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19 Reha-Reportage Blickpunkt Gesundheit unter Schlafstörungen und Lustlosig- keit und haben womöglich suizidale Gedanken oder Tendenzen. Beide Erkrankungen sollten entspre- chend der jeweiligen Leitlinien ge- trennt, aber nicht losgelöst vonei- nander behandelt werden: „Medizi- ner und Psychologen müssten schon im Studium besser auf übergewich- tige Patienten vorbereitet werden – immerhin ist die Mehrheit der Bevöl- kerung bereits übergewichtig und ein Viertel adipös“, betont de Zwaan. Ein Psychosomatiker, Psychiater oder ein Psychologe, der die Depression be- handelt, habe in der Regel wenig Ah- nung von leitliniengerechter Adipo- sitastherapie und bekomme das auch nicht bezahlt, erläutert die Psychoso- matikerin. Mit fortschreitender Ge- wichtsabnahme werde eine Depres- sion zwar besser, aber nur vorüberge- hend; umgekehrt führe auch eine er- folgreiche Behandlung der Depres- sion allein noch nicht automatisch zu einer nachhaltigen Gewichtsre- duktion. „Die Behandler müssen zum Wohle des Patienten kooperieren und sich ergänzen. Wichtig ist z. B., dass der behandelnde Psychosoma- tiker oder Psychiater keine Antide- pressiva verordnet, die Gewichtszu- nahmen fördern“, erläutert de Zwaan. Nach Informationen des Kompetenz- netzes Adipositas2 sind selbst bei auf Gewichtsreduktion spezialisierten Ärzten und Ernährungsfachkräften stigmatisierende Einstellungen adi- pösen Patienten gegenüber keine Sel- tenheit. Aufgrund negativer Annah- men (z. B. fehlende Willensschwäche und Selbstkontrolle, geringe Hygie- ne, mangelnde Motivation und Com- pliance …) werde die Behandlung schwer Übergewichtiger oft als wenig aussichtsreich eingeschätzt. Oftmals bestehe eine geringere Motivation, Patienten mit Adipositas zu helfen; Ärzte fühlen sich dafür häufig nicht qualifiziert genug und gewähren ihnen weniger Behandlungszeit. Dies könnte dazu beitragen, dass Patien- ten mit Adipositas es vermeiden, Vor- sorgeuntersuchungen in Anspruch zu nehmen, außerdem verschieben sie häufiger Arzttermine oder sagen sie ab. „Behandler sollten sich darüber klar sein, dass sie auch durch ihr eigenes Verhalten die Selbstab- wertung ihrer Patienten fördern können und so depressive Symp- tome, Ängste, geringen Selbst- wert, Essstörungspathologien, soziale und Verhaltensprobleme und eine verringerte Lebens- qualität fördern.“ „Häufig fehlt es schlicht an Fachwis- sen im angemessenen Umgang mit schwer Übergewichtigen“, so Prof. de Zwaan. Die Direktorin der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie in Hannover fordert in Analogie zur Psychoonkologie – hier ist ein Psy- chologe für die Zertifizierung von on- kologischen Zentren zwingend erfor- derlich – auch für jedes zertifizierte Adipositaszentrum einen psychologi- schen Experten. Fotos: Optifast Zentrum Stuttgart am Zentrum für Klinische Ernährung Stuttgart (ZKES) Sinnvolle Möglichkeiten und seriöse Maßnahmen zum Abnehmen Schnell, sicher und dauerhaft an Gewicht verlieren – am Zentrum für Klinische Ernährung Stuttgart begleiten Experten der Uni Hohenheim beim Thema Abnehmen In kurzer Zeit viel Gewicht verlieren, wieder mobiler und agiler werden: Diesen Wunsch haben viele. Wer allerdings dauerhaft erfolgreich abnehmen und langfris- tig sein Gewicht halten möchte, sollte auf seriöse Angebote setzen. Das Zentrum für Klinische Ernährung Stuttgart (ZKES) an der Universität Hohenheim bietet dazu das sogenannte Optifast-Programm an. In einem festgelegten Zeitraum werden die Teilnehmer vom Expertenteam – bestehend aus Medizinern, Ernährungsbera- tern, Psychologen und Sporttherapeuten – beim Abnehmen betreut. Hierbei grei- fen die Themenfelder Medizin, Ernährung, Verhalten und Bewegung ineinander. Das Programm findet in der Gruppe statt. Schrittweise werden die Teilnehmer bei ihrer Gewichtsreduktion und Ernährungsumstellung begleitet. Durch das alltags- taugliche Konzept müssen sie dabei weder hungern, noch sind sie in irgendeiner Art eingeschränkt. Nach Ansicht führender Ernährungswissenschaft- ler gilt Optifast gegenwärtig als das in Deutsch- land erfolgreichste Adipositas-Therapie-Pro- gramm. Es wird auch in der aktuellen Leitlinie der deutschen Adipositas-Gesellschaft als The- rapieoption aufgeführt. Eine Kostenbeteili- gung durch die Krankenkasse ist möglich. Reha-Reportage Foto: privat, Optifast Zentrum Stuttgart am Zentrum für Klinische Ernährung Stuttgart (ZKES) Viele adipöse Menschen haben nicht nur im doppelten Sinn ein schweres Los – sie sind auch noch einer dop- pelten gesellschaftlichen Stigmatisie- rung ausgesetzt. Auch im Gesund- heitswesen ist eine gewichtsbezogene Stigmatisierung und Diskriminierung adipöser Menschen leider verbreitet; kommen die Symptome einer De- pression hinzu, ist die Versorgung oft erst recht unzureichend. „Es ist wich- tig, diese doppelte körperliche und psychische Belastung therapeutisch angemessen aufzufangen“, fordert Professor Dr. med. Martina de Zwaan, Vizepräsidentin der Deutschen Adi- positas-Gesellschaft (DAG). „Dazu müssen Adipositastherapeuten, Psy- chosomatiker, Psychiater und Psy- chologen besser qualifiziert werden und wirkungsvoller miteinander ko- operieren. Ein Experte für psychische Probleme gehört an jedes Adipositas- Therapie-Zentrum“, so Dr. de Zwaan. Schweres Übergewicht und Depression bedingen und fördern sich gegenseitig Die Wahrscheinlichkeit für eine De- pression steigt mit zunehmendem Body-Mass-Index. Ein Mensch mit schwerem Übergewicht hat eine um 50 Prozent höhere Chance, depressiv zu werden, als ein Mensch ohne schweres Übergewicht. Ebenso hat ein depressiver Mensch eine um 50 Prozent höhere Chance, schwer über- gewichtig zu werden. Eine depressive Symptomatik er- schwert eine erfolgreiche Adipositas- therapie zusätzlich. Sie macht sich meist bemerkbar durch ein mindes- tens zwei Wochen andauerndes Stim- mungstief; Betroffene ziehen sich aus sozialen Beziehungen zurück, leiden Adipositas und Depression Professor Dr. med. Martina de Zwaan ist Vizepräsidentin der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG). „Wir brauchen mehr psychologische Experten!“ In Deutschland ist etwa jeder vierte bis fünfte Mensch mit Adiposi- tas (starkem Übergewicht) de- pressiv – bei rund 20 Millionen schwer Übergewichtigen sind heute rund 4 – 5 Millionen Menschen von beiden Krankheiten zugleich betroffen.

Adipositas und Depression „Wir brauchen mehr ... · PDF filepression hinzu, ist die Versorgung oft erst recht unzureichend. „Es ist wich-tig, diese doppelte körperliche und psychische

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Reha-Reportage

Blickpunkt Gesundheit

unter Schlafstörungen und Lustlosig-keit und haben womöglich suizidaleGedanken oder Tendenzen.

Beide Erkrankungen sollten entspre-chend der jeweiligen Leitlinien ge-trennt, aber nicht losgelöst vonei-nander behandelt werden: „Medizi-ner und Psychologen müssten schonim Studium besser auf übergewich-tige Patienten vorbereitet werden –immerhin ist die Mehrheit der Bevöl-kerung bereits übergewichtig und einViertel adipös“, betont de Zwaan. EinPsychosomatiker, Psychiater oder einPsychologe, der die Depression be-handelt, habe in der Regel wenig Ah-nung von leitliniengerechter Adipo-sitastherapie und bekomme das auchnicht bezahlt, erläutert die Psychoso-matikerin. Mit fortschreitender Ge-wichtsabnahme werde eine Depres-sion zwar besser, aber nur vorüberge-hend; umgekehrt führe auch eine er-folgreiche Behandlung der Depres-sion allein noch nicht automatischzu einer nachhaltigen Gewichts re -duktion. „Die Behandler müssen zumWohle des Patienten kooperierenund sich ergänzen. Wichtig ist z. B.,dass der behandelnde Psychosoma -tiker oder Psychiater keine Antide-pressiva verordnet, die Gewichtszu-nahmen fördern“, erläutert de Zwaan.

Nach Informationen des Kompetenz-netzes Adipositas2 sind selbst bei aufGewichtsreduktion spezialisiertenÄrzten und Ernährungsfachkräftenstigmatisierende Einstellungen adi-pösen Patienten gegenüber keine Sel-tenheit. Aufgrund negativer Annah-men (z. B. fehlende Willensschwächeund Selbstkontrolle, geringe Hygie -ne, mangelnde Motivation und Com - pliance …) werde die Behandlungschwer Übergewichtiger oft als wenig

aussichtsreich eingeschätzt. Oftmalsbestehe eine geringere Motivation,Patienten mit Adipositas zu helfen;Ärzte fühlen sich dafür häufig nichtqualifiziert genug und gewährenihnen weniger Behandlungszeit. Dieskönnte dazu beitragen, dass Patien-ten mit Adipositas es vermeiden, Vor-sorgeuntersuchungen in Anspruchzu nehmen, außerdem verschiebensie häufiger Arzttermine oder sagensie ab.

„Behandler sollten sich darüberklar sein, dass sie auch durch ihreigenes Verhalten die Selbstab-

wertung ihrer Patienten fördernkönnen und so depressive Symp-

tome, Ängste, geringen Selbst-wert, Essstörungspatho logien,

soziale und Verhaltensproblemeund eine verringerte Lebens -

qualität fördern.“

„Häufig fehlt es schlicht an Fachwis-sen im angemessenen Umgang mitschwer Übergewichtigen“, so Prof. deZwaan. Die Direktorin der Klinik fürPsychosomatik und Psychotherapiein Hannover fordert in Analogie zurPsychoonkologie – hier ist ein Psy-chologe für die Zertifizierung von on-kologischen Zentren zwingend erfor-derlich – auch für jedes zertifizierteAdipositaszentrum einen psychologi-schen Experten.

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Sinnvolle Möglichkeiten und seriöseMaßnahmen zum AbnehmenSchnell, sicher und dauerhaft an Gewicht verlieren – am Zentrumfür Klinische Ernährung Stuttgart begleiten Experten der Uni Hohenheim beim Thema Abnehmen

In kurzer Zeit viel Gewicht verlieren, wieder mobiler und agiler werden: DiesenWunsch haben viele. Wer allerdings dauerhaft erfolgreich abnehmen und langfris-tig sein Gewicht halten möchte, sollte auf seriöse Angebote setzen. Das Zentrumfür Klinische Ernährung Stuttgart (ZKES) an der Universität Hohenheim bietet dazudas sogenannte Optifast-Programm an. In einem festgelegten Zeitraum werdendie Teilnehmer vom Expertenteam – bestehend aus Medizinern, Ernährungsbera-tern, Psychologen und Sporttherapeuten – beim Abnehmen betreut. Hierbei grei-fen die Themenfelder Medizin, Ernährung, Verhalten und Bewegung ineinander.Das Programm findet in der Gruppe statt. Schrittweise werden die Teilnehmer beiihrer Gewichtsreduktion und Ernährungsumstellung begleitet. Durch das alltags-taugliche Konzept müssen sie dabei weder hungern, noch sind sie in irgendeinerArt eingeschränkt.Nach Ansicht führender Ernährungswissenschaft-ler gilt Optifast gegenwärtig als das in Deutsch-land erfolgreichste Adipositas-Therapie-Pro-gramm. Es wird auch in der aktuellen Leitlinieder deutschen Adipositas-Gesellschaft als The-rapieoption aufgeführt. Eine Kostenbeteili-gung durch die Krankenkasse ist möglich.

Reha-Reportage

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Viele adipöse Menschen haben nichtnur im doppelten Sinn ein schweresLos – sie sind auch noch einer dop-pelten gesellschaftlichen Stigmatisie-rung ausgesetzt. Auch im Gesund-heitswesen ist eine gewichtsbezogeneStigmatisierung und Diskriminierungadipöser Menschen leider verbreitet;kommen die Symptome einer De-pression hinzu, ist die Versorgung ofterst recht unzureichend. „Es ist wich-tig, diese doppelte körperliche undpsychische Belastung therapeutischangemessen aufzufangen“, fordertProfessor Dr. med. Martina de Zwaan,Vizepräsidentin der Deutschen Adi-positas-Gesellschaft (DAG). „Dazumüssen Adipositastherapeuten, Psy-chosomatiker, Psychiater und Psy-chologen besser qualifiziert werdenund wirkungsvoller miteinander ko-operieren. Ein Experte für psychischeProbleme gehört an jedes Adipositas-Therapie-Zentrum“, so Dr. de Zwaan.

Schweres Übergewicht und Depression bedingen

und fördern sich gegenseitig

Die Wahrscheinlichkeit für eine De-pression steigt mit zunehmendemBody-Mass-Index. Ein Mensch mitschwerem Übergewicht hat eine um50 Prozent höhere Chance, depressivzu werden, als ein Mensch ohneschweres Übergewicht. Ebenso hatein depressiver Mensch eine um 50Prozent höhere Chance, schwer über-gewichtig zu werden.

Eine depressive Symptomatik er-schwert eine erfolgreiche Adipositas-therapie zusätzlich. Sie macht sichmeist bemerkbar durch ein mindes-tens zwei Wochen andauerndes Stim-mungstief; Betroffene ziehen sich aussozialen Beziehungen zurück, leiden

Adipositas und Depression

Professor Dr. med. Martina deZwaan ist Vizepräsidentin der Deutschen

Adipositas-Gesellschaft (DAG).

„Wir brauchen mehr psychologische Experten!“

InDeutschland ist

etwa jeder vierte bisfünfte Mensch mit Adiposi-

tas (starkem Übergewicht) de-pressiv – bei rund 20 Millionenschwer Übergewichtigen sindheute rund 4 – 5 Millionen

Menschen von beidenKrankheiten zugleich

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