben,imSchlammKrötenund

aufSteinenganzvieleTieredieanLandleben.

IchfindederBodenmitvielWasseristderbeste,weildieTiereernährensich

auchvondemWasser.

Abb.3:AngeregtdurcheinAngebotzumForschendenLernendiskuHerenZweitklässler*innenüberdieBedeutungvonBöden.

Foto:L.Weiser Foto:L.Weiser