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Neusäß, 07.04.2018 Ulrich Hierdeis, Schulleiter Pestalozzi-Grundschule Gersthofen „Digital erdacht – analog gemacht“ – vom Klang der Dinge Krems, Donau-Universität. Mit den #edudays 2018 veranstaltete die PH Niederösterreich gemeinsam mit der Donau-Universität Krems eine Tagung für Lehrende aller Unterrichtsfächer, deren Ziel es war, Lehren und Lernen mit digitalen Medien kritisch zu reflektieren und Impulse für einen optimalen Einsatz zu geben. Unter den thematischen Schwerpunkten „digitale Kreativität“ und „coding & making“ präsentierte ich meine Idee „digital erdacht - analog gemacht | vom Klang der Dinge“. Mein Vortrag gewährte Einblicke sowohl in den Makerspace „Dadamachine“ als auch in die Komposition, die diese Maschine abspielte, erklärte aber auch die Einbettung des Präsentierten in den gesamten Musikunterricht. Die Dadamachine ist für mich die logische Konsequenz in meinem Bemühen um die Einbindung digitaler Medien in den Musikunterricht der Grundschule. Insofern hatte der Vortrag auch die Funktion, meine eigene didaktische Position aufzuzeigen. Musikunterricht in der Grundschule heute Der Musikunterricht in der Grundschule hat sich heute mit seinen Inhalten längst vom reinen „Singunterricht“ verabschiedet. Schon seit vielen Jahren werden Kindern Kompositionen verschiedener Epochen präsentiert. Die Kinder setzen sich mit stilistischen Merkmalen auseinander, sie lernen Notenwerte, Notennamen, spielen an Instrumenten, begleiten Lieder und werden letztendlich selbst zu Komponisten. Gerade an diesem letzten Punkt sind mobile, digitale Endgeräte eine Bereicherung, stellen sie sich doch als eigenes Instrument dar, das man auch mit wenig Kenntnissen einfach erlernen und bedienen kann. Der Einstieg in die Arbeit mit digitalen Medien ist zunächst relativ einfach, intuitiv und leicht, es kann mit zunehmender Erfahrung jedoch auch sehr komplex und tiefgründig gearbeitet werden. Grafische Notation Um Kinder an Noten und Notenwerte heranzuführen, arbeite ich gerne mit grafischer Notation. Hierbei versuchen Kinder anfänglich Klänge und Geräusche zu notieren, um diese dann für einen späteren Zeitpunkt reproduzierbar zu machen. Anschließend werden Zeichen vereinbart, welche die Notation erleichtern. Diese Zeichen sind jedoch noch nicht exakt. Im Vergleich zur genauen Schreibweise eines

„Digital erdacht – analog gemacht“ – vom Klang der Dinge · 2018-04-13 · Neusäß, 07.04.2018 Ulrich Hierdeis, Schulleiter Pestalozzi-Grundschule Gersthofen „Digital erdacht

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Neusäß, 07.04.2018

Ulrich Hierdeis, Schulleiter

Pestalozzi-Grundschule Gersthofen

„Digital erdacht – analog gemacht“ – vom Klang der Dinge

Krems, Donau-Universität. Mit den #edudays 2018 veranstaltete die PH Niederösterreich gemeinsam mit der Donau-Universität Krems eine Tagung für Lehrende aller Unterrichtsfächer, deren Ziel es war, Lehren und Lernen mit digitalen Medien kritisch zu reflektieren und Impulse für einen optimalen Einsatz zu geben.

Unter den thematischen Schwerpunkten „digitale Kreativität“ und „coding & making“ präsentierte ich meine Idee „digital erdacht - analog gemacht | vom Klang der Dinge“.

Mein Vortrag gewährte Einblicke sowohl in den Makerspace „Dadamachine“ als auch in die Komposition, die diese Maschine abspielte, erklärte aber auch die Einbettung des Präsentierten in den gesamten Musikunterricht. Die Dadamachine ist für mich die logische Konsequenz in meinem Bemühen um die Einbindung digitaler Medien in den Musikunterricht der Grundschule. Insofern hatte der Vortrag auch die Funktion, meine eigene didaktische Position aufzuzeigen.

Musikunterricht in der Grundschule heute Der Musikunterricht in der Grundschule hat sich heute mit seinen Inhalten längst vom reinen „Singunterricht“ verabschiedet. Schon seit vielen Jahren werden Kindern Kompositionen verschiedener Epochen präsentiert. Die Kinder setzen sich mit stilistischen Merkmalen auseinander, sie lernen Notenwerte, Notennamen, spielen an Instrumenten, begleiten Lieder und werden letztendlich selbst zu Komponisten. Gerade an diesem letzten Punkt sind mobile, digitale Endgeräte eine Bereicherung, stellen sie sich doch als eigenes Instrument dar, das man auch mit wenig Kenntnissen einfach erlernen und bedienen kann. Der Einstieg in die Arbeit mit digitalen Medien ist zunächst relativ einfach, intuitiv und leicht, es kann mit zunehmender Erfahrung jedoch auch sehr komplex und tiefgründig gearbeitet werden.

Grafische Notation Um Kinder an Noten und Notenwerte heranzuführen, arbeite ich gerne mit grafischer Notation. Hierbei versuchen Kinder anfänglich Klänge und Geräusche zu notieren, um diese dann für einen späteren Zeitpunkt reproduzierbar zu machen. 

Anschließend werden Zeichen vereinbart, welche die Notation erleichtern. Diese Zeichen sind jedoch noch nicht exakt. Im Vergleich zur genauen Schreibweise eines

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Neusäß, 07.04.2018

Systems mit Notenlinien wirken die Zeichen für Klänge und Geräusche in der grafischen Notation eher unpräzise. Vor allem ist die Wiedergabe ungenau, da keine exakte Tonhöhe oder Dauer beschrieben wird. Dieser vermeintliche Nachteil entpuppt sich aber als Vorteil für Kinder: Man kann nur bedingt „falsch“ agieren. Falsch kann es nur dann sein, wenn vereinbarte Zeichen nicht entsprechend der Verabredung genutzt werden und auch Pausen keine Beachtung finden.

Die Notation selbst wird anhand einer X-Y Achse fixiert, die X-Achse bestimmt in Leserichtung den Faktor Zeit. Die wichtige Erkenntnis ist: Musik vollzieht sich in der Zeit – die Zeit vergeht. Der Musiziervorgang findet unabhängig von der Art der Notation statt. Der Dirigent fährt mit einem

Zeigestab die Komposition in Leserichtung entlang, die Kinder musizieren und produzieren ihre Klänge.

Anhand der Notation werden ebenso weitere Parameter der Musik – Tondauer, Lautstärke, Tonhöhe – erarbeitet.

Aktionsnotation Im nächsten Schritt erhalten die Kinder eine Matrix, in der musikalische Ereignisse eingetragen werden. Das führt zu einer Aktionsnotation. Es werden in zwei Zeilen zuerst jeweils 2x4 Felder aufgemacht, die dann Akteuren zugewiesen werden, die festgelegte musikalische Aktionen

durchführen: Hände klatschen, Füße stampfen.

Durch das Setzen von Markierungen (Feld erhält ein X oder wird farbig), lernen die Kinder, dass an dieser Stelle der Akteur spielen muss.

Für das gemeinsame Musizieren zählt die Lehrkraft in geeignetem Zeitmaß ein und gibt damit den Startpunkt. Damit lassen sich tolle Erfolge erzielen und gleichzeitig auch die Grundlagen für das folgende Programmieren mit Apps legen.

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Neusäß, 07.04.2018

Werkhören Eines meiner Lieblingswerke zur Einführung in die Programmmusik ist die sinfonische Dichtung „Pacific 231“ von Arthur Honegger. Der Komponist beschreibt die Fahrt einer der sehr großen Lokomotiven quer durch Amerika. Das langsame Anfahren der Dampflokomotive und das stete Beschleunigen realisiert der Honegger in einer systematische Verkleinerung der Notenwerte. Da die Kinder bereits mit Notenwerten in Berührung kamen, können sie den Unterschied zwischen Ganzen, Halben und Viertelnoten benennen. Sie erkennen, dass sich dadurch Beschleunigung erzeugen lässt. Diese erste Erkenntnis ist für die spätere Arbeit wichtig.

Ferner steht im Mittelpunkt der gemeinsamen Überlegungen: Wie setzt ein Komponist außermusikalische Ereignisse mit Musik um. Welche Mittel nutzt er? Z.B. simulieren die Flöten das Pfeifen der Lokomotive im Bahnhof, kurz bevor sie startet.

Auch wenn die in der Musik beschriebene Maschine aus einer vergangenen Zeit stammt, sind die Kinder in der Lage, die charakteristischen Zeichen zu entschlüsseln und semantisch zuzuordnen.

Eine Anregung für die Auseinandersetzung mit neuer Musik ist z.B. das Werk „the great learning“ von Cornelius Cardew. In reduzierter Form können Kinder mit der Lehrkraft in die Turnhalle (große Akustik) gehen und ein ähnliches Stück („small talk“ – Adaption vom Verfasser, siehe pdf) dort aufführen. Die Sprache der einzelnen Zeilen, welche die Kinder individuell vortragen, vermischt sich, die Kinder nehmen die Rolle von Musikern an und werden damit auch gleichzeitig zu Musikern.

Komponieren mit Yellofier Diese App, benannt nach dessen Erfinder Blank und Meyer (Yello), verfügt über eine Matrix aus vier mal vier Feldern, in die die Kinder kurz zuvor aufgenommene Alltagsgeräusche oder Wörter, einsetzen können. Mit Hilfe eines integrierten Sequencers können die aufgenommenen Audio-Ereignisse kombiniert und angespielt werden, so entstehen erste Rhythmicals und fetzige Rhythmen. 

Die Kinder lernen, mit Yellofier Sprache oder andere Geräusche aufzunehmen und diese Klänge in die oben genannte Matrix einzusetzen. Dadurch, dass insgesamt vier Spuren zur Verfügung stehen, die gleichzeitig angespielt werden und sich mehrfach Matrixfelder aneinander reihen lassen, können größere und detaillierte Kompositionen entstehen. In Yellofier selbst lässt sich die Komposition abspeichern und als Audiofile ausgeben und

weiter verarbeiten.

Kinder lernen Aus dem Umgang mit der Matrix den ersten Zusammenhang mit dem Faktor Zeit kennen. Musik geschieht immer in der Zeit und das Individuum (als Komponist) bestimmt, wann welche Aktion erfolgen soll. Für die Kinder bedeutet das: „Ich programmiere bzw. ich komponiere.“ An die Stelle wo zuvor in der Umsetzung der grafischen Notation ein Kind mit dem Zeigestab dirigierte, tritt jetzt eine genauere Zeitangabe („beats per minute“ / bpm), die variiert werden kann. 

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Neusäß, 07.04.2018

Xynthesizer Zum Programmieren und Steuern der Dadamachine wird die App Xynthesizer eingesetzt. Diese App präsentiert ein grafisches Bedienfeld in Form einer Matrix. Neben diversen Einstellmöglichkeiten in der Klangerzeugung und im Sequenzer kommt hauptsächlich das direkte Ansteuern eines bestimmten Tones in der Matrix zum Einsatz. Die Matrix in Xynthesizer nutzt wieder eine Zeitleiste (in Leserichtung). Der Komponist legt hier fest , zu welchem Zeitpunkt welcher Ton angespielt werden soll. Die App speichert die zur Klangerzeugung notwendigen Befehle als MIDI-Information. Diese werden über ein Midi-Interface an die Dadamachine ausgegeben. Die Dadamachine stellt das Werkzeug dar, das mit Hilfe von Motoren die aus dem Xynthesizer übermittelten Informationen in hör- und sichtbare Aktionen übersetzt. Dabei stellt ein MIDI-Interface die Verbindung zwischen dem Tablet (der App) und der Dadamachine her – ohne dieses Midi-Interface können die Motoren keine Aktionssignale empfangen. 

Am hier abgebildeten großen Matrixfeld sind auf der linken Seite die Tonnamen zu erkennen. Jedes kleine Feld ist genau einer Note zugewiesen. Somit kann

später genau ein Klang-Akteur über das Steckfeld auf der Dadamachine angesprochen werden.

Im Sinne der didaktischen Reduktion wird eine kleinere Variante der Darstellung verwendet. Ähnlich wie bei der oben beschriebenen Aktionsnotation (analog zum Klatschen und Stampfen), legen die Kinder fest, wann welcher Motor arbeiten und welchen Klangkörper er in Schwingung versetzen soll. Dadurch rückt die

Klangerzeugung in den Vordergrund und verschiedene Materialien können hinsichtlich ihrer Klangeigenschaften untersucht werden.

Beispielsweise können Klangstäbe mit unterschiedlichen Schlägeln bespielt oder Metallkugeln verschiedener Größe, Muscheln oder Steine schlagartig in Bewegung gesetzt werden. Dadurch entstehen die verschiedenartigsten Klänge bzw. Klangfarben. Diese Stücke haben Kinder erdacht und damit arbeiten die Kinder digital. Sie komponieren Musik. 

Zu jeder Zeit sollte mit den Kindern über Musik, das Komponieren und die Klangereignisse gesprochen und dabei müssen die Kriterien klar herausgestellt werden. Nur so lassen sich Aussagen treffen, die über „gut“ oder „cool“ hinausgehen. Diese Kriterien werden im gemeinsamen Gespräch festlegt.

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Neusäß, 07.04.2018

Zusammenfassender Aufbau

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Neusäß, 07.04.2018

Ausblick Für die Aufführung einer Dadamachine-Komposition ist es im Sinne einer Aktivierung aller Schüler*innen sinnvoll, das Instrumentrium zu erweitern. Dazu können auf der digitalen Seite weitere Apps und auf der analogen Seiten selbstverständlich auch reale Instrumente eingebunden werden. Die Aufführung des Stücks geht dann wirklich in Richtung der vom Dadaismus geforderten Performance, die neben die Klangerzeugung auch die visuelle Einbindung des Musizierens mit außergewöhnlichen „Instrumenten“ forderte.

Wenn vorher bereits Erfahrungen mit der grafischen Notation vorhanden sind, eignet sich diese Abbildung sehr gut als Kompositionsplan. Hier lassen sich, zeitlich angeordnet, verschiedene Ereignisse unter- oder übereinander aufschreiben und gleichzeitig spielen.

So könnte sich z.B. eine Kindergruppe auf Spezial-Effekte beschränken, andere wiederum auf Synthesizerklänge, etc.

Das Ziel könnte sein, eine Eigenkomposition im Stile der Minimalmusic entstehen zu lassen.

Musik unterlag schon immer zeitgenössischen Strömungen und Tendenzen, so dass Formen der Neuen Musik den Kindern Horizonte eröffnen kann und ihnen hilft, ihre eigenen Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern und zu stärken. Musikunterricht heute kann besonders bei der digitalen gesellschaftlichen Transformation helfen, nachkommende Generationen zu bilden und das urmenschliche Bedürfnis nach einem „sich ausdrücken können“ stärken und fördern.